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2.1.2.2.1 Formale Struktur des Seins

Zur Bestimmung der formalen Struktur des Seins greift Balthasar die thomanische Lehre von der Realdistinktion, i. e. von einer alles weltlich Seiende durchwaltenden „reale(n) Differenz zwischen dem Sein als Wirklichkeit und den einzelnen Wesen“126 auf. Das Sein, so betont Balthasar immer wieder, ist hier zum letzten Mal Mysterium, bevor es zum eindeutigen Begriff formalisiert wird.127 Sein Anliegen ist es, diese Geheimnishaftigkeit wieder neu bewusst zu machen, um dergestalt einen Ansatzpunkt zur Überwindung der Formalisierung des Seinsbegriffs zu einer Kategorie menschlichen Denkens und somit auch des theologischen Bewältigungsdenkens zu gewinnen. In diesem Sinne also greift er die Realdistinktionslehre auf, um sie ausgehend vom Einzelmenschen über vier Stufen vertiefend zu entfalten.128 „Dabei sieht Balthasar die Differenz nicht nur zwischen … Seienden und Sein, Wesenheiten und Sein sondern zutiefst als die Differenz zwischen allgemeinem Sein und Gott.“129

Ansatzpunkt ist die Erfahrung der Kontingenz des eigenen Daseins, der jeder Mensch in der Begegnung mit anderen Seienden unweigerlich ausgesetzt ist. „Ich kann mich … nie als ein solches Glied am Organismus des Weltseins verstehen, daß ohne mein Dasein dieser Organismus nicht bestehen und heil funktionieren könnte. Ich kann mir nicht die Seinsdignität und den Notwendigkeitsgrad zudenken, die der Welt im ganzen eignen.“130 Es klafft also zunächst einmal eine Differenz auf zwischen der Zufälligkeit des je einzelnen Daseins und der Faktizität des Seins der Welt.

Weil der Mensch nun ein soziales Wesen ist, begreift er zugleich darüber hinaus, „daß alle übrigen Seienden zum Sein im gleichen Verhältnis stehen“131. Somit vertieft sich die Differenz auf einer zweiten Stufe: Weil alle Seienden in Ihrem Wirklich-Sein das Sein als Ganzes in sich haben, ist das Sein keinesfalls mit der Summe der Seienden identisch zu setzen. Vielmehr hat das Sein einerseits eine unerschöpfliche, auch über die Summe aller möglichen Seienden hinausgehende Fülle, wobei es aber andererseits zu seiner Verwirklichung gleichzeitig notwendig auf ein konkretes Seiendes angewiesen ist. Beide Momente, das Da-Sein wie das konkrete So-Sein, sind unlösbar miteinander verbunden, ohne jedoch jemals zusammenzufallen oder auf einander rückführbar zu sein. „Das Ganze der Wirklichkeit existiert je nur im Fragment eines endlichen Wesens, aber das Fragment existiert nicht, es sei denn durch das Ganze des Wirklichseins.“132

An dieser Stelle zeigt sich, dass sich Balthasars „metaphysische Wende zum Singulären“133 keineswegs auf einen rein gnoseologisch motivierten Perspektivenwechsel beschränkt, sondern auch sein Seinsverständnis zutiefst durchdringt. Seine Ausführungen zur thomanischen Lehre von der Realdistinktion weichen nämlich deutlich von der traditionellen Interpretation ab, die ein Gefälle implementierte, indem sie dem Sein die Funktion zusprach, das Wesen ins Dasein zu rufen. Balthasar betont demgegenüber den wechselseitigen Bedingungszusammenhang zwischen Da-Sein und So-Sein.134 „Das Sein ist selber auf die Wesenheiten ‚angewiesen‘.“135 Indem Individualität dergestalt als konstitutives Moment des Seins ausgewiesen wird, wird ihr zugleich eine ganz neue Dignität zugesprochen.136

Balthasars Sicht auf die ontologische Differenz impliziert aber noch ein Weiteres. Wenn nämlich jedes Seiende seinem Wesen nach immer in der unauflösbaren Spannung zwischen der Überfülle der Seinsmöglichkeiten und seinem faktischen So-Sein steht, dann ist „das Wesen … also weit davon entfernt, jeweils verwirklicht zu sein.“137 Vielmehr ist weltliches Sein als eine unaufhaltsame Bewegung, als ein Pendeln zwischen den beiden Polen zu beschreiben. In diesem Sinne ist „eine mit der Dasein-Sosein Polarität im endlichen Seienden unmittelbar mitgegebene Struktur … dessen Zeithaftigkeit.“138 Zeit wird zunächst einmal als Gegenwart erfahren; „in ihr meldet sich das Da des Seins“139. Weil nun aber die Fülle des Seins immer weit über die an ihr teilhabende konkret daseiende Verwirklichung hinausgeht, wohnt jedem Dasein zugleich die Verheißung zukünftiger Möglichkeiten inne. „Zukunft ist der Überschuß über die Gegenwart, der aber nicht hinter, sondern gerade in ihr verborgen liegt“.140 Balthasar geht deshalb so weit zu mutmaßen, Realdistinktion und Zeit seien letztlich nichts anderes, als zwei unterschiedliche Perspektiven auf dieselbe Wirklichkeit.141 Er rückt also deutlich von dem zeitlos-statischen Seinsbegriff der klassischen Metaphysik ab und setzt seinerseits ein Verständnis dagegen, wonach „das Phänomen der Zeit ins Herz der geschöpflichen Ontologie hinein gehört“142.

In der Erkenntnis der wechselseitigen Bedürftigkeit von Sein und Seiendem wird nun nach Balthasar das menschliche Denken weitergetrieben. Indem es begreift, dass das Sein keinen Bestand in sich hat, muss es auf einer dritten Stufe unweigerlich auch einsehen, „daß das Sein im ganzen oder das Wirklichsein alles Wirklichen die wirklichen Wesenheiten nicht aus sich selber entlässt, weil verantwortendes Auszeugen von Formen selbstbewußten freien Geist voraussetzen würde.“143 Hinter dem zu seiner Verwirklichung auf das Seiende angewiesenen und in diesem Sinne unfreien Sein muss also notwendig ein dieses Sein und damit auch alles weltlich Seiende begründendes, freies, subsistierendes, absolutes Sein gedacht werden. An der Nichtsubsistenz des Seins „bricht … die letzte (vierte; S. H.) Tiefe der Differenz, die Gegenüberständigkeit von Gott und Welt auf.“144

Damit nun sieht Balthasar die thomanische Definition des Seins als „die erste von Gott ausströmende Weltwirklichkeit, woran teilnehmend alle Wesen wirklich sind“145, eingeholt. Er erkennt gerade darin die „schöpferische Hauptleistung“146 des Thomas, in aller Deutlichkeit zwischen dem Sein als Weltwirklichkeit und Gott als Quelle eben dieser Wirklichkeit unterschieden zu haben. Zum einen wird dadurch natürlich „Gott … über alles Weltsein, alle Berechenbarkeit und Anzielbarkeit hinaus entrückt, als das ernstlich Ganz-Andere“147. Indem Balthasar diese Bestimmung seinerseits über einen anthropologischen Zugang zu bestätigen sucht, trägt er also zunächst einmal seinem Anliegen Rechnung, das absolute Sein Gottes auf auch für heutiges Denken plausible Weise als jedem Zugriff durch die menschliche Vernunft grundsätzlich entzogen auszuweisen und so jedwedem Bewältigungsdenken den Boden zu entziehen. „Gott kann von der Welt aus nicht dadurch ‚konstruiert‘ werden, daß dem ‚einfachen, unteilbaren, aber nicht subsistierenden‘ Wirklichen eine un-endliche Wesenheit gleichgesetzt wird“148.

Zum anderen aber führt diese aus der Betrachtung der formalen Struktur erwachsene fundamentale Unterscheidung zwischen Gott und Sein von Balthasar auch zur Bestimmung der inhaltlichen Struktur des Seins.

2.1.2.2.2 Materiale Struktur des Seins

Das Sein, so haben wir gesehen, ist wesentlich Fülle von Möglichkeiten, die aber in weltlich Seiendem nie zu ihrer vollen Entfaltung kommen kann. „Diese Fülle kann sich nur einmal absolut ausbreiten: in Gott“149. Gott ist in sich absolut erfüllt und in diesem Sinne des Seins der Welt gänzlich unbedürftig. Die Existenz der Welt unterliegt daher keiner wie auch immer zu denkenden Notwendigkeit; sie ist völlig ungeschuldete Gabe. Gottes „Fülle (ist) als solche reine Mächtigkeit … aus deren Mögen alles Mögbare als das Vermögen hervorgeht, deshalb reine Freiheit, und als nicht an sich haltende … Freiheit reine Schenkung und Liebe.“150 In seiner Unterscheidung von Gott, und nur hier, so wird man mit Balthasar sagen müssen, ist das Sein nicht anders zu verstehen, denn als freie Gabe der Liebe. „Eben wenn das Geschöpf sich im Sein von Gott abgerückt fühlt, weiß es sich aufs unmittelbarste von Gottes Liebe erdacht“151. „Der metaphysische Ansatz im Denken und Werk Hans Urs von Balthasars verdichtet sich zur Kurzformel: Sein als LIEBE. Sein und Liebe sind koextensiv.“152

Diese Aussage erwächst einmal mehr aus dem unlösbaren Ineinander von Philosophie und Theologie im Denken Balthasars. Zu der Einsicht, dass Sein gleichbedeutend mit Liebe ist, vermag die menschliche Vernunft nämlich keinesfalls von sich aus zu gelangen; sie ist vielmehr nur von der Selbstoffenbarung göttlich-trinitarischer Liebe in Jesus Christus her möglich. Die metaphysische Einsicht in die Gott-Welt-Differenz bildet zwar den notwendigen Verstehenshorizont, in den hinein Offenbarung allein ergehen kann, ihre Vollendung findet die Metaphysik aber nur in der Reflexion auf das Offenbarungsgeschehen. „Vom theologischen Apriori her, d. h. von der gesamten Heilsgeschichte, die in Jesus Christus ihren Höhepunkt hat, klärt sich der Seinsbegriff.“153 In diesem Licht erst kann der Mensch begreifen, dass sein Gott-gegenüber-Stehen Geschenk der Anteilgabe am göttlichen Liebesgeschehen ist. Damit aber erscheint das Sein als personale Beziehung. „Das Seinsverständnis, das in von Balthasars gesamtem Werk waltet, ist ein ‚dialogisches‘. Nicht das Sein als Bei-sich-Sein, sondern das Sein als Gespräch und Begegnung bestimmt das Denken.“154

Mit diesem Verständnis des Seins rücken nun notwendig auch seine Eigenschaften, in ein neues Licht. Das Sein ist ein sich mitteilendes, an sich teilgebendes; Sein ist Liebe. „Liebe wird in ihrer inneren Wirklichkeit nur von Liebe erkannt.“155 Sein verstanden als Liebe kann daher nur in liebender, i. e. interessenloser Hinwendung zum anderen Seienden erblickt werden. Entsprechend buchstabiert von Balthasar auch die traditionelle Tanszendentalienlehre neu durch. „Die Transzendentalien werden in der Begegnung entdeckt, denn in Wirklichkeit ist jede Begegnung eine Begegnung mit dem Sein und die Transzendentalien sind Eigenschaften des Seins als solchem“156. Auch hier denkt Balthasar also wieder vom konkreten Einzelmenschen in seiner existentiellen Ausrichtung auf ein Gegenüber her. Erkenntnis des Seins und seiner Eigenschaften kommt ihm nicht etwa in theoretischer Reflexion auf ein abstraktes, allgemeines Sein zu, sondern einzig in der konkreten Begegnungssituation. Balthasar bleibt also auch in seiner Interpretation der klassischen Lehre von den Transzendentalien seiner meta-anthropologischen Perspektive treu.

 

Fundiert und ermöglichend begründet werden in seiner Sichtweise alle bewussten, differenzierenden Erfahrungen des Seins, die ein Mensch im Laufe seines Lebens macht, in einer vorreflexiven metaphysischen Urerfahrung, die dem Kind in der liebenden Zuwendung seiner Mutter zuteil wird. „Sein Ich erwacht an der Erfahrung des Du: am Lächeln der Mutter, durch das es erfährt, daß es in einem unfaßlich-Umgebenden, Schon-Wirklichen, Bergenden und Nährenden eingelassen, bejaht, geliebt wird.“157 In dieser ganzheitlichen Erfahrung erschließt sich nach Balthasar das Sein als solches in unüberholbarer Weise. „Alles, restlos alles, was später hinzutreten mag und unweigerlich dazukommen wird, muß Explikation dieser ersten Erfahrung bleiben“158, die wesentlich als eine Erfahrung des Verdanktseins, des Sich-Empfangens aus der Liebe der Mutter zu beschreiben ist. In diesem einen Moment erschließt sich das Sein in seiner ganzen Fülle und zeigt dem Kind gleichzeitig vier Dinge: „1. Daß es ‚eins‘ ist in der Liebe mit der Mutter, obwohl ihr gegenübergestellt, also daß alles Sein ‚eins‘ ist. 2. Daß diese Liebe ‚gut‘ ist: also alles Sein ‚gut‘ ist. 3. Daß diese Liebe ‚wahr‘ ist, also alles Sein ‚wahr‘ ist. 4. Daß diese Liebe ‚Freude‘ weckt, also alles Sein ‚schön‘ ist.“159

Damit nun sind die transzendentalen Eigenschaften des Seins im Sinne klassischer Metaphysik eingeholt, erscheinen jedoch in einem entscheidend anderen Verhältnis zueinander. „Die Transzendentalien sind keine Kategorien, die als endliche Gehalte gegeneinander de-finiert werden können; sie sind durchgehende Bestimmungen des Seins als solchen und liegen deshalb ineinander.“160 Damit aber ist zugleich gesagt, dass sie auch nur mit- und durcheinander zu begreifen sind. „Der Transzendentaliensatz relativiert den seit Beginn der abendländischen Philosophie sich mehr oder weniger ausdrücklich behauptenden, seit der Neuzeit geradezu verabsolutierten ‚Primatsanspruch‘ der begrifflichen Erkenntnis und gibt ein mehrdimensionales, gleichursprüngliches Gefüge von Grundvollzügen frei.“161 Das Sein ist demnach auch im Hinblick auf seine materiale Struktur der menschlichen Vernunft nicht verfügbar.

Dieser Befund vertieft sich noch einmal mit Blick auf das bereits über die formale Struktur Gesagte. Die Einheit des Da-Seins, so wird man von dort her sagen müssen, steht in unauflösbarer Spannung zur Einheit des je einzelnen So-Seins. Einheit als transzendentale Eigenschaft des Seins ist also „nicht platte, univoke Identität, sondern bewegte Einheit des ‚Zwischenraums‘ zwischen Dasein und Sosein“162, und als solche nicht auf einen abstrakten Begriff rückführbar. Weil nun aber die Transzendentalien einander gegenseitig innerlich sind, ist evident, „daß durch alle drei transzendenten Modi eine grundlegende Polarität hindurchgeht, … (die) sich von der alles durchziehenden Polarität der Einheit herleitet“163.

Hier spätestens zeigt sich die unlösbare Verflechtung von formaler und materialer Struktur des Seins im Sinne Balthasars. Deshalb sei an dieser Stelle der Versuch unternommen, die beiden Linien, die mit Blick auf Balthasars Neuinterpretation der Lehre von der Realdistinktion einerseits und der klassischen Transzendentalienlehre andererseits bis hierher gezogen wurden, zusammenzuführen und von diesem vorläufigen Befund her einen dritten wesentlichen Konstruktionspunkt seines Seinsverständnisses in den Blick zu nehmen:

In der konkreten Begegnung mit anderem Seienden wird dem Menschen wahrhaftige Erfahrung des Seins zuteil, in der das Sein sich ihm notwendig als weder in formaler noch in inhaltlicher Hinsicht auf eine in sich geschlossene Einheit rückführbares Mysterium erschließt. „Und nun stellt sich unabweisbar vom Phänomen der nicht-einen Einheit her die Frage nach der einen, in sich identischen Einheit“164, in der die im Sein notwendig auseinanderfallenden Polaritäten und Dimensionen eingeborgen sind; die Frage also nach dem absoluten Sein, nach Gott. In diesem Sinne sieht sich der Mensch, wie eingangs gesagt, in der Begegnung mit dem Seienden angesichts der Unbegreiflichkeit des Seins auf Gott verwiesen. Im Sein besteht demnach eine Verbindung zwischen Gott und Mensch; im Sein wird der Mensch für Gott ansprechbar. „Es ist zwar richtig, daß … das nackte Gottsein und das nackte Geschöpfsein ohne Ähnlichkeit, vielmehr reine Entgegensetzung sind. (…) Aber schon in der ersten Entgegensetzung ist notwendig von Gottsein und Geschöpfsein die Rede, und somit von einer Ähnlichkeit des Geschöpfs mit dem je unähnlichen Gott“165, die ihm in seiner Natur immer schon gegeben ist. Balthasar erkennt darin „das Geheimnis der Weltimmanenz des welttranszendenten Gottes, das man mit der Formel der Analogia Entis … anvisieren kann.“166 Wenn eingangs von einem natürlichen Wissen um Gott als minimaler Voraussetzung für das Verstehen-Können der göttlichen Offenbarung die Rede war, so wird man jetzt also sagen können, „dieses Minimum ist grundgelegt in der Analogia entis.“167 Im Gedanken der Seinsanalogie liegt also letzten Endes der Schlüssel zum Verständnis des balthasarschen Konzepts unterscheidend christlicher Metaphysik.

2.1.2.2.3 Analogie des Seins

„Die Rede von der Analogie als analogia entis ist im deutschen Sprachraum vor allem mit dem Werk Przywaras und der von ihm eingeführten Verbindung mit der bekannten Aussage des IV. Lateranense verbunden.“168 Die Formel von der ‚Analogia entis‘ umfasst das Zusammenspiel zweier zunächst einmal grundsätzlich zu unterscheidender Relationen, nämlich einer immanenten und einer transzendenten Analogie.

In unverkennbarer Nähe zur thomanischen Lehre von der Realdistinktion nimmt Przywara seinen Ausgangspunkt in der Kennzeichnung der Grundstruktur des kreatürlichen Seins und aller seiner Vollzüge als immanente Analogie im Sinne einer dynamischen Bewegung zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit, die über ihre Ausrichtung auf eine angestrebte Mitte hinaus von vorneherein unausweichlich ein ihr vorgegebenes, übergeordnetes Ziel in sich trägt.169 Eine solche Bewegung sieht er im Sinn des Wortes ‚Analogie‘ umschrieben170. Das Präfix ‚ana‘ kann mehrere Bedeutungen haben. Zum einen bedeutet es als ‚ana‘ ‚über, nach, gemäß‘. Es changiert aber immer mit ‚ano‘ im Sinne von ‚oben, hinauf‘ und kann schließlich auch ‚wieder‘ meinen. Die Bedeutung der Vorsilbe umschließt also letztlich ein Koordinatenkreuz aus einer Waagerechten, mit einer zwischen einander auf einer Ebene gegenüberliegenden Data hin und her schwingenden Bewegung und einer Senkrechten, die die Ausrichtung der Bewegung vorgibt.

Auch die Bedeutungsdimensionen des zweiten Wortteils bewegen sich auf unterschiedlichen Ebenen. ‚Logos‘ kann sowohl ‚Wort‘ meinen, wobei dasjenige, das mit diesem Wort bezeichnet wird, in den Hintergrund rückt, als auch ‚Sinn‘, sodass das Wort nur als Träger in den Blick kommt. „Werden Präfix und Verbum in dem Wort ‚Analogie‘ zusammen betrachtet, so ergibt sich ein äußerst dynamischer Wortsinn, der in jedem seiner ursprünglichen Teile Ausdruck der kreatürlichen Struktur einer Bewegung zwischen Vor und Zurück bei Einheit und Differenz ist und überdies zentral auf einen über diesen rhythmischen Prozeß sich bildenden Sinnzusammenhang verweist“171, der die kreatürliche Bewegung als Ursprung und Ziel begründet.

In ihrer Ausrichtung auf ein ihr transzendentes Ziel verweist nun diese erste Relation über sich hinaus auf eine zweite, die in theologischer Interpretation des Entwurfs als die Beziehung zwischen dem kontingenten geschöpflichen Sein und dem absoluten Sein Gottes verstanden und näherhin als transzendente Analogie beschrieben wird. Demnach steht in analogem Bezug zur transzendierenden Bewegung des Kreatürlichen auf Gott hin eine immanierende Bewegung Gottes in die Schöpfung hinein. „Auf der Senkrechten (ist) das Transzendieren auf Gott hin [über-hinaus] eingebettet in die göttliche Heilsinitiative [von-oben-hinunter], und beides zusammen trägt die waagerechte Entsprechung [hin-und-zurück].“172

Nun ist aber Analogie als alles kreatürliche Seiende durchwaltende Grundstruktur ausgewiesen worden. „Indem sie in allen Bereichen der Geschöpflichkeit erfaßt werden kann und darin jeglicher Differenzierung vorausliegt, entspricht sie demjenigen, was mit ‚Sein‘ angesprochen ist.“173 Analogie und Sein sind konvertibel. In der Konsequenz heißt das: Weil der Bezug zwischen Gott und Geschöpf die äußerste denkbare Analogie ist, so ist damit auch das äußerste Verständnis von Sein erreicht. „Für Przywara ist also die Analogie zwischen Schöpfer und Geschöpf selber Sein, wobei hierfür gilt, daß beide Seiten in dem Punkt, in welchem sie sich so sehr zu entsprechen scheinen [nämlich in der Analogie als Sein], je mehr unterscheiden.“174 Die Analogie zwischen Gott und Geschöpf ist also ihrerseits nur analog aussagbar. „In dieser Verschachtelung von immanenter und transzendierender Analogie wird die Grenze der Analogie deutlich: Analogie zuletzt als in dem abgründigen Geheimnis abbrechende analogia entis.“175

Hans Urs von Balthasar greift den Kerngedanken der Lehre Erich Przywaras176 von der Analogia entis auf und macht ihn zum inneren Baugesetz seines Werkes177: „Da alles Seiende in seinem Sein abhängig ist v(on) Gott, ihm aber innerlich Sein zukommt, besteht zw(ischen) Gott u(nd) allem endlichen Sein eine A(nalogie)“178 Der Begriff der Analogie ist dabei im Sinne der Formel des IV. Lateranense zu verstehen, die besagt: „Zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf kann man keine so große Ähnlichkeit feststellen, daß zwischen ihnen keine noch größere Unähnlichkeit festzustellen wäre.“179 Im Rückgriff auf diese Definition sehen beide Theologen übereinstimmend die einzige Möglichkeit, im Gegensatz zu modernen philosophischen und theologischen Positionen „zwischen den Extremen Pantheismus und dialektischer Entgegensetzung von Gott und Mensch die schwebende Mitte zu halten“180. „Sobald [gegenüber der A.] die Univozität des Seins einseitig betont wird, folgt eine letzte Gemeinsamkeit zw. dem endlichen u. dem unendlichen Sein … Sobald dagegen die Äquivozität einseitig betont wird, fällt folgerichtig das Sein in eine letzte Verschiedenheit radikal gesonderter Bereiche auseinander, es gibt keine Brücke zw. der endlichen Welt u. dem unendlichen Gott, er wird der Unerreichbare u. Unerkennbare, der ‚ganz Andere‘“181. Wird dagegen das Verhältnis von kontingentem und absoluten Sein als Analogie gedacht, so ist gleichermaßen einerseits der Transzendenz und damit Freiheit Gottes Rechnung getragen, wie andererseits die Möglichkeit der Vernehmbarkeit göttlicher Offenbarung nachvollziehbar gemacht.

Balthasars Adaption geht aber insofern vertiefend über diese Grundeinsicht Przywaras hinaus, als er seinerseits die Rede von der Analogie des Seins „tiefer in das Offenbarungsgeschehen hineinzunehmen vermag, … indem die Seinsdifferenz[en] aus der trinitarischen und christologischen Differenz einsichtig und begründet werden.“182 Auch hier also trägt Balthasar seiner Überzeugung von einem theologischen Apriori jeder Philosophie konsequent Rechnung. Was das Sein, das Gott und Geschöpf in analoger Weise zukommt, ist, kann demnach letztlich erst von der göttlichen Selbstoffenbarung in Jesus Christus her wirklich in den Blick kommen. Im Licht dieser Offenbarung aber wird „die Schöpfung … zum Abbild der innergöttlichen Andersheit, die sich in der Zeugung des Sohnes urbildlich vollzieht“183.

In der Entfaltung dieses Gedankens gilt es nun zunächst zwei Dimensionen zu unterscheiden. „Die Realdistinktion, in der sich die geschichtliche Schwebe der Dasein-Sosein-Relation ausdrückt, weist über sich hinaus auf die sie begründende Schöpfer-Geschöpf-Relation, in der die grundlegende Seinsanalogie aufscheint.“184 Auf horizontaler, weltimmanenter Ebene besteht also ein analoges Verhältnis zwischen Da-Sein und So-Sein im Sinne einer Bewegung zwischen diesen beiden Polen. Nach Balthasar wird diese waagerechte Analogie von einer vertikalen Analogie zwischen Gott und Kreatur gleichermaßen durchbrochen wie begründet und getragen, weil „die weltliche Realdistinktion als das strukturelle Abbild des dreieinigen Seins“185 zu verstehen ist. So wie es kein Da-Sein jenseits der Manifestationen in je konkreten So-Seienden gibt, so gibt es auch kein Gott-Sein hinter den drei göttlichen Hypostasen. Und so wie jedem Seienden das Sein ganz zukommt, ist analog jede der drei göttlichen Personen ganz Gott. „Natürlich wird man nicht sagen, die von den göttlichen Hypostasen gemeinsam besessene Substanz verhalte sich wie das von den endlichen Wesen gemeinsam partizipierte Sein, sind doch diese endlichen Wesen mit ihrem Wirklich-Gesetztsein gerade nicht identisch, während jede der göttlichen Hypostasen mit der göttlichen Wesenheit identisch ist [sonst wären es ja drei Götter].“186 Darin eben besteht die je größere Unähnlichkeit. Die Analogie zwischen Gott und Mensch kommt mit jeder anderen Analogie nur analog überein.187

 

Dieser Befund bestätigt und vertieft sich noch einmal mit Blick auf das grundsätzliche Gott-gegenüber-Stehen alles Weltlichen. Balthasar erkennt darin eine Analogie zum Gegenüber von Vater und Sohn innerhalb der Trinität, wobei natürlich nie vergessen werden darf, dass „der Abstand der Schöpfung zu Gott … immer nur analog, nie univok, mit dem innertrinitarischen Abstand des Sohnes zum Vater zu vergleichen“188 ist; die Unähnlichkeit ist je größer. Dennoch kann man im Sinne von Balthasars sagen: „Das Geschöpf besitzt in seinem Sein eine Ähnlichkeit zu dem je unähnlicheren Gott, weil seine Natur [als Distanz zu Gott] dem ‚Wesen Gottes‘ als Distanz [in Gott] zwischen Vater und Sohn im Geist analog ähnlich ist.“189 Gerade indem der Mensch Gott unähnlich ist, ist er seinem trinitarischen Sein ähnlich. Balthasar kann daher auch von einer Analogia trinitatis190 sprechen.

Weil das Sein in seiner formalen Struktur dergestalt analog aussagbar ist, muss nach Balthasar dasselbe auch hinsichtlich seiner materialen Bestimmung gelten. Auch hier gilt mit Blick auf die waagerechte, weltimmanente Ebene, dass die Eigenschaften des Seins jedem Seienden immer nur in polarer Spannung zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit zukommen. Begründet wird diese Analogie durch die vertikale: „Wenn es … eine Analogie zwischen ihnen (= Gott und Geschöpf; S. H.) gibt, die sich auf keine Form der Identität reduzieren läßt, dann muß es ebenso eine Analogie der Transzendentalien geben zwischen denen des Geschöpfs und denen in Gott.“191 Gott als dem absoluten Sein kommen demnach die Eigenschaften des Seins in ihrer ganzen Fülle und Einheit zu, während die Geschöpfe in analoger Weise Anteil daran haben. Diese ontologische Grundeinsicht in die Analogie der Transzendentalien ist von entscheidender Bedeutung für die Theologie Balthasars, weil sie ihm letztlich die Bedingung der Möglichkeit des methodologischen Ansatzes beim je Konkreten darstellt. „Er wählt als Ausgangspunkt für seine Philosophie und Theologie nicht die Analogie des Seins an sich, da er sie als abstrakt zurückweist, sondern entscheidet sich für die von den Transzendentalien ausgehende Analogie, weil sie einen konkreten Zugriff auf die Realität ermöglicht.“192

Mit Blick auf den Gesamtentwurf der Analogia entis in balthasarschem Verständnis kann zusammenfassend festgehalten werden, dass sich in der gleichzeitigen Unterscheidung wie Verquickung von zwei einander durchkreuzenden Analogien drei Tiefendimensionen auftun. „In der Kreuz-Analogie schwingt sowohl das Inner-geschöpfliche als auch das Inner-Göttliche und zugleich beide zusammen als in ihrem ‚Zwischen‘193. In diesem unlösbaren Ineinander unterschiedlicher Ebenen und Dimensionen erscheint das Sein in formaler wie inhaltlicher Hinsicht als bleibendes Mysterium. Balthasars Rede von der Analogia entis darf also keinesfalls missverstanden werden als Implementierung eines philosophisch-theologischen Prinzips, aus dem dann weitere Erkenntnisse abzuleiten wären. Sie ist auch kein Versuch der Abstraktion und Formalisierung, um die „letzte Analogie des Seins so (zu) verharmlosen, daß sie als einfache ‚Kategorie‘, vergleichbar mit den innerweltlichen Ordnungsschemata, gehandhabt werden könnte.“194

Dennoch wurde dieser Vorwurf insbesondere von Karl Barth und seinen Anhängern immer wieder erhoben. Erich Przywara hatte seine Lehre von der Analogia entis vor allem auch in kritischer Auseinandersetzung mit der sogenannten ‚dialektischen Theologie‘ des Frühwerkes Barths entwickelt. Der Grundgedanke dieser theologischen Richtung innerhalb des Protestantismus bestand in einer grundsätzlichen Entfernung zwischen Gott und Welt in Folge des sündhaften Abfalls der Kreatur aus Gott. In der Konsequenz galt Gott als der absolut Unanschauliche, als der dem Menschen als der ‚ganz Andere‘ fremd Gegenüberstehende. Eine wie auch immer angelegte natürliche Theologie konnte es demnach schlechterdings nicht geben; theologische Geltung kam einzig der Offenbarung Gottes in Jesus Christus zu. Gerade die Analogia entis aber galt Barth als das Kennwort natürlicher Theologie. Przywara setzte dieser Theologie seinen Entwurf der Analogia entis entgegen, denn er „hatte in der dialektischen Theologie Barths eine christozentrische Engführung, die Gefahr einer Sprachlosigkeit hinsichtlich der geschaffenen Wirklichkeit festgestellt, die letztlich zum Schweigen des Atheismus führe.“195 Sein Anliegen war es, demgegenüber den legitimen Selbststand und die Eigenwirksamkeit der Geschöpfe herauszustellen.

Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre dann vollzog Barth seinerseits eine „Wendung zur Analogie“196, allerdings nicht im Sinne einer Analogie des Seins sondern der Analogia fidei. Die Analogia entis blieb ihm „die Erfindung des Antichrist“197, weil sie „ein verstehbares Ordnungsprinzip darstelle, in das Gott und Mensch als umfassende Kategorie eingefügt werden“198, sodass also mit der Rede von der Analogia entis die entscheidende Unähnlichkeit zwischen göttlichem und kreatürlichem Sein verschleiert werde. In der Forschung herrscht weitgehend Konsens darüber, dass Barth mit diesem Verdacht dem Entwurf Przywaras nicht gerecht wurde.199 Przywara hat keinesfalls einen Gott und dem Geschöpf gleichsam übergeordneten Seinsbegriff entwickelt, sondern im Gegenteil besonders den Aspekt der je größeren Unähnlichkeit zwischen endlichem und unendlichem Sein ins Zentrum seiner Überlegungen gestellt.

Wenn Barth seinerseits von einer Analogia fidei im Sinne „einer ‚Ähnlichkeit bei größerer Unähnlichkeit‘ zwischen ‚menschlicher Entscheidung im Glauben‘ u. ‚Entscheidung der Gnade Gottes‘“200 sprach, womit im Kern gesagt sein soll, dass jede menschliche Gotteserkenntnis bedingend ermöglicht wird durch die Gnade der Selbstoffenbarung Gottes, so traf er sich in diesem Grundanliegen letztlich mit Przywara und auch Balthasar. Letzterer unternahm daher späterhin auch den Versuch des Nachweises, dass die Lehre von der Analogia fidei die Rede von der Analogie entis einschließe, weil Gnade notwendig Natur voraussetze.201

Richtig verstanden, ist die Lehre von der Analogie des Seins Ausdruck des Versuchs, das Sein wieder in seiner unauflösbaren Geheimnishaftigkeit zur Sprache zu bringen. Das Sein des Seienden erscheint in seiner analogen Struktur als dynamische Bewegung zwischen nicht aufeinander rückführbaren Polen, die ermöglichend begründet wird durch die Liebesbewegung des göttlichen Seins. „Die Grundgestalt der Analogie wird also, zunächst noch gleichgültig ob als rein theologische oder auch als philosophische betrachtet, jedenfalls eine solche sein, die in jedem Aufstieg vom Geschöpf zu Gott die umgreifende, begründende und ermöglichende Vorgängigkeit des Abstiegs Gottes zum Geschöpf sieht. (…) Ontisch heißt das, daß in der Erkenntnis der Geschöpflichkeit [seis durch den Glauben oder durch die Vernunft] die Geschaffenheit des Geschöpfs und damit der Schöpfer als dessen Grund ansichtig wird (…) Wie ontisch ein Denken des Geschöpfs nicht möglich ist ohne ein Mitdenken Gottes …, so auch noetisch kein Denkakt möglich ist ohne den von oben in ihn hereinragenden Denkakt Gottes selber. Das geschöpfliche Cogito ist als solches immer in der Klammer eines vorgängigen Cogitor.“202 Nach balthasarschem Verständnis ist Metaphysik deshalb nie anders zu betreiben denn als Auslegung des Geheimnisses des Seins im Licht der Selbstaussage des absoluten Seins. Als eine erste, inchoative Selbstaussage ist die Natur des Seienden zu bezeichnen, weil sie in ihrer analogen Struktur das Abbild des göttlichen Seins ist. Als solches tatsächlich erkennbar wird das natürliche Sein aber nur von der endgültigen und unüberbietbaren Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus her. Erst in dieser Offenbarung wird das Wesen des Seins als Liebe enthüllt. Mit der Erschlossenheit und Unverborgenheit des Seins ist nun nach Balthasar seine Wahrheit bezeichnet. Es gibt keine Wahrheit in Ablösung von ihrem Erkanntsein. „Bekanntheit des Seins ist das innerste Wesen der Wahrheit.“203 Indem Gott sein trinitarisches Sein enthüllt, so kann man jetzt mit Balthasar sagen, enthüllt er seine Wahrheit und darin aufgrund der Analogie des Seins auch die Wahrheit des Geschöpfes.