Das Verhältnis des Vermögensnachteils bei der Untreue (§ 266 StGB) zum Vermögensschaden beim Betrug (§ 263 StGB) unter besonderer Berücksichtigung des Gefährdungsschadens

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Teil 1 Einleitung › C. Ziel der Arbeit und Gang der Untersuchung

C. Ziel der Arbeit und Gang der Untersuchung

Teil 1 Einleitung › C. Ziel der Arbeit und Gang der Untersuchung › I. Ziel der Arbeit

I. Ziel der Arbeit

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Ziel der Arbeit ist die Neuinterpretation des Verhältnisses der Begriffe Vermögensnachteil und Vermögensschaden.

Diese sollen jeweils hinsichtlich ihres Inhalts untersucht und auf eine feste Grundlage gestellt werden. Durch die Herausbildung klarer Kriterien wird dann eine trennscharfe Abgrenzung von Versuchs- und Vollendungsunrecht ermöglicht.

Zusätzlich soll auch der wirtschaftlichen Praxis Rechnung getragen werden, indem den im Wirtschaftsleben handelnden Akteuren die Grenze krimineller Vermögensverletzung vor Augen geführt wird. Dadurch wird die Notwendigkeit berücksichtigt, im Wirtschaftsleben auch risikobehaftete Entscheidungen zu treffen.

Die Untersuchung soll schließlich zur rechtspolitischen Diskussion um die Leistungsfähigkeit des Strafrechts beitragen. Sie soll anhand des Wirtschafsstrafrechts helfen, die Diskussion zu systematisieren, Fehlentwicklungen zu enttarnen und Lösungswege aufzuzeigen. Letztendlich soll sie damit einen Beitrag zur Rekonturierung des teils konturlosen deutschen Wirtschaftsstrafrechts leisten.

Teil 1 Einleitung › C. Ziel der Arbeit und Gang der Untersuchung › II. Gang der Untersuchung

II. Gang der Untersuchung

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Den Rahmen der Untersuchung bilden die für das Verhältnis der Begriffe Vermögensnachteil und Vermögensschaden in Betracht kommenden Möglichkeiten. Nach einer ersten Analyse kommen vier mögliche Varianten in Betracht.

Den Ausgangspunkt bildet die herrschende Vorstellung eines Gleichlaufs der beiden Begriffe (Rn. 24 ff.). Diese wird im Rahmen der Untersuchung wegen ihrer scheinbaren Unumstößlichkeit und Absolutheit als „Dogma der Identität“ bezeichnet. Bei der Darstellung des status quo wird mit der Untersuchung des Begriffs des Vermögensschadens als Angelpunkt des „Dogmas der Identität“ begonnen (Rn. 25 ff.). Dabei wird in einem ersten Schritt die Grundlage einer Begriffsdefinition gelegt, der Vermögens- und Schadensbegriff erläutert sowie das Prinzip der Gesamtsaldierung eingeführt. In einem zweiten Schritt werden dann die Sonderformen der Schadensermittlung, individueller Schadenseinschlag und Zweckverfehlungslehre, kritisch gewürdigt und die Rechtsfigur der „schadensgleichen Vermögensgefährdung“ eingeführt, deren vielschichtige Interpretationsmöglichkeiten und Unwägbarkeiten anhand der relevanten Fallgruppen dargelegt. Es wird zu zeigen sein, dass sich dabei ein diffuses Bild unklarer dogmatischer Strukturen und unterschiedlichster Kriterien in den verschiedensten Fallgruppen ergibt. Gleichsam wird auch die der Rechtsfigur innewohnende Extensionsanfälligkeit aufgezeigt. Im Rahmen der nachfolgenden Untersuchung des Begriffs des Vermögensnachteils (Rn. 211 ff.) werden die Schwächen der gegenwärtigen Dogmatik durch die Darstellung der relevanten Fallgruppen ebenfalls deutlich.

Die zweite Möglichkeit des Verhältnisses ist eine Ausweitung des untreuerechtlichen Nachteilsbegriffs über die Grenzen des Vermögensschadens hinaus (Rn. 276 ff.). Diese Entwicklung ist v.a. in einigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Untreue durch Bildung von sog. schwarzen Kassen festzustellen, die einer ausführlichen Prüfung unterzogen werden. Einen besonderen Schwerpunkt soll dabei aufgrund seiner Bedeutung das Urteil zur Siemens-Korruptionsaffäre darstellen.

Der darauf folgende Abschnitt widmet sich der Möglichkeit einer Restriktion (Rn. 324 ff.). Dabei werden zwei Restriktionsansätze unterschieden, wobei der erste zur Aufrechterhaltung des „Dogmas der Identität“ führt, während der andere dieses aufgibt.

Als dritte Möglichkeit des Verhältnisses kommt zunächst eine beiderseitige Einschränkung der Begriffe auf einen klar fassbaren Begriffskern unter Beibehaltung des „Dogmas der Identität“ in Betracht. Im Mittelpunkt steht hier eine Untersuchung des Verfassungsrechts (Rn. 326 ff.). Dabei werden zunächst die relevanten verfassungsrechtlichen Prinzipien dargestellt und ihre jeweiligen Auswirkungen auf die Begriffe Vermögensnachteil und Vermögensschaden sowie die Anerkennung einer Tatvollendung durch Vermögensgefährdung untersucht. Unter der Federführung des Verfassungsrechts wird dann eine verdeutlichende Definition der Begriffe entwickelt. Im Anschluss wird deren Notwendigkeit auch aus wirtschaftspolitischer (Rn. 432 ff.) und strafrechtspolitischer Perspektive (Rn. 448 ff.) nachgewiesen.

Als vierte und letzte Möglichkeit des Verhältnisses kommt, ausgehend von der restriktiven Definition, abschließend noch ein engeres Verständnis des Begriffs des Vermögensnachteils in Betracht (Rn. 484 ff.).

Durch Auswertung der bezüglich der vier Möglichkeiten gewonnenen Erkenntnisse wird anschließend ein Gesamtergebnis zum Verhältnis der Begriffe Vermögensnachteil und Vermögensschaden formuliert, dieses Verhältnis sodann „neu“ interpretiert (Rn. 539 ff.), bevor im Anschluss die Auswirkungen dieser Neuinterpretation dargestellt werden (Rn. 543 ff.).

Dabei werden sowohl die eingangs erwähnten Veränderungstendenzen im Strafrecht, als auch die Vorteile der vorgenommenen Konturierung im Hinblick auf Wissenschaft und Praxis zusammenfassend erläutert. Letztlich wird auch die Frage nach der Existenzberechtigung der Figur der „schadensgleichen Vermögensgefährdung“ beantwortet. Im Rahmen dessen wird auch ein Blick auf die Betrugs- und Untreuekodifikationen anderer europäischer Staaten geworfen. Abschließend werden die Ergebnisse auf die im Rahmen der Untersuchung behandelten Fallgruppen angewendet sowie ein Ausblick auf die zu erwartende strafrechtliche Aufarbeitung der Weltwirtschaftskrise gewagt.

Teil 4 (Rn. 632 ff.) beinhaltet dann abschließend eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung.

Teil 2 Das Verhältnis der Begriffe Vermögensschaden und Vermögensnachteil – die 4 Möglichkeiten einer Verhältnisbildung

Inhaltsverzeichnis

A. Heutiges Verständnis – Das „Dogma der Identität“ von Vermögensschaden und Vermögensnachteil (1. Möglichkeit)

B. Ausweitung des Begriffs des Vermögensnachteils durch die neuere Rechtsprechung (2. Möglichkeit)

C. Erfordernis restriktiver Anwendung der Begriffe Vermögensschaden und Vermögensnachteil (3./4. Möglichkeit)

D. Gesamtergebnis: Neuinterpretation des Verhältnisses der Begriffe Vermögensschaden und Vermögensnachteil

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Vermögensschaden und Vermögensnachteil sind die jeweiligen tatbestandlichen Erfolge der wirtschaftsstrafrechtlichen Tatbestände Betrug (§ 263 StGB) und Untreue (§ 266 StGB). Einerseits muss der Täter das Vermögen eines anderen „beschädig[en]“, andererseits demjenigen, „dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufüg[en]“. Unklar ist, wie sich die beiden Begriffe zueinander verhalten, in welchem Verhältnis sie stehen. Dazu lassen sich zunächst drei Gestaltungsmöglichkeiten unterscheiden.

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Man könnte meinen, dass ausgehend von der rein sprachlichen Divergenz „Schaden“ auf der einen und „Nachteil“ auf der anderen Seite mit diesen nur etwas Unterschiedliches gemeint sein kann. So kann der Begriff des Nachteils entweder weiter oder enger als der des Schadens ausgelegt werden, wobei der Wortlaut wohl eher auf Ersteres hindeuten mag.[1] Trotz der begrifflichen Unterscheidung sind Rechtsprechung und Literatur aber seit jeher von einer Identität der beiden Begriffe ausgegangen.[2] Stimmt man dem zu, sind aber wiederum verschiedene Abstufungen der Begriffsinhalte möglich, da die Begriffe trotz ihrer Identität enger oder weiter interpretiert werden könnten. Letztlich kommt es aber auch dann, wenn man den Begriffen einen unterschiedlichen Inhalt beimisst, jeweils auf den Vergleichsmaßstab, den Inhalt des jeweiligen Konträrbegriffs an, so dass ausgehend davon unzählige Möglichkeiten des Verhältnisses der Begriffe existieren.

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Die vorliegende Untersuchung geht diesbezüglich von vier zentralen Möglichkeiten aus:

 

1. Möglichkeit: Identität der beiden Begriffe in ihrer Auslegung durch die ganz herrschende Meinung: „Dogma der Identität“ (Rn. 24 ff.)
2. Möglichkeit: Ausweitung des Nachteilsbegriffs über die herrschende Dogmatik zum Begriff des Vermögensschadens hinaus (Rn. 276 ff.)
3. Möglichkeit: Einschränkung beider Begriffe unter Aufrechterhaltung des „Dogmas der Identität“ (Rn. 325 ff.)
4. Möglichkeit: Restriktion allein des Nachteilsbegriffs über eine bereits beim Begriff des Vermögensschadens vorgenommene Einschränkung hinaus (Rn. 484 ff.)

Anmerkungen

[1]

So u.a. Satzger/Schluckebier/Widmaier/Saliger § 266, Rn. 53.

[2]

Vgl. zu Nachweisen zum „Dogma der Identität“ Rn. 24.

Teil 2 Das Verhältnis der Begriffe Vermögensschaden und Vermögensnachteil – die 4 Möglichkeiten einer Verhältnisbildung › A. Heutiges Verständnis – Das „Dogma der Identität“ von Vermögensschaden und Vermögensnachteil (1. Möglichkeit)

A. Heutiges Verständnis – Das „Dogma der Identität“ von Vermögensschaden und Vermögensnachteil (1. Möglichkeit)

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Nach ganz herrschender Meinung entspricht der Begriff des Vermögensnachteils dem des Vermögensschadens („Dogma der Identität“).[1] Die zum Betrugsdelikt entwickelte Schadensdogmatik wird dabei, fast unbesehen,[2] vollständig auf die Untreue übertragen. Daher bietet es sich an bei der Darstellung des status quo mit der Dognatik zum Vermögensschaden zu beginnen und daran anschließend deren Übertragung auf den Vermögensnachteil zu beleuchten.

Teil 2 Das Verhältnis der Begriffe Vermögensschaden und Vermögensnachteil – die 4 Möglichkeiten einer Verhältnisbildung › A. Heutiges Verständnis – Das „Dogma der Identität“ von Vermögensschaden und Vermögensnachteil (1. Möglichkeit) › I. Der Ausgangspunkt – Der Vermögensschaden beim Betrug (§ 263 StGB)

I. Der Ausgangspunkt – Der Vermögensschaden beim Betrug (§ 263 StGB)

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Ausgangspunkt des „Dogmas der Identität“ als status quo ist der Begriff des Vermögensschadens.[3]

1. Das Rechtsgut des Betruges

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Der Vermögensschaden stellt als tatbestandlicher Erfolg das zentrale Merkmal des Betrugstatbestandes dar.[4] Durch das Erfordernis seines Eintritts wird der Betrug zum Erfolgsdelikt.[5] Der Erfolg ist die Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts.[6]

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Formal bedeutet Rechtsgut zunächst einmal nichts anderes als „rechtlich geschütztes Gut.“[7] Gut bezeichnet einen Gegenstand, der für die Gestaltung des individuellen oder gesellschaftlichen Lebens nützlich ist, mithin eine gewisse Werthaftigkeit besitzt.[8] Rechtlichen Schutz gewährt den Gütern der Gesetzgeber, indem er eine bestimmte Handlung, welche die Güter beeinträchtigt, zur Straftat erhebt. In dieser Entscheidung ist der Gesetzgeber dahingehend beschränkt, dass er nur solche Güter zum Rechtsgut erheben kann, die für die Freiheit der Bürger bedeutend sind und die zu Gunsten des Bestandes der sich im Rahmen der Verfassung bewegenden Gesellschaft des Schutzes bedürfen.[9] Rechtsgüter sind folglich nur „solche Eigenschaften von Personen, Sachen oder Institutionen, die – wie z.B. Leib, Leben, Freiheit, Rechtspflege – der freien Entfaltung des Einzelnen in einer rechts- und sozialstaatlich verfassten demokratischen Gesellschaft dienen“[10]. Sie sind als für die Freiheit der Bürger notwendige soziale Gegebenheiten von der Staatsgewalt gewährleistete materielle Güter, die der Gesamtheit oder dem Einzelnen zustehen können.[11]

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Rechtsgut des Betruges ist nach allgemeiner Meinung das Vermögen.[12] Geschützt wird das Individualvermögen als Ganzes[13] in seinem konkreten Bestand.[14] Dessen Verletzung macht den Schaden zum Vermögensschaden. Dafür spricht zum einen der Wortlaut „Vermögen […] beschädigt“, zum anderen „die Genese der Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts.“[15] Allgemeininteressen[16], der Grundsatz von Treu und Glauben im vermögensrechtlichen Verkehr[17], ein Recht auf Wahrheit[18] oder die Dispositionsfreiheit als solche[19] scheiden daneben als Rechtsgüter aus.

2. Grundlagen der Schadensermittlung – Die Vermögens- und Schadenstheorien

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Zur Vollendung des Betruges muss das Vermögen als Rechtsgut beeinträchtigt werden. Ein Vermögensschaden muss eintreten. Um dessen Begriffsinhalt zu klären, gilt es festzustellen, wann Vermögen vorliegt und wann dieses geschädigt ist. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse bilden die Grundlage bei der Untersuchung der herrschenden Schadensdogmatik.

a) Der Begriff des Vermögens als Grundlage des Vermögensschädigungsdelikts Betrug

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Weitgehend Einigkeit besteht darüber, dass schon aus systematischen Erwägungen heraus ein einheitlicher strafrechtlicher Vermögensbegriff existieren muss.[20] Die Vermögensdelikte Betrug (§ 263 StGB), Untreue (§ 266 StGB) und Erpressung (§ 253 StGB) benennen allesamt das Vermögen als Rechtsgut und verlangen einen Vermögensschaden (Betrug) bzw. Nachteil (Untreue und Erpressung). Auch unter dem Aspekt der Einheit der Rechtsordnung ist einzig ein einheitlicher strafrechtlicher Vermögensbegriff überzeugend.[21]

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Uneinigkeit besteht aber darüber, wie der Vermögensbegriff inhaltlich ausgestaltet sein soll. In der Literatur existieren heute unzählige verschiedene Vermögensbegriffe, wobei die innerhalb der großen Grundströmungen vertretenen Theorien im Ergebnis nur selten voneinander abweichen.[22] Auch deshalb soll hier auf eine die feinen Nuancen berücksichtigende Analyse sämtlicher Theorien verzichtet und das Augenmerk vielmehr auf ein grundlegendes Verständnis der verschiedenen Argumentationslinien gelegt werden. Als Hauptströmungen lassen sich der rein juristische, der wirtschaftliche, der juristisch-ökonomische sowie der personale Vermögensbegriff unterscheiden.[23]

aa) Juristischer Vermögensbegriff

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Eine Extremposition stellt der heute in dieser Form nicht mehr vertretene[24] streng juristische Vermögensbegriff dar.[25] Seine Anhänger verstehen unter Vermögen die Summe aller Vermögensrechte und -pflichten einer Person ohne Rücksicht auf ihren wirtschaftlichen Wert. Das Vermögen wird durch den Bestand an Rechten begrenzt, wobei auch wirtschaftlich wertlose Positionen dem Vermögen hinzugerechnet werden. Wirtschaftlich wertvolle, aber rechtlich nicht verkörperte Vermögenswerte fallen dagegen aus dem Vermögensbegriff heraus. Das Wesen der Vermögensverbrechen wird folglich in der „Verletzung subjektiver […] Vermögensrechte“ gesehen.[26]

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Ziel dieser Ansicht war die Vermeidung von Widersprüchen zur Gesamtrechtsordnung. Nur zivilrechtlich geschützte Rechtspositionen sollten auch dem strafrechtlichen Schutz unterfallen können. Das Strafrecht bestimmte lediglich den Umfang des Vermögensschutzes, während die Zuordnung von Positionen zum Vermögen dem Privatrecht überlassen wurde.[27] Das Strafrecht war danach streng zivilrechtsakzessorisch als „Schutzrecht gegenüber dem bürgerlichen Recht“[28] konzipiert.[29]

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Die Kritik am streng juristischen Vermögensbegriff setzt an zwei Stellen an. Zum einen geht er zu weit, wenn das Eigentumsrecht auch an völlig wertlosen Gegenständen – unabhängig von der faktischen Möglichkeit einer Ausübung des Eigentumsrechts – oder auch nur im Hinblick auf Affektionsinteressen wie etwa den privaten Brief geschützt wird.[30] Zum anderen ist ein rein juristischer Vermögensbegriff auch zu eng, da dieser tatsächlich mit einem wirtschaftlichen Wert ausgestattete, aber nicht als subjektive Rechte verdichtete Positionen wie vermögenswerte Exspektanzen, den Besitz, den bestehenden Kundenstamm, Geschäftsgeheimnisse oder die Arbeitsleistung nicht erfasst.[31] Insgesamt läuft der juristische Vermögensbegriff damit an der Realität der heutigen Rechts- und Wirtschaftsordnung vorbei.[32]

bb) Wirtschaftlicher Vermögensbegriff

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Die entgegengesetzte Extremposition ist ein rein wirtschaftlicher Vermögensbegriff.[33] Dieser geht von einer betont wirtschaftlich-faktischen Betrachtungsweise aus. Die Zugehörigkeit einer Position zum Vermögen beurteilt sich allein anhand wirtschaftlicher Kriterien. Zum Vermögen gehören danach alle Positionen, denen im Geschäftsverkehr wirtschaftlicher Wert beigemessen werden kann. Das Vermögen wird zum wirtschaftlichen Gesamtpotential. Auf die rechtliche Fixierung der einzelnen Vermögenswerte kommt es nicht an. Daher können auch bloße Erwerbsaussichten, nichtige Ansprüche oder nicht einklagbare Forderungen sowie die üblicherweise nur gegen Geld erbrachte Arbeitsleistung Bestandteile von Vermögen sein. Vorausgesetzt ist allerdings ihre faktische Realisierbarkeit, d.h. ihr wirtschaftlicher Wert im Einzelfall.

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Ein Vorteil der rein wirtschaftlichen Betrachtung ist die Verhinderung eines strafrechtsfreien Raumes im Ganovenumfeld.[34] Zusätzlich trägt der Schutz jeder Vermögensposition unabhängig von ihrer rechtlichen Bewertung auch zur Realisierung von Rechtsfrieden bei.[35]

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Bedenken ruft allerdings die sehr weite Ausdehnung des Vermögensschutzes infolge der Emanzipation von rechtlichen Bewertungen hervor. Die daraus resultierende Unsicherheit wird durch die Problematik um die Definition des Wirtschaftlichen noch verstärkt, da mangels rechtlicher Fixierung einer solchen eine exakte Bestimmung nicht gewährleistet werden kann.[36] Dadurch droht die Gefahr einer Argumentation vom Ergebnis her.[37]

Hinzu kommt ein unüberbrückbarer Widerspruch zur Gesamtrechtsordnung. Es erscheint nicht nachvollziehbar, Vermögensgegenstände dem strafrechtlichen Schutz zu unterstellen, deren Existenzberechtigung durch die übrige Rechtsordnung in Frage gestellt wird.[38]

cc) Juristisch-ökonomischer Vermögensbegriff

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Vorherrschend ist in der Literatur heute ein juristisch-ökonomischer[39] Vermögensbegriff.[40] Dieser versucht die Vorteile der vorgenannten Theorien zu kombinieren und die Nachteile zu eliminieren.

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Der juristisch-ökonomische Vermögensbegriff basiert auf einer wirtschaftlichen Grundlage. Daher scheiden subjektive Rechte ohne jeden Vermögenswert von vornherein als Vermögenspositionen aus. Erfasst werden dagegen vermögenswerte Exspektanzen, die üblicherweise nur gegen Geld erbrachte Arbeitsleistung sowie außervertragliche Positionen.

Dieser wirtschaftliche Ausgangspunkt wird vor dem Hintergrund der Gesamtrechtsordnung juristischen Korrekturen unterzogen. Wertungswidersprüche innerhalb der Gesamtrechtsordnung werden dadurch vermieden.[41] Vermögen ist danach die Gesamtheit aller geldwerten Güter einer natürlichen oder juristischen Person, abzüglich der Verbindlichkeiten, soweit diese unter dem Schutz der Rechtsordnung stehen,[42] von dieser gebilligt werden[43] oder sofern sie ohne deren eindeutige Missbilligung realisiert werden können[44].

 

40

Kritik an der juristisch-ökonomischen Lehre übt insbesondere Hefendehl. Dieser rügt, dass die Einschränkungen durch die juristische Korrektur nicht hinreichend konkretisiert würden und dadurch Spielräume für kriminalpolitisch motivierte Einzelfallentscheidungen entstünden.[45] Dem ist aber gerade vor dem Hintergrund der §§ 134, 138 BGB zu widersprechen, an denen sich alle Positionen messen lassen müssen, so dass eine gleichmäßige Handhabung gewährleistet werden kann.