Der rote Elvis

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The King

Der US-Pop vor Elvis glich einem Propagandafeldzug für amerikanische Lebensart. Die Musiklandschaft war fest in der Hand der imaginären Tin Pan Alley, der Gegend rund um das Brill Building nördlich des New Yorker Times Squares, einer gewaltigen Schnulzenschmiede, die sich aus Musik als Kunstform nicht viel machte und jegliche Veränderung fürchtete. Dicke Männer mit Zigarren versuchten das Zeitalter der Big Bands aus der Vorkriegszeit zu erhalten. Alles war hübsch sauber, die Jugendlichen durften sich auch mal verlieben und Tränen vergießen, aber im wesentlichen hatte die Musik weiß und jugendfrei zu sein. Neu war lediglich Frank Sinatra, der als Sänger in den Vierzigern erstmals erreichte, was sonst nur Filmstars vorbehalten war: Die Frauen fielen bei seinen Auftritten reihenweise in Ohnmacht.

1951 veranstaltete ein DJ namens Alan Freed eine Konzertreihe in der Cleveland-Arena, bei der sowohl weiße als auch schwarze Bands auftraten. Freed empfand den Begriff R & B schon lange als rassistisch und taufte die Show The Moon Dog Rock ’n’ Roll Party. Der Begriff etablierte sich schnell, und auch der kommerzielle Siegeszug war nicht zu stoppen, auch wenn Freed den Begriff natürlich nicht erfunden hatte. Schon 1934 erschien die Single »Rock ’n’ Roll« von den Boswell Sisters, und als rüde Umschreibung für den Geschlechtsakt hatte sich Rock ’n’ Roll unter Schwarzen bereits lange zuvor etabliert. 1954 tauschten Bill Haley und seine Saddlemen die Cowboyhüte gegen karierte Jacketts ein und stürmten mit reichlich Fett in den Haaren und einer Coverversion von »Rock Around The Clock« die Charts. »Rock around the clock« war im schwarzen Original nicht weiter aufgefallen, aber die weiße Version übertraf auch die kühnsten Träume der Musikindustrie. Die Platte wurde nicht einfach nur ein Hit. »Rock Around The Clock« wurde zur Hymne und verkaufte sich weltweit schneller als man nachpressen konnte. Die jungen Leute wollten das Gedudel ihrer Großväter längst nicht mehr hören. Erstmals in der Geschichte hatten sie genug eigenes Geld, um selbst als Zielgruppe entdeckt zu werden. Schnell drehte die Industrie mit Blackboard Jungle einen Film dazu und mit Don’t Knock The Rock gleich noch einen, um den Millionenseller von Bill Haley weiter auszupressen.

Dann kam Elvis, und plötzlich war nichts mehr so wie zuvor. Er kam, sah und versetzte die gesamte Jugend in eine nie zuvor dagewesene Hysterie. Ohne Elvis hätte es keinen Dean Reed gegeben, und auch viele andere Künstler wären wohl allenfalls in den Startlöchern geblieben.

Das Erfolgsgeheimnis des »Kings« war nicht wirklich neu und von anderen bereits erfolgreich in Szene gesetzt worden. Carl Perkins, Chuck Berry und Jerry Lee Lewis wirkten souveräner. Gene Vincent und Eddie Cochran, die eigentlichen Urväter des weißen Rock ’n’ Roll, waren authentischer und gefährlicher. Little Richard hatte ihm mit »Tutti Frutti« längst den Weg bereitet. Sein Kostüm mit dem hohen Kragen hatte der King bei dem Helden seiner Kindheit, Captain Marvel jr., abgeguckt. Die Posen hatte er im Kino bei James Dean und Marlon Brando studiert. Auch als Filmstar taugte er nicht viel, aber historisch markierte er einen gewaltigen Umbruch.

Die Geschichte von Elvis begann mit einer Marktlücke. »Wenn ich einen Weißen finden könnte, der den ›Negersound‹ und das ›Negerfeeling‹ besitzt, dann könnte ich eine Milliarde Dollar verdienen«, offenbarte Sam Phillips seiner Sekretärin Marion Kreisker, als er sein Label Sun Records 1952 in Memphis startete.

Im Sommer 1953 kam ein junger Weißer ins Sun-Studio, der mit den alten Bluesmen im Mississippi-Delta aufgewachsen war. Für vier Dollar nahm er zwei Songs auf, und im Januar 1954 kehrte er für zwei weitere Aufnahmen zurück. Phillips witterte das Potential des jungen Mannes. Er hatte das richtige Aussehen, eine gute Stimme und das gewisse Etwas in seinem Auftreten. Er überredete ihn zu Aufnahmen mit Scotty Moore und Bill Black von Doug Poindexter’s Starlight Wranglers. Man probierte einige Nummern, aber erst bei dem traditionellen Blues »That’s All Right« von Arthur »Big Boy« Crudup platzte der Knoten. Sam Phillips hatte seinen »weißen Neger« gefunden.

Im Juni 1955 kam Elvis mit »Baby, Let’s Play House« erstmals in die Country & Western-Charts, und 1956 schoß »The Pelvis« mit »Heartbreak Hotel« in alle Charts der Welt. Ein Hit nach dem anderen pflasterte seinen Weg. Die Medien nannten ihn »Hillybilly Cat« oder »King of Western Bop«, und er beherrschte allein die Charts für Pop, Country und Rhythm and Blues, bis das Denken in Schwarz und Weiß keinen Sinn mehr ergab. Kreischende Mädchen und Halbstarke zerlegten reihenweise das Mobiliar der Auftrittsorte, wenn der King of Rock ’n’ Roll seinen Gottesdienst abhielt.

Elvis Presley war perfekt. Perfekter als perfekt. Elvis kommunizierte mit einem neuartigen Code, den »die Erwachsenen« einfach nicht verstanden. Er bewegte die Massen und löste eine neue Art von Fanatismus aus. Elvis etablierte mit der Art, wie er sprach, Frauen in die Augen sah, durch die Kleidung, die er trug, und vor allem mit dem unglaublichen Sex-Appeal, der von ihm ausging, ein menschliches Gesamtkunstwerk. Elvis war nicht das romantische Versprechen, das man mit Schnulzensängern wie Frank Sinatra verband. Mr. Presley war Sex und Rock ’n’ Roll, »the real thing«.

Ebenso wie Sam Phillips seinen »weißen Neger« gesucht hatte, suchte die Musikindustrie nun nach einem sexlosen Elvis, eine Lücke, die vor allem von Cliff Richards besetzt wurde und Erfolg versprach. Rock ’n’ Roll hatte sich seiner schwarzen Wurzeln entledigt und in der Mainstreamkultur etabliert. Die erste Generation, die der Popkultur schutzlos ausgeliefert war, bekam die volle Dosis. Die Jugend von Japan bis Amerika sollte besser konsumieren als aktiv Musik zu machen. Man castete allerorts und probierte emsig neue Gesichter aus. Manche bekamen eine Chance und durften dem ersten Flop auch weitere Versuche folgen lassen. Einer dieser Glücklichen stammte aus Wheat Ridge, Colorado – Dean Reed.

Im Lokalradio war er inzwischen als »Denver Kid« bekannt. Bereits mit 16 hatte sich ihm ein Mann namens Roy Eberhard vorgestellt, der mit bürgerlichem Namen Leroy Eberharder hieß. Eberhard wollte Reed unbedingt managen und drängte ihn, das College zu verlassen.

Der Manager

1959 erschien mit »I Kissed A Queen/A Pair Of Scissors« die zweite Single von Dean Reed. Als jugendfreier Elvis war er mit seinen blauen Augen erste Wahl. Die Platte fiel trotzdem nicht weiter auf. Vor allem die parallele Veröffentlichung in England wurde kaum bemerkt. Wieder hatte man dem Sänger einen Chor zur Seite gestellt, und erneut machte die B-Seite mit einem netten Gitarrensolo in der Mitte deutlich mehr Spaß als der vom Management favorisierte Song.

Dean Reed war ein Landei par excellence. Er hatte nie mit einer Band in einem Keller geprobt, Joints geraucht oder sich für Kunst interessiert. Der frischgebackene Star zog zunächst in die Nähe seiner Eltern, die nach Phoenix umgezogen waren, und ließ sich bei kleineren Auftritten in seiner Heimat feiern. Zeitweise soll er im Raum Denver sogar einen Fanclub mit 6000 Mitgliedern gehabt haben. Dean Reeds Cousin Will Matlack erinnert sich im Forum von deanreed.de: »An einem Wochenende gab Dean an meiner Schule ein Konzert. Deans Bruder Vernon spielte Schlagzeug. Das Aufsehen hielt sich in Grenzen, aber ich war so von Dean beeinflußt, daß ich selbst eine Rock ’n’ Roll-Band auf die Beine stellte. Und ich spiele im Alter von 56 Jahren immer noch in einer Rockband.«

Die »Rocky Mountain News« spekulierten in einem Artikel vom 16. Januar 1959, ob Dean Reed nicht der nächste Glenn Miller werden könne. Reed hatte mit Swing zwar nicht viel am Hut, aber Miller hatte ebenfalls die University of Colorado in Boulder besucht und war später zu Weltruhm gelangt. Weiterhin berichtete die kleine Zeitung, daß Dean Reed mit einem Empfehlungsschreiben eines gewissen Roy Eberhart bei Capitol Records aufgetaucht war. Auch die Zeitschriften »Movie Mirror« und »Records & Hi-Fi« sowie der Capitol-Newsletter berichteten 1959 über Dean Reed und erwähnten seinen Manager Roy Eberhard.

Die Anekdote mit dem Anhalter erscheint insgesamt eine Spur zu märchenhaft. Dean Reed war später immer stolz, keinen Manager zu haben, und bemüht, für die Presse die Legende vom namenlosen Anhalter aufrecht zu erhalten, der ihm selbstlos das Ticket nach Hollywood verschafft hatte. Tatsächlich hatte Roy Eberhard vor allem ein finanzielles Interesse an dem jungen Sänger und managte Dean Reed mindesens seit 1959. In diesem Jahr zog der Manager samt Familie gemeinsam mit seinem Schützling nach Los Angeles. Denkbar wäre, daß der arbeitslose Musiker bereits vorher im Raum Denver auf Dean Reed gestoßen war und ihm eine große Karriere versprochen hatte. Möglicherweise war er auch schon vorher als Manager für Dean Reed tätig. Laut einem kurzen Interview mit der »Denver Post« vom 5. April 1957 hatte Dean Reed bereits zwei Jahre zuvor schon einen Manager. Er finanzierte sich seit 1956 selbst, was zu dieser Zeit ohne Manager schwer gewesen sein dürfte. Für einen Auftritt mit dem tourenden Tenor Lauritz Melchior brauchte man halbwegs gute Kontakte.

Dean Reed verschwieg schon früh seine dreijährige Erfahrung als junger Showman, der von seinen Auftritten leben mußte. Der angeblich planlose Trip nach Kalifornien, der Anhalter, die wundersame Fügung, in der Chefetage sofort einen Termin zu bekommen, der sofortige Abschluß eines Plattenvertrages über sieben Jahre und die Option auf einen eigenen Spielfilm – im Vergleich mit den Gepflogenheiten der Musikbranche klang die Geschichte wenig glaubwürdig und eher nach einer später zurechtgelegten Erfolgsstory.

 

Los Angeles

1959 lebte Dean Reed zunächst mit Roy Eberhard und dessen Familie über den Hügeln von Canoga Park in einem Haus des früheren Kinderstars Shirley Temple. Eberhard war mit seiner Familie aus Österreich ausgewandert und hatte sich im amerikanischen Musikgeschäft bereits ein paar Kontakte verschafft. Das Haus befand sich in unmittelbarer Nähe der Ranch des singenden Cowboys Roy Rogers, Reeds Idol aus Kindertagen. Reed fand sich unversehens in den Händen von Geschäftemachern. Rund 25 Prozent seiner Einnahmen gingen an Eberhard, der Reeds Auto als mobiles Büro nutzte, zehn Prozent an seinen Agenten sowie je fünf Prozent an den Mann für die PR und einen Business-Manager. Dreißig Prozent gingen an die Steuer. 1960 verkaufte Eberhard seinen Vertrag, und Dean Reed mußte sich selbst um sein Management kümmern. In seiner 1980 erschienenen Autobiographie »Aus meinem Leben« äußerte er sich nur knapp über den Verkauf seines Vertrages: »Käufer war die Organisation, die in Hollywood mit allem, was es im Showbusiness gibt, handelt und die man getrost als Syndikat, als eine Art Mafia bezeichnen kann.«

Der unerfahrene Cowboy aus Colorado büßte schon sehr früh für seine Naivität. Sein Vertrag mit Capitol garantierte ihm acht Master Aufnahmen, die ihm jeweils 45$ einbrachten. Er realisierte, daß das Label ihn nur als Produkt ansah und er vor allem weiter live auftreten mußte, um Geld zu verdienen. Damit war es aber noch nicht getan. Die Musikbranche erwartete, daß sich der Sänger den Gesetzen des Marketings unterwarf. In seiner Autobiographie erinnerte er sich an die Strategien zu seiner Vermarktung: »So erschienen eines Tages zwei Männer bei mir, die mir eröffneten, was ich nach Ansicht der Organisation alles falsch machen würde. Sie schrieben mir vor, was ich für Hemden anziehen sollte, welche Krawatten ich tragen müßte, mit welchen Frauen ich mich in den von Fotoreportern wimmelnden Restaurants am Sunset Strip sehen lassen sollte, und meinten, daß es übrigens sehr gut wäre, wenn ich mit Miß Sowieso einen kleinen Skandal inszenieren würde. Ich habe das abgelehnt. Ich wollte kein Sklave sein. Lieber blieb ich ohne Manager.«

Dean Reed gab sich rebellisch und suchte die Konfrontation mit Eberhard, der ihn in seine Familie aufgenommen und bei sich hatte wohnen lassen. Der Manager hatte für Reed auch Gesangsunterricht, Bühnengarderobe und anderes bezahlt. Er probte sogar mit seinem Schützling vor dem Spiegel und schien an den Erfolg von Dean Reed zu glauben. Dieser fühlte sich aber zu sehr unter Druck gesetzt und es kam zu einem heftigen Streit. Dean Reed verließ Eberhard ohne ein Wort des Dankes und für Jahre durfte sein Name in Gegenwart des ehemaligen Managers nicht mehr ausgesprochen werden.

Nach Aussage eines Freundes von Dean Reed, Johnny Rosenburg, der durch Reeds Vermittlung selbst einen Vertrag bei Capitol unterschrieben hatte, wurde sein Vertrag später »von ein paar Typen aus Abilene, Kansas, gekauft, die mit Cadillacs handelten«. Vermutlich lag er damit nicht ganz falsch. Das Musikbusiness wurde zu dieser Zeit von Gangstern, Self-Made-Managern, Songschreibern und gewerkschaftlich organisierten Studiomusikern kontrolliert. Die Interpreten spielten in der Plattenproduktion die kleinste Rolle. Man paßte ihnen Songs an wie die dazugehörige Bühnengarderobe. Jeder Musiker, der seine Karriere vor der Rock ’n’ Roll-Ära begonnen hatte, arbeitete quasi direkt für die Mafia. Das Copacabana in New York, das Riviera in Jersey, das Chez Paree in Chicago, der 500 Club – alle großen Läden gehörten dem organisierten Verbrechen. Man lud sich Musiker zur Belustigung ein und verdiente nebenbei ganz ordentlich an den Platten. Im Hip-Hop verhielt es sich heute ganz ähnlich.

Besonders deutlich wurde dieser Zusammenhang bei Frank Sinatra als Bindeglied zwischen Mafiosi wie Sam Giancana oder Lucky Luciano, »den Kubanern« und »den Kennedys«. Sinatras Rat-Pack-Kumpan Peter Lawford war mit Kennedys Schwester Patricia verheiratet, und in den Hinterzimmern von Las Vegas wurde munter Geheimdiplomatie betrieben. Die unschuldig vergnügten Herrenabende endeten 1963 in Dallas. John F. Kennedy wurde erschossen, und finstere Verstrickungen von Politik, Mafia und Showbiz kamen ans Licht.

Begegnung mit dem weisen Mentor

1959 vermittelte Capitol Records Dean Reed einen Filmvertrag mit Warner Brothers. Man glaubte an sein Potential und schickte ihn für drei Jahre auf Warners School of Stars, wo er mit späteren Stars wie Jean Seeberg und Phil Everly auf der Schulbank saß. Phil Everly hatte mit »Wake Up Little Susie« 1957 einen zeitlosen Klassiker abgeliefert und später mit Hits wie »All I Have To Do Is Dream« oder »Bye Bye Love« nachgelegt. Everly verlor nie den Kontakt zu Dean Reed. Er vermachte seinem Weggefährten später eine Gitarre, die zu dessen wichtigstem Begleiter wurde. Everly trat sogar auf dessen Bitte im DDR-Fernsehen auf und besuchte Reed später mehrfach in seinem Haus in Schmöckwitz.

An der Schauspielschule traf Dean Reed auf den Schauspiellehrer Paton Price, einen radikalen Pazifisten, der wegen Kriegsdienstverweigerung im Zweiten Weltkrieg zwei Jahre im Gefängnis gesessen hatte. Paton Price war ein Übervater des alten Hollywood. Frank Lloyd Wright hatte für ihn eigens ein Theater in Hartford, Connecticut gebaut. Price übte großen Einfluß auf den jungen Mann aus Colorado aus. Zu seinen Schülern gehörten Don Murray, Roger Smith, Bob Conrad und Kirk Douglas, der zeitweise auch mit Price zusammen wohnte. Er hatte enge Kontakte zu den »Hollywood Ten«. Price machte Dean Reed u. a. mit den Ideen des russischen Schauspielers, Regisseurs, Theaterleiters und Pädagogen Konstantin Stanislawski bekannt, der 1898 mit Nemirowitsch-Dantschenko das Moskauer Künstlertheater begründet hatte. Er war ein Kämpfer für eine moderne Form von Realismus in Schauspiel und Regie und bekannt für seine realistischen Inszenierungen mit großer Liebe zu Details. Für Stanislawski waren die Erinnerungen an Gefühle der Vergangenheit von großer Bedeutung und seine Thesen wiesen Ähnlichkeiten mit der russischen Klavierschule auf, die ebenfalls mehr auf ein emotionales Verständnis für Musik baute, als die technisch perfekte Beherrschung des Instrumentes zu predigen. Theaterschulen zwischen Moskau und New York lehren bis heute nach Stanislawskis Theorien. In den USA wurde »The Method« vor allem von Lee Strasberg, Lehrer von Anne Bancroft, Marlon Brando, Paul Newman oder Marilyn Monroe, gelehrt. Auch Jane Fonda wurde über Strasbergs Tochter Susan von Stanislawski beeinflußt. Die Tochter des großen Mimen Henry Fonda war ebenfalls Schülerin an Warners Schauspielschmiede und freundete sich dort auch kurz mit Dean Reed an.

Schauspieler waren in den USA längst zu künstlichen Medienstars geworden, deren Geschichte von der Yellow Press geschrieben wurde. Geschichten über Celebrities ersetzten reguläre Informationen. Paton Price predigte seinem neuen Adepten statt dessen, daß man ein guter Mensch sein müsse, um als Künstler überhaupt etwas von Wert schaffen zu können.

Bei Reeds Ankunft in L. A. erkannte Paton Price sofort, daß sein Schützling noch nicht »entjungfert« war, und er verordnete ihm augenblicklich einen Besuch im besten Bordell der Stadt. Paton Price ließ ihn sich und seine Kollegin Jean Seeberg auch bei einer Probe nackt ausziehen, weil Reed sich nicht auf die Szene konzentrieren konnte. Später schrieben sich Paton Price und Dean Reed Telegramme, in denen sie sich mit der Zahl ihrer Affären zu übertrumpfen suchten. In seiner Autobiographie äußerte Reed sich zu dieser Freundschaft: »Obwohl uns ein großer Altersunterschied trennte, wurde Paton Price mein erster wirklicher Freund. Ich kann auch sagen: mein zweiter Vater […]. Paton war für mich von Anfang an ein Mensch, der mir bewußt werden ließ, was mir fehlte: Reife.«

Obwohl er in Paton Price seinen Guru gefunden hatte, folgte Reed später nur noch seinem eigenen Instinkt. »Er nahm keinen Ratschlag mehr von mir an«, erinnerte sich Price, der 1981 als Berater an Sing, Cowboy, Sing mitgearbeitet hatte, im Dokumentarfilm American Rebel, den Will Roberts 1985 über Dean Reed drehte. Zwei Jahre lebte Reed im Haus des Schauspiel-Gurus in Burbank. Er wurde zu einem vollwertigen Mitglied der Familie und nannte den alten Mann ›Peeps‹. Dean Reed, der sich zu dieser Zeit bereits als Marxist bezeichnete, führte mit Paton Price lange Gespräche auch über Politik. Aus dem Wunsch nach einer Veränderung der sozialen Zusammenhänge wuchs langsam der Wille, sich selbst dafür einzusetzen. Hollywood nannte er ein »Prostitutions-Camp« und »eine Art Mafia«.

Der Einfluß von Price war zu diesem Zeitpunkt so groß, daß der ehrgeizige Reed die Hauptrolle in der TV-Serie Wanted Dead Or Alive ausschlug, weil er auf der Leinwand keine Waffe tragen wollte. Man verpflichtete statt dessen den jungen Steve McQueen, und Reed galt in Hollywood fortan als schwierig.

Eine Romanze im Sommer

Am 4. Oktober 1959 stand die dritte Single von Dean Reed, eine Schnulze mit dem Titel »Our Summer Romance/I Ain’t Got You«, angeblich auf Platz 2 der Top 50 in den USA. Im Laufe der Zeit verkaufte sich die Platte auf der ganzen Welt fast eine Million Mal. Der große Hit in den USA wurde später zu einem wichtigen Element der Legende Dean Reed und sollte im Ostblock seinen Status als Weltstar beglaubigen. Niemand hat diese Geschichte je hinterfragt. Auch in Reggie Nadelsons 1991 erschienener Reed-Biographie »Comrade Rockstar« wurde der US-Charterfolg nicht weiter bezweifelt. Nach Reeds Umzug in die DDR hieß es immer wieder, Reed hätte trotz seines Erfolges auf eine Karriere in Amerika verzichtet. In der DDR hatte man ja kaum die Möglichkeit, die alten US-Billboard-Charts aus dem Regal zu ziehen, um die Story zu überprüfen. Aber belassen wir es zunächst bei Dean Reeds eigener Historienschreibung und kommen später auf den tatsächlichen Erfolg der Single zurück, der zunächst mehr als bescheiden ausgefallen war.

»Our Summer Romance« stammte aus Reeds eigener Feder. Musikalisch paßte das Lied so gerade noch in die Zeit. Dean Reed war zwar kein klassischer Las Vegas-Crooner wie die Jungs vom »Rat Pack«, aber er klang wie einer, der es mit der Sehnsucht nach der Sommerromanze ernst meinte. In seinen besseren Momenten kam er sogar an Roy Orbinson heran, ohne aber dessen schwermütige Tiefe zu erreichen.


3. Werbung von Capitol Records

1959 hatte Dean Reed auch einen Auftritt in Dick Clarks TV-Show American Bandstand. Gäste dieser Sendung durften froh sein, daß sie hier auftreten durften, und freche Bemerkungen wurden nicht geduldet. Der erzkonservative Clark regierte seine Show wie ein Patriarch. Elvis wurde nur von der Hüfte aufwärts gezeigt. American Bandstand war eine Institution in Amerika und Dick Clark eine Legende. Ursprünglich hatte man in der Sendung Sensationsdarsteller vom Zauberer bis zur lebenden Kanonenkugel präsentiert, bis sich das Hauptinteresse auf die neuen musikalischen Stars verlagert hatte. Heute unterhält Dick Clark eine Fast-Food-Kette und wurde auch bekannt als der Mann, der Filmemacher Michael Moore in Bowling for Columbine die Autotür vor der Nase zuknallt.

Von ähnlichem Kaliber wie American Bandstand war die Bachelor Father Show, wo Dean Reed am 4. Februar 1960 mit dem heute verschollenen Titel »Twirly Twirly« auftrat. John Forsythe begründete mit dieser Sitcom seine Karriere. Die Bachelor Father Show war ein gutes Beispiel für die hilflosen Versuche, der Teenage Rebellion mit altväterlich autoritären Rollenmodellen zu begegnen und dabei die Realität mit Mitteln der Fiktion zu bändigen. In solchen Serien sagte am Ende tatsächlich noch jemand Sätze, die mit »Ich habe heute auch etwas gelernt« begannen.

Dean Reed tauchte in Episode 61 auf, die den Titel Bentley and the Majorette trug. Nichte Kelly und ihre Freunde üben darin für einen Trommelwettstreit, und Onkel Bentley wird böse, als einige der Kids nicht mehr zu den Proben erschienen. Dean Reed sang zwischendurch irgendwann seinen Titel »Twirly Twirly«. Da Popstars die beliebte Serie nur in Ausnahmefällen mit Sangesdarbietungen unterbrachen, spricht Dean Reeds Auftritt durchaus für seine Reputation in dieser Zeit, auch wenn er seinen Text in der vorgestanzten Variante, die das Studio am liebsten mochte, darbot. Wer sich nicht an die Regeln solcher Shows hielt, hatte in der Popwelt nichts verloren. Popmusik mit sozialkritischem Inhalt war immer noch unvorstellbar.

 

Die Rebellion fand unterdessen auf der Straße statt und manifestierte sich musikalisch in Eddie Cochran, der als Angestellter eines Tonstudios jede freie Minute nutzte, um eigene Songs zu produzieren. Während Cochran der Nachwelt Geniestreiche wie »Summertime Blues« und »C’mon Everybody« hinterließ, ließ sich Dean Reed auf das Spiel der Industrie ein. Obwohl er sich nicht an die Regeln halten mochte, wollte er doch mitspielen, um die Regeln später zu verändern. Er konnte singen, sah gut aus und konnte reiten. Dean Reed war – im Verständnis der Hollywood-Strategen – hervorragendes Material. Man engagierte ihn als Darsteller in einer netten High-School-Traumwelt fürs Fernsehen, wo es jeden Tag Hamburger und Apple Pie gab. Er machte Platten und lächelte in die Kameras. Man bejubelte ihn daheim in Denver, weil er es geschafft hatte. Plattenvertrag, Adresse in Hollywood, schöne Frauen. Doch die Wirklichkeit war weniger hochglänzend: Capitol brachte 1960 zwei weitere Singles von Dean Reed heraus, die man nur als Flops bezeichnen konnte: »Don’t Let Her Go/No Wonder« und »Hummingbird/Pistolero«. »Don’t Let Her Go«, der erste Song aus Reeds eigener Feder, kam durchaus gut weg, und er gab sich alle Mühe, wie Elvis zu klingen. Wirklich überzeugt schien er von sich selbst aber nicht gewesen zu sein, sondern eher eine Rolle zu spielen. Er gab den Typen, der es geschafft hatte, aber kaum jemand kannte wirklich seine Songs. Für die Rolle in einem Film schien er einen Hit zu brauchen, und von großen Auftritten außerhalb von Denver konnte er nur träumen.

Auch der Rock ’n’ Roll schien mal wieder am Ende. Little Richard war auf den Religionstrip gekommen, Chuck Berry saß im Knast und Elvis war zum braven Soldaten mit guter Führung mutiert. Buddy Holly, Richie Valens und Eddie Cochran waren tot. Sie hatten der Nachwelt ein paar gute Erinnerungen hinterlassen, aber ihre Ära schien so schnell wieder vorbei zu sein, wie es Vater Reed einst prophezeit hatte. Dean Reed war zu spät gekommen, um die Welle Rock ’n’ Roll noch richtig zu erwischen. Bis zum Auftauchen der Beatles saßen die alten Männer wieder fest im Sattel und definierten die Rahmenbedingungen der Industrie.