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Die Äbtissin von Castro

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„Zieh dich in deine Gemächer zurück“, sagte ihr Celia. „Denk vor allem daran, die Blutspuren, die sich vielleicht an deinen Kleidern finden können, verschwinden zu lassen. In einer Stunde werde ich mit dir weinen.“

Felizia war in Verzweiflung. Obgleich dieses Jahrhundert zu nahe den wahren Gefahren lebte, als daß es sich durch eine übermäßige Zartheit hätte auszeichnen können, vermochte sie sich doch nicht zu verhehlen, daß sie es war, die diese ganze Geschichte angezettelt hatte. Auf dem Dache der Orangerie konnte sie nur schlecht verstehen, was Pierantonio sagte, überdies sah sie, daß die Türe ganz offen stand: sie litt Todesangst, daß Roderigos Unvorsichtigkeit und die unbestimmte Hoffnung auf ein Stelldichein ihn dazu verführen könnten, sich zu zeigen; denn seit er nicht mehr geliebt wurde, war er, trotz all seiner natürlichen Leichtfertigkeit, ein leidenschaftlicher Liebhaber geworden.

Die vor Grauen erstarrte Äbtissin war unbeweglich geblieben und widersetzte sich auch den Bitten Felizias, welche sie beschwor, in den Garten hinabzusteigen; aber endlich umschlang Felizia, die durch ihre Gewissensvorwürfe der Tollheit nahe war, mit beiden Armen die Äbtissin, und zwang sie fast mit Gewalt, die sieben oder acht Stufen hinabzusteigen, die von der Dachterrasse der Orangerie in den Garten führten. Felizia beeilte sich, die Äbtissin der Sorge der erstbesten Nonnen, die sie trafen, zu übergeben. Sie eilte zum Tor, zitternd vor Furcht, dort Roderigo zu treffen1; sie fand nichts, als das blöde Gesicht der endlich durch so viel Lärm aus tiefer Betrunkenheit erwachten Schildwache, welche, die Flinte in der Hand, diese schwarzen Figuren betrachtete, die sich im Garten bewegten. Felizias Absicht war, die Türe zu schließen, aber sie bemerkte, daß der Soldat sie starr anblickte.

‚Wenn ich das Tor schließe,‘ sagte sie sich, beschwert von ihren Gedanken und fast verletzt davon, daß sie sonst niemand sah, ‚wird er sich an mein Gesicht erinnern und wird mich kompromittieren können.‘

Dieser Gedanke gab ihr Klarheit. Sie glitt in einen dunklen Teil des Gartens zurück, und suchte von dort aus zu sehen, wo Rodelinde war; endlich entdeckte sie sie bleich und halbtot an einen Olivenbaum gelehnt, packte sie an der Hand und alle beide liefen in aller Hast in ihre Gemächer zurück.

Celia trug mit Hilfe Martonas zuerst den Leichnam ihres Geliebten und dann den Pierantonios in die Straße der Goldarbeiter, die zehn Minuten Wegs von dem Tor des Gartens entfernt lag. Celia und ihre Gefährtin waren so glücklich, von niemand erkannt zu werden. Durch eine ganz besondere Fügung, ohne die all ihre weise Umsicht vergebens gewesen wäre, hatte sich der Soldat, der Wachposten vor dem Gartentor war, auf einen etwas entfernten Stein gesetzt und schien von neuem zu schlafen. Davon hatte sich Celia zuerst vergewissert, ehe sie es unternahm, die Leichen hinauszuschaffen. Bei der Rückkehr von dem zweiten Gang erschraken aber Celia und ihre Begleiterin heftig. Die Nacht war schon etwas weniger finster geworden, es mochte zwei Uhr des Morgens sein; sie sahen ganz deutlich drei Soldaten vor der Türe des Gartens stehen, und, was noch weit schlimmer war: diese Tür schien geschlossen zu sein.

„Das ist die erste Dummheit unsrer Äbtissin“, sagte Celia zu Martona. „Sie wird sich erinnert haben, daß die Regel des heiligen Benedikt will, daß die Türe des Gartens verschlossen sei. Wir werden zu unsren Eltern flüchten müssen, und bei der Strenge dieses düstren Fürsten, den wir haben, ist es wohl möglich, daß ich bei dieser Sache das Leben lasse. Du, Martona, bist in nichts schuldig; du hast auf meinen Befehl geholfen, die Leichen fortzubringen, deren Anwesenheit im Garten das Kloster entehren konnte. Knien wir hinter diesen Steinen nieder.“

Zwei Soldaten kamen an ihnen vorbei und gingen von dem Gartentor in ihre Wachstube zurück. Celia bemerkte zu ihrer Freude, daß sie fast vollständig betrunken waren. Sie unterhielten sich, aber der, welcher auf Wache gewesen war, man konnte ihn an seiner hohen Gestalt leicht erkennen, erzählte seinem Kameraden gar nichts von den Ereignissen dieser Nacht; und tatsächlich sagte er im Prozeß, welcher später geführt wurde, nur aus, daß prächtig gekleidete Bewaffnete sich wenige Schritte von ihm entfernt geschlagen hatten. In der tiefen Dunkelheit hätte er sieben oder acht Mann unterscheiden können; aber er hätte sich wohl gehütet, sich in ihren Streit zu mischen; darauf wären sie alle in den Garten des Klosters eingetreten.

Als die beiden Soldaten vorüber waren, näherten sich Celia und ihre Gefährtin der Türe des Gartens und fanden sie zu ihrer großen Freude nur angelehnt. Diese weise Vorsicht war das Werk Felizias. Als sie die Äbtissin verlassen hatte, um nicht von Celia und Fabiana erkannt zu werden, war sie zu der Gartentür gelaufen, die ganz offen stand2. Sie hatte tödliche Angst, daß Roderigo, der ihr in diesem Augenblick Abscheu einflößte, die Gelegenheit ausnützen und in den Garten eintreten könnte, um sie zu sehen. Da sie seine Unvorsichtigkeit und Verwegenheit kannte und befürchtete, daß er sie bloßstellen möchte, um sich wegen des Nachlassens ihrer Gefühle, das ihm nicht unbekannt war, zu rächen, hatte sich Felizia bei der Tür am Boden hinter den Bäumen verborgen. Sie hatte alles gehört, was Celia zu der Äbtissin und nachher zu Martona gesagt hatte, und sie war es, welche die Türe des Gartens zugelehnt hatte, als sie wenige Augenblicke, nachdem Celia und Martona den zweiten Leichnam fortgebracht hatten, die Soldaten kommen hörte, die den Wachposten ablösten.

Felizia sah, wie Celia die Türe mit ihrem Nachschlüssel wieder schloß und sich darauf entfernte. Dann erst verließ sie den Garten. „Also das ist diese Rache,“ sagte sie sich, „von der ich mir soviel Vergnügen versprochen hatte.“ Sie verbrachte den Rest der Nacht mit Rodelinde und versuchten die Ereignisse zu enträtseln, die eine so tragische Wendung herbeigeführt haben mochten.

Zum Glück kehrte ihre Kammerfrau schon ganz früh am nächsten Morgen zurück und brachte ihr einen langen Brief Roderigos. Er und Lancelotto hatten sich aus Bravour nicht von bezahlten Mördern helfen lassen wollen, wie es damals in Florenz allgemein üblich war.

Nur sie beide hatten Lorenzo und Pierantonio angegriffen. Der Zweikampf hatte sehr lange gedauert, weil Roderigo und Lancelotto, dem erhaltenen Befehl getreu, sich standhaft zurückgehalten hatten, um ihren Gegnern nur leichte Wunden zuzufügen, und sie hatten ihnen wirklich nur Degenstöße gegen die Arme beigebracht und waren vollkommen sicher, daß sie an diesen Wunden nicht sterben konnten. Aber als sie sich gerade zurückziehen wollten, hatten sie zu ihrem großen Erstaunen einen wütenden Raufbold sich auf Pierantonio stürzen gesehen. An den Schreien, die er beim Angriff ausstieß, hatten sie deutlich den Malteserritter Don Cesare erkannt. Als sie sich nun zu dritt gegen zwei noch dazu verwundete Männer sahen, beeilten sie sich, zu fliehen und am nächsten Morgen gab es großes Staunen in Florenz, als man die Leichen dieser beiden jungen Männer entdeckte, welche unter der reichen und eleganten Jugend der Stadt den ersten Rang einnahmen. Dieser Rang bewirkte, daß man von ihrem Ende Notiz nahm, denn unter der lockeren Herrschaft Francesco, auf welchen der strenge Ferdinand gefolgt war, hatte Toskana einer Provinz Spaniens geglichen und man zählte jedes Jahr mehr als hundert Morde in der Stadt. Die Erörterungen, welche die vornehme Gesellschaft bewegten, der Lorenzo und Pierantonio angehört hatten, drehten sich um die Frage, ob sie einander im Zweikampf erschlagen hätten oder als Opfer irgendeiner Rache gefallen seien.

Am Morgen nach diesem großen Ereignis war alles im Kloster ruhig. Die große Mehrzahl der Nonnen hatte keine Ahnung von dem, was vorgefallen war. Seit Tagesanbruch und noch bevor die Gärtner kamen, hatte Martona die Erde an den Stellen, wo sie mit Blut befleckt war, umgegraben, um die Spuren von dem, was geschehen war, zu zerstören. Dieses Mädchen, das selbst einen Liebhaber hatte, führte mit viel Intelligenz und besonders ohne irgend etwas der Äbtissin zu sagen die Befehle Celias aus. Die machte ihr ein hübsches Diamantkreuz zum Geschenk. Martona, welche ein sehr einfaches Mädchen war, bedankte sich dafür und sagte:

„Es gibt eine Sache, die ich allen Diamanten der Welt vorziehen würde. Seit diese neue Äbtissin ins Kloster gekommen ist, habe ich, obgleich ich mich, um ihre Gunst zu erlangen, zu jedem Dienst erniedrigt habe, niemals von ihr erreichen können, daß sie mir auch nur die kleinste Erleichterung gewährt hätte, um Giuliano R**, der mein Freund ist, zu sehen. Diese Äbtissin wird unser aller Unglück sein. Schließlich sind es schon mehr als vier Monate, seit ich Giuliano gesehen habe, und es wird damit enden, daß er mich vergißt. Die vertraute Freundin der gnädigen Signora Fabiana gehört doch zu den acht Schwestern-Pförtnerinnen; ein Dienst verlangt den andern. Könnte Signora Fabiana nicht eines Tages, wenn sie Wache an der Türe haben wird, mir erlauben, fortzugehen, um Giuliano zu sehen oder ihm erlauben, zu kommen?“

„Ich werde mein möglichstes tun,“ sagte Celia, „aber die große Schwierigkeit, die Fabiana mir einwerfen wird, ist, daß die Äbtissin Eure Abwesenheit bemerken wird. Ihr habt sie zu sehr daran gewöhnt, Euch unaufhörlich in der Nähe zu haben. Versucht, Euch hie und da zu entfernen. Ich bin sicher, wenn Ihr Euch an jede andere angeschlossen hättet als an die Frau Äbtissin, würde es Fabiana gar keine Schwierigkeit machen, Euren Wunsch zu erfüllen.“

 

Nicht ohne Plan sprach Celia so.

„Du verbringst dein Leben damit, deinen Geliebten zu beweinen“, sagte sie zu Fabiana, „und denkst nicht an die entsetzliche Gefahr, die uns droht. Unsere Äbtissin ist so unfähig zu schweigen, daß früher oder später das, was geschehen ist, unsrem strengen Großherzog zur Kenntnis kommen wird. Er hat die Ideen eines Mannes, der fünfundzwanzig Jahre Kardinal war, auf den Thron mitgebracht. Unser Verbrechen ist eins der größten, das man in den Augen der Religion begehen kann; mit einem Wort: das Leben der Äbtissin ist unser Tod.“

„Was willst du sagen?“ fragte Fabiana, sich die Tränen trocknend.

„Ich will sagen, daß du von deiner Freundin, Vittoria Ammanati ein wenig von dem berühmten Gift von Perugia erlangen mußt, daß ihre Mutter, die ja selbst von ihrem Gatten vergiftet worden ist, ihr sterbend gab. Ihre Krankheit hatte mehrere Monate gedauert und wenige hatten an Gift geglaubt; genau so wird es bei unsrer Äbtissin sein.“

„Dein Gedanke entsetzt mich,“ rief die sanfte Fabiana.

„Ich zweifle nicht an deinem Entsetzen, und ich würde es teilen, wenn ich mir nicht sagte: das Leben der Äbtissin ist der Tod Fabianas und Celias. Bedenke doch: sie ist vollkommen unfähig, zu schweigen; ein Wort von ihr genügt, um den Kardinal-Großherzog zu überzeugen, der nichts so verabscheut wie jene Verbrechen, die durch die alte Freiheit, die in unsern armen Klöstern herrschte, verursacht wurden. Deine Cousine steht in nahen Beziehungen zu Martona, die einem Zweig ihrer Familie angehört, der durch den Zusammenbruch von 1584 ruiniert wurde. Martona ist sterblich verliebt in einen schönen Seidenweber, namens Giuliano: es ist notwendig, daß deine Cousine ihr als ein Schlafmittel, geeignet, die unbequeme Aufmerksamkeit der Äbtissin zu beseitigen, dieses Gift aus Perugia gibt, das den Tod in sechs Monaten herbeiführt.“

Als Graf Buondelmonte wieder Gelegenheit fand, bei Hof zu erscheinen, beglückwünschte ihn Großherzog Ferdinand zu der mustergültigen Ruhe, die in dem Kloster von Sante Riparata herrschte. Dieser Ausspruch des Fürsten veranlaßte den Grafen, sich sein Werk anzusehen. Man kann sich sein Erstaunen vorstellen, als die Äbtissin ihm von dem Doppelmord erzählte, dessen Ende sie mit angesehen hatte. Der Graf merkte wohl, daß die Äbtissin Virgilia ganz unfähig war, ihm die geringste Auskunft über den Grund dieses Doppelverbrechens zu geben. ‚Außer Felizia‘, sagte er sich, ‚mit ihrem klaren Kopf, dessen Logik mich vor sechs Monaten bei meinem ersten Besuch so in Verlegenheit brachte, gibt es hier niemand, der mir Aufschluß über die fragliche Angelegenheit geben könnte. Aber wird sie sprechen wollen, eingenommen wie sie ist gegen die Ungerechtigkeit der Gesellschaft und der Familien in der Frage der Nonnen?‘

Die Ankunft des großherzoglichen Vertreters im Kloster hatte Felizia mit maßloser Freude erfüllt. Endlich sah sie diesen unvergleichlichen Mann wieder, der die einzige Ursache all ihrer Handlungen seit sechs Monaten war! Durch eine entgegengesetzte Wirkung hatte die Ankunft des Grafen Celia und ihre Freundin, die junge Fabiana, in den tiefsten Schrecken versetzt.

„Deine Bedenken werden uns zugrunde gerichtet haben,“ sagte Celia zu Fabiana. „Die Äbtissin ist zu schwach, als daß sie nicht gesprochen haben sollte. Und jetzt ist unser Leben in den Händen des Grafen. Zwei Auswege bleiben uns: die Flucht ergreifen! Aber wovon werden wir leben? Der Geiz unsrer Väter wird den Verdacht des Verbrechens, der über uns schwebt, als Ausflucht benutzen, um uns das Brot zu verweigern. Ehemals, als Toskana nur eine Provinz Spaniens war, konnten sich die unglücklichen verfolgten Toskaner nach Frankreich flüchten. Aber der Großherzog-Kardinal will das spanische Joch abwerfen. Unmöglich für uns, eine Zuflucht zu finden; dahin haben uns deine kindischen Bedenken geführt, meine arme Freundin. Wir werden deshalb nicht weniger genötigt sein, das Verbrechen zu begehen, denn Martona und die Äbtissin sind die einzigen gefährlichen Zeugen dessen, was in jener verhängnisvollen Nacht geschehen ist. Die Tante Rodelindes wird nichts sagen; sie wird nicht die Ehre ihrer Verwandten, die ihr so teuer ist, bloßstellen wollen. Martona, die das angebliche Schlafmittel der Äbtissin verabreicht hat, wird sich wohl hüten, zu sprechen, sobald wir ihr gesagt haben, daß dieses Schlafmittel ein Gift war. Außerdem ist sie ein gutes Mädchen und leidenschaftlich in ihren Giuliano verliebt.“

Es währte zu lang, wollte man die geistvolle Unterhaltung wiedergeben, die Felizia mit dem Grafen führte. Ihr war immer der Fehler gegenwärtig, den sie begangen hatte, als sie zu schnell in der Angelegenheit der beiden Kammerfrauen nachgab. Die Folge dieses Übermaßes von Gutherzigkeit war, daß der Graf sechs Monate hatte verstreichen lassen, ohne im Kloster zu erscheinen. Felizia gab sich das Versprechen, nicht wieder in den gleichen Irrtum zu verfallen. Der Graf hatte sie mit allergrößter Artigkeit bitten lassen, ihm eine Unterredung im Sprechzimmer zu gewähren. Diese Einladung brachte Felizia außer sich. Es war nötig, daß sie sich erinnerte, was sie ihrer Würde als Frau schuldig sei, um die Unterredung auf den nächsten Tag zu verschieben. Aber als sie in dieses Sprechzimmer eintrat, wo der Graf allein war, fühlte sich Felizia von einer ihr ganz fremden Schüchternheit ergriffen, obwohl sie durch ein Gitter ungeheurer Eisenstäbe von ihm getrennt war. Ihr Erstaunen war außerordentlich; sie bereute den Einfall tief, der ihr einstmals so geschickt und gefällig erschienen war. Wir sprechen von dem Geständnis ihrer Leidenschaft für den Grafen, das sie damals der Äbtissin gemacht hatte, damit diese es dem Grafen wiedererzähle. Damals war sie weit davon entfernt, ihn so zu lieben wie jetzt. Es war ihr vergnüglich erschienen, das Herz des ernsten Vertreters anzugreifen, den der Herzog dem Kloster gegeben hatte. Jetzt waren ihre Gefühle ganz anders. Ihm zu gefallen, war notwendig für ihr Glück; wenn ihr dies nicht gelänge, würde sie unglücklich sein, und wie würde ein so ernster Mann die seltsame Eröffnung aufnehmen, die ihm die Äbtissin machen würde? Es könnte leicht geschehen, daß er sie indezent fände, und dieser Gedanke war eine Marter für Felizia. Es war nötig zu sprechen. Der Graf saß ernst vor ihr und sagte ihr Höflichkeiten über ihren starken Geist. „Hat es ihm die Äbtissin schon erzählt?“ Die ganze Aufmerksamkeit der jungen Nonne vereinigte sich auf diese große Frage. Zu ihrem Glück glaubte sie zu erkennen, was in der Tat die Wahrheit war: daß die Äbtissin, vom Anblick der beiden Leichen jener verhängnisvollen Nacht noch ganz entsetzt, eine so nichtige Einzelheit wie die törichte Liebe der jungen Nonne ganz vergessen hatte.

Der Graf bemerkte die außerordentliche Verwirrung dieses schönen Mädchens sehr wohl und wußte nicht, wem er sie zuschreiben sollte. ‚Wäre sie schuldig?‘ sagte er sich. Diese Idee beunruhigte ihn, den so Vernünftigen. Dieser Verdacht bewog ihn, den Antworten der jungen Nonne außerordentliche und ernste Aufmerksamkeit zu schenken. Das war eine Ehre, die er schon seit langem nicht den Worten einer Frau erwiesen hatte. Er bewunderte Felizias Geschick. Sie traf die Kunst, in einer für den Grafen schmeichelhaften Weise auf alles zu antworten, was er über den verhängnisvollen Kampf an der Türe des Klosters sagte, aber sie hütete sich wohl, ihm entscheidende Antworten zu geben. Nach einer Unterhaltung, die anderthalb Stunden gewährt hatte, während deren der Graf sich nicht einen Augenblick langweilte, beurlaubte er sich von der jungen Nonne und bat sie mit Wärme, ihm in einigen Tagen noch eine Unterredung zu gewähren. Dies Wort erfüllte Felizias Herz mit himmlischer Seligkeit.

Der Graf ging sehr nachdenklich aus der Abtei von Santa Riparata. ‚Es wäre ohne Zweifel meine Pflicht,‘ sagte er sich, ‚dem Fürsten von den seltsamen Dingen, die ich erfahren habe, in Kenntnis zu setzen. Der ganze Staat hat sich mit dem Tod dieser beiden bedauernswerten, so reichen und glänzenden jungen Leute beschäftigt. Andrerseits hat uns der Fürst-Kardinal jetzt einen so schrecklichen Bischof gegeben, daß man die ganzen Greuel der spanischen Inquisition auf das unglückliche Kloster hetzen würde, wenn man auch nur ein Wort verlauten ließe von dem, was geschehen ist. Es wäre nicht nur eines dieser armen jungen Mädchen, das dieser fürchterliche Bischof umbringen lassen würde, sondern vielleicht fünf oder sechs; und wer wäre an ihrem Tode schuldig, wenn nicht ich, der nur einen ganz kleinen Vertrauensmißbrauch zu begehen hat, damit nichts geschieht? Wenn der Fürst erfährt, was vorgefallen ist und mir Vorwürfe macht, werde ich ihm sagen: Euer entsetzlicher Bischof hat mir Angst eingeflößt.‘

Der Graf wagte nicht, sich alle die Gründe, die ihn zum Schweigen brachten, genau einzugestehen. Er war unsicher, ob nicht die schöne Felizia schuldig war, und sein ganzes Wesen wurde von Schreck gepackt bei der Vorstellung, das Leben eines armen, von ihren Eltern und von der Gesellschaft so grausam behandelten jungen Mädchens in Gefahr bringen. ‚Sie würde die Zierde von Florenz sein,‘ sagte er sich, ‚wenn man sie verheiratet hätte.‘

Der Graf hatte die vornehmsten Herrn und die reichsten Kaufleute von Florenz zu einer prächtigen Jagdpartie in den zur Hälfte ihm gehörenden Maremmen von Siena eingeladen. Er entschuldigte sich bei ihnen; die Jagd fand ohne ihn statt, und Felizia war sehr erstaunt, als sie schon am übernächsten Morgen nach ihrer ersten Unterhaltung die Pferde des Grafen im äußeren Klosterhof stampfen hörte. Als der Vertreter des Großherzogs den Entschluß gefaßt hatte, dem Fürsten nichts von dem mitzuteilen, was geschehen war, hatte er gleichwohl gefühlt, daß er die Verpflichtung auf sich nehmen müsse, in Zukunft über die Ruhe des Klosters zu wachen. Nun war es, um das zu erreichen, vor allem zu wissen nötig, welchen Anteil die beiden Nonnen, deren Liebhaber ermordet worden waren, an ihrem Tod gehabt hatten. Nach einer langen Unterredung mit der Äbtissin ließ der Graf acht oder zehn Nonnen rufen, unter denen sich auch Fabiana und Celia befanden. Er fand zu seinem großen Erstaunen, was auch die Äbtissin ihm gesagt hatte, daß acht von diesen Nonnen gar nichts von den Vorgängen jener verhängnisvollen Nacht wußten. Der Graf stellte an keine direkte Fragen, außer an Celia und an Fabiana: sie leugneten, Celia mit der ganzen Festigkeit einer Seele, die über alles Unglück erhaben ist, die junge Fabiana wie ein armes Mädchen in Verzweiflung darüber, daß man es in barbarischer Weise an die Quelle aller seiner Schmerzen erinnert. Sie war entsetzlich abgemagert und hatte das Aussehen einer Schwindsüchtigen; sie konnte sich über den Tod des jungen Lorenzo B** nicht trösten. ‚Ich bin es, die ihn getötet hat,‘ sagte sie Celia in den langen Gesprächen, die sie mit ihr führte; ‚ich hätte die Eigenliebe des wilden Don Cesare, seines Vorgängers, besser schonen müssen, als ich mit ihm brach.‘

Kaum in das Sprechzimmer eingetreten, bemerkte Felizia, daß die Äbtissin die Schwäche gehabt hatte, dem Stellvertreter des Großherzogs von ihrer Liebe zu ihm zu sprechen; die Haltung des gelassenen Buondelmonte war dadurch ganz verändert. Das war zuerst ein Anlaß des Errötens und der Verlegenheit für Felizia. Ohne es zu wollen, war sie entzückend, während der langen Unterredung, die sie mit dem Grafen hatte; aber sie gestand nichts. Die Äbtissin wußte nichts genaues über das, was sie gesehen und allem Anschein nach falsch gesehen hatte. Celia und Fabiana gestanden nichts. Der Graf war sehr verlegen. ‚Wenn ich die Kammerfrauen und die Dienerinnen verhöre, heißt das, dem Bischof in dieser Sache Zutritt verschaffen. Sie werden zu ihrem Beichtvater davon sprechen und dann haben wir die Inquisition im Kloster.‘

Der Graf war sehr beunruhigt und kam alle Tage nach Santa Riparata. Er hatte sich entschlossen, alle Nonnen zu verhören, dann alle Hofkammerfrauen und endlich das ganze Gesinde. Er deckte die Wahrheit über einen vor drei Jahren verübten Kindesmord auf, dessen Anzeige ihm der Offizial des geistlichen Gerichtshofs, dessen Präsident der Bischof war, übermittelt hatte. Doch zu seinem großen Erstaunen sah er, daß die Geschichte der beiden jungen Leute, die sterbend den Garten der Abtei betreten hatten, nur der Äbtissin, Celia, Fabiana, Felizia und ihrer Freundin Rodelinde bekannt war. Die Tante dieser Letzteren wußte sich so gut zu verstellen, daß sie dem Argwohn entschlüpfte. Der Schrecken, den der neue Bischof Monsignore einflößte, war derart groß, daß, mit Ausnahme der Äbtissin und Felizias, die offensichtlich lügenhaften Aussagen aller andren Nonnen immer in den gleichen Worten gegeben wurden. Der Graf hatte zum Schluß jeder seiner Sitzungen im Kloster eine lange Unterhaltung mit Felizia, welche sie glücklich machte; aber um sie zu verlängern, befleißigte sie sich, den Grafen jeden Tag nur einen ganz kleinen Teil von dem mitzuteilen, was sie über den Tod der beiden jungen Edelleute wußte. Im Gegensatz dazu war sie von äußerstem Freimut in den Dingen, die sie persönlich betrafen. Sie hatte drei Liebhaber gehabt; sie erzählte dem Grafen, der fast ihr Freund geworden war, die ganze Geschichte dieser Liebschaften. Die völlige Offenheit dieses schönen und geistvollen Mädchens fesselte den Grafen, dem es nicht schwer fiel, sie mit äußerster Aufrichtigkeit zu beantworten.

 

„Ich kann Euch nicht mit so interessanten Geschichten, wie Eure es sind, erwidern,“ sagte er Felizia, „und ich weiß nicht, ob ich es wagen soll, Euch zu sagen, daß mir alle Eures Geschlechts, die ich in der Welt getroffen habe, stets mehr Verachtung für ihren Geist, als Bewunderung für ihre Schönheit eingeflößt haben.“

Die häufigen Besuche des Grafen hatten Celia die Ruhe genommen. Fabiana, mehr und mehr von ihrem Schmerz benommen, hatte aufgehört, den Ratschlägen ihrer Freundin ihre Abwehr entgegenzusetzen. Als die Reihe an sie kam, die Tür des Klosters zu bewachen, öffnete sie, wandte den Kopf, und der junge Seidenweber Giuliano, Martonas Freund, konnte ins Kloster eintreten. Er verbrachte dort volle acht Tage, bis Fabiana von neuem Dienst hatte und die Türe offen lassen konnte. Es scheint, daß Martona gegen Ende des langen Aufenthalts ihres Geliebten, gerührt von Giulianos Klagen, der sich allein in ihrem Zimmer eingeschlossen tödlich langweilte, der Äbtissin, welche sie Tag und Nacht um sich haben wollte, die einschläfernde Essenz verabreichte.

Als Giulia, eine sehr fromme junge Nonne, eines Abends durch die großen Schlafräume ging, hörte sie in Martonas Zimmer sprechen. Sie näherte sich leise, blickte durch das Schlüsselloch und sah einen schönen jungen Mann unter Scherzen mit Martona zur Nacht speisen. Giulia tat einige Schläge gegen die Türe; als ihr aber einfiel, daß Martona sehr wohl öffnen, sie mit diesem jungen Mann einschließen und sie, Giulia, der Äbtissin anzeigen könnte, wurde sie von großer Bestürzung erfaßt, denn Martona verbrachte ihr ganzes Leben mit der Äbtissin und man würde ihr gewiß glauben. In ihrer Einbildung sah sie sich schon in diesem einsamen und dunklen Korridor, wo noch keine Lampen angezündet waren, von Martona verfolgt, die sehr viel stärker war als sie selbst. Giulia ergriff ganz bestürzt die Flucht, aber sie hörte noch Martona die Türe öffnen und bildete sich ein, von ihr erkannt worden zu sein; so lief sie zur Äbtissin, um ihr alles zu sagen und diese eilte in furchtbarer Entrüstung auf Martonas Zimmer, wo sie jedoch Giuliano nicht mehr vorfand, der sich in den Garten geflüchtet hatte. Aber in der gleichen Nacht, da die Äbtissin aus Vorsicht und im Interesse von Martonas Ruf, diese zu sich nahm und ihr ankündigte, daß sie, damit die Bosheit nicht wieder einen Mann dahinter vermuten könne, am nächsten Morgen in Begleitung des Beichtvaters, an die Türe ihrer Zelle Siegel anlegen werde, mischte Martona, die in diesem Augenblick damit beschäftig war, der Äbtissin das aus einer Schokolade bestehende Nachtmahl, zu bereiten, eine ungeheure Menge des vorgeblichen Schlafpulvers hinein.

Am nächsten Morgen befand sich die Äbtissin Virgilia in einem so seltsamen Zustand nervöser Erregung und fand, als sie in den Spiegel sah, ihr Gesicht so verändert, daß sie dachte, sie würde sterben. Die erste Wirkung des Giftes von Perugia ist, daß es die Personen, die davon genossen, fast verrückt macht. Virgilia erinnerte sich, daß eines der Vorrechte der Äbtissinnen des adligen Klosters von Santa Riparata war, in ihren letzten Augenblicken den Beistand Seiner bischöflichen Gnaden zu genießen. Sie schrieb dem Prälaten, der bald im Kloster erschien. Sie erzählte ihm nicht nur von ihrer Krankheit, sondern auch von der Geschichte der beiden Leichen. Der Bischof tadelte streng, daß sie ihm von einem so eigentümlichen und so verbrecherischen Vorfall nicht Kenntnis gegeben habe. Die Äbtissin antwortete, daß der Stellvertreter des Herzogs, der Graf Buondelmonte, ihr nachdrücklich geraten hätte, den Skandal zu vermeiden.

„Und wie kann dieser Weltliche die Kühnheit haben, die genaue Erfüllung Eurer Pflichten Skandal zu nennen?“

Als sie den Bischof im Kloster erscheinen sah, sagte Celia zu Fabiana: „Wir sind verloren. Dieser fanatische Prälat, der um jeden Preis die Reform des Konzils von Trient in den Klostern seiner Diözese einführen will, wird sich ganz anders zu uns verhalten, als der Graf Buondelmonte.“

Fabiana warf sich weinend in Celias Arme: „Der Tod macht mir nichts, aber ich werde doppelt verzweifelt sterben, weil ich dich ins Verderben gestürzt habe, ohne damit das Leben dieser unglücklichen Äbtissin zu retten.“

Sogleich begab sich Fabiana in die Zelle der Nonne, welche an diesem Abend die Torwache hatte. Ohne sich auf die Einzelheiten einzulassen, sagte sie ihr, daß es Ehre und Leben Martonas zu retten gelte, welche die Unvorsichtigkeit begangen habe, einen Mann in ihrer Zelle zu empfangen. Nach vielen Schwierigkeiten willigte die Nonne ein, etwas nach elf Uhr abends die Tür offen zu lassen und sich einen Augenblick zu entfernen.

Während dieser Zeit hatte Celia Martona sagen lassen, sie möge sich in den Chor begeben. Das war ein Saal wie eine zweite Kirche, die nur durch ein Gitter von der dem Volke zugänglichen getrennt war; sie hatte mehr als vierzig Fuß Höhe. Martona hatte sich in der Mitte des Chors niedergekniet, so daß niemand hören konnte, wenn sie leise sprach. Celia begab sich an ihre Seite.

„Hier“ – sagte sie ihr – „ist eine Börse, die alles Geld enthält, das Fabiana und ich finden konnten. Heute abend oder morgen abend werde ich es ermöglichen, daß die Türe des Klosters einen Augenblick offen bleibt. Laß Giuliano entschlüpfen und du rette dich bald danach. Sei gewiß, daß die Äbtissin dem schrecklichen Bischof alles gesagt hat und daß sein Gerichtshof dich ohne Zweifel zu fünfzehn Jahren Kerker oder zum Tode verurteilen wird.“

Martona machte eine Bewegung, um sich Celia zu Füßen zu werfen.

„Was tust du, Unvorsichtige?“ rief diese, und es gelang ihr, die Bewegung aufzuhalten. „Bedenke, daß man Giuliano und dich in jedem Augenblick verhaften kann. Halte dich von jetzt an, bis zum Augenblick deiner Flucht, so versteckt wie möglich, und gib vor allem acht auf die Personen, die in das Sprechzimmer der Frau Äbtissin eintreten.“

Als der Graf am nächsten Morgen im Kloster eintraf, fand er vieles verändert vor. Martona, die Vertraute der Äbtissin war während der Nacht verschwunden; die Äbtissin war so geschwächt, daß sie genötigt war, sich in einem Lehnstuhl ins Sprechzimmer tragen zu lassen, um den Vikar des Fürsten zu empfangen. Sie gestand ihm, daß sie dem Bischof alles gesagt habe.

„In diesem Fall werden wir Blut oder Gift haben“, rief dieser aus.

Die erste Sorge des Vertreters des Fürsten war, das Wohl der jungen Felizia zu sichern. Graf Buondelmonte, der menschlich fühlte, konnte den Gedanken nicht ertragen, daß dieses schöne junge, ihm so zärtlich gesinnte Mädchen verdammt sein sollte, keinen andern Gemahl als einen verpesteten Kerker zu haben oder sogar Gift zu trinken. ‚Wie schade wäre es,‘ dachte er sich, ‚wenn Felizia wegen der gefährlichen Einfalt unsrer Äbtissin und wegen des Fanatismus dieses schrecklichen Bischofs ein Leben verlieren müßte, welches das Glück eines rechtschaffenen Mannes ausmachen könnte! Man muß um jeden Preis ein so gräßliches Los zu verhindern trachten.‘ Und er sann nach, wie er sie unter irgendeiner Verkleidung entfliehen lassen könnte.

Da erinnerte er sich an eine Einzelheit: die Nonnen des Klosters trugen unter ihrem Schleier ein Kleid aus grüner Seide, welches eng anliegend am Körper und gerade nur unter die Knie reichend, wenig von dem glänzenden Kostüm der Waffenherolde abwich, die bei den großen Zeremonien vor dem Fürsten einherschritten. ‚Es wird genügen,‘ sagte sich der Graf, ‚daß Felizia ihren Schleier über dem Kopf zusammenrafft und ihn wie ein Barett faltet; wenn sie dann ihr langes fließendes Gewand wie einen Mantel um die Schultern wirft, wird sie ganz das Ansehen eines großherzoglichen Herolds haben. Man hat mir erzählt, daß eine Nonne in solcher Verkleidung ausging, um ihren Geliebten zu besuchen. Felizia wird ebenfalls keine Schwierigkeit haben, besonders weil sie von mir begleitet ist und die Wache wird ihr die Ehrenbezeugung erweisen.‘

1Ein wenig weiter unten kommt Stendhal darauf zurück und läßt Felizia in einer andern Weise handeln. Dieser ganze Absatz scheint ein erster Entwurf zu sein. D.H.
2Siehe weiter oben.