Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in Deutschland

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1.3Die Zielgruppe des Buches

Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus sind Phänomenbereiche, die äußerst komplex und heterogen sind. Auf der Ebene von Studium und Wissenschaft sind sie von besonderer Bedeutung für folgende Fächer und Fakultäten:

•Politikwissenschaft

•Sozialwissenschaften

•Rechtswissenschaft

•Psychologie

•Soziologie

•Sozialpädagogik

•Soziale Arbeit

•Geschichtswissenschaft

•u.a.

Auf der Ebene von Behörden und öffentlichen Einrichtungen in Europa und Deutschland sind Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus von besonderer Bedeutung für folgende Bereiche:

•Polizei (Bundespolizei, Landespolizeien, Bundeskriminalamt, Landeskriminalämter, Staatsschutzabteilungen, Spezialeinsatzkommandos, Mobile Einsatzkommandos)

•Hochschulen und Akademien der Polizeien

•Verfassungsschutzbehörden (Verfassungsschutz auf der Ebene Bund und Länder sowie das Bundesamt Militärischer Abschirmdienst – BMAD)

•Hochschulen und Akademien der Verfassungsschutzbehörden

•Justiz

•Politische Bildung, Bundeszentrale und Landeszentralen

•Bildung und Kultus (auf den Ebenen Bund und Länder, vor allem die Kultusministerien der Bundesländer)

•Schulen

•Justizvollzugsanstalten

•Regierungspräsidien

•Bezirksregierungen

•Akteure im Bereich von Prävention

•u.a.

Dieses Buch versteht sich dabei als analytische Einführung in die Phänomenbereiche Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus. Es ist so konzipiert, dass das Buch – abhängig vom beruflichen Hintergrund und dem bereits mitgebrachten Vorwissen – nicht chronologisch gelesen werden muss, weil die Ebenen der Analyse einen jeweils individuellen, unterschiedlichen Einstieg in die Phänomenbereiche Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus ermöglichen. Dabei verdeutlichen die komplexen und heterogenen Fallbeispiele von rechtsextremistischen und rechtsterroristischen Phänomenen, dass wissenschaftliche Abgrenzungen, Definitionen und Analysekriterien essentiell wichtig sind, um effektiv in diesem Phänomenbereich arbeiten zu können.

Konzipiert ist dieses Buch für Bachelor- und Masterstudenten der oben erwähnten Fächer und Fakultäten. Das Literaturverzeichnis könnte zu eigener wissenschaftlicher Arbeit anregen.

Praktiker aus den Bereichen Polizei, Verfassungsschutz, Justiz und aus anderen Behörden der Bereiche Innere Sicherheit, Psychologie, Pädagogik und Bildung werden durch ihren jeweils individuellen Hintergrund unterschiedlich an dieses Buch herangehen.

Als Ergebnis einer Adressatenanalyse werden einführende „theoretische“ und analytische Feststellungen mit zahlreichen Fallbeispielen aus den Phänomenbereichen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus verbunden, um aktuellen und zukünftigen „Praktikern“ im staatlichen und zivilgesellschaftlichen Aufgabenbereich der Prävention und Repression von Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus zu einem schnellen und qualitativ hochwertigen Einstieg zu verhelfen.

1Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, 2020a, S. 53.

2Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, 2020a, S. 53.

3Bundesamt für Verfassungsschutz, 2020n.

2Definitionen und Analysemerkmale von Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus
2.1Definitionen und Analysemerkmale von Rechtsextremismus

Sozialwissenschaftliche Definitionen und Definitionsansätze von Rechtsextremismus gibt es zahlreiche. Viele deutsche Rechtsextremismusforscher beschäftigen sich seit Jahrzehnten intensiv und ausführlich damit.4

Nach Auffassung von Dienstbühl umfasst der Rechtsextremismus „sämtliche neofaschistische, neonazistische und ultra-nationalistische Ideologien. Zentrales Merkmal ist die Überbetonung der ethnischen Zugehörigkeit, durch welche sich die Anhänger als Menschen einer ‚höheren Rasse‘ definieren. Andere Nationalitäten und Volksgemeinschaften werden degradiert und als Menschen von minderem Wert angesehen“.5

Jaschke versteht unter Rechtsextremisten diejenigen, „die von der rassisch oder ethnisch bedingten sozialen Ungleichheit der Menschen ausgehen, nach ethnischer Homogenität von Völkern verlangen und das Gleichheitsgebot der Menschenrechtsdeklaration ablehnen, die den Vorrang der Gemeinschaft vor dem Individuum betonen, von der Unterordnung des Bürgers unter die Staatsräson ausgehen und die den Wertepluralismus einer liberalen Demokratie ablehnen und die Demokratisierung rückgängig machen wollen“6.

Kreis wiederum definiert Rechtsextremismus als ein „Einstellungsmuster, dessen verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen darstellen. Diese äußern sich im politischen Bereich in der Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Bereich sind sie gekennzeichnet durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen“7.

Salzborn schreibt dem Rechtsextremismus folgende Einstellungen zu: „Völkisches Denken, Biologismus, Rassismus, Autoritarismus, Homogenitätsdenken, Elitismus, Sexismus, Antisemitismus, Antiamerikanismus, Geschichtsrevisionismus, Militarismus und Antirationalismus“. Als mögliche rechtsextremistische Verhaltensformen bzw. Radikalisierungsstufen beschreibt er „Protest/Provokation, Wahlverhalten, Mitgliedschaft, Gewalt bzw. Terrorismus“.8

Für die Zielgruppe dieses Buches, Auszubildende (mittlerer Dienst) und Studierende (gehobener und höherer Dienst) deutscher Polizeibehörden und Nachrichtendienste, soll Rechtsextremismus hier weniger sozialwissenschaftlich-theoretisch, dafür aber operativ-praktisch definiert und analysiert werden.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Verfassungsschutzbehörde des Bundes, definiert Rechtsextremismus wie folgt:

„Unter Rechtsextremismus werden Bestrebungen verstanden, die sich gegen die im Grundgesetz konkretisierte fundamentale Gleichheit der Menschen richten und die universelle Geltung der Menschenrechte ablehnen. Rechtsextremisten sind Feinde des demokratischen Verfassungsstaates, sie haben ein autoritäres Staatsverständnis, das bis hin zur Forderung nach einem nach dem Führerprinzip aufgebauten Staatswesen ausgeprägt ist. Das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, aus der u.a. Fremdenfeindlichkeit resultiert. Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder ‚Rasse‘ bestimme den Wert eines Menschen. Offener oder immanenter Bestandteil aller rechtsextremistischen Bestrebungen ist zudem der Antisemitismus. Individuelle Rechte und gesellschaftliche Interessenvertretungen treten zugunsten kollektivistischer ‚volksgemeinschaftlicher‘ Konstrukte zurück (Antipluralismus)“.9

Diese Definition des Bundesamtes für Verfassungsschutz geht davon aus, dass sich Rechtsextremisten gegen die verfassungsmäßige Ordnung, das Grundgesetz und die freiheitliche demokratische Grundordnung (FdGO) wenden. Zur FdGO gehören nach Angaben des Bundesverfassungsgerichts folgende Grundsätze:

•das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch Organe der Gesetzgebung und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen,

•die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht,

•das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition,

•die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung,

•die Unabhängigkeit der Gerichte,

•der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft

•sowie die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.10

Rechtsextremisten sind Feinde des demokratischen Verfassungsstaates, richten sich gegen die fundamentale Gleichheit der Menschen und haben ein autoritäres Staatsverständnis. Rechtsextremisten lehnen die Staatsform der modernen Demokratie ab und überbewerten ethnische Zugehörigkeit, woraus Fremdenfeindlichkeit und ein Freund-Feind-Muster resultieren.

Analysemerkmale von Rechtsextremismus sind:

•Fremdenfeindlichkeit. Sie drückt eine feindselige Haltung gegenüber Menschen aus, die sich durch Herkunft, Nationalität, Religion oder Hautfarbe von der eigenen Umwelt unterscheiden. Die rechtsextremistische Ideologie ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit.

•Nationalismus und Rassismus sind für Neonationalsozialisten (Neonazis) politische und gesellschaftliche Ideologieelemente.

•Rechtsextremistischer Antisemitismus drückt sich in der Idee einer „weltumspannenden geheimen Verschwörung des Judentums“ aus oder indem Juden kollektiv für die Handlungen des Staates Israel verantwortlich gemacht werden.

•Rechtsextremisten hängen einem autoritär geprägten Staatsverständnis an, das häufig mit der Ablehnung der in Demokratien üblichen Gewaltenteilung einhergeht. In der Konsequenz fordern Neonazis angelehnt an den historischen Nationalsozialismus einen „Führerstaat“, in dem alle staatliche Macht auf die Entscheidungen einer Einzelperson zurückgeführt wird.

 

•Rechtsextremisten organisieren sich im rechtsextremistischen Parteienspektrum, als Neonazis, in „Kameradschaften“, subkulturell geprägt, dazu gehören u.a. die Skinhead-Subkultur und die „Identitäre Bewegung“.11

2.2Definitionen und Analysemerkmale von Rechtsterrorismus

Das Bundesamt für Verfassungsschutz definiert Rechtsterrorismus wie folgt:

„Der Terrorismus-Begriff der Verfassungsschutzbehörden unterscheidet sich von der strafrechtlichen Definition: Während der Terrorismus-Begriff im strafrechtlichen Sinne – zumindest in Bezug auf ‚terroristische Vereinigungen‘ gemäß § 129a Strafgesetzbuch (StGB) – eine relativ enge Konkretisierung erfährt, ist dieser im Verfassungsschutzverbund weiter gefasst. Verfassungsschutzbehörden verstehen unter Rechtsterrorismus den nachhaltig geführten Kampf von Rechtsextremisten für politische Ziele. Diese sollen mithilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer durchgesetzt werden, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in § 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen.

Damit enthält die Definition zwar einen unmittelbaren Bezug zum Tatbestand des § 129a StGB, sie ist jedoch nicht ausschließlich auf diesen beschränkt. Entscheidend ist aus Verfassungsschutzperspektive das gleichzeitige Vorliegen von drei wesentlichen Faktoren, die auf einen Akteur zutreffen müssen:

–eine politische Motivation in Verbindung mit konkreten politischen Zielen,

–ein nachhaltiges, also nicht nur spontanes, impulsives oder einmaliges Agieren,

–Verüben von besonders schweren Straftaten, insbesondere massiven Gewaltstraftaten.

Diese Verfassungsschutzdefinition verlangt hierbei nicht notwendigerweise die Existenz einer Gruppierung, wie sie das Strafrecht dagegen zwingend vorsieht. Es werden somit auch Einzelpersonen erfasst, die die oben genannten Faktoren erfüllen und dabei nicht auf konkrete Weisung Dritter handeln (rechtsterroristische Einzeltäter).

Die Übergänge von gewaltorientiertem Rechtsextremismus in den Rechtsterrorismus können fließend sein. Die Beobachtung des gewaltorientierten Rechtsextremismus ist daher für die Verfassungsschutzbehörden von besonderer Bedeutung. Zeigen sich Ansätze für eine rechtsterroristische Ausprägung, etwa konkrete Anzeichen für die Planung einer schweren Gewalttat oder eines terroristischen Anschlags, erfolgt eine engmaschige, intensive Bearbeitung als Gefährdungssachverhalt. In der Vergangenheit konnten hierdurch Anschlagsplanungen vereitelt und operative Erfolge im Zusammenspiel der Sicherheitsbehörden erzielt werden.“12

Analysemerkmale von Rechtsterrorismus

•Rechtsterrorismus wird von einer spezifischen Kommunikationsstrategie begleitet, die über das spezifisch-taktische Ziel (Opfer) hinaus eine terroristische Botschaft an Gruppen, Religionen, Ethnien sendet („Ihr könnt die nächsten Ziele/Opfer sein“). Ein Beispiel hierfür ist die rechtsterroristische Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). Diese adressierten potenziellen Opfer zukünftiger Anschläge sollen eingeschüchtert werden. Die Botschaft von Rechtsterroristen richtet sich an die Opfergruppe, den Staat und das rechtsterroristische Sympathisantenumfeld.13

•Rechtsterrorismus ist der nachhaltig-strategische Kampf für rechtsextremistische Ziele. Diese Ziele sollen mithilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer durchgesetzt werden.

•Rechtsterroristen zielen auf öffentliches Aufsehen, auf mediale Thematisierung, ab.

•Rechtsterroristische Anschläge können von Organisationen, Gruppen, Zellen und Einzeltätern verübt werden.

•Die ideologischen Hintergründe von Rechtsterrorismus können Freund-Feind-Stereotype, Verschwörungstheorien, deterministische Geschichtsbilder und identitäre Gesellschaftsbilder sein.14

•Die Übergänge von Rechtsextremismus zu Rechtsterrorismus können fließend sein.

•Ziele/Opfer von Rechtsterroristen können u.a. Ausländer, Asylbewerber, Menschen mit Migrationshintergrund, Muslime, Juden, Politiker, Polizisten, Beamte und Repräsentanten des Staates sein, aber auch Mitglieder von Parteien, die von Rechtsterroristen als Gegner/Feinde empfunden werden.

Kurzzusammenfassung Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus

Rechtsextremismus

•Es handelt sich um eine Form von Extremismus im Sinne politisch motivierter Kriminalität.

•Hintergrund können neofaschistische, neonazistische und ultra-nationalistische Ideologien sein, verbunden mit völkischem Denken, Biologismus, Rassismus, Autoritarismus, Homogenitätsdenken, Elitismus, Sexismus, Antisemitismus, Antiamerikanismus, Geschichtsrevisionismus, Militarismus und Antirationalismus sowie Nationalismus.

•Er ist geprägt von antisemitischen, fremdenfeindlichen und sozialdarwinistischen Einstellungen.

•Er zielt auf die teilweise oder vollständige Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FdGO) ab und hat ein autoritäres Staatsverständnis nach dem Führerprinzip sowie Sympathien für Diktaturen.

•Individuelle Rechte und gesellschaftliche Interessenvertretungen werden zugunsten kollektivistischer, „volksgemeinschaftlicher“ Konstrukte verdrängt (Antipluralismus).

•Rechtsextremisten organisieren sich in Parteien, als Neonazis, in „Kameradschaften“, sind subkulturell geprägt und in der Neuen Rechten.

Rechtsterrorismus

•Die Übergänge von (gewaltorientiertem) Rechtsextremismus in den Rechtsterrorismus können fließend sein.

•Es handelt sich um den nachhaltig geführten Kampf für rechtsextremistische politische Ziele mit Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum Andersdenkender, um politische, ethnische oder religiöse ‚Gegner‘ einzuschüchtern, begleitet von einer spezifischen Kommunikationsstrategie („Ihr könntet/Sie könnten die nächsten Ziele/Opfer sein“).

•Im Fokus stehen öffentliches Aufsehen und mediale Thematisierung.

•Rechtsterroristische Anschläge, Attentate und Gewalt können von Organisationen, Gruppen, Zellen und Einzeltätern verübt werden/ausgehen.

4Vgl. u.a. Dienstbühl, 2019, S. 91–94; Goertz, 2020a, S. 31–37; Goertz, 2020b, S. 12–15; Pfahl-Traughber, 2019a, S. 4, 23; Pfahl-Traughber, 2018, S. 303–308; Salzborn, 2016, S. 13–19; Virchow, 2016, S. 5–43.

5Dienstbühl, 2019, S. 91.

6Jaschke, 1994, S. 31.

7Kreis, 2007, S. 13.

8Salzborn, 2015, S. 21.

9Bundesamt für Verfassungsschutz, 2020a.

10Bundesamt für Verfassungsschutz, 2020b.

11Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz, 2020c.

12Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, 2018, S. 53–54.

13Vgl. Gräfe, 2019, S. 235.

14Vgl. Pfahl-Traughber, 2010, S. 9–32.

3Rechtsextremistische Parteien in Deutschland
3.1Die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD)
3.1.1Aktuelle Situation

Die deutschen Verfassungsschutzbehörden analysieren aktuell, dass die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) trotz rückläufiger Mitgliederzahlen und schwacher Wahlergebnisse ein wichtiger Faktor im deutschen Rechtsextremismus ist.15 Im Jahr 2019 sank die Mitgliederzahl der NPD von 4.000 auf ca. 3.600. Im „Superwahljahr 2019“, als die Wahl zum Europäischen Parlament und drei Landtagswahlen stattfanden, verlor die NPD das einzige EU-Parlamentsmandat, über das der ehemalige Parteivorsitzende Udo Voigt verfügte. Neben dem Ausbleiben einer parlamentarischen Beteiligung der NPD hatten diese Wahlniederlagen zur Folge, dass die NPD finanzielle Mittel aus der staatlichen Parteienfinanzierung verlor (die Ein-Prozent-Hürde berechtigt für die Teilnahme an der staatlichen Teilfinanzierung in Bezug auf Landtagswahlen). Trotz dieser folgenreichen Wahlniederlagen führen die deutschen Verfassungsschutzbehörden aus, dass die NPD auch im Jahr 2019 über eine grundsätzliche Handlungs- und Kampagnenfähigkeit verfügte.16

Im Bereich von Aktionen, Veranstaltungen und Kampagnen setzt die NPD seit 2018 u.a. auf die „Schild & Schwert“-Festivals in Ostritz/Sachsen und auf das Konzert „Zurück zu den Wurzeln – Skinheads Back To The Roots“. Daneben waren zahlreiche Mitglieder und Sympathisanten der NPD bei den seit Jahren durchgeführten Demonstrationen am 1. Mai in Dresden und Wismar/Mecklenburg-Vorpommern dabei. Eine seit 2017 wichtige Aktion der NPD ist die „Schutzzonen“-Kampagne, bei der Mitglieder der NPD versuchen, der Öffentlichkeit zu beweisen, dass sie durch ihre körperliche Präsenz an einzelnen öffentlichen Orten für „Sicherheit“, insbesondere vor vermeintlich kriminellen Migranten, sorgen. Diese „Schutzzonen“-Kampagne soll mediale Aufmerksamkeit generieren.17 Die deutschen Behörden sehen die Aktivitäten der selbsternannten „Bürgerwehren“ kritisch, doch sind ihnen die Hände gebunden, solange diese Bürgerwehren keine Tatverdächtigen festnehmen oder Gewalt anwenden, auch Westen dürfen diese „Bürgerwehren“ tragen.18 Nach Angaben der Bundesregierung besteht „ein fließender Übergang vom Aufruf zur Bildung von ‚Bürgerwehren‘ hin zu einem eigenmächtigen Eintreten für Sicherheit und Ordnung abseits des staatlichen Gewaltmonopols oder gar hin zu gewalttätigem Handeln“19.

Im Dezember 2019 beschloss die NPD auf ihrem Parteitag in Riesa, dass sie ihren Namen ändern möchte, um die Wahlchancen zu erhöhen. Ein erster Vorschlag war „Sozialistische Heimatpartei“ (SHP). Der im Dezember 2019 wiedergewählte NPD-Chef Frank Franz hatte seine Kandidatur von der Zustimmung zur neuen Namensgebung abhängig gemacht.20

Vor der Europawahl im Jahr 2019 ließ der Oberbürgermeister von Mönchengladbach Plakate der NPD abhängen, wogegen die NPD klagte. Auf den in Mönchengladbach aufgehängten Plakaten der NPD stand: „Stoppt die Invasion: Migration tötet!“. Das Düsseldorfer Verwaltungsgericht befand, dass diese Parole volksverhetzend ist, und wies damit die Klage der NPD zurück, die bereits zuvor mit einem Eilantrag gescheitert war. Die aus dem Ausland nach Deutschland eingereisten Migranten würden von der NPD böswillig verächtlich gemacht, dies greife ihre Menschenwürde an und sei geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, argumentierte das Gericht. Migranten würden pauschal als gefährlich gebrandmarkt und mit Tötungsdelikten verknüpft. Dadurch könne das Vertrauen in die Rechtssicherheit erschüttert und die Gewaltschwelle herabgesetzt werden, hieß es in der Urteilsbegründung des Gerichts. Inhalt und Gestaltung der Plakate erfüllten nach Angaben des Verwaltungsgerichts den Straftatbestand der Volksverhetzung.21