Ideologie, Identität, Repräsentation

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Dieses ›Subjekt‹ sollte nicht mit wirklichen historischen Individuen verwechselt werden. Vielmehr ist es die Kategorie, die Position, wo das Subjekt – das Ich ideologischer Aussagen – sich konstituiert. Ideologische Diskurse konstituieren uns ihrerseits als Subjekte für Diskurse. Althusser erklärt, wie das funktioniert, indem er sich von Lacan das Konzept der ›Anrufung‹ borgt. Danach werden wir angerufen oder vorgeladen durch die Ideologien, die uns als ihre ›Autoren‹, als ihr grundsätzliches Subjekt rekrutieren. Wir werden durch die unbewussten Prozesse der Ideologie konstituiert, an jenem Ort der Wiedererkennung oder der Festlegung zwischen uns selbst und der bedeutungstragenden Kette, ohne die keinerlei Zuweisung einer ideologischen Bedeutung möglich wäre. Genau von dieser Wende im Argument entwickelt sich der Weg in die Psychoanalyse und den Post-Strukturalismus, und letztlich aus dem Marxismus heraus.

Der Essay über Ideologie und ideologische Staatsapparate ist zugleich sehr wichtig und bedauerlich. Das hängt mit seiner zweiteiligen Struktur zusammen. Der erste Teil handelt von der Ideologie und der Reproduktion der sozialen Beziehungen der Produktion. Der zweite Teil handelt von der Konstituierung des Subjekts und der Art, wie Ideologien uns im Bereich des Imaginären anrufen. Indem diese beiden Aspekte getrennt behandelt werden, vollzieht sich eine fatale Spaltung. Was ursprünglich als ein kritisches Element einer grundsätzlichen Ideologietheorie gedacht war – die Theorie des Subjekts –, hat metonymisch die ganze Theorie ersetzt. Die unglaublich verfeinerten Theoretisierungen, die sich daraus entwickelt haben, haben sich alle mit der zweiten Frage beschäftigt: Wie konstituieren sich Subjekte in Bezug zu verschiedenen Diskursen? Welche Rolle spielen unbewusste Prozesse in der Schaffung dieser Positionierungen? Dies sind die Fragen der Diskurstheorie und der durch die Linguistik beeinflussten Psychoanalyse. Oder man untersucht die Bedingungen der Artikulation in einer bestimmten Diskursformation. Das ist die Thematik von Foucault. Oder man kann die unbewussten Prozesse untersuchen, durch die Subjekte und Subjektivität als solche konstituiert werden. Das ist die Thematik von Lacan. Über den zweiten Teil von Ideologie und ideologische Staatsapparate ist deshalb ziemlich viel theoretisiert worden. Aber zum ersten Teil – nichts! Finito! Die Untersuchung hat mit Althussers ungenügenden Formulierungen über die Reproduktion der sozialen Beziehungen der Produktion geendet. Die zwei Seiten des schwierigen Problems der Ideologie sind in diesem Essay voneinander getrennt und seither verschiedenen Polen zugewiesen worden. Die Frage der Reproduktion ist dem marxistischen (männlichen) Pol zugewiesen worden, die der Subjektivität dem psychoanalytischen (feministischen) Pol. Seither haben sich die beiden nie mehr getroffen. Der zweite Pol wird als Frage über das ›Innenleben‹ der Menschen aufgefasst, über Psychoanalyse, Subjektivität und Sexualität und ›über‹ all das. Auf diese Weise und an diesem Ort ist zunehmend der Bezug zum Feminismus theoretisiert worden. Der erste Pol handelt ›über‹ soziale Beziehungen, Produktion und die harten Fakten des Produktionssystems, und ›darüber‹ sprechen der Marxismus und die reduktionistischen Klassendiskurse. Diese Zweiteilung des theoretischen Projekts hat verheerende Folgen für die ungleiche Entwicklung der Ideologieproblematik gehabt, ganz abgesehen von ihren schädlichen politischen Konsequenzen.

Ideologie in Für Marx

Statt einem dieser beiden Wege zu folgen, möchte ich mich einen Augenblick von der Sackgasse abwenden und mir ein paar alternative Ausgangspunkte bei Althusser anschauen, von denen aus meines Erachtens immer noch Fortschritte erzielt werden können. Lange bevor er bei der angeblich fortgeschrittenen Position von Ideologie und ideologische Staatsapparate angelangt war, formulierte Althusser in einem kurzen Abschnitt von Für Marx (Althusser 1968, 182-187) ein paar einfache Sachen zur Ideologie, die man mit Gewinn wiederholen und darüber nachdenken sollte. Dort definierte er Ideologie als Systeme der Repräsentation, bestehend aus Konzepten, Ideen, Mythen oder Bildern, in denen Männer (und von mir hinzugefügte Frauen) ihre imaginären Beziehungen zu ihren wirklichen Existenzbedingungen leben. Es lohnt sich, diese Aussage Stück für Stück zu überprüfen.

Die Bezeichnung der Ideologie als »Systeme der Repräsentation« anerkennt ihren grundsätzlich diskursiven und semiotischen Charakter. Systeme der Repräsentation sind Systeme von Bedeutungen, durch die wir uns und andern die Welt darstellen. Damit wird anerkannt, dass ideologisches Wissen das Resultat spezifischer Praxen ist – Praxen, die mit der Herstellung von Bedeutung beschäftigt sind. Aber da es keine sozialen Praxen gibt, die jenseits des Bereichs der Bedeutung (der Semiotik) stattfinden, stellt sich die Frage, ob alle Praxen einfach Diskurse seien?

Hier müssen wir sehr vorsichtig vorgehen. Wir befinden uns in der Gegenwart eines anderen unterdrückten Begriffs oder einer ausgeschlossenen Mitte. Althusser erinnert uns daran, dass Ideen nicht einfach im luftleeren Raum herumtreiben. Wir wissen, dass sie da sind, weil sie sich in sozialen Praxen materialisieren und diese anleiten. In diesem Sinne existiert das Soziale niemals außerhalb des Semiotischen. Jede soziale Praxis konstituiert sich im Zusammenspiel von Bedeutung und Repräsentation und kann ihrerseits repräsentiert werden. Mit andern Worten: Es gibt keinerlei soziale Praxis außerhalb der Ideologie. Obwohl alle sozialen Praxen diskursiv sind, heißt das aber nicht, dass sie nur diskursiv sind. Ich weiß, was sich damit verknüpft, Prozesse, die wir gemeinhin als Ideen fassen, mit dem Begriff Praxen zu belegen; ›Praxen‹ tönen konkret. Sie geschehen an speziellen Orten und in speziellen Apparaten – wie Schulzimmern, Kirchen, Vorlesungssälen, Fabriken, Schulen und Familien. Und diese Konkretion erlaubt uns, zu behaupten, sie seien ›materiell‹. Aber man muss zwischen verschiedenen Praxen unterscheiden. Zum Beispiel gibt es die folgende Differenz. Falls man am kapitalistischen Arbeitsprozess beteiligt ist, dann gebraucht man Arbeitskraft, die zu einem bestimmten Preis gekauft wurde, zusammen mit gewissen Produktionsmitteln, um Rohmaterialien in ein bestimmtes Produkt, eine Ware zu verwandeln. Das ist die Definition einer Praxis – der Praxis der Arbeit. Steht sie außerhalb von Bedeutung und Diskurs? Sicher nicht. Wie könnte eine große Anzahl von Leuten entweder diese Praxis lernen oder ihre Arbeitskraft arbeitsteilig mit anderen verbinden, Tag für Tag, wenn sich die Arbeit nicht im Bereich von Repräsentation und Bedeutung befände? Ist diese Transformationspraxis also nichts anderes als ein Diskurs? Sicher nicht. Weil alle Praxen sich innerhalb der Ideologie befinden oder diese sich ihnen eingeschrieben hat, heißt das nicht, dass alle Praxen nur Ideologie sind. Die Praxen, die hauptsächlich ideologische Repräsentation produzieren, besitzen eine Spezifik. Sie unterscheiden sich von jenen Praxen, die, sinnvoll, nachvollziehbar, andere Waren produzieren. Die Menschen, die in den Medien arbeiten, produzieren, reproduzieren und verändern das Feld der ideologischen Repräsentation selber. Sie stehen in einem andern Verhältnis zur Ideologie als solcher, als jene, die materielle Waren produzieren und reproduzieren – obwohl diesen ebenfalls Ideologie eingeschrieben ist. Roland Barthes hat schon vor langer Zeit erkannt, dass alle Dinge auch Bedeutung tragen. Die zweiteren Formen der Praxis operieren innerhalb der Ideologie, aber sie sind nicht ideologisch, was die Spezifik ihres Gegenstands betrifft.

Ich möchte die Vorstellung betonen, dass Ideologien Systeme der Repräsentation sind, die sich in Praxen materialisieren, aber ich möchte die ›Praxis‹ nicht fetischisieren. Zu oft ist auf dieser Ebene der Theoriebildung die soziale Praxis mit sozialen Diskursen identifiziert worden. Während die Betonung auf dem Diskurs richtig ist, weil sie auf die Wichtigkeit von Bedeutung und Repräsentation hinweist, ist die Vorstellung bis zu ihrem Gegenteil vorangetrieben worden, wonach alle Praxen nichts als Ideologien seien. Aber das ist eine schlichte Umkehrung.

Man sollte beachten, dass Althusser von »Systemen« und nicht von »einem System« spricht. Es ist bedeutsam, dass die Systeme der Repräsentation nicht allein sind. In jeder sozialen Formation gibt es eine Vielzahl von ihnen. Sie existieren in der Mehrzahl. Ideologien arbeiten nicht vermittels einzelner Ideen; sie arbeiten in diskursiven Ketten, in Trauben, in semantischen Feldern, in diskursiven Formationen. Wenn man ein ideologisches Feld betritt und eine beliebige knotenförmige Repräsentation oder Idee herausgreift, löst man sofort eine ganze Kette von Konnotationen und Assoziationen aus. Ideologische Repräsentationen konnotieren sich – rufen sich gegenseitig hervor. Deshalb ist in jeder sozialen Formation eine Vielzahl unterschiedlicher ideologischer Systeme oder Logiken verfügbar. Die Vorstellung einer herrschenden Ideologie und der untergeordneten Ideologie stellt das komplexe Zusammenspiel zwischen verschiedenen ideologischen Diskursen und Formationen in jeder entwickelten modernen Gesellschaft nur unzulänglich dar. Auch bildet sich das Gebiet der Ideologie nicht als ein Feld sich gegenseitig ausschließender und intern selbstgenügsamer diskursiver Ketten. Sie bestreiten sich gegenseitig, bedienen sich oft aus einem gemeinsamen, geteilten Reservoir an Konzepten, die sie innerhalb verschiedener Systeme der Differenz und der Äquivalenz neu formulieren und umartikulieren.

Wenden wir uns nun dem nächsten Teil von Althussers Definition zu – dass Männer und Frauen durch diese Systeme der Repräsentation leben. Althusser setzt ›leben‹ in Anführungszeichen, weil er damit nicht das blinde biologische oder genetische Leben meint, sondern das Leben, das innerhalb der Kultur Bedeutung und Repräsentation erlebt. Es ist nicht möglich, Ideologie zu beenden und einfach das Wirkliche zu leben. Wir brauchen immer Systeme, durch die wir repräsentieren, was das Wirkliche für uns und andere ist. Der zweite bedeutsame Punkt bezüglich des ›leben‹ besteht darin, dass wir es breit verstehen müssen. Mit ›leben‹ meint Althusser, dass Männer und Frauen eine Vielzahl von Systemen der Repräsentation gebrauchen, um ihre Existenzbedingungen zu erfahren, zu interpretieren und ihnen einen Sinn zu geben. Folglich kann Ideologie dieselben so genannten objektiven Bedingungen der wirklichen Welt unterschiedlich fassen. Es gibt keine »notwendige Beziehung« zwischen den Bedingungen einer sozialen Beziehung oder Praxis und der Zahl von verschiedenen Arten, mit denen sie repräsentiert werden kann. Einige Neo-Kantianer der Diskurstheorie haben behauptet, weil wir eine soziale Beziehung nur »innerhalb der Ideologie« wahrnehmen oder erkennen könnten, würde diese Beziehung nicht unabhängig von der Maschinerie der Repräsentation existieren. Doch das stimmt nicht, wie schon Marx in seiner Einleitung von 1857 klargemacht hat, die allerdings auch von Althusser missverstanden worden ist.

 

Vielleicht die subversivste Implikation des Begriffs ›leben‹ besteht darin, dass er auf den Bereich der Erfahrung verweist. Durch die und in den Systemen der Repräsentation der Kultur ›erfahren‹ wir die Welt: Erfahrung ist das Produkt der Codes unserer Verständnisfähigkeit, unserer Interpretationsraster. Folglich gibt es keine Erfahrung außerhalb der Kategorien von Repräsentation oder Ideologie. Die Vorstellung, dass unsere Köpfe voller falscher Ideen stecken, die allerdings aufgelöst werden können, wenn wir uns ›dem Wirklichen‹ in einem Akt absoluter Authentisierung öffnen, ist wohl die ideologischste aller Konzeptionen. Dies ist genau der Moment des ›Wiedererkennens‹, wenn die Tatsache, dass Bedeutung auf dem Eingriff von Systemen der Repräsentation beruht, verschwindet und wir uns in der naturalistischen Haltung sicher fühlen. Dies ist ein Moment extremer ideologischer Schließung. Dann stehen wir am stärksten im Bann der hochideologischen Struktur des ›common sense‹ [des Alltagsverstands], der Herrschaft des ›für sicher Gewussten‹. Wenn wir die Einsicht in die Tatsache verlieren, dass Sinn durch unsere Systeme der Repräsentation produziert wird, fallen wir nicht in die wirkliche Natur, sondern in die naturalistische Illusion: dem Höhe- oder Tiefpunkt der Ideologie. Wenn wir die Ideologie der Erfahrung, die Illusion der authentischen Wahrheit gegenüberstellen, dann erkennen wir nicht, dass es keine Möglichkeit gibt, die ›wirklichen Beziehungen‹ einer bestimmten Gesellschaft außerhalb ihrer kulturellen und ideologischen Kategorien zu erfahren. Das heißt nicht, dass jedes Wissen nur Resultat unseres Willens zur Macht ist; es mag ideologische Kategorien geben, die uns angemesseneres oder tieferes Wissen über bestimmte Beziehungen ermöglichen als andere.

Weil es keine eindeutige Beziehung gibt zwischen den Bedingungen der von uns gelebten sozialen Existenz und der Art, wie wir sie erfahren, ist es für Althusser notwendig, diese Beziehungen ›imaginäre‹ zu nennen. Das heißt, sie dürfen unter keinen Umständen mit dem Wirklichen verwechselt werden. Erst später in Althussers Werk ist dieser Bereich das ›Imaginäre‹ im Sinne Lacans geworden.6 Womöglich dachte er bereits im früheren Essay an Lacan, aber es kümmert ihn noch nicht, ob Wissen und Erfahrung nur durch den spezifischen psychoanalytischen Prozess möglich seien, den Lacan vorgeschlagen hat. Ideologie wird bloß als imaginär beschrieben, um sie von der Auffassung zu unterscheiden, dass ›wirkliche Beziehungen‹ unzweideutig ihre eigenen Bedeutungen erklären.

Zum Schluss möchte ich noch Althussers Formulierung »die wirklichen Existenzbedingungen« betrachten – ein Skandal innerhalb der gegenwärtigen Kulturtheorie, weil sich Althusser damit zur Auffassung bekennt, dass soziale Beziehungen tatsächlich außerhalb ihrer ideologischen Repräsentationen oder Erfahrungen bestehen. Soziale Beziehungen existieren. Wir werden in sie hineingeboren. Sie bestehen unabhängig von unserem Willen. Sie sind wirklich in ihrer Struktur und Tendenz. Wir können keine soziale Praxis entwickeln, ohne uns diese Bedingungen auf die eine oder andere Weise zu repräsentieren; aber die Repräsentation erschöpft ihre Wirkung nicht. Soziale Beziehungen existieren, unabhängig vom Geist und vom Denken. Dennoch können sie nur im Denken, im Kopf vorgestellt werden. So hat es Marx in der Einleitung zu den Grundrissen von 1857 formuliert. Es ist wichtig, dass Althusser den objektiven Charakter wirklicher Beziehungen bestätigt, die Produktionsweisen in sozialen Formationen herstellen, obwohl sein späteres Werk die Rechtfertigung für eine ganz andere Theoriebildung lieferte. Althusser befindet sich hier näher bei einer ›realistischen‹ philosophischen Position als später in seinen kantianischen und spinozistischen Phasen.

Nun möchte ich über die spezielle Definition hinausgehen, die ich erläutert habe, um zwei oder drei grundsätzlichere Dinge zu diskutieren, die damit verknüpft sind. Althusser sagt, dass diese Systeme der Repräsentation grundsätzlich auf unbewussten Strukturen gründen. Im früheren Essay scheint er wiederum die unbewusste Natur der Ideologie in ähnlicher Weise zu denken, wie Lévi-Strauss den Code eines Mythos als unbewusst definierte – in Hinsicht auf dessen Regeln und Kategorien. Wir sind uns der Regeln und der Klassifikationssysteme einer Ideologie nicht bewusst, wenn wir eine ideologische Aussage machen. Dennoch sind sie, wie die Regeln einer Sprache, rationaler Untersuchung und Analyse durch die Mittel der Unterbrechung und Dekonstruktion zugänglich, die einen Diskurs auf seine Fundamente hin öffnen und uns erlauben, die Kategorien anzuschauen, die ihn erschaffen. Wir kennen die Worte zum Lied »Rule Britannia«, aber wir sind uns der Tiefenstruktur ›nicht bewusst‹ – der Vorstellungen der Nation, der großen Stücke und Teile imperialistischer Geschichte, der Annahmen globaler Vorherrschaft und Überlegenheit, dem notwendigen Anderen der Unterwerfung anderer Leute – die tief in ihren einfachen feierlichen Widerhall eingelassen sind. Diese Ketten von Konnotationen sind nicht beliebig offen und können auf einer bewussten Ebene nicht leicht verändert und umformuliert werden. Folgt daraus, dass sie das Produkt spezifischer unbewusster Prozesse und Mechanismen im psychoanalytischen Sinn sind?

Dies führt uns zur Frage zurück, wie sich Subjekte in der Ideologie selbst erkennen: Wie ist die Beziehung zwischen einzelnen Subjekten und den Positionierungen eines bestimmten ideologischen Diskurses konstruiert? Es scheint möglich, dass einige der grundlegenden Positionierungen der Subjekte in der Sprache, wie auch einige grundsätzliche Positionen im ideologischen Feld, durch unbewusste Prozesse im psychoanalytischen Sinn während der frühen Phase des Heranwachsens konstituiert werden. Diese Prozesse hätten dann einen tiefgreifenden, richtungsweisenden Einfluss auf die Art, wie wir uns im späteren Leben in ideologischen Diskursen situieren. Es ist klar, dass solche Prozesse während der frühen Kindheit wirken und die Herausbildung von Beziehungen mit andern und der Außenwelt ermöglichen. Sie sind, unter anderem, unlösbar mit der Natur und der Entwicklung der sexuellen Identität verbunden. Auf der anderen Seite ist es keineswegs schlüssig belegt, dass allein diese Positionierungen den Mechanismus konstituieren, mit dem sich die Individuen selbst in der Ideologie verorten. Wir werden nicht ausschließlich in jenem Moment und vollkommen an den Ort unserer Beziehung zum komplexen Feld der historisch bedingten ideologischen Diskurse gezwungen, wenn wir den »Übergang von der biologischen Existenz zur menschlichen Existenz« (Althusser 1970, 23) betreten. Wir bleiben offen, zu verschiedenen Zeiten unserer Existenz auf verschiedene Arten positioniert und platziert zu werden.

Einige vertreten die Meinung, dass diese späteren Positionierungen nur die ursprünglichen Positionen wiederholen, die in der Lösung des Ödipus-Komplexes hergestellt werden. Genauer wäre es jedoch zu sagen, dass Subjekte in Bezug zum ideologischen Feld nicht ausschließlich durch die Lösung unbewusster Prozesse während der Kindheit positioniert werden. Sie werden auch durch die diskursiven Formationen bestimmter sozialer Formationen positioniert. Sie werden gegenüber einer Reihe unterschiedlicher sozialer Orte verschieden platziert. Meines Erachtens ist es falsch anzunehmen, dass der Prozess, der dem Individuum überhaupt erlaubt, zu sprechen oder sich zu artikulieren – durch die Sprache an sich –, derselbe ist wie der Prozess, der dem Individuum erlaubt, sich als ein spezifisches geschlechtsbestimmtes, ethnisch bestimmtes, sozial bestimmtes Individuum in einer Vielzahl von spezifischen Systemen der Repräsentation in der Gesellschaft zu artikulieren. Die universellen Mechanismen der Anrufung mögen die notwendigen grundsätzlichen Bedingungen für die Sprache bereitstellen, aber es ist reine Spekulation und Behauptung, dass sie die ausreichenden konkreten Bedingungen für die Artikulation historisch spezifischer und unterschiedener Ideologien darstellen. Die Diskurstheorie beharrt einseitig darauf, die Nacherzählung der Subjektivität in Begriffen von Lacans unbewussten Prozessen sei die ganze Ideologietheorie. Sicherlich, eine Ideologietheorie muss, was frühere marxistische Theorien nicht taten, eine Theorie der Subjekte und der Subjektivität entwickeln. Sie muss die Anerkennung des Selbst im ideologischen Diskurs berücksichtigen, auch das, was Subjekte sich im Diskurs zu erkennen erlauben und dies spontan als Autor auszusprechen. Aber das ist nicht dasselbe wie das Freud’sche, von Lacan unter linguistischem Gesichtspunkt neu gelesenem Schema zu nehmen und es als angemessene Ideologietheorie der sozialen Formationen auszugeben.

Althusser schien im frühen Text Freud und Lacan7 die notwendigerweise vorläufige und spekulative Natur von Lacans Vorschlägen zu erkennen. Er wiederholte die Abfolge von ›Identitäten‹ – auf denen Lacans Argument aufbaut –, den Übergang von der biologischen zur menschlichen Existenz, die parallel dem Gesetz der Ordnung verläuft, die dasselbe ist wie das Gesetz der Kultur, das »Kulturgebot«, das »in seinem formalen Wesen mit der Ordnung der Sprache verschmolzen ist.« (Althusser 1970, 23) Aber dann greift er die rein formale Natur dieser Entsprechungen in einer Fußnote auf:

»Formal: Denn das Kulturgebot, dessen erste Form und Zugangsweise die Sprache ist, erschöpft sich nicht in der Sprache: es hat die realen Verwandtschaftsstrukturen und die bestimmten ideologischen Formationen zum Inhalt, in denen die Personen, eingelassen in diese Strukturen, ihre Funktion leben. Es genügt nicht zu wissen, dass die okzidentale Familie patriarchalisch und exogam ist (Verwandtschaftsstruktur), darüber hinaus muss man die ideologischen Formationen durchleuchten, die Vaterschaft, Mutterschaft [, Ehe] und Kindheit bestimmen. (…). Diese spezifischen Ideologiebildungen bedürfen noch ausgiebiger Erforschung. Dies ist eine Aufgabe des historischen Materialismus.« (Althusser 1970, 35f.)

Aber in späteren Formulierungen (und noch mehr in der von Lacan ausgelösten Flut, die gefolgt ist) ist diese Vorsicht in einem wahren Sturm der Bekräftigung aus dem Fenster geweht worden. In der bekannten Rutschpartie ist aus der Formulierung »das Unbewusste ist wie eine Sprache strukturiert« die Behauptung geworden: »das Unbewusste ist dasselbe wie der Eintritt in Sprache, Kultur, Sexualität, Ideologie und so weiter.«

Ich habe versucht, zu einer viel produktiveren und einfacheren Art, über Ideologie zu denken, zurückzugehen, die ich ebenfalls in Althussers Werk finde, allerdings nicht in den modischen späten Texten. Obwohl unser konzeptioneller Apparat extrem verfeinert und ›fortgeschritten‹ ist, so stehen wir, was das wirkliche Verstehen, was grundlegende Untersuchungen und Fortschritt hin zum Wissen in einer echt ›offenen‹, das heißt wissenschaftlichen Weise betrifft, doch erst am Beginn eines langen und schwierigen Wegs. Auf diesem Langen Marsch kommt Für Marx früher als die phantastischen Höhenflüge, in die sich der Essay über Ideologie und ideologische Staatsapparate zum Teil verliert. Deshalb sollten die frühen Texte aber nicht am Wegrand zurückgelassen werden. Widerspruch und Überdeterminierung enthält eine reichere Auffassung von Determinierung als Das Kapital lesen, obwohl sie theoretisch nicht so stringent ist. Für Marx enthält eine reichere Auffassung der Ideologie als Ideologie und ideologische Staatsapparate, obwohl sie nicht so umfassend ist.

 

Ein ideologisches Feld lesen

Ich möchte ein knappes persönliches Beispiel dafür geben, wie einige der Althusser’schen Auffassungen zur Ideologie uns erlauben, über spezifische ideologische Formationen zu denken. Ich möchte über jenen bestimmten Komplex von Diskursen nachdenken, der die Ideologien von Identität, Ort, Ethnizität und soziale Formation rund um den Begriff ›schwarz‹ betrifft. Solch ein Begriff »funktioniert wie eine Sprache«. Tatsächlich. Tatsächlich funktioniert er wie Sprachen, da die Formationen, in denen ich den Begriff ansiedle, und zwar basierend auf meinen eigenen Erfahrungen in der Karibik und in Großbritannien, nicht genau der amerikanischen Situation entsprechen. Nur auf der ›chaotischen‹ Ebene der Sprache als solcher sind sie gleich. Tatsächlich finden wir jedoch Verschiedenheiten, Besonderheiten innerhalb verschiedener, wiewohl verwandter, Geschichten.

Zu verschiedenen Zeiten in meinen dreißig Jahren in England bin ich als ›farbig‹, ›Westinder‹, ›Neger‹, ›schwarz‹, ›Einwanderer‹ angesprochen oder angerufen worden. Zuweilen auf der Straße, zuweilen an Straßenecken, zuweilen beleidigend, zuweilen freundlich, zuweilen zweideutig. (Ein schwarzer Freund von mir wurde von seiner politischen Organisation wegen ›Rassismus« gemaßregelt, weil er sich, um die weiße Nachbarschaft aufzuschrecken, in der wir beide als Studenten lebten, spätabends vor mein Fenster stellte und sehr laut »Neger« rief, um meine Aufmerksamkeit zu wecken!) Alle schreiben mich einem ›Platz‹ in einer bedeutungstragenden Kette ein, die Identität über die Kategorien von Hautfarbe, Ethnie und Rasse konstruiert.

In Jamaika, wo ich meine Kindheit und Jugend verbrachte, wurde ich ständig als ›farbig‹ angerufen. Dieser Begriff wurde so mit anderen Begriffen in den Syntaxen von Rasse und Ethnizität artikuliert, dass er die Bedeutung bekam: ›nicht schwarz‹. Die ›Schwarzen‹ waren die übrigen – die große Mehrheit der Leute, das gewöhnliche Volk. ›Farbig‹ zu sein hieß, zu den ›gemischten‹ Reihen der braunen Mittelklasse zu gehören, ein wenig über den anderen – zumindest in den Ansprüchen, wenn auch nicht in Wirklichkeit. Meine Familie legte großen Wert auf diese fein abgestimmten klassifikatorischen Unterschiede und beharrte auf dem Begriff, da er viel in Bezug auf die Unterschiede von Klasse, Status, Rasse und Hautfarbe bedeutete. Tatsächlich klammerten sie sich durch dick und dünn daran, wie an die letzte ideologische Verteidigungslinie. Sie können sich vorstellen, wie peinlich berührt sie waren, als sie entdeckten, dass ich in England von den Einheimischen genau deshalb als ›farbig‹ angerufen wurde, weil ich für diese doch in allen Belangen ›schwarz‹ war. Kurzum, derselbe Begriff hatte sehr verschiedene Konnotationen, weil er in verschiedenen »Systemen von Differenzen und Äquivalenzen« operierte. Die Position innerhalb der verschiedenen bedeutungstragenden Ketten ›bedeutet‹, nicht die wörtliche, fixierte Beziehung zwischen einem isolierten Begriff und einigen designierten Positionen im Farbspektrum.

Das karibische System wurde durch das fein abgestufte Klassifikationssystem der kolonialen Diskurse über Rasse organisiert, angeordnet auf einer ansteigenden Skala bis zum höchsten Wert ›weiß‹ – letzterer ständig außer Reichweite, der unmögliche, ›abwesende‹ Begriff, dessen Abwesenheit/Anwesenheit die ganze Kette strukturierte. Im heftigen Kampf um einen Platz und eine Position, der abhängige Gesellschaften charakterisiert, hatte jeder Grad auf der Skala eine große Bedeutung. Im Gegensatz dazu war das englische System um eine einfachere binäre Dichotomie herum organisiert, die der kolonisierenden Ordnung angepasst war: ›weiß/nicht-weiß‹. Bedeutung ist keine durchsichtige Spiegelung der Welt in der Sprache, sondern erwächst aus den Differenzen zwischen Begriffen und Kategorien, den Bezugssystemen, die die Welt klassifizieren und auf diese Weise erlauben, dass sie vom sozialen Denken, vom common sense [Alltagsverstand] angeeignet wird.

Bin ich als ein konkretes, lebendes Individuum tatsächlich irgendeine dieser Anrufungen? Kann mich irgendeine davon ausschöpfen? Tatsächlich ›bin‹ ich nicht die eine oder andere dieser Arten, mich zu repräsentieren, obwohl ich zu verschiedenen Zeiten jede von ihnen gewesen bin und zu einem gewissen Grad einige von ihnen immer noch bin. Aber es gibt kein essentielles, einheitliches ›Ich‹ – nur das fragmentierte, widersprüchliche Subjekt, das ich werde. Viel später begegnete mir ›farbig‹ erneut, diesmal von der anderen Seite her. Zur selben Zeit, als mein Sohn das Farbspektrum lernte, versuchte ich ihm beizubringen, er sei ›schwarz‹, doch er sagte mir ständig, er sei ›braun‹. Natürlich war er beides.

Gewiss, ich stamme aus der Karibik – obwohl ich als Erwachsener immer in England gelebt habe. Tatsächlich ist die Beziehung zwischen ›Westinder‹ und ›Einwanderer‹ für mich sehr komplex. In den 1950er Jahren bedeuteten die beiden Begriffe dasselbe. Nun ist der Begriff ›Westinder‹ sehr romantisch. Er verbindet sich mit Reggae, Cuba libre, Sonnenbrillen, Mangos und dem ganzen tropischen Fruchtsalat in Dosen, der von den Kokospalmen fällt. Das ist ein idealisiertes ›Ich‹. (Ich wünschte mir, ich würde mich häufiger so fühlen.) ›Einwanderer‹ kenne ich ebenfalls gut. Darin steckt gar nichts Romantisches. Damit wird man so eindeutig platziert, als ob man in Wirklichkeit woanders hin gehörte. »Und wann gehst du heim?« Man ist Teil von Margaret Thatchers »fremdem Keil«. In Tat und Wahrheit habe ich die Art, wie mich dieser Begriff positioniert, erst relativ spät begriffen – und die ›Anrufung‹ erfolgte bei jener Gelegenheit aus einer unerwarteten Richtung. Bei einem kurzen Aufenthalt in der Heimat sagte meine Mutter zu mir: »Hoffentlich halten sie dich drüben nicht für einen dieser Einwanderer«. Welch ein Schock des Wiedererkennens. Ich wurde auch bei vielen Gelegenheiten durch jenen anderen, abwesenden, unausgesprochenen Begriff ›angesprochen‹, jenem, der nie da ist, der ›amerikanische‹, nicht einmal durch ein großes ›N‹ gewürdigte. Das ›Schweigen‹ um diesen Begriff war vermutlich das beredteste von allen. Positiv besetzte Begriffe ›bedeuten‹ wegen ihrer Position in Bezug zum Abwesenden, Unbesetzten, Unausgesprochenen, Unsagbaren. Bedeutung entsteht aus Beziehungen innerhalb eines ideologischen Systems von Anwesenheiten und Abwesenheiten. »Fort, da.«

Althusser sagt in einer umstrittenen Stelle im Essay über Ideologie und ideologische Staatsapparate, dass wir »immer-schon« Subjekte sind. Tatsächlich bestreiten Hirst und andere das. Falls wir »immer-schon« Subjekte wären, müssten wir mit der Struktur des Wiedererkennens und den Mitteln geboren werden, uns selbst mit einer bereits geformten Sprache zu positionieren. Dagegen gebraucht Lacan, auf den sich Althusser und andere berufen, Freud und de Saussure, um zu zeigen, wie diese Struktur des Wiedererkennens geformt wird (durch die Spiegelphase und die Lösung des Ödipus-Komplexes, und so weiter). Aber lassen wir diesen Einwand einmal beiseite, denn in dem, was Althusser sagt, steckt eine tiefere Wahrheit über die Ideologie. Wir erleben Ideologie, als ob sie frei und spontan in uns entstehe, als ob wir ihre freien Subjekte wären, ›für uns selbst arbeitend‹. Tatsächlich aber werden wir gesprochen und wird für uns gesprochen, durch die ideologischen Diskurse, die uns bereits bei der Geburt erwarten, in die wir geboren werden und unseren Platz finden. Das Neugeborene, das laut Althussers Lesart von Lacan die Mittel erwerben muss, innerhalb des Kulturgebots platziert zu werden, wird bereits erwartet, benannt, im Voraus positioniert durch »die Formen der familiären Ideologie, sei sie nun väterlich, mütterlich, die der Ehepartner oder brüderlich« (Althusser 1973, 162).

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?