Briefe über den Yoga

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Das Problem besteht darin, dass du als Nichtwissenschaftler versuchst, deine Ideen dem schwierigsten, weil stofflichsten Gebiet der Wissenschaft aufzuerlegen, nämlich der Physik. Doch nur wenn du selbst ein Wissenschaftler wärst und deine Ideen oder auch deine eigenen Entdeckungen auf universal-wissenschaftlich anerkannte Tatsachen gründen könntest, würdest du – und selbst dann nur schwerlich – Beachtung finden oder wäre deine Meinung von Gewicht. Andernfalls gibst du dich der Anschuldigung preis, etwas auf einem Gebiet zu behaupten, auf dem du keine Autorität besitzt, genauso wie es der Wissenschaftler tut, sobald er seine Entdeckungen zur Grundlage für die Behauptung macht, es gäbe keinen Gott. Wenn der Wissenschaftler sagt, dass „wissenschaftlich betrachtet, Gott eine nicht länger notwendige Hypothese sei“, dann spricht er baren Unsinn, denn das Dasein Gottes ist und war nie als eine wissenschaftliche Hypothese, und kann es auch nicht sein, und auch kein wissenschaftliches Problem, denn es war immer ein spirituelles oder metaphysisches Problem. Du kannst wissenschaftlich überhaupt nicht darüber diskutieren, weder pro noch contra. Der Metaphysiker oder spirituell Suchende hat das Recht zu betonen, dass dies unsinnig sei; doch wenn du das gleiche mit dem Wissenschaftler im Bereich der Wissenschaft tust, läufst du Gefahr, dass man dir mit dem gleichen Einwand begegnet.

Was die Einheit allen Wissens anbelangt, so ist dies etwas in posse und nicht in esse. Die mechanische Methode, Wissen zu erlangen, führt zu bestimmten Ergebnissen, die höhere Methode führt zu bestimmten anderen Ergebnissen. und diese können an vielen Punkten grundsätzlich verschieden sein. Wie soll man den Unterschied überbrücken, da jede in ihrem eigenen Bereich gültig zu sein scheint; dies ist ein noch zu lösendes Problem, doch kannst du es nicht auf die Weise lösen, die du vorschlägst, am wenigsten auf dem Gebiet der Physik. In der Psychologie kann man sagen, dass die mechanische oder physiologische Methode die Sache am falschen Ende anfasse und die am wenigsten brauchbare sei, denn Psychologie ist nicht in erster Linie eine Sache des Mechanismus und des Maßes, sondern öffnet sich vielmehr in ein weites Feld jenseits der physischen Instrumentierungen des Körperbewusstseins. In der Biologie kann man einen Schimmer von dem, was jenseits des Mechanismus liegt, erhaschen, da hier von Anfang an eine Bewusstseinsbewegung erkennbar ist, die mehr und mehr ihrem Selbstausdruck entgegenschreitet und sich in diesem selbst ordnet. Doch in der Physik bist du im eigentlichen Bereich des mechanischen Gesetzes, in dem allein der Vorgang als solcher zählt und das auslösende Bewusstsein sich mit größter Gründlichkeit zu verbergen weiß, so dass es „wissenschaftlich gesprochen“ gar nicht existiert. Man kann es hier allein mit Hilfe von Okkultismus und Yoga entdecken, doch die Methode der okkulten Wissenschaft und des Yoga ist durch die Mittel der Physik weder messbar noch anwendbar – und daher bleibt der Abgrund bestehen. Man wird eines Tages in der Lage sein, ihn zu überbrücken, doch der Physiker wird voraussichtlich nicht der Brückenbauer sein; daher ist es sinnlos, ihn darum zu bitten, das zu testen, was jenseits seines Bereiches liegt.

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Der Wunsch [der Okkultisten und Spiritisten], die Naturwissenschaftler zu überzeugen, ist absurd und unlogisch. Die Naturwissenschaftler haben ihren eigenen Bereich mit eigenen Instrumenten und Richtlinien. Gleiche Tests an Phänomenen von verschiedener Art anzuwenden, ist ebenso töricht, wie spirituelle Wahrheit physikalisch zu testen. Man kann Gott nicht analysieren, ebensowenig wie man die Seele unter einem Mikroskop sehen kann. Und entmaterialisierte Geister oder gar psycho-physische Phänomene jenen Tests und Normen zu unterziehen, die allein für stoffliche Phänomene gültig sind, ist eine höchst unrichtige und unbefriedigende Methode. Zudem ist der Naturwissenschaftler meist entschlossen, das nicht anzuerkennen, was nicht in sein System und dessen Formeln sauber verpackt und dann etikettiert und beschriftet werden kann. Dr. J. Romain, der sowohl Wissenschaftler als auch ein großer Schriftsteller ist, macht Experimente, um zu beweisen, dass der Mensch mit verbundenen Augen sehen und lesen kann, und die Wissenschaftler weigern sich, die Ergebnisse auch nur zur Kenntnis zu nehmen oder davon zu berichten. Khusa Baksh beweist es offen, unbezweifelbar und besteht alle gültigen Tests, und die Wissenschaftler sind absolut nicht willens, die Tatsache zuzugeben oder sie zu erwähnen, obgleich seine Ergebnisse unleugbar sind. Er läuft unverletzt über Feuer und entkräftet alle bisherigen Deutungen, doch sie suchen nach einer anderen und einfältigeren Erklärung. Welchen Nutzen hat der Versuch, Menschen zu überzeugen, die entschlossen sind, nicht zu glauben?

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Der wissenschaftliche Geist weigert sich, irgend etwas unklassifiziert zu lassen. Hat er nicht auch das Göttliche klassifiziert?

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Das Mental dieser Leute [der Wissenschaftler] ist zu sehr daran gewöhnt, sich mit physischen Dingen, die mit Instrumenten und Zahlen messbar sind, auseinanderzusetzen, als dass es für einen anderen Bereich noch von Wert ist. Einsteins Ansichten außerhalb seines Fachgebietes sind unreif und kindisch, eine Art von unsubstantiellem, allgemeingültigem Idealismus ohne Beziehung zur Wirklichkeit. Ein Mensch kann ein großer Gelehrter und dennoch simpel und töricht sein; genauso kann ein Mensch ein großer Wissenschaftler sein, während sein Mental und seine Vorstellungen in anderen Dingen unbedeutend sind.

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Psychologen natürlich, die sich mit mentalen Regungen auseinanderzusetzen haben, erkennen leichter, dass es keine wirkliche Gleichsetzung zwischen diesen und den physiologischen Vorgängen geben kann und höchstens Mental und Körper aufeinander einwirken, was unvermeidlich ist, da sie beieinander wohnen. Doch selbst ein großer Naturwissenschaftler wie Huxley erkennt, dass das Mental etwas von der Materie Grundverschiedenes ist und nicht mit den Begriffen der Materie erklärt werden kann. Dennoch ist die Naturwissenschaft seither sehr arrogant und eingebildet geworden und versucht zu erreichen, dass sich ihr und ihren Methoden alles unterordnet. Nun hat sie in der Theorie begonnen, ihre Begrenzungen auf eine allgemeine Weise zu erkennen, doch ist die alte Denkweise den meisten Wissenschaftlern noch zu sehr eingefleischt, als dass sie diese sofort ablegen könnten.

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Der Artikel liest sich, als wäre er eher von einem Gelehrten als einem Philosophen geschrieben worden. Du meinst vermutlich das Überleben jener wissenschaftlichen Verachtung der Metaphysik im 19. Jahrhundert; und zwar, dass alles Denken sich auf wissenschaftlichen Tatsachen zu gründen habe und dass die – oft so fehlerhaften und oberflächlichen – Verallgemeinerungen der Wissenschaft die Grundlage für jedes vernünftige metaphysische Denken bilden müssen. Das würde bedeuten, die Philosophie zum Dienstmädchen der Wissenschaft zu machen und die Metaphysik zum Schlachtenbummler der Physik und ihr die ihr angestammten Rechte in ihrem ureigenen Bereich zu verweigern. Man übersieht die Tatsache, dass der Philosoph sein eigenes Gebiet und seine eigenen Instrumente besitzt; er kann wissenschaftliche Entdeckungen als Stoff benützen, genau wie irgendwelche anderen Tatsachen des Daseins, doch die allgemeinen Schlussfolgerungen der Wissenschaft muss er nach seinen eigenen Maßstäben beurteilen – ob und inwieweit sie geeignet sind, auf die metaphysische Ebene übertragen zu werden. Eine derartige Einstellung war vielleicht in der Blütezeit der Naturwissenschaft gerechtfertigt, bevor sie ihre eigenen Grenzen und die Anfechtbarkeit ihres Schemas der Dinge entdeckte – jener Dinge, die unsicher in einer riesigen Unendlichkeit oder einem grenzenlosen Endlichen des Unbekannten treiben. Doch soll Spiritualität unter dem Namen psychischer Forschung verherrlicht werden? Letztere ist keine Wissenschaft, sie besteht aus einer Masse von obskuren und zweideutigen Ermittlungen, aus denen man nur einige dürftige und zweifelhafte Verallgemeinerungen bilden kann. Und soweit sie zum Okkulten gehört, berührt sie nur die unteren Regionen des Okkulten, das, was wir die untersten vitalen Welten nennen würden, wo es ebenso viel Falschheit und Irrtum und Schwindel gibt wie auf Erden und noch mehr. Ich verstehe zudem viele seiner Bemerkungen nicht. Inwiefern sollte die Voraussage eines künftigen Ereignisses unsere Auffassung oder zumindest die philosophische Auffassung der Zeit verändern? Es könnte die Vorstellung von der Beziehung der Ereignisse zueinander verändern oder vom Ausarbeiten der Kräfte oder der Möglichkeiten des Bewusstseins, doch die Zeit bleibt die gleiche wie zuvor.

3Dein Traum bedeutet natürlich den Versuch, eine Verbindung auf der feinstofflichen Ebene herzustellen. Was du über Telefon und Kino sagst, stimmt teilweise, doch scheint mir, dass diese und andere moderne Dinge einen anderen Charakter angenommen hätten, wenn sie in anderer Einstellung aufgenommen und gebraucht worden wären. Die Menschheit war für diese Entdeckungen im spirituellen Sinn nicht bereit und nicht einmal im intellektuellen Sinn, wenn das gegenwärtige Durcheinander als Zeichen dafür gelten kann. Der ästhetische Niedergang hat vielleicht eine andere Ursache, zum Beispiel enttäuschten Idealismus, der in seinem Rückzug sein Gegenteil hervorbringt, nämlich einen trockenen und zynischen Intellektualismus, der von einem Ideal nicht enttäuscht werden will, von etwas Romantischem oder Emotionalem oder von irgend etwas, das über die Vernunft hinausreicht, die im Licht der Sinne wandert. Die asuras der Vergangenheit waren häufig große Wesen; der Ärger mit den gegenwärtigen rührt eher daher, dass sie nicht wirkliche asuras sind, sondern Wesen der niederen vitalen Welt, gewalttätig, brutal, unedel, und vor allem engstirnig, unwissend und dunkel. Doch diese Art zynischer und enger Intellektualismus, der sich ausbreitet, wird nicht andauern, er bereitet sein eigenes Ende durch die um sich greifende Dürre vor, und die Menschen beginnen, das Erfordernis neuer Lebensquellen zu fühlen.

 

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Ich glaube nicht, dass deine beiden Fragen hinsichtlich der spirituellen Sadhana von großer Wichtigkeit sind.

1. Die Frage bezüglich Wissenschaft und Spiritualität wäre vor zwanzig Jahren von einiger Bedeutung gewesen und beschäftigte die Menschen in den frühen Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, doch das ist nun vorbei. Die Wissenschaft selbst ist zu dem Schluss gekommen, dass sie nicht – wie sie einst hoffte – entscheiden kann, was die Wahrheit oder die wirkliche Natur der Dinge ist; sie kann sich nur mit dem Ablauf der physischen Dinge befassen, wie diese sich ereignen oder nach welchen Richtlinien die Menschen mit ihnen umgehen oder Nutzen aus ihnen ziehen können. In anderen Worten, das Gebiet der Naturwissenschaft ist inzwischen deutlich gekennzeichnet und abgegrenzt worden, und Fragen über Gott oder die höchste Wirklichkeit oder andere metaphysische oder spirituelle Probleme fallen nicht in ihren Bereich. Dies jedenfalls trifft für das kontinentale Europa zu, und nur in England und Amerika versucht man noch, diese Dinge auf naturwissenschaftlicher Grundlage zu erörtern.

Die sogenannten Wissenschaften, die sich mit dem Mental und dem Menschen (Psychologie usw.) befassen, sind so sehr von der Naturwissenschaft abhängig, dass sie deren enge Grenzen nicht überschreiten können. Wenn die Wissenschaft ihr Gesicht dem Göttlichen zuwenden soll, muss es eine neue, bisher noch nicht entwickelte Wissenschaft sein, die sich direkt mit den Kräften der vitalen Welt und des Mentals befasst und auf diese Weise das Mental überschreitet; doch die gegenwärtige Wissenschaft ist hierzu nicht in der Lage.

2. Vom spirituellen Standpunkt aus sind derartige zeitbedingte Phänomene, wie die Hinwendung gebildeter Hindus zum Materialismus, von geringer Bedeutung. Es gab immer Zeiten, in denen der Geist von Nationen, von Kontinenten oder Kulturen sich dem Materialismus zuwandte und sich von jedem spirituellen Glauben abkehrte. Solche Perioden gab es im Europa des 19. Jahrhunderts, doch waren diese meist von kurzer Dauer. West-Europa hat bereits seinen Glauben an den Materialismus verloren und sucht nach etwas anderem, entweder durch die Rückkehr zu alten Religionen oder durch die Suche nach etwas Neuem. Russland und Asien durchlaufen nun den gleichen materialistischen Trend. Diese Wellen deuten auf ein gewisses Erfordernis in der menschlichen Entwicklung hin, nämlich die Fesseln alter Formen zu zerbrechen und ein Feld für neue Wahrheit, für neue Formen der Wahrheit zu öffnen sowie für das Wirken im Leben und das, was hinter dem Leben steht.

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Ich vermute, X gründet seine Ideen auf dem Versuch von Jeans, Eddington und anderen englischen Wissenschaftlern, metaphysische Ergebnisse in wissenschaftliche Daten zu pressen. Es ist notwendig, dass er die Einwände von ernsthafteren Wissenschaftlern gegen eine derartige Vermischung voll zur Kenntnis nimmt. Zudem verfügt die spirituelle Suche über ihre eigene reiche Erfahrung, die nicht im geringsten von den Theorien oder Entdeckungen der Wissenschaft in der rein stofflichen Sphäre abhängig ist. Xs Vorstoß ist, ebenso wie der von Jeans und anderen, eine Reaktion auf den unrechtmäßigen Versuch einiger Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts – und auch von vielen anderen –, den Fortschritt wissenschaftlicher Entdeckungen zu benutzen, um den religiösen Geist weitgehend zu diskreditieren oder auszulöschen und gleichzeitig die Metaphysik als trüben Wortschwall abzutun und dabei die Wissenschaft als den einzigen Hinweis auf die Wahrheit des Universums hinzustellen. Ich glaube aber, dass es diese Einstellung nicht mehr gibt; die Wissenschaftler erkennen inzwischen, wie du sagst, die Grenzen ihres Gebietes. Ich möchte noch hinzufügen, dass dieser Gegensatz zwischen Religion und Wissenschaft sich niemals in Indien zeigte (bis zu den Tagen europäischer Erziehung), da Religion sich nicht in die wissenschaftliche Entdeckung mischte und die Wissenschaftler religiöse oder spirituelle Wahrheit nicht in Frage stellten; beide Dinge waren getrennt und widersprachen einander nicht.

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X irrt, wenn er in seinen Schriften unter allen Umständen auf der Vorstellung beharrt, die Wissenschaft sei noch materialistisch oder zumindest die Wissenschaftler – Jeans und Eddington ausgenommen – seien noch ausgemachte Materialisten. Das ist nicht der Fall. Die meisten europäischen Wissenschaftler haben nunmehr die Idee aufgegeben, dass Wissenschaft das Grundlegende des Daseins erklären könne. Sie sind zu der Ansicht gelangt, Wissenschaft als solche befasse sich allein mit dem Vorgang, nicht mit dem Grundlegenden, und erklären, es sei weder die Aufgabe der Wissenschaft, noch läge es innerhalb ihrer Mittel, jene großen Fragen zu beantworten, die die Philosophie und Religion beschäftigen. Dies ist die ungeheure Wende, die auf die jüngste Entwicklung der Wissenschaft zurückgeführt werden kann. Die Wissenschaft ist heutigentags weder materialistisch noch idealistisch. Das Grundgestein, auf dem der Materialismus aufgebaut wurde und das im 19. Jahrhundert unerschütterlich zu sein schien, ist nun zerbrochen. Der Materialismus ist zu einer philosophischen Spekulation geworden, genau wie jede andere Theorie; er kann nicht beanspruchen, unfehlbare biblische Autorität zu besitzen, die sich aus den Tatsachen und Folgerungen der Wissenschaft herleitet. Ich selbst, der im 19. Jahrhundert, der Zeit des absoluten Höhepunkts des wissenschaftlichen Materialismus, aufwuchs, empfinde diese Wende deutlich. Der Weg, der beinahe völlig blockiert war, es sei denn, man hätte gegen ihn revoltiert, ist nun für spirituelle Wahrheiten, spirituelle Ideen, spirituelle Erfahrungen weit offen. Das ist die wahre Revolution. Mentalismus ist nur eine Zwischenstufe, doch Mentalismus und Vitalismus sind nun durchaus als Hypothesen möglich, die sich auf den Tatsachen des Daseins gründen, auf wissenschaftlichen Tatsachen und anderen. Die Fakten der Wissenschaft zwingen niemanden, sich einer bestimmten philosophischen Richtung zuzuwenden. Sie sind neutral geworden und können sogar manchmal verwendet werden, obwohl dies den meisten Wissenschaftlern als nicht zulässig erscheint. Es ist von unserer Seite niemals behauptet worden, die neuen Entdeckungen der Physik würden die Ideen von Religion oder Kirche stützen; wir haben lediglich behauptet, die Wissenschaft habe ihren alten materialistischen Dogmatismus aufgegeben und sich durch eine revolutionäre Wende von ihrem alten Ankerplatz entfernt. Diese Wende habe ich erwartet und prophezeite sie im ersten „Ahana“-Band „A Vision of Science“ (Vision der Wissenschaft) und „In the Moonlight“ (lm Mondlicht).

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Ich fürchte, jegliches Interesse an solchen Spekulationen verloren zu haben; die Dinge werden für mich zu ernst, als dass ich für derartig flache Intellektualitäten Zeit verschwenden könnte. Es berührt mich nicht im geringsten, wenn du deine Ansicht durchsetzt und dem Dogmatismus einer materialistischen Wissenschaft wieder ihren Platz einräumst – jenem Dogmatismus, der vor einem halben Jahrhundert regierte und der jede Idee, die seine eigenen, engen Grenzen überschritt, als bloße weitläufige Metaphysik, als Mystizismus und Mondschein abtun konnte. Ganz offensichtlich gibt es, wenn stoffliche Energien allein in einer stofflichen Welt existieren können, keine Möglichkeit eines göttlichen Lebens auf Erden. Ein rein metaphysischer „Trick des Mentals“ – wenn man es so bezeichnen kann – würde den Einwänden wissenschaftlicher Verneinung und dem konkreten gesunden Menschenverstand nicht standhalten. Ich war der Meinung viele Wissenschaftler des Kontinents seien dazu übergegangen zuzugeben, dass sie über die wirkliche Wirklichkeit der Dinge nicht länger zu entscheiden vermögen, da sie hierzu die Mittel nicht besäßen, vielmehr lediglich das Wie und den Vorgang der Wirkungsweisen stofflicher Kraft an der physischen Oberfläche entdecken und beschreiben können. Das hätte das Feld für höheres Denken und die Spekulation, für spirituelle Erfahrung und selbst für Mystizismus, Okkultismus und all jene größeren Dinge offen gelassen, die als unmöglichen Unsinn anzusehen inzwischen beinahe jeder sich verpflichtet fühlt. So sahen die Dinge aus, als ich in England war. Wenn das wiederkehren würde oder Russland und sein dialektischer Materialismus die Welt regieren sollten – nun, dann muss man dem Schicksal gehorchen, und das göttliche Leben hat sich damit abzufinden, möglicherweise noch ein weiteres Jahrtausend zu warten. Doch mir gefällt der Gedanke nicht, dass eine unserer Zeitschriften die Arena für dieses Gefecht abgeben soll. Das ist alles. Ich schreibe unter dem Eindruck deiner früheren Artikel zu diesem Thema, da ich die späteren noch nicht sorgfältig durchgesehen habe; möglicherweise sind – wie ich durchaus zugebe – dies letzteren derart überzeugend, dass ich nach ihrem Studium zur Einsicht gelange, meine Einstellung sei falsch und dass nur ein verbohrter Mystiker noch an eine Eroberung der Materie durch den Spirit glauben könne, so wie ich mir diese vorzustellen gewagt hatte. Doch leider bin gerade ich so ein verbohrter Mystiker, und wenn ich nun erlauben würde, dass deine Darlegung der Sache in einer unserer Zeitschriften veröffentlicht würde, müsste ich das Thema, an dem ich das Interesse verloren habe, wieder aufnehmen und zur Feder greifen, um meinen Standpunkt von neuem darzulegen; ich würde den Anspruch der materialistischen Wissenschaft zu bekämpfen haben, irgend etwas zu diesem Thema aussagen zu können, wofür sie weder die Instrumente der Forschung noch irgendwelche Möglichkeit einer endgültigen Entscheidung besitzt. Vermutlich müsste ich das „Life Divine“ neu schreiben als Erwiderung auf die siegreiche „Negation des Materialisten“. Das ist die einzige Erklärung, die ich dir für mein langes und enttäuschendes Schweigen, geben kann, abgesehen davon, dass mir die Zeit fehlt, das Thema selbst aufzugreifen.

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Ich kenne die russische Erklärung, wonach der jüngste Trend zu Spiritualität und Mystizismus als Phänomen einer kapitalistischen Gesellschaft in ihrer Dekadenz zu werten sei. Es ist jedoch eine Eigenart der bolschewistischen Bibel und der Sophisterei eines Karl Marx, in alle Phänomene der Menschheitsgeschichte bewusst oder unbewusst eine wirtschaftliche Ursache hineinzulesen. Die Natur des Menschen ist nicht so einfach und eingleisig, sie weist viele Linien auf, und jede Linie erzeugt ein Erfordernis seines Lebens. Die spirituelle oder mystische Linie ist eine von ihnen, und der Mensch versucht, sie auf verschiedene Weise zu befriedigen, durch Aberglauben aller Art, durch unwissenden Religionismus, durch Spiritismus, Dämonismus und was es sonst noch alles gibt; in seinen besser erleuchteten Teilen durch spirituelle Philosophie, höheren Okkultismus und das Übrige, und in seinen höchsten Wesensteilen durch Einung mit dem All, dem Ewigen oder Göttlichen. Die Suche nach Spiritualität begann in Europa mit einer Abkehr vom wissenschaftlichen Materialismus des 19. Jahrhunderts, einem Unbefriedigtsein mit der vermeintlichen Hinlänglichkeit der Vernunft und des Intellektes und mit einem tastenden Suchen nach etwas Tieferem. Dieses Vorkriegsphänomen zeigte sich, als es die Drohung des Kommunismus noch nicht gab und die kapitalistische Welt auf dem Höhepunkt ihres anmaßenden Erfolges und Triumphes war; es war ein Aufbegehren gegen das materialistisch-bürgerliche Leben mit seinen Idealen und nicht ein Versuch, ihm zu dienen oder es zu rechtfertigen. Diesem Phänomen wurde durch die Nachkriegsdesillusionierung gedient und zugleich geschadet; geschadet, da die Nachkriegszeit entweder zu Zynismus oder einem Leben der Sinne zurückkehrte oder sich Bewegungen wie Faschismus und Kommunismus zuwandte; gedient, da in den tieferen Gemütern das Unbehagen über die Ideale der Vergangenheit oder der Gegenwart wuchs sowie über alle mentalen, vitalen oder materiellen Lösungen der Lebensprobleme und auf diese Weise allein der spirituelle Pfad übrig blieb. Es ist wahr, der europäische Geist, unerfahren in diesen Dingen, spielt mit Irrlichtern, wie Spiritismus oder Theosophie, oder fällt wieder in den alten Religionismus zurück; doch das tiefere Denken, das ich meine, lässt diese Dinge hinter sich, oder es benutzt sie bei seiner Suche nach einem größeren Licht. Ich hatte mit vielen Menschen Kontakt, bei denen sich die obigen Tendenzen deutlich abzeichneten. Sie kamen aus allen möglichen Ländern, doch nur eine Minderheit aus England und Amerika. Russland hingegen ist anders; ungleich den anderen ist es in einem mittelalterlichen Religionismus steckengeblieben und durch keine Zeitspanne des Aufbegehrens gegangen – und als dann die Revolution kam, war sie natürlich antireligiös und atheistisch. Erst wenn diese Phase sich erschöpft hat, kann der russische Mystizismus befruchtet werden und nicht eine enge religiöse, sondern die spirituelle Richtung einschlagen. Es ist wahr, der Mystizismus a revers, von oben nach unten gekehrt. hat aus dem Bolschewismus und seinem Bestreben eher ein Glaubensbekenntnis als ein Politikum gemacht, eine Suche nach dem paradiesischen, geheimen Jahrtausend auf Erden, statt eine rein soziale Struktur aufzubauen. Doch im großen und ganzen versucht Russland auf der kommunistischen Grundlage das zu erreichen, was der Idealismus des 19. Jahrhunderts zu erlangen hoffte und worin er inmitten einer – oder gegenüber einer – industriell konkurrierenden Umwelt versagte. Ob der Bolschewismus größeren Erfolg haben wird, wird die Zukunft zeigen. Denn gegenwärtig bewahrt er lediglich, was mit Hilfe von Spannung und gewalttätiger Kontrolle erlangt wurde, und diese Phase ist noch nicht vorüber.

 

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Die Stelle der Isha-Upanishad4 („Eines ist reglos und schneller als das Mental, Jenes erreichen die Götter nicht, denn Es schreitet immer voran. Jenes überholt stehend die anderen, welche laufen“ – Isha-Upanishad, Vers 4, nach Sri Aurobindos Übersetzung.) ist natürlich eine viel umfassendere Darlegung der Natur des universalen Daseins als die Theorie Einsteins, die auf das physische Universum beschränkt ist. Du kannst aus der Darlegung in diesem Vers auch ein viel umfassenderes Relativitätsgesetz ableiten. So betrachtet bedeutet er – er enthält natürlich viel mehr –, dass die absolute Realität existiert, aber unbeweglich und immer gleich ist; die universale Bewegung ist eine Bewegung des Bewusstseins in dieser Wirklichkeit, deren Wahrheit nur vom Transzendenten erfasst werden kann, da sie Ihm selbst-offenbar ist, während ihre Wahrnehmung durch die Gottheiten (das Mental, die Sinne usw.) notwendigerweise unvollkommen und relativ sein muss, da diese zwar versuchen können, jener Wahrheit zu folgen, sie aber nicht wirklich zu überholen vermögen (erfassen, ergreifen), da jede durch ihren eigenen Standpunkt5, durch die geringere Instrumentierung oder Befähigung des Bewusstseins usw. begrenzt ist. Das ist die übliche Auffassung des indischen oder zumindest des vedantischen Geistes, nach der unsere Erkenntnis, unsere Wahrnehmung und Erfahrung der Dinge in der Welt sowie unsere Erfahrung der Welt selbst notwendigerweise ausschließlich relativ, praktisch oder pragmatisch, vyavaharika sein müssen; und es ist – wie Shankara sagt – tatsächlich ein illusorisches Wissen, da die wirkliche Wahrheit der Dinge jenseits unseres mentalen und empfindungsmäßigen Bewusstseins liegt. Einsteins Relativitätstheorie ist eine wissenschaftliche und nicht eine metaphysische Darstellung. Ihre Form und ihr Bereich sind von anderer Art, doch vermute ich, dass man eine Verbindung zur vedantischen Folgerung herstellen kann, wenn man genügend Abstand dazu gewinnt und darüber hinaus zu ihrer essentiellen Bedeutung und dem wahren Grund ihres Daseins zurückfindet. Wenn du dies jedoch gegenüber dem Verstand rechtfertigen wolltest, müsstest du den ganzen Vorgang zergliedern, um nachzuweisen, wie die Verbindung zustande kommt – sofern es sich nicht von selbst ergibt.

Was Jeans anbelangt, so würden viele sagen, dass seine Folgerungen ganz und gar nicht zulässig seien. Einsteins Gesetz ist eine wissenschaftliche Verallgemeinerung; sie gründet sich auf bestimmte Beziehungen im Bereich der Physik, die – wenn überhaupt gültig – dann dort innerhalb der Grenzen dieses Bereiches gültig sind oder, wenn du so willst, auf dem allgemeinen Gebiet wissenschaftlicher Beobachtung und wissenschaftlichen Messens physischer Vorgänge und Bewegungen; doch wie willst du dies auf eine metaphysische Darlegung übertragen? Es wäre der Sprung über einen beträchtlichen Abgrund oder die gewaltsame Umwandlung einer Sache in eine andere, eines begrenzten physischen Ergebnisses in eine unbegrenzte, allumfassende Formel. Ich weiß nicht genau, worauf Einsteins Gesetz wirklich hinausläuft; doch es scheint nicht mehr zu bedeuten, als dass unsere wissenschaftlichen Messungen der Zeit und anderer Dinge unter den Bedingungen, unter denen sie stattfinden müssen, relativ sind, da sie der unvermeidlichen Begrenzung dieser Bedingungen ausgeliefert sind. Was man daraus metaphysisch folgern kann, hat der Metaphysiker zu entscheiden, nicht der Wissenschaftler. Die vedantische Auffassung bestand darin, dass sowohl das Mental als auch die Sinne eine begrenzte Macht sind, die sich ihre eigenen Darstellungen, Begriffsbildungen und Formungen errichtet und sie der Wirklichkeit auferlegt. Das ist eine viel größere und kompliziertere Angelegenheit, die bis in die eigentlichen Wurzeln unseres Daseins reicht. Ich glaube, dass es viele Auffassungen in der modernen Wissenschaft gibt, die diesen Standpunkt unterstützen, doch in der Wirklichkeit reichen sie nicht aus, ihn zu beweisen.

Ich führe hier nur meine Einwände an. Ich selbst erkenne, dass gewisse grundlegende Wahrheiten allen Bereichen und der einen Wirklichkeit überall zugrunde liegen. Doch es besteht ebenfalls ein großer Unterschied in den Hilfsmitteln und Forschungsmethoden, die die Suchenden auf den verschiedenen Wegen (dem physischen, dem okkulten, dem spirituellen) verwenden, und zumindest für den Intellekt muss die Brücke zwischen ihnen noch geschlagen werden. Man kann zwar Ähnlichkeiten nachweisen, doch kann man durchaus behaupten, dass die Wissenschaft nicht dazu benutzt werden darf, Ergebnisse spiritueller Erkenntnis zu bestätigen oder zu stützen. Auch die andere Seite hat ihre Berechtigung, und am besten ist es, beide zu sehen – dies bedeutet daher nicht, dass deine These entkräftet werden soll.

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Wie will Sir James Jeans oder irgendein anderer Wissenschaftler wissen, dass Leben durch einen „reinen Zufall“ entstanden sei oder dass es nirgendwo sonst im Universum Leben gäbe oder dass Leben woanders genau das gleiche sein müsse, die gleichen Voraussetzungen haben müsse wie unser Leben hier oder andernfalls nicht existieren könne? Dies sind rein mentale Spekulationen ohne irgendwelche innere Überzeugungskraft. Leben kann nur dann zufällig sein, wenn die gesamte Welt ebenfalls ein Zufall ist, etwas, das durch den Zufall entstand und vom Zufall beherrscht wird. Es ist nicht der Mühe wert, Zeit auf diese Art von Spekulationen zu verschwenden, denn sie sind nichts als das Geschwätz eines Augenblicks.

Das stoffliche Universum ist nur die Fassade eines riesigen Gebäudes, hinter dem andere Gliederungen stehen, und erst wenn man das Ganze kennt, vermag man die Wahrheit des stofflichen Universums einigermaßen zu begreifen. Es gibt vitale, mentale und spirituelle Ebenen dahinter, die der stofflichen ihre Bedeutung verleihen. Angenommen die Erde wäre der einzige Bereich der spirituellen Evolution in der Materie, dann muss sie dies als Teil des Gesamtentwurfs sein. Die Vorstellung, alles Übrige sei Verschwendung, ist eine menschliche Vorstellung, die den weiten Kosmischen Spirit nicht berühren würde, dessen Bewusstsein und Leben überall ist, im Stein und Staub und im menschlichen Verstand. Doch dies ist eine spekulative Frage, die unserem praktischen Zweck gänzlich fern liegt. Was für uns zählt, ist die Entwicklung des spirituellen Bewusstseins im menschlichen Körper.