Briefe über den Yoga

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Was überwunden werden muss, ist der Widerstand der Unwissenheit, welche die Umwandlung der menschlichen Natur nicht will. Kann dieser überwunden werden, dann bilden auch die alten spirituellen Ideale kein Hindernis mehr.

Es ist nicht beabsichtigt, die Menschheit im großen zu supramentalisieren, sondern das Prinzip des supramentalen Bewusstseins in der Erdevolution zu errichten. Ist dies geschehen, wird alles Erforderliche von der supramentalen Macht selbst entwickelt werden. Es ist daher nicht wichtig, ob die Lehre weit verbreitet wird. Wichtig ist, dass die Sache überhaupt geschieht, in welch kleiner Zahl auch immer; das ist das einzige Problem.

Ist die Umwandlung des Körpers vollendet, so bedeutet dies Unabhängigkeit vom Tod – das heißt aber nicht, dass man immer den gleichen Körper behält. Man erschafft sich einen neuen Körper, sobald man diesen verändern will, doch wie es geschehen soll, kann heute noch nicht gesagt werden. Gegenwärtig geschieht es über die physische Geburt – es gibt Okkultisten, die behaupten, dass eine Zeit kommen wird, in der man dieser nicht mehr bedarf –, doch muss die Lösung dieser Frage der supramentalen Evolution überlassen bleiben.

Diese Fragen nach dem Supramental können jetzt nicht sinnvoll beantwortet werden. Das Supramental kann nicht in Begriffen beschrieben werden, die das Mental versteht, denn es wären mentale Begriffe, und das Mental würde sie auf mentale Weise und in einem mentalen Sinne deuten und ihren wahren Gehalt nicht erkennen. Es ist daher Verschwendung von Zeit und Energie, die besser auf die vorbereitende Arbeit verwandt werden sollten, nämlich die Durchseelung und Spiritualisierung des Wesens und der menschlichen Natur, ohne die eine Supramentalisierung nicht möglich ist. Die gesamte dynamische Natur muss sich, gelenkt von der Seele, mit dynamischem spirituellen Licht füllen, mit Frieden, Reinheit, Wissen, Kraft; danach muss sie die Erfahrung der vermittelnden spirituellen Ebenen erlangen und in deren Sinne handeln und fühlen und dann wird man zuletzt über die supramentale Umwandlung sprechen können.

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Was ist eine vollkommene Yogatechnik, oder besser gesagt, ein weltverändernder oder naturverändernder Yoga? Mit Sicherheit nicht einer, der den Menschen bei einem kleinen Stück seiner selbst nimmt, dort einen Haken anbringt und ihn über einen Flaschenzug in das nirvana oder Paradies befördert. Die Technik eines weltverändernden Yogas muss vielgestaltig sein, geschmeidig, geduldig, allumfassend wie die Welt selbst. Wenn sie sich nicht mit allen Schwierigkeiten oder Möglichkeiten befasst oder sich mit jedem erforderlichen Element sorgsam auseinandersetzt, hat sie keine Aussicht auf Erfolg. Und gibt es eine vollkommene, für alle verständliche Technik, die dies vermag? Es ist nicht mit dem Verfassen eines kleinen Gedichtes zu vergleichen, in vorgeschriebenem Versmaß mit einer bestimmten Anzahl von Modulationen. Es ist das Mahabharata eines Mahabharatas, das geschrieben werden muss – um bei dem Gedichtgleichnis zu bleiben. Und kann man die Technik eines Mahabharatas mit jener begrenzten griechischen Perfektion vergleichen?

Als nächstes: worin besteht in solchem Fall der Wert des reflektierenden Verstandes, vicarabuddhi? Wenn man ein neues Bewusstsein zu erlangen sucht, das den wägenden Verstand überschreitet, so kann dies nicht auf einer Grundlage geschehen, die vom wägenden Verstand beurteilt und begriffen und auf der jeder Schritt von ihm kontrolliert wird, auf der der Intellekt bestimmt, was zu geschehen hat, wie groß die Erfolge und welcher Art die Schritte und ihr Maß zu sein haben. Wenn dies geschieht, wird man niemals aus dem Bereich des urteilenden Verstandes herauskommen und etwas erreichen, das ihn überschreitet. Und wenn dies schließlich erreicht ist, können andere dann ein intellektuelles Maß in der Beurteilung dessen anlegen, was man tut? Wie vermag man zu wissen, was sich jenseits des gewöhnlichen Bewusstseins befindet, solange man selbst im gewöhnlichen Bewusstsein lebt? Nur indem du dich selbst überschreitest, kannst du fühlen und beurteilen und erfahren, was dich überschreitet, Und worin besteht der Wert eines Urteils ohne Gespür und Erfahrung?

Was das Supramental tun wird, kann das Mental nicht vorhersehen oder festlegen. Das Mental ist Unwissenheit, die nach Wahrheit sucht, das Supramental ist seinem eigentlichen Sinn nach das Wahrheits-Bewusstsein, die Wahrheit, die sich selbst besitzt und sich durch ihre eigene Macht erfüllt. In einer supramentalen Welt müssen Unvollkommenheit und Disharmonie aufhören. Doch unser Ziel im Augenblick ist nicht, die Erde zu einer supramentalen Welt zu machen, sondern das Supramental als Macht und festes Bewusstsein inmitten des Übrigen herabzubringen, damit es dort wirke und sich erfülle – so wie das Mental in Leben und Materie herabkam und dort als Macht wirkte, um sich inmitten des Übrigen zu erfüllen. Das wird genügen, um die Welt zu verändern, um die Natur zu verändern und ihre gegenwärtigen Beschränkungen niederzubrechen. Doch wie und in welchem Maß es geschehen wird, ist etwas, das man jetzt nicht sagen kann. Sobald das Licht da ist, wird das Licht selbst seine Arbeit tun, sobald der supramentale Wille in der Welt ist, wird dieser Wille entscheiden. Er wird Vollendung und Harmonie und eine Wahrheits-Schöpfung schaffen. Und das Übrige – nun, warten wir es ab.

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Die Menschheit kann nicht insgesamt und auf einmal verändert werden. Das Erfordernis ist, das Höhere Bewusstsein in das Erd-Bewusstsein herabzubringen und es dort als bleibende und verwirklichte Kraft zu festigen. So wie Mental und Leben gefestigt und in der Materie verkörpert wurden, wird sich die supramentale Kraft festigen und verkörpern.

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Es wäre nicht möglich, all dies in einem Augenblick zu verändern. Wir haben immer gesagt, dass nicht die Gesamtheit der Menschen sich im Augenblick der Herabkunft wandeln wird. Doch es besteht die Möglichkeit, das höhere Prinzip im Erdbewusstsein zu festigen, und zwar derart, dass es dort bleibt, dass es im Leben der Erde erstarkt und sich ausbreitet. So hat ein neues Prinzip in der Evolution notwendigerweise zu wirken.

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Sie [die Welt] will und will nicht, was sie noch nicht hat. Das innere Mental der Welt hätte all das gern, was ihm das Supramental geben könnte, aber ihr äußeres Mental, ihr Vital, ihr Physisches wollen den Preis nicht bezahlen. Doch schließlich versuche ich nicht, die Welt auf einmal zu verändern, sondern innerlich etwas in sie herabzubringen, das sie noch nicht besitzt, ein neues Bewusstsein, eine neue Macht.

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Diese Umwandlung kann nicht allein individuell oder auf einsiedlerische Weise stattfinden. Eine individuelle oder einsiedlerische Umwandlung, die sich nicht mit der Arbeit für die Erde befasst (was mehr bedeutet als jede individuelle Umwandlung), wäre weder möglich noch nützlich. Ebensowenig kann ein individuelles menschliches Wesen durch seine Macht allein diese Umwandlung erarbeiten, noch ist es das Ziel des Yoga, hier und dort einen einzelnen Übermenschen zu erschaffen. Das Ziel dieses Yoga ist es, das supramentale Bewusstsein auf die Erde herabzubringen, es dort zu festigen und ein neues Geschlecht auf dem Prinzip dieses supramentalen Bewusstseins zu erschaffen, welches das innere und äußere, das individuelle und kollektive Leben beherrscht.

Diese Kraft, nach und nach jeweils von einzelnen entsprechend ihrer inneren Vorbereitung angenommen, würde das supramentale Bewusstsein in der physischen Welt festigen und auf diese Weise eine Grundlage für seine Ausbreitung schaffen.

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Zuerst wird es [das supramentale Bewusstsein] durch die einzelnen zu einem Teil des Erdbewusstseins; danach breitet es sich von den ersten Zentren aus und erfasst mehr und mehr das globale Bewusstsein, bis es zu einer festen Kraft dort wird.

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All dies ist absurd. Die Herabkunft des Supramentals bedeutet lediglich, dass die Macht als lebendige Kraft im Erdbewusstsein vorhanden sein wird, genau wie das denkende Mental und das höhere Mental bereits vorhanden sind. Doch ein Tier kann von dem Vorhandensein der denkenden mentalen Macht ebensowenig Gebrauch machen wie ein unentwickelter Mensch von dem Vorhandensein der höheren mentalen Macht. Ebensowenig werden alle fähig sein, von dem Vorhandensein der supramentalen Macht Gebrauch zu machen. Ich habe gleichfalls oft genug gesagt, zu Beginn wird es nur für einige wenige sein, nicht für die ganze Erde, doch eine wachsende Einflussnahme auf die Erde wird stattfinden.

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Es [die Herabkunft des Supramentals in das Erdbewusstsein] würde notwendigerweise nicht von jedem erkannt werden. Außerdem müsste man, selbst wenn die Herabkunft stattgefunden hätte, zuerst bereit sein, ehe man die endgültige Wandlung erfahren kann.

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Nicht in ihrer Gesamtheit, denn sie ist nicht unser Anliegen [die Umwandlung des Kosmischen Mentals und Lebens, der Kosmischen Materie]. Uns selbst haben wir umzuwandeln und das Erdbewusstsein durch das Einbringen des supramentalen Prinzips in die Evolution zu verändern. Wenn dieses einmal hier ist, wird mit Sicherheit ein machtvoller Einfluss auf das gesamte Erdenleben von ihm ausgehen, ähnlich dem des Mentals durch die Entwicklung des Menschen, doch noch wesentlich größer.

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Für eine Kraft wie das Supramental ist es nicht möglich herabzukommen ohne eine große Veränderung im Erdbewusstsein zu bewirken. Doch daraus folgt nicht, dass alles supramentalisiert wird, und dies ist auch nicht notwendig. Doch das Mental selbst wird beeinflusst werden, so wie das Leben durch die Entwicklung des Mentals auf Erden beeinflusst wurde.

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Nichts Bleibendes kann geschehen ohne die wahre supramentale Kraft. Das Ergebnis ihrer Herabkunft wäre, dass die Intuition im menschlichen Leben zu einer größeren und weiter entwickelten Kraft würde, als sie es bislang war; und auch die anderen, zwischen Mental und Supramental liegenden Mächte würden allgemeiner werden und eine geordnete Tätigkeit entfalten.

 

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Woher willst du wissen, dass er [unser Yoga] keine Auswirkung auf die gewöhnlichen Menschen haben wird? Er wird unweigerlich ihre Möglichkeiten vergrößern und, wenn auch nicht alle sich zum Höchsten erheben können, eine große Veränderung für die Erde bewirken.

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Ganz im Gegenteil, auch sie [die gewöhnlichen Menschen] würden in jedem Fall das Herabkommen eines größeren Lichtes und einer größeren Macht auf die Erde empfinden.

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Das Göttliche Bewusstsein wirkt nicht im Hinblick auf Gewinn oder Verlust – das ist ein menschlicher Standpunkt, notwendig für die menschliche Entwicklung. Das Göttliche hat, wie die Gita sagt, nichts zu gewinnen, und nichts gibt es, das es nicht hat, und dennoch setzt es seine Macht des Wirkens in der Manifestation ein. Das Erdbewusstsein, nicht die supramentale Welt, hat durch die Herabkunft des supramentalen Prinzips zu gewinnen – und das ist Grund genug, damit es herabkomme. Die supramentalen Welten bleiben wie sie sind und werden auf keine Weise durch die Herabkunft beeinflusst.

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„Von unten öffnen“1 bedeutet dies: Die herabkommende supramentale Kraft löst von unten im Erdbewusstsein eine Gegenwirkung aus, die es ermöglicht, dass ein supramentales Wirken sich im Stofflichen forme. Alles ist als Möglichkeit im Erdbewusstsein eingeschlossen, Leben, Mental, Supramental. Doch erst als die Lebenskraft von der Ebene des Lebens auf die stoffliche Ebene herabkam, wurde ein tätiges und bewusst geordnetes Leben möglich. Genauso geschah es, als das Mental herabkam. Es erwachte das latente Mental in der Materie und konnte geordnet werden. Die supramentale Herabkunft muss die gleiche Art Öffnung von unten schaffen, damit ein supramentales Bewusstsein im Stofflichen geordnet werde.

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Sie [die Erde] enthält alle Möglichkeiten, die sich in den Wesen der Erde ausdrücken und ebenfalls viel, das nicht zum Ausdruck kommt. Ja, die Erde ist der Schauplatz der Evolution, wo all diese Kräfte sich treffen und zu manifestieren suchen, und aus ihrer Tätigkeit entwickeln sich die Dinge. Auf den anderen Ebenen (der mentalen, vitalen, usw.) gibt es keine Evolution. Dort wirkt jede Ebene für sich und ihrem Gesetz entsprechend.

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[Das Erd-Bewusstsein]: Das Bewusstsein dieser Erde allein. Es gibt ein getrenntes globales Bewusstsein der Erde (wie von anderen Welten), das sich mit der Evolution des Lebens auf dem Planeten entwickelt.

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Ja, all dies ist das Erdbewusstsein – das Mineral: die Materie, die Vegetation: die vital-physische Schöpfung, das Tierreich: die vitale Schöpfung, der Mensch: die mentale Schöpfung. In dieses Erdbewusstsein, das derart an Mental, Vital und Materie gebunden ist, muss die supramentale Schöpfung kommen. Notwendigerweise kann es zu Beginn nur in kleinem Maßstab sein, doch auch wenn es anfangs nur wenige sind, bedeutet dies nicht, dass eine Auswirkung auf all das Übrige nicht stattfände oder dass nicht das gesamte Gleichgewicht der Erdnatur verändert würde.

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Es gibt keinen Grund, warum das vegetative, tierische und menschliche Leben sich nicht in der Wahrheit entfalten sollte, statt in der Unwissenheit – sobald einmal das Wissen auf die Erdebene gelangt ist.

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Es [das Supramental] kann unmittelbar auf alles einwirken, wenn es in das stoffliche Bewusstsein herabgebracht wird – wie die Dinge gegenwärtig geordnet sind, befindet es sich latent hinter ihnen und wirkt durch andere Medien.

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[Unmittelbares supramentales Wirken in den Pflanzen:] Nein, das kann man nicht sagen. Die vitale Kraft ist es, die wirkt, doch in dieser Lebens-Kraft gibt es eine gewisse grundlegende Intuition, die hinter dem ganzen Wirken steht und diese könnte man als eine Art Spiegelung oder ausgesandte Macht im Hintergrund bezeichnen, der das Supramental latent innewohnt.

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Wenn spirituell und supramental das gleiche wären, wie es deiner Meinung nach meine Leser glauben, dann müssten alle Weisen, Gläubigen, Yogis und Sadhaks zu allen Zeiten supramentale Geschöpfe gewesen sein, und alles, was ich über das Supramental schrieb, wäre überflüssig, nutzlos und müßig gewesen. Jeder, der spirituelle Erfahrungen hat, wäre dann ein supramentales Wesen; der Ashram wäre randvoll mit supramentalen Wesen und ebenso jeder andere Ashram in Indien. Spirituelle Erfahrungen können sich im inneren Bewusstsein festigen und dieses verändern, sogar umwandeln, wenn du so willst; man kann das Göttliche überall verwirklichen, das Selbst in allen und alle im Selbst, die universale Shakti, die alle Dinge tut; man fühlt, wie man im Kosmischen Selbst eintaucht, und man kann voller ekstatischer bhakti, voller Ananda sein. Und dennoch kann man sich in die äußeren Teile der Natur wenden und tut es auch meist, man denkt mit dem Verstand oder bestenfalls mit dem intuitiven Mental, man will mit einem mentalen Willen, man fühlt Freude und Sorge an der vitalen Oberfläche und erduldet physische Anfechtungen und Leiden, verursacht durch den Lebenskampf im Körper, dem Tod und Krankheit folgen. Die Veränderung besteht dann lediglich darin, dass das innere Selbst all dies mit vollkommenem Gleichmut beobachtet, ohne gestört oder verwirrt zu werden, und es als unvermeidlichen Teil der Natur ansieht, zumindest solange man sich nicht aus dieser Natur in das Selbst zurückzieht. Das ist nicht die Umwandlung, die ich beabsichtige. Durch die supramentale Veränderung wird eine ganz und gar andere Macht des Wissens auftreten, eine andere Art Willen, eine andere leuchtende Natur des Gefühls und der Ästhetik, eine andere Zusammensetzung des physischen Bewusstseins.

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Die spirituelle Verwirklichung ist auf jeder Ebene durch den Kontakt mit dem Göttlichen (das überall ist) zu erlangen oder indem man das innere Selbst wahrnimmt, das von den äußeren Regungen rein und unberührt bleibt. Das Supramental ist etwas Transzendentes – ein dynamisches Wahrheits-Bewusstsein, das noch nicht auf Erden ist, etwas, das von oben herabgebracht werden muss.

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Allein das Supramental ist All-Wissen. Alles darunter, vom Obermental zur Materie, ist Unwissenheit, eine Unwissenheit, die von Ebene zu Ebene einem vollen Wissen entgegenwächst. Unterhalb des Supramentals kann es Wissen geben, doch ist es nicht das All-Wissen.

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Ich habe nicht gesagt, dass alles außer der supramentalen Wahrheit Falschheit sei. Ich sagte, es gäbe keine vollkommene Wahrheit unterhalb des Supramentals. Im Obermental wird die Wahrheit, die vollkommen harmonisch ist, in Teile getrennt, in viele Wahrheiten, die sich einander gegenüberstehen und von denen jede sich erfüllen will, um eine eigene Welt zu schaffen oder die Oberhand zu gewinnen; oder auch, um an Welten teilzunehmen, die aus einer Kombination von verschiedenen einzelnen Wahrheiten und Wahrheitskräften bestehen. Noch weiter unten wird die Zerstückelung immer deutlicher, und zwar derart, dass Irrtum, Falschheit, Unwissenheit und schließlich Unbewusstheit wie die der Materie tatsächlich möglich werden. Diese Welt hier entstand aus der Unbewusstheit und entwickelte das Mental, das ein Instrument der Unwissenheit ist und die Wahrheit über viel Begrenzung, Widerstreit, Verwirrung und Fehler zu erlangen sucht. Das Obermental wieder zu erreichen, insofern einem dies vollkommen möglich ist – es ist für das physische Wesen nicht einfach –, bedeutet, an der Grenzlinie zur supramentalen Wahrheit zu stehen und auf Eintritt zu hoffen.

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Eine mentale Regel oder Definition gibt es nicht. Man muss zuerst im Göttlichen leben und die Wahrheit erreichen – dann werden dieses Streben und die Erkenntnis der Wahrheit das Leben ordnen.

Es ist das inaktive Brahman, mit dem man verschmilzt, wenn man laya oder moksa sucht. Man kann im Persönlichen Göttlichen weilen, doch man taucht darin nicht ein. Das Höchste Göttliche enthält in sich das Weltdasein, und dieses wehst in seinem Bewusstsein; indem man also in den Höchsten eingeht, erhebt man sich über die Versklavung an die Natur, doch man lässt nicht das gesamte Welt-Bewusstsein zurück.

Der allgemeine Göttliche Wille ist auf eine fortschreitende Manifestation im Universum gerichtet. Doch ist es ein allgemeiner Wille, der auch der Welt-Abkehr einzelner Seelen zustimmt, die nicht bereit sind, in der Welt durchzuhalten.

Nicht die Unsterblichkeit des Körpers, wohl aber das Bewusstsein der Unsterblichkeit im Körper kann mit dem Herabkommen des Obermentals in die Materie oder sogar in das physische Mental erlangt werden; oder auch, wenn ein modifiziertes supramentales Licht das physische Mental-Bewusstsein berührt. Dies sind erste Öffnungen, doch ist es nicht die supramentale Erfüllung in der Materie.

Wenn es vorherbestimmt ist, vermag nichts die Herabkunft des Supramentals zu verhindern; doch alle Dinge hier werden durch ein Spiel von Kräften ausgearbeitet, und eine ungünstige Atmosphäre oder ungünstige Bedingungen können den Vorgang verzögern, wenn auch nicht verhindern. Selbst etwas Vorherbestimmtes stellt sich dem Bewusstsein auf Erden (Obermental, Mental, Vital, Physisches) nicht als Gewissheit dar, solange das Spiel der Kräfte nicht bis zu einem gewissen Punkt ausgearbeitet wurde und die Herabkunft nicht nur unvermeidlich ist, sondern auch unvermeidlich erscheint.

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Die supramentale Wandlung ist das höchste Stadium der siddhi und es ist nicht wahrscheinlich, dass sie bald erreicht wird; doch es gibt viele Ebenen zwischen dem normalen Mental und dem Supramental, und leicht kann man ein Aufsteigen in eine von ihnen oder ein Herabkommen ihres Bewusstseins oder Einflusses für eine supramentale Wandlung halten.

Es ist ganz und gar unmöglich, sich zur wirklichen Ananda-Ebene zu erheben (außer in tiefer Trance), bevor man das supramentale Bewusstsein erreicht und verwirklicht hat, bevor man es besitzt; doch ist es durchaus möglich und normal, eine Form von Ananda-Bewusstsein auf jeder Ebene zu empfinden. Dieses Bewusstsein, wo immer man es fühlt, stammt von der eigentlichen Ananda-Ebene, doch ist seine Macht stark verringert und abgewandelt, um sich der geringeren Empfangsbereitschaft der niederen Ebenen anzugleichen.

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Ich vermute, es ist die Entwicklung der Wahrheits-Macht und der Ananda-Macht im obermentalen Bewusstsein, die vorbereitet wird. Der transzendente Ananda selbst könnte erst nach einer völligen Supramentalisierung des Wesens herabkommen, was eine ungeheure Veränderung im Erdbewusstsein bedeuten würde. Jetzt können die göttliche Wahrheit im Obermental und der göttliche Ananda im Obermental ihre Manifestation vorbereiten, und das ist es, was in diesen Erfahrungen angedeutet wird.

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Es ist das Supramental, das wir herabzubringen, zu manifestieren, zu verwirklichen haben. Etwas höheres ist in diesem Stadium der Evolution unmöglich, es sei denn als eine Spiegelung im Bewusstsein oder eine Macht, die ausgesandt und in ihrem Herabkommen modifiziert wird.

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Ich weiß nicht, was Mahatma Gandhi mit vollkommener Verwirklichung meint2. Wenn er eine Verwirklichung meint, nach der es nichts mehr zu verwirklichen gibt, nach der keine weitere Entwicklung mehr möglich ist, dann stimme ich zu – ich selbst sprach von einem weiteren göttliche Fortschreiten, einer unendlichen Entwicklung. Doch das ist nicht die Frage, die Frage ist, ob man die Unwissenheit überschreiten kann, ob eine vollkommene, essentielle Verwirklichung möglich ist, die das Bewusstsein von der Finsternis zum Licht wendet, von einem Instrument der Unwissenheit, das nach Wissen sucht, in ein Instrument, oder besser noch, in eine Manifestation des Wissens, die einem größeren Wissen entgegenschreitet, und des Lichtes, das sich in ein größeres Licht weitet und erhöht – ist es möglich oder nicht? Meiner Ansicht nach ist diese Wandlung in der spirituellen Evolution des Wesens nicht nur möglich, sondern unvermeidlich. Die Verkörperung des Lebens hat nichts damit zu tun. Es ist nicht eine Verkörperung des Lebens, sondern des Bewusstseins und seiner Energie, wovon das Leben nur eine Phase oder eine Kraft ist. Wie das Leben das Mental entwickelte und die Verkörperung sich dann modifizierte, um in diese Entwicklung zu passen (das Mental ist genau gesagt das hauptsächliche Instrument einer Unwissenheit, das nach Wissen sucht), genauso kann das Mental das Supramental entwickeln, das seinem Wesen nach ein Wissen ist, das sich nicht selbst sucht, sondern sich durch seine eigene, selbsttätige Macht manifestiert. Seine Verkörperung kann sich dann wiederum modifizieren oder von oben modifiziert werden, um in diese Entwicklung zu passen. Der Glaube ist ein notwendiges Mittel, um zur Verwirklichung zu gelangen, da wir unwissend sind und das zu Verwirklichende noch nicht kennen; der Glaube ist tatsächlich ein Wissen, das unsere Unwissenheit ahnt, er geht der Manifestation des Wissens voran, er ist der Schimmer der noch nicht aufgegangenen Sonne. Sobald aber die Sonne aufgegangen ist, braucht man diesen Schimmer nicht mehr. Das supramentale Wissen trägt sich selbst. Es braucht durch den Glauben nicht getragen zu werden, da es aus seiner eigenen Sicherheit lebt. Du magst vielleicht einwenden, dass ein weiterer Fortschritt einer weiteren Entwicklung des Glaubens bedarf. Nein, eine weitere Entwicklung wird auf einer Basis des Wissens und nicht der Unwissenheit voranschreiten. Wir werden im Lichte des Wissens dessen eigenen Möglichkeiten der Selbsterfüllung entgegengehen.

 

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Eine Evolution aus dem Unbewussten muss nicht leidvoll sein, solange kein Widerstand vorhanden ist; sie kann ein bewusst langsames und harmonisches Aufblühen des Göttlichen sein. Man sollte erkennen können, wie schön die äußere Natur sein kann und auch gewöhnlich ist, obwohl sie anscheinend „unbewusst“ ist. Warum sollte das Wachsen des Bewusstseins in der inneren Natur von so viel Hässlichkeit und Bösem begleitet sein, das die Schönheit der äußeren Schöpfung verdirbt. Der Grund ist in einer Entstellung zu suchen, geboren aus der Unwissenheit, die mit dem Leben aufkam und sich im Mental vergrößerte – es ist die Falschheit, das Böse, die aus dem tiefen Schlaf der Unbewusstheit stammen und die deren Wirken vom Licht der verborgenen, doch ihr immer innewohnenden Bewusstheit trennten. Es hätte jedoch nicht so sein müssen, es sei denn aufgrund des alles beherrschenden Willens des Höchsten. Dies aber bedeutet, dass die Möglichkeiten der Entstellung durch die Unbewusstheit und Unwissenheit manifestiert werden mussten, da jede Möglichkeit sich irgendwo manifestieren muss, um eliminiert zu werden. Ist sie einmal eliminiert, dann wird die Göttliche Manifestation in der Materie größer sein als im anderen Fall, da sie alle Möglichkeiten, die in dieser komplizierten Schöpfung enthalten sind, verbinden wird, und nicht nur einige von ihnen, wie es in einer einfacheren und weniger komplizierten Schöpfung durchaus hätte sein können.

„Von Schönheit zu größerer Schönheit, von Freude zu größerer Freude durch besondere Anpassung der Sinne“ – ja, das wäre der normale, wenn auch langsame Verlauf einer göttlichen Manifestation in der Materie. „Misstönender Klang und störender Geruch“ sind das Ergebnis einer Disharmonie zwischen Bewusstsein und Natur, sie sind nicht eigentlich vorhanden; für ein befreites und harmonisches Bewusstsein wären sie, da ihm wesensfremd, nicht gegenwärtig und würden eine richtig entwickelte Seele und Natur nicht berühren. Selbst der „speiende Vulkan, das drohende Gewitter, der wirbelnde Zyklon“ sind in sich großartige und schöne Dinge und lediglich für ein Bewusstsein schädlich oder schrecklich, das unfähig ist, ihnen zu begegnen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen oder einen Pakt mit den Geistern des Windes und Feuers zu schließen. Du gehst davon aus, dass die Manifestation aus dem Unbewussten so zu sein habe, wie sie jetzt und hier ist, und dass keine andere Art Welt der Materie möglich war; doch die Harmonie der stofflichen Natur als solcher zeigt, dass es nicht notwendigerweise eine uneinige, böse, wütende, aufgewühlte und leidvolle Schöpfung sein muss. Das seelische Wesen, wäre es ihm erlaubt gewesen, sich von Anfang an in Leben und Mental zu manifestieren und die Evolution zu lenken, statt hinter dem Schleier verbannt zu sein, wäre die Grundlage einer ewig hervorströmenden Harmonie gewesen. Jeder, der die Seele einmal in sich wirken fühlte, frei von vitaler Einmischung, wird sofort erkennen, dass dies ihre Wirkung gewesen wäre, da ihre Wahrnehmung nicht irrt, ihre Wahl richtig und ihr Tun harmonisch ist. Es ist nicht so gekommen, da die Dunklen Mächte das Leben zu etwas Forderndem, statt zu einem Instrument machten. Die Wirklichkeit der Feindlichen Mächte, die Art ihrer Rolle und die Richtung ihres Bestrebens kann von niemandem angezweifelt werden, dessen innere Schau entsiegelt wurde und der ihre unerquickliche Bekanntschaft machte.

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Der folgende lange Brief war an den Schriftsteller Maurice Magre gerichtet und erhielt später den Titel „The Riddle of the World“ („Das Rätsel dieser Welt“), unter dem er 1933 in einem gleichnamigen Büchlein, zusammen mit einigen anderen wichtigen Briefen Sri Aurobindos veröffentlicht wurde. Er stellt die Beantwortung folgender Fragen dar, die Maurice Magre an Sri Aurobindo richtete:

„Der göttliche Spirit hat also, als er sich in den Formen verkörperte, alles vorhergesehen und alles gewollt. Doch wie kommt es dann, dass es den Anschein hat, er verfolge ein Ziel, da er doch auf Anhieb alles hätte verwirklichen können? Warum hat er das Leid und das Böse zugelassen, die in seinem eigenen Wesen enthalten sind? Wenn das menschlich Böse den Menschen zugeschrieben wird, so kann die Ungerechtigkeit, die Tiere und Pflanzen trifft, allein der göttlichen Ordnung zugeschrieben werden. Warum hat die göttliche Ordnung nicht alles in der Freude eingerichtet? Nicht immer führt Leid zur Vollendung, es verursacht viel öfter unheilbare Verzweiflung.“

Es ist nicht zu leugnen und wird von keiner spirituellen Erfahrung geleugnet, dass diese Welt weder ideal noch zufriedenstellend ist, da sie allzu deutlich vom Siegel der Unzulänglichkeit, des Leidens und des Bösen geprägt ist. Diese Erkenntnis ist gleichsam der Ausgangspunkt des spirituellen Strebens überhaupt – mit Ausnahme bei jenen wenigen, denen die höhere Erfahrung unmittelbar zuteil wird und die nicht zu ihr gezwungen werden durch das mächtige, unwiderlegbare, leidvolle und entsagende Wissen um jenen Schatten, der den gesamten Bereich dieses manifestierten Daseins überlagert. Dennoch bleibt die Frage offen, ob dies tatsächlich, wie behauptet wird, das wesentliche Merkmal der ganzen Manifestation ist oder ob es, zumindest solange es eine physische Welt gibt, notwendigerweise zu deren Natur gehört. Damit müsste man das Verlangen, geboren zu werden, den Willen, sich zu offenbaren oder schöpferisch auszudrücken als die Ursünde schlechthin betrachten und die Abkehr von Geburt oder Offenbarung als einzig möglichen Weg der Erlösung. Für diejenigen, die es derart oder ähnlich sehen – und sie sind immer in der Überzahl gewesen –, gibt es wohlbekannte Auswege und direkte Abkürzungen zu spiritueller Befreiung. Doch ebenso gut kann es sich anders verhalten und unserer Unwissenheit oder unserem begrenzten Wissen nur so erscheinen; die Unvollkommenheit, das Böse, das Leid könnten zwar ein bedrückender Umstand oder ein schmerzhafter Übergang sein, doch nicht die eigentliche Essenz des Geborenwerdens in der Natur. Wenn dem so ist, dann läge die höchste Weisheit nicht in der Flucht, sondern im Streben nach einem Sieg auf Erden, in einer bejahenden Verbindung mit dem Willen, der hinter der Welt steht, in einer Entdeckung der spirituellen Pforte zur Vollkommenheit, die gleichzeitig die Öffnung ist für die gänzliche Herabkunft des Göttlichen Lichtes und Wissens, der Göttlichen Macht und Glückseligkeit.

Jede spirituelle Erfahrung bestätigt das Vorhandensein eines Bleibenden über der Vergänglichkeit dieser manifestierten Welt, in der wir leben, und über diesem beschränkten Dasein, in dessen engen Grenzen wir umherirren und uns mühen. Die Merkmale dieses Bleibenden sind Unendlichkeit, Selbst-Bestehen, Freiheit, absolutes Licht, absolute Glückseligkeit. Gibt es nun wirklich diesen unüberbrückbaren Abgrund zwischen dem Jenseitigen und dem Hiesigen, stehen sie tatsächlich in ewigem Gegensatz zueinander, und vermag der Mensch das Ewige nur zu erreichen, indem er dieses Abenteuer in der Zeit aufgibt und den Sprung über den Abgrund tut? Diese Auffassung scheint am Ende einer bestimmten Tradition der Erfahrung zu stehen, zu der sich der Buddhismus in unerbittlicher Konsequenz bekannte und ebenfalls – nicht ganz so unerbittlich – eine Art monistischer Spiritualität, die eine gewisse Verbindung der Welt mit dem Göttlichen zulässt, diese aber dennoch in ihrem letzten Bezug sich als Wahrheit und Illusion gegenüberstellt. Daneben gibt es eine andere, unbezweifelbare Erfahrung, dass das Göttliche in allem hier gegenwärtig ist, hinter allem und über allem, dass alles in Jenem und Jenes ist, sobald wir uns von seiner Erscheinungsform zu seiner Wirklichkeit zurückwenden. Es ist eine bezeichnende und erhellende Tatsache, dass einer, der Brahman erkennt, in einer Art absolutem Frieden zu leben vermag, im Licht und in der Glückseligkeit des Göttlichen, auch wenn er sich in dieser Welt bewegt und in ihr handelt und all ihre Schläge erträgt. Es gibt also noch etwas anderes als diese scharfe, trennende Gegensätzlichkeit, es gibt ein Geheimnis, ein Rätsel, das vermutlich eine weniger verzweifelte Lösung zulässt. Diese spirituelle Möglichkeit weist über sich selbst hinaus und bringt einen Hoffnungsstrahl in die Finsternis unseres gefallenen Daseins.