Tasuta

Das Festival der Liebe

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Märgi loetuks
Das Festival der Liebe
Das Festival der Liebe
Tasuta audioraamat
Loeb Ina Leva
Lisateave
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KAPITEL ELF

Keira verbrachte den Rest des Abends auf einer rosa Wolke. Sich in Shanes Gesellschaft zu bewegen, gab ihr ein sorgloses und entspanntes Gefühl. Es war aufregend, mit jemandem zu flirten, das Kribbeln und das Begehren zu spüren, selbst wenn das gleichzeitig bedeutete, die Arbeit zu vernachlässigen.

Am nächsten Tag nahm Shane sie mit zu den jährlichen Irish Barbecue Meisterschaften, eine Veranstaltung, die sich für ihren Artikel als besonders fruchtbar erweisen sollte, denn hier gab es jede Menge Männer, die Frauen allein dadurch beeindrucken wollten, dass sie große Mengen Fleisch in sich hinein stopften.

Nach ein paar Stunden bei den Barbecue Meisterschaften war es schier unmöglich, die rosa Gesichter, die runden Bäuche und die verschmierten Mäuler der Männer von denen der Schweine zu unterscheiden, auf denen sie herumkauten. Falls eine der betrunkenen Frauen mit einem gegrillen Schinken im Arm nach Hause ging und dem ihre unsterbliche Liebe gestand, dann würde es mich nicht wundern.

Als Nina diese E-Mail erhielt, zusammen mit ein paar Fotos, die Keira von einer Gruppe rundlicher, betrunkener Typen gemacht hatte, die gegrillte Hühnerbeine in die Luft reckten, war sie begeistert.

Mehr davon! Aber jetzt will ich auch sehen, wie du mit einem von denen ausgehst. Zeit, sich die Hände schmutzig zu machen, Keira!

Die Vorstellung, mit einem von diesen Trotteln ausgehen zu müssen, war Keira zuwider. Daher wählte sie etwas Vergleichbares: das Lisdoonvarna Speed Dating. Sie hatte noch nie zuvor an so etwas teilgenommen. Allein der Gedanke daran ließ sie erschauern. Und das hier war ein Speed Dating in großem Stil. Fünfzig Teilnehmer. Sie musste zwei große Gläser Weißwein trinken, um überhaupt genug Mut aufzubringen, um mehr zu tun, als bloß zuzuschauen und sich Notizen zu machen. Aber nachdem sie sich erst einmal überwunden hatte, stellte sie fest, dass es keinen besseren und schnelleren Weg gab, um an brauchbares Material zu kommen. Nina hatte recht, sich die Hände schmutzig zu machen, war der richtige Ansatz.

Keira hatte drei Minuten Zeit, mit jedem Mann zu sprechen, bevor eine Glocke erklang, zum Zeichen, dass man tauschen musste. Am Ende hatte sie einen Standardspruch: Ich bin Reporterin, das ist ein Aufnahmegerät. Einverstanden?“

Was sie bekam, waren endlose Stunden mit Männern, die sich über ihre Karrieren, ihre Hoffnungen und ihre Träume ausließen.

Die Gesichter verschwimmen ineinander. Ich hätte schwören können, bereits mit Craig geredet zu haben, dem Klempner aus Dublin. Aber nein, Craig sitzt am anderen Ende des Saals und wiederholt wahrscheinlich gerade, wie gut er mit seinen Händen ist. Und die Frau ihm gegenüber ist wahrscheinlich ebenso wenig beeindruckt davon, wie ich es war. Was bedeutet, ich rede offenbar mit jemand anderem. „Tut mir leid, ich habe deinen Namen vergessen“, gebe ich zu. Es ist Carl. Er ist ebenfalls ein Klempner aus Dublin. Offenbar einer von einem Dutzend weiterer Klempner an diesem Abend…

Nina fand auch das großartig. Bryn hingegen hatte andere Ansichten. Du hättest es mit diesem Craig mal versuchen sollen, Schwesterherz. Ich wette, er ist wirklich gut mit den Händen.

Nachdem das Speed Dating vorbei war, hätte sie eigentlich tanzen sollen, während die Veranstalter das Ergebnis ermittelten, aber Keira wollte das nicht. Sie wollte nicht mit Craig oder Carl oder sonst einem Klempner tanzen, egal, ob aus Dublin oder sonst wo her. Denn eigentlich wollte sie nur mit einem einzigen Mann tanzen. Sie tat so, als wolle sie lieber gar nicht wissen, ob sie jemand ausgewählt hatte, denn in Wirklichkeit interessierte sie sowieso nur die Meinung dieses einen Mannes.

*

Keira schaute hinüber zu Orin hinter seinem Tresen und fragte sich, ob es sich wohl so anfühlte, einen Vater zu haben. Zwei Wochen ihrer Reise waren um und sie nahmen gemeinsam das Frühstück ein, Toast, Eier und Würstchen. Es war für sie beide zu einer Art Ritual geworden. Da die anderen Gäste alle nur kurz blieben, hatte Keiras ständige Anwesenheit zu einer Art Vater-Tochter-Beziehung geführt. Ihr eigener Vater hatte die Familie verlassen als sie noch sehr klein war, daher hatte sie nie erfahren, wie es sich anfühlte.

„Was hat Shane heute für euch beide geplant?“, fragte Orin und stellte seine Kaffeetasse ab.

Bei der Erwähnung seines Namens wurde Keira ganz warm ums Herz. Nichts war zwischen ihnen passiert. Jedenfalls nicht äußerlich. Ihre Gefühle hingegen vertieften sich immer mehr. Mit jeder Begegnung schien das Band zwischen ihnen enger zu werden. Keira freute sich jeden Tag darauf, ihn zu sehen und auf die gemeinsamen Ausflüge. Mit jedem Tag entfernte sie sich mehr von Zach und fühlte sich stärker zu Shane hingezogen.

Orin kicherte. „Es gibt da diesen Ort namens Dingle. Schöner Platz. Wird dir gefallen.“

Keira konnte sich nicht vorstellen, sich jemals an die lustigen Ortsnamen zu gewöhnen. Ihr Handy war voll mit Bildern von Straßen- und Ortsschildern, die sie an Nina oder Bryn schickte.

Wie auf Kommando vibrierte ihr Handy. Es war eine E-Mail von Joshua. Sie stöhnte innerlich. Sein Drängeln ging ihr tierisch auf die Nerven. Er hätte um diese Zeit nicht einmal wach sein sollen. In New York war es noch sehr früh. Es musste an den Schmerzmitteln liegen, dass er nicht richtig schlafen konnte.

Keira, du bist jetzt seit zwei Wochen in Irland und du hast mir fast nichts geschickt. Ein paar Abschnitte, einfache Sätze. Wo ist die Geschichte?!? Es ist mir schnuppe, wie gut Nina deine kleinen Schnipsel findet, solange du daraus nicht eine runde Sache machen kannst. Wenn ich dich rausschmeißen und es selber machen könnte, hätte ich die Geschichte in wenigen Tagen im Sack. Du nutzt die Lage aus, weil ich nichts machen kann und auf dich angewiesen bin. Aber vergiss nicht, dass es auch um zukünftige Aufträge geht. Wir sehen uns wieder im Besprechungsraum und dann werde ich alles daran setzen, dass deine Tage bei Viatorum gezählt sind.

Keira steckte schnell das Handy wieder ein. Sie hatte sich beinahe schon an seine Drohungen gewöhnt. In dieser Menge verloren sie allerdings irgendwie ihre Wirkung. Und schriftlich wirkte Joshua längst nicht so bedrohlich wie von Angesicht zu Angesicht. Auf diese Weise konnte sie sein Gerede viel leichter ignorieren. Aber auf Dauer ging das natürlich nicht. Das änderte schließlich nichts an der Tatsache, dass sie bisher wenig zustande gebracht hatte. Früher oder später würde er sie anrufen, um sie zusammenzufalten. Es konnte nicht mehr lange dauern.

„Ich sollte ein bisschen schreiben, bevor Shane kommt“, sagte sie zu Orin.

Das war auch eine Art Ritual geworden. Erst frühstücken und anschließend würde sie nach oben gehen und arbeiten, bevor sie mit Shane zu einer weiteren Tour durch Irland aufbrach. Was sie allerdings wirklich tat nach dem Frühstück, war, Löcher in die Luft zu starren, bis Shane sie abholte zu etwas, was eigentlich nichts anderes war als ein Date.

Orin nickte, liebenswürdig wie immer. Keira ging hinauf in ihr Zimmer.

Sie saß am Fenster und schaute hinunter auf die Straße, wo die Plakate der letzten Nacht noch im Winde flatterten. Der Laptop lag geschlossen auf dem Tisch vor ihr. Wenn man bedachte, dass sie gerade verlassen worden war und Gefahr lief, ihren Job zu verlieren, war sie unglaublich glücklich mit ihrem aktuellen Leben.

Keira öffnete das Dokument und schaute, was sie bisher zustande gebracht hatte. Geläster, ein paar Notizen, unbrauchbare Interviews, ein längerer Text über die Trennung von Zachary, aber sie erkannte sich kaum wieder in dem, was sie darüber geschrieben hatte. Jene Gefühle waren längst verflogen. Auch wenn es ihr schwer fiel, so musste sie doch zugeben, dass Joshua recht gehabt hatte, dass man die Trennung nicht verwenden konnte für den Artikel.

Dennoch verlangte er immer noch, dass es ein persönlicher Bericht werden sollte. Was letztendlich bedeutete, dass sie so tun musste, als hasste sie alles hier. Die Liebe war tot oder nur ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. So in etwa. Aber zu lügen war viel leichter gesagt als getan. Ihre Finger schwebten über der Tastatur, aber die Worte wollten einfach nicht kommen. Alles, woran sie denken konnte, war das Ehepaar, welches das Wagenrennen gewonnen hatte, der geschiedene Mann an der Bar, Shanes Eltern und ihre niemals endende Zuneigung. Romantische Liebe. Sie war umgeben davon. Und sie ließ sich davon anstecken.

Was sie wirklich brauchte, war jemand, der einsam war und den sie als Vorlage benutzen konnte. Plötzlich hatte Keira eine Eingebung. Sie eilte hinunter zu Orin. Er las gerade die Tageszeitung, das Frühstücksgeschirr stand noch auf dem Tresen.

„Das ging ja schnell“, witzelte er, als er aufblickte und Keira auf sich zu kommen sah. „Hast wohl nicht viel zustande gebracht, nehme ich an?“

Keira hockte sich auf den Stuhl ihm gegenüber. „Ich habe mich gefragt, ob du mir wohl deine Geschichte erzählst.“

Orin runzelte die Stirn und legte die Zeitung beiseite. „Meine Geschichte? Was für eine Geschichte?“

„Deine romantische Vergangenheit“, sagte Keira. „Du arbeitest hier allein. Keine Frau, richtig?“

„Es ist dir also aufgefallen“, spottete er.

„Also? Was ist deine Geschichte? Ich meine, jedes Jahr rennen die Besucher des Festivals dir die Bude ein. Aber du hast niemanden.“

Orins Gesicht fiel in sich zusammen. Offenbar hatte er wohl kein Glück in der Liebe gehabt.

Keira spürte ein Fünkchen Hoffnung, dass wenigstens einer in diesem Ort nicht glücklich verliebt war. Vielleicht konnte sie die Sache doch noch richtig hinbiegen. Wenn sie sich in Orin hinein versetzte, an dem die Liebe vorbei gegangen war, dann würde sie vielleicht den Ton finden, den Joshua für den Artikel verlangte. Sie konnte einfach eine Rolle spielen. Das würde ihr vielleicht auch weniger Schuldgefühle geben, wenn sie diesen Ort im Artikel zerriss.

 

„Ich habe nie geheiratet“, sagte Orin niedergeschlagen, „weil ich nie das richtige Mädchen gefunden habe.“

Keira unterdrückte ein Lächeln, aber insgeheim war sie erleichtert, endlich das richtige Material zu bekommen.

„Konnte William nie die passende Frau für dich finden?“, fragte sie.

Orin schüttelte den Kopf. „Er hat es wohl versucht. Aber ich bin eben wählerisch. Ich treffe ein nettes Mädchen, aber irgendetwas passt dann nicht, irgendeine lächerliche Kleinigkeit fängt an, mich zu stören. Ich beende es und gehe wieder zu William und sage etwas wie 'ja, das war schon nah dran, aber könntest du beim nächsten Mal eine auswählen, die nicht auf den Fingernägeln kaut?' Dann findet William eine, die nicht auf den Nägeln kaut und ich sage, 'ja, nah dran, aber wie wäre es mit einer, die nicht ihre Haare färbt?' Und so geht das immer weiter und auf einmal ist man sechzig und allein.“

Keira nickte und bemühte sich um ein möglichst neutrales Gesicht. Sie notierte sich Orins Geschichte in ihrem Notizbuch und überlegte, Wie sie die als zentrales Thema in den Artikel einbauen konnte.

„Die Hoffnung darauf 'Die Eine' fürs Leben zu finden, hat sich für dich also nie verwirklicht?“, hakte Keira nach. „Wann wurde dir klar, dass das nie passieren würde?“

Orin schaute sie irritiert an. „Gar nicht.“ Er wirkte ein wenig vor den Kopf gestoßen bei dieser Frage. „Ich glaube immer noch daran.“ Dann wurde er noch trauriger. „Meinst du, das ist albern?“

Keira war im Zwiespalt. Einerseits brauchte sie Inspiration von ihm, andererseits wollte sie ihn trösten. Sie seufzte und legte das Notizbuch beiseite. „Das ist nicht albern, nein.“

„Du denkst nicht, dass es eben nicht die große Liebe für jeden geben kann?“ Orins Gesicht war voller Hoffnung. „Dass eben nicht jeder glücklich sein kann?“

Keira schüttelte den Kopf und schaute ihn mitfühlend an. „Ich glaube, dass William ein Wunder vollbringen kann, wenn du ihm eine Chance gibst.“ Sie hatte es so dahin gesagt, aber dann wurde ihr bewusst, dass sie es wirklich glaubte. Die Erfolge des Matchmakers waren überall sichtbar. Er verdiente seinen Lebensunterhalt damit. Was noch wichtiger war, er hatte Hunderte von Menschen glücklich und zufrieden gemacht. „Ich glaube, dass es für jeden den passenden Menschen gibt“, fügte sie hinzu. „Vielleicht muss man einfach nur auf den richtigen Moment warten, um diesem Menschen zu begegnen.“

Die Tür ging auf und Shane trat ein. Dass er ausgerechnet in diesem Moment hereinkommen würde, fand Keira bedeutungsvoll. War es reiner Zufall? Oder vielleicht Schicksal?

Er trug ein weißes T-Shirt mit einem Cartoonbären und Jeans. Schlicht, aber hinreißend. Keira geriet innerlich ins Schwärmen. Sie hatte sich angewöhnt, mehr Schminke aufzutragen, damit man nicht sehen konnte, wie sie ständig errötete, sobald er in der Nähe war.

„Bereit?“, fragte Shane, kam herüber und stibitzte ein Stück Toast von ihrem Teller.

Keira nickte.

„Keira hat gerade versucht, mich aufzumuntern“, erklärte Orin.

„Ach?“, fragte Shane. „Wieso brauchst du Aufmunterung?“

„Weil ich ein einsamer alter Trottel bin.“

Keira fühlte sich schuldig. Sie hätte Orin nie so benutzen dürfen, ihm nie ein schlechtes Gefühl geben dürfen, nur weil er bisher Pech in der Liebe gehabt hatte. Und das alles nur für ihre Zwecke. Dieser Artikel verspritzte Gift. Der ganze Auftrag tat das. Sie kam sich mehr und mehr wie eine Heuchlerin vor.

Sie stand auf und küsste Orin mitten auf die Stirn. Er schaute sie amüsiert an.

„Wofür war das?“, fragte er und errötete.

„Du bist kein alter Trottel“, sagte sie. „Du bist ein wunderbare, liebenswerter Mann. Und irgendwo da draußen gibt es die passende Partnerin für dich. Du musst nur Herz und Augen offen halten. Dann findest du sie sicher.“

Orin lächelte. Dann hakte Keira sich bei Shane unter und verließ gemeinsam mit ihm den Pub.

*

„Du machst doch Witze“, sagte Keira und lachte. Sie stand neben einem braunen Pferd und Shane hatte ihr gerade eröffnet, dass sie damit durch die Landschaft rund um Dingle reiten würde.

„Wieso nicht?“, fragte Shane. Hast du noch nie auf einem Pferd gesessen? Ich dachte, Amerika wäre das Land der Cowboys. Cowgirl in deinem Fall.“

Keira warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Ich komme nicht aus dem mittleren Westen. Ich bin aus New York. Wir sind da durchaus kultiviert, nur damit du es weißt.“

Shane verschränkte die Arme vor der Brust. „Also, wenn du unbedingt ein Weichei sein willst….“

„Ich bin kein Feigling“, protestierte Keira. Sie schnappte sofort nach dem Köder. „Ich kann ebenso gut reiten wie jeder andere. Wahrscheinlich.“

Shane grinste. „Dann lass mich dir in den Sattel helfen.“

Keira atmete aus und schüttelte den Kopf. Wie hatte sie nur in eine solche Situation geraten können? Shane kniete sich vor sie und faltete seine Hände zu einer Steighilfe. Keira stieg hinein und legte ihre Hände auf den Rücken des Pferdes.

„Bereit?“, fragte er. „Auf drei. Eins, zwei, drei.“

Keira hob ab, warf ein Bein über den Pferderücken und drehte sich, bis sie im Sattel saß. Sie jubelte vor Begeisterung.

„Ich habe es geschafft!“, rief sie.

„Sehr gut“, antwortete Shane. Er ging hinüber zu seinem eigenen Pferd, einem Apfelschimmel, und stieg auf.

„Du bist ein Naturtalent“, sagte Keira.

„Natürlich bin ich das“, antwortete Shane. „Ich bin auf einer Farm aufgewachsen. Ich bin mein Leben lang geritten.“

Keira lächelte. Ein weiteres Talent auf der langen Liste von Shanes Fertigkeiten. Sie fand seine Gesellschaft so erfrischend, weil sie beide so unterschiedliche Leben geführt hatten. Seines war voller Abenteuer, inmitten der Natur. Ihres bestand aus vollgestopften Straßen und Hochhäusern. Sie hätte zwar nicht tauschen wollen, denn sie könnte hier niemals dauerhaft überleben, aber sie war froh, dass es diese unterschiedlichen Erfahrungen gab. Das machte es spannender und unterhaltsamer.

„Schön, dann folge mir nach“, sagte Shane.

Er trieb sein Pferd an und es fiel in einen langsamen Trott. Keira folgte ihm.

Die Tiere folgten langsam einem Pfad über die Felder, der von Generationen von Hufen ausgetreten worden war. Die Bäume um sie herum beschatteten ihren Weg.

„Es ist sehr schön hier“, sagte Keira und brach damit das lange Schweigen.

„Friedlich, nicht wahr? Es gibt nichts Besseres als einen Ausritt ins Gelände, um einen klaren Kopf zu bekommen.“

„Du brauchtest einen klaren Kopf?“ Da war ein Hauch von Traurigkeit in seiner Stimme gewesen. Sie fragte sich, ob er wieder Heimweh hatte. Oder ob er an Deidre und John dachte.

„Ich dachte eher, du“, sagte Shane lachend.

Keira runzelte verwundert die Stirn. „Was bringt dich auf den Gedanken, ich müsste einen klaren Kopf bekommen?“

Shane bellte vor Lachen. „Du machst Witze, oder? Du bist dem Kopf doch die ganze Zeit woanders. Irland hat dich voll erwischt.“

Keira errötete. Nicht nur Irland.

„Ich meine, was ist denn aus der gestressten New Yorkerin geworden, die hier vor zwei Wochen ankam? Du sollst einen Artikel schreiben, aber du benimmst dich, als würdest du Urlaub machen. Nein, nicht ganz. Du benimmst dich wie diese Hippies, die den ganzen Tag nur meditieren und keinen Job brauchen, weil sie alles in ihrem eigenen Garten anbauen, was sie zum Leben brauchen.“

Keira machte ein tadelndes Geräusch. „Wohl kaum.“

„Du glaubst mir nicht?“, spottete Shane. „Wenn du das nächste Mal vor einem Spiegel stehst, schau hinein. Du wirst dich nicht wiedererkennen.“

Keira sagte nichts. Shane war näher an der Wahrheit, als er wahrscheinlich ahnte.

Sie gelangten an einen kleinen Fluss und die Pferde latschten hindurch, dass das Wasser nur so spritzte. Keiras Schuhe wurden nass. Es waren teure Lederschuhe, aber zu ihrem eigenen Erstaunen machte es ihr gar nichts aus. Aufgeweichte Schuhe waren ein geringer Preis für diese magischen Momente. Und selbst wenn das Leder für immer ruiniert war, so würde es sie doch immer an diesen Augenblick erinnern.

„Also, wann wirst du endlich den Mut aufbringen und William bitten, dich zu verkuppeln?“, fragte Shane.

Sie zog eine Augenbraue hoch. „Du meinst, er sollte das tun?“

Seine Frage hatte sie irritiert. Sie dachte, sie würden einander näher kommen. Hatte sie sich das eingebildet, weil sie es unbedingt so sehen wollte?

„Als Inspiration für deinen Artikel“, erklärte Shane. „Ist das nicht der Grund, warum du hier bist? Um zu sehen, ob es funktioniert?“

„Oh“, machte Keira, bemüht, ihre Erleichterung nicht zu zeigen.

Sie überdachte Shanes Vorschlag. Das war vielleicht keine schlechte Idee. Wenn William sie mit jemandem verkuppelte, würde das auf jeden Fall eine Katastrophe, weil sie ja nur Shane wollte. Ein schlechtes Date würde ihr vielleicht genug Material für den Artikel liefern. Andererseits war der Gedanke, mit jemand anderem auszugehen aber wenig erquicklich. Es war, als würde sie Shane hintergehen, auch wenn sie ja eigentlich kein Paar waren.

„Warum machst du das nicht zuerst?“, schlug sie vor. Sie wollte ihn von sich und ihren verwirrenden Gefühlen ablenken. „Geh du zu einer Verabredung, die der Matchmaker eingefädelt hat und ich mache mir dazu Notizen.“

Shane lachte einfach nur. „Das wäre komisch. Und außerdem ist mir nicht danach, jemanden zu treffen.“

„Nicht?“, fragte Keira. Ihr sank das Herz in die Hose. „Nicht auf der Suche nach einer neuen Tessa?“

„Wer?“

Keiras Unbehagen wuchs. Sie erinnerte sich daran, dass Bryn sie gewarnt hatte, Shane sei ein Spieler. Sie hatte die Warnung sofort in den Wind geschlagen und sich ihm trotzdem angenähert. Aber genau das war er. Er konnte sich nicht einmal an den Namen seiner Eroberungen erinnern!

„Vergiss es“, sagte sie.

Sie ritten schweigend weiter.

„Oh, Mist“, sagte Shane plötzlich.

„Was ist?“

Shane deutete nach oben. Keira blickte in den Himmel hinauf. Er war grau und Wolken zogen schnell in ihre Richtung.

„Es wird Regen geben“, sagte Shane. „Wollen wir lieber umkehren? Wir müssten allerdings galoppieren.“

„Ich kann nicht galoppieren!“, rief Keira. „Bist du irre?“

„Entweder das oder wir werden nass“, antwortete er.

Keira seufzte. „Dann werden wir wohl nass.“

Sie drehten um und ritten langsam zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Bald darauf öffnete sich der Himmel und es schüttete wie aus Eimern.

„Wie denkst du jetzt übers Galoppieren?“, rief Shane über den Lärm des Regens in den Bäumen.

Keira warf ihm einen finsteren Blick zu. Sie fing an zu frieren, war bereits nass bis auf die Knochen. Die Pferde schüttelten ihre Mähnen und bedachten Keira mit einer weiteren Dusche. Von den Hufen spritzte dicker Matsch auf ihre Kleidung.

Als sie den kleinen Bach erreichten, stellten sie fest, dass er nun zu einem Fluss angeschwollen war, mindestens einen Fuß tief, was vorher nicht mehr als ein paar Inches gewesen waren. Das Wasser floss sehr schnell.

„Die Pferde werden da nicht hinüber wollen“, rief Shane.

„Was meinst du?“, schrie Keira zurück.

„Das Wasser fließt zu schnell. Sie werden ausbrechen.“

„Und was sollen wir statt dessen tun?“, rief Keira laut, um den Lärm des Regens zu übertönen.

„Wir müssen einfach abwarten, bis es vorbei ist.“

 

Keira war wenig beeindruckt. Ihre Stimmung verschlechterte sich noch mehr, als sie sah, wohin Shane steuerte: eine verfallene und verlassene Scheune, die langsam verrottete. Das Dach war an einigen Stellen bereits eingefallen, so dass es an vielen Stellen hinein regnete. Nur in der Mitte wären sie einigermaßen geschützt. Von Wärme konnte allerdings nicht die Rede sein.

Shane half Keira aus dem Sattel. Sie landete in einer Schlammpfütze. Dann band er die Pferde an.

„Ist das nicht ein bisschen grausam?“, fragte Keira. „Die Pferde da draußen im Regen zu lassen?“

„Sie können ja wohl kaum hier bei uns Platz finden“, antwortete Shane und deutete auf den kleinen Fleck, wo das Dach dicht war. Mehr als einen Fuß breit war die Stelle nicht. Da würden die Pferde auch nur halb im Trocknen stehen.

„Denen macht das nichts aus. Wir sollten uns eher Sorgen um uns selber machen“, sagte Shane.

Er bedeutete ihr, hineinzugehen. Keira zitterte, als sie über Äste, Stroh und Geröll kletterte. Vernünftig war das nicht, das Gebäude konnte jeden Moment einstürzen, wenn der Wind noch zunahm.

Sie stand auf dem trockenen Fleckchen, hatte die Arme um den Oberkörper geschlungen und war endlich aus dem Regen raus, der um sie herum nieder prasselte. Ihr wurde unangenehm bewusst, dass sie bis auf die Unterwäsche nass war.

„So kriege ich meinen Artikel nie fertig“, maulte sie.

Immerhin hatte sie mal wieder schlechte Laune, genau das, was sie brauchte, um für Joshuas Artikel in die passende Stimmung zu kommen. Wenn sie daran festhielt, bis sie wieder zu Hause war, würde sie vielleicht etwas zustande bringen. Eine Seite voll Gejammer würde ihn sicher milde stimmen.

Allerdings hielt Keiras schlechte Laune nur sehr kurz. Denn Shane schaute sie mit einem Funkeln in den Augen an.

„Was?“, fragte sie. „Warum siehst du mich so an?“

„Ich dachte bloß, dass dies genau der Moment in den romantischen Filmen ist, wo der Held die Heldin zum ersten Mal küsst. Der Regen. Die zitternde Maid.“

Keira fühlte sich überrumpelt von seinen Worten, von der Glut in seinen Augen.

„Aber das hier ist kein Film“, sagte sie. „Das ist das echte Leben.“

Shane kam einen Schritt näher. „Aber du weißt ja, was man sagt.“ Sein Stimme war deutlich tiefer als sonst.

Keira schluckte. Shane war ihr so nahe, dass sie die Regentropfen sah, die über sein Gesicht rannen. Sie spürte die Wärme, die er ausstrahlte. Sie schaute in seine Augen.

„Was sagt man denn?“, fragte sie. Ihre eigene Stimme klang rau.

Shane machte den letzten Schritt auf sie zu. Er war nun direkt vor ihr, ihre Körper berührten sich. Er hob ihr Kinn sanft mit einer Hand an.

„Man sagt, dass das Leben die Kunst imitiert.“

Er senkte seinen Kopf und drückte seine Lippen auf ihre. Keiras ganzer Körper stand plötzlich in Flammen. Sie zitterte nicht länger vor Kälte. Nun zitterte sie voller Leidenschaft und Begehren. Sie hatte so etwas noch nie empfunden.

Wie sollte sie da ihre schlechte Stimmung bewahren? Keira fühlte sich beschwingt und heiter. Glücklicher als je zuvor.