Das Verhältnis des Vermögensnachteils bei der Untreue (§ 266 StGB) zum Vermögensschaden beim Betrug (§ 263 StGB) unter besonderer Berücksichtigung des Gefährdungsschadens

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(10) Zwischenergebnis

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Letztlich führt die Untersuchung der verschiedenen Konstellationen der Betrugsvollendung durch Vermögensgefährdung zu dem Ergebnis, dass durch die Rechtsprechung zwar innerhalb der einzelnen Fallgruppen vereinzelt Kriterien zur Identifikation „schadensgleicher“ Vermögensgefährdungen entwickelt wurden, sich diese aber i.d.R. nicht mit den Grundsätzen der wirtschaftlichen Schadensermittlung vereinbaren lassen. Darüber hinaus ist keines der Kriterien geeignet, durch Verallgemeinerung eine taugliche sowie handfeste Grenze zwischen schadensrelevanten und solchen Vermögensgefährdungen, die lediglich dem Versuchsbereich zuzuordnen sind, zu ziehen. Als alleiniges Abgrenzungskriterium verbleibt dann zumeist das Rechtsgefühl.[487] Die Konturenlosigkeit der verschiedenen Fallgruppen wird dadurch verstärkt, dass diese ihrerseits wieder ein „Eigenleben“ entwickeln und sich die „kleinsträumige(n) Ausdifferenzierungen“ stets im Fluss befinden.[488] Eine Berechenbarkeit der Rechtsprechung ist damit mangels einer genauen Definition der „schadensgleichen Vermögensgefährdung“ nicht gewährleistet.

c) Aktuelle Entwicklungen zur Schadensbegründung durch Vermögensgefährdung

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In den letzten Jahren ist jedoch Bewegung in die Diskussion über die Schadensbegründung durch Vermögensgefährdung gekommen. So ist zum einen die Begrifflichkeit der „schadensgleichen Vermögensgefährdung“ in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt, zum anderen wurde die dogmatische Figur als solche in Frage gestellt.

aa) „Schadensgleiche Vermögensgefährdung“ oder „Gefährdungsschaden“ – Die Frage der Begrifflichkeit

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Die Ablehnung der Begrifflichkeit „schadensgleiche Vermögensgefährdung“ konzentriert sich insbesondere auf das Prädikat der Schadensgleichheit der Vermögensgefährdung.[489] Ausgangspunkt ist dabei, dass dieses den eindeutigen Wortlaut des Betruges missachte, wonach der Eintritt eines Vermögensschadens erforderlich sei, etwas diesem nur „Gleichstehendes“ zur Betrugsvollendung gerade nicht ausreiche.[490] Würde man dieser Vorgabe zuwider handeln und auch nur „schadensgleiche“ Vermögensgefährdungen als Vermögensschaden qualifizieren, führe dies zu Konflikten mit dem verfassungsrechtlichen Analogieverbot, welches die Judikatur auf den Wortlaut des Gesetzes verpflichte und Abweichungen von diesem zum Nachteil des Täters verbiete.[491]

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Daher werden anstelle des Begriffs der „schadensgleichen“ Vermögensgefährdung andere Formulierungen vorgeschlagen. Genannt werden u.a. „schadensdarstellende“ Vermögensgefährdung[492], „schadensbegründende“ Vermögensgefährdung[493], „schädigende“ Vermögensgefährdung[494], „Vermögensgefährdung[…], die zu einer Vermögenswertminderung führt“[495] oder „Gefährdungsschaden“[496].

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Diese Beschreibungen werden allesamt der Situation einer Schadensbegründung durch Vermögensgefährdung besser gerecht. Ist nach den Grundsätzen der wirtschaftlichen Vermögens- und Schadensermittlung ein Vermögensschaden eine nicht kompensierte Vermögensminderung und führt eine Vermögensgefährdung eine solche herbei, liegt bereits ein tatsächlicher Vermögensschaden und nicht nur etwas diesem „Gleichstehendes“ vor.[497] Entsprechend der vorgeschlagenen Formulierungen „stellt“ die Vermögensgefährdung dann einen Vermögensschaden „dar“, „begründet“ diesen, „schädigt“ bereits oder aber ist ein Vermögensschaden in Form eines „Gefährdungsschadens“ eingetreten. Die Bezeichnung „schadensgleiche Vermögensgefährdung“ wirkt dagegen eher verschleiernd.[498] Dies hat auch die Rechtsprechung mittlerweile dazu bewogen, den von der Literatur entwickelten Begriff des „Gefährdungsschadens“ zu übernehmen,[499] auch wenn sie hinsichtlich der verwendeten Terminologie verschiedentlich die notwendige Einheitlichkeit vermissen lässt.[500] Da der Begriff des Gefährdungsschadens verdeutlicht, dass es sich bei einer Schadensbegründung durch Vermögensgefährdung um einen „normalen“ Vermögensschaden handelt, wird dieser Begriff auch in dieser Untersuchung im Folgenden verwendet.[501]

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Nicht übersehen werden darf allerdings, dass sich durch die bloße Verwendung einer anderen Terminologie nichts an den Bedenken gegenüber der dogmatischen Figur der Schadensbegründung durch Vermögensgefährdung als solche ändert. Im Hinblick auf deren stärkere Konturierung ist nichts erreicht. Sollte der neue Begriff des „Gefährdungsschadens“ nur die konturenlose und in ihrer Begrifflichkeit und Abgrenzung nicht hinreichend geklärte Situation der ehemals als solche bezeichneten „schadensgleichen Vermögensgefährdung“ beschreiben, ohne durch klare Kriterien im Sinne der Rechtssicherheit die Abgrenzung zu erleichtern, ist im Hinblick auf die Vereinfachung der Schadensdogmatik nichts gewonnen.

bb) Aufgabe der Figur des Gefährdungsschadens durch die neuere Rechtsprechung?

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Nicht nur eine terminologische Änderung, sondern die Frage der Zulässigkeit der Schadensbegründung durch Vermögensgefährdung als solche war Gegenstand einer Diskussion zwischen dem 1. und 3. Strafsenat auf der einen und dem 2. und 5. Strafsenat des BGH auf der anderen Seite. Stellvertretend für die widerstreitenden Ansichten stehen die beiden Senatsmitglieder Nack (Vorsitzender des 1. Strafsenats) und Fischer (2. Strafsenat). Während Fischer sowie der 2. und 5. Strafsenat an der Figur des Gefährdungsschadens festhalten[502] und lediglich eine Einschränkung des Anwendungsbereichs, allerdings ausschließlich im subjektiven Tatbestand der Untreue, vornehmen[503], ziehen Nack, der 1. und 3. Strafsenat die Existenberechtigung der Figur des Gefährdungsschadens insgesamt in Zweifel.[504] Dies wird beispielhaft in einem Beschluss des 1. Strafsenats vom 18.2.2009[505] deutlich, der einen Fall der Eingehung von sog. Risikogeschäften[506] betraf.

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Diesem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Angeklagte hatte seinen Opfern sichere, weil bankgarantierte, und sich hoch rentierende Geldanlagen versprochen und dafür insgesamt ca. 28 Mio. € von diesen erhalten. Diese Gelder, die nach den Angaben des Angeklagten nur als Kapitalnachweis dienen sollten, verbrauchte er zu großen Teilen für seine private Lebensführung. Um die Altanleger in Sicherheit zu wiegen und zu neuen Investitionen zu veranlassen, zahlte er nach Art eines Schneeballsystems[507] diesen anfangs ihre Anlagen unter Verwendung der Gelder neuer Anleger, teilweise sogar samt der versprochenen Renditen, zurück.[508]

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Der 1. Strafsenat bejahte bereits im Zeitpunkt der vertragsgemäßen Zahlung der Anlagegelder an den Angeklagten einen endgültigen Vermögensschaden der Investoren.[509] Der Gesamtwert des Vermögens der Anleger sei bereits in diesem Stadium tatsächlich gemindert gewesen, da der Zahlung kein hinreichendes Äquivalent gegenübergestanden habe. Die Georderung auf Rückzahlung der Gelder zuzüglich der versprochenen Renditen sei wegen des erhöhten, nicht mehr vertragsimmanenten Ausfallrisikos minderwertig gewesen und habe insofern die eingetretene Vermögensminderung nicht vollständig kompensieren können.[510] Dies gelte unabhängig davon, ob sich das Risiko für die betreffenden Anleger später realisiert habe oder sie infolge absprachegemäßer Bedienung sogar reicher geworden seien.[511] Denn auch der Gegenanspruch der Altanleger, die später tatsächlich bedient wurden, sei von Anfang an wertlos gewesen.[512]

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Daher sei auch die begriffliche Unterscheidung zwischen endgültigem Vermögensschaden und „schadensgleicher Vermögensgefährdung“ entbehrlich. Die sog. konkrete Vermögensgefährdung stelle sich in Wirklichkeit als „ein bereits unmittelbar mit der Tathandlung eingetretener (endgültiger) Vermögensnachteil“ dar, so dass bei exakter Begriffsbestimmung und präziser Betrachtung des tatsächlichen wirtschaftlichen Nachteils auf die Bezeichnung als Gefährdungsschaden verzichtet werden könne.[513] Zwischen endgültigem Schaden und Gefährdungsschaden bestehe lediglich ein quantitativer, nicht hingegen ein qualitativer Unterschied.[514] Es handele sich daher bei der Diskussion über die Figur der „schadensgleichen Vermögensgefährdung“ um ein Scheinproblem.[515]

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Die Überlegungen des 1. Strafsenats tragen indes nicht zu mehr Klarheit bei. Zunächst betonen sie Selbstverständliches:[516] Die „schadensgleiche Vermögensgefährdung“ bzw. der Gefährdungsschaden stellen nach einem wirtschaftlichen Vermögens- und Schadensverständnis „echte“ Vermögensschäden dar, da sie eine durch Gesamtsaldierung zu ermittelnde objektive Wertminderung des Gesamtvermögens vorraussetzen. Allerdings stellt die terminologische Unterscheidung zwischen einem Gefährdungs- und einem endgültigen Schaden bei wirtschaftlicher Betrachtung entgegen dem 1. Strafsenat keine bloße theoretische „Spielerei“ dar, sondern ist sachlich fundiert.[517] Der endgültige Vermögensschaden wird am Ende einer abgeschlossenen Vermögensentwicklung festgestellt und setzt den vollzogenen Leistungsaustausch bzw. den unwiederbringlichen[518] Vermögensabfluss infolge minderwertiger Kompensation voraus. Der Gefährdungsschaden beruht hingegen auf einer nicht abgeschlossenen Sachlage, die gleichwohl schon eine objektive Wertminderung nach Vergleich der Vermögenslagen vor und nach der Vermögensverfügung zur Folge hat.[519] Da in der Tatsituation des Gefährdungsschadens aber eben nur die Gefahr der minderwertigen Kompensation der eigenen Leistung besteht, kann hier der endgültige Vermögensverlust nur prognostiziert werden, woraus sich die zeitliche Vorverlagerung der Tatbestandsverwirklichung aufgrund des Gefährdungsschadens ergibt.[520] Diese Vorverlagerung sollte durch die terminologische Unterscheidung deutlich bleiben.[521]

 

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Da der 1. Strafsenat den Vermögensschaden im Zeitpunkt der Zahlung der Anlagegelder an den Täter, mithin zu einem Zeitpunkt ermittelt, in dem über die Frage des letztendlich verbleibenden Vermögensminus auf Opferseite noch nicht entschieden ist, handelt es sich um die Konstellation eines Gefährdungsschadens. Aufgrund des Tatplans des Täters und des in großem Maße risikobehafteten Schneeballsystems besteht die Gefahr endgültig minderwertiger Kompensation der bereits erbrachten Leistung der Anleger. Allerdings kann nicht jede konkrete Kapitalanlage als von Anfang an vollständig wertlos oder in ihrem Wert herabgesetzt charakterisiert werden, da insbesondere bei den Altanlegern eine reelle Chance auf Befriedigung ihrer Ansprüche bestand.[522] Zumindest aber die Neuinvestoren haben aufgrund der erhöhten Gefahr, keine Gegenleistung zu erhalten, nach der wirtschaftlichen Schadensermittlung eine gegenwärtige Vermögensminderung nach Gesamtsaldierung und damit einen Vermögensschaden in Form eines Gefährdungsschadens erlitten.[523]

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Der 1. Strafsenat erklärt seine Vorgehensweise, bei identischer Sachlage anstatt eines Gefährdungsschadens einen endgültigen Schadenseintritt anzunehmen, dabei wie folgt: Die Figur des Gefährdungsschadens verkörpere die Gefahr der Überdehnung des Betrugstatbestandes, da durch diese auch nur abstrakte und damit tatsächlich nur „schadensgleiche“ Gefahren in den Tatbestand einbezogen werden könnten.[524] Dies sei mit Art. 103 Abs. 2 GG nicht vereinbar.[525] Diese richtige Erkenntnis nutzt der BGH dann aber nicht zur Entwicklung einschränkender Kriterien, sondern nimmt schlicht eine „Umetikettierung“ eines Gefährdungs- in einen endgültigen Schaden vor und bestraft „ruhigen Gewissens weiter“[526]. Der bloße Wechsel in der Terminologie bedeutet aber keine dogmatische Verbesserung und ist wohl eher selbst „verschleiernd“.[527] Mahnte der Begriff des Gefährdungsschadens wegen der Vorverlagerung der Strafbarkeit noch zu seiner restriktiven Anwendung, büßt er durch die Umbenennung in einen endgültigen Vermögensschaden diese Funktion ein. Durch die Neuinterpretation des 1. Strafsenats ist mithin nichts gewonnen,[528] zumal der BGH für die infolge der Aufhebung der Figur des Gefährdungsschadens erforderliche Unterscheidung realiter eingetretener Schäden und abstrakter Vermögensgefahren abermals keinerlei Kriterien anbietet.

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Letztendlich scheint zwar die Sensibilität im Hinblick auf die Schadensbegründung durch Vermögensgefährdung gewachsen zu sein, handhabbare Kriterien zur Abgrenzung vollendeter Betrugsfälle von bloßem Versuchsunrecht lassen sich aber auch der aktuellen Diskussion nicht entnehmen. Diese zu entwickeln wäre die richtige Reaktion auf die zunehmende Verwässerung des Anwendungsbereichs des Gefährdungsschadens gewesen und nicht eine bloß terminologische Veränderung.[529]

d) Teilergebnis zur Schadensbegründung durch Vermögensgefährdung

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Eine Vollendung des Betrugs durch Vermögensgefährdung anzuerkennen ist durch den wirtschaftlichen Vermögens- und Schadensbegriff indiziert. Unter Zugrundelegung wirtschaftlicher Maßstäbe können sich Gefährdungen bereits gegenwärtig auf den Wert von Vermögensgegenständen auswirken. Besteht die Gefahr endgültig minderwertiger Kompensation der Leistung des Getäuschten und wirkt sich diese bereits gegenwärtig vermögensmindernd aus, kann ein Gefährdungsschaden als „echter“ Vermögensschaden nach einer Gesamtsaldierung ermittelt werden.

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Da aber auch kleinste Gefährdungen schon eine objektive Wertminderung bewirken, bedarf es zur Vermeidung einer Aushöhlung des Schadensbegriffs der Entwicklung zusätzlicher Kriterien, anhand derer schadensbegründende Gefährdungen von solchen ohne Schadensrelevanz abgegrenzt werden können. Dies ist bisher aber weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung trotz zahlreicher Ansätze überzeugend gelungen. Gerade die Rechtsprechung hinterlässt ein unüberschaubares Bild verschiedenster Fallgruppen mit unterschiedlichsten, mehr oder weniger mit einem wirtschaftlichen Vermögens- und Schadensbegriff kompatiblen Kriterien.

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Letztlich trägt auch der Verzicht auf den Begriff der „schadensgleichen Vermögensgefährdung“ sowie die neuere Rechtsprechung des 1. Strafsenats des BGH, der die Diskussion um die Schadensbegründung durch Vermögensgefährdung als Scheinproblematik bezeichnet, nicht zur Klarheit bei. Die schlichte Veränderung in der Terminologie führt nicht zur Schärfung von Konturen, da inhaltlich keine neuen Maßstäbe gesetzt werden. So ist der Gefährdungsschaden zwar in aller Munde; was diesen genau ausmacht, weiß mangels fester Kriterien aber bis heute niemand.[530]

5. Ergebnis zum Vermögensschaden

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Bei der Bestimmung des Vermögensschadens ist ein wirtschaftlicher Vermögens- und Schadensbegriff zugrunde zu legen. Der Vermögensschaden wird durch objektive Gesamtsaldierung ermittelt, indem die Vermögensbestände unmittelbar vor und nach der irrtumsbedingten Vermögensverfügung miteinander verglichen werden. Wird die infolge der Vermögensverfügung eingetretene (erste) Vermögensminderung nicht vollständig durch Vermögenszufluss wieder kompensiert, liegt in Form der verbleibenden (zweiten) Vermögensminderung ein Vermögensschaden vor.

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Mit diesen Anforderungen sind die von der herrschenden Meinung anerkannten Figuren des individuellen Schadenseinschlags sowie der Zweckverfehlungslehre nicht vereinbar. Die wirtschaftlich-faktische Betrachtungsweise wird bei diesen Figuren zu Gunsten einer Normativierung des Schadensbegriffs aufgegeben.[531] Dadurch wird der durch die Beschränkung auf wirtschaftliche Maßstäbe vorgegebene Rahmen verlassen und zusätzlich durch die Versubjektivierung objektiver Tatbestandsmerkmale Unsicherheit in die Schadensbegründung hineingetragen.

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Gerade durch den wirtschaftlichen Ausgangspunkt der Schadensermittlung veranlasst ist dagegen die Schadensbegründung durch Vermögensgefährdung. Allerdings besteht aufgrund der enormen Weite dieser Rechtsfigur einhergehend mit dem Mangel an klaren Kriterien sowie einer einheitlichen Definition erhebliche Rechtsunsicherheit bei ihrer Anwendung.

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Insgesamt hat sich zur Feststellung eines Vermögensschadens eine komplexe Dogmatik herausgebildet, die versucht der Vielschichtigkeit der gesellschaftlichen Realität Herr zu werden. Eine einheitliche berechenbare Rechtsanwendung ist aber bis heute nicht erkennbar.

Teil 2 Das Verhältnis der Begriffe Vermögensschaden und Vermögensnachteil – die 4 Möglichkeiten einer Verhältnisbildung › A. Heutiges Verständnis – Das „Dogma der Identität“ von Vermögensschaden und Vermögensnachteil (1. Möglichkeit) › II. Das Gegenstück – Der Vermögensnachteil bei der Untreue (§ 266 StGB)

II. Das Gegenstück – Der Vermögensnachteil bei der Untreue (§ 266 StGB)

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Die Dogmatik zum Vermögensschaden wird fast vollständig auf den Vermögensnachteil als tatbestandlichen Erfolg der Untreue übertragen. Dies wirft ausgehend von einem wirtschaftlichen Vermögens- und Schadensverständnis verschiedene Fragen auf. Zum einen scheint eine Übertragung nur möglich, wenn beide Tatbestände das gleiche Rechtsgut schützen, zum anderen stellt sich die Frage nach den Konsequenzen der Inkorporierung der komplexen und in weiten Teilen unübersichtlichen Schadensdogmatik in einen anderen Tatbestand.

1. Das Rechtsgut der Untreue

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Anders als beim Betrug ist das von § 266 StGB geschützte Rechtsgut in stärkerem Maße umstritten. Einigkeit besteht darüber, dass zumindest das Vermögen Rechtsgut des Untreuetatbestandes ist.[532] Uneinigkeit herrscht aber dahingehend, ob über das Vermögen hinaus weitere Rechtsgüter wie die Dispositionsfreiheit[533], das individuelle Vertrauen des Geschäftsherrn[534] oder das überindividuelle Vertrauen in die Redlichkeit des Geschäfts- und Wirtschaftsverkehrs[535] (mit-)geschützt werden. Ein Schutz weiterer Rechtsgüter neben dem Vermögen scheint zwar die historische Entwicklung des Untreuetatbestandes nahe zu legen,[536] wird von der herrschenden Meinung bisher aber abgelehnt.[537]

2. Der Vermögensnachteil nach dem ursprünglichen „Dogma der Identität“

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Der Begriff des Vermögensnachteils bei der Untreue entspricht nach der Rechtsprechung und herrschenden Literatur dem Begriff des Vermögensschadens beim Betrug („Dogma der Identität“).[538]

Die beim Vermögensschaden entwickelten dogmatischen Strukturen werden auf den Vermögensnachteil übertragen. Dies gilt für den im Ausgangspunkt wirtschaftlichen Vermögens- und Schadensbegriff in Verbindung mit den Grundsätzen zur Schadensbegründung durch Vermögensgefährdung wie für die diesbezüglich anerkannten Ausnahmen.

a) Übertragung der Grundsätze der Schadensbegründung auf die Untreue

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Ein Vermögensnachteil liegt auf der Grundlage eines wirtschaftlichen Vermögens- und Schadensbegriffs vor, wenn der Gesamtwert des Vermögens nach wirtschaftlicher Betrachtung eine Minderung erfährt.[539] Wie beim Betrug wird dies durch Gesamtsaldierung ermittelt,[540] wobei die Vermögenslagen unmittelbar[541] vor und nach der tatbestandsmäßigen Pflichtverletzung miteinander verglichen werden. Wird die durch die Tathandlung bewirkte Vermögensminderung nicht durch eine auf derselben Untreuehandlung beruhende Vermögensmehrung vollständig kompensiert, liegt ein Vermögensnachteil vor.[542] Der Vermögensnachteil ist mithin ebenfalls ein nicht kompensiertes objektives Vermögensminus zu Lasten des Gesamtvermögens.

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Die herrschende Meinung erkennt daneben auch die im Rahmen des Betruges als Erweiterungen der Schadensermittlung entwickelten Institute des individuellen Schadenseinschlags[543] sowie der Zweckverfehlungslehre[544] an. Diese sind allerdings auch bei der Untreue wegen des Bruchs mit einer objektiv-wirtschaftlichen Schadensermittlung sowie aufgrund der mit ihnen verbundenen starken Subjektivierung und Personalisierung der Schadensermittlung abzulehnen.[545]

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