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2.3 Die Gestalt der balthasarschen Theologie

Das Theologieverständnis Hans Urs von Balthasars, so sollte sich gezeigt haben, ist zutiefst theozentrisch. Jede gedankliche Aufstiegsbewegung des Menschen zu Gott ist bedingend ermöglicht durch eine kenotische Abstiegsbewegung Gottes. Indem Gott dem Geschöpf die Gnade der Anteilhabe an der Fülle des Seins gewährt, ist der Mensch überhaupt empfänglich für die göttliche Ansprache; und nur weil Gott sich mit seinem Wort, zuhöchst in seinem fleischgewordenen Wort, an den Menschen wendet, wird er im menschlichen Wort allererst sagbar. Die Initiative und das Maß der gott-menschlichen Begegnung liegen notwendig bei Gott; die Selbstoffenbarung Gottes ist dem Menschen in keiner Weise verfügbar. Weder konnte und kann er ihr Ergehen gleichsam herbeizwingen, noch kann er das Geoffenbarte gedanklich und begrifflich jemals so bewältigen, dass es ihm zum geistigen Besitz würde. Im Gegenteil: Der Mensch muss sich seinerseits vom Wort Gottes in Besitz nehmen lassen und auf das ihm Zugesagte hören. Jeder Theologie als Aus-Sage von Gott liegt also notwendig ein Akt der Wahrnehmung der Zu-Sage durch Gott ermöglichend zugrunde. Theologie im christlichen Sinne des Wortes zu treiben, ist demnach überhaupt nur möglich, wenn der Mensch „vor dem Ausgriff seiner [doch stets aposteriorischen] Vernunft erst einmal anzuerkennen bereit ist, daß er Geschöpf ist und nicht aus eigenen Gnaden da ist, sondern seinen tragenden Grund extra se zu suchen und als wahr hinzunehmen hat, er zeige sich wie immer.“365 Genau diese Einsicht nun ist es, die von Balthasar zum formalen wie inhaltlichen Ausgangspunkt seines zentralen theologischen Werkes macht. Wolfgang Klaghofer-Treitler findet in seiner umfassenden Studie über die Denkform Balthasars zu der Bezeichnung dieses Grundansatzes als „katalogische Analogik“.366 Gemeint ist damit näherhin „eine derartige Gedankenbewegung, welche Gott analogisch so vermittelt, daß er als wahrhafte und vorgängige Sinnstiftung für das Ganze erscheint“367.

2.3.1 Die Trilogie: Theologische Ästhetik – Theodramatik – Theologik

„Das Erste ist nicht Bewältigen des Anschauungsmaterials durch Kategorien des Subjekts, sondern Haltung des Dienstes am Objekt.“368 In seinem theologischen Hauptwerk, der sogenannten ‚Trilogie‘, folgt Hans Urs von Balthasar deshalb nicht etwa den klassischen dogmatischen Traktaten, sondern unternimmt den Versuch, „die christliche Theologie unter dem Licht des dritten Transzendentale zu entfalten“369, will heißen, auf eine Wahrnehmungslehre zu begründen. Dieses Unterfangen steht ausdrücklich unter dem Vorzeichen des Postulats, dem Moment der Rezeptivität Priorität im theologischen Denken und Arbeiten einzuräumen, und verfolgt das Ziel der neuen Annäherung an die ursprüngliche Einheit von Theologie und Heiligkeit im oben dargelegten Sinn.

In dieser Absicht also nimmt Balthasar seinen Einstieg mit den sieben Bänden seiner „Herrlichkeit“, indem er „eine theologische Ästhetik“ entwirft, und betritt damit zweifellos theologisches Neuland. „Ziel theologischer Ästhetik … ist es, Auskunft und Zeugnis zu geben von jenem Begegnungsgeschehen, das von Gottes Erscheinungswillen bewirkt wurde und in Jesus Christus erfolgte. Aber nicht das Geschehen selbst will sie untersuchen, sondern seine Ansichtigkeit … und seine Ausstrahlungskraft“370. Balthasar grenzt sich damit ausdrücklich von jeder Form ästhetischer Theologie ab371, in der ein weltlichphilosophischer Begriff von Schönheit und Kunst auf das Offenbarungsgeschehen angewendet wird, letztlich mit dem Ziel, „den schönen Ausdruck des Gottesgedankens, die Poesie der Bibel, (zu) gewinnen.“372 Er setzt seinerseits ein Verständnis dagegen, wonach Ästhetik „etwas rein Theologisches …, nämlich … der nur im Glauben wahrnehmende Empfang der sich selbst auslegenden Herrlichkeit der allerfreiesten Liebe Gottes“373 ist.

Entsprechend der dialogischen Struktur ihres Gegenstandes entfaltet Balthasar die so verstandene Ästhetik in zwei Richtungen, nämlich einerseits hin zu einer fundamentaltheologischen Erblickungslehre als einer Lehre von der Wahrnehmung der göttlichen Offenbarung374 und andererseits zu einer dogmatischen Entrückungslehre „als Lehre von der Menschwerdung der Herrlichkeit Gottes und von der Erhebung des Menschen zur Teilnahme daran.“375 Sachliche Priorität räumt von Balthasar dabei der Entrückungslehre ein, weil die Wahrnehmung der göttlichen Wirklichkeit nicht anders möglich ist, als durch „das Eingeholtwerden des Menschen durch Gottes Herrlichkeit“376, das Sich-selbst-entrückt-Werden der Kreatur in den ihr völlig unverfügbaren Raum göttlicher Liebe hinein. Darin ganz seinem Verständnis des christlichen Wahrheitsgeschehens folgend, macht er sich also ausdrücklich eine Haltung der Indifferenz und Dienstbereitschaft als theologische Primärtugend zueigen.

Die Ästhetik steht nach dem bisher Gesagten deshalb an erster Stelle innerhalb des Gesamt der balthasarschen Theologiekonzeption, weil ihr die Funktion der Begründung obliegt. Ihr Gegenstand wächst der Theologie einzig aus der Offenbarung Gottes zu. In der ästhetischen Betrachtung der objektiven Selbstauslegung Gottes, so Balthasars unumstößliche Überzeugung, wird der Mensch geradezu hingerissen und überwältigt von der „Dimension der Stimmigkeit, die in diesem Ganzen herrscht“377. In dieser absoluten Stimmigkeit tritt die alles weltliche Schöne weit überstrahlende Herrlichkeit Gottes zutage, die „die Nezessität des Ganzen378 unübersehbar macht. Balthasar kann deshalb auch sagen: „Hingerissenwerden … ist der Ursprung des Christentums“379, denn aus dieser Erfahrung erwächst das, was oben bereits als objektive Evidenz beschrieben wurde, nämlich eine Gewissheit, „die nicht in der eigenen Evidenz des menschlichen Verstandes, sondern in der kundgetanen Evidenz der göttlichen Wahrheit beruht: nicht im Erfasst-haben, sondern im Erfasst-worden-sein.“380 Noch einmal wird an dieser Stelle sehr deutlich, dass Glaubensgewissheit im Sinne Balthasars nichts allgemein Beweisbares ist, sondern einzig aus der konkreten, persönlichen Erfahrung der Herrlichkeit Gottes erwächst.

Balthasar entwickelt sein bis hierher grob umrissenes Verständnis theologischer Ästehetik nicht zuletzt in kritischer Auseinandersetzung mit Kierkegaard. „Für Kierkegaard ist das Ästhetische das Gegenbild zum Religiösen, für Balthasar dagegen dessen Offenbarungsort.“381 In seiner Stadienlehre unterscheidet Kierkegaard drei dem Menschen in jeder seiner Lebensphasen grundsätzlich zur Verfügung stehende Möglichkeiten der Persönlichkeitsgestaltung.382 Das niedrigste Stadium ist dabei das ästhetische. „Der Ästhetiker lässt sich treiben von allem, was auf ihn eindringt … ohne dass er selbst eine ordnende Funktion ausübt.“383 In ausschließlichem Bezug auf ihm Äußerliches ist er nicht in der Lage, ein Selbst aufzubauen. Das nächsthöhere Stadium ist das ethische, in dem der Mensch bewusst wählt, unter welche Bestimmung er sein Leben stellt. Die höchste Stufe aber ist das religiöse Stadium. Ein Mensch, der sich als vor Gott stehend begreift, ordnet sich nicht mehr einem allgemeingültigen ethischen Maßstab unter. „Indem der Mensch sich der Führung Gottes anvertraut, wird er ein Einzelner und lebt sein Leben als Selbst.“384 Dieses höchste Ziel muss der Ästhetiker notwendig verfehlen, weil er dem Unmittelbaren verhaftet bleibt.

Eine derartige Abwertung des Ästhetischen liegt nun nach Balthasar in der Konsequenz neuzeitlicher Seinsvergessenheit. In einseitig rationaler Betrachtung des Seienden wird das Schöne aus seinen „unlösbaren Verschlingung mit den beiden metaphysischen Schwestern“, dem Wahren und dem Guten herausgelöst. „Und dieses Verlassen des Hintergrundes ist schon die Gefahr und die beginnende ‚Verästhetisierung‘ des Schönen.“385 Schönheit in einem aus jedem Seinszusammenhang gelösten und damit veräußerlichten Sinn kann nur vom Göttlichen ablenken. „Diese Isolierung des Ästhetischen … muss immer im Auge behalten werden, wenn man seinem Bann aus dem Feld der Theologie durch Kierkegaard … gerecht werden will.“386 Unter dieser Voraussetzung nämlich ist die Ablehnung nachvollziehbar und auch im Sinne Balthasars durchaus gerechtfertigt. Die Grundanliegen beider Denker decken sich also durchaus. „Kierkegaard sichtet in seinem Werk auf diesem Wege, was sich bei Balthasar in seiner Unterscheidung von ästhetischer Theologie und Theologischer Ästhetik findet.“387

Dennoch kann und muss nach Balthasar eine rein ablehnende Haltung der Ästhetik gegenüber durch ein völlig anderes, nämlich metaphysisches Verständnis von weltlicher Schönheit und göttlicher Herrlichkeit überwunden werden. Darin nämlich erscheint das Schöne in gegenseitiger Durchdringung mit dem Wahren und Guten als transzendentale Eigenschaft des Seins. In der Betrachtung des Schönen ist der Mensch dann keinesfalls mehr dem Seienden verhaftet, sondern begegnet im Umgang mit dem Schönen dem Sein an sich. Ästhetik steht dann der Begegnung mit Gott nicht im Wege, sondern wird vielmehr zur unverzichtbaren Brücke zwischen Gott und Mensch.

Die Aufgabe theologischer Ästhetik, so hat sich gezeigt, „besteht im Einstimmen des subjektiven Elements auf das objektive, genauer: im Herstellen von Voraussetzungen, damit die objektive Evidenz ungehindert aufscheinen kann.“388 Was dann zutage tritt, ist das Wesen Gottes als absolute Liebe. Angesichts dieser Liebe kann der Mensch nun aber unmöglich unbeteiligter Beobachter bleiben. „Das ‚Erblicken‘ dieses göttlich Selbstevidenten ist kein unbeteiligtes ästhetisches Zuschauen, sondern das Innewerden des Schonbeteiligt-Seins.“389 Das hat sich bereits mit Blick auf den Erkenntnisvorgang gezeigt, ist doch schon das Erblicken Gottes nicht anders zu denken, denn als dynamisches Hineingenommenwerden in das göttliche Liebesgeschehen. „Gott will ja von uns nicht nur angesehen und wahrgenommen werden …, sondern er hat es von vorneherein auf das Zusammenspiel abgesehen.“390 Selbstoffenbarung Gottes ist in diesem Sinne in erster Linie Handeln Gottes in und an der Geschichte. Indem er sich zu erkennen gibt, stellt Gott den Menschen zugleich in die antwortende Entscheidung.

 

Hier nun liegt das Herzstück balthasarscher Theologie. Was es seiner Ansicht nach theologisch primär zur Sprache zu bringen gilt, ist „die Geschichte eines Einsatzes Gottes für seine Welt, eines Ringens zwischen Gott und Geschöpf um dessen Sinn und Heil“391. Die theologische Ästhetik gilt von Balthasar daher auch nur „als das erste Blatt eines Triptychons … und nur als dieses hat sie im Haushalt einer christlichen Theologie ihre Berechtigung.“392 Im Mittepunkt des theologischen Interesses steht dagegen die in der Selbstmitteilung Gottes eröffnete Situation des Aufeinandertreffens von unendlicher und endlicher Freiheit und die sich daraus entwickelnde Dramatik. Theoästehetik dient Balthasar wesentlich der Hinführung zur „Theodramatik“, die im Zentrum der Trilogie steht.

Die „Einsicht in die dramatische Verfasstheit der Offenbarungswirklichkeit darf man mit einigem Recht als Balthasars ursprüngliche theologische Grundeinsicht ansehen, die seinem gesamten Theologie-Vollzug, in Ansatz und Methodenwahl, in Inhalt und Gestalt den wohl wichtigsten Impuls gegeben hat.“393 Seiner Überzeugung nach ist nämlich die traditionelle Schultheologie mit ihrem ‚Bewältigungsdenken‘, i. e. in ihrem Bemühen um überschaubare theoretische Systeme in keiner Weise geeignet, die Lebendigkeit und Fülle aber auch den absoluten Ernst dieses Geschehens zwischen Gott und Mensch adäquat zur Sprache zu bringen394, und so strebt er „ihre Neustrukturierung unter dem Prinzip des Dramatischen“395 an. Auf der Suche nach geeigneten Motiven liegt es für den Germanisten Balthasar nun nahe, sich seinerseits der Kategorien des Dramas und des Theaters zu bedienen.396 Dabei ist er sich durchaus bewusst, „daß hier vom Christen und Theologen etwas vorläufig Ungewohntes verlangt wird, daß der so lange an ‚epische Theologie‘ Gewöhnte sich erst einmal der neuen Sehweise … anpassen muss.“397 Andererseits muss aber diese Sehweise auch ihrem Gegenstand angepasst werden. „Das Theater verdichtet, es steigert, es konzentriert den Raum und die Zeit.“398 Es kann also nicht darum gehen, die Theaterparabel unmittelbar auf das Geschehen zwischen Gott und Mensch anzuwenden; vielmehr ist sie als Form analoger Redeweise zu verstehen, und so betont Balthasar denn auch, dass er der Welt des Theaters lediglich das dramatische Instrumentar entlehnen kann und will, „das später, im Theologischen, nur in gründlicher Transposition verwendbar sein wird.“399

In diesem Sinne ist es zunächst einmal ganz allgemein das Baugesetz des Dramas, das Balthasar grundsätzlich geeignet scheint, theologische Grundaussagen sachgerecht zur Sprache zu bringen. Ausgangspunkt ist immer ein Konflikt, der auf dem Höhepunkt der Handlung in sein Gegenteil umschlägt. Einen solchen Konflikt kann es nur dann geben, wenn unterschiedliche Positionen in Freiheit aufeinander treffen. Damit rückt nach Balthasar eine ganz wesentliche Dimension der gott-menschlichen Beziehung in ganz neuer Weise in den Blick. „‚Freiheit‘ wird jetzt das entscheidende Wort, um das Geheimnis des Zusammenspiels von Gott und Mensch, von Schöpfer und Geschöpf zu verstehen.“400 Im Widerstand der menschlichen Freiheit gegen die göttliche spitzt sich das Drama immer mehr zu, bis es in Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi seinen Wendepunkt erreicht.

Ein wesentlicher Impuls zur weiteren inhaltlichen Ausgestaltung und Durchformung dieser Grundstruktur ist Balthasar die Idee des Welttheaters, wie sie, nach seiner Einschätzung in gelungenster dramatischer Umsetzung, bei Pedro Calderon de la Barca (1600–1681) begegnet.401 Calderon wie auch Balthasar sehen „die Dramatik weniger im horizontalen Ablauf der menschlichen Handlung als in ihrer vertikalen Tiefenstruktur“402. Der trinitarische Gott selbst ist es, der das gesamte Spiel erdacht und die Bühne bereitet hat, der die Rollen verteilt und der schlussendlich auch für das Gelingen des Spiels einsteht. „Seine Verantwortung für das Ganze … läßt eine bloße Zuschauerhaltung nicht zu. Er ist im Spiel mitengagiert“403. Der Vater ist der Autor, der Sohn Protagonist, der Geist ist Regisseur. Die ganze Welt ist einbezogen; sie „ist die aufgeschlagene Bühne, auf der sich die Begegnung des ganzen Gottes mit dem ganzen Menschen vollziehen wird“404. Zuschauer gibt es nicht, denn jeder Mensch spielt eine ihm zugedachte Rolle.

Diese Idee wird Balthasar zur Grundmetapher, die er nun seinerseits theologisch ausgestaltet. Es lässt sich an dieser Stelle bereits erahnen, welch breites Spektrum möglicher Perspektiven sich aus diesem Ansatz eröffnet. Alle in das Spiel involvierten Personen in ihren unterschiedlichen Rollen und damit Relationen können in den Blick genommen werden. Die Dynamik der Handlung tritt klar hervor.

In deutlicher Anlehnung an Calderon gliedert Balthasar das heilsgeschichtliche Geschehen in fünf Akte.405 Doch zuvor gibt es ein Vorspiel im Himmel. Das Wesen Gottes ist Liebe, so wurde bereits gezeigt. Liebe aber ist Beziehungsgeschehen. Balthasar macht ernst mit diesem Gedanken und beschreibt ein überzeitlich-ewiges Drama in Gott selbst, um so der im Offenbarungsgeschehen erkannten Lebendigkeit und Bewegtheit des göttlichen Seins, die seiner Überzeugung nach in metaphysischer Begrifflichkeit nicht einzuholen ist, Ausdruck zu verleihen.

Der Schauplatz des ersten Aktes sind Himmel und Erde. Es geht um den Schöpfungsakt, in dem die unendliche Freiheit die endliche aus sich entlässt. Im zweiten Akt beginnt das eigentliche Spiel. „Das Drama um Liebe, Untreue und Schmerz nimmt seinen Lauf.“406 Im Zentrum steht der Bund JHWHs mit seinem Volk. Als der Konflikt sich zuspitzt, betritt im dritten Akt der Autor selbst die Bühne. Der Höhepunkt liegt auf Golgatha. „Das Drama zwischen Mensch und Gott erreicht hier seine Akmē, da die perverse endliche Freiheit all ihre Schuld auf Gott als den einzigen Angeklagten und Sündenbock wirft, und Gott sich nicht nur in der Menschheit Christi, sondern in dessen trinitarischer Sendung ganz davon treffen läßt“407. Auch hier führt die Fokussierung auf die Dramatik des Geschehens Balthasar zu einer wesentlichen Modifikation des Gottesbildes gegenüber der traditionellen Gotteslehre. Gott erscheint nicht mehr als absolut leidensunfähig, sondern vielmehr als der in der Gestalt des Sohnes am Kreuz selbst Leidende.

Der Wendepunkt schließlich liegt im vierten Akt. Die Spieler verweigern sich dem Zusammenspiel und fallen aus ihren Rollen. Auch mit Blick auf das Menschenbild scheint Balthasar diese Theatermetaphorik angemessen und hilfreich. Ein Rollentext ist „Notation, nicht Prädestination“408. Der Mensch, von Gott mit einer Rolle begabt, ist in der Ausgestaltung frei. „Der Schauspieler ist nicht der Wortknecht des Autors. Figuren sind nicht starre Identitäten, vielmehr imaginative Felder des Lebens.“409 Das Schauspiel entwickelt sich nur im freien, schöpferischen Zusammenspiel aller. Damit ist allerdings eben auch die Gefahr gegeben, dass die Spieler ihre Rollen völlig verfehlen und so das gesamte Spiel zu scheitern droht. Als dies geschieht, wird der Autor und Regisseur selbst zum Protagonisten. Stellvertretend trägt der Sohn die Verfehlungen, theologisch gesprochen, die Sünden aller Spieler, um so eine ganz neue Möglichkeit des Zusammenspiels zu eröffnen.410

Dem Inhalt des fünften Aktes getraut Balthasar sich nur hypothetisch anzunähern. Es geht darin um den endgültigen Ausgang des Spiels, um die Gerichtsszene und schließlich um das endgültige Schicksal aller Spieler. „Wie die Bühne am Ende des Spiels dastehen wird, ist vorweg nicht absehbar.“411

Soweit, in groben Zügen, Balthasars Entwurf einer Theodramatik. „Mit alldem wird der Versuch gemacht, das, was jeder Christ spontan und unreflektiert weiß und zu leben versucht, in einer Form auszusagen, in der alle Dimensionen des Spannend-Lebendigen gegenwärtig bleiben, statt in die Abstraktionen theologischer Systematik aufgehoben zu werden.“412 Erst in der Wahrnehmung dieser Lebendigkeit des Geschehens, so Balthasars feste Überzeugung, erschließt sich die Logik der göttlichen Selbstoffenbarung.

Diese innere Logik des göttlichen Handelns schließlich ist Gegenstand der das Gesamtopus abschließenden drei Bänden zur „Theologik“. Es wurde bereits eingehend davon gehandelt, wie Balthasar gleichsam rückblickend, d. h. von der bereits gemachten Wahrnehmung des göttlichen Handelns her, auf die Bedingungen der Möglichkeit dieser Erkenntnis und damit auch auf ihre Aussagbarkeit in menschlichen Begriffen reflektiert.413 Er ist sich durchaus der Tatsache bewusst, damit schlussendlich doch wieder bei einer Statik angelangt zu sein, hält aber daran fest und betont, dass diese „nur gerechtfertigt ist, wenn sie zuvor die Dynamik des Offenbarungsereignisses erfahren hat und sich aus ihr heraus – immer neu, nicht wie ein totes Ereignis – gebiert.“414 Einmal mehr tritt also auch hier die Theodramatik als Hauptteil der Trilogie hervor.

Mit Blick auf die Gesamtarchitektur des Triptychons wird deutlich, dass sie insgesamt Balthasars Lehre von den Transzendentalien folgt. Die Rede von den Transzententalien des Seins ist also nicht nur von elementarer Wichtigkeit für das balthasarsche Seinsverständnis, sondern vielmehr macht er sie auch „entschlossen zum formalen Strukturprinzip der Trilogie“415. Wenngleich er damit auch ein metaphysisches Theorem aufnimmt, so doch einzig deshalb, weil er es für den angemessenen Ausdruck der in Jesus Christus ergangenen Offenbarung absoluten Seins erachtet, also in dem ausdrücklichen Bemühen, seine Theologie in Inhalt wie Form ganz von ihrem Gegenstand bestimmen zu lassen. Noch einmal zur Erinnerung: „Die transzendentalen Eigenschaften des Seins heißen so, weil jede von ihnen das Sein im ganzen durchwaltet; sie können deshalb gegeneinander nicht abgegrenzt sein, sondern durchwohnen und durchstimmen einander; (…) zwischen diesen herrscht circuminsessio416. Was die Theologie Balthasars ihrer Anlage nach anschaulich machen will, ist demnach die Ganzheit der Offenbarungsgestalt, die unlösbare Verflechtung aller ihrer Aspekte und Dimensionen.

Der Begriff der ‚Gestalt‘ ist mithin ein Schlüsselbegriff für das balthasarsche Offenbarungs- und in der Konsequenz auch Theologieverständnis. „Gestalt ist die sinngebende Einheit in einer Vielheit ihrer Organe“417, wobei ein „qualitative(s) Plus des Ganzen über seine Teile“418 besteht. Bezogen auf die Selbstaussage Gottes heißt das, sie ist nur als Sinntotalität überhaupt erkennbar. Eine solche Ganzheit der Gestalt ist aber nie aus einer einzigen Perspektive zu erfassen. „Eine Gestalt kann man umschreiten und von allen Seiten sehen. Immer wieder sieht man etwas anderes und sieht doch immer dasselbe.“419 Aber, so wird man von Balthasar her zu ergänzen haben, man muss sie eben auch von allen Seiten betrachten, um sie erkennen zu können. „Und dies nicht aus der Ferne eines kühlen Betrachters, sondern durch das Einbezogenwerden in die Gestalt selbst, deren Stimmigkeit nur von innen erfahren und ermessen werden kann“420.

In diesem Sinne also entfaltet Balthasar in seiner Trilogie die eine Offenbarungsgestalt an den transzendentalen Eigenschaften des Seins entlang, in drei phänomenologische Komponenten421: In „Herrlichkeit“ wendet er sich dem Urphänomen des Sich-Zeigens Gottes zu, das der transzendentalen Idee des Schönen folgt und zur antwortenden Bewunderung herausfordert. Die „Theodramatik thematisiert das Sich-Geben Gottes, worin das Gute seines Seins manifest wird, das Dankbarkeit auf der Seite des Menschen verlangt. Die Theologik schließlich handelt vom Sich-Sagen, mithin von der Wahrheit der göttlichen Selbstaussage, der der Mensch sich vertrauensvoll hingeben kann. Auf diesem „zugleich objektive(n) und subjektive(n) Dreifuß“422 ruht also die Trilogie auf. Balthasar wählt damit eine Herangehensweise, die man wohl am ehesten als phänomenologisch bezeichnen kann.

 

Die einschränkende Formulierung impliziert bereits, dass der Begriff der ‚Phänomenologie‘ nur in einem sehr spezifizierten Sinn Anwendung auf das Werk Balthasars finden kann. Sicherlich geht er phänomenologisch vor, insofern es ihm um das Erfassen von Gestalten geht. Gleichzeitig aber hält er konsequent an seiner grundlegenden Bestimmung des Verhältnisses von Philosophie und Theologie fest und weiß so auch die phänomenologische Vorgehensweise unter ein theologisches Apriori gestellt. „Es scheint, daß von Balthasars Methode sich am treffendsten durch das Doppelattribut ‚theologisch-phänomenologisch‘ charakterisieren läßt.“423