Leistungen von Funktionsverbgefügen im Text

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1.2. Positionierungen zu Funktionsverbgefügen

Zu Funktionsverbgefügen existieren verschiedene Positionen, die in diesem Kapitel vorgestellt werden. Da die vorliegende Arbeit textuelle Leistungen von Funktionsverbgefügen fokussiert, sind für diesen Beitrag v.a. die Auffassungen in Schreibratgebern, in Lehrwerken für den DaF-Unterricht sowie in der linguistischen Forschungsliteratur zu Leistungen von Funktionsverbgefügen relevant. Seit über einem Jahrhundert stehen Funktionsverbgefüge in Schreibratgebern in negativer Kritik: Die Gefüge würden den Text unnötig verlängern, sie klingen unschön und sollen vermieden werden. Trotz entsprechender Antworten auf die Kritik der Ratgeber seitens der Linguistik, finden derartige Ratschläge zur Vermeidung von Funktionsverbgefügen mit der Digitalisierung Einzug ins WWW, z.B. in Form von Schreibblogs und modernen Textanalysetools, die in Abschnitt 1.2.1 gezeigt werden. Da im DaF-Unterricht auch Fertigkeiten der Textproduktion eingeübt werden, wird Abschnitt 1.2.2 von der Frage geleitet, ob bzw. inwiefern Funktionsverbgefüge im Unterricht für Deutsch als Fremdsprache behandelt werden. Abschnitt 1.2.3 handelt von wesentlichen Untersuchungsergebnissen zum Gegenstand Funktionsverbgefüge aus 60 Jahren Forschung.

2.1. 1. Wie sich Stilratgeber Funktionsverbgefügen gegenüber positionieren

Die Stilistik blickt auf eine jahrzehntelange Tradition der Abwertung von Funktionsverbgefügen in Stil- und Schreibratgebern zurück. Bereits 1963 fassen Daniels und von Polenz abwertende Bezeichnungen aus verschiedenen Stilratgebern – darunter Wustmann (1891), Engel (1931) und Reiners (1945) – zusammen, wie z.B. aufgeblähte Wendungen, Sprachbeulen, Verbsurrogate, unechte Zeitwörter, Zeitwortattrappen, Abklatschwörter und schwülstige Umschreibungen – wer Funktionsverbgefüge verwendet, der leide zudem an einer Dingwortseuche oder Verbaphobie (Daniels 1963: 9f.; von Polenz 1963: 11; s.a. Wustmann 1891: 416). Trotz zahlreicher linguistischer Publikationen zu Funktionsverbgefügen, in denen Linguisten und Linguistinnen der Kritik am Gebrauch von Funktionsverbgefügen seit den Arbeiten von Kolb (1963), v. Polenz (1963) und Daniels (1963) mit Untersuchungsergebnissen entgegnen – Funktionsverbgefüge zeichnen sich durch semantische, syntaktische und kommunikative Funktionen aus (u.a. Schmidt 1968, Klein 1968, von Polenz 1987, Heine 2006, Storrer 2013; s. Kap. 1.2.3) –, wird die Abwertungstradition in der Ratgeberliteratur bis in die Gegenwart weitergeführt:

Die einfachste Spielart der Hauptwörterkrankheit sind die Streckverben. Jedes Verbum kann man auseinanderstrecken, indem man das Verbum in ein Hauptwort verwandelt und ein farbloses Zeitwort hinzufügt. […] Namentlich Menschen, die von Natur Langweiler und Kanzleiräte sind, neigen zu dieser Form der Hauptwörterei. Sie sind zu faul, um zu besprechen, zu prüfen und zu entscheiden. Sie treten in Erwägungen ein, sie nehmen die Sache in Bearbeitung, sie stellen etwas unter Beweis […] und fällen schließlich – so Gott will – eine Entscheidung. Meiden Sie die Streckverben! (Reiners 2009: 72)

In der 37. Auflage von Reiners Stilfibel (2009) wird nicht nur weiterhin für das Vermeiden von Streckverbgefügen plädiert, es zeigt sich darüber hinaus, dass sich die Forderung Reiners „Meiden Sie die Streckverben“ auch in anderen Ratgebern, wie z.B. bei Mackowiak (2011) und List (2013), wiederfindet:

Funktionsverbgefüge (veraltet auch Streckformen) nennt man diese Ausdrücke. Sie machen einen Text etwas weniger verständlich, weil sie vom Leser verlangen, erst einmal die Beziehung zwischen dem Verb und dem Substantiv nachzuvollziehen: Wen stelle ich an? Überlegungen. Das wäre beim einfachen Verb überlegen gar nicht nötig. Hier wird nur aufgebläht. (Mackowiak 2011: 72)

Mehr Verben, weniger Substantive: Handlungen werden durch Verben wiedergegeben. Verben sind frisch, farbig, lebendig und anschaulich. Sätze mit vielen Hauptwörtern sind ermüdend. […] Diese Verben nennt man Streckverben: in Erwägung ziehen erwägen, Verzicht leisten verzichten […] Bei diesen Verben können wir Zeit sparen, wenn wir die Vorsilbe weglassen, denn sie ist überflüssig. (List 2013: 12)

Reiners (2009), Mackowiak (2011) und List (2013) zufolge machen Funktionsverbgefüge Texte weniger verständlich, werden nur von Langweilern und Kanzleiräten gebraucht und sollen vermieden werden. Die Kritik am Gebrauch von Funktionsverbgefügen schlägt sich gegenwärtig jedoch nicht nur in Schreibratgebern in Printform nieder, sondern sie breitet sich nun auch im Internet aus: Auf Schreibblogs, Webseiten von Universitäten und in modernen Textanalysetools finden sich Ratschläge zur Vermeidung von Nomen-Verb-Verbindungen beim Verfassen von Texten, vgl. das folgende Beispiel aus der Zeit online:

Abbildung 5:

Zeit online – deutsche Stilkunde

So schreibt die Zeit online unter dem Titel „Die Krone der Hässlichkeit“, Funktionsverbgefüge gehörten zum „Bürokratenjargon“ und werden als „schwer verständliches abstoßendes Deutsch“ abgetan – anzeigen sei anstelle von zur Anzeige bringen „sowieso das bessere Deutsch“ (Zeit online: Lektion 12 – Sätze und Nominalstil1; Abbildung 5). Die Schreibblogs „Textwende“ und „Die Brief-Profis“ vergleichen Funktionsverbgefüge mit mittelalterlicher Folter: „Im Mittelalter wurden Menschen unter Schmerzen auf der Streckbank in die Länge gezogen. Heute werden nur noch Verben gewalttätig verlängert“ (Abbildung 6) und „Streckverb klingt so nach Folter“ (Abbildung 7). Verdeutlicht wird dieses Sinnbild durch die Illustration in Abbildung 6, in der eine Figur in die Länge gezogen wird und um Hilfe ruft. Begleitet werden derartige Äußerungen von dem Ratschlag, Funktionsverbgefüge, wie z.B. eine Änderung vornehmen oder eine Feststellung machen, durch Verben, wie ändern oder feststellen, zu ersetzen:

Abbildung 6:

Textwende – Schreibtipps: Besser schreiben mit Verben2

Abbildung 7:

Die Brief-Profis – Behördendeutsch in verständliche Sprache umwandeln3

Wie bei Reiners (2009), Mackowiak (2011) und List (2011) werden Funktionsverbgefüge auf Schreibblogs im Internet als Behördendeutsch abgetan und sind „kraftlos und abstrakt“ (Textwende: Schreibtipps4). Durch die Substitution der Gefüge mit den entsprechenden Basisverben sollen die Texte wieder in „verständliche Sprache“ (Die Brief-Profis: Behördendeutsch) übersetzt werden, wodurch impliziert wird, dass Texte mit Funktionsverbgefügen weniger oder nicht verständlich sind.

Zudem ist zu beobachten, dass die Ratschläge zur Vermeidung von Funktionsverbgefügen auch in den universitären Bereich dringen, denn verschiedene Universitäten raten ihren Studierenden zum Verfassen von Abschlussarbeiten, auf Funktionsverbgefüge zu verzichten und sie mit dem Basisverb zu ersetzen, vgl. die folgenden Abbildungen:

Abbildung 8:

TU Braunschweig – Gestaltungsrichtlinien für wissenschaftliche Ausarbeitungen des Instituts für Bauwirtschaft und Baubetrieb5

Abbildung 9:

TU Chemnitz – Workshop zu wissenschaftlichem Arbeiten und Schreiben6

In den Gestaltungsrichtlinien für wissenschaftliche Ausarbeitungen des Instituts für Bauwirtschaft und Baubetrieb der TU Braunschweig (Abbildung 8) sowie in einem Workshop zu wissenschaftlichem Schreiben der TU Chemnitz (Abbildung 9) findet sich der Ratschlag verankert, Funktionsverbgefüge, wie unter Beweis stellen und eine Analyse durchführen, mit Basisverben, wie beweisen und analysieren, zu ersetzen. Funktionsverbgefüge sollen als Sprachmüll vermieden werden. Interessant ist, dass es sich bei der TU Braunschweig und der TU Chemnitz um technische Universitäten handelt, die Funktionsverbgefüge für wissenschaftliche Ausarbeitungen vermeiden wollen, denn Untersuchungen zu Funktionsverbgefügen hinsichtlich ihrer Textsortenspezifik zeigen, dass Funktionsverbgefüge häufig in technischen und wissenschaftlichen Texten verwendet werden (vgl. Vigašová 1968, Richter 1988) und werden als geradezu typisch für diese Textsorten gehandhabt. Der Grund dafür wird in den Leistungen von Funktionsverbgefügen zur Terminologiebildung gesehen, denn z.B. Transportarbeit bzw. gute Vorarbeit leisten oder Sicherheitsmaßnahmen treffen (Popadić 1971: 56/57) haben eine fachspezifische Bedeutung, die mit einem einfachen Verb nicht ausgedrückt werden kann (vgl. Popadić 1971: 56; s. Kap. 1.2.3). Deswegen ist es verwunderlich, dass gerade technische Universitäten in Workshops und Richtlinien zu gutem wissenschaftlichem Stil davon abraten, Funktionsverbgefüge zu verwenden.

Auffällig ist an der Kritik aus dem Internet, dass sich der Wortlaut der frühen Stilkunde wiederholt, vgl. z.B. aufgeblähte Wendungen (zitiert nach Daniels 1963: 9) oder Blähverben (List 2013: 12) mit „Gemeint sind Verben, die sich mit einem Substantiv aufblähen“ (Die Brief-Profis: Behördendeutsch7). Es entsteht der Eindruck, die Ratschläge der Autoren und Autorinnen lassen sich auf Wustmanns Stilkunde „Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen“ aus dem Jahre 1891 zurückführen, in der er den Verbsurrogaten ein Kapitel widmet und sie als „Schwulst“ bezeichnet (Wustmann 1891: 416ff.):

 

Abbildung 10:

Wustmann (1891: 417)

Auf Wustmann (1891) basierende Ratschläge zur Vermeidung von Nomen-Verb-Verbindungen finden sich aber nicht nur in der Ratgeberliteratur zum Verfassen von guten (wissenschaftlichen) Texten, sondern auch in modernen Online-Anwendungen zur automatischen Textprüfung, in die Ratschläge zur Vermeidung von Funktionsverbgefügen eingespeist werden. Der Benutzer oder die Benutzerin gibt einen beliebigen Text in ein Textfenster des Analysetools im Internet ein und wird ggf. durch eine Warnung auf einen Fehler oder ein Problem im Text aufmerksam gemacht. Der Text soll anschließend entsprechend überarbeitet werden. Um dies zu demonstrieren, habe ich die konstruierten Sätze Dass ich heute eine Entscheidung treffen muss, steht fest und Dass sie heute eine Frage stellt, war klar in die Online-Anwendungen „Textanalysetool“ und „Wortliga“ zur Überprüfung eingegeben.

Abbildung 11:

Entscheidung treffen im „Textanalysetool"8

Abbildung 12:

Frage stellen im Textanalysetool "Wortliga"9 (Hervorhebung S.K.)

Die eingegebenen Sätze Dass ich heute eine Entscheidung treffen muss, steht fest und Dass sie heute eine Frage stellt, war klar werden von beiden Programmen als einfach eingestuft (s. rechte Seite in Abbildung 11 und Abbildung 12). Interessant sind dabei die Fehlermeldungen der Softwaresysteme, denn beide Programme stufen die Funktionsnomen Entscheidung und Frage als problematisch ein und fordern die Benutzer*innen zur Vermeidung des Nominalstils bzw. zur Suche nach Synonymen auf (s. rechte Seite in Abbildung 11 und Abbildung 12), obwohl die Nomen Entscheidung und Frage als Grundwortschatz des Deutschen eingestuft werden können (vgl. Klein 2013: 41). Daraus kann geschlussfolgert werden, dass Wustmanns Sprachkritik aus dem Jahre 1891 auch in Online-Softwaresystemen zur automatischen Textprüfung im Internet des 21. Jahrhunderts Anwendung findet.

Die abwertenden Kommentare zu Funktionsverbgefügen in Stilkunden des 19. und 20. Jahrhunderts finden sich in gegenwärtigen Schreibratgebern on- und offline wieder. Betroffen sind im Internet verschiedene Schreibblogs, Websites von Universitäten sowie automatische Korrekturhilfen im Internet: Die Konstruktionen seien hässlich, zu lang; sie würden den Text aufblähen und ihn weniger verständlich machen. Zusätzlich fordern die Ratgeber*innen dazu auf, Funktionsverbgefüge durch entsprechende Basisverben zu ersetzen, d.h. die Ratschläge beziehen sich auf die Ebene des Textes in Bezug auf Produktion und Rezeption. Weil das Produzieren und Rezipieren von Texten zu den Zielkompetenzen im Fremdsprachenunterricht gehören, werden im Folgenden Lehrwerke für den DaF-Unterricht auf die Thematisierung von Funktionsverbgefügen überprüft.

2.2. 1. Wie Funktionsverbgefüge in DaF-Lehrwerken behandelt werden

Im DaF-Unterricht sollen Lerner und Lernerinnen rezeptive wie produktive Fertigkeiten der Zielsprache Deutsch erlernen. Dazu gehören das Hör- und Leseverstehen sowie die Sprech- und Schreibkompetenz (vgl. Rössler 2012: 57; Funk et al. 2014: 84/108), d.h. sowohl die Textrezeption als auch -produktion sind als Zielkompetenzen der Lerner und Lernerinnen für den DaF-Unterricht zentral (Funk et al. 2014). Funktionsverbgefüge kommen in verschiedenen, auch alltagssprachlichen Textsorten mündlich wie schriftlich vor, z.B. in Zeitungstexten (Popadić 1973, Kamber 2008), Wikipedia-Artikeln (Storrer 2013), literarischer Prosa (Daniels 1963, Storrer 2013), aber auch in Musik-Texten und gesprochener Sprache (s. Kap. 1.2.3). Zudem sind Funktionsverbgefüge frequent (vgl. z.B. Kamber 2008, Storrer 2013; s. Kap. 2.1) – Frage stellen ist eines der häufigsten Gefüge (vgl. Kamber 2008, s. Kap. 2.1; 4.1) – und sie kommen, wie ich in Abschnitt 1.2.3 zeigen werde, in einer Vielzahl typologisch unterschiedlicher Sprachen vor. Frage stellen findet sich beispielsweise in romanischen, slawischen und germanischen Sprachen sowie im Türkischen (s. Kap. 1.2.3). Es könnte also hinsichtlich der Erstsprachen der Lerner*innen sinnvoll sein, besonders frequente Konstruktionen in Lehrwerke mit aufzunehmen und sie in Bezug auf ihre Form und Funktion zu thematisieren. Untersuchungen zu Mehrworteinheiten, wie Kollokationen, Phraseologismen und Funktionsverbgefüge, zeigen jedoch, dass sie in DaF-Lehrwerken nicht oder nur selten behandelt werden (Targońska 2018: 75; Ďurčo/Vajičková 2016: 125; Flinz i. Dr.: 12; Kamber 2008, Giacoma 2017). Giacoma (2017) bezeichnet Funktionsverbgefüge als „Schwarzfahrer der Didaktik“ und schreibt: „Wenn man Fremdsprachenlernen als eine Reise betrachtet, könnte man demzufolge denken, dass FVG heimlich und ohne gültige Fahrkarte mit den Lernenden mitfahren“ (Giacoma 20171). Dies muss zwar nicht zwangsläufig bedeuten, dass die Konstruktionen dadurch überhaupt nicht erworben werden könnten (vgl. Pagonis/ Salomo 2014). Es scheint aber zumindest so, als würde kein besonderer Fokus auf Funktionsverbgefügen liegen, was sich mit der Analyse der folgenden DaF-Lehrwerke in Bezug auf die Thematisierung von Funktionsverbgefügen deckt: Radio D (2005), Berliner Platz 1 (2009), studio d (A1, Band 1 und 2, 2012), studio d – Die Mittelstufe (B1, 2013) und klipp und klar (B1, 2016). In nur zwei von fünf Lehrwerken werden Funktionsverbgefügen thematisiert, nämlich studio d – Die Mittelstufe (B1, 2013) und klipp und klar (B1, 2016).

Im Unterschied zu Radio D (2005), Berliner Platz 1 (2009), studio d (A1, Band 1 und 2, 2012) handelt es sich bei studio d – Die Mittelstufe (B1, 2013) und klipp und klar (B1, 2016) um Lehrwerke der Niveaustufe B1, d.h. Lehrwerke, die Funktionsverbgefüge nicht explizit thematisieren sind A1-Lehrwerke. Zur Niveaustufe A1 schreibt das Goethe-Institut:

Kann vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen und verwenden, die auf die Befriedigung konkreter Bedürfnisse zielen. Kann sich und andere vorstellen und anderen Leuten Fragen zu ihrer Person stellen – z.B. wo sie wohnen, was für Leute sie kennen oder was für Dinge sie haben – und kann auf Fragen dieser Art Antwort geben. Kann sich auf einfache Art verständigen, wenn die Gesprächspartnerinnen oder Gesprächspartner langsam und deutlich sprechen und bereit sind zu helfen. (Goethe-Institut 2019: Niveaustufen2;Hervorhebung S.K.)

Die Thematisierung von Funktionsverbgefügen und anderen polylexikalischen Einheiten könnte demnach erst ab einer höheren Niveaustufe angesetzt sein. Wohl gemerkt, verwendet jedoch auch das Goethe-Institut bei der Beschreibung der Niveaustufe A1 die Funktionsverbgefüge Frage stellen und Antwort geben, die in der vorliegenden Arbeit untersucht werden. Zu vertraute[n], alltägliche[n] Ausdrücke[n] könnten also auch Gefüge wie Frage stellen und Antwort geben gehören (vgl. Klein 2013: 41), sodass eine Thematisierung von Funktionsverbgefügen bereits ab einer früheren Niveaustufe sinnvoll sein könnte (Ďurčo/Vajičková 2016: 125). Wie werden Funktionsverbgefüge also in den anderen beiden Lehrwerken behandelt?

In klipp und klar (B1, Fandrych et al. 2016) wird erklärt, was Funktionsverbgefüge sind, aus welchen Komponenten sie bestehen und welche semantischen Funktionen sie in Gegenüberstellung mit dem Basisverb übernehmen, wie z.B. die Markierung einer beginnenden Handlung durch in Gang bringen oder den Ausdruck von Ernsthaftigkeit durch Gespräch führen anstelle von sprechen (vgl. Fandrych et al. 2016: 130f.). Zudem werden die folgenden Aufgabentypen aufgeführt:

 ein Lückentext, in dem die passenden Funktionsverben ergänzt werden sollen,

 eine Zuordnungsübung, in der die Komponenten des Gefüges einander zugeordnet werden sollen,

 eine Ergänzungsaufgabe, in der eine Liste von Funktionsverbgefügen erstellt werden soll,

 und eine Interpretationsaufgabe, in der erklärt werden soll, was im präsentierten Satz betont wird (Abbildung 13).

Die verschiedenen Aufgabentypen sowie die theoretische Thematisierung von Funktionsverbgefügen im Grammatikteil von klipp und klar (B1, 2016: 130/131) lassen darauf schließen, dass Funktionsverbgefügen in diesem Lehrwerk ein höherer Stellenwert zugeschrieben wird als beispielsweise in studio d (B1, 2013), in dem – wie ich unten zeigen werde – lediglich weniger umfangreiche Aufgaben ohne weitere Erklärungen aufgeführt werden. In Bezug auf die Ebene des Textes erscheint in von klipp und klar (B1, 2016) die angesprochene Interpretationsaufgabe zu Funktionsverbgefügen relevant:

Abbildung 13:

Interpretationsaufgabe zu Funktionsverbgefügen in klipp und klar (Fandrych et al. 2016: 131)

Abbildung 13 zeigt eine Übung aus klipp und klar (B1, 2016), in der die Aufmerksamkeit der Lerner und Lernerinnen auf zusätzliche Bedeutungsaspekte im Zusammenhang mit Funktionsverbgefügen gelegt wird. Die zusätzlichen Bedeutungsaspekte der Gefüge beschränken sich laut der Übung aber nicht nur auf die Bedeutung der Gefüge im Vergleich mit den Basisverben, sondern sie hängen auch mit der Abfolge der Wörter im Satz zusammen. So kann zur Debatte in g) Die Eltern stellen dieses Problem noch einmal grundsätzlich zur Debatte und h) Zur Debatte steht seit Jahren auch die Zahl der verfügbaren Studienplätze durch die Stellung der Glieder im Satz unterschiedlich betont werden (Daniels 1963: 228f.; Wöllstein 2014: 39). Diese Übung stellt jedoch einen Einzelfall in den untersuchten Lehrwerken dar. Andere Übungen fokussieren Funktionsverbgefüge im Zusammenhang mit den entsprechenden Basisverben, die die Gefüge in Substitutionsaufgaben ersetzen sollen, vgl. die folgende Übung (Fandrych et al.: 131):

Abbildung 14:

Substitutionsübung zu Funktionsverbgefügen in klipp und klar (Fandrych et al. 2016: 131)

Abbildung 14 zeigt eine Übung aus dem DaF-Lehrwerk klipp und klar (Fandrych et al. 2016: 131), in der die in einem Text vorkommenden Funktionsverbgefüge durch die entsprechenden Verben ersetzt werden sollen. Trotz der Thematisierung von zusätzlichen Bedeutungsaspekten von Funktionsverbgefügen in klipp und klar soll der Text in der Substitutionsaufgabe paraphrasiert werden, was einen Widerspruch darstellt. Bereits im ersten Satz des zu paraphrasierenden Textes Viele Menschen bringen ihre Abneigung gegen Rauchen in der Öffentlichkeit deutlich zum Ausdruck geht durch die Paraphrase mit ausdrücken, also Viele Menschen drücken ihre Abneigung gegen Rauchen in der Öffentlichkeit deutlich aus, die durative bzw. iterative Lesart des Funktionsverbgefüges (vgl. Eroms 2000: 167, Helbig/Buscha 2011: 73) verloren. Die Paraphrase stellt folglich zwar keine echte Ausdrucksalternative dar (vgl. Kap. 4.2 Ergebnisse), soll aber trotzdem eingeübt werden, was aus (fremdsprachen-)didaktischer Perspektive kontraproduktiv erscheint. Zudem wirkt der Textauszug durch die hohe Dichte an Funktionsverbgefügen unauthentisch, geradezu so, als hätte man einen Text mit den entsprechenden Verben einfach umformuliert, und die Lerner und Lernerinnen sollen den Text wieder in die ursprüngliche Form bringen. Dies wäre aber genauso unangebracht, denn auch die mit den Funktionsverbgefügen korrespondierenden Basisverben (entscheiden – Entscheidung treffen) weisen wie auch die Gefüge ein spezifisches Kombinations- und Funktionspotenzial auf (vgl. Storrer 2006a: 176), d.h. sowohl durch die Substitution von Funktionsverbgefügen mit Basisverben als auch durch die Substitution von Basisverben mit Funktionsverbgefügen werden spezifische Ausdrucksmöglichkeiten der jeweiligen Konstruktion ignoriert, was neueren und gebrauchsbasierten Ansätzen für den Fremdsprachenunterricht nicht entspricht (vgl. Goldberg 1995, Tomasello 2003, Stoll 2008, Klages/Pagonis 2014).

Im Lehrwerk studio d (B1, Funk et al. 2013) werden Funktionsverbgefüge zwar auch thematisiert, im Vergleich zu klipp und klar (B1, Fandrych et al. 2016) jedoch nicht in gleicher Ausführlichkeit, denn in studio d sind keine Erklärungen zu Nomen-Verb-Verbindungen enthalten, d.h. auch keine Definitionen oder andere Hinweise zur Bedeutung und Funktion, vgl. die folgenden Übungen in Abbildung 15:

 

Abbildung 15:

Übungen zu Funktionsverbgefügen in studio d (B1, Funk et al. 2013: 75)

Abbildung 15 zeigt vier Übungen zu Funktionsverbgefügen aus dem DaF-Lehrwerk studio d (B1, Funk et al. 2013: 75). Es sollen zuerst Funktionsverben mit Funktionsnomen verknüpft werden, die danach entsprechenden Basisverben zugeordnet werden sollen. Mit dem Hinweis „Nomen-Verb-Verbindungen können ersetzt werden“ sollen in der nächsten Übung alle Funktionsverbgefüge im Text mit Basisverben ersetzt werden und im Anschluss daran soll diskutiert werden, welcher Text verständlicher und besser im Ausdruck ist (Funk et al. 2013: 75). Zwei von vier Aufgaben zielen in studio d auf die Substitution mit dem Basisverb; die vierte Aufgabe zur Diskussion in der Gruppe thematisiert die Verständlichkeit des Textes mit und ohne Funktionsverbgefüge. Der Grund für derartige Aufgaben mit dem Fokus auf die Substitution von Funktionsverbgefügen könnte sein, dass Funktionsverbgefüge seit über einem Jahrhundert in Schreibratgebern als schlechter und unverständlicher Stil abgetan werden (vgl. Wustmann 1891: 416ff.; Daniels 1963: 9f.; Reiners 2009: 72; Mackowiak 2011: 72; s. dazu ausführlich Kap. 1.2.1). Gefüge, wie Frage stellen und Entscheidung treffen, sollen den Ratgebern zufolge vermieden werden und mit einem Basisverb, wie fragen oder entscheiden, ersetzt werden (vgl. Reiners 2009: 72), was in Lehrwerken, wie studio d – Die Mittelstufe (B1, Funk et al. 2013) und klipp und klar (B1, Fandrych et al. 2016), zur Übung gemacht wird.

Die Analyse der Lehrwerke Radio D (2005), Berliner Platz 1 (2009), studio d (A1, Band 1 und 2, 2012), studio d – Die Mittelstufe (B1, 2013) und klipp und klar (B1, 2016) ergibt, dass Funktionsverbgefüge trotz ihrer Relevanz für den DaF-Unterricht durch ihr Vorkommen in verschiedenen Textsorten und Sprachen sowie ihre Frequenz nur in zwei von drei untersuchten DaF-Lehrwerken behandelt werden. Die ausführlichste Darstellung von Funktionsverbgefügen bietet das DaF-Lehrwerk klipp und klar (B1, 2016). Es ist das einzige der untersuchten Lehrwerke, das eine Übung mit dem Schwerpunkt auf semantischen Funktionen der Gefüge anbietet. Fokussiert werden in den Übungen die Zuordnung von Funktionsverben und -nomen sowie die Substitution mit einem einfachen Verb. Funktionsverbgefüge werden insgesamt also kaum im konkreten Sprachgebrauch thematisiert, was erstens als Hinweis für den Einfluss von Ratschlägen zur Vermeidung von Funktionsverbgefügen aus der Ratgeberliteratur gewertet werden kann und zweitens auch neueren Ansätzen der Fremdsprachendidaktik nicht entspricht. Im nächsten Abschnitt werden Untersuchungsergebnisse aus 60 Jahren Forschung zu Funktionsverbgefügen zusammengefasst.