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Die Äbtissin von Castro

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ZWEI ROMAN-ENTWÜRFE
ÜBERTRAGEN VON FRANZ BLEI

I.
AN-IMAGINATION

Der leidenschaftliche Mensch, der junge Jean-Jacques haftet sich an die Weisungen seiner Einbildungskraft, Robert tut nur, was er unmittelbar wahrnimmt. Der Verfasser dachte öfters daran, einen jungen Menschen zu gestalten, der aus der Welt einer bestimmten Epoche, z.B. der Welt von 1811, zu Glück und Ruhm aufsteigt, 1811: Cambacèrés, der Staatsrat, der Kaiserliche Hof in den Tuilerien etc.

Der Verfasser wollte vor zehn Jahren einen zärtlichen und anständigen jungen Mann gestalten, und er machte ihn ehrgeizig, aber doch voller Imaginationen und Illusion: Julien Sorel.

Er möchte nun diesen Robert völlig frei von jeder Imagination gestalten außer dieser einen, die dazu dient, alle die nötigen Schliche zu erfinden, um zu Reichtum zu gelangen; aber Robert gibt sich keineswegs dem müßigen Vergnügen hin, sich den Reichtum und dessen Genüsse vorzustellen. Erfahrung hat ihm schon beigebracht, daß sich derlei müßige Träumereien niemals realisieren. Alors comme alors ist sein Wahlspruch.

Küßt er die schönste Frau, so sieht er nur, was auch der ausgedörrteste Jockey nicht zu leugnen wüßte, nämlich Schönheit und Wert ihrer Ohrgehänge. Indem Robert seiner Einbildung nicht das geringste Vergnügen verdankt, schenkt er der Bequemlichkeit seines Fauteuil größte Aufmerksamkeit, der Qualität seines Diners, dem Komfortablen seiner Wohnung etc. etc.

Robert ist, was das Herz anlangt, mit vierzehn Jahren ein vollendeter kleiner Lump. Er stiehlt Bonbons aus den Auslagen der kleinen Händler, gemeinsam mit seinem sechzehnjährigen Kameraden Carière. Dieser Carière hat keinerlei freundschaftliche Gefühle für Robert, erhofft sich aber von dessen Geschicklichkeit Annehmlichkeiten. Der Verfasser erzählt von Carière, dem Bastard einer diebischen Kammerfrau. Carière ist anständig nur eigentlich aus Mangel an Geist; man glaubt, er verspreche was für die Zukunft. Dadurch ist er Robert von Nutzen; Carière zieht sich aus allen Einzelheiten geschickt heraus, hat in der Hauptsache das gleiche Verdienst wie Robert: sein Auge ist nie vom Hauch des Imaginären getrübt.

Er erkennt, was in seinem Interesse liegt, aber er steckt voll kleinem Stolz. Diese Schwäche liefert das Komische der Figur. Auch Robert ist nicht ohne diese selbstgefällige Eitelkeit, aber er verneint sie. Carière liefert das Komische.

Bertrand, höchst simplen Wesens, führt Roberts Befehle aus, ohne sie zu verstehen.

Damit der Robert Effekt mache, muß man ihn handeln sehen.

Daher darf sein Reichtum noch keine Tatsache sein. Man muß ihn sehen, wie er sich diesen Reichtum schafft.

II.
EINE SOZIALE POSITION

September 1832 – Juli 1833.

Ich vermache dieses Manuskript dem Maler Herrn Ab. Constantin, meinem Nachbarn, mit der Bitte, es nicht vor 1880 zu zeigen. Rome, 4. Oktober 1882. H. Beyle. – Es muß hierin mehr Wohlklang als in Le Rouge sein, damit es leichter ins Ohr gehe.

Plan. – Die Herzogin will de Roizard nur als Tröster.

Sie fürchtet nur dieses eine: daß er sie verliebt anblicke.

Später sagt sich Roizard: sie will ganz einfach geliebt sein, und parbleu, ich werde sie nicht lieben.

Sein Erstaunen, als er entdeckt, daß sie Liebe gar nicht will.

Bin ich denn zu alt? fragt er sich. Und da verliebt er sich.

Zunächst Beschreibung der Charaktere; die Charaktere gehen aus den Umständen hervor.

Die Charaktere sehr sauber festhalten: die Ereignisse bloß en masse, die Details nur in dem Maße zulassen, als sie sich einstellen (12. Dezember 1882).

Grund: man denkt nur im Augenblicke des Schreibens selber wirklich und ernsthaft an die Details. Ohne mir das vorher zu sagen, habe ich so in Le Rouge gehandelt. Das Detail strömte mir im Schreiben erst zu.

Statt das Buch mit dem Stumpfsinn der Beschreibung nach der Methode Walter Scotts zu beginnen, könnte man anfangen mit der Charakteranalyse der Herzogin, wie ich diese mir aufschrieb im September 1882. Ich fand am 12. Dezember diese zwei Seiten vortrefflich, und hatte sie während der Bataillen von Vidau völlig vergessen.

Nach diesen beiden Seiten die Beschreibung der Rue de Palais, und die Soiree oder den Empfang bei der Herzogin.

Die Herzogin. Madame la Duchesse de Vaussay, über dreißig alt, eine Leidenschaftliche. Fortgerissen von einem Feuertemperament ergab sie sich allen Freuden und Genüssen, hatte aber doch immer die höchste Idee von der Pflicht, nicht eine vernünftige Idee, sondern eine ganz abergläubische, deren Fond sie niemals untersuchte und deren sie sich aus ihrer Leichtigkeit, gerührt zu werden, bemächtigt hatte.

Sie hat, wie man sagt, einige Liebhaber gehabt, und ist das ohne weiteres zu glauben; ihre Seele war Leben und Bewegung; immer war sie von den geschickten Manövern eines Mannes fortgerissen, der Frauen zu haben gewohnt war, oder sie erlag mit blinder Leidenschaft einem wirklich von ihr eingenommenen Manne. Niemals liebte sie als die erste, niemals wollte sie sich hingeben, sondern voller Gewissensqualen über ihren Fall, dem sie ruhigen Blutes nicht ins Gesicht schauen konnte, glaubte sie ihn auslöschen zu können, indem sie dieses Gewissen durch eine völlige Unterwerfung unter den Mann beschwor, der gerade ihr Herr war. In ihrem guten Glauben hielt sie sich noch durch eine befehlende Pflicht gebunden, wenn ihr Verstand ihr schon deutlich sagte, daß der Mann, dem sie ihr Herz bewahrte, längst eine andere anführte.

Roizard. For me. In einem Wort ist Roizard der idealisierte Dominique. Ersichtlich höchst wechselvollen veränderlichen Charakters; ein Wort bringt ihn das eine Mal zu Tränen, das andere Mal macht es ihn ironisch, hart, aus Angst, davon weich zu werden und sich hinterher dieser Schwäche wegen zu verachten. Er war von mittlerer Größe und zählte über vierzig Jahre. Seine Züge waren groß, nicht schön, aber höchst beweglich. Seine Augen drückten die geringste Nuance seiner Gefühle aus. Und darüber war sein Stolz verzweifelt. Da er dieses Malheur fürchtete, war er brillant, witzig, voller amüsanter Geschichten, elektrisierte seine Zuhörer und machte das Gähnen im Salon unmöglich. In solchen Augenblicken erregte er Abneigungen wie heftigste Bewunderung seiner Person. Man kann nicht geistvoller sein, sagten seine Bewunderer. Aber die Mittelmäßigen erschreckte die Lebhaftigkeit seines Imprevu. Ohne Emotion war er ohne Geist. Im übrigen war sein Erinnerungsvermögen schwach, oder er mißachtete, es zu Hilfe zu rufen. Dann war sein Wort so diskret wie indiskret der Ausdruck seiner Physiognomie. Daß man erriete, was er fühlte, hätte seinen Stolz zur Verzweiflung gebracht. Das Pompöse – la sostenutezza – im Ausdruck eines Gefühles, Affektation im Ausdruck eines Schmerzes waren ihm fremd und zuwider, so legitim solcher Ausdruck auch sein mochte; in solchen Fällen war Roizard Ironie in Blick und Wort. Seriöses, Pompöses, Trauriges waren nie in seiner Konversation, und nie sprach er von dem einzigen, das ein Recht auf sein Interesse hatte; ein echtes Gefühl oder Heroismus, die sich für das Vaterland opferten.

Wie weit darf der familiäre Ton des Verfassers dieses Romans gehen? Die außerordentliche Familiarität Walter Scotts und Fieldings bereitet sehr gut die Momente des Enthusiasmus vor. Ist der Ton in Le Rouge nicht zu römisch? 4. Oktober 1832.

ANMERKUNG DES HERAUSGEBERS

In diesem Bande sind die novellistischen Arbeiten Stendhals gesammelt, deren Abfassungszeit nach Le Rouge et le Noir fällt, also in die Zeit von 1830 bis zum Tode des Schriftstellers. Zwei Romanentwürfe, der eine aus dem Jahre 1882, der andere etwa aus dem Jahre 1840, finden in diesem Bande ihren Platz. In der folgenden Bibliographie sind bloß die ersten Drucke angegeben; von einer Aufzählung der oft sehr zahlreichen nachfolgenden Drucke ist abgesehen.

Les Cenci (1599): erster Druck in der Revue des Deux Mondes, 1. juillet 1837, pag. 5-32. Auf eine 1825 in Paris erschienene Broschüre von 87 Seiten: Histoire de la famille Cinci. Ouvrage traduit sur l'original italien trouve dans la Bibliothèque du Vatican, par M. l'Abbé Angelo Maio, son conservateur, hat G. Hanotaux aufmerksam gemacht und hinter dem Verfasser „Angelo Maio“ Stendhal vermutet. Auch eine Relation de la mort de Giacomo et Beatrix Cenci, französisch und italienisch 1828 in den Mélanges der Société des Bibliophiles français veröffentlicht und in der kurzen Vorrede mit ‚Malartic‘ unterzeichnet, dürfte Stendhal zum Verfasser haben. Vgl. G. Vicaire in Manuel de l'Amateur de Livres du XIX. siècle, I, 1894, col. 464-465, und: Gli originali delle Chroniques italiennes, con postille autografe inedite: Les Cenci, a cura del dott. Giov. Barburo. Casale, 1912, pag. 27.

Die Fürstin von Campobasso, unter dem Titel: San Francesco a Ripa, zuerst gedruckt in der Revue des Deux Mondes. Juli 1853, pag. 166-179.

La Duchesse de Palliano. Zuerst gedruckt in der Revue des Deux Mondes. August 1838, pag. 535-554.

Vittoria Accoramboni. Zuerst gedruckt in der Revue des Deux Mondes. März 1837, pag. 560-584.

L'Abbesse de Castro. Geschrieben um 1838 und zuerst gedruckt in der Revue des Deux Mondes, Februar 1839, pag. 273-328 und März 1839, pag. 628-653. Die erste Buchausgabe: L'Abbesse de Castro par M. de Stendhal, Auteur de Rouge et Noir, de La Chartreuse de Parme etc. Paris, Dumont, éditeur, Palais-Royal, 88, au Salon litteraire, 1839, in 8°, SS. 329. Der Band enthält außerdem Vittoria Accoramboni, Les Cenci. Von der Äbtissin von Castro, meist vereinigt mit andern Novellen aus dem italienischen Kreise, sind erschienen: fünfzehn französische, drei deutsche Ausgaben, je eine spanische, italienische, schwedische, flämische, tschechische, russische und polnische Ausgabe.

Ein Aufsatz Stendhals über etruskische Gräberfunde Les Tombeaux de Corneto, den man in den französischen Ausgaben meist den Novellen beifügt, findet in unserer Ausgabe seinen richtigen Platz in den Essais.

 

Suora Scolastica, deren Vorrede vom 21. März 1842 datiert ist – Stendhal erlitt andern Tags einen Schlaganfall und starb am 23. März des Jahres – ist 1837 begonnen, wie sich aus einem Briefe vom 16. März 1837 an die Comtesse de Tracy ergibt, und unvollendet geblieben. Das Fragment wurde zuerst von C. Stryienski in La Chronique de Paris Nr. IV, 25. Februar 1893, pag. 195-200, veröffentlicht, die Vorrede in der Revue rétrospective, XVIII, 1. Mai 1898, pag. 289-293. Beides dann in den Soirées du Stendhal Club, Paris 1904, pag. 127-141.

Trop de faveur nuit wurde um 1838 geschrieben und aus der Handschrift zum erstenmal veröffentlicht von F. von Oppeln-Bronikowski in La Revue de Paris, 15. Dezember 1912, pag. 678-696, und 1. Januar 1918, pag. 5-26. Dem Manuskript Stendhals gehen folgende Zeilen von seiner Hand voraus: „‚Zu viel Gunst schadet‘ (aufgegeben am 15. April 1889). Personen: der Fürst, Großherzog und Kardinal; der Graf Buondelmonte; die Äbtissin Virgilia; Felizia, Geliebte Roderigos; Rodelinde, Geliebte Lancelottos, Freundin Felizias; Fabiana, 17 Jahre alt, munter, unbesonnen, Geliebte von X**; Celiana, düstre Geliebte von X**, Freundin Fabianas; Martona, Vertraute der Äbtissin Virgilia; Roderigo L., Geliebter Rodelindens; Lorenzo R., Geliebter Fabianas; sie liebt ihn über alles und hat seinetwegen Don Cesare, Malteserritter, aufgegeben; Pierantonio D., Geliebter Celianas, die nur eine sinnliche Liebe zu ihm fühlt; Livia, adelige Kammerzofe Rodelindens. Trop de faveur nuit, Historie aus dem Jahre 1589. Dies der Titel, den ein spanischer Dichter dieser Geschichte gab, aus der er eine Tragödie machte. Ich werde mich wohl hüten, irgendeine der Ausschmückungen zu gebrauchen, mit deren Hilfe die Phantasie dieses Spaniers versucht hat, diese traurige Schilderung klösterlichen Lebens zu verschönern. Gewiß steigern einige dieser Zutaten das Interesse, aber ich bleibe bei meiner Absicht, die elementaren passionierten Menschen jener Zeit zu zeigen, von denen unsere Zivilisation stammt; darum gebe ich diese Erzählung ganz schmucklos.“ Stendhal hat seine Erzählung aus einer Chronik entnommen, wonach sich der Vorfall im Kloster von Bajano bei Neapel zutrug. Der Schluß der Erzählung ist nach Stendhals Aufzeichnungen gegeben.

Le Chevalier de Saint-Ismier. Erstmals nach der Handschrift veröffentlicht von F. von Oppeln-Bronikowski in der Revue Bleue, 7. Dezember 1912, pag. 709-714, und 14. Dezember 1912, pag. 737-740.

Zwei Roman-Entwürfe. Erstmals von C. Stryienski veröffentlicht in den Soirées du Stendhal Club, Paris 1904, pag. 95-100. Der erste Plan – A-Imagination, das A ist alpha privativum – ist gegen 1840 aufgeschrieben, wie sich aus der Julien Sorel erwähnenden Textstelle ergibt. Den zweiten Entwurf hat Stendhal selber datiert. Der in dem Legat angegebene Abraham Constantin war ein Miniaturenmaler auf Porzellan und Kopist alter Meister, dessen Hauptwerke sich im Museum von Turin befinden. Die Duchesse de Vaussey dürfte in Menta ihr Urbild haben. Vgl. Vie de Henri Brulard und einen Brief Mentas in Comment a vécu Stendhal, 1900. Roizard ist Selbstporträt; R. Colomb benützt es in seiner Notice.

Aus italienischen Chroniken. Im Jahre 1833 erstand Stendhal zwölf – nach Oppeln-Bronikowski, Einleitung zu Chroniken 1908, dreizehn – handgeschriebene Foliobände mit zeitgenössischen Berichten aus dem Italien des Seicento, vornehmlich des römischen. Was er damit für Absichten hatte und wie er durch ihre Verwendung der Originator des Renaissancismus wurde, geht aus Briefen an den Freund R. Colomb und den Verleger Calman Levy und aus Tagebuchaufzeichnungen hervor: sie sollten ihm das stoffliche Material zu einer Reihe von Erzählungen liefern, denen er den gemeinsamen Titel „Les Bois de Premol“ geben wollte und die sechs Bände umfassen sollten. „Ich habe alles nichts als Historische beiseite gelassen und nur das gesucht, was das menschliche Herz schildert“ und unterm 27. April 1882 an Colomb aus Palermo: „was geht uns heute ein Interdikt gegen Venedig an oder die Geschichte der zahllosen Verträge zwischen Rom und Neapel? Aber es interessiert uns, wie man sich in jener Zeit an einem Nebenbuhler rächte oder eine Frau eroberte. Ich las das Manuskript dieser alten Berichte wie einen Roman.“

Und: „Die Eitelkeit und die öffentliche Meinung waren kaum im Entstehen, und vom Fürsten verliehene Ehren nahm man mitnichten ernst… Manche glauben ja gar, jene Kultur wäre der unsern, auf die wir so stolz sind, gleichwertig. Aber wir haben da ein Plus von zwei hübschen Dingen: die Wohlanständigkeit und die Heuchelei. Unsere heutige Prüderie hat nicht die leiseste Vorstellung von jener Kultur… Aber dafür wären auch alle unsere mumienhaften Tugenden den Zeitgenossen Ariostos und Raffaels höchst lächerlich vorgekommen. Denn man schätzte damals am Manne nur, was er als Person, als er selber war, und es war keine Eigenschaft der Person, so zu sein wie jedermann: die Dummköpfe und Einfaltspinsel hatten da kein Terrain.“ Und: „Das Leben ohne die Dinge, die es glücklich machen, wurde nicht hoch eingeschätzt. Ehe man den beklagte, der es verlor, rechnete man die Summe von Glück aus, die er genossen, und in dieser Rechnung nahmen die Frauen einen weit größeren Raum ein als heutzutage.“ Und: „Diese Sitten haben einen Raffael und Michel Angelo hervorgebracht, die man heute höchst lächerlich durch Kunstakademien hervorbringen will. Man vergißt, daß es einer kühnen Seele bedarf, um den Pinsel recht zu führen, und erzielt nichts als arme Teufel, die einem Bureauchef den Hof machen müssen, damit er bei ihnen ein Bild bestelle.“

Einiges aus diesen Handschriften hat Stendhal in die Formen seiner Novellen gebracht; fast wörtlich folgt er seinen Quellen in der Vittoria Accoramboni und den Cenci. Anderes wird Episode, ja dient als Fabel, wie in der Chartreuse de Parme. An der Ausführung seines Planes der weiteren Bände wurde Stendhal durch den Tod verhindert; der Vertrag über neue Chroniques italiennes mit der Revue des Deux Mondes war bereits abgeschlossen und 1500 Franken an Stendhal als Vorzahlung geschickt worden.

Stendhals Schwester Pauline Périer-Lagrange verkaufte durch Mérimées Vermittlung die Manuskriptbände der Quellen an die Bibliothèque nationale: es sind die Codices Italiani 169-179 und 296-297 der Handschriftenabteilung. Zum ersten Male haben gleichzeitig Oppeln-Bronikowski a.a.O. und C. Stryienski im zweiten Bande der Soirées du Stendhal Club, Paris 1908, pag. 214-267, daraus einiges publiziert, der Deutsche sechzehn, der Franzose zwölf gekürzte Stücke. Oppeln-Bronikowski hat außerdem eine genaue Beschreibung der Codices gegeben, die ungeführ fünfzig Geschichten enthalten. Ein kleiner Teil dieser Geschichten ist von Stendhal durchkorrigiert – „ich mache Bleistiftkorrekturen, um nicht beim dritten Lesen die Geduld zu verlieren“, wie er in einer Vorrede schreibt. Unserer Übersetzung dienten als Vorlage: Abschriften nach den Originalen in Paris, Stryienskis Text und für Ariberti und Farnese Stendhals Correspondance. Die ausgewählten Beispiele wären leicht zu vermehren gewesen, doch schien dies überflüssig. Das begrifflich und dokumentarisch Neue von 1830 ist durch Burckhardt und Nietzsche und ihnen nachfolgend durch zahlreiche Veröffentlichungen der Dokumente so vertraut geworden, daß ein ausführlicherer Abdruck Stendhalscher Exzerpte obsolet wäre. Aus einem der drei oder vier literar-kritischen Werke von Rang, die in den letzten zwanzig Jahren in Deutschland veröffentlicht wurden, aus F.F. Braungartens ‚Das Werk Conrad Ferdinand Meyers, Renaissance-Empfinden und Stilkunst‘, G. Müller, München 1920, seien hier einige Sätze zitiert: „Bei Stendhal ist die Renaissancebegeisterung wesentlich revolutionäre Weltanschauung: Stendhals Renaissancehelden sind die Abenteurer, die Briganti und Condottieri. Cesar Borgia, ‚le représentant de son siècle‘ heißt es bei Stendhal… Er stellt die Renaissance als Ziel des natürlichen und freien Menschen in Gegensatz zu der Knechtschaft und Verlogenheit des ancien régime. Er verherrlicht die Leidenschaft und Aufrichtigkeit der Renaissance als lichte Gegenbilder der Eitelkeit und der Galanterie und des verlogenen Ehrbegriffs des ancien régime, die den Mann im Herrendienst und Frauendienst zum Sklaven macht. Auf diesen von Stendhal festgelegten Grundzügen baut sich das Renaissanceempfinden auf. Auch das erschöpfendste Renaissancebild: die Darstellung Burckhardts hat hier ihre Aufgabe. Stendhal, der immer nur an das XVI. Jahrhundert denkt und von dessen civilisation renaissante spricht, kennt übrigens das Wort Renaissance noch nicht. Stendhal hat die Renaissance als Folie des ancien régime, d.h. des Barocks, geschaut… Das Renaissancebild des Romanciers Stendhal war rein psychologisch. Er hatte bereits 1817 der Renaissancebewunderung das Losungswort gegeben: „le seul siècle, qui ait eu à la fois de l'esprit et de l'énergie“.

Stendhal hat einigen seiner Auszüge Bemerkungen vorangestellt; sie sind folgend wiedergegeben:

Zu Kardinal Aldobrandini: „Das wirkliche Herz der italienischen Kurtisane; die Sitten waren zu wild, als daß sie den Kurtisanen eine leichtherzige Güte erlaubt hätten. Mit dieser Geschichte die Sammlung anfangen. Hierauf chronologische Folge. In der Biographie Michaud den Artikel Aldobrandini zu lesen, um über die Lügereien zu lachen. Alles das ist vor der Kopie von mir in den Originalmanuskripten gelesen worden. Augenschmerzen wegen des Staubes.“

Girolamo Biancinfiore: „Art Don Juan oder giftmischender Casanova. Wildes Geschwätz, sehr abzukürzen, macht den Eindruck, als ob es für Kinder erzählt wäre. 24. April 1833.“

Die Brüder Massimi: „Aus Höflichkeit, aus mondäner Klugheit diese Geschichte nach Neapel verlegen. Anfangen mit der Geschichte der Stiefmutter, umgebracht von den vier Brüdern.“

George Picknon: „Unter Ganganelli kam ein Engländer, wie ich glaube, nach Rom, um den Papst zu bekehren. Ganganelli ließ ihm einiges Geld für die Heimreise geben. Ich hätte den Mann zu meinem Amüsement kommen lassen, aber wahrscheinlich hatte der arme Ganganelli, mit den Jesuiten beschäftigt, keine Zeit, sich zu amüsieren.“

Die Farnese: „Bericht voll naiver Wahrheit im römischen Patois. Rom 1834. To make of this sketch a Romanzotto, 16. August 38. Courier hat ganz Recht. Durch eine oder mehrere Huren haben die meisten großen Familien ihr Glück gemacht. Das ist nun ja in New York nicht möglich, da gähnt man sich aber auch die Kinnbacken aus. Alessandros idealisierte Porträtbüste von della Porta in Sankt Peter auf seinem Grabmal. Das wahrhafte Porträt Alessandros, der Paul III. wurde, zeigen im höchsten Alter zwei Büsten im Palazzo Farnese, eine davon dem Michel Angelo zugeschrieben. Spaßiger aber seiner würdiger Schmuck auf dem Ornat des Papstes.“

Im ersten Bande von Stendhals Novellen ‚Eine Geldheirat‘ sind folgende Versehen zu korrigieren. S. 371, letzte Zeile, haben die Neuausgaben von Contes bruns zu heißen: Phil. Chasles und Ch. Rabou. Auf S. 372: Le Mari d'argent ist zuerst gedruckt in den Nouvelles Inédites 1855. Die genannte Ausgabe ist der 1902 erschienene Neudruck von den alten Platten. S. 369, Zeile fünf von oben muß es heißen Nouvelles Inédites. Arthur Schurig macht mich auf eine erotische Geschichte aufmerksam, die unediert in Grenoble liegt, die erste schriftstellerische Arbeit des jungen Beyle. Es ist zur Zeit davon keine Abschrift zu erhalten gewesen. Die Heldin der Novelle ‚Mina von W.‘ heißt in Stendhals Handschrift richtig Wrangel. Da die Arbeit unter dem Namen Wangel bekannt wurde, schien es besser, dabei zu bleiben. Zumal auch ein umfangreicher, noch nicht veröffentlichter Roman den Titel ‚Mme de Wrangel‘ trägt und dieser dann zur Unterscheidung von der wesentlich verschiedenen Novelle den richtigen Namen in unserer Ausgabe behalten wird.

Franz Blei