Briefe über den Yoga

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Andererseits kann eine Beziehung zwischen Objekten in verschiedenen Bereichen des Raumes hergestellt werden, die zueinander in wechselseitiger Beziehung stehen, wie in dem Fall des groben physischen Objektes und seines feinstofflichen Gegenstücks. In diesem Fall kannst du eher über die Beziehung eines Raumes zu einem anderen sprechen.

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Zeit und Raum sind nicht begrenzt, sie sind unendlich – sie sind der Ausdruck einer Ausdehnung des Bewusstseins, worin sich Dinge abspielen oder in einer bestimmten Beziehung und Folge und Ordnung angeordnet sind. Es gibt wiederum verschiedene Ordnungen von Zeit und Raum; auch dies hängt vom Bewusstsein ab. Das Ewige erstreckt sich in Zeit und Raum, doch ist es ebenfalls jenseits von aller Zeit und allem Raum. Zeitlosigkeit und Zeit sind zwei Begriffe des ewigen Daseins. Das Raumlose Ewige ist nicht eine unteilbare Unendlichkeit des Raums, es gibt in ihm nicht nah oder fern, nicht hier oder dort – das Zeitlose Ewige ist nicht messbar in Jahren oder Stunden oder Äonen, seine Erfahrung wurde als der ewige Augenblick beschrieben. Doch dem Mental kann dieser Zustand nicht erklärt werden, außer durch Negationen – man muss darüber hinausgehen und ihn verwirklichen.

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9Die Frage rührt von den dreidimensionalen menschlichen Vorstellungen des Raumes und der Teilung im Raum her, und diese Vorstellungen entspringen wiederum der begrenzten Natur der menschlichen Sinne. Für einige Wesen ist Raum eindimensional, für andere zweidimensional und für wieder andere dreidimensional, und darüber hinaus gibt es noch andere Dimensionen. Die Metaphysik anerkennt durchaus, dass das Unendliche auch in einem Punkt sein kann und nicht nur in der Ausdehnung des Raumes, genauso wie es eine ewige Ausdehnung in der Zeit gibt, doch ebenfalls eine Ewigkeit, die unabhängig von der Zeit ist, so dass sie im Augenblick gefühlt werden kann – man braucht nicht in Millionen und Abermillionen von Jahren zu denken, um dies zu erkennen. In gleicher Weise ist die starre Unterscheidung des Einen im Gegensatz zu den Vielen, eines Einen, der nicht viele sein kann, oder eines Alls, das sich durch Addition zusammenfügt und nicht selbst-bestehend ist, eine rohe mentale Vorstellung des äußeren, begrenzten Mentals, die man für das Unendliche nicht anwenden kann. Wenn das All diesen stofflichen und unspirituellen Charakter hätte, wenn es an eine grundlegende Arithmetik und Geometrie gefesselt wäre, würde die Verwirklichung des Universums in einem selbst, die Verwirklichung von allen in jedem und von jedem in allen, die Verwirklichung des Universums im bindu unmöglich sein. Deine Xs haben offensichtlich keine Ahnung von elementarem metaphysischen Denken, sonst würden sie nicht derartige Einwände vorbringen.

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Nur indem man alle Dinge als aus einer einzigen spirituellen Substanz bestehend erkennt, kann man zu der Einheit gelangen – Einheit ist im spirituellen Bewusstsein. Der stoffliche Punkt ist nur ein Punkt unter Millionen und Abermillionen, daher ist er nicht die Grundlage der Einheit. Doch hast du einmal die Einheit im Bewusstsein erlangt, kannst du durch sie die Einheit der Mentalsubstanz, der Mentalkraft usw. fühlen, die Einheit der Lebenssubstanz (beweglich) und Lebenskraft, die Einheit der stofflichen Substanz und Energien. Sein, Bewusstsein des Seins, Energie des Bewusstseins, Form des Bewusstseins, alle Dinge sind tatsächlich dies.

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Es stimmt, das Wort „Aberglaube“ wurde stets als handliche Axt benutzt, um jeglichen Glauben niederzuschlagen, der nicht mit den Ideen des materialistischen Verstandes übereinstimmt, das heißt also des physischen Mentals, das sich mit dem augenscheinlichen Gesetz eines physischen Vorganges befasst und nicht darüber hinaussieht. Es wurde ebenfalls dazu benutzt, um Ideen und Ansichten herabzusetzen, die sich nicht in Übereinstimmung mit dem befanden, was man sich selbst unter der rationalen Norm überphysischer Wahrheiten vorstellt. Viele Zeitalter hindurch hegte der Mensch Glaubensvorstellungen, die eine Kraft im Hintergrund mit einbezogen, deren Wirkungsweise dem physischen Mental unbekannt war, da sie die Beglaubigung des äußeren Verstandes und der Sinne überschritt. Die Wissenschaft trat dann mit einer Erkenntnismethode auf, welche die Wirklichkeit dieses äußeren Bewusstseinsbereiches erweiterte, und glaubte, mit dieser Methode das gesamte Dasein erklären zu können. Sie fegte sofort alle alten Glaubensformen ohne nähere Prüfung als „Aberglauben“ hinweg – die wahren, halbwahren oder falschen, und alle wanderten mit einem gleichgültigen Schwung auf den Kehrichthaufen, da sie sich nicht auf die Methode der Naturwissenschaft verließen, außerhalb deren Daten lagen oder mit ihrem Standpunkt unvereinbar zu sein schienen. Selbst im Bereich überphysischer Erfahrung wurde nie das anerkannt, was man entsprechend einem bestimmten Vorstellungsbereich mental-rational erklären konnte – alles Übrige, alles, was zu seiner Erklärung einen okkulten, mystischen oder unterhalb der Oberfläche liegenden Ursprung in Anspruch zu nehmen schien, wurde als Aberglaube abgetan. Volkstümliche Glaubensvorstellungen, die manchmal der Phantasie entsprangen, doch manchmal auch einem traditionell-empirischen Wissen oder einem echten Instinkt, teilten das gleiche Schicksal. Dass all dies ein voreiliges und unberechtigtes Vorgehen war, das sich seinerseits auf dem „Aberglauben“ der Gültigkeit der neuen Wissensmethode gründete, die aber tatsächlich nur in einem begrenzten Bereich anwendbar ist, wird nun immer deutlicher. Ich stimme mit dir überein, das Wort „Aberglauben“ sollte entweder überhaupt nicht oder nur mit großer Vorsicht benützt werden. Es für Glaubensformen anzuwenden, die von der Religion, der man zufällig angehört oder die man schätzt, nicht anerkannt werden, ist ganz offensichtlich ein Anachronismus.

Der wachsende Meinungsumschwung im Hinblick auf viele Dinge, die früher verachtet waren, nun aber wieder zu Ansehen kommen, ist überaus erstaunlich. Den von dir angeführten Beispielen könnten hundert andere hinzugefügt werden. Es ist nicht ganz verständlich, warum ein Glaube an Graphologie als irrational oder abergläubisch abgetan werden sollte; es erscheint mir vielmehr durchaus vernünftig zu glauben, dass die Handschrift eines Menschen mit seinem Temperament und seiner Natur zusammenhängt oder mit diesen übereinstimmt und bei näherer Betrachtung durchaus als Hinweis für den Charakter dienen kann. Es ist eine bekannte Tatsache, dass jeder Mensch eine eigene Individualität mit der ihr eigenen bestimmten Formung besitzt, die sich von anderen unterscheidet und die aus winzigen Veränderungen im allgemeinen menschlichen Plan besteht; dies gilt sowohl für kleine physische Merkmale und offensichtlich auch für psychologische Merkmale, und eine Verbindung zwischen beiden anzunehmen, ist durchaus nicht unvernünftig. Auf dieser Grundlage kann Chiromantie sehr wohl eine Wahrheit enthalten; es ist eine bekannte Tatsache, dass die Linien in der Hand des einen Menschen von den Linien in der Hand des anderen verschieden sind, und dass dies, ebenso wie die Unterschiede in der Physiognomie, psychologische Hinweise enthalten kann, ist durchaus möglich. Für ein Mental, das unter rationalistischen Einflüssen geschult ist, wird die Schwierigkeit größer, wenn solche Linien oder die Daten der Astrologie als Schicksalszeichen gedeutet werden, denn der moderne Rationalismus weist entschlossen von sich, dass die Zukunft vorherbestimmbar oder voraussagbar ist. Doch dies wiederum sieht mehr und mehr wie ein „Aberglaube“ des modernen Mentals aus, der sich seltsamerweise im Widerspruch mit den grundlegenden Vorstellungen der Wissenschaft befindet. Denn die Wissenschaft glaubte zumindest bis gestern, dass alles in der Natur determiniert sei, und versucht, die Gesetze jener Determination zu finden, um künftige physische Geschehnisse auf dieser Grundlage vorauszusehen. Wenn das stimmt, ist die Annahme berechtigt, dass es unsichtbare Zusammenhänge gibt, die das menschliche Geschehen in der Welt bestimmen und dass künftige Ereignisse deshalb vorhersagbar sind. Ob dies nach den Richtlinien der Astrologie oder Chiromantie geschehen kann, wäre zu prüfen, doch kommt man nicht weiter, indem man diese Möglichkeit vorschnell verneint. Es spricht viel für die Astrologie, und es scheint ebenfalls viel für die Chiromantie zu sprechen.

Auf der anderen Seite ist es nicht gut, die entgegengesetzte Richtung allzu hastig einzuschlagen. Es besteht dann nämlich die gegenteilige Tendenz, alles auf diesem Gebiet zu glauben und seine Augen gegenüber dem Element der Begrenzung oder des Irrtums in diesen schwierigen Wissenszweigen zu schließen; und dieses Übermaß an blindem Glauben trug dazu bei, sie in Verruf zu bringen, da ihre Irrtümer auf der Hand lagen. Es scheint mir nicht festzustehen, dass die Sterne die Zukunft bestimmen – obwohl es möglich ist –, doch sieht es so aus, als würden sie diese anzeigen, beziehungsweise einige ihrer Gewissheiten und Möglichkeiten. Die Astrologen geben zu, dass ein weiteres Element der Determination im Menschen selbst vorhanden ist, welches das Feld der astrologischen Voraussage einschränkt und sogar viele ihrer ermittelten Ergebnisse verändern kann. Es ist ein sehr verwickelter und schwieriger Kräfte-Komplex, aus der jede Determination von Dingen in der Welt besteht, und wenn wir einen Faden des Stranges entwirrt haben und ihm folgen, mögen wir viele überraschende Ergebnisse erhalten, können uns aber darauf nicht als den einzigen, völlig sicheren Hinweis verlassen. Die Methoden des Mentals sind zu starr und zu angenehm einfach, als dass sie die volle und ganze Wahrheit der Wirklichkeit oder ihrer einzelnen Phänomene enträtseln könnten.

Ich stimme deiner Äußerung zu, dass man viel über einen Menschen erfahren kann, wenn man einen kleinen Teil seines Wesens untersucht, sei es physisch oder psychologisch; doch ich glaube, es führt zu weit zu sagen, man könnte den ganzen Menschen aus einem winzigen Partikel seines Haares rekonstruieren. So wie ich die Komplexität und Vielfalt der Elemente im menschlichen Wesen sehe, würde ich eher annehmen, dass ein derartiges Vorgehen vom Zufall geprägt wäre und viel Unbekanntes die übertriebene Sicherheit der daraus resultierenden Struktur überschatten würde.

 

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Ich vermute, wir können nicht so weit gehen zu leugnen, dass es so etwas wie Aberglauben gibt – ein starrer, haltloser Glaube an etwas, das ziemlich unvernünftig und unzusammenhängend ist. Das menschliche Mental klammert sich bereitwillig daran, an solche Dinge zu glauben, die wahr sein können oder in sich wahr sind, und dieses Durcheinander beeinträchtigt sehr ungünstig die Suche nach Erkenntnis. Doch gerade wegen dieser Wirrnis, weil irgendwo hinter dem Aberglauben oder nicht weit weg von ihm meist tatsächlich etwas Wahres steckt, sollte man vorsichtig sein, dieses Wort zu gebrauchen oder mit ihm als handlichem Besen sowohl das Wahre als auch das teilweise Wahre und das Unbegründete hinwegzufegen und dann zu beanspruchen, der übriggebliebene nackte Boden sei die einzige Wahrheit der Sache.

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Als ich den Satz über einen „starren, blinden Glauben“ niederschrieb, dachte ich eigentlich nicht an den religiösen Glauben, sondern an die allgemeinen volkstümlichen Ideen und Vorstellungen. Deine Ansicht der Sache ist in jedem Fall durchaus vernünftig. Man kann und sollte an seinen eigenen Pfad glauben und ihm folgen, ohne andere zu verdammen oder auf sie herabzublicken, die eine andere Vorstellung von dem haben, was man selbst für die beste und größte Wahrheit hält. Der spirituelle Bereich ist vielseitig und komplex und bietet einer unendlichen Vielfalt von Erfahrungen Platz. Außerdem muss jeder mentale und spirituelle Egoismus überwunden werden, daher sollte man dieses Gefühl der Überlegenheit nicht dulden.

P.S. Ein wahrhaftes, rückhaltloses und zielstrebiges Annehmen dieses Yoga sollte auf eine Ebene führen, auf der diese starren Trennungen nicht mehr bestehen; denn sie sind mentale Wände, die um einen Teil der Wahrheit und des Wissens errichtet werden, um sie vom Übrigen abzutrennen; die Sicht von oberhalb des Mentals jedoch ist umfassend, und alles erhält in ihr seinen Platz im Ganzen.

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1 Ich sage, dass die Vorstellung des Supramentals bereits in alten Zeiten bestand. In Indien und anderswo wurde der Versuch gemacht, es zu erreichen, indem man sich zu ihm erhebt; was aber nicht erreicht wurde, war die Methode, es mit dem Leben zu integrieren und für die Umwandlung der gesamten Natur, selbst der physischen Natur herabzubringen.

2 Sri Aurobindo bezieht sich hier auf Lord Asquith, der 1908-1916 als Premierminister die Liberale Partei Englands vertrat.

3 Sri Aurobindo bezieht sich hier auf den Traum eines Sadhaks, in dem dieser ein Ferngespräch mit einem Freund führte. Die Stelle in dessen Brief lautet: „Im äußeren Leben, glaube ich, ist ein Telefongespräch weit weniger befriedigend als der Austausch von Briefen. Ist es nicht sehr symbolisch, dass Telefon und Kino auftauchen, gerade zu einer Zeit, in der die menschliche Verhaltensweise und menschliche Kontakte versagen? Durch Falschheit, Gefühllosigkeit und egozentrische Gleichgültigkeit wird jeder Mensch für einen anderen mehr und mehr zu einem bedeutungslosen Schatten und einer trügerischen Stimme.“

4 One unmoving that is swifter than Mind. That the Gods reach not, for It progresses ever in front. That, standing passes beyond others as they run.“ Isha-Upanishad, Verse 4. Sri Aurobindo‘s translation.

5 Die Götter befinden sich zudem innerhalb von Raum und Zeit und sind diesen unterworfen, sie sind Bestandteil der Bewegung in Raum und Zeit und diesen nicht übergeordnet.

6 Sri Aurobindo gebraucht hier das deutsche Wort.

7 Agni – vedische Gottheit des Feuers.

8 „Matter itself, you will one day realize, is not material, it is not substance but form of consciousness, guna, the result of quality of being perceived by sense-knowledge“. („Materie als solche ist, wie du eines Tages erkennen wirst, nicht stofflich, sie ist keine Substanz, sondern eine Form des Bewusstseins, guna, das Ergebnis der Qualität des Seins, das durch das Sinnen-Wissen wahrgenommen wird.“)

9 „Wie kann sich das Göttliche, welches das all-durchdringende, all-enthaltende Unendliche ist, in dem kleinen Raum des menschlichen Körpers inkarnieren?“

5. Kapitel
Die Ebenen und Teile des Wesens
I. Bewusstsein

Die Menschen wissen nichts von sich und haben nicht gelernt, die verschiedenen Teile ihres Wesens zu unterscheiden; diese werden von ihnen meist unter dem Begriff ihres Mentals zusammengefasst und in einen Topf geworfen, da sie diese mit Hilfe eines mentalen Wahrnehmens und Verstehens erkennen oder fühlen; aus diesem Grunde begreifen sie ihre eigene Verfassung und ihre eigenen Taten nicht oder aber – wenn überhaupt – nur oberflächlich. Es gehört zur Grundlage dieses Yoga, sich der großen Kompliziertheit unserer Natur bewusst zu werden, die verschiedenen Kräfte, die sie bewegen, zu erkennen und über sie die Kontrolle eines lenkenden Wissens zu erlangen. Wir bestehen aus vielen Teilen – unserem Denken und Willen, unserer Wahrnehmung, unserem Gefühl und Handeln –, doch wir erkennen weder die Herkunft noch den Weg, den diese Impulse in uns einschlagen, und gewahren lediglich ihre verworrenen und durcheinandergewürfelten Folgen an der Oberfläche, denen wir bestenfalls eine unsichere und wechselhafte Ordnung auferlegen können.

Eine Hilfe sind uns allein jene Teile des Wesens, die bereits dem Lichte zugewandt sind. Dieses Licht des Göttlichen Bewusstseins von darüber zu rufen, das seelische Wesen hervortreten zu lassen und eine Flamme des Strebens zu entfachen, die das nach außen gewandte Mental spirituell erweckt und das vitale Wesen entzündet, das ist der Ausweg.

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Jeder Teil des Wesens hat seine eigene Natur oder sogar verschiedene Naturen, die alle in dem einen Teil enthalten sind.

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Meiner Erfahrung nach ist Bewusstsein kein Phänomen, das von den Reaktionen der Person auf die Kräfte der Natur abhängt und auf nichts anderes als ein Erkennen oder Deuten dieser Reaktionen hinausläuft. Wäre dies so, dann würde, sobald die Person still und reglos wird und keine Reaktionen mehr zeigt, so dass keine erkennende oder auswertende Tätigkeit zustande kommt, kein Bewusstsein vorhanden sein. Dies jedoch widerspricht einigen grundlegenden Erfahrungen des Yoga, zum Beispiel einem schweigenden, reglosen Bewusstsein, unendlich ausgebreitet, auf die Person nicht angewiesen, statt dessen unpersönlich und universal, Kontakte weder erkennend noch interpretierend, jedoch reglos sich selbst gewahrend, von Reaktionen nicht abhängig, sondern in sich verharrend, auch wenn keine Reaktionen stattfinden. Die subjektive Person als solche ist lediglich eine Gestaltung des Bewusstseins, das eine Macht ist, die dem Wesen, dem Selbst oder Purusha innewohnt und nicht der Tätigkeit der vorübergehend manifestierten Persönlichkeit. Bewusstsein ist eine dem Dasein innewohnende Realität. Es ist vorhanden, auch wenn es nicht an der Oberfläche tätig, sondern still und reglos ist; es ist sogar vorhanden, wenn es an der Oberfläche unsichtbar ist und nicht auf äußere Dinge reagiert, sie nicht wahrnimmt, sondern zurückgezogen und innerlich tätig oder untätig ist; es ist selbst dann vorhanden, wenn es uns gänzlich abwesend zu sein scheint und das Wesen unserem Auge unbewusst und unbelebt vorkommt.

Bewusstsein ist nicht nur eine Macht der Wahrnehmung des Selbstes und der Dinge, es ist oder besitzt ebenfalls eine dynamische und schöpferische Energie. Es kann seine eigenen Reaktionen bestimmen oder sich der Reaktionen enthalten; es vermag nicht nur auf Kräfte zu reagieren, sondern kann aus sich Kräfte erschaffen oder hervorbringen. Bewusstsein ist Chit, doch ebenfalls Chit Shakti.

Bewusstsein wird meist mit dem Mental identifiziert, doch das mentale Bewusstsein ist nur der menschliche Bereich, der genausowenig alle möglichen Bewusstseinsbereiche erfasst, wie menschliches Sehen alle Farbabstufungen oder menschliches Hören alle Tonabstufungen erfasst – denn es gibt vieles darunter und darüber, das für den Menschen unsichtbar und unhörbar ist. Ebenso gibt es Bewusstseinsbereiche über und unter der menschlichen Ebene, mit denen der durchschnittliche Mensch keinen Kontakt hat und die ihm daher unbewusst erscheinen – supramentale, obermentale und submentale Bereiche.

Wenn Yajnavalkya sagt, dass es kein Bewusstsein im Brahman-Zustand gäbe, spricht er von einem Bewusstsein, wie das menschliche Wesen es kennt. Der Brahman-Zustand ist der eines höchsten Daseins, das sich im höchsten Grade seiner selbst bewusst ist, svayamprakasa – es ist der Sachchidananda-Zustand, Dasein-Bewusstsein-Seligkeit. Selbst wenn man davon als „jenseits von Dem“ spricht, paratparam, bedeutet dies nicht, dass es ein Zustand des Nicht-Seins oder Nicht-Bewusstseins ist, sondern dass er sich vielmehr jenseits der höchsten spirituellen Sphäre des kosmischen Daseins und Bewusstseins befindet (jenem „Ursprung darüber“ in dem erleuchteten Paradoxon des Rigveda). Aus der Beschreibung des chinesischen Tao und des buddhistischen sunya geht hervor, dass jenes ein Nichts ist, in dem alles ist – genauso ist es mit der Verneinung des Bewusstseins dort. Überbewusst oder unterbewusst sind nur relative Ausdrücke; wenn wir uns in das Überbewusste erheben, sehen wir, dass es ein größeres Bewusstsein ist als unser bislang höchstes und uns daher in unserem normalen Dasein verschlossen ist; und wenn wir in das Unterbewusste eintreten können, finden wir dort ein Bewusstsein, das anders als das unsere an seiner untersten mentalen Grenze und uns aus diesem Grund normalerweise nicht zugänglich ist. Das Unbewusste schließlich ist nichts als ein involvierter Bewusstseinszustand, der, obschon auf andere Weise als das Tao oder sunya, alle Dinge unterdrückt in sich enthält, so dass unter einem Druck von oben oder von innen sich alles daraus zu entfalten vermag – „eine untätige Seele mit nachtwandlerischer Kraft“.

Die Abstufungen des Bewusstseins sind universale Zustände, die nicht von der Einstellung der subjektiven Persönlichkeit abhängen; vielmehr wird die Einstellung der subjektiven Persönlichkeit von der Bewusstseinsebene bestimmt auf der sie gemäß ihrem Typus oder evolutionären Entwicklungsstadium eingeordnet ist.

Es ist deutlich, dass mit Bewusstsein etwas gemeint ist, das im wesentlichen durchweg das gleiche ist, das jedoch seinem Zustand, seiner Voraussetzung und Wirkungsweise nach verschieden ist; es können in ihm in andersartigen Abstufungen oder Formen jene Tätigkeiten, die wir Bewusstsein nennen, bestehen, und zwar in einem entweder unterdrückten, ungeordneten oder in einem unterschiedlich geordneten Zustand; in anderen Zuständen hingegen können sich andere Tätigkeiten manifestieren, die unterdrückt, ungeordnet oder latent in uns vorhanden sind, oder aber weniger vollkommen manifestiert, weniger ausgebreitet, weniger intensiv und machtvoll sind als in jenen höheren Bereichen oberhalb unserer höchsten mentalen Grenze.

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Es hängt ganz davon ab, wo das Bewusstsein sich festigt und konzentriert. Konzentriert oder festigt sich das Bewusstsein im Ego, dann ist es mit dem Ego identifiziert; konzentriert es sich im Mental, dann ist es mit dem Mental und seinen Tätigkeiten identifiziert und so weiter. Richtet das Bewusstsein sich nach außen, dann sagt man, es lebt im äußeren Wesen, es vergisst sein inneres Mental, sein inneres Vital und seine innerste Seele; wendet es sich nach innen und verlagert dorthin sein zentrales Gewicht, dann erkennt es sich als das innere Wesen oder noch tiefer als das seelische Wesen; erhebt es sich aus dem Körper zu jenen Ebenen, auf denen das Selbst sich in natürlicher Weise seiner Weite und Freiheit bewusst ist, dann erkennt es sich als das Selbst und nicht als Mental, Leben oder Körper. Dieses Ausgerichtetsein des Bewusstseins ist es, das den ganzen Unterschied ausmacht. Daher muss man das Bewusstsein im Herzen oder im Mental sammeln, um sich nach innen oder oben wenden zu können. Das Ausgerichtetsein des Bewusstseins entscheidet alles und macht den Menschen überwiegend mental, vital, körperlich oder seelisch, gebunden oder frei, losgelöst im Purusha oder verstrickt in die Prakriti.

 

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Bewusstsein bedarf keines reinen individuellen „Ich“, um den zentralisierenden Akzent auf verschiedene Weise zu lenken; wo der Akzent sich zentralisiert, dort klammert sich das „Ich“ an, so dass man sich dann für ein mentales oder physisches Wesen hält, oder was immer es sei. Das Bewusstsein in mir kann auf diese oder jene Weise ausgerichtet sein – es kann sich hinab in das Physische wenden und dort in der physischen Natur wirken und alles Übrige eine Zeitlang dahinter oder darüber bewahren; oder es kann zur Ebene über dem Kopf aufsteigen, über Mental, Leben und Körper stehen und diese als instrumentale, niedere Formen seiner selbst ansehen, oder sie gar nicht sehen und in das freie, unterschiedslose Selbst tauchen; oder es kann in ein aktives, dynamisch-kosmisches Bewusstsein eingehen und sich mit diesem identifizieren, oder es kann ungezählte andere Dinge tun, ohne auf die Hilfe dieser stark überschätzen und vorwitzigen Fliege am Rad angewiesen zu sein, die du das reine individuelle „Ich“ nennst. Das wirkliche „Ich“, wenn du schon dieses Wort gebrauchen willst, ist nicht „rein individuell“, also kein scharf umgrenztes, abgesondertes Ego, sondern es ist so weit wie das Universum selbst und noch weiter; es vermag das Universum in sich zu enthalten, doch ist dies nicht der ahamkara, es ist der Atman.

Bewusstsein ist etwas Grundlegendes, die grundlegende Tatsache im Dasein, und die Energie, das Fließen, die Bewegung des Bewusstseins erschaffen das Universum und alles, was es enthält; sowohl der Makrokosmos als auch der Mikrokosmos sind nichts als Bewusstsein, das sich selber ordnet. Wenn zum Beispiel Bewusstsein in seiner Bewegung oder vielmehr in einer gewissen Richtung seiner Bewegung sich in seinem Wirken verliert, wird es eine scheinbar „unbewusste“ Energie;wenn es sich in der Form verliert, wird es zum Elektron, dem Atom, dem stofflichen Objekt. In Wirklichkeit aber ist es immer noch Bewusstsein, das in der Energie wirkt und sowohl die Form als auch die Evolution der Form bestimmt. Sobald es sich langsam, evolutionär aus der Materie befreien will, doch immer noch in der Form befindlich, taucht es als Leben, als Tier, als Mensch empor und kann sich aus seiner Involution noch weiter entfalten und mehr werden als nur Mensch. Wenn du dies verstehst, dann sollte es nicht schwer sein, weiterhin zu erkennen, dass es sich subjektiv als ein körperliches, ein vitales, ein mentales und als ein seelisches Bewusstsein ausdrücken kann; all diese sind im Menschen gegenwärtig, doch da sie im äußeren Bewusstsein vermischt sind und ihren wahren Zustand dahinter im inneren Wesen haben, vermag man sie allein dann voll wahrzunehmen, wenn man den zutiefst begrenzenden Stress des Bewusstseins, der uns in unserem äußeren Wesen leben lässt, auflöst, und erwacht und sich im inneren Wesen sammelt. Das Bewusstsein in uns muss durch seine nach außen gerichtet Konzentration, seinen nach außen gerichteten Stress all diese Dinge hinter eine Wand oder einen Schleier schieben; daher muss es diese Wand oder diesen Schleier niederreißen, damit es wiederum in sein Ausgerichtetsein auf die inneren Teile des Wesens zurückfinden kann – das ist es, was wir innerlich leben nennen; dann erscheint uns unser äußeres Wesen als etwas Kleines, Oberflächliches, und wir sind oder werden uns des weiten, reichen und unerschöpflichen Königreiches in uns bewusst. Auf gleiche Weise trennt das Bewusstsein in uns mit Hilfe eines Lids oder einer Hülle oder wie immer man es nennen will die niederen Ebenen von Mental, Leben und Körper, die von der Seele gestützt werden, von den höheren Ebenen, welche die spirituellen Königreiche bergen, in denen das Selbst immer frei und unbegrenzt ist; es vermag jedoch das Lid oder die Hülle aufzureißen und nach dort aufzusteigen, das Selbst zu werden, frei und weit und leuchtend, oder aber von dort den Einfluss, den Widerschein und schließlich sogar die Gegenwart und Macht des höheren Bewusstseins in die niedere Natur herabzubringen.

Nun also, das ist Bewusstsein; es ist nicht aus Teilen zusammengesetzt, es ist grundlegend für das Wesen und drückt selbst alle Teile, die es manifestieren will, aus; es entwickelt sie durch ein fortschreitendes Herabkommen von oben nach unten, von spirituellen Ebenen bis hin zur Involution in der Materie, oder es drückt sie in einem aufwärtsgerichteten, sichtbaren Wirken aus durch das, was wir Evolution nennen. Will es in dir durch den Ego-Sinn wirken, dann glaubst du, es ist das klar umrissene individuelle „Ich“, das alles tut; wenn es sich aber von diesem begrenzten Wirken zu befreien beginnt, dann wirst du dein „Ich“-Gefühl ausdehnen, bis es in der Unendlichkeit zerbirst und aufhört zu bestehen, oder aber du streifst es ab und entfaltest dich in spiritueller Weite. Natürlich ist dies nicht das Bewusstsein, wie das moderne materialistische Denken es versteht; letzteres wird von der Wissenschaft beherrscht, die Bewusstsein lediglich als Phänomen betrachtet, das aus der unbewussten Materie auftaucht und das aus bestimmten Reaktionen des menschlichen Systems auf äußere Dinge besteht. Dies ist jedoch nur eine Erscheinungsform von Bewusstsein, es ist nicht Bewusstsein als solches; es ist sogar nur ein Bruchteil des möglichen Phänomens Bewusstsein und kann von dem Bewusstsein der Wirklichkeit, der Essenz des Daseins, keine Vorstellung geben.

Das ist alles für heute. Du wirst dir dies, da es grundlegend ist, einprägen müssen, bevor es Sinn hat weiterzugehen.

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Bewusstsein besteht aus zwei Elementen, dem Wahrnehmen des Selbstes und der Dinge und Kräfte sowie aus bewusster Macht. Das Wahrnehmen ist zuerst erforderlich, das heißt, du musst die Dinge im rechten Bewusstsein wahrnehmen, in der rechten Weise, du musst sie in ihrer Wahrheit sehen; doch das Wahrnehmen als solches ist nicht genug. Es müssen ein Wille und eine Kraft vorhanden sein, die das Bewusstsein wirksam machen. Jemand kann sich dessen, was verändert und zurechtgerückt werden muss, voll bewusst sein, ist aber unfähig, die Veränderung zu vollziehen. Ein anderer mag die Willenskraft besitzen, doch, da ihm die rechte Wahrnehmung fehlt, nicht in der Lage sein, sie in der rechten Weise und am rechten Ort anzuwenden. Der Vorteil, im wahren Bewusstsein zu leben, ist, dass du die rechte Wahrnehmung besitzt, dass sein Wille sich im Einklang mit dem Willen der Mutter befindet und du die Kraft der Mutter rufen kannst, damit sie die Wandlung vollzieht. Denjenigen, die im Mental und Vital leben, fällt dies nicht leicht; sie müssen meist ihre persönliche Bemühung einsetzen, da die Wahrnehmung, der Wille und die Kraft des Mentals und Vitals verstreut und unvollkommen sind und die verrichtete Arbeit unvollständig und unbestimmt ist. Allein im Supramental sind Wahrnehmung, Wille und Kraft immer eine Bewegung und selbsttätig wirksam.

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