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Violet - Verletzt / Versprochen / Erinnert - Buch 1-3

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Kapitel 5

Liebes Tagebuch,

seit meinem letzten Eintrag ist so viel passiert. Ich bin jetzt eine Alphabestie. So nennt man einen Symbionten, der den Bestien in sich befehlen kann. Ich sollte gewaltige Kräfte in mir haben. Die Energie, die durch meinen Körper pulst, sollte mich fast von den Füßen reißen. Aber so ist es nicht. Tatsächlich fühle ich mich schwach. Tatsache ist, dass ich die Bestien in mir nur ein einziges Mal im Griff hatte. Und das war, als ich sie davon abhielt, Hope zu töten.

Adam und Hope haben so viel erzählt.

Die Liebesgefährten der Symbionten müssen sterben, wenn der Symbiont stirbt. Es gibt ein Band zwischen den Liebenden, das unzertrennbar ist, das den Partner magisch anzieht. Ich könnte schwören, ein solches Band besteht zwischen Adam und mir, aber wir sind nicht zusammen, wie kann das also sein. Das Band reißt den Partner mit in den Tod. Diese Gewissheit ist so unbeschreiblich, unaussprechlich schrecklich. Ich fühle mich schwach und so hilflos. Ich kann nie mit Adam zusammen sein. Niemals. Oh Gott, er müsste dann auch sterben, so wie sein Vater gestorben ist, würde mir etwas zustoßen.

Ich würde nie jemanden lieben dürfen. Das scheint sich alles zu wiederholen. Bin ich verflucht? Ich bin es.

Ich denke so oft an Adams Haus am See. An das, was am See passiert ist, bevor mich Kristens eingepflanzte, nicht echte Erinnerungen ausrasten ließen, mich dazu brachten, Adam die Kehle aufzuschlitzen.

Er weiß doch genau, dass ich ein Symbiont bin. Und er hätte es trotzdem riskiert. Eine Beziehung mit mir riskiert? Mit einem verfluchten Symbionten. Er hätte sein Leben aufs Spiel gesetzt.

Ich weiß nicht, was ich denken, fühlen soll. Ich darf das nie zulassen. Nie wieder. Ich will nicht für den Tod eines Menschen verantwortlich sein.

Alle meine Erinnerungen sind wieder da. Die echten und die nicht echten. Ich kann den Unterschied spüren. Aber was mich fast an den Rand des Wahnsinns treibt, ist, dass meine Vergangenheit hinter einem Schleier verborgen ist.

Was? Wo? Wer ich vor Sektion 13 war, weiß ich nicht.

Was bedeutet das, dass ich mich daran kaum erinnern kann?

Immer wieder sehe ich die Augen des Mannes aus meiner Erinnerung vor mir, bin mir sicher, ich war schon einmal in Sektion 0 und ich sehe Wände aus Glas und Beton. Aber was ist denn das für eine Vergangenheit? Was soll denn das für eine Erinnerung sein?

Wir haben die Nacht in unserem Schlupfwinkel verbracht, bis die Geräusche des Krieges verstummt waren. Adam war mir in der letzten Nacht sehr nahe. So nahe wie Hope. Ich beziehe das nicht nur auf seinen Körper. Ich denke ständig an seine dunklen Haare und Augen, die mich an das Rehkitz am See erinnern. Ich versuche, nicht darüber nachzudenken, wie warm sein Arm war und wie stark er sich anfühlte, als er ihn um mich legte.

Es ist unergründlich, wer diese erste Schlacht zwischen den Bestien und den Vollstreckern für sich entscheiden konnte. Wir sahen die Verluste der Sektion. Wir hatten mit angesehen, wie Bestien getötet wurden. Aber es ist schleierhaft, wer gewonnen hat, falls es überhaupt Sinn macht, von Gewinnern zu sprechen. Ich habe den Verdacht in mir, dass wir alle in diesem Spiel nur die Verlierer sind.

Wir folgen der gleichen Richtung, die ich seit Tagen mit Hope gegangen bin. Bis auf die Tatsache, dass Adam selbst gehen kann, hat sich nicht viel verändert. Heute Morgen haben wir eine zertrümmerte Drohne gefunden. Eine, die einmal wunderschön gewesen war, mit verspielten silbrigen Konturen und Flügeln. Eine, die nicht von einem Computer gesteuert wurde, sondern von programmierten Vollstreckern. Macht das einen Unterschied, frage ich mich?

Die Drohne war komplett zerstört, trotzdem ist Adam hineingeklettert. Hope hat einen Schutzschild um ihn gelegt, nur für den Fall, dass es doch noch eine Explosion gegeben hätte. Es gab keine. Ich frage mich, ob Hopes Kräfte tatsächlich ausreichen würden, um uns vor einer Explosion zu schützen?

Adam hat aus dem Wrack eine der Waffen der Vollstrecker, Munition, ein Fernglas und mobile Teile des Bordcomputers herausgeholt. Wenn wir eine funktionierende Stromquelle finden würden, dann meint Adam, könnten wir den Computer zum Leben erwecken und mehr erfahren, was um uns herum passiert.

Die nächsten Schritte sind zunächst überschaubar. Hope will, dass ich etwas sehe, dass sie nicht mit Worten ausdrücken kann oder will, und ich hoffe darauf, eine Möglichkeit zu entdecken, zurück zu Asha zu kommen, um mein Versprechen einzulösen.

Kapitel 6

Liebes Tagebuch,

mit jedem Tag lerne ich mehr dazu. Lerne zu tanzen im Einklang mit der Natur, mit allem was mich umgibt und spüre die enge Verbundenheit, die unsichtbaren Bande, die uns alle miteinander verbinden. Aber mit jedem Tag werde ich auch schwächer.

Ich verrate das Hope nicht, setze ein tapferes Gesicht auf, aber ich bin froh, wenn Adam müde wird und sich schlafen legt, damit ich auch eine Weile schlafen kann.

Ich beobachte ihn, wie er in jeder sich bietenden Pause versucht, den Computer wiederzubeleben. Wir benötigen Energie, sagt er dann jedes Mal. Ich traue mich es nicht, auszusprechen, aber auf deine Seiten kann ich es schreiben.

Wenn ich Adam sehe, mich in seiner Nähe befinde, dann spüre ich erneut den Durst in mir.

Ich bin wie der Computer in Adams Händen. Brauche Energie, um zu überleben und die einzige Quelle, die mir offensichtlich das geben kann, was ich vor allem anderen ersehne, sitzt mir gerade gegenüber, während ich diese Zeilen schreibe.

Es ist Adam.

Ich sehne mich nach einem Tropfen Blut. Warm, salzig, köstlich. Voller Energie. Es scheint mir egal zu sein, dass ich mich dann irgendwann in ein Monster verwandeln würde. Und halte es neben ihm kaum noch aus. Ich fürchte mich schrecklich davor, dass die Bestien in mir die Gewalt über die Situation wieder erzwingen und mich in ein blutrünstiges Raubtier verwandeln. Adam ist nicht sicher vor mir und Hope? Auch sie wird es nicht schaffen mich aufzuhalten, wenn meine Bestien erwachen. Ich sollte mich von Adam und Hope fernhalten. Mich von ihnen trennen, damit sie vor mir sicher sind.

Denn ich fühle es.

Meine Tattoos, meine Bestien gehorchen mir nicht wirklich. Mehr und mehr. Tag um Tag wird ihr Hunger größer. Giere ich mehr nach Blut. Meine Gedanken kreisen ständig um den roten Lebenssaft, der durch Adams Adern strömt. Aber da gibt es auch noch etwas anderes. Ich wünsche mir, mit dem Computer in Adams Händen die Plätze zu tauschen. Ich wünsche mir, er würde an mir, anstatt an dem Ding, herumschrauben. Hilfe.

Adam hält sich fern von mir, so als ahne er etwas. Er hat Mühe, mit Hope und mir Schritt zu halten, aber er hält durch. Ich beobachte ihn, sehe seine Narbe an seiner Kehle, die ich ihm verpasst habe. Ich erinnere mich daran, wie ich mich zu ihm hingezogen gefühlt habe. Fühle mich immer noch, wieder, mehr denn je zu ihm hingezogen. Ist es nur wegen seinem Blut? Nein, nicht nur wegen seinem Blut. Ich empfinde mehr als nur Hunger. Aber der Fluch der Symbionten, steht zwischen uns. Oder ist es genau umgekehrt? Ist es dieses magische Band, das mich zu ihm hinzieht?

Das Band, das alle mit in den Tod reißt, die sich in mich verlieben, eine Beziehung mit mir eingehen. Adam hat viel erzählt. Aber er hat noch nicht alles erzählt. Was ist es, das ihn glauben lässt, dass sich die Prophezeiung erfüllen wird?

Kapitel 7

Ein Geräusch lässt mich von meinem Tagebuch aufschauen. Ich lege den Stift ins Gras, bleibe ganz ruhig und lausche in den Wald hinein. Wir haben seit Tagen keine Drohnen, Bestien, keinen Krieg mehr gesehen. Adam sitzt mir gegenüber und tüftelt an dem defekten Computer herum. Schon wieder. Ich fluche stumm.

Von Hope fehlt jede Spur. Ich habe nicht bemerkt, dass sie sich von uns entfernt hat, weil ich zu sehr ins Schreiben vertieft war. Sind wir jetzt nicht schutzlos? Hat sie nicht immer einen unsichtbaren Schild um uns gelegt, damit sie uns nicht entdecken können? Ich bin nicht panisch, aber ich mache mir Sorgen.

»Wo ist Hope?«, frage ich Adam. Er sieht von diesem verfluchten Computer auf.

»Sie wollte zurück an den See.«

»Sollte sie nicht immer in unserer Nähe sein?«

»Hope meint, dass wir uns jetzt hinter der Sektionsgrenze in einem toten Punkt befinden. Sie können uns – sie können mich hier nicht anpeilen.«

Adam spricht von dem Sender, den jeder in Sektion 0 als Implantat in sich trägt. Wir hatten auch schon darüber gesprochen, ihn einfach herauszuschneiden, aber der Sender liegt direkt unter der Schädeldecke. Unmöglich da heranzukommen, ohne die geeigneten, chirurgischen Instrumente. Ohne die erforderlichen, chirurgischen Kenntnisse.

Wenn Hope nicht da ist, ist entdeckt zu werden nicht die einzige Gefahr, die über uns schwebt. Ich stehe auf und kann es nicht verhindern, dass ich mich neben Adam setze. Ich kann ihn wittern. Sein Blut.

»Hast du schon Fortschritte mit dem Ding gemacht«, frage ich ihn.

»Nicht wirklich. Die Brennstoffzelle hat einen Defekt. Glaube nicht, dass ich das wieder hinbekomme«, sagt Adam und ich hänge an seinen Lippen, höre ihm gar nicht zu, wie er über den Computer spricht, sehe nur die weichen Stellen an seinem Hals, wie sie sich verformen, wenn er spricht. Ich fühle seine Körperwärme direkt neben mir. Oh Gott. Ich sollte verschwinden. Auf der Stelle.

»Warum gibst du dann nicht auf?«, frage ich.

 

»Das wäre nicht ich. Ich bin nicht fürs Aufgeben geschaffen.«

Seelenruhig hebe ich meine Hand und führe sie hoch bis zu seinem Mund. Berühre seine Lippen. Was tue ich?

Ich glaube wirklich, mein Herz hört für ein paar Sekunden auf zu schlagen, als er sich von dem Computer abwendet und mir direkt in die Augen sieht.

Er sagt keinen Ton, als ich die Kontur seiner Lippen mit meinem Finger nachfahre. Seine einzigartigen Augen, so dunkel als, als schaue man in die bodenlose Schwärze, funkeln mich schelmisch an. Er hat keine Angst. Sollte er aber haben.

Denn ich fürchte mich.

Vor mir.

Weil ich nicht weiß, was als nächstes passiert. Weil ich nicht weiß, wer meine Finger, meine Handlungen gerade steuert. Wer mich kontrolliert. Mein Verstand kann es nicht sein, denn alle Vernunft in mir schreit: Tu das nicht!

»Freija, ich…«

»Schscht«, hauche ich und dann streichen meine Fingernägel über sein Kinn und weiter hinunter über seinen Hals, über die Stelle, wo sich die Narbe befindet, die fast nicht mehr zu erkennen ist.

Plötzlich ändert sich Adams Ausdruck. Er schaut wachsam, kritisch, greift nach meiner Hand.

»Wirst du jetzt gleich deine Zähne in meinen Hals schlagen?«, fragt er mich. Höre ich Nervosität in seiner Stimme?

»Es fällt mir schwer, zu widerstehen«, gebe ich zu. »Aber woher weißt du, nach was ich, nach was es verlangt?«

»Ich weiß es nicht und es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich es bin, der die Veränderung bei dir bemerkt hätte.«

»Hope? Hope hat es bemerkt, weiß es und hat dich vor mir gewarnt?«

»Ja, hat sie. Sie meint, du hast deinen Durst noch nicht wirklich gestillt.«

»Und trotzdem lässt sie mich mit dir allein?«

»Ja, weil sie davon überzeugt ist, dass deine Bestien dir gehorchen.«

»Dann ist sie von etwas überzeugt, an das ich selbst noch nicht glaube.«

Adam sieht mich an und ich spüre, wie sich bei seinem Blick mein Magen zusammenkrampft, meine Knie wieder zu zittern beginnen. Es ist die Schwäche, die zurückkommt, die mich erschüttert, die mich zu ihm hinzieht, wenn ich mich in seiner Nähe befinde. Die Schwäche, die ich schon damals im Skygate fühlen konnte, als er mich in den Gängen aufgespürt hatte. Das ist nicht das Verlangen nach Blut, das ist das Verlangen nach ihm. Seinen Berührungen. Seiner Zuneigung, seiner Nähe, so als würden wir seit Ewigkeiten einander gehören und nichts auf der Welt könnte das verhindern.

»Wenn du Blut brauchst, dann nimm es dir. Aber töte mich nicht.« Was sagt er da? Ist er übergeschnappt? Er bietet mir Blut an. Sein Blut. Ich soll aus ihm trinken? Niemals!

Ich bin nicht primitiv.

ICH BRAUCHE BLUT!

Ich brauche Adam.

Ich trinke niemals Blut! Niemals. Niemals. Niemals.

Mir wird ein bisschen übel. Übel, weil ich mir schon dabei zusehe, wie ich an seiner Kehle hänge.

Adam schaut sorgenvoll. »Tut mir leid. Ich hätte das nicht sagen sollen. Es ist nur… Du bedeutest mir…«

Ich will ihn nicht ausreden lassen.

SPRICH WEITER UND SAG MIR, DASS DU MICH WILLST!

Ich darf ihn nicht ausreden lassen.

Ich bin verflucht. Verrückt.

Verrückt nach ihm.

Ich muss weg hier. Jetzt! Ich richte mich auf, bevor das Unvermeidliche passiert.

Kapitel 8

»Ich sehe nach Hope. Ich muss mit ihr reden, bevor ich...?« Ich kann den Satz nicht beenden.

Ich lasse Adam und mein Tagebuch zurück.

Ich laufe den Weg zurück.

Renne ein Stück.

Sprinte.

Stehe.

Gehe wieder.

Sehe nicht, wo ich hintrete, sehe nur Adams Gesicht vor meinem inneren Auge. Dann höre ich Geräusche und werde neugierig. Ich sollte ein perfekter Jäger sein. Lautlos, schnell überirdisch stark. Aber ich trample, stolpere, bin unbeholfen unterwegs. Ich habe es nicht auf Blut abgesehen, rede ich mir immer wieder ein. Ich nicht.

Die Laute, die Töne kommen näher. Es ist eine Melodie. Sie erinnert mich an etwas. An Gefühle, die ich am See vor Adams Haus gefühlt habe. Die ich vor ein paar Minuten gefühlt habe, als er noch neben mir war. Die ich auch jetzt fühle. Ich erinnere mich an Adam, den Duft seines Körpers. Oh Gott, ich werde überall von ihm verfolgt. Ich schüttle alles ab. Schon wieder. Verzweifelt.

Die Melodie führt mich, lockt mich weg von Adam. Führt mich an das begrünte Ufer des Sees, an dem wir vorbei gekommen sind, an dem wir uns gewaschen haben. Ich verlasse den Schutz, den Baldachin der Bäume, trete hinaus und sehe Hope. Höre sie.

Sie sitzt dort am Ufer und ist nicht allein. Bei ihr sind zwei Geschöpfe des Waldes. Rehe. Eine Mutter, ihr Kitz und Hope singt. Wenn Hope spricht, dann ist das wunderschön anzuhören. Aber das hier ist überirdisch schön. Der Klang ihrer Stimme berührt mich, meine Seele. Ich kriege eine Gänsehaut und bleibe wie angewurzelt stehen.

Die Rehe flüchten nicht. Hope darf ihnen ganz nahe kommen. Sie darf sie berühren und ich sehe die tiefe Verbundenheit, die zwischen ihnen und der schwarzhaarigen Schönheit besteht. Ich glaube fast, die Schwingungen ihrer Seelen bis hierher zu mir zu spüren.

Plötzlich entdeckt mich das Kitz und reckt seinen Kopf in meine Richtung. Hope wirft erschrocken einen Blick über ihre Schulter, hört auf zu singen. Dann lächelt sie mich an und winkt mich zu sich.

Ich bewege mich wie in Zeitlupe. Geselle mich zu ihnen.

»Pssst, keine Angst. Ich werde euch nichts tun«, hauche ich, hoffe ich. Das Kitz stupst mich mit seiner Nase an.

»Alles ist miteinander verbunden. Es gibt keine Grenzen. Das musst du verstehen. Das musst du lernen. Das ist es, was du akzeptieren musst. Dann wird die Energie wie von selbst zu dir kommen«, sagt Hope. Sie sieht mich an. »Lebt Adam noch?«

Das ist Hope. Immer für einen Scherz zu haben. Sie bringt mich zum Lächeln, obwohl mir nicht nach Lachen zumute ist.

»Du lässt mich einfach so mit ihm allein, obwohl du weißt, dass ich eine tickende Zeitbombe bin.«

»Ich bin Hope. Ich habe eben Hoffnung.«

»In was?«

»Dass du lernst, dir zu vertrauen. Dass du es bist, der handelt und nicht deine Bestien. Dass du dein Schicksal akzeptierst und egal für welche Taten, Handlungen du dich entscheidest, dich nicht deswegen schuldig fühlst.«

»Und wenn ich dir sage, dass Adam mit aufgeschlitzter Kehle drüben im Wald liegt und jämmerlich verblutet. Was würdest du dann von mir denken?«

»Dass du eine Lügnerin bist.«

»Was?«

»Du hast kein Blut an deinen Zähnen kleben. Dein Mund ist nicht verschmiert.«

»Hope, du kleines Biest.« Sie grinst. »Du hast eben ein Lied gesungen. Singst du das bitte noch einmal? Für mich?«

»Es ist ein einfaches Lied. Meine Mum hat es mir vorgesungen, als ich noch auf allen Vieren herumgekrochen bin.«

Hope sieht mich an und dann erhebt sie ihre unglaublich schöne Stimme.

Es ist eine Erinnerung, die mir auf der Seele brennt

Die eine, die sich wiederholt

Ich bin wach in der unendlichen Kälte

Sing für mich wieder und wieder

Lege deinen Kopf zurück

Und ich erhebe meine Hände und tanze

Ich tanze nur, um bei dir zu sein

Nur bei dir, ich weiß jetzt

Du bist meine Hoffnung

Sing mir das Lied der Sterne

Sing mir von der Zeit, wir tanzen und lachen zusammen

Wenn ich mich fühle, als wären meine Träume so weit

Sing mir von der Hoffnung

»Das ist wunderschön.«

»Krass, nee«, grinst Hope. »So und jetzt sag mir, wo ist Adam?«

»Zurückgeblieben.«

»Und er lebt wirklich noch? Ich habe mich nicht geirrt?«

»Hope, lass bitte diese Scherze.«

»Ich hätte dich nie mit ihm alleine gelassen, wenn ich kein Vertrauen zu dir hätte«, sagt sie, jetzt ernster.

»Genau deshalb habe ich dich gesucht. Ich muss mit dir sprechen.«

»Ich weiß. Du brauchst meine Hilfe.«

»Was?«

»Schon wieder Probleme mit dem Gehör? Ich sagte, du brauchst meine Hilfe. Glaubst du, ich bin dumm und sehe nicht, was mit dir los ist? Dass es jeden Tag schlimmer wird. Du verlierst Energie, wirst wieder müde. Du wirst wieder hungrig. Aber glaube mir, es ist anders als das letzte Mal. Damals hatte ich echt Schiss vor dir.«

»Jetzt nicht mehr?«

»Nein. Du bist eine Alphabestie. Schon vergessen?«

»Ich bin mir da aber nicht so sicher.«

»Doch, doch. Vertrau mir. Ich kenn mich da aus. Die Bestien haben seit der letzten Aktion Respekt vor dir.«

»Der letzten Aktion?«

»Freija trinkt aus Hope. Hope fällt tot um und dann – ein Wunder. Hope erwacht wieder zum Leben. Schon vergessen?«, lächelt Hope mich an.

»Das werde ich mein ganzes Leben nicht vergessen«, sage ich.

»Du hast den Tanz mit der Energie noch immer nicht drauf. Deshalb und nur deshalb verlangt dein Körper nach Blut. Lerne dir zu vertrauen«, sagt sie wieder.

Ich denke an den Energietanz und sage: »Ich bin müde Hope.«

Hope lacht. »Du bist eine dämliche Nuss. Tut mir leid. Aber darum geht es doch gerade. Darum und natürlich auch darum, ein bisschen Spaß zu haben.«

»Spaß? Hope wir sind im Krieg.«

»Siehst du hier irgendwo Soldaten? Mensch Freija, jetzt mach dich mal locker. Welche Fortschritte machen deine Fähigkeiten?«

»Keine Ahnung. Ich weiß nicht. Keine, denke ich?«

»Falsche Antwort. Null Punkte. Du musst trainieren, darfst das Training nicht unterschätzen. Na los, zeig mal her, was du drauf hast. Lass die Alphabestie raus!«

Ich stehe auf und konzentriere mich und als würde jemand das Licht in mir anknipsen, leuchten meine Tattoos auf. Damit hätte ich nicht gerechnet. Die Bestien befolgen meine Befehle. Die Rehe schrecken auf und rennen ein Stück weg, runter zum See, um uns von dort neugierig zu beobachten.

»Na, das klappt doch schon ganz gut. Was sind es für Fähigkeiten, die sie dir verleihen?«

»Du meinst, außer Luft anzuhalten, Wände entlang zu rennen und jungen Männern die Kehle aufzuschlitzen?«

Hope lacht.

Ich auch - ein bisschen.

»Ja, genau das, aber was sonst noch?«

»Keine Ahnung, nichts«, sage ich und denke an Hopes Fähigkeiten: Heilen, so etwas wie Unsichtbarkeit und ich denke an den Schild, den ich durchdrungen habe, als wir gekämpft haben, mit dem sie Adam geschützt hat und der so viel Energie hatte, dass sie damit auch meine Erinnerungen zurückgeholt hat.

»Nichts also? Na dann zieh dich mal aus!«

»Wie bitte?«

»Ich will sie sehen. Da muss es mehr geben als nur so körperlicher Kram. Okay, auch wenn du schneller und stärker bist als ich, kann das doch nicht alles sein. Und jetzt zieh dich aus, damit ich deine Tattoos studieren kann. Ich laufe knallrot an. Hope grinst so breit wie ein Pferd. Ein wirklich hübsches Pferd.

»Schüchtern? Freija, ich steh auf Jungs. Definitiv, aber ich habe keinen Röntgenblick. Okay. Ich will dir helfen dich zu entwickeln.«

»Du bist verrückt!«

»Weiß ich«, sagt sie.

Ich beginne mich langsam auszuziehen und meine Tattoos leuchten schwächer. Vor Scham.

»Stopp, nicht alles. Die Unterwäsche kannst du anlassen«, kichert Hope.

Ich lege meine Kleider neben mir zu einem Haufen zusammen, bin nicht splitterfasernackt, trage noch den schwarzen Bikini, trotzdem stehe ich etwas schüchtern da.

»So und jetzt tanze mit mir«, fordert Hope mich auf.

Ich weiß nicht, was ich hier tue. Ich mache es einfach. Erst langsam zögernd. Ich schließe meine Augen und spüre, wie die Energie durch meinen Körper pulsiert. Immer stärker. Als würden hundert Herzen in meiner Brust schlagen. Von innen gegen meinen Brustkorb hämmern.

»Es gibt keine Grenzen, daran musst du immer denken. Unbegrenzte Möglichkeiten«, sagt Hope.

Das ist so leicht dahin gesagt.

»Spüre die friedvollen Gedanken des Kitzes«, höre ich Hopes Stimme mir zuflüstern und ich versuche es zu spüren. Und da ist tatsächlich etwas. Etwas, das mich berührt, beruhigt. Ich öffne meine Augen, habe vergessen, dass ich fast nichts anhabe. Meine Tattoos leuchten, strahlen, flammen auf und reflektieren sich im nahe liegenden See. Hope tanzt mit mir. Sie schickt mir ihre Energie. Ich kann es deutlich spüren.

 

Wir bewegen uns zu den Formen der Natur. Unsere Arme, Hände, Finger folgen geheimen, unergründlichen Botschaften in der Luft. Wir tanzen zum Geheimnis des Lebens. Immer schneller. Hope fasst mich an den Händen. Fester.

»Man muss die Wahrheit sehen, um zu wissen, dass sie wahr ist«, fliegen mir Hopes Worte zu.

Heute Nacht werde ich vielleicht einen Teil der Wahrheit sehen. Ich vergesse, wie man atmet, fühle mich voller intelligenter Energie. Drehe mich, drehe mich, drehe mich mit Hope. Bin in Trance! Ich öffne meine Augen und Himmel.

Ich bin allein.

Wo ist Hope?

Und dann begreife ich, wo ich tatsächlich bin.

Ich befinde mich unter Wasser, weil ich nicht bemerkt habe, wohin mich mein Tanz getragen hat. Ich schlage mit meinen Beinen und tauche nach oben an die Oberfläche, tauche auf und suche das Ufer. Finde es und dort sehe ich ihn.

Adam steht am Ufer.