Tasuta

Das Festival der Liebe

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Märgi loetuks
Das Festival der Liebe
Das Festival der Liebe
Tasuta audioraamat
Loeb Ina Leva
Lisateave
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KAPITEL ZWEI

Als Keira spät am Abend in ihr Apartment heimkehrte, das sie gemeinsam mit ihrem Freund bewohnte, zitterte sie noch immer vor Aufregung und konnte es kaum fassen. Sie hatte Schwierigkeiten, den Schlüssel ins Schlüsselloch zu stecken, um die Tür aufzuschließen.

Schließlich gelang es ihr und sie trat ein. Der Duft von Essen hing in der Luft, vermischt mit dem Geruch von Putzmittel. Zachary hatte sauber gemacht. Das bedeutete, dass er wütend war.

„Ich weiß, ich weiß, ich weiß“, sagte sie, noch bevor sie ihn überhaupt sah. „Du bist sauer und es tut mir leid.“ Sie warf ihre Schlüssel in die Schale neben dem Eingang und schloss die Tür. „Aber, Liebling, ich habe großartige Neuigkeiten!“ Sie schlüpfte aus ihren Schuhen und rieb sich die schmerzenden Füße.

Zachary erschien in der Tür des Wohnzimmers, die Arme verschränkt. Sein dunkles Haar passte zu seiner düsteren Stimmung.

„Du hast das Essen verpasst“, sagte er. „Den kompletten Brunch.“

„Es tut mir leid“, sagte Keira flehentlich. Sie warf ihm die Arme um den Nacken, aber er zeigte sich unbeeindruckt, daher änderte sie ihre Taktik. Sie gab ihrer Stimme einen verführerischen Klang. „Wie wäre es, wenn wir uns darüber streiten und ich es dann wieder gutmache?“

Zachary schubste ihre Arme weg und stürmte zurück ins Wohnzimmer, wo er sich auf die Couch warf. Das Zimmer war makellos sauber. Selbst seine PlayStation hatte er abgestaubt. Er war zorniger als je zuvor, das erkannte Keira.

Sie setzte sich neben ihn und legte behutsam eine Hand auf sein Knie, strich über den Jeansstoff unter ihren Fingern. Zachary starrte geradeaus auf den Fernseher, der gar nicht an war.

„Was soll ich machen, Zach?“, fragte sie leise. „Ich muss arbeiten. Das weißt du doch.“

Er atmete aus und schüttelte den Kopf. „Ich verstehe, dass du arbeiten musst. Ich arbeite schließlich auch. Alle Welt arbeitet. Aber niemand sonst hat einen Boss, der nur mit den Fingern schnippen muss und seine Angestellten kommen angelaufen wie die Lemminge!“

Das war nicht von der Hand zu weisen.

„Warte mal, du bist aber nicht eifersüchtig auf Josh, oder?“, fragte Keira. Der Gedanke war lächerlich. „Wenn du ihn nur hättest sehen können!“

„Keira“, kläffte Zachary und schaute sie endlich an. „Ich bin nicht eifersüchtig auf deinen Boss. Zumindest nicht so. Ich bin eifersüchtig darauf, dass er so viel Zeit von dir bekommt, so viel Energie. Er ist praktisch der Mittelpunkt in deinem Leben.“

Jetzt war es an Keira, zu seufzen. Sie verstand durchaus, was Zachary meinte, aber sie wünschte sich, er würde ihren Erfolg mehr unterstützen. Sie wollte, dass er durchhielt, solange sie noch ganz am Anfang war. Es würde leichter werden, sobald sie auf der Karriereleiter nach oben geklettert war.

„Ich wünschte, es wäre anders“, stimmte Keira zu. „Aber all meine Anstrengungen werden nicht weniger werden, zumindest nicht im nächsten Monat.“

Zachary runzelte die Stirn. „Was meinst du damit?“

Keira wollte ihre Aufregung ihm zuliebe nicht so zeigen, aber sie konnte einfach nicht anders. Sie quiekte beinahe als sie sagte: „Ich gehe nach Irland!“

Es entstand eine sehr lange Pause, als Zachary diese Information verarbeitete.

„Wann?“, fragte er kühl.

„Das ist der Punkt“, antwortete Keira. „Es hat eine Personaländerung in letzter Minute gegeben. Josh hat sich das Bein gebrochen. Es ist eine ziemlich lange Geschichte.“

Zach starrte sie einfach an, während sie schwafelte, und wartete auf das dicke Ende.

Keira sank in die Polster, wollte sich möglichst klein machen. „Ich fliege morgen.“

Zacharys Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig. Waren es vorher nur Regenwolken, zog jetzt ein Gewitter auf.

„Aber morgen ist die Hochzeit“, sagte er.

Keira nahm seine Hände in ihre. „Das Timing ist doof, das gebe ich zu. Aber ich schwöre dir, Ruth wird es verstehen.“

„Verstehen?“, schnappte Zach und riss seine Hände los. „Es ist ihre Hochzeit!“

Er sprang auf, lief auf und ab, fuhr sich mit den Händen durch das Haar. Keira eilte zu ihm, versuchte, seinen Zorn zu beschwichtigen. Aber das ließ Zachary nicht zu.

„Ich fasse es nicht“, keuchte er. „Ich veranstalte hier den ganzen Tag einen Brunch für deine Familie, höre mir Bryns Geschwafel an, wie heiß ihr neuer Meditationslehrer ist und all ihre geistlosen Ansichten….“

„Hey!“, sagte Keira, nun ebenfalls wütend. Über ihre große Schwester zu lästern, das ging gar nicht.

„Und anstatt mir zu danken“, fuhr Zach fort, „haust du mir so etwas um die Ohren! Wie soll ich das denn bitte Ruth erklären?“

„Ich sage es ihr selber“, schlug Keira vor. „Dann bin ich der Buhmann, es macht mir nichts aus.“

„Du bist der Buhmann!“, rief Zachary.

Er stürmte aus dem Wohnzimmer. Keira folgte ihm ratlos. Sie waren seit zwei Jahren zusammen und sie hatte ihn noch nie so wütend erlebt.

Sie folgte ihm ins Schlafzimmer und sah, dass er einen Koffer unter dem Bett hervor holte.

„Was tust du?“, fragte sie entsetzt.

„Was denn wohl?“, schnappte er zurück. „Du kannst ja wohl kaum ohne Koffer verreisen, oder?“

Keira schüttelte den Kopf. „Ich weiß, du bist wütend, aber jetzt übertreibst du ein wenig.“

Sie nahm ihm den Koffer ab und warf ihn auf das Bett. Er ging auf, als wolle er sie einladen, ihre Sachen zu packen. Keira musste sich zusammenreißen, um nicht genau das jetzt sofort zu tun.

Zach schien ein wenig an Energie zu verlieren. Er sank in sich zusammen, setzte sich auf das Bett und stützte den Kopf in beide Hände.

„Du entscheidest dich immer für die Arbeit anstatt für mich.“

„Es tut mir leid“, sagte Keira, schaute ihn aber nicht an, während sie ihren Lieblingspulli vom Boden aufhob und unauffällig in den Koffer legte. „Aber dies ist die Chance meines Lebens.“ Sie ging zum Frisiertisch und wühlte sich durch die Menge der Feuchtigkeitscremes und Parfüms. „Ruth hasst mich sowieso. Sie hat mich ohnehin nur in das Brautgefolge aufgenommen, weil du sie darum gebeten hast.“

„Weil man das so macht“, sagte Zachary traurig. „Man macht Familienkram zusammen.“

Sie drehte sich um und räumte die Sachen schnell in den Koffer. Aber Zach bemerkte, was sie tat und sein Gesicht verfinsterte sich noch mehr.

„Packst du etwa?“

Keira erstarrte und kaute auf ihrer Unterlippe. „Tut mir leid.“

„Nein, tut es nicht“, sagte er kalt. Dann schaute er auf. „Wenn du gehst, dann weiß ich nicht, ob wir zusammen bleiben können.“

Keira hob eine Augenbraue, verblüfft von dieser Drohung. „Ach, wirklich?“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Jetzt hatte er ihre volle Aufmerksamkeit. „Du stellst mir ein Ultimatum?“

Zachary warf frustriert die Arme in die Luft. „Tu nicht so, als würdest du mich nicht dazu zwingen! Siehst du denn nicht, wie peinlich das für mich wird, wenn ich morgen auf Ruths Hochzeit ohne dich erscheine?“

Keira seufzte, ebenso frustriert. „Ich verstehe nicht, wieso du denen nicht einfach erklären kannst, dass ich einen super Auftrag an Land gezogen habe, den ich mir nicht entgehen lassen konnte.“

„Die Hochzeit meiner Schwester ist es, die du dir nicht entgehen lassen solltest. Das sollte deine Priorität sein!“

Ah, da war es wieder. Dieses Wort. Priorität. Das, was sie Zach gegenüber nicht zugeben konnte, dass diese nicht ihm galt, sondern ihrer Karriere.

„Es tut mir leid, wiederholte sie und spürte, wie ihre Entschlossenheit nachließ. „Aber es ist einfach nicht möglich. Meine Karriere hat eben Vorrang.“

Sie ließ den Kopf hängen, aber nicht vor Scham, sondern weil sie traurig war. Es hätte so nicht sein müssen. Zach hätte niemals ihre Beziehung gegen ihre Karriere in den Ring werfen dürfen. Das war eine Schlacht, die er verlieren würde.

Keira wusste nicht, was sie noch hätte sagen können. Sie schaute in Zacharys wütendes Gesicht. Es fiel kein weiteres Wort mehr. Es gab nichts mehr zu sagen. Dann erhob sich Zach vom Bett, verließ das Zimmer und ging zur Tür. Er nahm den Schlüssel aus der Schale, ging hinaus und knallte die Tür hinter sich zu. Als Keira das Auto wegfahren hörte, wusste sie, dass er heute Nacht nicht mehr wiederkommen würde. Er würde auf Ruths Sofa schlafen, um ihr seinen Standpunkt klar zu machen.

Keira hatte gewonnen, aber der Sieg schmeckte bitter. Sie sank neben ihrem Koffer auf das Bett und spürte einen dicken Kloß im Hals.

Mit dem dringenden Bedürfnis nach ein paar netten Worten griff sie nach ihrem Handy und rief ihre Mutter an.

„Hallo, mein Schatz“, sagte sie sofort, als hätte sie der Name ihrer Tochter im Display sofort in Alarm versetzt. „Ist alles in Ordnung?“

Keira seufzte. „Ich wollte dir von meinem Auftrag erzählen, den ich heute bekommen habe. Es ist eine Titelgeschichte. Ich fliege dafür nach Irland.“

„Liebling, das sind großartige Neuigkeiten. Wie aufregend! Herzlichen Glückwunsch. Aber wieso klingst du dann so niedergeschlagen?“

Keira rollte auf den Bauch. „Zach. Das Ganze passt ihm nicht. Streng genommen hat er gesagt, es wäre aus zwischen uns, wenn ich fliege.“

 

„Ich bin sicher, er hat es nicht so gemeint“, sagte die Mutter beschwichtigend. „Du weißt doch, wie Männer sein können. Sein Ego ist angekratzt, weil du deine Prioritäten über seine gestellt hast.“

Keira zupfte gedankenverloren am Kopfkissen. „Es hat eher mit Ruths Hochzeit morgen zu tun“, erklärte sie. „Er denkt, ich lasse ihn hängen. Als würde seine ganze Welt in sich zusammenfallen, wenn er ohne Begleitung da auftaucht.“ Sie lachte bitter, erntete am anderen Ende der Leitung aber nur Schweigen.

„Oh“, sagte die Mutter.

„Oh, was?“, fragte Keira irritiert.

Die Stimme ihrer Mutter hatte ein wenig an Wärme eingebüßt. Da schwang etwas mit, das Keira nur allzu gut kannte, da sie es als Kind ständig zu hören bekommen hatte. Missbilligung.

„Nun, es war mir nicht klar, dass du die Hochzeit seiner Schwester verpassen würdest“, sagte sie.

„Und das ändert deine Meinung?“, fragte Keira kurz angebunden.

Ihre Mutter antwortete mit einem vertrauten diplomatischen Tonfall. „Wenn du schon eingeplant warst, und es ist immerhin seine Schwester, dann ist es schlimm, da allein zu erscheinen. Jeder starrt und tuschelt. Es wird unangenehm sein für ihn.“

„Mama!“, jammerte Keira. „Wir leben nicht mehr in den 50ern. Ob es dem Mann genehm ist, ist nicht mehr wichtiger als die Karriere der Frau!“

„Das meinte ich damit nicht, Schatz“, sagte ihre Mutter. „Ich meine ja nur, dass Zachary ein netter junger Mann ist und es ist nichts falsch daran, die Hochzeit wichtiger zu finden. Du willst doch nicht sein wie deine Schwester, mit diesen Dating-Webseiten, wo die Männer behaupten, sie wären 1,90 m und dann sind sie knapp 1,70 m!“

„Mama!“, rief Keira erneut und unterbrach das Gebrabbel. „Ich könnte wirklich gerade deine Unterstützung gebrauchen.“

Ihre Mutter seufzte. „Aber ich freue mich doch für dich. Und ich liebe deine Leidenschaft für die Arbeit. Wirklich.“

Keira rollte mit den Augen. Ihre Mutter war nicht gerade überzeugend.

„Ich denke einfach, in dieser Situation müsstest du bei deinem Freund sein. Ich meine, was ist denn wichtiger? In drei Jahren gibst du den Job sowieso auf, um Kinder zu haben.“

„Okay, Mama, das reicht jetzt!“, schnappte Keira. Kinder zu kriegen, war ihr so fern, das war gerade zu lächerlich, davon jetzt anzufangen.

„Liebling“, sagte ihre Mutter besänftigend. „Es ist sehr lobenswert, so hart zu arbeiten. Aber die Liebe ist auch wichtig. Mindestens genau so wichtig. Wenn nicht sogar wichtiger. Liegt dir wirklich mehr daran, diesen Artikel zu schreiben, als an Zachary?“

Keira bemerkte, dass sie das Telefon fest umklammert hielt. Sie lockerte ihren Griff ein wenig. „Ich muss los, Mama.“

„Denk darüber nach, was ich gesagt habe.“

„Mache ich.“

Sie legte schweren Herzens auf. Das Hochgefühl von vorhin hatte sich komplett in Luft ausgelöst. Es gab nur eine einzige Person, die sie jetzt noch aufheitern konnte, und das war Bryn. Sie suchte schnell die Nummer ihrer großen Schwester in der Kontaktliste und rief sie an.

„Hi, Schwesterherz“, sagte Bryn. „Du hast den Brunch verpasst.“

„Ich habe gearbeitet“, antwortete Keira. „Joshua hat uns alle ins Büro zitiert. Ich denke, er wollte Elliot gegenüber Eindruck schinden, wegen des Artikels über Irland, den er schreiben sollte. Aber dann ist er ausgerutscht und…, nun, er hat sich das Bein gebrochen.“

„Machst du Witze?“, rief Bryn und brach in Gelächter aus. „Wie passiert so etwas bloß?“

Und schon begann sich Keiras Traurigkeit in Luft aufzulösen. Das konnte nur Bryn.

„Es war irre“, sagte sie. „Ich habe den Knochen gesehen. Und dann schrie er, dass er sich die teure Hose ruiniert hätte!“

Die beiden Schwestern lachten gemeinsam.

„Und was kam dann?“, fragte Bryn, ganz die aufmerksame Zuhörerin, wie sie es eigentlich von Zachary oder ihrer Mutter erwartet hatte.

„Er wurde mit dem Krankenwagen abtransportiert und mir wurde klar, dass die Besprechung anfing – Elliot hasst es, wenn Leute zu spät kommen – also bin ich hingegangen. Dadurch ist er auf mich aufmerksam geworden und jetzt habe ich den Irland-Auftrag.“

„Wahnsinn!“, rief Bryn. „Machst du Witze? Meine kleine Schwester schreibt die Titelstory?“

Keira lächelte. Sie wusste, dass Bryn nicht das volle Ausmaß dieser Angelegenheit erfasste und ein wenig in ihrem Enthusiasmus übertrieb, aber sie wusste das zu schätzen. So hatte sie sich das von Zachary gewünscht.

„Es war großartig. Aber nun muss ich morgen schon nach Irland reisen und verpasse Ruths Hochzeit.“

„Na und?“, fragte Bryn. „Das ist doch wohl wichtiger. Du kannst Ruth doch sowieso nicht leiden.“

„Nein, aber ich mag Zach.“, sagte Keira. Bryn sollte verstehen, dass es vielleicht nicht ganz einfach war, von jetzt auf gleich einfach nach Irland zu fliegen. „Er ist echt wütend gewesen.“

Bryn atmete geräuschvoll aus. „Schau mal, Schwesterherz. Ich weiß, das ist nicht leicht. Und ich mag den Kerl, glaube mir. Wirklich. Aber du musst das machen! Du musst! Ich sollte das vielleicht nicht sagen, aber es ist keine gute Idee, mit jemandem zusammen zu sein, der dich so ausbremst. Du würdest es ihm auf ewig vorhalten, wenn du ihm jetzt nachgibst.“

„Und er mir, wenn ich fliege.“

„So ist es. Die traurige Wahrheit ist, dass das Leben der Liebe manchmal in die Quere kommt. Zwei Menschen können füreinander geschaffen sein, aber das Timing macht alles zunichte.“

Keira fühlte den Schmerz bei dem Gedanken, Zachary für ihre Karriere zu verlassen, aber vielleicht hatte Bryn recht. Vielleicht war die Zeit einfach nicht reif für sie beide.

„Also, was wirst du tun?“, fragte Bryn und holte Keira aus ihren Gedanken.

Keira holte tief Luft. „Weißt du was? Ich habe zu viel Mist durchgemacht, um auf der Karriereleiter nach oben zu kommen, als dass ich jetzt aufgeben würde. Ich kann das nicht ablehnen.“

Keira spürte, wie ihr alter Schwung zurückkehrte. Sie war traurig über die Aussicht, Zachary zurückzulassen, aber sie sah keine andere Möglichkeit. Das Angebot abzulehnen, hätte das Ende ihrer Karriere bedeutet. Es gab nur entweder oder.

Sie musste das einfach machen.

KAPITEL DREI

Keiras Wecker holte sie am nächsten Morgen zu einer wahrlich unchristlichen Zeit aus dem Schlaf. Das Ding plärrte wie ein Nebelhorn. Sie rollte sich zur Bettkante und schaltete ihn aus. Dann fiel ihr auf, dass die andere Seite des Bettes leer war. Zach hatte letzte Nacht nicht hier geschlafen.

Sie stand auf, rieb sich den Schlaf aus den Augen, und warf einen Blick in das Wohnzimmer. Kein Zach. Wie sie bereits vorhergesehen hatte, war er letzte Nacht nicht mehr zurückgekommen. Wahrscheinlich war er bei Ruth geblieben.

Sie verdrängte die Enttäuschung und das Bedauern und duschte. Das warme Wasser ließ sie wünschen, einfach wieder ins Bett zu gehen. Statt dessen zog sie sich bequeme Kleidung für die lange Reise an.

Sie nahm ihre Tasche und stellte sicher, dass die Tickets und die Mappe mit den Infos da waren, die Heather ihr gegeben hatte. Zufrieden, alle nötigen Dokumente beisammen zu haben, verließ sie das Haus und stieg in ein wartendes Taxi.

Während sie zügig durch die noch leeren Straßen New Yorks fuhr, nutzte Keira die Gelegenheit, ihre rasenden Gedanken ein wenig zu sammeln. Das passierte ihr gerade alles tatsächlich. Sie würde wirklich nach Übersee fliegen, um dort zu arbeiten. Davon hatte sie immer schon geträumt. Sie hätte sich lediglich gewünscht, Zachary hätte sich mit ihr freuen können, anstatt auf Distanz zu gehen.

Der Flughafen in Newark war so voll wie die U-Bahn während der Rush Hour. Ein Flug um 5 Uhr morgens war für viele Geschäftsleute völlig normal und Keira empfand ein wenig Stolz darüber, dass sie nun dazu gehörte. Sie gab ihr Gepäck auf, hoch erhobenen Hauptes, wie ein Hollywood Superstar. Sie suchte sich einen Coffee Shop für die morgendliche Tasse und um Zeit totzuschlagen, bevor sie an Bord gehen konnte.

Während sie dort im belebten Coffee Shop saß, warf sie wieder und wieder einen Blick auf ihr Handy. Obwohl sie wusste, dass Zachary um diese Zeit noch schlafen würde, hoffte sie dennoch auf irgendein Lebenszeichen von ihm. Sie war überzeugt, das Richtige getan zu haben, als sie den Auftrag übernahm und wünschte sich, er würde das früher oder später auch einsehen. Oder ihre Beziehung war tatsächlich zum Scheitern verurteilt, so wie Bryn es vermutete. Ihre unterschiedlichen Prioritäten waren vielleicht wirklich ein Hindernis, das sie nicht überwinden konnten.

Sie schickte Zachary eine unbeschwerte Nachricht, ohne ihren Streit zu erwähnen, in der Hoffnung, dass er ihr beim Lesen einer freundlichen Nachricht gleich nach dem Aufwachen etwas besser gesonnen war.

Ihr Handy piepte und sie schaute aufgeregt auf das Display, voller Hoffnung, dass Zachary geantwortet hatte. Aber es war nur Heather, die checken wollte, ob alles geklappt hatte und sie pünktlich im Flieger sitzen würde. Enttäuscht schrieb Keira ihr zurück, dass alles in Ordnung sei.

Bald darauf wurde ihr Flug aufgerufen. Sie trank ihren Kaffee aus und ging zu ihrem Schalter. Sie nahm sich vor, Zachary anzurufen, sobald sie gelandet war. Der Zeitunterschied zwischen New York und Irland betrug vier Stunden, das musste sie unbedingt im Hinterkopf behalten, während ihres Aufenthaltes dort.

An Bord des Flugzeugs machte Keira es sich bequem und warf einen letzten Blick auf das Handy. Aber da war noch immer keine Nachricht von Zachary. Statt dessen gab es missbilligende Blicke der Flugbegleiterin, weil sie das Handy längst hätte ausschalten sollen. Keira seufzte, schaltete es aus und verstaute es in ihrer Tasche.

In dem Moment kam eine laut schwatzende Gruppe an Bord, offenbar ein Junggesellenabschied. Keira stöhnte auf. Der Flug war lang, sieben Stunden, um genau zu sein, nach Shannon im County Clare. Es würde schon dunkel sein, wenn sie ankam, aber ihr Körper würde denken, es wäre erst Mittag. Sie hatte gehofft, während des Fluges ein wenig schlafen zu können, aber die laute Männergruppe würde das wohl zu verhindern wissen.

Das Flugzeug bewegte sich zur Startbahn. Keira versuchte, die lärmende Partygruppe auszublenden, indem sie Ohrstöpsel benutzte und die Augen schloss. Aber das reichte leider nicht, um die lauten Männer zu ignorieren.

Das Flugzeug erhob sich in die Lüfte und Keira ging zu Plan B über: Koffein. Sie bestellte einen Kaffee bei der Flugbegleiterin, wohl wissend, dass es der erste von vielen sein würde. Sie trank ihn mit einigem Missfallen über den Lärm der Partytypen.

Schließlich nahm sich Keira die Mappe vor, die Heather vorbereitet hatte, mit Infos und Hinweisen.

Es gibt keine Taxis, daher wird auf dem Parkplatz ein Leihwagen für dich stehen. Ich hoffe, du kannst mit einem Schaltknüppel umgehen. Und vergiss nicht, auf der LINKEN Seite zu fahren.

Der Gedanke, mit reichlich Schlafmangel zu fahren, behagte Keira gar nicht. Sie war schon seit Ewigkeiten nicht mehr gefahren, normalerweise nahm sie die U-Bahn. Schaltknüppel bedeuteten einen zusätzliche Herausforderung. Links zu fahren, würde sich als noch schwieriger erweisen. Wenn sie nicht sofort einen Unfall fabrizieren wollte, musste sie noch viel mehr Kaffee trinken!

Du wohnst in einem traditionellen irischen Pub und Bed & Breakfast, erwarte also kein Hilton. Das ist sehr rudimentär.

Das machte Keira nichts aus. Seit sie das College verlassen hatte, war sie eine hungernde Journalistin gewesen. Hotels waren seit Jahren außerhalb ihrer Preisklasse. Sie würde einen Monat lang schon damit klarkommen. Solange man nicht von ihr erwartete, dass sie ein Plumpsklo benutzen sollte, würde sie mit den rudimentären Umständen zurechtkommen.

Du hast den ersten Abend Zeit, dich einzugewöhnen, bevor die Arbeit losgeht. Wir haben dir einen Führer organisiert, der dir alles zeigt. Am nächsten Morgen triffst du den Matchmaker und Festivalveranstalter. Das Festival selbst fängt am nächsten Abend an.

 

Während sie die Informationen durchging, wurde Keira immer aufgeregter. Der Flug verging viel schneller, als sie erwartet hatte, was vielleicht an dem vielen Adrenalin lag, das ihr durch die Adern rauschte. Das und die Unmengen an Koffein.

Keira landete guter Dinge in Shannon, verließ das Flugzeug und trat hinaus in die kalte, frische Septemberluft. Sie hatte erwartet, grüne Hügel zu sehen, mit Schafen und Kühen. Der Flughafen in Shannon war hingegen eher nichtssagend. Langweilige, graue Industriebauten, mehr gab es nicht zu sehen.

Der Wagenverleih war auch nicht besser. Anstelle eines herzlichen, irischen Willkommens, fand sie sich einem jungen Mann mit versteinerter Miene gegenüber, der ihren Buchungsbeleg schweigend entgegennahm und ihr ebenso schweigsam die Schlüssel für den Leihwagen aushändigte.

Keira nahm die Schlüssel und fand den Wagen auf dem Parkplatz. Er war unglaublich klein. Sie stieg rechts ein und erinnerte sich an Heathers Mahnung, links zu fahren. Es dauerte einen Weile, bis sie sich mit dem Schaltknüppel und der Kupplung vertraut gemacht hatte, dann fuhr sie los. Das Navi dirigierte sie aus Shannon hinaus. Sie würde etwa eine Stunde bis Lisdoonvarna brauchen.

Sie hatte knapp die Hauptstraße verlassen, als ihr bewusst wurde, dass sie schmale, gewundene Straßen ohne Bürgersteig entlang fuhr. Es gab keine Straßenschilder und keine Ampeln. Keira umklammerte aufgeregt das Lenkrad und richtete ihre volle Konzentration auf den Weg vor ihr, er immer schmaler zu werden schien.

Nach etwa einer Viertelstunde fing sie an, sich zu entspannen. Der Verkehr war gering, was sie beruhigte, denn so lief sie weniger Gefahr, mit jemandem zusammenzustoßen. Die Umgebung war auch sehr entspannend. Man sah nichts außer Hügel und Felder mit Schafen. Das Gras war grüner als es Keira je gesehen hatte. Sie kurbelte das Fenster herunter und wollte die frische Luft einatmen. Statt dessen erwischte sie einen Schwall Mistgeruch. Sie kurbelte das Fenster schnell wieder hoch.

Da es fast keine Straßenschilder gab, war sie sehr dankbar für das Navi. Aber es gab eben auch keine Ampeln und das machte das Fahren schwieriger, weil es viele enge, schlecht einsehbare Ecken gab. Die Straßenbemalung war längst verblichen. Das Fahren auf der linken Seite war auch irritierend. Das Ganze wurde noch erschwert von der großen Zahl an Traktoren, die sie überholen musste.

Die Straße wurde schließlich so schmal, dass gerade noch genug Platz für ein Auto war. Keira wäre beinahe in den Gegenverkehr geraten und musste in die Bremsen steigen. Das Auto geriet ins Schlingern und streifte eine Hecke. Keira hob entschuldigend die Hand, aber der andere Fahrer lächelte nur freundlich, als sei das völlig normal. Er legte den Rückwärtsgang ein und machte ihr Platz. Daheim in New York hätte diese Situation dazu geführt, dass man ihr laute Flüche an den Kopf geworden hätte. Sie bekam schon jetzt einen Eindruck von der berühmten irischen Gastfreundschaft.

Ihr Herz raste immer noch von dem Schock des Beinahe-Unfalls, aber Keira schob sich langsam an dem anderen Fahrzeug vorbei.

Sie fuhr nun noch vorsichtiger, hatte noch mehr Angst auf dieser engen Straße. Sie hoffte, der Lack war ohne Kratzer aus der Begegnung mit der Hecke hervorgegangen. Sie wusste nicht, wie man daheim reagieren würde, wenn sie mit einer teuren Rechnung der Leihfirma zurück kam.

Die Reste der Aufregung, die sie anfangs noch verspürt hatte, lösten sich in Luft auf. Adrenalin und Koffein reichten eben auch nicht ewig. Statt den Anblick der wunderschönen Natur zu genießen, erschien ihr nun alles grau und trübe. Die einzigen Lebewesen weit und breit waren Schafe. Hin und wieder stand ein verlassenes, altes Farmhaus in der Landschaft und war dem Verfall ausgesetzt. Oben in den Hügeln sah Keira auch die Ruinen einer Burg, umgeben von Bäumen. Sie fragte sich, wie man ein historisches, altes Gebäude so verfallen lassen konnte.

Sie fing an, sich geistige Notizen für die Arbeit zu machen, immer unter dem zynischen Blickwinkel, den Elliot gefordert hatte. Anstatt die Schönheit des Ausblicks zu sehen, konzentrierte sie sich auf die grauen Wolken. Der wundervolle Blick über die Küste wurde ignoriert zu Gunsten der schroffen Felsen in der Ferne. Auch wenn es eigentlich atemberaubend schön war, ging Keira davon aus, dass es nicht allzu schwierig sein dürfte, diese ganze irische Romantik zu enttarnen. Sie brauchte einfach nur zu wissen, wo man etwas genauer hingucken musste und aus welchem Blickwinkel.

Sie kam durch ein paar kleine, ummauerte Orte. Einer hieß Killinaboy and sie musste laut lachen. Sie schickte ein Foto vom Ortsschild an Zachary, der das hoffentlich zu schätzen wusste.

Sie war von dem lustigen Straßenschild so abgelenkt, dass sie beinahe das nächste Hindernis übersehen hätte: eine Schafherde! Sie stieg auf die Bremse und kam gerade noch rechtzeitig zum Stehen, würgte dabei aber das Auto ab. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Sie hätte beinahe eine ganze Schaffamilie niedergemäht!

Während sie ihr rasendes Herz wieder zur Ruhe kommen ließ, machte sie ein Foto von der Schafherde und schickte das ebenfalls an Zachary mit dem Kommentar: Der Verkehr hier ist ein Alptraum.

Natürlich erhielt sie keine Antwort. Frustriert über seinen kompletten Mangel an Interesse schickte sie dieselben Bilder auch an Nina und Bryn. Beide antworteten fast umgehend mit lachenden Emojis und Keira nickte zufrieden. Wenigstens gab es noch jemanden, der sich für ihre Erlebnisse interessierte.

Keira startete den Wagen wieder und fuhr langsam an der Herde vorbei. Die Tiere glotzen sie an, als wüssten sie, was beinahe passiert wäre. Keira hätte sich beinahe laut bei ihnen entschuldigt. Es wurde langsam dunkel, was das Fahren noch schwieriger machte. Es half auch nicht, dass die einzigen Gebäude, die sie sah, Kirchen waren, mit schlichten Statuen der betenden Jungfrau Maria.

Endlich erreichte Keira Lisdoonvarna und war positiv überrascht. Immerhin schienen hier Menschen zu wohnen. Es gab Straßen mit mehr als nur einem Haus, was es immerhin fast wie eine Stadt aussehen ließ. All die Gebäude, Häuser und Geschäfte waren so winzig und malerisch, ganz nah an der Straße und in allen Farben des Regenbogens gestrichen. Keira war erleichtert, endlich an einem Ort zu sein, der nicht nur aus vereinzelten Häusern und einsamen Straßen bestand.

Sie fuhr langsamer und folgte den Straßenschildern bis sie die Adresse fand, die sie suchte, das St. Paddy's Inn. Das B&B befand sich auf der Ecke zweier Straßen, ein dreistöckiges, dunkelrotes Backsteingebäude. Von außen sah es für Keira sehr irisch aus.

Sie parkte den Wagen, sprang heraus und holte ihre Tasche aus dem Kofferraum. Sie war erschöpft und wollte sich gern ausruhen.

Aber als sie näher kam, war schnell klar, dass an Ausruhen gar nicht zu denken war. Schon von Weitem hörte sie fröhliche Unterhaltung und lautes Debattieren. Außerdem hörte sie Musik. Geige, Klavier und Akkordeon.

Die Glocke über der Tür klingelte, als sie das Gebäude betrat, einen kleinen dunklen Pub mit alten karmesinroten Tapeten und vielen runden Holztischen. Der Pub war zum Bersten gefüllt, alle hatten ein Bier in der Hand. Sie schauten sie an, als sie eintrat und konnten offenbar sofort erkennen, dass sie hier nicht hingehörte, dass sie nicht nur eine Touristin, sondern darüber hinaus auch noch Amerikanerin war.

Keira fühlte sich von dem Kulturschock ein wenig überwältigt.

„Was darf's denn sein?“, sagte eine männliche Stimme mit starkem Akzent, den Keira kaum verstehen konnte. Sie schaute zur Bar, hinter der ein alter Mann stand. Er hatte ein faltiges Gesicht und ein Büschel grauer Haare mitten auf dem ansonsten kahlen Kopf.

„Ich bin Keira Swanson“, sagte sie und trat näher. „Vom Viatorum Magazin.“

„Ich verstehe kein Wort! Lauter!“

Keira versuchte, die laute Musik zu übertönen und wiederholte ihren Namen. „Ich habe hier ein Zimmer gebucht“, fügte sie hinzu, als der Mann sie nur ratlos anschaute. „Ich bin eine Journalistin aus Amerika.“

Schließlich schien der Mann doch zu verstehen, wer sie war und warum sie hier war.

„Ja, sicher!“, rief er und grinste breit. „Von der Zeitung mit dem schicken lateinischen Namen.“