Briefe über den Yoga

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In früheren Yogasystemen war die Erfahrung, die gesucht wurde, die des Spirits, der immer frei und eins mit dem Göttlichen ist. Die menschliche Natur hatte sich nur genügend zu wandeln, damit sie für jenes Wissen und jene Erfahrung kein Hindernis darstellte. Die vollkommene Veränderung bis hinunter ins Physische wurde nur von wenigen gesucht und dann hauptsächlich als siddhi, nicht als Manifestation einer neuen Natur im Erdbewusstsein.

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Es gibt viele Ebenen über dem menschlichen Mental – das Supramental ist nicht die einzige –, und auf allen kann das Selbst verwirklicht werden, denn alle sind spirituelle Ebenen.

Mental, Vital und das Physische sind im Oberflächenbewusstsein unentwirrbar miteinander verflochten – das innere Mental, das innere Vital, das innere Physische hingegen sind voneinander getrennt. Diejenigen, die das Selbst mit Hilfe der alten Yogasysteme suchen, lösen sich vom Mental, Leben und Körper ab und verwirklichen das Selbst als etwas von diesen Dingen Verschiedenes. Es ist durchaus möglich, das Mental, das Vital und das Physische ohne Hilfe des Supramentals voneinander zu trennen. Dies geschieht durch die üblichen Yogasysteme. Der Unterschied zwischen unserem Yoga und den alten Yogasystemen besteht nicht darin, dass jene unzulänglich oder unfähig wären diese Dinge durchzuführen – sie sind hierzu durchaus in der Lage –, sondern dass sie von der Verwirklichung des Selbstes zum nirvana fortschreiten oder zu irgendeinem Himmel und sich vom Leben abwenden, während dieser Yoga sich vom Leben nicht abwendet. Das Supramental ist für die Umwandlung des Lebens und Seins der Erde erforderlich, aber nicht um nur das Selbst zu erreichen. Zuerst hat man das Selbst zu verwirklichen, dann kann man das Supramental verwirklichen.

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Man kann die Erfahrung jeder Sadhana als einen Teil unserer Sadhana haben.

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Die Verwirklichung des Spirits findet lange vor der Entfaltung des Obermentals oder Supramentals statt; zu allen Zeiten erreichten Hunderte von Sadhaks die Verwirklichung des Atman auf den höheren mentalen Ebenen, buddheh paratah, doch nicht die supramentale Verwirklichung. Man kann eine teilweise Verwirklichung des Selbstes oder Spirits oder des Göttlichen auf jeder Ebene erlangen, sowohl der mentalen, vitalen als sogar auch der physischen; aber sobald man sich über die gewöhnliche mentale Ebene des Menschen in ein höheres und weiteres Mental erhebt, beginnt das Selbst sich in seiner ganzen bewussten Weite zu zeigen.

Ist man einmal voll in diese Weite des Selbstes eingetreten, wird die Beendigung der mentalen Aktivität möglich; man erlangt die innere Stille. Diese innere Stille kann dann anhalten selbst bei jeder Art von Tätigkeit; das Wesen bleibt innerlich still, die Tätigkeit nimmt ihren Fortgang in den Instrumenten, und alle erforderliche Anweisung und Durchführung einer Tat, sei es mental, vital oder physisch, empfängt man von einem höheren Ursprung, ohne dass der grundlegende Frieden und die Stille des Spirits gestört werden.

Die obermentalen und supramentalen Stadien sind etwas noch Höheres als dies; doch bevor man sie verstehen kann, muss man erst zur Selbst-Verwirklichung gelangen, zur vollen Tätigkeit des spiritualisierten Mentals und Herzens, zum seelischen Erwachen, zur Befreiung des gefesselten Bewusstseins, zur Läuterung und völligen Öffnung des adhara. Denke jetzt nicht an derartige höchste Dinge (Obermental, Supramental), sondern erreiche erst diese Grundlagen einer befreiten Natur!

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Spiritualisierung bedeutet die Herabkunft des höheren Friedens, der Kraft, des Lichtes, des Wissens, der Reinheit, des Ananda usw., die auf jeder der höheren Ebenen, vom Höheren Mental bis zum Obermental, zu finden sind, denn auf jeder von ihnen kann das Selbst verwirklicht werden. Dies führt zu einer subjektiven Umwandlung; die instrumentale Natur wird nur insoweit umgewandelt, dass sie zu einem Instrument des Kosmisch-Göttlichen wird, damit eine Arbeit geschieht; doch das Selbst zuinnerst bleibt ruhig und frei und mit dem Göttlichen geeint. Doch dies ist eine unvollkommene, individuelle Umwandlung – die volle Umwandlung der instrumentalen Natur kann erst mit der supramentalen Wandlung stattfinden. Bis dahin bleibt die menschliche Natur mit vielen Unvollkommenheiten behaftet, doch das Selbst auf den höheren Ebenen nimmt sie nicht wahr, da es in sich frei und unberührt ist. Auch das innere Wesen bis hinunter zum inneren Physischen kann frei und unbeeinflussbar werden. Das Obermental ist noch an Begrenzungen in der Ausübung eines wirksamen Wissens gebunden, an Begrenzungen im Wirken der Macht und abhängig von einer teilweisen und begrenzten Wahrheit usw. Erst im Supramental tritt das volle Wahrheits-Bewusstsein in Erscheinung.

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Im wahren Bewusstsein zu leben heißt, in einem Bewusstsein zu leben, in dem man sich auf die eine oder andere Weise spirituell im Einssein mit dem Göttlichen befindet. Doch so zu leben heißt nicht, dass man damit die vollständige, genaue und untrügliche Wahrheit allen Tuns, aller Dinge und aller Personen besitzt.

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Das Göttliche kann auf jeder Ebene entsprechend ihren Möglichkeiten verwirklicht werden, denn das Göttliche ist überall. Yogis und Heilige verwirklichen das Göttliche auf der spiritualisierten Mental-Ebene; das bedeutet aber nicht, dass sie supramental werden.

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Reicht die Tatsache, dass er ein bedeutender Mann ist, dazu aus, dass alles, was er denkt und sagt, richtig ist? Oder bist du der Meinung, da er im Licht lebt, müsse dieses Licht absolut und vollständig sein? Das „Wahrheits-Bewusstseins“ ist ein Ausdruck, den ich für das Supramental benütze. X hat das Supramental nicht erreicht. Er mag ein wahres Bewusstsein haben oder hat es sogar – doch das ist etwas anderes.

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Vielleicht bist du der gleichen Meinung wie X: „Das Göttliche ist hier; warum sollte es von irgendwoher herabkommen?“ Das Göttliche mag hier sein, doch hat es sein Licht hier mit der Finsternis der Unwissenheit und seinen Ananda mit Leiden verhüllt, und ich möchte meinen, dass dies einen großen Unterschied für die [Erd-] Ebene ausmacht, und selbst wenn man in jenes versiegelte Licht einzutreten vermag, ist es zwar von großer Bedeutung für das Bewusstsein, jedoch nicht für die Energie, die auf dieser [Erd-] Ebene wirkt und die einen dunklen und vermischen Charakter behält.

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Die Göttliche Kraft kann auf jeder Ebene wirken, sie ist nicht an die supramentale Kraft gebunden. Das Supramental ist nur ein Aspekt der Macht des Göttlichen.

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Der Sadhak des integralen Yoga, der bei der Verwirklichung des Unpersönlichen halt macht, ist nicht länger ein Sadhak des integralen Yoga. Die Verwirklichung des Unpersönlichen ist die Verwirklichung des schweigenden Selbstes, des reinen Daseins, Bewusstseins und der Seligkeit ohne Wahrnehmung eines Daseienden, Bewussten, Seligen. Aus diesem Grund führt sie zu nirvana der integralen Erkenntnis ist die Verwirklichung des Selbstes und des unpersönlichen Sachchidananda nur ein Schritt, obwohl ein sehr wichtiger Schritt – oder sie ist ein Teil der integralen Erkenntnis. Sie ist der Beginn, doch nicht das Ende der höchsten Verwirklichung.

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Diese Gefühle kennzeichnen die übliche Haltung des sich selbst überlassenen physischen Bewusstseins gegenüber dem Göttlichen – vollkommener Agnostizismus und keiner Erfahrung fähig.

Die Erkenntnis des unpersönlichen Göttlichen als solches berührt nicht die stofflichen Dinge der Erde oder braucht sie zumindest nicht zu berühren. Sie bringt lediglich eine subjektive Wandlung im Wesen selbst zustande und, wenn sie vollständig ist, auch eine neue Sicht und Einstellung gegenüber allen Dingen, unstofflich oder stofflich. Die vollkommene Erkenntnis des Göttlichen jedoch kann eine Veränderung in den stofflichen Dingen bewirken, denn sie setzt eine Kraft in Tätigkeit, die am Ende auf diese stofflichen Dinge einwirkt, die dem physischen Bewusstsein als so absolut, unüberwindlich und unwandelbar erscheinen.

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Warum sollte man es [das Kosmische und Transzendente Göttliche] nicht lieben oder erfahren können? Viele haben es getan. Und warum nimmst du an, Es sei reglos, schweigend und fern? Das Kosmische Göttliche kann einem so nahe sein wie das eigene Selbst und das Transzendente so vertraut wie der nächste Freund oder Liebende. Nur für das physische Bewusstsein besteht einige Schwierigkeit, dies zu erkennen.

Die Jain-Verwirklichung einer individuellen Gottheit ist, so weit sie reicht, in Ordnung – ihr Mangel ist, dass sie zu individuell und isoliert ist.

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Ich habe niemals gehört, dass in anderen Yogasystemen die Stille herabkommt – das Mental tritt vielmehr in die Stille ein. Seit ich jedoch über ein Aufsteigen und ein Herabkommen schrieb, wurde mir immer wieder mitgeteilt, dass es in meinem Yoga nichts Neues gäbe. Ich frage mich daher, ob die Menschen dieses Aufsteigen und Herabkommen erlebten, ohne es zu erkennen oder zumindest ohne den Vorgang zu bemerken. Genauso war es mit dem Aufsteigen des Bewusstseins über den Kopf und seiner Verankerung dort, das ich und andere in diesem Yoga erfuhren. Als ich zuerst davon sprach, wunderten sich die Menschen und dachten, es sei Unsinn. Die Weite muss auch in den alten Yogasystemen gefühlt worden sein, sonst hätte man das Universum nicht in sich wahrnehmen oder sich vom Körperbewusstsein lösen oder sich mit dem Unendlichen Brahman – Anantam Brahman – einen können. Allgemein aber spricht man wie im tantrischen Yoga von dem Bewusstsein, das zum brahmarandhra aufsteigt, zum höchsten Punkt des Kopfes. Der Rajayoga hingegen betont den samadhi-Zustand als Mittel der höchsten Erfahrung. Doch ganz offensichtlich hat, solange man nicht brahmasthiti – den Brahmazustand – im Wachen erreicht hat, keine vollständige Verwirklichung stattgefunden. Die Gita spricht deutlich von samhita (welches dem samadhi-Zustand entspricht) und bramisthiti als einem Wachzustand, in dem man lebt und alle Tätigkeit tut.

 

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Ich erkläre mir die fehlende Erfahrung des Herabkommens damit, dass die alten Yogasysteme hauptsächlich auf die seelisch-spirituell-okkulte Erfahrungsebene begrenzt waren – auf welcher die höheren Erfahrungen in das stille Mental oder das gesammelte Herz durch eine Art Filtrierung oder Widerspiegelung gelangten – der Bereich dieser Erfahrung erstreckt sich vom brahmarandhra abwärts. Die Menschen haben sich nur im samadhi-Zustand darüber erhoben oder in einem Zustand statischer mukti, wobei jede dynamische Herabkunft fehlte. Alles Dynamische fand im Bereich des spiritualisierten Mentals und des vital-physischen Bewusstseins statt. In diesem Yoga erhebt sich das Bewusstsein (nachdem der untere Bereich durch eine gewisse seelisch-spirituell-okkulte Erfahrung vorbereitet wurde) über den brahmarandhra zu den Bereichen darüber, die dem eigentlichen spirituellen Bewusstsein angehören, und anstatt nur von dort zu empfangen, muss es dort leben und von dort das untere Bewusstsein insgesamt verändern. Denn dort gibt es eine Dynamik des spirituellen Bewusstseins, dessen Natur Licht ist, Macht, Ananda, Frieden, Wissen, unendliche Weite; und all das muss erlangt werden und in das ganze Wesen herabkommen; andernfalls kann man wohl mukti erreichen, doch nicht Vervollkommnung oder Umwandlung (eine entsprechende seelisch-spirituelle Wandlung ausgenommen). Wenn ich dies nun ausspreche, wird sich ein großes Geschrei erheben gegen die unverzeihliche Anmaßung, ein Wissen zu beanspruchen, das die alten Weisen und Heiligen nicht besessen haben sollen, und vorzugeben, sie zu übertreffen. In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass in den Upanishaden (besonders der Taittiriya) Andeutungen dieser höheren Ebenen und ihrer Natur zu finden sind sowie der Möglichkeit, das gesamte Bewusstsein in ihnen zu sammeln und in sie aufzusteigen. Doch dies wurde später vergessen, und man sprach nur noch von der buddhi als dem Höchsten mit dem Purusha oder Selbst unmittelbar darüber, aber eine klare Vorstellung von diesen höheren Ebenen gab es nicht. Ergo, ein Aufstieg zu unbekannten und unbeschreiblichen himmlischen Regionen im samadhi-Zustand ist möglich, doch kein Herabkommen – daher von dort auch keine Hilfe und keine Möglichkeit der Umwandlung auf Erden; nur Flucht aus dem Leben und mukti in Goloka, Brahmaloka, Sivaloka oder im Absoluten.

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Es ist durchaus möglich, dass Menschen das Herabkommen empfangen können ohne zu bemerken, dass es ein Herabkommen ist, da sie nur das Resultat wahrnehmen. Der übliche Yoga geht über das spirituelle Mental nicht hinaus – man fühlt am höchsten Punkt des Kopfes die Einung mit dem Brahman, doch ein Bewusstsein über dem Kopf nimmt man nicht wahr. In gleicher Weise fühlt man im üblichen Yoga das Aufsteigen des erwachten niederen Bewusstseins (Kundalini) zum brahmarandhra, wo die Prakriti sich mit dem Brahman-Bewusstsein verbindet, doch fühlt man kein Herabkommen. Manche mögen diese Dinge erlebt haben, doch weiß ich nicht, ob sie deren Natur, Prinzip oder Stellung in einer vollständigen Sadhana erkannten. Zumindest habe ich nie über diese Dinge von anderen gehört, bevor ich sie in meiner eigenen Erfahrung entdeckte. Der Grund hierfür ist, dass die alten Yogis, sobald sie sich über das spirituelle Mental erhoben, in den samadhi-Zustand eintraten, was bedeutet, dass sie keinen Versuch machten, auf diesen höheren Ebenen bewusst zu sein; ihr Ziel war, in das Überbewusste einzutreten und nicht das Überbewusste in das Wachbewusstsein herabzubringen, welches das Ziel meines Yoga ist.

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Im Veda gibt es nicht die Vorstellung oder Erfahrung einer persönlichen Emanation oder Inkarnation eines der vedischen Götter. Wenn die rsis von Indra oder Agni oder Soma im Menschen sprechen, dann meinten sie Gott in seiner kosmischen Gegenwart, Macht oder Funktion. Das geht deutlich aus dem Gesagten selbst hervor, nämlich wenn sie von Agni als dem Unsterblichen in den Sterblichen sprechen, vom unsterblichen Licht im Menschen, vom inneren Krieger, vom Gast im menschlichen Wesen. Ebenso ist es mit Indra oder Soma. Das Erschaffen der Götter im Menschen bedeutet ein Hervorbringen göttlicher Mächte in der menschlichen Natur, zum Beispiel Indra, die Macht des Lichts, Soma, die Macht des Ananda.

Kein Zweifel, die rsis fühlten die unmittelbare Gegenwart der Götter über sich, ganz nahe, um oder in sich, doch war dies eine allgemeine Erfahrung aller, nicht etwas Besonderes und Persönliches, nicht eine Emanation oder Inkarnation. Man kann die Gegenwart des Göttlichen, eine göttliche Macht über dem Kopf oder im Herzen sehen oder fühlen, oder man kann die Gegenwart in einem oder allen Zentren fühlen, die lebendige Form dort sehen; man kann davon in seinem ganzen Tun, in seinen Gedanken und Gefühlen gelenkt werden; man kann seine gesonderte Personalität in ihr verlieren, kann sich mit ihr identifizieren oder mit ihr verschmelzen. Doch all dies macht keine Inkarnation oder Emanation des Göttlichen oder der Macht aus. Solche Dinge sind universale Erfahrungen, die jeder Yogi erreichen kann; einen solchen Zustand im Hinblick auf das Göttliche zu erlangen ist sogar ein allgemeines Ziel des Yoga.

Eine Inkarnation ist etwas mehr, etwas Spezielles und Individuelles für ein individuelles Wesen. Es ist die Ersetzung der menschlichen Person durch die Person eines göttlichen Wesens und sein Eindringen in alle Regungen, wodurch diese und die gesamte menschliche Natur eine dynamisch-persönliche Wandlung erfahren; und zwar nicht nur eine Wandlung des Bewusstseins-Charakters oder eine allgemeine Überantwortung, sondern eine subtile, innere, persönliche Wandlung. Doch sogar bei einer Inkarnation von Geburt an müssen die menschlichen Elemente mit einbezogen werden, bei einem Herabkommen jedoch findet eine totale, bewusste Ersetzung statt.

Dies ist ein langer, subtiler und anhaltender Vorgang. Die sich inkarnierende Person wirft ihre Schatten zunächst als Einfluss, dann tritt sie in die Zentren, eines nach dem anderen ein, manchmal in der gleichen Form, manchmal in verschiedenen Formen, und erfasst dann die gesamte Natur und ihre Tätigkeiten. Was du beschreibst, stimmt mit diesem Vorgang nicht überein; es scheint sich um ein Bemühen zu handeln, die Götter im vedischen Sinn und auf die vedische Weise in dir zu formen. Das kann, wenn es Erfolg hat, ihre Macht und eine Empfindung ihrer Gegenwart mit sich bringen, doch kann es keine Inkarnation herbeiführen. Eine Inkarnation ist vorherbestimmt, für dich erwählt; die menschliche Person kann eine Inkarnation weder wählen noch durch ihren persönlichen Willen für sich erschaffen. Dies zu versuchen hieße, eine spirituelle Katastrophe herbeizuführen.

Eines muss gesagt werden – eine Inkarnation ist nicht das Ziel dieses Yoga; sie ist lediglich eine Gegebenheit oder ein Mittel zum Zweck Das eine und einzige Ziel, das wir vor uns haben, ist, das supramentale Bewusstsein und die supramentale Wahrheit in die Welt herabzubringen; die Wahrheit und nichts als die Wahrheit ist unser Ziel, und wenn wir die Wahrheit nicht verkörpern können, zählen hundert Inkarnationen nicht. Doch das wahre Supramental herabzubringen und allem mentalen Wirrwarr zu entkommen, ist nicht einfach. Das reine Herabkommen der Sonnen in die Zentren, selbst aller sieben Sonnen in alle sieben Zentren ist nur ein Anfang; es ist nicht die vollbrachte und beendete Sache selbst. Man mag das Herabkommen der Sonnen fühlen, man mag eine Inkarnation versuchen oder beginnen und doch am Ende scheitern, wenn sich ein Makel in der Natur findet oder man im Bestehen von Prüfungen und in der Erfüllung all der harten Bedingungen für einen vollkommenen spirituellen Erfolg versagt. Nicht nur die ganze mentale, vitale und physische Natur des unwissenden menschlichen Wesens muss überwunden und gewandelt werden, sondern auch die drei Bereiche des mentalen Bewusstseins, die zwischen dem menschlichen und supramentalen Bewusstsein liegen und die, wie das gesamte Mental, große und entscheidende Fehler zulassen können. Bis dahin mag der supramentale Einfluss herabkommen, das Licht, die Macht, der Ananda, doch die supramentale Wahrheit kann nicht in Besitz genommen und geordnet und in die gesamte menschliche Natur gebracht werden. Zuvor aber ist nicht einmal daran zu denken, das Supramental zu besitzen, denn das wäre eine Täuschung und würde die Erfüllung verhindern.

Und noch eines: je intensiver die Erfahrungen sind, je höher die Kräfte, die herabkommen, umso größer werden die Möglichkeiten des Abweichens und Irrens. Denn gerade die Intensität und Höhe der Kräfte erregen und vergrößern die Bewegungen der niederen Natur und lassen alle widersetzlichen Elemente sich in ihrer vollen Stärke erheben, häufig in der Verkleidung der Wahrheit und die Maske einer einleuchtenden Rechtfertigung tragend. Große Geduld wird benötigt, Besonnenheit, Ernsthaftigkeit, Gleichgewicht, ein unpersönliches Losgelöstsein und eine Wahrhaftigkeit, die frei von jedem Makel durch das Ego oder persönliches, menschliches Begehren ist. Es darf kein Verhaftetsein mit einer eigenen Idee geben, mit einer Erfahrung, mit irgendeiner Einbildung, mit einem mentalen Gerüst oder einem vitalen Begehren; der Lichtstrahl der Unterscheidung muss immer spielen, um diese Dinge aufzudecken, wie richtig und einleuchtend sie auch erscheinen mögen. Andernfalls wird sich die Wahrheit in ihrer Reinheit in der menschlichen Natur nicht festigen können.

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Die beschriebenen Methoden sind die gut fundierten Methoden des Jnana-Yoga. 1. Eingleisige Konzentration, der die Loslösung vom Denken folgt, 2. die Methode, das wahre Selbst zu unterscheiden oder zu entdecken, indem man es vom Mental, Leben und Körper trennt und zu dem reinen „Ich“ dahinter gelangt; dieses [Selbst] kann auch in das unpersönliche Selbst eingehen. Das normale Ergebnis ist ein Eintauchen im Atman oder Brahman – womit vermutlich das Überselbst gemeint ist, denn Brahman ist das tatsächliche Überselbst. Dieser Brahman oder Atman ist überall, alles ist in ihm, er ist in allem, doch nicht als individuelles Wesen, sondern in allen gleich – so wie der Äther in allem ist. Wenn das Eintauchen im Überselbst vollendet ist, gibt es kein Ego mehr, kein erkennbares Ich, keine geformte, gesonderte Person oder Personalität. Alles ist unteilbares und nicht unterscheidbares Einssein, entweder ohne jede Gestaltung oder alle Gestaltung in sich bergend, ohne von ihr berührt zu sein. Man kann es auf beide Arten verwirklichen. Es gibt eine Verwirklichung, in der das eine Selbst alle Dinge enthält, und dieses Selbst ist unveränderlich in allen Wesen; es gibt eine andere, vollständigere und durchgreifendere Verwirklichung, in der nicht nur dies enthalten ist, sondern in der alles als das Selbst, das Brahman, das Göttliche dynamisch erkannt wird. In der ersteren kann man alle Wesen als Gebilde der Maya von sich weisen, was dann einzig das eine Selbst als wahr zurücklässt – in der anderen Verwirklichung ist es einfacher, sie [alle Wesen] als wirkliche Manifestationen des Selbstes zu betrachten, nicht als Illusionen. Doch man kann auch alle Wesen als Seelen ansehen, als unabhängige Wirklichkeiten einer ewigen Natur, die auf dem einen Göttlichen beruht. Dies sind die charakteristischen Verwirklichungen des Überselbstes im Vedanta. Andererseits aber sagst du, dass dieses Überselbst als im Herz-Zentrum befindlich verwirklicht wird, und es wird als etwas Verborgenes beschrieben, das, sobald es sich manifestiert, als der wahre Denker erscheint, die Quelle allen Tuns, jedoch Gedanken und Tat in der Wahrheit lenkend. Nun, die erste Beschreibung trifft auf den Purusha im Herzen zu, der von der Gita als der im Herzen wohnende Ishvara beschrieben wird und von den Upanishaden als der Purusha Antaratman; die zweite Beschreibung könnte man für den mentalen Purusha, manomayah prana sarira neta der Upanishaden anwenden, das mentale Wesen oder der mentale Purusha, der Leben und Körper leitet. Deine Frage stimmt also mit den gegebenen Tatsachen und Erfahrungen überein, doch ist alles durcheinander geworfen, ohne genügende Unterscheidung oder Abstufung, ohne notwendige Differenzierung zwischen den verschiedenen Aspekten des einen Wesens. Es gibt tausend Wege, sich dem Göttlichen zu nähern und es zu verwirklichen, und jeder Weg hat seine Erfahrungen mit eigenen Wahrheiten, die im wesentlichen eine Grundlage haben, in ihren Aspekten aber vielfältig sind, das heißt allen gemeinsam, doch nicht von allen auf die gleiche Weise ausgedrückt. Es hat nicht viel Sinn, diese Unterschiede zu diskutieren; wichtig ist, seinem eigenen Weg richtig und ernsthaft zu folgen. In diesem Yoga kann man das seelische Wesen als Teil des Göttlichen im Herzen verwirklichen – dieses seelische Wesen nimmt sich der Sadhana an und wendet die gesamte Natur dem Göttlichen und der Wahrheit zu, was Folgen im mentalen, vitalen und physischen Bewusstsein zeitigt, auf die ich hier nicht einzugehen brauche – das ist die erste Umwandlung. Als nächstes erkennen wir das eine Selbst, Brahman, das Göttliche, nicht mehr allein im Herzen, sondern über dem Körper, dem Leben und dem Mental; es stützt sie und ist einerseits als statisches Selbst frei und ungebunden über ihnen und in allem, andererseits dynamisch als das aktive Göttliche Wesen, die Göttliche Macht, Ishvara-Shakti, die sowohl die Welt in sich enthält und durchdringt als auch übersteigt und alle kosmischen Aspekte manifestiert. Doch was das Wichtigste für uns ist, sie manifestiert sich als Licht, Wissen, Macht, Reinheit, Frieden, als Ananda der Transzendenz, deren wir uns bewusst werden und die in das Wesen herabkommen und in zunehmendem Maße das gewöhnliche Bewusstsein durch ihre eigenen Bewegungen ersetzen – das ist die zweite Umwandlung. Wir verwirklichen also das Bewusstsein als nach oben steigend durch viele Ebenen, der physischen, vitalen, mentalen, obermentalen bis zur supramentalen und Ananda-Ebene. Das ist nichts Neues; in der Taittiriya-Upanishad werden fünf Purushas aufgezählt, der physische, vitale, mentale, der Wahrheits-Purusha (supramentale) und der Seligkeits-Purusha; es heißt dort, dass man das physische Selbst in das vitale Selbst zu ziehen habe, das vitale in das mentale, das mentale in das Wahrheits-Selbst, das Wahrheits-Selbst in das Seligkeits-Selbst, und so die Vollkommenheit erlangt. Doch in diesem Yoga werden wir uns nicht nur dieses Aufnehmens bewusst, sondern auch eines Herabfließens der Macht des höheren Selbstes, so dass die Möglichkeit eines Herabkommens des supramentalen Selbstes, der supramentalen Natur hinzukommt, damit sie unsere gegenwärtige menschliche Natur beherrschen und ändern und diese Natur der Unwissenheit in die Natur des Wahrheits-Wissens umwandeln kann (und über das Supramental in die Natur des Ananda) – dies ist die dritte oder supramentale Umwandlung. Es geht nicht immer in dieser Reihenfolge, denn für viele beginnt das spirituelle Herabkommen in unvollkommener Weise, bevor die Seele hervortreten und die Leitung übernehmen kann. Die seelische Entwicklung muss zuerst erfolgen, bevor ein vollkommenes und ungestörtes spirituelles Herabkommen,stattfinden kann, und die letzte oder supramentale Wandlung ist unmöglich, solange die beiden ersten nicht vollzogen sind. Das ist die ganze Angelegenheit, so kurz wie möglich dargestellt.

 

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Was du von mir verlangst, heißt nicht einen Brief, sondern ein ganzes Buch zu schreiben – zumal dies Dinge sind, von denen die Menschen so gut wie nichts wissen und daher nichts verstehen oder alles missverstehen würden. Eines Tages, glaube ich, werde ich etwas darüber schreiben, doch erträgt es das Supramental im Augenblick nicht, dass man von ihm spricht. Ich werde dir etwas über die spirituelle Umwandlung schreiben und den Brief mit diesem Thema beenden.

Ich möchte nicht weiter auf die Frage von M.s Verwirklichung eingehen. Ich sagte bereits, Vergleiche sind ohne Wert; jeder Pfad hat sein eigenes Ziel, seine Richtung und Methode, und die Wahrheit des einen entwertet nicht die Wahrheit des anderen. Das Göttliche (oder wenn du so willst das Selbst) hat viele Aspekte und kann auf vielen Wegen verwirklicht werden – diese Unterschiede hervorzuheben bringt uns nicht weiter und ist nutzlos.

Umwandlung [transformation] ist ein Wort, das von mir stammt (wie Supramental), um gewisse spirituelle Vorstellungen und Tatsachen des integralen Yoga zu formulieren. Die Menschen aber übernehmen und gebrauchen sie in einem Sinn, der nichts mit der Bedeutung zu tun hat, die ich ihnen gab. Die Läuterung der Natur durch den „Einfluss“ des Spirits ist nicht das, was ich mit Umwandlung bezeichne; Läuterung ist nur ein Teil der seelischen oder einer seelisch-spirituellen Wandlung – außerdem hat das Wort viele Bedeutungen, oft mit moralischem oder ethischem Sinn, der nichts mit meinem Ziel zu tun hat. Was ich mit spiritueller Umwandlung meine, ist etwas Dynamisches (nicht nur die Befreiung des Selbstes oder die Verwirklichung des Einen, was sehr wohl ohne jedes Herabkommen erreicht werden kann). Es ist ein Annehmen des spirituellen Bewusstseins, sowohl dynamisch als auch statisch, in jedem Teil des Wesens bis hinunter ins Unterbewusste. Dies kann nicht durch den Einfluss des Selbstes geschehen, welches das Bewusstsein grundsätzlich so belässt wie es ist, wenn auch geläutert und mit einem erleuchteten Mental und Herzen und einem beruhigten Vital. Es bedeutet ein Herabbringen des Göttlichen Bewusstseins, statisch und dynamisch, in all diese Teile und die völlige Ersetzung des gegenwärtigen Bewusstseins durch jenes. Es befindet sich unverhüllt und rein über dem Mental, Leben und Körper. Die unleugbaren Erfahrungen vieler bestätigen, dass dieses herabzukommen vermag, und meine Erfahrung ist, dass nichts Geringeres als die volle Herabkunft jenen Schleier, jenes Gewirr beseitigen und die volle spirituelle Umwandlung bewirken kann. Kein metaphysisches oder logisches Schlussfolgern im Leeren, was der Atman tun muss oder kann, was er soll oder nicht soll, trifft hier zu oder hat irgendwelchen Wert. Ich möchte hinzufügen, dass diese Umwandlung nicht das eigentliche Ziel anderer Pfade ist, so wie in meinem Yoga. Diese anderen Yogasysteme verlangen nur so viel Läuterung und Wandlung, wie für die Befriedung und das jenseitige Leben notwendig sind. Der Einfluss des Atman vermag dies ohne Zweifel – und für eine spirituelle Flucht aus dem Leben ist das volle Herabkommen eines neuen Bewusstseins in die ganze menschliche Natur von oben bis unten zur Umwandlung des Lebens auf Erden ganz und gar nicht nötig.

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Das Herz, von dem in den Upanishaden die Rede ist, stimmt mit dem physischen Herzzentrum überein; es ist das hrdpadma der Tantriker. Als feinstoffliches Zentrum, cakra, hat es vermutlich seinen Scheitelpunkt auf der Wirbelsäule und weitet sich nach vorne aus. Wo der eine oder andere es genau fühlt, ist nicht so wichtig; die Hauptsache ist, es zu fühlen und von ihm gelenkt zu werden. Ich vermag nicht zu sagen, was M. verwirklicht hat – doch was als das Selbst beschrieben wird, ist sicherlich dieser Purusha Antaratma, der hier jedoch eher auf mukti und ein befreites Tun ausgerichtet ist als auf die Umwandlung der Natur. Was die seelische Verwirklichung tatsächlich mit sich bringt, ist eine seelische Wandlung der Natur, die diese läutert und insgesamt dem Göttlichen zuwendet. Danach oder gleichzeitig damit erfolgt die Verwirklichung des kosmischen Selbstes.

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Diese beiden Dinge sind es, die von den alten Yogasystemen mit einbezogen wurden und mit deren Hilfe sie moksha, nirvana oder den Eintritt in eine Art himmlischer Transzendenz erreichten. Der Yoga, der hier ausgeübt wird, umfasst sowohl die Befreiung als auch die Transzendenz, doch betrachtet er die Befreiung und selbst eine Art nirvana, sofern sich dies einstellt, als einen ersten Schritt und nicht als den letzten seiner siddhi. Welchen Durchbruch zur oder auf die Transzendenz hin er auch immer erreicht, es ist ein Aufstieg, begleitet von einem Herabkommen der Macht, des Lichtes, eines erlangten Bewusstseins, und durch solche Herabkünfte kommt die spirituelle und supramentale Umwandlung hier zustande. Dies scheint in M.s Denken keine Zustimmung zu finden, und er sieht die Herabkunft als überflüssig und logisch unmöglich an. „Das Göttliche ist hier, von woher will es herabkommen?“ ist sein Argument. Doch das Göttliche ist überall, es ist über uns und in uns, es hat viele Wohnungen, und der Bogen seiner Macht hat viele Saiten, es gibt viele Ebenen seines dynamischen Bewusstseins, und jede hat ihr eigenes Licht und ihre eigene Kraft. Es ist nicht auf seinen Ort im Herzen beschränkt oder auf ein einzelnes Wort seelisch-spiritueller Verwirklichung. Seine supramentale Bleibe ist auch über dem Herz- und Mental-Zentrum, und es kann von dort herabkommen, wenn es dies will.