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2.4.2 Absage an die Behauptung der Apriorität theologischer Aussagen

Hans Urs von Balthasars Theologie läuft ohne jede Frage schon in ihrer Grundkonzeption quer zum heute gängigen theologischen Denken. Sein unbedingtes Festhalten an einer metaphysischen Fundierung der Theologie mag denn wohl auch so manchem als mit modernem Denken grundsätzlich nicht mehr vermittelbar erscheinen. Ich meine aber dennoch, ein differenzierteres Hinschauen auf die Stärken und Schwächen kann zu einer deutlich anderen Einschätzung führen.

Balthasars Anliegen ist nämlich wider den ersten Anschein keineswegs ein stures Beharren auf Althergebrachtem. Eine bloße Fortführung der Hoch- und Spätscholastik wäre seiner Überzeugung nach philosophisch wie theologisch unzureichend.483 Worum es ihm vielmehr geht, ist eine Transformation klassischer Lehren mit dem Ziel der gegenseitigen Befruchtung von modernem und tradiertem Denken. In intensivster Auseinandersetzung mit der neuzeitlichen Theologie deckt Balthasar auf, was er als ihre Schwachstellen erkennt. Woran seiner Auffassung nach alle unterschiedlichen Strömungen gleichermaßen kranken, ist ihre Anthropozentrik. Spätestens seit Kant gilt der Mensch als Norm und Maß alles Denkbaren und damit des Gedachten, womit auch „der Bezugspunkt zwischen Philosophie und Evangelium ins Subjekt verlegt wird.“484 Balthasar macht nun völlig zu Recht darauf aufmerksam, dass Gott als Gegenstand theologischen Denkens dagegen grundsätzlich aller menschlichen Normierung entzogen ist. Die anthropozentrische Denkform muss daher, so seine Schlussfolgerung, in der Theologie notwendig fehl gehen, entweder, indem sie zu viel Wissen vorgibt (Bewältigungsdenken), oder aber indem sie Gott kategorisch zum ganz Anderen und Fremden erklärt, über den der Mensch letztlich nichts wissen kann (dialektische/negative Theologie), womit sie aber das Offenbarwerden Gottes in Jesus Christus verkennt. Die Gefahren, auf die Balthasar hiermit aufmerksam macht, sind m. E. nicht grundsätzlich von der Hand zu weisen, wenngleich natürlich auch immer im Einzelfall zu prüfen ist, ob und wenn ja in welcher Weise ein theologischer Ansatz ihnen erliegt.

Balthasar jedenfalls sieht sich angesichts der Aporien modernen Denkens dazu bewogen, seinerseits einen Denkweg zu suchen, der die neuzeitliche anthropologische Wende mitvollzieht, dabei aber streng theozentrisch ausgerichtet, d. h. objektbezogen ist und so die Gefahren der anthropologischen Reduktion vermeidet. Deshalb also hält er an einem den Menschen über sich selbst hinaus auf Gott verweisenden metaphysischen Seinsdenken fest, nicht aber ohne „Korrekturen an einer ‚statischen Essenztheologie‘, …. welche das Verhältnis zwischen Gott und Welt in ontologischen Kategorien beschreibt“485, vorzunehmen. Statt nämlich, wie die klassische Metaphysik, bei einem abstrakten Seinsbegriff anzusetzen, nimmt er seinen Ausgangspunkt bei der konkreten Gestalt Jesu Christi, von der her das Sein allererst in seiner Wahrheit als Liebe erkennbar wird. „Von Balthasars Theologie will ein Hinweis auf diese erst durch das Evangelium konkret möglich gewordene Ontologie sein … Sie ist eine trinitarische Ontologie der Liebe.“486 Dadurch aber bricht er die zeitlose Starre des Allgemeinbegriffs auf und findet zu einem dialogischen Seinsverständnis. Sein ist demnach wesentlich ein Nicht-an-sich-Halten, ein Sich-Entäußern.487 Entsprechend weist von Balthasar auch den Akt der Erkenntnis der Wahrheit weltlichen Seins als Beziehungsgeschehen zwischen dem erkennenden Subjekt und dem sich zu erkennen gebenden Objekt aus.

Wesentlich anders dagegen beschreibt er dann allerdings den Prozess der Gotteserkenntnis im Sinne der Enthüllung des unendlichen Seins. Eine sich in der Erkenntnis subjekthafter, i. e. geistbegabter und somit in ihren Äußerungen freier Objekte bereits vollziehende Verlagerung der Aktivität vom Subjekt auf das Objekt, womit dem Subjekt eine primär passiv-rezeptive Rolle zukommt, schlägt seiner Überzeugung nach hier in eine vollends einseitige Handlung um. Gott als das absolut freie Subjekt ist demnach gleichermaßen Objekt wie auch Subjekt der Erkenntnis. „Diese Bestimmung ist ganz strikt zu nehmen, ja im Sinne der Identität.“488 Gotteserkenntnis ist so verstanden letztlich ein Monolog.

An dieser für sein Theologieverständnis so zentralen Stelle erscheint mir nun allerdings die Gedankenführung Balthasars nicht stringent. Die in der meta-anthropologischen Hinwendung zum konkreten erkennenden Subjekt zunächst gewonnenen Einsichten in die Wechselseitigkeit seiner Beziehung zum Objekt werden plötzlich wieder in ein meta-physisches Verständnis rückgewendet (oder doch zumindest von einem solchen überlagert), wonach die Wahrheit einseitig beim Objekt liegt. Damit aber entstehen unweigerlich zumindest zwei Widersprüche innerhalb der Gesamtkonzeption. Zum einen wird die mit Verständnis von Wahrheit als Enthülltheit des Seins implizit ausgesagte Einheit von Ontologie und Noetik aufgelöst. Es ist nämlich nicht einsehbar zu machen, wie sich das göttliche Sein monologisch als absolute Liebe enthüllen könnte. Der Ausdruck von Liebe besteht notwendig in der Zuwendung zum Geliebten, und Liebe als solche erkennen kann nur der, der sich auf diese Zuwendung einlässt.489

Zum anderen, und das ist das zentrale Problem, ist nicht mehr ersichtlich, in welchem Sinne die Erkenntnis der göttlicher Wahrheit wirklich noch als menschliche Erkenntnis zu verstehen ist, worin also der freie geistige Beitrag des Menschen zum Erkennen Gottes besteht. „Das wirft die Rückfrage auf, ob Balthasars rezeptive Ästhetik nicht doch zu wenig auf die Voraussetzungen reflektiert, die beim Adressaten der Offenbarung gegeben sein müssen, damit diese als solche bei ihm ankommen kann.“490

Dies gilt umso mehr, als Balthasars radikale Absage an „jede noch so existentielle Form von Kantianismus in der Theologie“491 als das Phänomen der Offenbarung verfälschende und somit letztlich verfehlende Perspektive keineswegs mit Notwendigkeit aus seinem Verständnis der Offenbarungsgestalt abzuleiten ist. Demnach liegen Zentrum und zugleich Höhepunkt der göttlichen Selbstmitteilung in der Person Jesu Christi, wodurch die Bedeutung aller anderen heilsgeschichtlichen Ereignisse aber keineswegs geschmälert wird. Vielmehr konvergieren sie alle auf diesen Einheitspunkt hin, erhalten von ihm her ihren letzten Sinn und schließen sich so zu einer Gestalt zusammen. Wenn aber jedes Moment der Heilsgeschichte in diesem Sinne konstitutiv für die Gesamtgestalt ist, so ist mit Erhard Kunz zumindest zu fragen, „ob die Offenbarungsgestalt von den Erwartungen, Sehnsüchten und Bedürfnissen der Menschen in der radikalen Weise unabhängig ist, wie Balthasar es … betont. Geht nicht in das Entstehen und Werden dieser Gestalt in der Geschichte Israels das Verlangen der Menschen nach Frieden, Gerechtigkeit, Gemeinschaft, Leben mit ein?“492

Um an dieser Stelle kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Zweifellos ist im Sinne Balthasars an der völligen Unableitbarkeit der Offenbarung Gottes aus menschlichen Befindlichkeiten festzuhalten. Gleichwohl wird man in umgekehrter Blickrichtung zu der Einsicht gelangen können, dass die menschlichen Grundbedürfnisse und Erwartungen durchaus als konstitutive Bestandteile in die Offenbarung eingeborgen sind. Ist dem aber so, „dann braucht man nicht abzuwehren, daß diese Erwartungen auch bei der Wahrnehmung und der Erkenntnis der Offenbarungsgestalt eine wichtige Rolle spielen, insofern sie den Horizont mitkonstituieren, in dem die Offenbarungsgestalt erst gesehen und verstanden werden kann.“493 Es ist nicht einzusehen, warum nach Balthasar „die subjektive Bedingung der Möglichkeit des Ansichtigwerdens … nie und nimmer in die Konstitution der objektiven Evidenz miteingreifen“494 darf, wenn man davon ausgehen kann, dass eben jene Bedingung jedem konkreten, subjektiven menschlichen Erkenntnisbemühen zuvor schon Moment des Erkenntnisobjekts ist.

Sicherlich ist Magnus Striet in seiner Vermutung zuzustimmen, dass es „die Tendenz der Selbstverherrlichung des Menschen (ist), die Balthasar die Passivität des Menschen … so stark betonen lässt.“495 Sein primäres Anliegen ist zweifellos, gegen jede Form des Bewältigungsdenkens die absolute Unverfügbarkeit der göttlichen Selbstaussage herauszustellen. Gleichwohl entsteht damit eine deutliche „Spannung … mit der Intention der Theodramatik, die in Gottes unverfügbarer Freiheit gründende Geschichte wirklich … radikal als offene zwischen ihm und den Menschen denken zu können.“496 Ist nämlich die Erkenntnis Gottes dem Menschen nicht zutiefst zueigen, so kann von einer freien personalen Entscheidung keine Rede sein.497 Gerade den absoluten Ernst der menschlichen Entscheidungssituation im Aufeinandertreffen von unendlicher und endlicher Freiheit macht Hans Urs von Balthasar aber in seiner Theodramatik zum Dreh- und Angelpunkt seiner Theologie. Will man dieses Grundanliegen ernst nehmen und wahren, ist auch und gerade im Hinblick auf die Erkenntnis der göttlichen Wahrheit zur Geltung zur bringen, was Balthasar für weltliche Wahrheitserkenntnis herausstellt: „Durch die unlösliche Verbundenheit des Rezeptiven und des Spontanen in der Erkenntnis bekommt das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt und damit auch die Wahrheit eine seltsame Doppelseitigkeit.“498 Von Balthasar her ist an dieser Stelle sicherlich gleich einschränkend zuzugestehen, dass die Begriffe ‚Spontaneität‘ und ‚Rezeptivität‘ angesichts der je größeren Unähnlichkeit dieses Erkenntnisvorgangs mit jedem rein innerweltlich verlaufenden Prozess des Erkennens nur im analogen Sinne Verwendung finden können. Die in der Erkenntnis freier geistiger Objekte zunehmend rezeptive Passivität des Subjektes wird angesichts der absoluten Freiheit Gottes nicht nur weiter vertieft, sondern nimmt notwendig eine neue Qualität an, weil die Erkenntnis Gottes dem Menschen restlos unverfügbar ist. Gleichwohl wird man aber auch betonen müssen, dass Gott sich mit seiner freien und völlig ungeschuldeten Selbstoffenbarung wirklich in die menschlichen Verstehensmöglichkeiten stellt.

 

Balthasar selbst ist sich dessen auch durchaus bewusst, wenn er betont, „der leibhaftige Mensch muß als solcher, und nicht etwa als reiner Geist, der er nicht ist, dieser Offenbarung teilhaft werden können, deshalb ist Gottes Wort, um uns verständlich zu sein, Fleisch geworden, um uns gerade durch sein Fleisch-, das heißt Sterblicher-Mensch-Sein, den Vater zu offenbaren.“499 Als Bedingung dieser Möglichkeit erkennt er, als ein Moment der Analogia entis, eine Analogie der Sprache, wobei „der Akzent auf der Sprache Gottes (liegt), die als das ‚Analogatum princeps‘ zu betrachten ist.“500 Der menschgewordene Sohn kann deshalb die Wahrheit Gottes in der Welt gültig zum Ausdruck bringen, weil er als das Wort Gottes die ewige Selbstaussage des Vaters ist. In umgekehrter Blickrichtung heißt das, der Mensch kann die Offenbarung des göttlichen Seins verstehen, weil er in analoger Weise über Sprache verfügt. Dann aber, so meine ich schlussfolgern zu können, hat er auch, wenn auch gnadenhaft gewährte (denn reine Natur gibt es nicht), so doch eigene, kreatürliche Verstehenszugänge zum Wort Gottes, deren Gott sich bedienen kann, um sich kund zu tun. „Wenn Gott sein Wort an den geschaffenen Menschen wendet, hat er ihm gewiß einen Verstand verliehen, der mit der Gnade Gottes den Akt des Hörens und Verstehens vollziehen kann.“501 Folgt man Balthasar also in seiner zentralen Annahme einer Seinsanalogie, die alle Sphären menschlichen Daseins, und damit eben auch seine Sprachlichkeit, durchwaltet, so wird man die Behauptung, Gott könne nur von Gott erkannt werden, in balthasarscher Lesart als logischen Bruch erkennen und zurückweisen müssen.

Mit Blick auf die Fundierung theologischer Aussagen auf die Analogie des Seins ist ein weiterer Gedanke anzuschließen. „Analoge Rede ist … keine Rede in Definitionsform oder in exaktem Schlussverfahren, sondern eine Rede nach der Anschaulichkeit. Analogie ist also dem technischen Gebrauch nach eine Denkstruktur, dem methodischen Gebrauch nach eine Kunst des Sehens.“502 Balthasars innovativer Einsatz mit einer theologischen Wahrnehmungslehre ist demnach, so wird man zunächst einmal festhalten können, also nur konsequent. Die Wahrheit des göttlichen wie kreatürlichen Seins erschließt sich dem Menschen seiner Überzeugung nach einzig in der Anschauung der konkreten Offenbarungsgestalt Jesu Christi. Von einer Seinsanalogie kann in diesem Sinne nur aposteriori gesprochen werden; diese Einsicht „kommt dann nicht mehr aus der Hochfahrt des Gedankens, sondern kommt aus der erfahrenen Anerkenntnis dessen, daß Gott ihr in seiner Selbstoffenbarung erst die Grundlage schuf.“503

Indem Balthasar seinerseits die Erfahrung der Liebestat Gottes als Ausgangspunkt jeder Seinserkenntnis begreift, stellt er sich definitiv in den Horizont modernen Denkens. „Erfahrung ist einer der Schlüsselbegriffe der Neuzeit. Die neuzeitliche Wissenschaft beruft sich gegen das überkommene spekulativ-metaphysische Erkenntnisideal auf sie als die entscheidende Erkenntnisquelle. Die neuzeitliche Bezugnahme auf Erfahrung richtet sich also gegen eine ungeprüfte Übernahme überlieferter Traditionen oder Begriffssysteme“504. Ganz in diesem Sinne ist Balthasars Absage an jede Form abstrakt-rationalistischer Seinsphilosophie ebenso eindeutig wie radikal: „Mit Christus setzt Gott seine größte und unerwarteteste Tat, und es ist keine Rede davon, daß durch ihn die Offenbarungswahrheit aus der Form der Tat- und Geschichtswirklichkeit in die Form der geschichtslosen Systematik überführt worden wäre.“505 Die Verwendung der seinsphilosophischen Konzeption einer Analogia entis zur Klärung theologischer Fragen gilt ihm denn auch nur als legitim, weil und insofern sie der der Erfahrung göttlicher Selbstoffenbarung in Jesus Christus angemessene menschliche Ausdruck ist.506

Wenn aber Leben und Wirken Jesu auf kein wie auch immer geartetes System rückführbar sind, gibt es keinerlei logische Notwendigkeit, in seiner Existenz eine Offenbarung göttlichen Seins zu erkennen. „Um in diesem (= Jesu; S. H.) Leben die freie Selbstentäußerung Gottes erkennen zu müssen, müsste ja zumindest immer bereits vorausgesetzt und dann auch philosophisch gezeigt werden können, dass ein freier Gott existiert. Spätestens dann, wenn die mögliche Existenz des freien Gottes philosophisch vielleicht plausibilisiert, in den Bereich des denkbar Möglichen gerückt, aber nicht bewiesen werden kann, bieten sich andere Ausdeutungsmöglichkeiten Jesu an“507. Die balthasarsche Anwendung der Analogielehre auf das Christusereignis im Sinne einer Denkstruktur, die gerade nicht den Anspruch erhebt, Beweiskraft zu besitzen, die sich vielmehr von der konkreten, personalen Erfahrung her nahe legt, erscheint mir daher grundsätzlich angemessen. Damit aber, und darin erkenne ich dann doch wieder einen Bruch im Denken Balthasars, ist seine Rede von der objektiven Evidenz der Offenbarungsgestalt hinfällig508. Der logische Zirkel, in den Balthasar sich damit verstrickt, weil er ein sicheres Wissen um Gott behauptet, das es weder apriori noch aposteriori je geben kann, liegt nach meinem Verständnis nicht in seiner Annahme einer Seinanalogie begründet, sondern ergibt sich vielmehr gerade aus einer gewissen Inkonsequenz in der gedanklichen Durchführung: Dem offenbarungstheologischen Ansatz bei der Erfahrung der göttlichen Zuwendung in der Begegnung mit Jesus Christus wird mit der Behauptung objektiver Evidenz ein apriorischer Begriff absoluten Seins vorausgesetzt.

Dass die Aufgabe der Behauptung objektiver Evidenz der göttlichen Offenbarung nun nicht umgekehrt Unverbindlichkeit und Beliebigkeit der christlichen Botschaft meint, ergibt sich mit dem balthasarschen Wahrheitsverständnis. Wahrheit, wie sie aus der konkreten Begegnung von Subjekt und Objekt erwächst, wird in ihrer existentiellen Bewährung zur unumstößlichen Gewissheit. Das gilt auch für die Erkenntnis der göttlichen Wahrheit. Erfährt ein Mensch in der lebendigen Begegnung mit dem Zeugnis Jesu Christi das Sein Gottes als Liebe, so wird ihm diese Wahrheit zur sicheren Erkenntnis. Die Bewahrheitung der Erfahrung Gottes liegt somit in der Erfahrung selbst. Einzig in diesem Sinne ist dem balthasarschen Diktum von der Selbstevidenz der Zusage Gottes durchaus zuzustimmen. „Evidenz ist Autorität.“509

Gleichzeitig aber ist ausdrücklich festzuhalten, dass Evidentes per definitionem gerade nicht mit rationalen Kriterien Begründbares ist; „es kann nur phänomenologisch nahegelegt werden“510. Es kann also keinerlei Zwang geben, die Autorität des Nahegelegten als solche anzuerkennen und sich ihr zu unterstellen. Dies kann immer nur in einem freiwilligen, auf nicht stellvertretend zu machender Erfahrung aufruhendem Akt personaler Zustimmung geschehen. Nur wenn das erkennende Subjekt sich für die Selbstaussage des Objektes öffnet, kann Wahrheit geschehen.511 Dies gilt in höchstem Maße dort, wo der Mensch in der Erfahrung Gottes dem Geheimnis absoluter Liebe begegnet. „Liebe kann als solche nur ankommen, wo sich ein Raum der offenen Erwartung anbietet, in dem sie sich ausbreiten kann“512; nur wo sie in Freiheit auf- und angenommen wird, kann sie sinnkonstituierend wirken. „Dies Geheimnis kann auch in seiner Offenbarung nur in freier, von Gottes Gnade getragener Entscheidung als wahr angenommen, somit geglaubt werden, womit nochmals unterstrichen wird, daß dieser ganze Prozeß der Integration aller Sinnfragmente des Daseins kein stringenter ‚Beweis‘ für die Wahrheit des christlichen Glaubens sein kann.“513 Lässt der Mensch sich aber auf die Erfahrung ein, so kann ihm die Erkenntnis Gottes zuwachsen und zur Gewissheit werden. „Das ist Er-fahrung im umfassendsten Sinn: Einsicht durch Fahrt. Diese Einsicht kann nicht anders gewonnen werden, als indem man sie eben macht“514.

Denkt man von hier aus konsequent weiter, so wird man, wie ich meine, schlussfolgern müssen, dass dort, wo, aus welchen Gründen auch immer, die konkrete, personale Erfahrung ausbleibt, Erkenntnis sich schlechterdings nicht ereignen kann. M. E. erweist sich also auch aus dieser Perspektive noch einmal die Unhaltbarkeit der Behauptung objektiver Evidenz der Offenbarungswahrheit. Es gibt, nimmt man Balthasar wirklich beim Wort, keinerlei logische Notwendigkeit, das Sein Gottes und die Faktizität einer göttlichen Selbstoffenbarung anzuerkennen. Wohl aber gibt es die Möglichkeit, sich auf das Zeugnis Jesu Christi einlassend, die Wahrheit Gottes zu erfahren und in diesem Licht das Sein als Liebe zu erkennen. „Kriterium für Wahrheit (ist) nicht der Sachgehalt, sondern die Hingabemöglichkeit an diesen Gehalt“515.

Führen wir uns an dieser Stelle kurz vor Augen, worum es in den bisherigen Überlegungen ging: Es wurde der Versuch unternommen, gleichsam mit Balthasar gegen Balthasar zu argumentieren, um auf diesem Wege logische Widersprüchlichkeiten und Brüche innerhalb seines Denkgebäudes aufzudecken. Es wurde weiterhin versucht, die fundamentalen Neuansätze Balthasars ernst zu nehmen und auf ihrer Linie weiterzudenken, um Ungereimtheiten so letztlich werkimmanent aufzulösen. Damit fand ein methodisches Vorgehen Anwendung, das Balthasar seinerseits selber bemüht, wenn er in seiner Auseinandersetzung mit der Geistesgeschichte in den Strukturen der verschiedenen Philosophien und Theologien gegen diese denkt.516 Indem Balthasar dergestalt als seine eigene Negativfolie verwandt wurde, hat sich, wie ich denke, gezeigt, dass seine meta-anthropologische Transposition der klassisch-metaphysischen Seinslehre geeignet ist, deren apriorischen Seinsbegriff zu überwinden und zu einem aposteriorischen, aus der Erfahrung der göttlichen Selbstoffenbarung in Jesus Christus erwachsenen Seinsverständnis zu gelangen.

Mit dem apriorischen Seinsbegriff fällt nun aber zugleich auch das Apriori der Theologie vor der Philosophie. Balthasar selbst begründet die Vorrangstellung der Theologie mit seiner Bestimmung des Verhältnisses von Natur und Gnade. Zur Erinnerung: Reine Natur ist seiner Überzeugung nach eine faktisch nicht existierende Abstraktion. Natur ist immer schon durch göttliche Gnade erhöhte Wirklichkeit. Man mag das so sehen, und aus schöpfungstheologischer Perspektive spricht auch durchaus einiges für eine solche Sichtweise, aber dieses Verständnis setzt bereits die Existenz Gottes voraus, die als solche zwar im Glauben angenommen, nie aber philosophisch bewiesen werden kann. Auch hier also, so wird man jetzt sagen können, verfängt Balthasar sich in einem metaphysischen Zirkelschluss, der mit seinem originären Neuansatz eigentlich schon aufgebrochen ist. Das ausdrückliche Anliegen seiner Theologie ist ja gerade die Zurückweisung aller philosophischen Gottesentwürfe, deren unausweichlichen Grundfehler er darin erkennt, „daß sie von der Endlichkeit her ein in sich befriedigtes Ganzes zu entwerfen unternehmen …, wovon dann das über seine Grenzen hinaus sich sehnende Endliche schließlich doch ein Teil oder Aspekt wäre.“517 Was dem Menschen rein philosophisch, gleichsam in Verlängerung seiner eigenen Endlichkeit ins Unendliche, erdenkbar ist, ist und bleibt abstrakte Maximalität.518 Der lebendige Gott selbst ist unerfindlich und somit nur zu erkennen, indem er erfahren wird. Das aber bedeutet nach meinem Verständnis, es ist intellektuell nur redlich, Gott dort, wo er nicht erfahren wird, auch nicht zum Ausgangs- oder Zielpunkt menschlichen Denkens zu erklären. Die Behauptung einer theologischen Letztbestimmung jeder Philosophie ist deshalb, wie ich meine, vom Grundanliegen Balthasars her nicht aufrecht zu erhalten.

Gleichwohl ist der balthasarschen Hochschätzung der Philosophie als für die Theologie unverzichtbar, uneingeschränkt zuzustimmen. Ganz im Sinne der biblischen Aufforderung: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“ (1 Petr 3,15) eröffnet er damit grundsätzlich eine Anschlussstelle für den Dialog sowohl mit Nichtoder Andersgläubigen wie auch mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Was Balthasars eigene Arbeit anbelangt, so ist festzustellen, dass er seinerseits die Chance, über seinen Ansatz auch mit den positiven Wissenschaften ins Gespräch zu kommen, weitestgehend ungenutzt lässt. „Er weiß um den Wert der ‚Humanwissenschaften‘, er bewundert deren Errungenschaften, aber er lehnt die Sklaverei ihres Totalitarismus ab.“519 Diese persönlichen Vorbehalte verunmöglichen es ihm wohl, selbst das offene Gespräch zu suchen, was aber noch keinesfalls bedeutet, dass es nicht grundsätzlich auch auf der Grundlage seines Ansatzes geführt werden kann. Dies gilt umso mehr, als sich menschliches Denken nach von Balthasar der einen Wahrheit je mehr annähert, desto mehr unterschiedliche Perspektiven es zu vereinen vermag. Wenn in einem kurzen Ausblick am Ende dieser Arbeit der Versuch unternommen werden soll, Möglichkeiten eines Dialogs zwischen Balthasar und der daseinsanalytischen Psychotherapie über das Phänomen pathologischer Angst anzudeuten, so nicht zuletzt, um exemplarisch auf die Dialogfähigkeit des balthasarschen Denkens über die Grenzen der Geisteswissenschaften hinaus aufmerksam zu machen. Jeder Haltung der Vereinnahmung alles Denkens durch das Christliche wird dabei allerdings ausdrücklich eine eindeutige Absage erteilt.520 Die Rede Balthasars von einem „Zirkel der Erschlossenheit zwischen Gott und Mensch“521, wonach „wer im Kreis zwischen Liebe und Geschenk denkt, … von keinem Außenstehenden ‚beurteilt‘ werden (kann), während er sehr wohl alles Außenstehende beurteilen kann“522, steht nach meinem Dafürhalten in deutlicher Spannung zu den ontologischen Grundlagen seiner Theologie und ist daher zurückzuweisen. „Liebe wird in ihrer inneren Wirklichkeit nur von Liebe erkannt.“523 Christliche Wahrheit ist nicht von dieser konkreten, personalen Erfahrung zu abstrahieren und kann somit nicht als allgemein verbindliches Wirklichkeitsverständnis ausgewiesen werden.

 

Mit dieser Einsicht soll nun keineswegs weltanschauliche Beliebigkeit propagiert werden; es sei im Gegenteil ausdrücklich die dem Menschen in der Annahme der christlichen Botschaft zuwachsende Gewissheit betont. Der Grund dieser Glaubensgewissheit liegt in der Offenbarung selbst. In Analogie zum zwischenmenschlichen Bereich entwickelt und entfaltet sich auch die personale Beziehung zwischen Gott und Mensch in der zirkulären Bewegung ihres lebendigen Vollzugs. „Eine vertrauensvolle personale Zuwendung kann überhaupt nur in einem beginnenden Vertrauen wahrgenommen und angenommen werden, obwohl gleichzeitig das Vertrauen nur aufgrund der vertrauensvollen Zuwendung entsteht und in ihr begründet ist.“524 Ist der Mensch bereit, sich auf das Angebot göttlicher Liebe einzulassen, kann und wird sie sich ihm als absolut verlässlich erweisen. Indem das geoffenbarte Versprechen im Laufe eines Lebens dergestalt seine Tragfähigkeit zeigt, wird das in Gott gesetzte Vertrauen zur unbedingten Gewissheit. Diese Gewissheit ist nun aber nicht mit auf empirischen Beobachtungen basierenden oder durch theoretisches Denken gesicherten Gewissheiten zu verwechseln. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine persönliche Lebensgewissheit;525 als solche ist sie nicht stellvertretend zu gewinnen. „Diese Gewissheit kann sich nur einstellen auf der Grundlage eines personal freien Aktes der Glaubenszustimmung. Sie lässt sich einem Menschen nicht durch Argumente oder Beweise ‚andemonstrieren‘.“526 Zur sicheren Erkenntnis der Liebe Gottes kann nur der gelangen, der sie in seinem konkreten Lebensvollzug als zuverlässig erfährt. Und auch nur derjenige wird einem theologischen Wirklichkeitsverständnis intellektuell redlich zustimmen können. Es ist m. E. unbedingt zu akzeptieren, dass weltlich Seiendes anders als christlich interpretiert werden kann und sogar muss, wenn das im Evangelium Geoffenbarte einem Menschen nicht als seinem Leben letzten Sinn stiftend erfahrbar wird. In diesem Sinne wird im Folgenden kein allgemeinverbindlicher Geltungsanspruch theologischer Einsichten erhoben.

Worum es demgegenüber aber sehr wohl gehen kann und muss, ist der Nachweis der Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft. Wäre nämlich der Glaube an die Offenbarung in Jesus Christus als Grundlage jeder Theologie nicht als vernunftgemäß ausweisbar, so wäre der Theologie die Wissenschaftlichkeit abzusprechen und somit auch jedes interdisziplinäre Gespräch hinfällig. Es gilt daher aufzuzeigen, „daß die Offenbarung ein Geschehen ist, das verschiedene Elemente und Dimensionen integriert und gerade in diesem Zusammen dieser Elemente eine nachvollziehbare und einleuchtende innere Kohärenz und Logik besitzt.“527 Glaube meint nicht Irrationalität oder blindes Vertrauen, sondern im Gegenteil Zustimmung des ganzen Menschen, und damit eben auch seiner Ratio zu dem ergehenden Wort Gottes. „Der Glaube erschließt jedoch eine eigene, spezifische und neue Dimension der Vernunft, ohne dass damit die anderen Vernunftdimensionen abgewertet würden.“528 Das Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Sphären der Vernunft ist wohl am zutreffendsten als komplementär zu bezeichnen. Worum es darum auch in theologischen Auseinandersetzungen immer wieder gehen muss, ist die gegenseitige Befruchtung unterschiedlicher Verstehenszugänge. Wenn Balthasar für den Umgang mit weltlicher Wahrheit feststellt, dass „für den Denker … kein anderes Mittel (bleibt), die Wahrheit progressiv zu erfassen, als einerseits das Ernstnehmen der persönlichen Situation, in der er selber steht, und andererseits das Zwiegespräch mit allen anderen ihn umgebenden Perspektiven“529, so ist Analoges meiner Meinung nach unbedingt auch im Hinblick auf die menschliche Erkenntnis der Offenbarungswahrheit geltend zu machen.

Hans Urs von Balthasar selbst mahnt den Theologen durchaus auch selber, die Grenzen der eigenen Einsicht zu respektieren, „indem er die Beschränktheit des Standortes der irdischen Wahrheit bei sich selber und bei anderen erträgt und duldet“ und der Theologie keine „Funktionen zumutet, die sie niemals erfüllen kann und die am wenigsten Christus selber je für sich beansprucht hat: nämlich von einem unbeweglichen Standort aus alle Erfahrungen der Welt, die nur im Wandel gewonnen werden können, vorwegzunehmen, zu richten und gar überflüssig zu machen.“530 In diesem Sinne begreift er den Theologen denn auch als „Fachmann neben anderen“531. Von der grundsätzlichen Unfehlbarkeit der christlichen Wahrheit ist er aber unumstößlich überzeugt. Zwar kann der Mensch die göttliche Wahrheit angesichts ihrer unendlichen Fülle nie in Gänze erfassen und überschauen; in diesem Sinne ist theologische Erkenntnis perspektivisch. Wohl aber ist seiner Überzeugung nach notwendig einzusehen, dass die letzte Wahrheit in der christlichen Botschaft liegt. Deshalb ist der Theologe „‚Fachmann‘ für die unfehlbare Wahrheit Gottes“532 und verfügt damit nach Balthasar über das Kriterium zur Beurteilung jeder weltlichen Wahrheit.

Diese Einschätzung teile ich ausdrücklich nicht, weil ich sie, wie dargelegt, als ein Relikt seinsmetaphysischen Denkens begreife, das in den offenbarungstheologischen Grundlegungen Balthasars bereits überwunden ist. Wenn am Ende dieser Arbeit der Versuch unternommen wird, ausgehend von Balthasars Annäherungen an die Frage der Hölle auf Gesprächsmöglichkeiten mit der daseinsanalytischen Psychotherapie über Phänomene pathologischer Angst hinzudenken, so also erklärtermaßen nicht in der Erwartung, über einen solchen Dialog zu einer Theologie der Angst im Sinne einer alleingültigen Erklärung finden zu können. Worum es auch in einer noch so profunden Untersuchung immer nur gehen könnte, wäre die Eröffnung eines Denk- und Verstehensangebots. Die Theologie Balthasars erscheint mir deshalb wertvolle Ansatzpunkte für eine so verstandene Theologie der Angst zu bieten, weil sie geeignet ist, aus anthropozentrischen Engführungen, und damit aus dem Zirkel des modernen Machbarkeits- und Bewältigungsdenkens, in dem der Mensch sich letztlich immer wieder nur auf sich selbst zurückverwiesen sieht, herauszuführen. Gerade für Menschen, die von diesem Denken überfordert sind und die daran zu scheitern drohen,533 kann, so meine These, die balthasarsche Sicht auf das menschliche Sein eine Trost- und Hoffnungsperspektive eröffnen. Eine Bewahrheitung des so Gedachten ist schlechterdings nicht leistbar. Sie liegt vielmehr in der Sache selbst, sofern sie Moment der göttlichen Offenbarung ist. Es kann also letztlich immer nur die Einladung ergehen, sich für die Erfahrung der Zuwendung und Liebe Gottes zum Menschen zu öffnen, um sich die Wahrheit des (eigenen) Seins von dorther zusagen zu lassen.