Briefe über den Yoga

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VII. Das umhüllende (environmental) Bewusstsein

Das Individuum ist nicht auf den physischen Körper begrenzt – nur das äußere Bewusstsein empfindet dies so. Sobald man über dieses Gefühl der Begrenzung hinwegkommt, kann man zuerst das innere Bewusstsein fühlen, das mit dem Körper verbunden ist, jedoch nicht zu ihm gehört, dann die Bewusstseins-Ebenen über dem Körper und auch ein den Körper umhüllendes Bewusstsein, das aber Teil von einem selbst, Teil des individuellen Wesens ist: durch dieses ist man in Kontakt mit den kosmischen Kräften und anderen Wesenheiten. Dieses letztere nannte ich das umhüllende (environmental) Bewusstsein.

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Jeder Mensch hat sein eigenes, persönliches Bewusstsein, das fest an seinen Körper gebunden ist und mit seiner Umgebung nur mit Hilfe des Körpers und der Sinne Kontakt aufzunehmen vermag sowie mit Hilfe des Mentals, das die Sinne gebraucht.

Dennoch strömen ohne sein Wissen fortwährend universale Kräfte in den Menschen ein. Fr aber nimmt nur die Gedanken, Gefühle usw. wahr, die in ihm zur Oberfläche aufsteigen, und hält diese für seine eigenen. Tatsächlich aber kommen sie von außerhalb; es sind Wellen des Mentals, Vitals, Wellen des Gefühls, der Sinneswahrnehmung usw., die in ihm eine bestimmte Form annehmen und, nachdem sie in ihn eingedrungen sind, zur Oberfläche aufsteigen.

Doch sie gelangen nicht sofort in seinen Körper. Der Mensch besitzt ein ihn umhüllendes Bewusstsein (von den Theosophen „die Aura“ genannt), in welches diese zuerst eindringen. Wenn du dir jenes dich umhüllenden Selbstes bewusst werden kannst, vermagst du den Gedanken, die Leidenschaft, die Möglichkeit oder die Kraft der Krankheit aufzufangen und daran zu hindern, in dich einzudringen. Wenn dagegen etwas aus dir hinausgestoßen wird, verlässt es dich meist nicht völlig, sondern nimmt seine Zuflucht in dieser dich umgebenden Hülle und versucht, von dort wieder in dich einzudringen. Oder aber es entfernt sich ein gewisses Stück bis zu den Grenzbereichen, manchmal auch noch weiter, und wartet, bis sich Gelegenheit für einen Versuch des Wiedereindringens ergibt.

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Es [das umhüllende Bewusstsein] ist nicht eine Welt – es ist etwas Individuelles.

Das Unterbewusste und das umhüllende Bewusstsein sind zwei ganz verschiedene Dinge. Was im Unterbewussten gelagert wird, wie Eindrücke und Erinnerungen, steigt von dort in die bewussten Teile auf. Im umhüllenden Bewusstsein werden die Dinge weder gespeichert noch fixiert, sie befinden sich dort im Fluss. Es ist voller Bewegung, ein Bereich für Schwingungen, ein Durchlass für Kräfte.

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Es [das umhüllende Bewusstsein] kann ruhig werden, wenn man genügend Weite besitzt. Es ist möglich, sich seiner bewusst zu werden und sich mit dem, was hindurchgeht, auseinanderzusetzen. Wäre es nicht vorhanden, dann wäre der Mensch ohne Kontakt mit der übrigen Welt.

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VIII. Das kosmische Bewusstsein

Das Bewusstsein der Individualität weitet sich aus in das kosmische Bewusstsein außerhalb und kann jede Art von Verbindung mit ihm haben, kann es durchdringen, seine Bewegungen erkennen, darauf einwirken oder von ihm empfangen, es kann sogar sein Ausmaß erreichen oder es in sich enthalten; das heißt in der Sprache der alten Yogasysteme, man habe Brahmanda (das Universum als Ei Brahmas] in sich.

Das kosmische Bewusstsein ist das Bewusstsein des Universums, des kosmischen Spirits und der kosmischen Natur mit allen Wesen und Kräften in ihr. All das ist als Ganzes so bewusst wie das Individuum für sich, doch auf andere Weise. Das Bewusstsein der Individualität ist zwar ein Teil davon, doch ein Teil, der sich als getrenntes Wesen empfindet. Dennoch kommt das meiste dessen, was die Individualität ausmacht, vom kosmischen Bewusstsein. Dazwischen aber befindet sich eine Mauer trennender Unwissenheit. Sobald diese niederbricht, wird sich das Individuum des kosmischen Selbstes bewusst, des Bewusstseins der kosmischen Natur, der Kräfte, die in ihr spielen, usw. All dies nimmt es so wahr, wie es jetzt physische Dinge und Einflüsse wahrnimmt. Es erkennt, dass alles mit seinem größeren oder universalen Selbst eins ist.

Es gibt das universale Mental, das universale Vital, die universale physische Natur, und aus ihren verschiedenen Kräften und Bewegungen wird das individuelle Mental, das individuelle Vital und Physische geformt. Die Seele aber kommt von jenseits dieser Mental-, Lebens- und Körpernatur. Sie gehört der Transzendenz an, und mit ihrer Hilfe können wir uns der höheren Natur über uns öffnen.

Das Göttliche ist immer der Eine, der die Vielen ist. Der individuelle Spirit ist Teil der „Vielen“-Seite des Einen, er lässt das seelische Wesen hervortreten, um es hier in der Erdnatur zu entwickeln. In der Befreiung erkennt das individuelle Selbst sich als der Eine (der dennoch die Vielen ist). Es kann in den Einen eintauchen, mit ihm verschmelzen oder sich in seinen Armen bergen – das ist die laya des Advaita, die Auflösung der individuellen Seele im Unendlichen; es kann sein Einssein erkennen und dennoch als Teil der Vielen, die der Eine sind, das Göttliche genießen – das ist die dvitadvaita-Befreiung, die dualistisch nicht-dualistische Befreiung; es kann seinen Aspekt der Vielen betonen und vom Göttlichen besessen sein, das ist die Version des modifizierten monistischen Vedanta: oder es kann mit Krishna im ewigen Vrindaban spielen – das ist die dvaita Befreiung oder die dualistische Befreiung. Oder es kann, selbst nach der Befreiung, in der lila oder Manifestation verbleiben oder so oft es will in diese herabkommen. Das Göttliche ist nicht an menschliche Philosophien gebunden – es ist frei in seinem Spiel, frei in seiner Essenz.

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Es gibt keinen Unterschied zwischen den Ausdrücken „universal“ und „kosmisch“, außer dass man „universal“ auf freiere Weise benutzen kann als „kosmisch“. Wenn „universal“ „vom Universum“ bedeutet, kann es durch „kosmisch“ ersetzt werden. „Universal“ kann aber auch heißen „allen gemeinsam“, zum Beispiel „dies ist eine universale Schwäche“ – du kannst aber nicht sagen, „dies ist eine kosmische Schwäche“.

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1. Spirituelles Bewusstsein ist jenes, mit dem wir in die Erkenntnis des Selbstes, des Spirits, des Göttlichen eintreten und alle Dinge in ihrer essentiellen Wirklichkeit erkennen können sowie das Spiel der Kräfte und Erscheinungsformen wie sie aus dieser essentiellen Wirklichkeit hervorgehen.

2. Das kosmische Bewusstsein ist jenes, in dem die Grenzen des Egos, des persönlichen Mentals und Körpers verschwinden und man eine kosmische Weite erkennt, die von einem kosmischen Spirit durchdrungen ist, und in dem man auch das direkte Spiel kosmischer Kräfte erkennt, universale Mental-Kräfte, universale Lebens-Kräfte, universale Energien der Materie, universale Obermental-Kräfte. Doch dies geschieht nicht alles auf einmal; das Öffnen des kosmischen Bewusstseins ist meist fortschreitend. Es ist nicht so dass Ego, Körper und persönliches Mental aufhören zu bestehen, doch empfindet man sie als einen nur geringfügigen Teil seiner selbst. Man beginnt, auch andere als Teil seiner selbst oder als andersartige Wiederholungen seiner selbst zu erkennen, des gleichen Selbstes, das von der Natur in anderen Körpern abgewandelt ist. Oder man beginnt zumindest, in einem umfassenderen, universalen Selbst zu leben, das hinfort die eigene größere Wirklichkeit ist. Alle Dinge beginnen tatsächlich, ihre Natur und Erscheinungsform zu verändern; die eigene Erfahrung der Welt unterscheidet sich grundlegend von der jener Menschen, die in ihr persönliches Selbst eingeschlossen sind. Man beginnt, die Dinge mit Hilfe einer anderen Art von Erfahrung zu erkennen, direkter, und sich nicht mehr auf das äußere Mental und die Sinne zu verlassen. Nicht dass die Möglichkeit des Irrens ausgeschlossen wäre – dies wird solange nicht der Fall sein, als das Mental in irgendeiner Form als Instrument zur Übermittlung von Wissen dient – doch es entsteht eine neue, weite und tiefe Art, Dinge zu erfahren, zu sehen, zu erkennen und Kontakt mit ihnen aufzunehmen, und die Wissensgrenzen können nahezu unermesslich ausgedehnt werden. Man muss sich jedoch wenn man das kosmische Bewusstsein erlangt hat, vor dem Spiel eines aufgeblähten Egos hüten, vor den kraftvolleren Angriffen feindlicher Mächte – denn auch sie sind Bestandteil des kosmischen Bewusstseins – und vor der kosmischen Illusion (Unwissenheit, Avidya), die versucht, das Wachsen der Seele in die kosmische Wahrheit zu verhindern. Dies sind Dinge, die man aus der Erfahrung lernen muss; mentales Lehren oder Erklären reicht ganz und gar nicht aus. Um gefahrlos in das kosmische Bewusstsein einzutreten und es gefahrlos zu durchschreiten, ist eine kraftvolle, zentrale und unegoistische Wahrhaftigkeit notwendig, sowie das seelische Wesen, das die Wahrheit erkennt und geradewegs auf das Göttliche ausgerichtet ist, bereits im Vordergrund der Natur zu haben.

3. Im gewöhnlichen Bewusstsein erkennt man die Dinge ausschließlich oder vorwiegend durch den Intellekt, durch das äußere Mental und die Sinne, nimmt Kräfte usw., allein in ihrer äußeren Offenbarung, in ihren äußeren Resultaten wahr und alles Übrige, indem man mit Hilfe dieser Tatsachen seine Rückschlüsse zieht. Es mag ein Spiel mentaler Intuition vorhanden sein, ein Spiel tieferen Sehens oder Strebens, spiritueller Eingebungen usw. – im gewöhnlichen Bewusstsein ist dies jedoch alles von zufälliger Art und verändert dessen grundlegenden Charakter nicht.

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Der gewöhnliche Mensch lebt in seinem persönlichen Bewusstsein und erkennt die Dinge mit Hilfe seines Mentals und seiner Sinne so, wie diese von einer Welt berührt werden, die sich außerhalb der seinen, außerhalb seines Bewusstseins befindet. Sobald das Bewusstsein sich verfeinert, beginnt es, mit den Dingen auf eine viel direktere Weise in Berührung zu kommen, nicht nur mit deren Formen und äußeren Einflüssen, sondern auch mit dem, was in ihnen ist – aber der Bereich [der Dinge] mag noch klein sein. Doch das Bewusstsein kann sich auch weiten und zunächst mit dem Universum eines Bereiches von Dingen in der Welt in direkten Kontakt kommen, sie dann gleichsam enthalten – wie es heißt, die Welt in sich zu sehen – und eins mit ihnen sein. Alle Dinge im Selbst zu sehen und das Selbst in allen Dingen, überall ein Sein zu erkennen, die verschiedenen Ebenen, ihre Kräfte, ihre Wesenheiten direkt zu erkennen – das ist die Universalisierung.

 

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Ja sicher [im kosmischen Mental befindet sich ein Bereich des physischen Mentals], es gibt nichts in der Individualität, das sich nicht auch in der kosmischen Energie befände. Im allgemeinen ist die Individualität lediglich ein differenziertes Zentrum universaler Kräfte, die Seele jedoch hat ihren Ursprung jenseits von diesen.

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Da es [jedes menschliche Wesen] in einem gesonderten Bewusstsein lebt, formt es aus seinen Erfahrungen der gemeinsamen Welt, in der alle hier leben, eine eigene mentale Welt. Diese ist genauso aufgebaut wie die von anderen, und der Mensch nimmt in sich die Gedanken und Gefühle von anderen auf, meist ohne es zu wissen, und benützt diese dann als Bausteine für seine abgesonderte Welt.

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Das ganze Leben ist ein Spiel universaler Kräfte. Die Individualität gibt diesen universalen Kräften eine persönliche Form. Doch kann sie wählen, ob sie auf das Wirken einer bestimmten Kraft reagiert oder nicht. Nur wählen die meisten Menschen nicht wirklich – sie geben sich vielmehr dem Spiel der Kräfte hin. Deine Krankheiten, Depressionen usw. sind das wiederholte Spiel solcher Kräfte. Nur wenn man sich von ihnen zu befreien vermag, kann man die wahre Person sein und ein wahres Leben fühlen – doch wirklich frei ist man erst dann, wenn man im Göttlichen lebt.

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Es ist Prakriti (die Natur), die diese Impulse sendet. Die Natur sendet jedem alle Arten von Kräften und Erfahrungen. Es liegt bei dir als bewusstem Wesen (Purusha), die Wahl zu treffen, was du tust oder nicht; du solltest zurückweisen, was du als falsch ansiehst, und nur das annehmen, was wahr und recht ist. In der Natur gibt es das Höhere und das Niedere, das Wahre und das Falsche. Das Göttliche will von dir, dass du in die Wahrheit, in die höhere Natur wächst und die falsche und niedere Natur zurückweist.

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Man kann nicht nur eine Kraft empfangen, sondern auch einen Impuls, einen Gedanken, eine Empfindung. Man kann diese von anderen empfangen oder von Wesenheiten in der Natur oder von der Natur selbst, sofern sie bereit ist, ihre Kraft in dieser vorgefertigten Form zu geben.

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1. Es gibt ein Vital ohne Begehren. Wenn daher das Begehren vom Wesen abfällt, fällt damit das Vital nicht ab.

2. Mit Prakriti ist die universale Prakriti gemeint. Die universale Prakriti, die in das vitale Wesen eintritt, erzeugt Begierden, die dann, indem sie immer wieder auftauchen, die individuelle Natur zu sein scheinen; doch wenn die gewohnheitsmäßigen Begierden, die sie hereinwirft, zurückgewiesen und verbannt werden, dann bleibt allein das Wesen zurück, und die alte individuelle Prakriti des vitalen Begehrens ist nicht länger vorhanden – eine neue menschliche Natur wird gebildet, die auf die Wahrheit über ihr reagiert und nicht mehr auf die niedere Natur.

3. Die universale Prakriti bestimmt die Gewohnheit der Reaktion, und die Seele oder der Purusha nimmt sie an. Im Annehmen liegt die Verantwortlichkeit. Der Purusha ist derjenige, der zustimmt oder ablehnt. Im Tier reagiert das vitale Wesen auf die gewöhnlichen Lebenswellen, auch der Mensch reagiert auf sie, doch hat er die Möglichkeit einer mentalen Kontrolle. Er hat auch, sofern der mentale Purusha in ihm wach ist, die Macht zu wählen, ob er sich sein Begehren erfüllt oder sein Wesen darin übt, es zu überwinden. Schließlich besteht noch die Möglichkeit, eine höhere Natur herabzubringen, die dem Begehren nicht unterworfen ist, sondern nach einem anderen vitalen Prinzip handelt.

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Es ist für das individuelle Mental unmöglich, das Wirken des Kosmischen Willens zu verstehen, solange es in seiner Persönlichkeit eingeschlossen bleibt, denn die Normen des gewöhnlichen Bewusstseins sind hierauf nicht anwendbar. Eine Zelle im Körper, sofern sie bewusst ist, mag ebenfalls denken, dass das menschliche Wesen und seine Taten lediglich aus den Beziehungen und Wirkungsweisen einer Anzahl von Zellen hervorgehen, wie sie selbst eine ist, und nicht aus dem Wirken eines geeinten Selbstes. Erst wenn man in das kosmische Bewusstsein eintritt, lernt man die Kräfte erkennen, die am Werk sind, und die Richtung, in der sie wirken; erst dann bekommt man eine Ahnung des Kosmischen Selbstes und des Kosmischen Mentals und Willens.

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Es gibt keine Unwissenheit, die nicht Teil der Kosmischen Unwissenheit ist, und erst in der Individualität wird sie ein begrenztes Gebilde, eine begrenzte Bewegung; die Kosmische Unwissenheit hingegen ist die gesamte Bewegung des Weltbewusstseins, das sich von der höchsten Wahrheit getrennt hat und in einer niederen Bewegung wirkt, in welcher die Wahrheit entstellt und vermindert und mit Falschheit und Irrtum vermischt und verhüllt ist. Kosmische Wahrheit ist der Standpunkt eines kosmischen Bewusstseins, von dem aus die Dinge in ihrer wahren Essenz gesehen werden, in ihrer wahren Beziehung zum Göttlichen und zueinander.

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Die kosmische Wahrheit ist diejenige Wahrheit der Dinge, die sich gegenwärtig im Universum ausdrückt. Die Göttliche Wahrheit ist unabhängig vom Universum, sie steht darüber und ist sein Ursprung.

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Die Erfahrungen des Yogi sind spirituelle Erfahrungen – nämlich die Erfahrung des Spiels der Kräfte und seiner Beziehung zum Selbst, die Erfahrung des Wirkens des Lenkenden, die Erfahrung dessen, was hinter der Erscheinungsform der Dinge und Geschehnisse usw. steht, des tatsächlichen und wirklichen Wirkens von Purusha und Prakriti usw. Die Göttliche Wahrheit ist die Wahrheit der Göttlichen Essenz, des Göttlichen Bewusstseins, des Selbstes, Wissens, Lichtes, der Göttlichen Macht und Seligkeit. Aus ihr stammt der Kosmos mit all seinen Bewegungen, doch ist sie mehr als der Kosmos.

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IX. Das Mental

Das Wort „Mental“ bezieht im allgemeinen Sprachgebrauch unterschiedslos das gesamte Bewusstsein mit ein, denn der Mensch ist ein mentales Wesen und mentalisiert alles; doch in der Sprache dieses Yoga werden die Worte „Mental“ und „mental“ benutzt, um insbesondere den Teil der Natur zu bezeichnen, der mit Erkennen und Vernunft zu tun hat, mit Ideen, mit mentalen oder gedanklichen Wahrnehmungen, mit den Reaktionen des Gedankens auf die Dinge, mit wahren mentalen Regungen und Gestaltungen, mit mentaler Schau, mentalem Willen usw., die alle Teil seines Verstandes sind. Das Vital muss sorgfältig vom Mental unterschieden werden, auch wenn es von einem mentalen Element durchsetzt ist; das Vital ist die Lebensnatur, die sich aus Begierden, Gefühlen, Erregungen, Leidenschaften, Tat-Energien, dem Begierden-Willen und den Reaktionen der Begierden-Seele im Menschen zusammensetzt und aus jenem ganzen Spiel von besitzergreifenden und anderen, verwandten Instinkten, wie Ärger, Furcht, Gier, Lust usw., die alle in diesen Bereich der menschlichen Natur gehören. Mental und Vital werden an der Oberfläche des Bewusstseins miteinander vermengt, doch sind sie in sich ganz getrennte Kräfte; sobald man aber hinter das gewöhnliche Oberflächenbewusstsein gelangt, erkennt man sie als getrennt, man entdeckt ihren Unterschied und vermag mit Hilfe dieses Wissens ihre Vermengung an der Oberfläche zu analysieren. Es ist durchaus möglich und sogar üblich, dass das Mental während einer längeren oder kürzeren Zeit – manchmal während einer sehr langen Zeit – das Göttliche oder das yogische Ideal annimmt, während das Vital noch nicht überzeugt ist, sich nicht hingibt und widerspenstig seinen Weg des Begehrens, der Leidenschaft und des Hingezogenseins zum gewöhnlichen Leben fortsetzt. Ihre Verschiedenheit oder ihr Zwiespalt ist die Ursache der tieferen Schwierigkeiten der Sadhana.

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St. Augustin war ein großer Heiliger und ein Mann Gottes, doch sind große Heilige nicht immer – oder nicht oft – große Psychologen oder große Denker. Seine Psychologie hier ist von sehr oberflächlicher Art, wenn nicht überhaupt die des Mannes von der Straße; in ihr sind ebenso viele Fehler wie psychologische Äußerungen enthalten – und mehr, denn einige werden nicht direkt ausgedrückt, sondern gehen aus dem, was er schreibt, hervor. Ich bin mir bewusst, dass solche Fehler praktisch universal sind, denn die psychologische Forschung in Europa (und ohne Forschung gibt es kein stichhaltiges Wissen) steht erst an ihrem Anfang und ist noch nicht sehr weit gekommen; was bislang das Denken der Menschen beherrschte, ist eine oberflächliche Darstellung der oberflächlichen Erscheinungsformen unseres Bewusstseins, so wie sie sich uns auf den ersten Blick darbieten, und nichts sonst. Wissen beginnt jedoch erst, wenn wir uns von den Phänomenen der Oberfläche entfernen, um hinter ihnen ihr wahres Wirken und ihre Ursachen zu suchen. Für die oberflächliche Sicht des äußeren Mentals und der Sinne ist die Sonne ein kleiner feuriger Ball, der in der Luft um die Erde kreist, und die Sterne sind ein glitzerndes, winziges Etwas am Nachthimmel, vorhanden, um uns zu erfreuen. Wissenschaftliche Forschung macht diesen kindlichen „Auf-den-ersten-Blick-Eindruck“ zunichte. Die Sonne ist ein ungeheures Etwas (Millionen Meilen von unserer Lufthülle entfernt), um das die kleine Erde kreist, und die Sterne sind unendlich ferne, gewaltige Bestandteile eines riesigen Systems und haben offensichtlich nichts mit der winzigen Erde und ihren Geschöpfen zu tun. Die Wissenschaft widerlegt den Eindruck der Sinne oder den oberflächlichen Anschein der Dinge und macht Wahrheiten geltend, die der gewöhnliche und ununterrichtete Verstand nicht ahnt. Dem gleichen Vorgang muss man in der Psychologie folgen, wenn man wirklich wissen will, was unser Bewusstsein ist, wie es aufgebaut und gemacht ist, was das Geheimnis seiner Wirkungsweise und der Ausweg aus seiner Unordnung ist.

Es gibt hier [bei Augustin] mehrere grundlegende und allgemeine Fehler:

1. Dass Mental und Spirit das gleiche sind.

2. Dass man von dem gesamten Bewusstsein als vom „Mental“ sprechen kann.

3. Dass das gesamte Bewusstsein daher aus einer spirituellen Substanz besteht.

4. Dass der Körper lediglich Materie und nicht bewusst und daher etwas vom spirituellen Teil der Natur ganz und gar Verschiedenes ist.

Erstens, Spirit und Mental sind zwei verschiedene Dinge und sollten nicht miteinander verwechselt werden. Das Mental ist eine instrumentale Wesenheit oder ein instrumentales Bewusstsein, dessen Funktion es ist zu denken und wahrzunehmen – der Spirit ist eine essentielle Wesenheit oder ein essentielles Bewusstsein, das nicht zu denken oder wahrzunehmen braucht, weder auf dem Weg des Mentals noch auf dem der Sinne, denn all sein Wissen ist ein direktes oder essentielles Wissen, svayam-prakasa.

Als nächstes folgt, dass nicht alles Bewusstsein notwendigerweise spirituellen Charakter haben muss, und es braucht nicht wahr zu sein und ist nicht wahr, dass der Befehlende und der Befehlsempfänger dasselbe sind und nicht völlig verschieden, dass sie von der gleichen Substanz und daher aneinander gebunden sind oder zumindest miteinander übereinstimmen sollten.

Und drittens ist es nicht wahr, dass es das Mental ist, welches dem Mental befiehlt und sich selbst ungehorsam ist. Es gibt viele Ebenen des Mentals, und jede ist eine Kraft für sich mit ihren Formen, Wirkungsweisen und Interessen, und sie brauchen durchaus nicht übereinzustimmen. Ein Teil des Mentals mag spirituell beeinflusst sein und gern an das Göttliche denken und dem spirituellen Impuls folgen, ein anderer Teil mag rational ausgerichtet sein, wissenschaftlich oder literarisch, und es vorziehen, jenen Formen, Ansichten oder Zweifeln, jenen mentalen Vorlieben und Interessen zu folgen, die mit seiner Erziehung und Natur übereinstimmen. Doch ganz abgesehen davon mag das, was in St. Augustin befahl, sehr wohl das denkende Mental, der Verstand gewesen sein, während der Befehlsempfänger das Vital war – und Mental und Vital, was immer man sagen mag, sind nicht das gleiche. Das denkende Mental oder die buddhi lebt im Menschen – wenn auch unvollständig – durch den Verstand und die Vernunft. Andererseits besteht das Vital aus Begierden, Impulsen, Triebkräften, Gefühlen, Sinneswahrnehmungen, dem Suchen nach Lebenserfüllung, nach Besitz und Vergnügen; dies sind seine Funktionen und seine Natur; es ist jener Teil in uns, der das Leben und seine Bewegungen um ihrer selbst willen sucht und seinen Griff nicht lockern will, selbst wenn ihm dies ebenso viel oder sogar noch mehr Leiden als Freuden bringt; es ist sogar fähig, in Tränen und Leid als einem Bestandteil des Lebensdramas zu schwelgen. Was also hat der denkende Verstand mit dem Vital gemein, und warum sollte letzteres dem Mental gehorchen und nicht der eigenen Natur folgen? Der Ungehorsam ist vollkommen normal und nicht, wie Augustin meint, unerklärlich. Natürlich kann ein Mensch eine mentale Kontrolle über sein Vital errichten, und in dem Maße, wie er es tut, ist er ein Mensch – denn das denkende Mental ist ein edleres und erleuchteteres Wesen und Bewusstsein als das Vital und sollte aus diesem Grund das Übergewicht haben und hat es auch, vorausgesetzt, dass der mentale Wille stark ist. Doch diese Regel ist unsicher und unvollständig und besitzt nur Gültigkeit, wenn viel Selbstdisziplin vorhanden ist. Denn wenn auch das Mental erleuchtet ist, so steht das Vital doch der Erde umso näher und kann desto intensiver, kraftvoller und unmittelbarer den Körper beeinflussen. Es gibt auch ein vitales Mental, das von Phantasien lebt, von Wunschgedanken, von dem Willen, aus eigenem Impuls zu handeln und zu genießen; dieses ist fähig, vom Verstand als solchem Besitz zu ergreifen und ihn zu seinem Verbündeten zu machen, zu seinem rechtfertigenden Berater und Lieferanten von Vorwänden und Entschuldigungen. Es gibt auch die reine Kraft des Begehrens im Menschen, die Hauptstütze des Vitals, die stark genug ist, den Verstand fortzureißen – die Gita sagt: „wie ein Boot auf sturmbewegten Wassern“, navamivambhasi.

 

Und schließlich gehorcht zwar der Körper dem Mental automatisch in jenen Dingen, in denen zu gehorchen er geformt oder erzogen wurde, doch ist die Beziehung des Körpers zum Mental nicht immer die eines automatischen und vollkommenen Instrumentes. Der Körper hat ebenfalls ein eigenes Bewusstsein, und obwohl dies ein untermentales Instrument oder ein „dienendes“ Bewusstsein ist, kann es ungehorsam sein oder in seinem Gehorsam versagen. In vielen Dingen, in Fragen der Gesundheit und Krankheit zum Beispiel, in allen automatischen Funktionen handelt der Körper selbständig und ist kein Diener des Mentals. Sobald er ermüdet, vermag er dem Willen des Mentals einen passiven Widerstand entgegenzusetzen. Er kann ihn mit tamas umwölken, mit Trägheit, Dumpfheit, mit den Schwaden des Unterbewussten, so dass das Mental nicht zu handeln vermag.... Wenn du der Hand befiehlst, eine gerade Linie zu ziehen oder Musik zu spielen, kann und wird sie es anfangs nicht tun. Sie muss geschult, geübt, belehrt werden, und dann tut sie automatisch, was man von ihr erwartet. All dies beweist, dass es ein Körper-Bewusstsein gibt, welches die Dinge auf Befehl des Mentals tun kann, jedoch zuerst geweckt und geschult und zu einem guten und bewussten Instrument gemacht werden muss. Es kann so sehr geschult werden, dass ein mentaler Wille oder Einfluss eine Krankheit des Körpers heilen kann. Doch all diese Dinge, diese Beziehungen zwischen Mental und Körper stehen im wesentlichen auf der gleichen Grundlage wie die Beziehungen zwischen Mental und Vital und sind keine so einfache und primäre Angelegenheit, wie Augustin es wahrhaben will.

Dies stellt das Problem auf eine andere Ebene, die Ursachen werden klarer, und wenn wir bereit sind, weit genug zu gehen, bietet sich der Ausweg an, der Weg des Yoga.

P. S. All dies hat nichts zu tun mit dem mitwirkenden und sehr wichtigen Faktor der vielfachen Personalität, dem die psychologische Forschung neuerdings auf noch ziemlich unbestimmte Weise Rechnung trägt. Dies ist eine noch verwickeltere Angelegenheit.

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Wenn das Mental dem Göttlichen und der Wahrheit zugewandt ist und ausschließlich oder hauptsächlich diese fühlt oder auf sie reagiert, kann es ein seelisches Mental genannt werden – es wurde durch den Einfluss des seelischen Wesens auf der mentalen Ebene geformt.

Das spirituelle Mental ist ein Mental, das sich in seiner Fülle des Selbstes bewusst ist und das Göttliche widerspiegelt, das die Natur des Selbstes und seine Beziehungen zur Manifestation erkennt und versteht, das darin lebt oder Kontakt dazu hat, das ruhig und weit und für das höhere Wissen offen ist und nicht durch das Spiel der Kräfte beunruhigt wird. Sobald es sein völlig befreites Stadium erreicht hat, wird sein zentraler Sitz meist über dem Kopf gefühlt, obwohl sein Einfluss sich nach unten durch das ganze Wesen und nach außen durch den Raum ausdehnen kann.

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Spirituelle Befähigung bedeutet lediglich die natürliche Befähigung für wahre spirituelle Erfahrung und Entwicklung. Man kann sie auf jeder Ebene erlangen, und ihr normales Ergebnis ist, dass man mit dem Selbst und den höheren Ebenen leicht in Kontakt kommt.

Das seelische Mental und die mentale Seele sind praktisch das gleiche – eine Regung des Mentals, in welcher der seelische Einfluss vorherrscht, wird die Seele im Mental oder das seelische Mental genannt.

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Das höhere Mental ist eine der Ebenen des spirituellen Mentals, und zwar die erste und niedrigste von ihnen; sie liegt über der normalen mentalen Ebene. Das innere Mental ist jenes, das hinter dem Oberflächen-Mental liegt (unserer gewöhnlichen Mentalität), und seine unmittelbare Erfahrung kann man allein durch die Sadhana erlangen (von seinen vrttis im Oberflächen-Mental abgesehen, wie Philosophie, Poesie, Idealismus usw.). durch die man die Gewohnheit des Wesens, an der Oberfläche zu leben, durchbricht und sich tiefer nach innen wendet.

Das größere Mental ist ein allgemeiner Ausdruck, um jene Bereiche des Mentals zu bezeichnen, in die wir eintreten, wenn wir uns nach innen wenden oder in das kosmische Bewusstsein weiten.

Das wahre mentale Wesen ist nicht das gleiche wie das innere Mental – das wahre Mental, das wahre Vital, das wahre Physische ist gleichbedeutend mit dem Purusha der jeweiligen Ebene, der vom Irren und unwissenden Denken und Wollen der niederen Prakriti frei und unmittelbar dem Wissen und der Führung von oben zugänglich ist.

Der Ausdruck „höheres Vital“ bezieht sich meist auf das vitale Mental und das Gefühls-Wesen, im Gegensatz zum mittleren Vital, das seinen Sitz im Nabel hat und dynamisch, sinnlich und leidenschaftlich ist und dem niedrigeren Vital, das aus den kleinen Regungen der menschlichen Lebensbegierden und Lebensreaktionen besteht.

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Alles hier, das strenggenommen zur Erdebene gehört, wird aus dem Unbewussten entwickelt, aus der Materie – doch das essentielle mentale Wesen besteht bereits, nicht involviert, auf der mentalen Ebene. Hier auf der Erdebene wird lediglich das persönliche Mental durch etwas entwickelt, das sich aus dem Unbewussten erhebt und sich unter einem Druck von oben entfaltet.

Die Neigung zu fragen und zu wissen ist an sich gut, doch muss sie unter Kontrolle gehalten werden. Was man für den Fortschritt in der Sadhana braucht, wird am ehesten durch ein Wachsen des Bewusstseins, der Erfahrung und des intuitiven Wissens gewonnen.

Über dem Scheitelpunkt des Kopfes befinden sich das universale oder Göttliche Bewusstsein und die Göttliche Kraft. Die Kundalini ist die latente Macht, die in den cakras ruht.