Briefe über den Yoga

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Vielleicht sind mit dem Höchsten vielmehr die drei Fundamente der gegenwärtigen Schöpfung gemeint. Im indischen Denksystem sind es Ishvara, Shakti und Jiva oder auch Sachchidananda, Maya, Jiva. In unserem System, das über die gegenwärtige Manifestation hinauszugelangen versucht, könnten jene sehr wohl als gegeben angenommen und vom Standpunkt der Bewusstseinsebenen aus betrachtet werden; die drei obersten, also Ananda (mit Sat und Cit, die darauf beruhen), sowie das Supramental und Obermental wären in diesem Fall die drei Höchsten. Das Obermental befindet sich auf dem Gipfel der niederen Hemisphäre, und du musst hindurch und über das Obermental hinaus, wenn du das Supramental erreichen willst; über dem Supramental und jenseits davon befinden sich die Welten von Sachchidananda.

Du sprichst von der Kluft unterhalb des Obermentals. Doch ist dort wirklich eine Kluft vorhanden -, gibt es irgendeine andere Kluft als menschliche Unbewusstheit? In der Reihenfolge der Bewusstseinsebenen oder -stufen gibt es nirgendwo eine wirkliche Kluft, es sind immer Verbindungsstufen vorhanden, und man kann Schritt für Schritt aufsteigen. Zwischen dem Obermental und dem menschlichen Mental gibt es eine Anzahl von immer lichtvolleren Abstufungen; da diese dem menschlichen Mental jedoch überbewusst sind (außer einer oder zwei der untersten, mit denen es direkte Kontakte hat), neigt es dazu, sie als eine Art höheres Unbewusstes zu betrachten. Daher spricht eine der Upanishaden von dem Ishvara-Bewusstsein als susupti, tiefer Schlaf, da der Mensch meist nur im Samadhi Zustand darin eintreten kann, solange er nicht versucht, sein Wachbewusstsein in einen höheren Zustand zu verwandeln.

Tatsächlich gibt es zwei Systeme, die im Aufbau des Wesens und seiner Teile gleichzeitig wirken: das eine ist konzentrisch, eine Folge von Ringen oder Hüllen mit der Seele im Zentrum; das andere ist vertikal, ein Aufsteigen und Herabkommen ähnlich einer Treppenflucht, eine Folge übereinanderliegender Ebenen mit dem Supramental-Obermental als zentralem Punkt des Übergangs jenseits des Menschlichen in das Göttliche. Für diesen Übergang, wenn er gleichzeitig eine Umwandlung bewirken soll, gibt es nur einen Weg, einen Pfad. Zuerst muss eine Wende nach innen erfolgen, ein Nach-innen-Gehen, um das innerste seelische Wesen aufzufinden, um es hervortreten zu lassen, wobei zur gleichen Zeit das innere Mental, das innere Vital und die inneren physischen Teile der Natur enthüllt werden. Das nächste ist ein Emporsteigen, eine Folge von nach oben gerichteten Verwandlungen, und eine Wende nach unten, um die niederen Teile umzuformen. Nachdem man die innere Wandlung vollzogen hat, wird die gesamte niedere Natur durchseelt und für die göttliche Veränderung bereitgemacht. Indem man aufsteigt, überschreitet man das menschliche Mental, und auf jeder Stufe des Aufstiegs findet eine Wandlung in ein neues Bewusstsein statt; dieses neue Bewusstsein durchdringt die Gesamtheit der menschlichen Natur. Indem wir uns derart über den Verstand erheben, vom erleuchteten höheren Mental bis zum intuitiven Bewusstsein, beginnen wir, die Dinge nicht mehr von der intellektuellen Ebene her zu betrachten oder mit Hilfe des Intellektes als Instrument, sondern von einer größeren, intuitiven Höhe und mit Hilfe eines von der Intuition geprägten Willens, Fühlens, Empfindens. Sinnes und physischen Kontaktes. Während man derart von der Intuition zu einer größeren Obermental-Höhe fortschreitet, findet eine erneute Verwandlung statt, und wir betrachten und erfahren die Dinge über das Obermental-Bewusstsein und über ein Mental, ein Herz, ein Vital und einen Körper, die vom Denken des Obermentals durchdrungen sind – von seinem Sehnen, Wollen, Fühlen und Empfinden, von seinem Spiel der Kräfte, von seiner Berührung. Die letzte Verwandlung jedoch ist die supramentale, denn ist man einmal dort angelangt, ist einmal die menschliche Natur supramentalisiert, dann befinden wir uns jenseits der Unwissenheit, und eine Wandlung des Bewusstseins ist nicht länger erforderlich, obwohl ein weiteres göttliches Fortschreiten, ja sogar eine unendliche Entwicklung noch möglich ist.

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Es gibt eine Welt der Unwissenheit, es gibt auch Welten der Wahrheit. Schöpfung hat keinen Anfang und kein Ende. Nur von einer bestimmten Schöpfung kann man sagen, sie habe einen Anfang und ein Ende.

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Du darfst nicht vergessen, dass es Spiegelungen von Höheren Welten auf den niederen Ebenen gibt, die leicht als das Höchste für dieses Stadium der Evolution erfahren werden können. Der höchste Sachchidananda ist keine Welt, er ist überkosmisch. Die Welt des Sat (Satyaloka) ist die höchste der Stufenfolge, die mit diesem Universum verbunden ist.

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Dies ist die ursprüngliche Tapaloka, die Welt der bewussten Kraft, deren Prinzip Chit und deren Macht Tapas ist, doch gibt es auch andere Tapas-Welten auf anderen, darunterliegenden Ebenen. Es gibt eine solche auf der mentalen, eine weitere auf der vitalen Ebene. Von einer dieser Tapas-Welten muss das Wesen, das du sahst, gekommen sein.

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Es gibt eine vitale Ebene (in sich bestehend) über dem stofflichen, sichtbaren Universum; es gibt eine mentale Ebene (in sich bestehend) über der vitalen und stofflichen Ebene. Diese drei zusammen – das Mental, das Vital und das Physische – werden das dreifache Universum der niederen Hemisphäre genannt. Sie wurden im Erdbewusstsein durch die Evolution geformt, doch bestanden sie vor der Evolution für sich über dem Erdbewusstsein und über der stofflichen Ebene, zu der die Erde gehört.

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Wenn wir die Abstufung der Welten oder Ebenen als Ganzes betrachten, erkennen wir sie als eine große, zusammenhängende, komplexe Bewegung; die höheren wirken auf die niederen ein, die niederen reagieren auf die höheren und entwickeln und manifestieren in sich, innerhalb ihrer eigenen Gegebenheiten etwas, das der höheren Macht und deren Wirken entspricht. So entfaltete die stoffliche Welt, indem sie einem Druck der vitalen Ebene nachgab, das Leben und später das Mental, indem sie einem Druck der mentalen Ebene folgte. Nun versucht sie, das Supramental zu entfalten, einem Druck der supramentalen Ebene gehorchend. Dies heißt im einzelnen, dass bestimmte Kräfte, Bewegungen, Mächte und Wesenheiten einer höheren Welt in eine niedere eindringen können, um dort angemessene und korrespondierende Formen zu schaffen, die sie mit dem stofflichen Bereich verbinden und dort ihr Wirken gleichsam nachbilden oder übertragen. Und alles, was hier erschaffen wurde, besitzt feinstoffliche Hüllen oder Formen, die es stützen und erhalten und die es mit den von oben wirkenden Kräften verbinden. Der Mensch zum Beispiel besitzt neben seinem grobstofflichen physischen Körper feinstofflichere Hüllen oder Körper, durch welche er im Verborgenen in direkter Verbindung mit überstofflichen Bewusstseinsebenen steht und durch deren Mächte, Bewegungen und Wesenheiten er beeinflusst werden kann. Was im Leben stattfindet, hat immer präexistente Bewegungen und Formen in den okkult-vitalen Ebenen hinter sich; was im Mental stattfindet, setzt präexistente Bewegungen und Formen in den okkult-mentalen Ebenen voraus. Dies ist ein Aspekt der Dinge, der immer offenkundiger, eindringlicher und wichtiger wird, je weiter wir in einem dynamischen Yoga voranschreiten.

Doch all dies darf nicht in einem zu starren, mechanischen Sinn aufgefasst werden. Es ist eine ungeheuer plastische Bewegung, voll des Spiels der Möglichkeiten, und sie muss mit anpassungsfähigem und feinem Empfinden oder Sinn von einem aufmerksamen Bewusstsein erfasst werden. Man kann dies auf keine unerbittlich logische oder mathematische Formel zurückführen. Zwei oder drei Punkte will ich hervorheben, damit wir diese Plastizität nicht aus dem Auge verlieren.

Als erstes, jede Ebene ist, trotz ihrer Verbindung mit anderen darüber oder darunter, dennoch eine Welt für sich, mit eigenen Bewegungen, Kräften, Wesenheiten, Typen und Formen, die um ihrer selbst und derentwillen besteht, ihren eigenen Gesetzen gemäß, ihrer eigenen Manifestation wegen und ohne wahrnehmbaren Bezug zu anderen Gliedern der großen Reihen. Daher sehen wir, wenn wir die vitale oder feinstofflich-physische Ebene betrachten, große Bereiche, die meist für sich bestehen, ohne jede Beziehung zur stofflichen Welt und ohne Neigung, auf diese einzuwirken oder sie zu beeinflussen, viel weniger noch eine entsprechende Manifestation in diese herabzusenden.

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Wir können bestenfalls sagen, dass das Vorhandensein einer Sache auf der vitalen oder feinstofflich-physischen oder auf irgendeiner anderen Ebene die Möglichkeit für eine entsprechende Manifestation in der physischen Welt schafft. Es ist jedoch ein übriges erforderlich, damit diese statische oder latente Möglichkeit sich in eine dynamische Macht oder in einen tatsächlichen Impuls zu einer stofflichen Gestaltung wandelt. Dieses Übrige kann in einem Ruf von der stofflichen Ebene bestehen; zum Beispiel eine Kraft oder ein Mensch im physischen Dasein tritt in Kontakt mit einer überphysischen Macht oder Welt oder einem Teil von ihr und wird veranlasst, diese in das Erdenleben herabzubringen. Oder aber es kann ein Impuls sein, der aus der vitalen oder einer anderen Ebene stammt: zum Beispiel wird ein vitales Wesen veranlasst, sein Wirken auf die Erde auszudehnen und dort ein Königreich für sich oder für das Spiel der Kräfte in seinem ureigenen Bereich zu errichten. Oder es kann auch durch einen Druck von darüber sein; wenn zum Beispiel eine supramentale oder mentale Macht ihre Gestaltung von oben herabbringt und Formen und Bewegungen auf der vitalen Ebene als einem Durchgangsbereich für deren Gestaltung in der stofflichen Welt entwickelt. Oder aber es kann sein, dass alle diese Dinge zusammenwirken, wobei dann die größte Wahrscheinlichkeit einer wirklichen Gestaltung in der Materie besteht.

 

Daraus folgt als nächstes, dass nur ein kleiner Teil der Tätigkeit der vitalen oder einer anderen höheren Ebene das Erdendasein betrifft. Doch selbst dies erzeugt eine Unzahl von Möglichkeiten, die viel größer ist, als die Erde in der ihr eigenen, weniger plastischen Struktur gleichzeitig manifestieren oder enthalten kann. Nicht all diese Möglichkeiten verwirklichen sich; einige scheitern völlig und hinterlassen bestenfalls eine Idee, die zu nichts führt; einige versuchen und führen zu nichts, selbst wenn sie eine Zeitlang tätig waren. Andere bewirken eine halbe Manifestation; dies ist das häufigste Ergebnis, umso mehr als diese vitalen oder anderen überstofflichen Kräfte in Widerstreit geraten und nicht nur den Widerstand des physischen Bewusstseins und der Materie überwinden müssen, sondern ebenfalls ihren eigenen verbissenen Widerstand gegeneinander. Einer gewissen Anzahl gelingt es, eine vollständigere und erfolgreichere Schöpfung herabzubringen, und wenn du diese mit ihrem Original auf der höheren Ebene vergleichst, wirst du eine starke Ähnlichkeit erkennen oder sogar eine scheinbar genaue Nachbildung oder Übertragung von der überphysischen auf die physische Struktur. Doch selbst hier ist die Genauigkeit nur eine scheinbare; allein die Tatsache der Übertragung auf eine andere Substanz oder einen anderen Rhythmus der Manifestation bedingt eine Verschiedenheit. Es ist etwas Neues, das sich manifestiert, und das ist es, was diese Erschaffung lohnend macht. Welchen Wert hätte zum Beispiel eine supramentale Schöpfung auf Erden, solange sie nur die Wiederholung einer supramentalen Schöpfung auf der supramentalen Ebene wäre? Sie ist es im Prinzip, und doch ist sie etwas anderes, nämlich eine siegreiche neue Selbst-Entdeckung des Göttlichen unter Voraussetzungen, die nirgendwo anders zu finden sind.

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Kein Zweifel, das feinstoffliche Physische ist dem Physischen am nächsten und ähnlichsten. Und dennoch unterscheiden sich die Voraussetzungen und die Sache selbst. Zum Beispiel hat das feinstoffliche Physische eine Freiheit, Plastizität, Intensität, eine Macht, Farbe, Weite, ein mannigfaches Spiel (Tausende von Dingen gibt es dort, die hier nicht sind), für die wir bislang auf Erden noch keine Möglichkeit haben. Und doch gibt es hier etwas, eine Macht des Göttlichen, welche jenes andere trotz seiner größeren Freiheiten nicht besitzt, etwas, was die Erschaffung schwieriger macht, doch letzten Endes die Mühe lohnt.

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Das meiste geschieht erst im Vital, bevor es im Physischen geschieht; doch nicht alles, was im Vital geschieht, verwirklicht sich im Physischen oder auf die gleiche Weise. Es findet immer oder meist eine Veränderung der Form, Zeit und Umstände statt, entsprechend den unterschiedlichen Voraussetzungen auf der physischen Ebene.

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Diese Beobachtungen sind als Ganzes gesehen richtig. Jede Ebene ist in sich wahr, doch in Bezug auf das Supramental nur teilweise wahr. Sobald diese höheren Wahrheiten in das Physische gelangen, versuchen sie sich zu verwirklichen, doch gelingt ihnen dies nur teilweise und unter den Voraussetzungen der stofflichen Ebene. Allein das Supramental vermag diese Schwierigkeit zu überwinden.

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Die himmlischen Welten befinden sich über dem Körper. Die Teile des Körpers korrespondieren mit entsprechenden Ebenen, dem feinstofflich Physischen, dem höheren, mittleren und unteren Vital, dem Mental. Jede Ebene ist in Verbindung mit verschiedenen Welten, die ihr zugeordnet sind.

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Gemeint ist das äußere Bewusstsein, das innere Bewusstsein, das Überbewusste (Vaisvanara, Taijasa und Prajna der Mandukya-Upanishad). Die Ausdrücke Wachen, Traum, Schlaf werden deswegen angewendet, da im gewöhnlichen Bewusstsein des Menschen allein das Äußere wach, während das innere Wesen meist unterschwellig ist und auf direkte Weise nur im Schlaf handelt, wo seine Regungen als Träume und Visionen empfunden werden; das Überbewusste hingegen (Supramental, Obermental) befindet sich sogar jenseits dieses Bereichs und erscheint dem Mental wie tiefer Schlaf.

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Doch warum willst du diese Dinge mit der Seele verbinden? Diese vier Namen (Vaisvanara, Taijasa, Prajna und Kutastha) beziehen sich auf vier Beschaffenheiten des transzendenten und universalen Brahman oder Selbstes, sie sind lediglich Seins- und Bewusstseinszustände: Das Selbst, das den Wachzustand oder das sthula-Bewusstsein stützt; das Selbst, das den Traum-Zustand oder das feine Bewusstsein stützt; das Selbst, das den Zustand des Tief-Schlafs oder das Kausale Bewusstsein stützt, karana, und das Selbst im überkosmischen Bewusstsein. Die Individualität nimmt natürlich daran teil, doch sind es Zustände des Selbstes, nicht das Selbst und die Seele. Die Bedeutung dieser Ausdrücke ist in der Mandukya-Upanishad festgelegt.

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Die beiden Versionen der drei Namen bedeuten jedes Mal dasselbe: Visva oder Virat, der Spirit des äußeren Universums; Hiranyagarbha oder Taijasa, (der leuchtende), der Spirit der inneren Ebenen, Prajna oder Ishvara, der Überbewusste Spirit, Herr aller Dinge und das höchste Selbst, auf dem alles beruht. Das Mental kann nicht der Ishvara sein.

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Virat ist die äußere Manifestation, und wenn wir diese insgesamt als Brahman ansehen ohne zu wissen, was sich hinter der Manifestation befindet, werden wir dem intellektuellen Irrtum des Pantheismus erliegen und nicht erkennen, dass das Göttliche mehr ist als diese äußere Manifestation und nicht allein durch diese erkannt werden kann. Im Vital können wir den Fehler begehen, alles Dunkle und Unvollkommene in gleicher Weise anzunehmen wie all das, was für das Licht und die göttliche Vollendung steht. Es sind noch viele andere sich daraus ergebende Fehler möglich.

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III. Supramental – Obermental

Mit dem Supramental meine ich das volle Wahrheits-Bewusstsein der Göttlichen Natur, in dem das Prinzip der Teilung und Unwissenheit keinen Platz hat; es ist immer ein volles Licht und Wissen, die jeglichem mentalen Stoff und aller mentalen Bewegung übergeordnet sind. Zwischen dem Supramental und dem menschlichen Mental befindet sich eine Anzahl von Bereichen, Ebenen oder Schichten des Bewusstseins, – man kann es auf vielfältige Art und Weise betrachten –, in denen das Element oder die Substanz des Mentals und infolgedessen auch seine Regungen immer leuchtender, machtvoller und weiter werden. Das Obermental ist der höchste dieser Bereiche, es ist voll Licht und Macht; doch vom darüberliegenden Standpunkt aus betrachtet, ist es die Scheidelinie, an der sich die Seele vom vollkommenen, unteilbaren Wissen abwendet und in die Unwissenheit herabkommt. Denn obgleich es der Wahrheit entstammt, beginnt hier die Trennung der Wahrheitsaspekte sowie der Kräfte und ihres Wirkens, als seien sie unabhängige Wahrheiten; und dieser Prozess mündet, je weiter man in das gewöhnliche Mental, Leben und die Materie herabkommt, in einer vollständigen Teilung, Absplitterung und Abspaltung von der unteilbaren Wahrheit darüber. Hier gibt es nicht mehr das essentielle, absolute, vollkommen harmonische und einende Wissen oder, besser noch, ein Wissen, das immer harmonisch, da es immer eins ist, weil dies zum Wesen des Supramentals gehört. Erst im Supramental hören die mentalen Trennungen und Widersprüche auf, die Probleme, die unser teilendes und zergliederndes Mental schafft, verschwinden, und die Wahrheit wird als leuchtendes Ganzes gesehen. Im Obermental gibt es noch nicht den eigentlichen Sturz in die Unwissenheit, doch ist der erste Schritt, der diesen Fall unausweichlich macht, getan.

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Das Supramental ist die Eine Wahrheit, es entfaltet und bestimmt die Manifestation seiner Mächte, und alle diese Mächte wirken als eine vielfältige Einheit, in Harmonie, ohne Widerstreit oder Zusammenprall, gemäß dem Einen Willen, der ihnen allen innewohnt. Das Obermental ergreift diese Wahrheiten und Mächte und setzt jede einzelne von ihnen als eine für sich bestehende Kraft mit ihren unausbleiblichen Folgen in Tätigkeit – in ihrem Wirken kann Harmonie sein, doch diese ist eher künstlich und einseitig und nicht innewohnend und unausweichlich; in dem Maße wie man vom höchsten Obermental herabkommt, mehren sich Teilung, Zusammenprall und Widerstreit der Kräfte, die Trennbarkeit dominiert, die Unwissenheit wächst und das Dasein wird zu einem Aufeinanderprallen von Möglichkeiten, einem Gemisch gegensätzlicher Halbwahrheiten, ein ungelöstes und offensichtlich unlösbares Rätsel und Zusammensetzspiel.

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Es würde den Versuch nicht lohnen, das Supramental zu erreichen, wenn es uns nicht eine größere und vollständigere Wahrheit als irgendeine der niederen Ebenen brächte. Jede Ebene hat ihre eigenen Wahrheiten. Einige sind auf einer höheren Ebene nicht länger wahr, zum Beispiel sind Begehren und Ego Wahrheiten der mentalen, vitalen und physischen Unwissenheit – ein Mensch auf dieser Bewusstseinsebene ohne Ego und Begehren wäre wie ein tamasischer Automat. In dem Maße, wie wir uns bewusstseinsmäßig erheben, erscheinen Ego und Begehren nicht länger als Wahrheiten, sondern als Falschheiten, welche die wahre Person und den wahren Willen entstellen. Der Kampf zwischen den Mächten des Lichtes und den Mächten der Finsternis ist hier [auf unserer Bewusstseinsebene] eine Wahrheit, doch sobald wir emporsteigen wird er immer weniger wahr, und im Supramental besitzt er überhaupt keine Wahrheit mehr. Andere Wahrheiten hingegen bleiben bestehen, doch sie verändern ihren Charakter, ihre Bedeutung, ihren Platz im Ganzen. Der Unterschied oder Gegensatz zwischen dem Persönlichen und dem Unpersönlichen ist eine Wahrheit des Obermentals, im Supramental hingegen sind sie untrennbar eins und besitzen keine gesonderte Wahrheit mehr. Doch einer, der die Wahrheiten des Obermentals nicht gemeistert und gelebt hat, vermag die supramentale Wahrheit nicht zu erreichen. Das Mental des Menschen, voll unzulänglichem Stolz, unterscheidet scharf, will alles andere als Unwahrheit bezeichnen und mit einem Sprung die höchste Wahrheit erreichen wie immer sie auch sei – doch ist dies ein ehrgeiziger und anmaßender Fehler. Man hat Stufe um Stufe zu erklimmen und seine Füße bei jedem Schritt fest aufzusetzen, damit man den Gipfel erreicht.

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Ich verstehe nicht. Das Persönlich-Göttliche ist nicht das gleiche wie der avatar. Was ich sagte war, dass die Trennung zwischen den beiden Aspekten des Göttlichen der Vorstellungswelt des Obermentals entstammt, das verschiedene Seiten des Göttlichen in gesonderte Wesenheiten aufteilt. So trennt es Sat, Chit und Ananda, damit sie drei voneinander getrennte, verschiedene Aspekte werden. Tatsächlich aber gibt es in jener Wirklichkeit kein Getrenntsein, die drei Aspekte sind derart ineinander verschmolzen, derart untrennbar eins, dass sie eine einzige, ungeteilte Wirklichkeit bilden. Das gleiche gilt für das Persönliche und Unpersönliche, saguna und nirguna, den Schweigenden und Tätigen Brahman. In Wirklichkeit sind es keine entgegengesetzten und unvereinbaren Aspekte; was wir das Persönliche und das Unpersönliche nennen, ist untrennbar als einzige Wahrheit ineinander verschmolzen. Tatsächlich ist „ineinander verschmolzen“ sogar ein falscher Ausdruck, denn sie waren nie getrennt, so dass man sie hätte verschmelzen müssen. Aller Zwist darüber, ob entweder das Unpersönliche Wesen die einzig wahre Wahrheit oder das Persönliche Wesen die einzig höchste Wahrheit sei, sind vom Mental erschaffene Streitfragen, die von diesem trennenden Aspekt des Obermentals herrühren. Das Obermental leugnet keinen Aspekt, so wie das Mental es tut, es anerkennt sie alle als Aspekte der Einen Wahrheit; doch indem es sie trennt, verlegt es den Streit in das unwissendere, begrenztere und geteilte Mental, da das Mental nicht zu erkennen vermag, wie zwei entgegengesetzte Dinge zusammen in einer Wahrheit bestehen können, wie zum Beispiel das Göttliche nirguno guni, unpersönlich-persönlich, sein kann; es hat nicht die Erfahrung, was hinter den beiden Worten steht, und fasst sie daher einzeln in einem absoluten Sinn auf. Das Unpersönliche ist Dasein, Bewusstsein, Seligkeit, nicht eine Person, sondern ein Zustand. Die Person ist das Seiende, das Bewusste, das Selige; Bewusstsein, Dasein, Seligkeit als getrennte Dinge aufgefasst, sind lediglich Zustände ihres Wesens. Doch tatsächlich sind die beiden (persönliches Wesen und ewiger Zustand) untrennbar und eine Wirklichkeit.

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Es ist in der Sprache des Mentals kaum auszudrücken, was das Supramental ist, selbst in der des spiritualisierten Mentals, denn es ist insgesamt ein anderes Bewusstsein und handelt auf andere Art und Weise. Was immer man darüber sagen würde, würde voraussichtlich nicht verstanden oder aber missverstanden werden. Einzig und allein indem wir in das Supramental hineinwachsen, können wir begreifen, was es ist, und auch dies erst nach einer langen Entwicklung, in deren Verlauf das erhöhte und erleuchtete Mental zur reinen Intuition wird (doch nicht jenes vermischte Etwas, das meist unter diesem Namen läuft) und sich in das Obermental zusammenballt; danach kann das Obermental in das Supramental erhoben und mit ihm verschmolzen werden, bis es eine Umwandlung erfährt.

 

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Im Supramental ist alles selbstwissend, selbstleuchtend, es gibt keine Teilungen, Gegensätze oder getrennten Aspekte wie im Mental, das nach dem Prinzip der Gliederung des Wissens in einzelne Teile arbeitet, die es dann einander gegenüberstellt. Das Obermental nähert sich an seinem höchsten Punkt dem Supramental und wird oft damit verwechselt, vermag es jedoch nicht zu erreichen, außer durch Erhöhung und Umwandlung.

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Das kosmische Bewusstsein öffnet sich im Suchenden (manchmal direkt, manchmal indirekt) durch die Macht des Obermentals, die das Mental von seinen kleinen Zergliederungen befreit, und man erkennt den kosmischen Spirit und das Spiel der kosmischen Kräfte.

Von der oder zumindest durch die Obermental-Ebene wird die ursprüngliche Anordnung der Dinge dieser Welt vorherbestimmt; denn von ihr stammen die ersten determinierenden Vibrationen. Doch es gibt entsprechende Bewegungen auf allen Ebenen, der Mental-Ebene, Vital-Ebene, sogar der physischen Ebene; und in einem sehr klaren und erleuchteten Zustand des niedrigen Bewusstseins ist es möglich, diese Bewegungen wahrzunehmen, den Plan der Dinge zu verstehen und entweder ein bewusstes Instrument zu sein oder in begrenztem Ausmaß sogar ein bestimmender Wille oder eine bestimmende Kraft. Doch der Stoff der niederen Ebenen vermischt sich immer mit den Obermentalkräften, sobald diese herabkommen, und mindert ihre Wahrheit und Macht oder fälscht und entstellt sie sogar.

Das Obermental selbst vermag einen Teil des supramentalen Lichtes den niederen Bewusstseinsebenen zu vermitteln; doch solange das Supramental sich nicht direkt manifestiert, wird sein Licht bereits im Obermental abgewandelt und in seiner Auswirkung dann weiterhin abgewandelt durch die Bedürfnisse, Forderungen und beschränkten Möglichkeiten der individuellen Natur. Der Erfolg dieses verminderten und abgewandelten Lichtes, zum Beispiel bei der Läuterung des Physischen, kann kein unmittelbarer und absoluter sein, so wie es das volle und direkte supramentale Wirken wäre; er ist vielmehr ein relativer, was durch die individuelle Natur und das Gleichgewicht universaler Kräfte bedingt ist sowie durch die Behinderung seitens feindlicher Mächte; sein Ergebnis ist unvollkommen, da das niedere Wirken endlos zu sein scheint; und er ist in seinem Ausmaß und seiner Wirksamkeit mangels einer völligen Zustimmung durch die physische Natur begrenzt.

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Das Obermental muss erreicht und herabgebracht werden, bevor die Herabkunft des Supramentals überhaupt möglich ist denn das Obermental ist der Übergang vom Mental zum Supramental.

Aus dem Obermental rühren all die verschiedenen Anordnungen der schöpferischen Wahrheit der Dinge her. Vom Obermental gelangen sie herab zur [Ebene der] Intuition und werden von dort auf das Erleuchtete und Höhere Mental übertragen, um dann für unseren Verstand geordnet zu werden. Doch sie verlieren bei der Übertragung auf niedere Ebenen mehr und mehr von ihrer Macht und Gewissheit. Und was sie an Kraft einer unmittelbar erkannten Wahrheit besitzen, geht schließlich im menschlichen Mental verloren; denn dem menschlichen Verstand stellen sie sich als lediglich spekulative Ideen dar, nicht als verwirklichte Wahrheit, nicht als direkte Schau, nicht als dynamische Vision, die mit einer konkreten, unwiderlegbaren Erfahrung verbunden ist.

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Es gibt verschiedene Ebenen des Obermentals. Die eine ist mental und erschafft auf direktem Wege alle Gestaltungen, die sich darunter in der mentalen Welt manifestieren – das ist das mentale Obermental. Darüber befindet sich die Obermental-Intuition. Noch weiter oberhalb befinden sich die Ebenen des Obermentals, die mehr und mehr mit dem Supramental verbunden sind und einen teilweise supramentalen Charakter haben. Der höchste der Obermental-Bereiche ist das supramentale Obermental oder die Obermental-Gnosis. Doch sind dies Dinge, die du nicht verstehen kannst, solange du keine höhere Erfahrung hast, zur Zeit jedenfalls noch nicht. Nur diejenigen, die voll in das kosmische Bewusstsein eingetreten sind, können sie begreifen, und selbst diese nicht sofort. Man muss zunächst die Erfahrung des höheren Mentals, des erleuchteten Mentals und der Intuition voll erlangt haben, bevor man sie verstehen kann.

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So einfach ist es nicht – doch der Verständlichkeit halber kann man das Obermental in vier Ebenen einteilen: das mentale Obermental und jene drei, von denen du schreibst (intuitives, eigentliches und supramentales Obermental); doch es gibt viele Stufen auf jeder einzelnen dieser Ebenen, und jede kann als eine Ebene für sich betrachtet werden.

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Das ist nicht unmöglich – es ist auf jeder der höheren Ebenen durchaus möglich –, die Unendlichkeit ist überall, wenn man einmal die individuellen Begrenzungen durchbrochen hat.

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Es gibt viele Stadien des Überganges vom mentalen Obermental zum supramentalen Obermental und von dort zum Supramental. Es wäre voreilig zu sagen: „Dies ist das letzte, höchste Obermental“.

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Was du das supramentale Obermental nennst1 , ist noch das Obermental und nicht Teil des wahren Supramentals. Man kann das wahre Supramental nicht erreichen (außer in einer Art Trance oder im Samadhi-Zustand), solange man nicht die Wahrheit des Obermentals im Leben, Sprechen, Handeln und im äußeren Wissen gefestigt und nicht nur in der Meditation und inneren Schau erfahren hat.

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Zu jener Zeit, als die letzten Kapitel des Buches „The Synthesis of Yoga“ [„Die Synthese des Yoga“] im „Arya“ erschienen, war der Begriff „Obermental“ noch nicht geprägt und wird daher dort nicht gebraucht. Was in jenen Kapiteln beschrieben wird, ist das Wirken des Supramentals, sobald dieses in die Obermental-Ebenen herabkommt und das Wirken des Obermentals aufnimmt und umwandelt. Das höchste Supramental oder die Göttliche Gnosis, in sich bestehend, ist etwas, das noch jenseits davon und ziemlich darüber liegt. In den letzten Kapiteln sollte aufgezeigt werden, wie schwierig dies zu erreichen ist und wie viele Ebenen es zwischen dem menschlichen Mental und dem Supramental gibt; und wie selbst das Supramental bei seinem Herabkommen mit dem niedrigen Wirken vermischt und in etwas Geringeres als die eigentliche Wahrheit verwandelt wird. Doch diese Kapitel wurden nicht geschrieben.

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Die Unterscheidung [zwischen Obermental und Supramental] wurde im „Arya“ nicht gemacht, da zu jener Zeit das, was ich jetzt das Obermental nenne, als eine niedere Ebene des Supramentals angesehen wurde, und zwar deshalb, weil ich sie vom Mental her betrachtete. Die wahre Unvollkommenheit des Obermentals, seine Begrenzung, die eine Welt der Unwissenheit entstehen ließ, wird erst dann voll erkannt, wenn man es vom physischen Bewusstsein her, also vom Resultat (Unwissenheit in der Materie) zur Ursache hin (Teilung der Wahrheit durch das Obermental) betrachtet. Auf seiner eigenen Ebene scheint das Obermental lediglich ein zergliedertes, vielseitiges Spiel der Wahrheit zu sein und kann daher vom Mental leicht als ein supramentaler Bereich angesehen werden. Auch das Mental, sobald es vom Licht des Obermentals überflutet wird, fühlt sich in einer erstaunlichen Offenbarung der göttlichen Wahrheit lebend. Die Schwierigkeiten beginnen, wenn wir es mit dem Vital zu tun bekommen und noch mehr mit dem Physischen. Dann nämlich wird es unumgänglich, dem Problem zu begegnen und scharf zwischen Obermental und Supramental zu unterscheiden, denn es zeigt sich dann, dass die Macht des Obermentals (trotz seines Lichtes und Glanzes) nicht ausreicht, um die Unwissenheit zu überwinden, da es selbst dem Gesetz der Teilung unterliegt, aus dem die Unwissenheit stammt. Man muss es überschreiten, muss das Obermental supramentalisieren, damit das Mental und alles Übrige sich der endgültigen Wandlung unterziehen können.