Briefe über den Yoga

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Die Formulierungen, die in deinen Augen wenigstens oberflächlich unserem Ideal der Umwandlung zu gleichen scheinen, haben allgemeinen Charakter und könnten ohne Bedenken von beinahe jeder spirituellen Disziplin akzeptiert werden; selbst der Illusionismus wäre willens, sie als ein gewisses Stadium oder als Erfahrung auf dem Weg anzunehmen. Alles hängt davon ab, welchen Inhalt du den Worten gibst, welche tatsächliche Veränderung des Bewusstseins und des Lebens sie bezeichnen sollen. Wenn es die Umwandlung „von der Sünde zur Heiligkeit“ durch die Einung der Seele mit Gott ist, „in einem intellektuellen Licht voller Liebe“ – das ist die genaueste Aussage in diesen Auszügen –, dann ist sie ganz und gar nicht identisch damit, was ich mit Umwandlung bezeichne, sondern vielmehr sehr weit davon entfernt. Denn die Umwandlung, die ich meine, ist nicht diejenige von der Sünde zur Heiligkeit, sondern von der niederen Natur der Unwissenheit zur Göttlichen Natur des Lichtes, des Friedens, der Wahrheit, der Göttlichen Macht und Seligkeit jenseits der Unwissenheit. Sie ist auf ein höchstes, selbstbestehendes Gutes gerichtet und lässt die begrenzte, schwerfällige menschliche Vorstellung von Tugend und Sünde hinter sich; die Sonne ihres Strebens ist kein intellektuelles Licht, sondern ein spirituelles, überintellektuelles, supramentales Licht; nicht Heiligkeit ist ihr Höhepunkt, sondern das göttliche Bewusstsein oder – wenn du so willst – die Seelen-heit, die Spirit-heit, die bewusste Selbst-heit, die Göttlich-keit. Daher besteht zwischen diesen beiden Arten oder Graden der Umwandlung ein gewaltiger Unterschied.



I. „C‘est un abandon heroique ou l‘ame parvient au sommet de I‘activite libre, ou la personne se transforme, ou ses facultes sont epurees, deifiees par la grace, sans que son essence soit detruite.“

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Was ist mit „freier Aktivität“ gemeint? Für mich besteht Freiheit im Freisein von Dunkelheit, Begrenzung, Irrtum, Leiden, von der Vergänglichkeit der unwissenden niederen Natur, doch ebenfalls in einer vollkommenen Hingabe an das Göttliche. Freies Wirken ist das Wirken des Göttlichen in uns und durch uns; keine andere Tätigkeit kann frei sein. Das scheint in II und III akzeptiert zu werden; doch diese Erkenntnis, diese Auffassung ist so alt wie spirituelles Wissens selbst – es ist keine besondere Eigenart des Katholizismus. Und wiederum, was ist gemeint mit der Läuterung und Vergöttlichung der Fähigkeiten durch die Gnade? Sofern eine ethische Läuterung gemeint ist, so ist dies ein sehr kleiner Weg, der nicht zur Vergöttlichung führt. Und wiederum, wenn die Vergöttlichung durch das intellektuelle Licht begrenzt ist, kann sie auch nur eine ziemlich unbedeutende Angelegenheit sein. Es gab ein ähnliches Ziel in der alten indischen Spiritualität, doch hatte es einen größeren Maßstab und mehr Höhe als dies. Keine spirituelle Disziplin zielt auf Läuterung oder Vergöttlichung durch die Zerstörung der Essenz – etwas Derartiges kann es nicht geben, und die Formulierung als solche ist sinnlos und widerspricht sich selbst. Die Essenz des Wesens ist unzerstörbar. Selbst die strengste Advaita-Disziplin zielt auf keine derartige Zerstörung; ihr Ziel ist die reinste Reinheit des essentiellen Selbstes. Umwandlung zielt auf diese essentielle Reinheit des reinen Spirits, doch fordert sie ebenfalls die Reinheit und Göttlichkeit der höchsten Natur; nicht die Essenz unseres Wesens, sondern die Zufälligkeiten unserer unentwickelten, unvollkommenen Natur werden zerstört und durch die Manifestation der göttlichen Natur ersetzt. Der monistische Advaita hat die Auflösung des Ego zum Ziel und nicht die der Essenz der Person; er erreicht diese Auflösung durch Identität mit dem Einen, durch Auflösung des von der Natur geformten Ego in der Wirklichkeit des ewigen Selbstes, denn dieses und nicht das Ego – sagt er – ist die Essenz der Person, so-ham tat tvam asi. Auch in unserer Auffassung der Umwandlung gibt es die Zerstörung des Egos, seine Auflösung im kosmischen und göttlichen Bewusstsein, doch durch diese Zerstörung erlangen wir die wahre oder spirituelle Person, die ein ewiger Teil des Göttlichen ist.



lI. „La contemplation du Chretien est inseparable de l‘etat de la Grace

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 et de vie divine. S‘il doit s‘aneantir, c‘est encore sa personnalite qui triomphe en se laissant arracher a tout ce qui n‘est pas elle, en brisant tous les liens qui I‘unissent a son individu de chair, afin que le Dieu vivant puisse s‘en saisir, l‘assumer, I‘habiter.“

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III. „Liberte consiste d‘abord a subordonner ce qui est inferieur dans sa nature a ce qui lui est superieur.“

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Diese Stellen kann man im obigen Sinn auffassen und als eine Annäherung an unser Ideal betrachten; doch die Verwirrung hier entsteht durch den Gebrauch des Wortes „Person“. Die Person ist ein zeitweiliges Gebilde, sie unsterblich zu machen hieße, Unwissenheit und Begrenzung unsterblich zu machen. Das wahre „Ich“ ist nicht das mentale Ego oder die gegenwärtige Person, die nichts als Maske ist, sondern das ewige „Ich“, das verschiedene Personalitäten in verschiedenen Leben annimmt. Die Ursache dieses Irrtums ist die christliche und europäische Vorstellung eines einmaligen Lebens auf Erden, da sie uns unsere gegenwärtige Person als unser ganzes Selbst erscheinen lässt... Und wiederum, es ist nicht allein die physische Individualität, die uns an die Unwissenheit bindet, sondern auch die mentale und vitale Individualität. All diese Fesseln müssen zerbrochen werden, die unvollkommenen Formen des Mentals und Lebens müssen zurückgelassen, das Mental in etwas jenseits des Mentals, das Leben in ein göttliches Leben umgewandelt werden, wenn die Umwandlung eine wirkliche sein soll und nicht nur ein neues Gestalten oder Erhöhen der Lichter der Unwissenheit.



IV. „Cette solitude de l‘ame (de l‘ascete asiatique) ... n‘est pas le vrai loisir spirituel, la solitude active ou s‘opere la transformation du peche en saintete par I‘union de l‘ame avec Dieu dans une lumiere intellectuelle toute pleine d‘amour.“

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Ich habe diese Beschreibung der zu erzielenden Umwandlung bereits kommentiert und nur noch einen Vorbehalt hinzuzufügen. Die Einsamkeit des Selbstes im Göttlichen muss ohne Zweifel sowohl aktiv als auch passiv und statisch sein; denn einer, der nicht das Schweigen und die regungslose Stille des ewigen Selbstes erlangt hat, kann nicht die freie und integrale Aktivität der höheren göttlichen Natur besitzen. Wirken gründet sich auf Schweigen und ist durch Schweigen frei.



V. „... la vie chretienne – mystique progressive qui est un enrichissement, un elargissement infini de la personne humaine.“

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Dies ist nicht unsere Vorstellung der Umwandlung, denn die menschliche Person ist das mentale Wesen, das von Leben und Körper begrenzt ist. Ihre Bereicherung und Erhöhung vermögen nicht die äußerste Grenze ihrer Gegebenheiten zu überschreiten, sondern nur ihre gegenwärtige Armut und Enge zu weiten und zu schmücken. Sie kann nicht aus der mentalen Unwissenheit in eine größere Wahrheit, ein größeres Licht aufsteigen oder sie in ihrer Fülle in die Erd-Natur herabbringen, welches das Ziel der Umwandlung ist, wie wir sie auffassen.



VI. „Pour I‘asiatique la personnalite est la chute de I‘homme; pour le chretien, c‘est le dessein meme de Dieu, le principe de l‘union, le sommet naturel de la creation, qu‘il appelle tout entiere d la Grace.“

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Die Personalität dieses einzigen Menschenlebens ist eine Schöpfung der Unwissenheit und daher ein Fall; sie kann nicht der Höhepunkt des Daseins sein. Wir gestehen ihr nicht einmal zu, der Gipfel der natürlichen Schöpfung zu sein, sondern sind der Meinung, dass es höhere Gipfel zu erklimmen gibt, deren Mächte in der Erd-Natur zu enthüllen sind. Die natürliche Schöpfung ist eine Evolution des verborgenen Göttlichen Bewusstseins in der Natur, das vor allem durch die Unwissenheit begrenzt und verhüllt ist. Sie hat diese Unwissenheit zu überschreiten und jenseits der menschlichen Person zur göttlichen Person zu gelangen. In dieser spirituellen Evolution weist der Göttliche Plan seine zentrale und kennzeichnende Richtung auf und ruft die gesamte Schöpfung zur krönenden Gnade.



Du wirst daher erkennen, dass eine Ähnlichkeit der Umwandlung mit unserem Ideal nur an der Oberfläche besteht, in den Worten, nicht im Inhalt der Worte, der viel begrenzter ist und einer anderen Kategorie angehört. Wenn wir Übereinstimmung und Gleichartigkeit antreffen, dann deshalb, da dort etwas enthalten ist, was allen spirituellen Disziplinen gemein ist (eine Art Bewusstseins-Veränderung); denn alle, sowohl im Osten als auch im Westen, haben einen gemeinsamen Kern der Erfahrung – es ist die Art ihrer Entwicklung, ihrer Reichweite, ihrer Hinwendung zu diesem oder jenem Aspekt der Wahrheit oder auch ihres Strebens nach der Totalität der Wahrheit, worin sie sich unterscheiden.



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Es besteht kein Zusammenhang zwischen der christlichen Auffassung (des Himmlischen Königreiches) und der Vorstellung der supramentalen Herabkunft. Die christliche Auffassung spricht von einem Zustand der Dinge, der durch religiöses Gefühl und moralische Läuterung entsteht; doch all dies, welchen Wert es auch immer für den einzelnen haben mag, kann die Welt ebensowenig verändern wie geistiger Idealismus oder irgendeine andere Kraft, auf die man sich bislang für diesen Zweck berief. Der Christ will das Ego des rajas und tamas durch das religiöse Ego des sattva ersetzen; doch obwohl dies als individuelle Vollendung durchaus möglich wäre, hat es in der Masse nie Erfolg gehabt und wird nie Erfolg haben. Es hat keine höhere spirituelle oder psychologische Erkenntnis hinter sich und missachtet die Grundlage des menschlichen Charakters und den Ursprung des Problems – nämlich die Dualität von Mental, Leben und Körper. Wenn nicht die Herabkunft einer neuen Bewusstseins-Macht stattfindet, die den Dualitäten nicht unterworfen, aber dennoch dynamisch ist, und durch sie eine neue Grundlage und ein Erheben des Bewusstseins-Zentrums über das Mental geschaffen wird, kann das Königreich Gottes auf Erden lediglich ein Ideal sein, aber keine Wirklichkeit gewordene Tatsache im allgemeinen Erdbewusstsein und Erdenleben.

 



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1

 Maya ist nichts anderes als Brahman, frei von den Umständen, durch die er sich ausdrückt. Sri Aurobindo: The Yoga and its Objects, 1968, S. 39.



2

 Es ist tatsächlich keine Illusion in dem Sinne, dass dem Bewusstsein etwas Grundloses und Unwirkliches auferlegt wird, sondern eine Fehldeutung durch das bewusste Mental und die Sinne und ein verfälschender Missbrauch des manifestierten Daseins.



3

 Sri Aurobindo bezieht sich hierauf Bertrand Russell, den bekannten englischen Philosophen und Empiriker.



4

 „Denn hinter dem sad atman, dem Selbst als reinem Daseins, ist das Schweigen des asat, welches die buddhistischen Nihilisten als sunyam, die Leere, erkannten, und jenseits dieses Schweigens ist der paratpara purusa, der höchste purusa“. Sri Aurobindo, The Yoga and lts Obiects, 1968, S. 12-13 (vgl. S. 50)



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 „Die Großen... entsagen ihrem Recht, zu einer noch Höheren Evolution weiterzugehen, und bleiben innerhalb des Kosmos zum Wohle aller fühlenden Wesen... Diese Bodhi-Kräfte sind es, welche die Menschheit... zu einer vollkommenen sozialen Ordnung auf Erden führen werden.“ W. Y. Evans-Wentz. Tibetian Yoga and Secret Doctrines (vgl. S. 50)



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 Auf diese Weise setzt die Lehre von sunyata, die dem ganzen Prajna-Paramita zugrunde liegt, ein Absolutes als der Erscheinungswelt innewohnend voraus, denn das Absolute ist der Ursprung und die Grundlage der Erscheinungen. ...und in der letzten Analyse der Dinge durch das Bodhi-erleuchtete Mental, das von der Unwissenheit befreit ist, verschwindet die Dualität und nichts bleibt als der Eine in Allen und Alle im Einen. Ibid.



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 Die mikrokosmische Darstellung des Makrokosmischen besteht als unpersönliches Prinzip in allem Dasein oder in Zuständen von bedingtem Sein innerhalb des samsara (das gewöhnliche Leben in der Unwissenheit)... Doch das unpersönliche Bewusstseinsprinzip kann in keiner Weise mit der Persönlichkeit identifiziert werden, die durch einen Namen, eine körperliche Form oder ein samsara-Mental vertreten wird.. es gehört selbst nicht dem samsara an, da es unerschaffen, ungeboren, ungeformt ist, jenseits menschlicher Vorstellung und Bestimmung und daher Raum und Zeit übersteigend... es ist anfangslos und endlos. Ibid.



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 „Befreie das Selbst mit Hilfe des Selbstes“ (Gita VI-5) und „Lass alles dharma hinter dir“ Ibid. XVIII, 66 (vgl. S. 73 + 3)



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 Vishnuismus :Eine Sekte von Anhängern des Gottes Vishnu, die besonders den bhakti-Weg bevorzugt. Im folgenden wird sowohl der im Deutschen übliche Ausdruck Vishnuismus verwendet als auch das Wort Vaishnavismus, das Sri Aurobindo gebraucht.



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 „Bases of Yoga“



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 Yoga ist die Beherrschung mentaler Regungen.



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 Dieser Brief wurde von Sri Aurobindo diktiert und bezog sich auf die Formulierung „seine Höhen können wir immer erreichen“ aus dem Werk „The Life Divine“, die von Aldous Huxley zitiert und kommentiert wurde in seinem Buch „The Perennial Philosophy“ (1946, 5. 7 4).



Das Zitat lautete: „Die Berührung der Erde stärkt immer wieder den Sohn der Erde, selbst wenn er überphysisches Wissen sucht. Es kann sogar gesagt werden, dass das Überphysische in seiner Fülle wirklich nur dann gemeistert werden kann – seine Höhen können wir immer erreichen –, wenn wir mit den Füßen fest im Physischen stehen. „Die Erde ist Sein Halt“, sagt die Upanishad, wann immer sie sich auf das Selbst bezieht, das sich im Universum manifestiert.“



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 Es ist heroische Hingabe, in welcher die Seele den Höhepunkt der freien Aktivität erreicht, in welcher die Person sich umwandelt, in welcher ihre Fähigkeiten durch die Gnade geläutert und vergöttlicht werden, ohne die Zerstörung ihrer Essenz.



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 Gnade ist keine Vorstellung, die der christlichen spirituellen Idee eigentümlich ist, es gibt sie im Vaishnavismus, Shivaismus, in der Shakta-Religion – dieser Begriff ist so alt wie die Upanishaden selbst.



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 Für den Christen ist die Kontemplation untrennbar mit dem Zustand der Gnade und des göttlichen Lebens verbunden. Wenn er sich auszulöschen hat, so ist es dennoch seine Person, die triumphiert, indem diese sich entreißen lässt, was nicht zu ihr gehört, indem sie alle Bande zerschneidet, die sie mit ihrer inkarnierten Individualität verbinden, damit der lebende Gott von ihr Besitz ergreifen, sie annehmen und bewohnen kann.



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 Freiheit besteht vor allem darin, das Niedere der eigenen Natur dem Höheren unterzuordnen.



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 Diese Einsamkeit der Seele (des asiatischen Asketen)... ist nicht die wahre spirituelle Muße, jene aktive Einsamkeit, in der sich die Umwandlung von der Sünde zur Heiligkeit vollzieht durch die Einung der Seele mit Gott in einem intellektuellen Licht voll Liebe.



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 ...das christliche Leben – mystisch, progressiv – das eine unendliche Bereicherung und Erhöhung der menschlichen Person ist.



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 Für den Asiaten ist die Personalität des Menschen sein Fall; für den Christen ist sie das eigentliche Ziel Gottes, das Prinzip der Einung, die natürliche Krönung der Schöpfung, die er insgesamt zur Gnade ruft.






3. Kapitel

Religion, Moral, Idealismus und Yoga



Das spirituelle Leben (adhyatma jivana), das religiöse Leben (dharma jivana) und das gewöhnliche menschliche Leben, zu dem die Moral gehört, sind drei grundverschiedene Dinge, und man muss wissen, was man will, und darf diese drei nicht miteinander verwechseln. Das gewöhnliche Leben ist das des durchschnittlichen menschlichen Bewusstseins, von seinem wahren Selbst und vom Göttlichen getrennt und gelenkt von den üblichen Gewohnheiten des Mentals, Lebens und Körpers, den Gesetzen der Unwissenheit. Das religiöse Leben ist eine Bewegung des gleichen unwissenden menschlichen Bewusstseins, das sich von der Erde abwendet oder abzuwenden versucht, dem Göttlichen zu, doch bislang ohne Erkenntnis und gelenkt von den dogmatischen Lehren und Regeln einer Sekte oder eines Glaubensbekenntnisses, die Anspruch darauf erheben, den Weg aus den Banden des Erdbewusstseins in irgendein glückseliges Jenseits gefunden zu haben. Das religiöse Leben mag die erste Annäherung an das spirituelle sein, doch sehr häufig ist es nur ein auswegloses Umherwandern in einem Kreis von Riten, Zeremonien und Praktiken oder von starren Ideen und Formen. Das spirituelle Leben hingegen schreitet direkt durch eine Bewusstseinsveränderung fort, eine Veränderung des gewöhnlichen Bewusstseins, das unwissend und von seinem wahren Selbst und Gott getrennt ist, in ein größeres Bewusstsein, in dem man sein wahres Wesen findet und mit dem Göttlichen zuerst in einen direkten und lebendigen Kontakt tritt und dann zu einer Einung mit ihm gelangt. Für den spirituell Suchenden ist diese Bewusstseinsveränderung das eine, das er sucht, und nichts anderes zählt für ihn.



Moral ist ein Teil des gewöhnlichen Lebens; sie ist ein Versuch, das äußere Verhalten durch gewisse mentale Regeln zu lenken oder den menschlichen Charakter mit Hilfe dieser Regeln dem Vorbild eines gewissen mentalen Ideals anzupassen. Das spirituelle Leben überschreitet das Mental; es tritt in das tiefere Bewusstsein des Spirits ein und handelt aus der Wahrheit des Spirits. Was die Frage des ethischen Lebens anbelangt und das Erfordernis, Gott zu erkennen, so hängt das davon ab, was mit der Erfüllung der Lebensziele gemeint ist. Wenn das Erlangen des spirituellen Bewusstseins dazugehört, dann wird es dir die bloße Moral nicht geben.



Politik als solche hat nichts mit dem spirituellen Leben zu tun. Wenn der spirituelle Mensch etwas für sein Vaterland tut, dann geschieht es, um den Willen des Göttlichen zu erfüllen und als Teil einer göttlich ausgerichteten Arbeit und nicht aus einem üblichen menschlichen Motiv heraus. In keiner seiner Taten lässt er sich – wie die gewöhnlichen Menschen – von den üblichen mentalen und vitalen Motiven bewegen, sondern handelt aus der Wahrheit des Spirits und gehorcht einem inneren Befehl, dessen Ursprung er kennt.



Die Art der Anbetung, von der in dem Brief die Rede ist, gehört dem religiösen Leben an. Sie kann, sofern sie in einem zutiefst religiösen Geist durchgeführt wird, Mental und Herz bis zu einem gewissen Grad vorbereiten, doch nicht mehr. Wenn jedoch die Anbetung Teil der Meditation ist oder mit wahrer Aspiration nach spiritueller Wirklichkeit und spirituellem Bewusstsein geschieht, in der Sehnsucht nach der Berührung und Einung mit dem Göttlichen, dann vermag sie spirituell wirksam zu sein.



Wenn du in deinem Herzen und in deiner Seele ein wahrhaftes Streben nach spiritueller Wandlung hast, wirst du den Weg und den Führer finden. Das rein mentale Suchen und Fragen reicht nicht aus, um die Pforten des Spirits zu öffnen.



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Das Göttliche allein mit dem Ziel zu suchen, etwas von ihm erhalten zu können, ist bestimmt nicht die richtige Einstellung; doch wenn es ganz und gar verboten wäre, Ihn deshalb zu suchen, fänden die meisten Menschen auf der Welt den Weg zu Ihm überhaupt nicht. Daher ist es vermutlich erlaubt, damit sie einen Anfang machen; und wenn sie wirklich Glauben haben, ist es möglich, dass sie erhalten, worum sie bitten, und sie werden es für eine feine Sache halten und so weitermachen; und dann, eines Tages, mögen sie plötzlich auf den Gedanken kommen, dass dies schließlich doch nicht ganz das Richtige sei, dass es bessere Wege und eine bessere Einstellung gäbe, sich dem Göttlichen zu nähern. Wenn sie aber nicht erhalten, worum sie bitten, und sich dennoch an das Göttliche wenden und ihm vertrauen – nun das zeigt, dass sie bereit werden. Wir müssen es als eine Art Kinderschule für die Unreifen betrachten. Doch dies ist natürlich nicht das spirituelle Leben, es ist lediglich eine Art elementarer religiöser Annäherung. Die Regel im spirituellen Leben ist, zu geben und nicht zu nehmen. Der Sadhak kann aber um die Göttliche Kraft bitten, damit sie ihm helfe, seine Gesundheit zu bewahren oder sie wiederzuerlangen, wenn er dies als Teil seiner Sadhana tut, damit sein Körper für das spirituelle Leben bereit und fähig und ein brauchbares Instrument für die Göttliche Arbeit wird.



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Das ist richtig. Religionen verändern bestenfalls die Oberfläche der Natur. Sie degenerieren zudem sehr bald in eine Routine von zeremoniell gewohnheitsmäßiger Anbetung und starren Dogmen.



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Ich teile J.s Ansicht über die Hindu-Religion nicht. Religion ist immer unvollkommen; sie besteht aus einem Gemisch von Spiritualität mit den Bestrebungen des Menschen, seine niedere Natur ohne Wissen zu sublimieren. Die Hindu-Religion kommt mir wie eine Tempel-Kathedrale vor, halb Ruine, edel in der Substanz, oft phantastisch im Detail, doch immer von einer Phantastik, hinter der eine Bedeutung steht – niederbröckelnd oder stellenweise schwer beschädigt, doch eine Tempel-Kathedrale, in der immer noch der Unsichtbare verehrt wird und seine reale Gegenwart von jenen gefühlt werden kann, die sie in der rechten Haltung, betreten. Die äußere soziale Struktur, welche sie aufgebaut hat, um sich ihm zu nähern, ist etwas anderes.

 



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Ich betrachte die spirituelle Geschichte der Menschheit und besonders Indiens als eine immerwährende Entwicklung eines göttlichen Planes und nicht als ein Buch, das zugeklappt wurde und dessen Worte ständig wiederholt werden müssen. Selbst die Upanishaden und die Gita waren nichts Endgültiges, obwohl dort alles im Keim enthalten sein mag. In dieser Entwicklung bildet die jüngste spirituelle Geschichte Indiens eine sehr wichtige Phase, und die Namen, die ich erwähnte, nahmen in meinem Denken zu jener Zeit einen besonderen Platz ein, denn sie schienen mir die Richtungen aufzuzeigen, in die die künftige spirituelle Entwicklung ganz unmittelbar zu gehen haben würde, und zwar nicht verweilend, sondern fortschreitend. Ich möchte aber betonen dass es mir fernliegt, eine Religion, ob neu oder alt, für die Menschheit der Zukunft zu verkünden. Meine Auffassung der Sache ist vielmehr, einen Weg zu weisen, der noch verschlossen ist, und nicht eine Religion zu gründen.



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Wenn mit der Bemerkung

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 gemeint ist, die Form der Religion sei etwas Bleibendes und Unveränderliches, kann sie nicht akzeptiert werden. Doch wenn hier mit Religion der eigene Weg der Beziehung zum Göttlichen gemeint ist, dann trifft es durchaus zu, dass dies etwas ist, das zum inneren Wesen gehört und nicht wie ein Haus oder ein Mantel um einer persönlichen, sozialen oder weltlichen Annehmlichkeit willen gewechselt werden kann. Wenn ein Wechsel vollzogen wird, kann es nur aus einem inneren, spirituellen Grund sein, aufgrund einer inneren Entwicklung. Niemand kann an eine Religionsform oder an ein bestimmtes Glaubensbekenntnis oder System gebunden werden; doch wenn er das eine, das er angenommen hat, gegen ein anderes aus äußeren Gründen austauscht, so bedeutet dies, dass er zuinnerst überhaupt keine Religion besitzt und sowohl seine alte als auch seine neue Religion lediglich eine leere Formel ist. Im Grund ist es vermutlich dies, worauf die Bemerkung abzielt. Die Bevorzugung einer neuen, andersartigen Annäherung an die Wahrheit oder der Wunsch nach innerem spirituellen Selbstausdruck sind nicht die Beweggründe für eine Veränderung, gegen die hier ein Einwand erfolgt. Es sind dies vielmehr das Anheben des sozialen Status, ein Abwägen, was ebensowenig ein spiritueller Beweggrund ist wie eine Konversion um des Geldes oder einer Heirat willen. Wenn ein Mensch innerlich keine Religion besitzt, kann er sein Glaubensbekenntnis aus jedem Grund ändern; wenn er sie jedoch besitzt, kann er es nicht, sondern allein dann, wenn er einer spirituellen Forderung folgt. Ein Mensch, der bhakti für das Göttliche in der Gestalt von Krishna empfindet, kann schließlich nicht gut Krishna um Christi willen aufgeben, weil es sein soziales Ansehen erfordert.



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Sicherlich ist vairagya, die Abkehr von der Welt, ein Weg, um sich dem Ziel zu nähern – es ist der traditionelle Weg und gleichzeitig ein drastischer, wenn nicht ein schmerzhafter Weg. Das Verlangen nach menschlich-vitalen Vergnügungen abzulegen oder nach literarischem und anderem Erfolg, nach Lob und Ruhm, selbst die Forderung nach spirituellem Erfolg, jenen inneren bhoga des Yoga aufzugeben, wurde immer als ein Schritt auf das Ziel zu betrachtet – vorausgesetzt, man bewahrt dieses eine Ausgerichtetsein auf das Göttliche. Ich selbst gebe dem ruhigeren Weg des Gleichmuts, dem Weg, den Krishna wies, den Vorzug vor dem schmerzvolleren des vairagya. Doch wenn das Erfordernis der eigenen Natur oder das Erfordernis des inneren Wesens in diese Richtung weist und sich seinen Weg durch die Schwierigkeiten der menschlichen Natur erzwingt, muss dies als die gültige Richtung angesehen werden. Wovor man sich in diesem Falle hüten muss, ist der Ton der Verzweiflung im Vital, das auf den Schrei reagiert, von dem du sprichst – nämlich dass es nie das Göttliche erlangen wird, da es das Göttliche bisher noch nicht erlangt hat, oder dass es keinen Fortschritt macht. Du hast mit Sicherheit einen Fortschritt zu verzeichnen – dieser größere Impuls der Seele und dann die Loslösung selbst, die fortwährend irgendwo in dir wächst. Das Wichtigste ist, durchzuhalten, nicht das Seil zu zerschneiden, weil es deinen Händen weh tut, sondern diese eine Beharrlichkeit zu bewahren, wenn alle anderen von dir abfallen.



Ganz offensichtlich setzt etwas in dir die unbeendigte Kurve eines vergangenen Lebens fort und drängt dich auf den Pfad des vairagya und auf den stürmischeren bhakti-Weg, trotz meiner – und auch deiner – Bevorzugung eines weniger schmerzvollen Weges, etwas, das entschlossen ist, mit der äußeren Natur drastisch zu sein, damit sie frei und ihr geheimes Streben erfüllt wird. Doch höre nicht auf diese Einflüsterungen der Stimme, die sagt, du würdest keinen Erfolg haben, und es sei nutzlos, es zu versuchen. Das ist etwas, was man auf dem Weg des Spirits niemals zu sagen braucht, wie schwierig er auch im Augenblick erscheinen mag. Bewahre in allem diese Sehnsucht, der du in deinen Gedichten so wundervoll Ausdruck verleihst; denn sie ist in dir, in deinen Tiefen, und Wenn sie die Ursache des Leidens ist – wie es große Aspirationen sind in einer Welt und Natur, in denen sich ihnen so viel widersetzt – dann ist sie auch das Versprechen und die Gewissheit eines künftigen Durchbruchs und Sieges.



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Ich wandte mich damals gegen asketisches und tamasisches vairagya. Mit tamasisch meine ich jene Haltung, die durch eine Niederlage im Leben entsteht, nicht weil man tatsächlich vom Leben angewidert ist, sondern weil man ihm nicht gewachsen war oder seinen Preis nicht bezahlen konnte; man wendet sich dann dem Yoga als einer Art Asyl für Krüppel und Schwache und dem Göttlichen als einer Art Trostpreis für die Sitzengebliebenen der Weltklasse zu. Doch für einen, der die Gaben und Werte der Welt gekostet hat, sie aber unzureichend und schließlich reizlos findet und sich deshalb einem höheren und schöneren Ideal zuwendet, oder für einen, der teilhatte am Kampf der Welt, doch dann erkannte, dass etwas Größeres von der Seele gefordert wird, für den ist vairagya durchaus hilfreich und ein guter Anfang für den Yogaweg; ebenso das sattvische vairagya, durch das man erkennt, was das Leben ist, und sich dem zuwendet, was darüber oder dahinter steht. Mit asketischem

vairagya

 meine ich jene Haltung, die Leben und Welt insgesamt verneint und in das Unbestimmbare eingehen will; ich bin gegen

vairagya

 für jene, die diesen Yoga aufnehmen, da es unvereinbar mit meinem Ziel ist, das darin besteht, das Göttliche in das Leben herabzubringen. Doch ist man mit dem Leben so wie es ist zufrieden, dann besteht kein Grund, das Göttliche in das Leben herabzubringen; deshalb ist

vairagya

 in dem Sinn eines Unbefriedigtseins mit den Leben als solchem durchaus zulässig und in gewisser Hinsicht sogar unerlässlich für meinen Yoga.



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Ich anerkenne durchaus, dass ein vorübergehendes Stadium von vairagya als Gegengewicht gegen einen zu starken Sog des Vitals nützlich sein kann. Doch vairagya neigt immer zur Abkehr vom Leben, und das tamasische Element in vairagya, wie Verzweiflung, Niedergeschlagenheit usw., erstickt das Feuer des Wesens und kann sogar dazu führen, dass man zwischen zwei Stühle fällt und so die Erde verliert und den Himmel verfehlt. Ich ziehe es deshalb vor, vairagya durch eine stetige und ruhige Zurückweisung dessen, was zurückgewiesen werden muss, zu ersetzen – Geschlechtstrieb Eitelkeit, Egozentrik, Verhaftetsein usw. –, doch nicht etwa die Zurückweisung jener Tätigkeiten und Mächte, die zu einem Instrument der Sadhana und göttlichen Arbeit gemacht werden können, wie Kunst, Musik, Dichtung usw.; doch diese müssen eine neue, spirituelle oder seelische Grundlage finden, eine tiefere Inspiration, eine Hinwendung zum Göttlichen oder zu göttlichen Dingen. Yoga kann ohne die Zurückweisung des Lebens ausgeübt werden und ohne die Lebensfreude oder die vitale Kraft zu töten oder zu schmälern.



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Nein, ich sagte nicht, dass du das rajasische oder tamasische vairagya gewählt hättest. Ich erklärte lediglich, wie es von selbst entstanden sei, als Ergebnis einer vitalen Bewegung anstelle des sattvischen vairagya, das meist einer Abkehr von der Welt um des Göttlichen willen vorangeht und diese verursacht oder begleitet oder ihr entspringt. Tamasisches vairagya entsteht aus diesem Zurückschrecken des Vitals, wenn es fühlt, dass e