Briefe über den Yoga

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V. Vishnuismus (Vaishnavismus)

(Vishnuismus9) Mir scheint, diese unterschiedliche Bewertung stammt von einem Geist, der die eine oder andere Seite der Annäherung an das Göttliche betont oder einen Aspekt der Verwirklichung einem anderen vorzieht. Findet die Annäherung über das Herz statt, über Liebe und bhakti, dann ist der höchste Gipfel ein transzendenter Ananda, eine unsagbare Wonne oder Seligkeit der Einung mit dem Göttlichen durch Liebe. Die Schule von Chaitanya legte besonderen, ja tatsächlich den alleinigen Nachdruck auf diesen Weg und machte ihn zur einzigen Wirklichkeit des Krishna-Bewusstseins. Doch der transzendente Ananda steht dort am Anfang und Ende allen Daseins und dies ist nicht der einzige Weg dorthin und kann es nicht sein. Man kann ihn ebenfalls über das Vasudeva-Bewusstsein erreichen, das eine umfassendere, mehr mentale Annäherung ist – ähnlich derjenigen der Gita, wo Wissen, Werke, bhakti alle in Krishna dem Einen, dem Höchsten, dem Alleinigen, wurzeln und man über das kosmische Bewusstsein zu einer leuchtenden Transzendenz gelangt. Es gibt auch einen Weg, der in der Taittiriya-Upanishad beschrieben ist und die vedantische Lehre der Seligkeit darstellt. All diese kann man mit Sicherheit als umfassendere Methoden bezeichnen, denn sie führen das gesamte Dasein in allen Teilen und auf allen Wegen des Wesens zum Göttlichen. Wenn sie an ihrem Ausgangspunkt auch weniger intensiv und in ihrer Bewegung umfassender und langsamer sind, gibt es doch keinen Grund zur Annahme, dass sie auf den Höhepunkten ihres Ziels weniger machtvoll seien. Es ist die gleiche Transzendenz, zu der alle gelangen: entweder in einer großen Bewegung, die alles Spirituelle in uns zusammensammelt, um es in einer weiten Sublimierung dorthin zu führen, oder aber in einer einzelnen kraftvollen Erhebung eines Wesensteils, einer einzelnen Erhöhung, die alles Übrige beiseite lässt. Doch wer vermag zu sagen, was von beiden das vollkommenere ist. Konzentrierte Liebe hat ihre eigene Tiefe, die nicht gemessen werden kann; konzentrierte Weisheit hat eine umfassendere Tiefe, doch wer wollte entscheiden, welche die tiefere ist.

Die kosmischen Werte sind lediglich Spiegelungen der transzendenten Wahrheit, übertragen auf eine kleinere Wahrheit der Zeiterfahrung, welche trennt und die tausend Aspekte des Einen einzeln sieht. In dem Maße, wie man sich über das Mental oder irgendeinen Teil des manifestierten Wesens erhebt, kann sich der eine oder andere dieser Aspekte mehr und mehr verfeinern und seiner höchsten transzendenten Intensität zustreben; und welcher Aspekt auch immer derart erfahren wird, wird vom spiritualisierten mentalen Bewusstsein als das Höchste angesehen. Doch wenn man das Mental überschreitet, sublimiert sich nicht nur alles, sondern es schmilzt zusammen, bis die getrennten Aspekte ihre ursprüngliche Einheit entdecken, die in der Absolutheit von allem, das eins wurde, unteilbar ist. Das Mental kann das Dasein ohne Bewusstsein oder Ananda erkennen oder erfahren; dies zeigt sich am deutlichsten in der Unbewusstheit, die der Materie zugeschrieben wird. Ebenso kann es sich Ananda oder Liebe als ein getrenntes Prinzip vorstellen; es kann sogar fühlen, wie sich Bewusstsein und Dasein in einer Ekstase der Liebe oder Ananda verlieren. Auf gleiche Weise verliert sich die begrenzte Personalität in der unbegrenzten Person, verliert sich der Liebende im höchsten Geliebten oder auch das Persönliche im Unpersönlichen – der Liebende fühlt, wie er in der transzendenten Wirklichkeit der Liebe und im Ananda eintaucht und darin aufgeht. Das Persönliche und Unpersönliche werden vom Mental als getrennte Wirklichkeiten gesehen und erfahren, und sowohl das eine wie das andere wird als das Höchste betrachtet; es kann sich also das Persönliche im Unpersönlichen auflösen oder aber das Unpersönliche in der absoluten Wirklichkeit der höchsten und göttlichen Person eintauchen – das Unpersönliche ist von diesem Standpunkt aus nur ein Attribut oder eine Macht des persönlichen Göttlichen. Doch am Gipfel der spirituellen Erfahrung, die das Mental überschreitet, beginnt man das Zusammenschmelzen all dieser Dinge in eins zu fühlen. Bewusstsein, Dasein, Ananda kehren in ihre untrennbare Einung zurück, Sachchidananda. Das Persönliche und Unpersönliche werden unwiderruflich eins, so dass eines dem anderen gegenüberzustellen als Akt der Unwissenheit erscheint. Diese Tendenz zur Einung ist die Grundlage des supramentalen Bewusstseins und der supramentalen Erfahrung; im Hinblick auf kosmische oder schöpferische Zwecke kann das Supramental durchaus einen Aspekt hervorheben, wo es notwendig erscheint, doch ist es sich all des Übrigen hinter ihm oder in ihm bewusst und lässt in seiner Schau nirgendwo eine Trennung oder Gegensätzlichkeit zu. Aus diesem Grund wäre eine supramentale Schöpfung eine vielfältige Harmonie, kein trennender Vorgang, der den Einen in Teile teilt oder ihn analysiert und diese Teile einander überordnet oder sich gegenüber stellt, um sie danach in einer Synthese zusammenzufügen, damit man zr einer Harmonie gelangt, oder aber den einen Teil oder alle Teile ausschließt, um den unteilbaren Einen zu verwirklichen.

Du sprichst von der Vaishnava-Schule, welche die persönliche Glückseligkeit betont, und sagst, dass dies kurze und schnelle Gefühle [bhava] seien, die der Weite und Fülle entbehrten. Dies stimmt ohne Zweifel, wenn sie zuerst gefühlt werden und wie sie vom begrenzten Bewusstsein in seiner gewöhnlichen Aktivität und Bewegung empfunden werden; der Grund hierfür liegt jedoch darin, dass das menschliche Emotional mit dem Körper als unvollkommenem Instrument hinter sich, sobald es sich sublimieren will, meist in unregelmäßiger Intensität tätig ist und weder die Kontinuität noch das Ausmaß noch die sublimierten Steigerungen dieser Dinge aufrechterhalten kann. Doch in dem Maße, wie die Individualität kosmisch wird (die Universalisierung des einzelnen als göttlichem Zentrum ohne Verlust seiner höheren Individualität ist einer jener Vorgänge, die zur supramentalen Wahrheit führen), beginnt diese Unzulänglichkeit zu schwinden. Die Wahrheit, die dasya oder madhura, „dem süßen Geheimnis zwischen dem Liebenden und dem Geliebten“ zugrunde liegt oder irgendeinem anderen Gefühl oder einer Verschmelzung von Gefühlen, wird zu einem weiten und vollen, andauernden Zustand; wenn sie gelegentlich ihre kurzen Intensitäten durch diese ihre Ausdehnung einbüßen, gewinnen sie sie tausendfach zurück in der Bewegung der universalisierten Individualität zur Transzendenz hin. Eine immer größere Erfahrung stellt sich ein, welche die Elemente der spirituellen Verwirklichung erfasst; und in diesem erhebenden und umwandelnden Vorgang verändern sich diese, werden größer als sie waren und erhalten schließlich ihren Platz durch Sublimierung zuerst im spirituellen Kosmischen und dann im allumfassenden, transzendenten Ganzen.

Die Meinungsverschiedenheiten über Krishna zwischen Shankara und Ramanuja einerseits und Chaitanya andererseits haben ihre Ursache in der Art ihrer Erfahrung. Krishna war den einen nur ein Aspekt Vishnus, da für sie jene ekstatische Form der Liebe und bhakti, die man mit Krishna verband, nicht das Ganze war. Die Gita betrachtet Krishna – ähnlich wie Chaitanya, doch von einem anderen Standpunkt aus – als das Göttliche schlechthin. Für Chaitanya verkörperte er Liebe und Ananda, und da Liebe und Ananda ihm als höchste transzendente Erfahrung galten, musste für ihn auch Krishna der Höchste sein. Für den, der die Gita schrieb, war Krishna die Quelle von Wissen, Macht und Liebe, der Zerstörer, Erhalter und Schöpfer in einem, und daher war auch Vishnu notwendigerweise nur ein Aspekt dieses universalen Göttlichen. Im Mahabharata erscheint Krishna tatsächlich als Inkarnation Vishnus, doch dies kann man auch dahingehend auffassen, dass er sich äußerlich in seinem Vishnu-Aspekt manifestierte; denn dass die größere Gottheit sich später manifestieren kann als die anderen, ist logisch, sofern wir die Manifestation als progressiv betrachten – genau wie Vishnu im Veda ein jüngerer Indra ist, Upendra, der seinen älteren besiegt und in der Folge den Platz über ihm im Trimurti einnimmt.

Über die Vaishnava-Idee der Krishna-Gestalt kann ich wenig sagen. Die Form ist das grundlegende Instrument der Manifestation, und ohne sie wäre die Manifestation etwas Unvollständiges. Das Formlose geht logischerweise der Form voran, und dennoch kann man annehmen, dass die Form dem Formlosen innewohnt und bereits in mystischer Latenz besteht – wie könnte sie sonst manifestiert werden? Denn jeder andere Vorgang wäre die Erschaffung des Nicht-Existenten und keine Manifestation. In diesem Falle wäre es gleicherweise logisch anzunehmen, dass es eine ewige Form Krishnas gibt, einen Geist-Körper. Was die höchste Wirklichkeit anbelangt, so ist sie zweifellos ein Absolutes Sein, doch ist sie nur das? Absolutes Sein als Abstraktion kann alles andere ausschließen und auf eine Art sehr positiver Null hinauslaufen; doch Absolutes Sein als Wirklichkeit – wer vermöchte zu bestimmen und zu sagen, was in seinen unergründlichen Tiefen, in seinem grenzenlosen Mysterium enthalten ist oder nicht? Das Mental vermag das Absolute Sein nur als Negation seiner eigenen räumlichen, zeitlichen oder anderen Vorstellungen aufzufassen. Doch kann es nicht wissen, was sich am Grunde der Manifestation befindet, was die Manifestation ist oder warum es überhaupt eine Manifestation dieser positiven Null gibt – und die Vaishnavas, das dürfen wir nicht vergessen, stimmen dieser Auffassung als absoluter und ursprünglicher Wahrheit des Göttlichen nicht zu. Es ist daher strenggenommen nicht unmöglich, dass das, was wir als räumliche Form auffassen und wahrnehmen, mit einer Macht des raumlosen Absoluten korrespondiert. Ich behaupte dies nicht als letzte Definition der Wahrheit, ich versuche lediglich darzulegen, dass der Standpunkt der Vaishnavas weit davon entfernt ist, logisch oder metaphysisch zu sein.

 

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Die Vaishnavas anerkennen die Welt als lila, doch die wahre lila ist woanders, im ewigen Brindavan. Alle Religionen, die an eine persönliche Gottheit glauben, betrachten das Universum als Wirklichkeit, als lila oder Schöpfung, die durch den Willen Gottes entstand, doch auf Zeit und nicht auf ewig. Das Ziel ist der ewige Zustand darüber.

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Die Vorstellung eines zeitweiligen Königreichs des Himmels auf Erden ist in den Puranas enthalten und wurde von einigen Vaishnava-Heiligen oder Dichtern übernommen; das ist aber eine Vorstellung des Glaubens, die einer philosophischen Grundlage entbehrt. Ich glaube, die tantrische Überwindung der Unvollkommenheit ist eine individuelle und keine kollektive Verwirklichung.

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Du beschreibst das reiche, menschlich egoistische Leben, das du hättest führen können, und sagst „nicht gerade ein armseliges Leben, wie du zugeben wirst“. Auf dem Papier, so wie du es beschreibst, klingt es sehr erhebend und befriedigend. Doch es enthält keine echte oder endgültige Befriedigung, außer für jene, die zu gewöhnlich oder unbedeutend sind, um etwas anderes zu suchen, und selbst sie sind nicht wirklich zufrieden oder glücklich – und schließlich erschöpft es sich und wird schal. Sorge und Krankheit, Zusammenstöße und Streit, Enttäuschung, Desillusionierung und alle Arten menschlicher Leiden stellen sich ein und lassen des Lebens Glanz verblassen – und am Ende dann Verfall und Tod. Dies ist das vitale, egoistische Leben, das der Mensch in allen Zeitaltern vorfand und dem ein Teil deines Vitals nachtrauert. Du legst soviel Wert auf das Wünschenswerte eines rein menschlichen Bewusstseins und übersiehst, dass Leid sein Kennzeichen ist. Wenn sich das Vital der Wandlung vom menschlichen ins göttliche Bewusstsein widersetzt, dann verteidigt es sein Recht, sich zu sorgen und zu leiden und all das Übrige, das zweifellos in einigen vitalen oder mentalen Vergnügungen und Befriedigungen seine Abwechslung und Erleichterung findet, doch nur eine sehr teilweise Erleichterung auf beschränkte Sicht. In deinem eigenen Fall begann es bereits schal zu werden, und das ist der Grund, weshalb du dich davon abwandtest. Kein Zweifel, da waren die Freuden des Intellektes und des künstlerischen Schaffens, doch ist ein Mensch nicht nur Künstler, sondern in ihm ist auch der äußere, ganz menschlich niedere vitale Teil, und in allen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ist er der ungestümste und beharrlichste. Doch was in dir war unbefriedigt? Es war vor allem die innere Seele und durch sie das höhere Mental und Vital. Warum also beschuldigst du das Göttliche, dich in die Irre geführt zu haben, als sie [die Seele] sich dem Yoga zuwandte und dich hierher brachte? Du folgtest einfach der Forderung deines inneren Wesens und höheren Teils deiner Natur. Deine Schwierigkeit und Rastlosigkeit rühren daher, dass du noch immer gespalten bist und etwas in deinem niederen Vital dem nachtrauert, was es verloren hat; und als sofort zu entrichtenden Preis für seine Einwilligung oder als Gegenleistung fordert es etwas Ähnliches oder Gleichwertiges im spirituellen Leben. Dein niederes Vital weigert sich, daran zu glauben, dass es eine größere Entschädigung gibt, ein größeres vitales Leben, das auf es wartet, etwas Sicheres, in dem es nicht die alte Unzulänglichkeit und Unruhe und zuletzt Unzufriedenheit gibt. Die Torheit liegt nicht bei der göttlichen Führung, sondern in dem unvernünftigen und hartnäckigen Widerstand dieses verworrenen, dunklen Teils in dir gegen die Forderung, die nicht nur dieser Yoga, sondern alle Yogasysteme erheben – gegen die Bedingungen, die erforderlich sind, damit die Sehnsucht deiner Seele und höheren Natur befriedigt werde.

Das „menschlich“ vitale Bewusstsein bewegte sich immer zwischen diesen beiden Polen, dem gewöhnlichen vitalen Leben, das nicht befriedigen kann, und der Abkehr davon, der Askese. Indien ist voll durch dieses Auf und Ab gegangen, Europa beginnt wieder einmal, nach schwerer Prüfung das Versagen eines rein vitalen, egoistischen Lebens zu empfinden. Die traditionellen Yogasysteme, auf welche du anspielst, gründen auf dieser Bewegung zwischen den beiden Polen. Einerseits gehen Shankara und Buddha und die meisten anderen wenn auch nicht den gleichen Weg, so doch in diese Richtung; andererseits sind Vaishnavismus oder Tantrismus Richtungen, die Asketentum mit einer Sublimierung des vitalen Impulses zu verbinden suchen. Und wo enden sie alle? Sie fallen zum anderen Pol zurück, zu einer Überflutung durch das Vital, ja zu einer Entartung und einem Verlust ihres Geistes. Die allgemeine Tendenz heutzutage läuft auf den Versuch hinaus, einen Ausgleich zu schaffen: du hast einige Male auf die Vertreter solcher Versuche angespielt und mich dabei um meine Meinung befragt und zum Ausdruck gebracht, dass die deine ungünstig sei. Doch diese Menschen sind nicht reine Scharlatane, und wenn mit ihnen etwas nicht in Ordnung ist (was ich nicht behaupten will), dann nur dies, dass sie nicht fähig sind, dem magnetischen Sog des unteren Pols der egoistisch-vitalen Begierden-Natur zu widerstehen. Und sie sind deshalb nicht fähig zu widerstehen, da sie die wahre Kraft nicht gefunden haben, die nicht nur diesen Sog neutralisieren und Verfall und Niedergang verhindern könnte, sondern die auch die Lebenskraft und die Verkörperung in der Materie, statt sie zu zerstören und wegzuwerfen, in ihre tiefere Wahrheit umwandelte, sie nutzbar machte und ihr Genüge täte; denn dies kann nur durch die Macht des Supramentals geschehen und durch keine andere. Du spielst auf die vaishnavisch-tantrischen Traditionen an; auf Chaitanya, Ramprasad, Ramakrishna. Ich kenne sie recht gut, und wenn ich nicht versucht habe, sie nachzuahmen, dann nur, weil ich bei ihnen jene Lösung, jenen Ausgleich nicht finde, den ich suche. Dein Zitat von Ramprasad hilft mir nicht im geringsten, und es stützt auch deine These nicht. Ramprasad spricht nicht von einem verkörperten, sondern von einem körperlosen und unsichtbaren Göttlichen – oder sichtbar nur der inneren Erfahrung in feinstofflicher Form. Wenn er davon spricht, seine Forderung oder Klage der Mutter gegenüber aufrechtzuerhalten, bis sie ihn in ihren Schoß nehme, meint er keinen äußeren vitalen oder physischen Kontakt, sondern eine innere, seelische Erfahrung; genau gesagt, protestiert er dagegen, dass sie ihn in der äußeren vitalen und physischen Natur belässt, und beharrt darauf, sie müsse ihn auf die seelisch-spirituelle Ebene, in die spirituelle Einung mit ihr erheben.

All das ist gut und schön, doch es ist nicht genug; die Einung muss tatsächlich zuerst in der inneren seelisch-spirituellen Erfahrung verwirklicht werden, denn ohne sie kann nichts Vernünftiges oder Dauerndes geschehen; es muss aber auch eine Verwirklichung des Göttlichen im äußeren Bewusstsein und Leben stattfinden, auf den vitalen und physischen Ebenen, in ihrem spezifischen Ausgerichtetsein. Dies ist es, worum du bittest, ohne dass dein Mental es versteht oder weiß, wie es geschehen soll – und ebenso ich; allein ich erkenne die Notwendigkeit der vitalen Umwandlung an, während du zu denken und zu fordern scheinst, dass es ohne radikale Umwandlung geschehen soll und man das Vital belassen kann, wie es ist. Am Anfang, bevor ich das Geheimnis des Supramentals entdeckte, versuchte ich, den Ausgleich durch eine Verbindung des spirituellen Bewusstseins mit dem Vital zu finden, doch meine Erfahrung und jede Erfahrung zeigt, dass dies zu nichts Gesichertem und Endgültigem führt – es endet, wo es begann, auf halbem Weg zwischen den beiden Polen der menschlichen Natur. Eine Verbindung ist nicht genug, eine Umwandlung ist unerlässlich.

Die Tradition der späteren Vaishnava-Lehre der bhakti besteht in dem Versuch, die vitalen Impulse durch Liebe zu verfeinern, durch die Hinwendung der menschlichen Liebe zum Göttlichen. Es war eine starke und innige Bemühung mit vielen reichen und schönen Erfahrungen; doch ihre Schwäche bestand darin, dass sie nur als innere Erfahrungen in der Hinwendung zum inneren Göttlichen Gültigkeit hatten; an diesem Punkt machten sie jedoch halt. Chaitanyas Liebe, prema, war eine seelisch-göttliche Liebe mit einer sehr verfeinerten vitalen Manifestation. Doch in dem Augenblick als der Vaishnavismus vor oder nach Chaitanya den Versuch einer weiteren Veräußerlichung machte, gab es vitalen Niedergang, viel Entartung und Verfall. Du kannst Chaitanyas Beispiel nicht gegen seelische oder göttliche Liebe anführen; denn seine Liebe war nicht nur etwas vitales menschliches; sie war in ihrer Essenz, doch nicht in ihrer Form, durchaus der erste Schritt zu jener Umwandlung, die wir vom Sadhak fordern, damit dessen Liebe eine seelische werde und sein Vital nicht um seiner selbst willen, sondern als Ausdruck der Seelen-Verwirklichung gebraucht würde. Es ist der erste Schritt, und für manche mag er genügen, denn wir erwarten nicht von jedermann, supramental zu werden; doch für eine volle Manifestation auf der physischen Ebene ist das Supramental unerlässlich.

Die Sadhana der späteren Vaishnava-Tradition verläuft derart, dass die menschliche vitale Liebe in ihren hauptsächlichen Formen dem Göttlichen zugewandt wird; viraha, die Abwesenheit des Göttlichen Geliebten oder abhimana, der verletzte Stolz, sogar eine völlige Trennung (wie Krishnas Abreise nach Mathura) werden zu den hauptsächlichen Elementen dieses Yoga gemacht. Doch all dies war nur (in der Sadhana als solcher, nicht in den Vaishnava-Gedichten) als ein Durchgang gedacht, der in milana oder der vollkommenen Einung endet; doch die Betonung der unerfreulichen Elemente schien Kampf und Trennung und abhimana geradezu zum eigentlichen Mittel, ja zum Ziel dieser Art prema-yoga zu machen. Nochmals, dieser Weg war jedoch nur auf ein inneres, nicht ein physisch-verkörpertes Göttliches gerichtet und bezog sich auf gewisse Stadien und Reaktionen des inneren Bewusstseins in seinem Suchen nach dem Göttlichen. In den Beziehungen zur verkörperten Göttlichen Manifestation oder, wie ich vielleicht hinzufügen sollte, des Schülers zum Guru können gewisse Dinge als Ergebnis menschlicher Unvollkommenheit aufkommen, doch sind sie in der Theorie dieser Beziehungen nicht enthalten. Ich glaube nicht, dass sie zu den üblichen und befugten Beziehungen des bhakta zum Guru gehören. Im Gegenteil, die Beziehungen des Schülers zum Guru im Guruvada sollen immer die der Verehrung, des Respektes, des vollkommenen glücklichen Vertrauens, einer bedingungslosen Annahme der Führung sein. Ungewandelte vitale Beziehungen zum verkörperten Göttlichen [dem Guru] aufrechtzuerhalten, hat zu Bewegungen geführt, die dem Fortschritt im Yoga nicht förderlich sind.

Auch Ramakrishnas Yoga war nur einer inneren Verwirklichung des inneren Göttlichen zugewandt – nichts Geringerem, doch auch nichts Größerem. Ich glaube, mit Ramakrishnas Satz über den Anspruch des Sadhaks auf das Göttliche, dem er alles opfert, ist ein innerer, nicht ein äußerer Anspruch gemeint und ebenso das innere und nicht das physisch verkörperte Göttliche; es ist ein Anspruch auf die volle spirituelle Einung des Gottliebenden, der das Göttliche sucht, und ebenfalls des Göttlichen, das sich ihm gibt und ihm begegnet. Dagegen ist nichts einzuwenden; einen derartigen Anspruch stellen alle, die das Göttliche suchen, doch hat die Art und Weise dieser göttlichen Begegnung keine weitere Bedeutung für uns. Mein Ziel ist in jedem Fall eine Verwirklichung auf der physischen Ebene und nicht, Ramakrishna nur zu wiederholen. Ich glaube auch, mich zu erinnern, dass er lange Zeit in sich zurückgezogen lebte und nicht sein ganzes Leben mit seinen Schülern verbrachte. Er erlangte vielmehr seine siddhi zuerst in der Abgeschiedenheit, und als er diese aufgab und jedermann empfing, zehrte dies seinen Körper in ein paar Jahren aus. Es war ihm vermutlich gleichgültig. Er behauptete sogar als Keshav Chandra starb, dass spirituelle Erfahrung zwangsweise den Körper auszehrt. Doch als man ihn nach der Krankheit in seinem Hals fragte, antwortete er wiederum, dass es die Sünden seiner Schüler seien, die sie auf ihn geworfen hätten und die er zu schlucken habe. Da auch er mit einer bloßen inneren Befreiung nicht zufrieden war, kann ich diese Ideen oder Ergebnisse nicht hinnehmen, denn sie klingen mir nicht nach einem glücklichen Treffen des Göttlichen mit dem Sadhak auf der physischen Ebene, wie erfolgreich sie auch für das innere Leben gewesen sein mögen. Krishna tat große Dinge und war mit Sicherheit eine Manifestation des Göttlichen. Ich erinnere mich jedoch an eine Stelle im Mahabharata, wo er sich über das unruhige Leben beklagte, das seine Jünger und Bewunderer ihm verursachten, über ihre fortwährenden Forderungen und Vorwürfe, und dass sie ihre ungeläuterte vitale Natur auf ihn werfen würden. Und in der Gita spricht er von dieser menschlichen Welt als vergänglich und leidvoll und scheint trotz seiner Lehre vom göttlichen Tun beinahe zuzugeben, dass die Abkehr vom Leben schließlich die beste Lösung sei. Die Überlieferungen der Vergangenheit bedeuten viel für ihre Zeit, also für die Vergangenheit, doch sehe ich nicht ein, warum wir sie lediglich nachahmen und nicht über sie hinausgehen sollten. In der spirituellen Entwicklung des Erdbewusstseins sollte der großen Vergangenheit eine größere Zukunft folgen.

 

Ein Gesetz scheint ihr alle völlig zu übersehen, nämlich die Schwierigkeiten der physischen Verkörperung und der göttlichen Verwirklichung auf der physischen Ebene. Für die meisten scheint es eine einfache Alternative zwischen zwei Dingen zu sein, entweder kommt das Göttliche in seiner vollen Macht herab, und die Sache geschieht, es gibt keine Schwierigkeit, keine erforderliche Bedingung, kein Gesetz, keinen Ablauf, nur Wunder oder Magie – oder aber, dies kann nicht das Göttliche sein. Und ihr besteht alle (oder beinahe alle) darauf, dass das Göttliche Mensch werde, ein menschliches Bewusstsein annehme, und ihr protestiert gegen jeden Versuch, den Menschen göttlich zu machen. Auf der anderen Seite aber der Aufschrei der Enttäuschung, Verwirrung, des Misstrauens, gar des Unwillens, sobald es menschliche Schwierigkeiten gibt, einen angestrengten Körper, einen schwankenden Kampf mit feindlichen Mächten, mit Hindernissen, Herausforderungen und Krankheit, und manche sagen bereits: „Oh, es gibt nichts Göttliches hier“! – als könne man vital und physisch im ungewandelten individuellen menschlichen Bewusstsein bleiben, in ständig gleichbleibendem Kontakt mit ihm, seine Forderungen befriedigen und dennoch in allen Umständen und unter allen Bedingungen gegen Anstrengung, Krankheit und Kampf gefeit sein. Wenn ich das menschliche Bewusstsein vergöttlichen will, also das Supramental, das Wahrheits-Bewusstsein, das Licht und die Kraft in das Physische herabbringen will, um es umzuwandeln, um dort eine große Fülle von Wahrheit, Licht und Macht, von Wonne und Liebe zu schaffen, so ist die Reaktion Widerwille, Furcht oder Abneigung – oder auch Zweifel, ob es überhaupt möglich ist. Einerseits wird der Anspruch erhoben, dass Krankheit und das Übrige unmöglich sein sollen, andererseits aber die einzige Bedingung, unter der diese Dinge unmöglich werden können, heftig zurückgewiesen. Ich weiß, dies ist die natürliche Inkonsequenz des menschlich-vitalen Mentals, das zwei entgegengesetzte und unvereinbare Dinge vereinen will; das jedoch ist ein Grund, warum es notwendig ist, den Menschen umzuwandeln und durch etwas ein wenig Lichtvolleres zu ersetzen.

Ist denn das Göttliche etwas so Schreckliches, Furchtbares oder Abstoßendes, dass die Vorstellung seines Eintritts in das Physische, die Vergöttlichung des Menschen ein derartiges Zurückweichen, eine derartige Ablehnung, Aufruhr oder Furcht erzeugt? Ich kann verstehen, dass das ungeläuterte Vital, das seinen kleinen Leiden und Freuden und dem kurzen, unwissenden Spiel des Lebens verhaftet ist, vor etwas zurückweicht, das es verändern will. Doch warum sollte ein Gott-Liebender, ein Gott-Suchender, ein Sadhak die Vergöttlichung des Bewusstseins fürchten? Warum sollte er etwas dagegen einwenden, in seiner Natur eins zu werden mit dem, den er sucht, warum sollte er vor der sadrsya mukti [der Befreiung durch die Ähnlichkeit mit dem Göttlichen] zurückschrecken? Diese Furcht hat meist zwei Ursachen: zuerst die Ahnung des Vitals, dass es aufhören muss, dunkel zu sein, roh, schmutzig, egoistisch, spirituell ungeläutert, voller erregender Begierden, kleiner Freuden und interessanter Leiden (und es schreckt sogar vor dem Ananda zurück, der all dies ersetzen wird); und dann das Mental, das vermutlich aufgrund der asketischen Überlieferung die dunkle, unwissende Vorstellung hat, die göttliche Natur sei etwas Kaltes, Bloßes, Leeres, Strenges und Fernes und entbehre der herrlichen Fülle des egoistischen, menschlich-vitalen Lebens. Als ob es kein göttliches Vital gäbe und als ob jenes göttliche Vital nicht selbst, sobald es die Mittel erhält, sich zu manifestieren, das Leben auf Erden auch unendlich reicher an Schönheit, an Liebe, Glanz und Wärme, an Feuer, Intensität und göttlicher Leidenschaft, reicher an Aufnahmefähigkeit für die Wonne machen würde als jene gegenwärtige unfähige und leidende, durch Geringes und Vergängliches erregbare und rasch ermüdete Vitalität der noch immer so unvollkommenen menschlichen Schöpfung.

Doch, wirst du sagen, es ist nicht das Göttliche, vor dem du zurückweichst, im Gegenteil, du nimmst es an und bittest um es (vorausgesetzt, es ist nicht zu göttlich); doch du wendest dich gegen das Supramental – groß, fern, unfassbar, unnahbar, eine Art strenges, formloses nirakara brahman. Das Supramental, auf diese Weise gesehen, ist ein Alp, der von einem Teil deines vitalen Mentals geschaffen wird, damit es sich erschrecken und seine Haltung rechtfertigen kann. Hinter dieser eigenartigen Beschreibung scheint die Vorstellung zu stehen, das Supramental sei eine neue Version des vedantischen eigenschaftslosen und unbeschreiblichen Parabrahman, weit, groß, kalt, leer, fern, herrlich, überwältigend – vielleicht nicht ganz so, da es herabzukommen vermag, doch für alle praktischen Zwecke mindestens ebenso unbrauchbar. Es ist eigenartig, dass du einerseits zugibst, nichts über das Supramental zu wissen, andererseits aber, sobald du diese Stimmung hast, nicht nur kategorisch verkündest, was es sei, sondern ausdrücklich meine diesbezügliche Erfahrung zurückweist als etwas ohne praktische Gültigkeit und für niemanden von Nutzen außer für mich selbst. Ich bin nicht darauf eingegangen und habe nur gelegentlich geantwortet, da ich zum jetzigen Zeitpunkt von dir nicht erwarte, nicht-menschlich oder göttlich zu sein, viel weniger supramental; doch da du immer wieder auf diesen Punkt zurückkommst, wenn du diese Anfechtungen hast, und ihn zum Kern oder zumindest zur Hauptstütze deiner Niedergeschlagenheit machst, bleibt mir nichts anderes übrig als darauf einzugehen. Das Supramental ist nicht groß, fern, kalt und streng; es steht weder im Gegensatz zu einer vollen vitalen und physischen Manifestation noch ist es unvereinbar mit ihr; im Gegenteil, es birgt in sich die einzige Möglichkeit der vollen Fülle vitaler Kraft und physischen Lebens auf Erden. Dies ist eine Tatsache, die mir enthüllt wurde, und deshalb bin ich ihr nachgegangen und habe ausgehalten, bis ich in Kontakt mit dem Supramental kam und fähig war, seine Macht und seinen Einfluss zu empfangen. Mein Anliegen ist die Erde, sind nicht jenseitige Welten um ihrer selbst willen; es ist eine Verwirklichung auf Erden, die ich suche, und keine Flucht zu fernen Gipfeln. Jeder andere Yoga betrachtet dieses Leben als Illusion oder als vorübergehenden Zustand; allein der supramentale Yoga betrachtet es als etwas, das vom Göttlichen für eine progressive Manifestation geschaffen wurde und die Vollendung von Leben und Körper zum Ziel hat. Das Supramental ist das Wahrheits-Bewusstsein und bringt mit seiner Herabkunft die volle Wahrheit des Lebens, die volle Wahrheit des Bewusstseins in der Materie mit sich. Man hat tatsächlich zu hohen Gipfeln aufzusteigen, um es zu erreichen, doch je höher man aufsteigt, desto mehr kann man herabbringen. Kein Zweifel, Leben und Körper dürfen nicht die unwissenden, unvollkommenen und unfähigen Instrumente bleiben, die sie jetzt noch sind; doch warum sollte eine Wandlung in vollere Lebensmacht, in vollere Körpermacht als etwas Fernes, Kaltes und Unerwünschtes erscheinen? Der äußerste Ananda, deren Körper und Leben jetzt fähig sind, ist eine kurze Erregung des vitalen Mentals, der Nerven oder Zellen, unvollkommen und schnell vergänglich; mit der supramentalen Wandlung können sich alle Zellen, Nerven, vitalen Kräfte, alle verkörperten mentalen Kräfte mit tausendfachem Ananda füllen, können einer intensiven Wonne fähig werden, die jede Beschreibung übersteigt und nicht zu verblassen braucht. Wie fern, abstoßend und unerwünscht! Die supramentale Liebe bedeutet eine innige Einheit von Seele mit Seele, von Geist mit Geist, von Leben mit Leben und ein gänzliches Überfluten des Körperbewusstseins mit der physischen Erfahrung des Einsseins, der Gegenwart des Geliebten in jedem Teil, in jeder Zelle des Körpers. Ist auch dies etwas Fernes und Großes und Unerwünschtes? Mit der supramentalen Wandlung wird genau das, worauf du bestehst, nämlich die Möglichkeit einer freien physischen Begegnung des verkörperten Göttlichen mit dem Sadhak ohne Widerstreit von Kräften und ohne unerwünschte Reaktionen möglich und gewiss und frei. Auch das ist, wie ich vermute, etwas Fernes und Unerwünschtes. Ich könnte so weitermachen, seitenlang, doch genug für heute!