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Tagebuch des Verführers

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Alles ist noch im status quo; aber ich kann mir kaum einen glücklicheren Bräutigam denken als mich, oder einen Geizigen, der ein Goldstück gefunden hat, geiziger als ich. Der Gedanke, dass sie in meiner Macht ist, berauscht mich. Eine Weiblichkeit, rein, unschuldig, durchsichtig wie das Meer, und zugleich wie das Meer tiefsinnig, ohne eine Ahnung von Liebe! Sie soll es nun lernen, welche Macht die Liebe ist. Wie eine Königstochter, die aus niederer Hütte auf den Thron ihrer Väter geführt wird, so soll sie nun ihr Königreich betreten, das ihre wahre Heimat ist. Durch mich soll es geschehen, denn lernt sie, was lieben heisst, so lernt sie mich lieben. Indem sie die volle Bedeutung der Liebe kennen lernt, wendet sie dieselbe an, um mich zu lieben, und wenn sie zu ahnen beginnt, dass sie es von mir gelernt hat, dann liebt sie mich doppelt. Der Gedanke an meine Freude ist derart überwältigend für mich, dass ich fast besinnungslos werde. Ihre Seele ist nicht verflüchtigt oder durch die unbestimmten Bewegungen der Liebe schlaff geworden. Viele Mädchen, die zum Lieben kommen, haben in ihrer Seele ein unbestimmtes Nebelbild, das ihr Ideal sein soll, womit sie den Gegenstand der Liebe prüfen. Aus solchen Halbheiten geht ein Etwas hervor, das einem christlich durch die Welt helfen kann, aber nicht mehr.

Wenn dagegen die Liebe in ihrer Seele erwacht, so durchschaue ich sie, und horche aus ihr all die Stimmen der Liebe heraus. Ich untersuche, wie sie sich bei ihr gestaltet hat, und mache mich ihr selbst ähnlich. Und wie ich unmittelbar in die Geschichte aufgenommen bin, die die Liebe in ihrem Herzen abspielt, so komme ich auch wieder von aussen ihr entgegen, so betrügend als möglich. Ein junges Mädchen liebt doch nur einmal.

Nun bin ich in Cordelias rechtmässigem Besitz, der Tante Segen habe ich und der Freunde und Verwandten Gratulation. Des Krieges Mühe hat ihr Ende erreicht, die Segnungen des Friedens sind im Anzug. Welcher Unsinn! Als ob Segen der Tante und Gratulation der Freunde mir Cordelias wirklichen Besitz geben könnten. Als ob die Liebe je einen Gegensatz zwischen Kriegs- und Friedenszeit hätte, als ob sie sich nicht, so lang sie dauert, im Streit äussert, wenngleich mit verschiedenen Waffen. Der Unterschied ist nur der, ob in naher oder weiter Entfernung gestritten wird, ob »cominus« oder »eminus« gestritten wird. Je mehr in einem Liebesverhältnis »eminus« gestritten wurde, desto trauriger, denn desto unbedeutender wird das Handgemenge. Zum Handgemeng gehört der Händedruck, die Berührung mit der Fusspitze – etwas was Ovid, wie bekannt, ebenso empfiehlt als auch mit tiefer Eifersucht eifrig bekämpft – um nicht vom Kuss und der Umarmung zu sprechen. Wer »eminus« kämpft, hat gewöhnlich nur ein Auge, auf das er sich verlassen kann, und trotzdem wird er, wenn er Künstler ist, diese Waffe mit einer Geschicklichkeit anwenden, dass er beinah dasselbe erreicht. Er soll sein Auge auf einem Mädchen mit einer desultorischen Zärtlichkeit ruhen lassen, die so wirkt, als ob er sie durch Zufall berührt. Er muss im Stande sein, sie so mit seinen Augen fest zu greifen, als schliesse er sie in seine Arme. Trotzdem ist es immer ein Fehler oder ein Unglück, wenn man zu lang »eminus« kämpft, denn ein solcher Kampf ist nur ein Symbol und noch kein eigentlicher Genuss. Wenn man »cominus« kämpft, dann erst bekommt alles seine wirkliche Bedeutung. Ist im Lieben kein Kampf mehr, so hat die Liebe aufgehört. Ich habe so nie als »eminus« gekämpft, und bin deshalb nicht beim Schluss, sondern am Anfang. Jetzt erst rücke ich mit den Waffen heraus. Ja, ich bin in Cordelias Besitz, das ist wahr, ich bin es in juridischer und spiessbürgerlicher Bedeutung des Wortes; aber daraus schliesse ich absolut noch nichts, ich habe höhere Vorstellungen. Sie ist mit mir verlobt, das ist wahr, aber dürfte ich deshalb sicher voraussetzen, dass sie mich liebt, so wäre das ein Selbstbetrug, denn sie liebt mich gar nicht. Sie ist mein nach dem Gesetz, und doch ist sie nicht mein, so wie ich kein Mädchen mein nennen kann, wenn ich sie nicht gesetzlich besitze.

 
Auf heimlich errötender Wange
Leuchtet des Herzens Glühn.
 

Sie sitzt auf dem Sofa am Theetisch, ich neben ihr auf einem Stuhl. Diese Stellung zeigt Vertrauen und doch wieder eine Vornehmheit, die fern hält. Es hängt ausserordentlich viel von der Stellung ab, das heisst für einen, der ein Auge dafür hat. Die Liebe hat verschiedene Positionen, diese ist die erste. Wie dieses Mädchen von der Natur königlich ausgestattet wurde, ihre reinen weichen Formen, ihre tiefe jungfräuliche Unschuld, ihr helles Auge, – das alles berauscht mich. Ich hatte sie begrüsst. Wie immer kam sie mir froh entgegen, etwas verlegen, vielleicht etwas unsicher. Unser Verhältnis ist seit der Verlobung doch etwas verändert, aber wie, das ist ihr nicht bewusst. Sie fasste meine Hand, aber nicht wie sonst lächelnd. Ich gab diesen Gruss mit einem leichten kaum merklichen Handdruck zurück und war mild und freundlich, ohne erotisch zu sein. – Sie sitzt auf dem Sofa am Theetisch. Alles ist so still und feierlich, wie wenn die Erde im Morgenrot glüht. Es kommt ihr kein Wort über die Lippen, ihr Herz allein ist bewegt. Mein Auge weilt auf ihr, aber nicht in sündiger Lust, wahrhaftig, das wäre zu niederträchtig. Wie über das Feld die Wolke, so zieht eine feine Röte über ihr Gesicht. Was das bedeutet? Ist es die Liebe, Sehnsucht, Hoffnung, Furcht? Denn Rot ist die Herzfarbe. Nein. Sie erstaunt, sie verwundert sich – aber über mich nicht, nicht über sich selbst, sie erstaunt in sich selbst, denn in sich selbst wird sie umgewandelt. Solch ein Augenblick verlangt Stille, keine Reflexion soll ihn stören, kein Leidenschaftsturm darf ihn unterbrechen. Es sieht aus, als wäre ich nicht anwesend, und gerade meine Anwesenheit ist die Bedingung ihrer kontemplativen Verwunderung. Mein Wesen ist mit ihr in Harmonie. Zu solchen Stunden betet man ein Mädchen, wie manche Gottheiten, schweigend an.

Glücklich bin ich, dass ich das Haus meines Onkels habe. Wenn ich einem Mädchen Widerwillen gegen das Tabakrauchen beibringen möchte, so brauchte ich sie nur in irgend einen Rauchsalon einzuführen. Wenn ich aber einem Mädchen die Freude an der Verlobung nehmen will, so brauche ich sie nur bei meinem Onkel einzuführen. Sein Haus ist der Versammlungsort aller Verlobten. Eine grässliche Gesellschaft, in die man da hineinkommt, und ich kann es Cordelia nicht übel nehmen, dass sie dabei ungeduldig wird. Sind wir dort en masse beieinander, so glaube ich, wir sind zehn Paare, ausser den annektierten Bataillonen, die zu den grossen Festlichkeiten in die Hauptstadt kommen. Wir Verlobten können so recht aus vollem Becher die Freude des Verlobtseins gemessen. Den ganzen Abend hört man nur einen Laut, wie wenn einer mit der Fliegenklatsche umhergeht – das sind die Küsse der Liebenden! Denn man ist in diesem Haus von einer geradezu liebenswürdigen Ungeniertheit; man sucht nicht einmal versteckte Plätze auf, alle sitzen tun einen grossen runden Tisch. Auch ich thue so, als wolle ich Cordelia ebenso behandeln. Dabei muss ich mich aber sehr beherrschen. Und wirklich, es wäre empörend, würde ich in dieser Weise ihre reine Jungfräulichkeit so verletzen. Ich würde mir dabei stärkere Vorwürfe machen, als wenn ich sie hingeben würde. Überhaupt, jedem Mädchen, dass sich mir anvertraut, kann ich eine vollkommen ästhetische Behandlungsweise zusichern: die Geschichte endet nur immer damit, dass sie betrogen ist; aber in meiner Ästhetik steht als Satz fest: entweder ist der Mann vom Mädchen betrogen, oder das Mädchen vom Mann. Es wäre durch Statistik aus Geschichten, Märchen, Sagen, Volksliedern und Mythologien interessant, zu konstatieren, ob öfter das Mädchen oder der Mann treulos ist.

Die Zeit, die ich um Cordelia verschwende, ärgert mich nicht, obgleich jedes Begegnen langwierige Vorbereitungen verlangt. Ich erlebe mit ihr das Werden einer Liebe. Ich selbst bin beinahe unsichtbar dabei, trotzdem ich sichtbar an ihrer Seite sitze. So wie ein Tanz, der von Zweien getanzt werden muss, nur von einer getanzt wird, so ist mein Verhältnis zu ihr. Ich bin nämlich der zweite Tänzer, trotz meiner Unsichtbarkeit. Sie bewegt sich wie in Träumen und doch tanzt sie mit einem andern, und dieser andere bin ich, der, wenn er sichtbar anwesend ist, unsichtbar ist, und wenn unsichtbar anwesend, sichtbar wird. Die Bewegung verlangt einen Partner, sie biegt sich zu ihm, sie reicht ihm die Hand, sie flieht, sie nähert sich ihm, ich nehme ihre Hand, ich vervollständige ihren Gedanken, der schon in sich vervollständigt ist. Sie bewegt sich in der Melodie ihrer Seele. Ich bin nur die Ursache dazu, dass sie sich bewegt. Ich bin nicht erotisch, das würde sie nur wecken, ich bin biegsam, geschmeidig, unpersönlich beinah wie eine Stimmung.

Über welches Thema sprechen die Verlobten? Soviel mir bekannt ist, versuchen sie sich gegenseitig mit ihren ehrenwerten Familien bekannt zu machen. Kein Wunder, dass dabei alles Erotische aufhört. Man muss verstehen, die Liebe zu etwas Absolutem zu machen, vor welchem alles andere auf die Seite tritt, sonst sollte man niemals versuchen zu lieben, auch wenn man zehnmal heiraten will. Ob meine Tante Marianne heisst, mein Onkel Christoph, mein Täter Major ist, das geht doch die Mysterien der Liebe nichts an? Sogar das eigene vergangene Leben bedeutet nichts. Hat ein junges Mädchen überhaupt etwas zu erzählen? Und weiss sie etwas, vielleicht lohnt es sich, ihr zuzuhören, aber gewöhnlich lohnt es sich nicht, sie dabei zu lieben. Ich wenigstens verlange keine Geschichten, das Unmittelbare ist mir genügend. Das Ewige in der Liebe ist, dass die Individuen erst im Liebesaugenblick für einander auf die Welt gekommen sind.

Ich muss ihr etwas Vertrauen einflössen, oder besser einige Zweifel von ihr entfernen. Zu der Zahl der Liebenden, die einander aus Achtung lieben, die einander aus Achtung heiraten oder aus Achtung gar Kinder zeugen, dazu gehöre ich gerade nicht, und doch, ich weiss gut, die Liebe fordert, so lange die Leidenschaft noch schlummert, dass das Ästhetische und Moralische miteinander in Konflikt kommen. Dort hat die Liebe ihre selbständige Dialektik. Meine Beziehung zu Eduard kann weniger vor der Moral bestehen, als meine Beziehung zur Tante, und doch ist es leichter, das erstere vor Cordelia zu verteidigen als das letztere. Und ich habe, trotzdem sie keine Äusserung darüber that, es für passender gehalten, ihr zu sagen, dass ich nicht anders handeln konnte. Die Vorsicht, die ich dabei angewendet, schmeichelt ihrer Eigenliebe, die geheimnisvolle Art, womit ich alles lenkte, weckt ihre Aufmerksamkeit. Es könnte wohl dabei aussehen, dass ich dadurch schon zu viel erotische Erfahrung verrate, und mir selbst widerspreche, wenn ich später einmal die Bemerkung entschlüpfen lassen muss, ich hätte noch nie geliebt. Doch das macht nichts. Davor ist mir nicht bang, wenn sie es nur nicht bemerkt und ich das erreiche, was ich haben will. Mögen Gelehrte eine Ehre darein setzen, dass sie sich niemals im geringsten widersprechen, das Leben eines jungen Mädchens ist so reich und ist deshalb auch voll Widersprüche und fordert die Widersprüche heraus.

 

Stolz ist sie und hat von dem Erotischen eigentlich keinen richtigen Begriff. Beugt sie sich auch in gewissem Masse vor meinem Geist, so ist es doch nicht ausgeschlossen, dass sie ihren Stolz gegen mich herauskehrt, wenn das Erotische seine Rechte verlangen will. Im Grund ist sie ahnungslos über die eigentliche Bedeutung eines Weibes. Darum war es auch leicht, sie gegen Eduard gereizt zu machen. Dieser Stolz aber war ganz excentrisch, sie weiss ja gar nicht, was Liebe ist. Kommt diese Erkenntnis einmal über sie, dann wird sie in des Wortes bester Bedeutung stolz werden. Aber von jenem Excentrischen könnte leicht wieder ein Rest dazu kommen. Dann wäre es möglich, dass es sich gegen mich wenden könnte. Wenn sie auch nicht bereuen wird, dass sie in die Verlobung eingewilligt hat, so wird sie doch mit Leichtigkeit einsehen, dass ich einen guten Kauf gemacht habe. Sie wird einsehen, dass von ihrer Seite der Anfang nicht richtig gemacht wurde. Wenn ihr das klar wird, wird sie wagen, mir die Spitze zu bieten. So muss es werden. Dabei werde ich mich überzeugen können, wie tief sie von mir berührt wurde.

Sehr richtig. Lange schon sehe ich unten in der Strasse diesen reizenden kleinen Krauskopf, der sich so weit, als er nur kann, aus dem Fenster streckt. Der dritte Tag ist es jetzt, dass ich ihn beobachte. . . . Junge Mädchen stehen sicher nicht ohne Grund immer wieder am Fenster, vermutlich hat sie ganz besondere Gründe. . . . Aber um Gotteswillen, ich flehe Sie an, lehnen Sie sich doch nicht so schrecklich weit aus dem Fenster; ich wette zehn gegen eins, Sie stehen dabei auf einem Stuhl, man sieht es ja. Bedenken Sie, wie entsetzlich, wenn Sie nicht mir, sondern ihm, ihm auf den Kopf fallen. . . . Nein, wie? Seh' ich recht! Da naht sich ja mein Freund, der Lizentiat Hansen. Es liegt etwas Aussergewöhnliches in seinem Auftreten. Er braucht ein aussergewöhnliches Beförderungsmittel, sehe ich recht, er kommt auf den Flügeln der Sehnsucht. Verkehrt er im Hause? Ohne mein Wissen? . . . .

Schönes Fräulein, verschwinden Sie? Ach! Sie möchten ihm sicher die Thür öffnen. . . . Kommen Sie wieder, er wird nicht hineingehen. . . . Oder, wissen Sie es besser? Doch ich muss Ihnen die Versicherung geben, . . . . er sagt es mir ja eben ins Gesicht, dass er nicht in Ihr Haus wollte. Hätte der vorüberfahrende Wagen nicht so grässlichen Lärm gemacht, so hätten Sie es selbst hören können. Ich fragte ihn so en passant: Du willst hier hinein? Er antwortete mir klar und vernehmlich: Nein. . . . Nun können Sie uns »Lebewohl« sagen, denn der Herr Lizentiat geht jetzt mit mir spazieren. Er ist verlegen geworden, verlegene Menschen reden gern. Ich will mit ihm über das Pfarramt sprechen, um das er sich beworben hat… Leben Sie wohl, mein schönstes Fräulein. Jetzt müssen wir zu dem Zoll gehen. Wenn wir dann zurückkommen, sage ich zu ihm: aber es ist doch verteufelt, wie Du mich mitziehst, ich wollte in die Westergade. – – –

Nun, sehen Sie, da sind wir wieder. . . . Ach wie treu von Ihnen! Sie stehen immer noch am Fenster. Jeder Mann muss mit einem solchen Mädchen glücklich werden. . . . Aber weshalb richte ich alle diese Geschichten an? Bin ich ein niederträchtiger Mensch, der sich freut, andere zum besten zu haben? Durchaus nicht. Aus Sorge für Sie thue ich es, mein liebenswürdiges Fräulein. Erstens: Sie warteten auf den Lizentiaten, sehnten sich nach ihm, und nun wird es doppelt schön sein, wenn er kommt Zweitens: Tritt der Lizentitat nun zur Thür herein, so sagt er: »Da bin ich endlich, Gott weiss es, beinahe wären wir verraten worden, der verdammte Mensch stand unter der Thür, als ich Dich besuchen wollte! Ich aber war klug, ich fing eine lange Unterhaltung mit ihm an, und sprach gemütlich über das Amt, um das ich mich beworben habe. Ich bekam ihn bis zum Zoll mit mir. Gemerkt hat er nichts.« Also nun. Sie müssen so den Lizentiaten wegen seiner Klugheit noch mehr als vorher lieben. Gewusst haben Sie es immer, dass er ein grosser Gelehrter war, aber dass er so klug war . . . . ja, nicht wahr, jetzt erkennen Sie es erst. Wenn Ihre Verlobung erklärt wäre, müsste ich es wissen. Schön und lieblich ist das Mädchen anzusehen, aber sie ist noch jung. Vielleicht ist ihr Verstand noch nicht reif. Könnte sie sonst einen so ernsten Schritt thun, ohne die rechte Überlegung? Man muss es verhindern. Ich will mit ihr sprechen. Ich bin es ihr schuldig, da sie ein zu liebenswürdiges Mädchen ist. Und dem Lizentiaten schulde ich es, weil er mein Freund ist, und ihr bin ich es schuldig, weil sie die Zukünftige meines Freundes ist. Ich schulde es auch der Familie, die gewiss sehr achtenswert ist, überhaupt ich schulde es der ganzen Menschheit, weil ich ein gutes Werk dadurch thue. Ganze Menschheit! Grosser, erhebender Gedanke, zu handeln im Namen der ganzen Menschheit, im Besitz einer solchen Generalvollmacht zu sein. – Jetzt zu Cordelia zurück. Stimmung kann ich immer gebrauchen, und die schöne Sehnsucht des Krauskopf hat mich wirklich angenehm berührt.

Der erste Krieg mit Cordelia fängt jetzt also an. Der Krieg, wo ich ihr siegen lehren will, indem ich fliehe und sie mich verfolgt. Ich verhalte mich zurückziehend und so lernt sie durch mich alle Mächte der Liebe kennen, unruhige Gedanken, Leidenschaft, erkennt die Gefühle der Sehnsucht, Hoffnung und ungeduldiges Warten. Während ich so für sie figuriere, entwickelt sich bei ihr alles in entsprechender Weise. Ein wirklicher Triumphzug ist das – und ich preise ihre Siege in dithyrambischen Liedern und zeige ihr den einzigen Weg, den sie zu gehen hat. Sie muss an die Allmacht der Liebe glauben, sieht sie erst, wie ich mich ihrem Herrscherstab beuge. Sie muss mir glauben, teils weil ich meiner Kunst sicher bin, teils weil meine That auf einer tiefen Wahrheit fusst. Die Liebe erwacht auf diese Weise in ihrer Seele, und sie bekommt als Weib die erste Weihe. – Bisher habe ich noch nicht auf philiströse Weise um sie gefreit; jetzt aber thue ich es, indem ich sie frei mache und dann lieben will. Sie darf nicht ahnen, dass sie mir das verdankt, das würde ihr das Selbstvertrauen nehmen. Ist sie aber frei und fühlt es, so dass sie fast mit mir brechen möchte, dann geht erst der rechte Krieg an. Sie ist noch voll Leidenschaft und der Krieg hat für mich die Bedeutung, die unberechenbar ist. Bräche sie aus Stolz mit mir? Nun gut! Mag sie ihre Freiheit haben; mein wird sie doch. Es ist dumm, anzunehmen, dass die Verlobung sie binden könnte. Nur in Freiheit will ich von ihr Besitz nehmen. Verlässt sie mich auch, der zweite Krieg wird trotzdem beginnen, und in diesem zweiten Krieg bin ich so sicher Sieger, wie ihr erster Sieg eine Täuschung war. Wird ihre Kraft grösser, so wird es für mich um so unterhaltender. Der erste Krieg ist der Befreiungskrieg, den führe ich spielend, der zweite ein Eroberungskrieg, der geht auf Leben und Tod.

Liebe ich Dich, Cordelia? Ja! Aufrichtig? Ja! Auch treu? Ja! Treu in ästhetischer Bedeutung und das ist doch auch etwas wert. Was hätte es Dir junges Mädchen genützt, wärst Du in die Hände eines Dummkopfes von einem Ehemann geraten. Was wäre aus ihr geworden? Nichts. Man pflegt zu sagen, es gehöre mehr als Ehrlichkeit dazu, um durch die Welt zu kommen; ich möchte behaupten, mehr Ehrlichkeit gehört dazu, ein solches Mädchen zu lieben. Und doch liebe ich sie treulich. Ich bewache mich selbst streng, damit alles Verborgene in ihr, ihre grosse reiche Natur sich entfalten darf. Von Wenigen bin ich einer, die das können, unter Tausenden ist sie die Eine, die sich dazu eignet. Gehören wir also nicht für einander?

Es ist keine Sünde, wenn ich nicht den Pastor ansehen kann, sondern das schön gestickte Taschentuch, das Sie in der Hand halten? . . . . Es ist ein gestickter Name darauf, den ich ansehen muss, . . . . Charlotte Hahn ist Ihr Name? Es ist verführerisch, so plötzlich durch Zufall den Namen einer Dame zu erfahren. Hat mich ein Geist so geheimnisvoll mit Ihnen bekannt gemacht? Oder ist es mehr als ein Zufall, dass Sie das Taschentuch gerade so halten, dass ich den Namen sehen kann? – Sie sind erregt, Sie trocknen eine Thräne in Ihrem Auge. . . . Schon wieder halten Sie das Taschentuch wie zufällig in Ihrer Hand. . . . Sie bemerken, dass ich Sie und nicht den Pastor ansehe, Sie betrachten Ihr Taschentuch, Sie bemerkten, dass es Ihren Namen verraten hat. . . . Eigentlich ist die Sache sehr unschuldig, man erfährt leicht den Namen junger Damen. . . . Zerknittern Sie, bitte, das Taschentuch nicht so? Sie zürnen ihm? Sie zürnen mir? Aber hören Sie doch, was der Pastor eben sagt: Man soll seinen Mitmenschen nicht in Versuchung führen; auch der ist dafür verantwortlich, der es unwissentlich thut. Auch er steht in Schuld zu dem andern und kann seine Schuld nur durch doppeltes Wohlwollen gut machen. . . . Jetzt sagt er »Amen« und vor der Kirchenthüre dürfen Sie das Taschentuch im Wind fliegen lassen . . . . oder ist Ihnen vor mir bang? Habe ich Ihnen etwas gethan? . . . . Es ist nicht mehr, als man verzeihen kann, mehr als woran Sie nicht wagen dürften, sich zu erinnern – um mir zu vergeben.

In meinem Verhältnis zu Cordelia muss ich eine Doppelbewegung herbeiführen. Weiche ich immer nur vor ihrer Übermacht, dann würde das Erotische bei ihr zu dissolut werden, als dass die tiefere Weiblichkeit sich hypostarieren könnte. Sie würde auch dann im zweiten Krieg keinen Widerstand mehr leisten. Sie geht jetzt zwar träumend ihrem Sieg entgegen, wie es sein muss, doch muss sie auch immer wieder geweckt werden. Wenn es einen Augenblick scheint, als würde ihr der Siegerlorbeer entwunden, dann muss sie daraus lernen, mit erneuter Macht in den Kampf zu ziehen. So wird ihre Weiblichkeit reif. Was thut man dann. Mit Unterhaltung könnte ich sie anfeuern, und durch Briefe wieder abwehren, oder umgekehrt. Vorzuziehen ist letzteres. Mir gehören dann ihre herrlichsten Augenblicke. Hat sie eine Epistel erhalten, ist ihr deren süsses Gift ins Blut gedrungen, dann genügt ein Wort, um die Liebesglut zu entflammen. Gleich darauf rufe ich durch Ironie wieder Zweifel hervor, aber immer noch muss sie sich als Siegerin behaupten, und das noch mehr beim Anfang des darauffolgenden Briefes. Für Briefe passt aber die Ironie sehr schlecht, ausserdem wird sie auch zu leicht missverstanden. Anderseits empfiehlt es sich nicht, bei einer Unterhaltung in schwärmerische Ekstase zu geraten. Bin ich in einem Brief bei ihr, dann kann sie mich leicht tragen, und sie verwechselt mich bis zu einem gewissen Grade mit dem universellen Wesen, das in ihrer Liebe lebt. In einem Brief kann man sich auch mit grösserer Leichtigkeit bewegen, in einem Brief kann ich mich ihr herrlich zu Füssen werfen u. s. w., was sonst verrückt aussehen würde. Thäte ich es persönlich, so ginge alle Illusion dabei verloren. Der daraus entstehende Widerspruch dieser Bewegungen, die Doppelbewegung, ruft die Liebe in ihr hervor und entwickelt sie, stärkt und konsolidiert, mit einem Wort: führt sie in Versuchung. –

Zuerst dürfen diese Episteln nicht zu erotisch gefärbt sein, sondern müssen einen allweltlichen Stempel tragen, manche Winke enthalten, manche Zweifel aufheben. Dazwischen deute ich an, dass eine Verlobung grosse Vorzüge hat, dann wieder darf es nicht an Hinweisen fehlen, dass eine Verlobung voll grosser Unvollkommenheiten ist. Im Hause meines Onkels ist eine Karrikatur von mir, diese muss immer an meiner Seite spazieren. Wenn ich sie mit dieser quäle, bereut sie es bald, dass sie sich verlobt hat, und doch darf sie mir keinen Vorwurf machen, dass ich diese Gefühle in ihr hervorgerufen habe.

Heute werde ich ihr mit einer kleinen Epistel einen Wink geben, und ihr das eigene Innere ihrer selbst entdecken, indem ich die Gefühle meines Herzens beschreibe. So ist die Methode recht, und ich habe Methode. Ihr lieben Mädchen, euch danke ich meine Methode. Euch, die ich früher geliebt habe. Euch ist die Ehre. Junge Mädchen sind geborene Lehrerinnen, und wenn man auch nichts anderes von ihnen lernen kann, als das, wie sie betrogen werden wollen, – denn das lernt man vorzüglich von den Mädchen selbst. Mag ich noch so alt werden, das vergesse ich nie, dass ein Mensch erst dann am Ende ist, wenn er so alt ist, dass ihm ein junges Mädchen nichts mehr lehren kann.

 

Meine Cordelia!

Du sagst, Du hättest Dir mich anders vorgestellt? Aber hätte ich mir je träumen lassen, dass ich anders werden könnte? Ist in Dir die Veränderung oder in mir? Es könnte ja sein, ich habe mich nicht verändert, Dein Auge aber kann sich geändert haben, das mich jetzt anders anschaut. Oder liegt die Veränderung doch bei mir? Sie liegt bei mir, da ich Dich liebe; sie liegt auch bei Dir, weil Du es bist, die ich liebe. Ich betrachtete alles mutig und stolz mit dem kalten, ruhigen Licht meines Verstandes, und Schrecken kannte ich nie; hätten Geister an meine Thür geklopft, ich hätte auch einem Gespenst ruhig aufmachen können. Aber nicht Geistern der Nacht, nicht bleichen blutlosen Gespenstern habe ich die Thür geöffnet, sondern Dir, meiner Cordelia; und mit Dir trat Leben, Jugend und Gesundheit zu mir. Der Arm zittert mir, ich kann das Licht nicht ruhig in der Hand halten, ich muss vor Dir fliehen und kann doch mein Auge nicht vor Dir schliessen. Ja, Du sagst es, ja, ich bin verändert; aber ich weiss nicht, was alles dies eine Wort in sich schliessen kann, ich weiss es nicht, ich weiss nur, ich kann kein reicheres Prädikat gebrauchen, und ich muss unendlich geheimnisvoll zu mir selbst sagen: »Ich bin verändert.«

Dein Johannes

Meine Cordelia!

Die Liebe liebt das Geheimnisvolle – aber eine Verlobung heisst eine Offenbarung; die Liebe liebt das Schweigen – aber eine Verlobung ist eine Bekanntmachung; Liebe liebt leises Flüstern – eine Verlobung ist eine laute Kundgebung; und doch, eine Verlobung kann durch die Kunst meiner Cordelia ein köstliches Mittel werden, Feinde zu betrügen. In einer dunkeln Nacht ist auf dem Meere nichts gefährlicher, als wenn ein Schiff eine Laterne aushängt, die führt mehr irre als die Finsternis.

Dein Johannes

Sie sitzt am Theetisch auf dem Sofa, ich neben ihr, sie hat ihren Arm unter den meinen geschoben und legt den Kopf gedankenschwer auf meine Schulter. So nah ist sie mir, und doch so fern, sie giebt sich mir und ist doch nicht mein. Noch ist ein Widerstand da. Aber dieser ist nicht subjektiv, sondern reflektiert, er ist der gewöhnliche Widerstand des Weiblichen, denn es ist des Weibes Wesen, sich unter der Form des Widerstandes hinzugeben. Sie sitzt im Sofa am Theetisch, ich an ihrer Seite. Ihr Herz klopft, aber ohne Leidenschaft, der Busen bewegt sich, aber ohne Unruhe, sie wechselt zuweilen die Farbe, aber in kaum merklichen Übergängen. Ist das Liebe? Nein. Sie hört zu und versteht. Sie hört dem geflügelten Wort zu und sie versteht es. Sie hört der Rede eines anderen zu, und versteht sie wie ihre eigene Rede, sie hört der Stimme zu, die in ihrem Herzen Widerhall findet, und sie versteht diesen Widerhall, als ob es ihre eigene Stimme wäre, als würde ihr Geheimnis vor ihr und einem andern offenbart. – – –

Was soll ich thun? Soll ich sie bethören? Sicher nicht. Es würde mir nicht nützen. Soll ich ihr Herz stehlen? Auch nicht. Ich habe es lieber, dass das Mädchen, welches ich liebe, ihr Herz behält. Was soll ich denn thun? Ich forme mir ein Herz, dem ihrigen ähnlich. Ein Künstler malt seine Geliebte zu seiner Freude, ein Bildhauer meisselt sie, ich thue das auch, aber geistig. Sie weiss es nicht, dass ich dieses Bild besitze, darin liegt dann der Betrug. Ich habe es mir heimlich verschafft und in diesem Sinn habe ich ihr Herz gestohlen, wie es von Rebekka heisst, sie stahl das Herz des Laban, indem sie ihm böswillig seine Hausgötter raubte.

Umgebung und Rahmen eines Bildes sind von grosser Bedeutung, sie prägen sich ebenso wie das Bild tief und fest in die Erinnerung ein, zugleich in die ganze Seele, und sind nicht zu vergessen. Mag ich noch so alt werden, Cordelia werde ich mir niemals anders als von diesem kleinen Zimmer eingerahmt denken können. Wenn ich zum Besuch komme, führt mich die Magd in den Saal, sie selber eilt aus ihrem Zimmer, und schliesse ich die Saalthüre auf, um in das Wohnzimmer zu kommen, so öffnet sie die andere Thüre und unsere Augen begegnen sich gleich in der Thür.

Das Wohnzimmer ist nur klein, aber sehr behaglich, es ist fast nur ein Kabinett. Ich habe es von verschiedenen Punkten aus betrachtet, aber am liebsten sehe ich es vom Sofa aus. Dort sitzt sie neben mir, denn der runde Theetisch steht da, auf dem liegt eine schöne Tischdecke in reichen Falten. Eine Lampe steht auf dem Tisch, die hat eine Blumenform, eine Blume, die sich voll und kräftig öffnet und ihre Krone trägt, darüber hängt wieder ein fein ausgeschnittener Schleier, er bewegt sich fortwährend, so leicht ist er. Die Lampenform erinnert an eine Blume aus dem Orient, und die Bewegung des Schleiers an die milde Luft jenes Landes. In manchen Augenblicken lasse ich die Lampe das Leitmotiv meiner Landschaft sein, und ich sitze mit ihr auf dem Erdboden unter der Lampenblume. Ein anderes Mal leitet mich ein Teppich, er ist von einer eigenen Art von Weiden, die weither kommen und mich dabei in ein Schiff, in eine Offizierskajüte führen, wir segeln dann auf hohem Ozean. Da wir vom Fenster weit fortsitzen, so schauen wir unmittelbar in den leeren Himmel.

Das erhöht die Illusion. Sitze ich so an ihrer Seite, so tauchen diese Bilder, flüchtig über die Wirklichkeit hineilend, vor mir auf, und ich sehe sie unsichtbar wie den Tod über einem Grab. Die Umgebung ist besonders sehr wichtig für die Erinnerung. Jedes erotische Verhältnis muss so durchlebt werden, dass man sich leicht ein Bild davon machen kann, das alles Schöne darin in sich schliesst. Damit das gelingt, muss man auf die Umgebung besonders aufmerksam sein. Wenn diese nicht nach Wunsch ist, muss sie dazu gemacht werden. Für Cordelia und ihre Liebe passt die Umgebung vortrefflich. Welch anderes Bild zeigt sich mir nicht, wenn ich an meine kleine Emilie denke und doch wie gut hat die Umgebung auch da gepasst. An sie kann ich nur denken, oder richtiger ihrer kann ich mich nur in dem kleinen Zimmer nach dem Garten zu erinnern. Die Thüren standen offen, ein kleiner Garten vor dem Haus begrenzte die Aussicht, zwang das Auge anzustossen, stehen zu bleiben, ehe es mit dreistem Mut der Landstrasse folgte, die in der Ferne verschwand. Emilie war entzückend, nur unbedeutender als Cordelia. Die Umgebung war auch daraufhin berechnet. Das Auge hielt sich an der Erde, es stürmte nicht kühn und ungeduldig vorwärts, es ruhte auf dem kleinen Vordergrund. Und wenn sich auch die Landstrasse romantisch in der Ferne verlor, es wirkte doch mehr, so dass das Auge die Strecke durchlief, die es vor sich hatte, und dann wieder zurückkehrte, um dieselbe Strecke nochmals zu durchlaufen. Das Zimmer lag zu ebener Erde. Das Milieu von Cordelia darf keinen Vordergrund haben, nur die unendliche Kühnheit des Horizontes. Sie darf sich nicht an der Erde befinden, sie muss schweben, nicht gehen, sondern fliegen, nicht hin und her, sondern ewig vorwärts.