Leistungen von Funktionsverbgefügen im Text

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3.1.6. Präpositionalphrasen

Unter den Erweiterungen von Funktionsnomen finden sich in der Forschungsliteratur nominale Erweiterungen in Form von Präpositionalphrasen (vgl. Hinderdael 1985: 263; Schmidt 1968: 50; Żmigrodzki 2000: 119ff.), wie z.B. Fragen von so kühlem Ernst stellen (Daniels 1963: 232), Anklage gegen die USA erheben (Schmidt 1968: 51) oder im Dienst an der Sache Jesu Christi bleiben (Hinderdael 1985: 263), vgl. die folgenden Beispiele aus den Wikipedia-Korpora (Hervorhebung S.K.):

1 Direkte Fragen zur Tat werden diesmal nicht gestellt […].1

2 Die Antwort auf ein solches Signal wird mit drei Zeichen pro Minute gegeben […].2

3 Eine Entscheidung im kommunalen Bereich trifft die Bürgerwerkstatt nicht […].3

Die Funktionsnomen Frage, Antwort und Entscheidung werden durch die Präpositionalphrasen zur Tat, auf ein solches Signal und im kommunalen Bereich erweitert, wodurch die Nomen beispielsweise in Bezug auf ein Thema, z.B. (20) Fragen zur Tat, ein Ereignis, z.B. (21) Antwort auf ein solches Signal, oder hinsichtlich ihrer Lokalisierung, z.B. (22) in Entscheidung im kommunalen Bereich, spezifiziert werden und in Relation mit dem Funktionsnomen gesetzt werden können (vgl. Engel et al. 1999: 477; s.a. Ágel 2017: 753f.). Die Leistung von präpositionalen Erweiterungen der Funktionsnomen liegt daher einerseits in der Modifikation und Spezifikation von Informationen (vgl. z.B. Daniels 1963: 230f.; Hinderdael 1985: 575; s.a. Averintseva-Klisch 2013: 37), andererseits können Inhalte durch die Verknüpfung des Funktionsnomens und der Präpositionalphrase verdichtet werden (vgl. Schmidt 1968: 70), vgl. z.B. jmd. entscheidet im kommunalen Bereich vs. die Entscheidung im kommunalen Bereich. Darüber hinaus können die nominalen Formen in den Präpositionalphrasen auf vorerwähnte oder bekannte Textreferenten verweisen, wie z.B. solches Signal in (21) die Antwort auf ein solches Signal, und diese im Text weiterführen (vgl. Ágel 2017: 753f./770; Averintseva-Klisch 2013: 33ff./37; Engel et al. 1999: 61; Schwarz-Friesel-Consten 2014: 114; Adamzik 2016: 264f.; s. Kap. 3.4; 4.2.5).

Präpositionalphrasen weisen in Bezug auf ihren Status als Erweiterung des Funktionsnomens jedoch eine Schwierigkeit auf: Sie können nämlich entweder als Attribute oder als Objekte zum Nomen interpretiert werden (vgl. Helbig/Buscha 1979: 520; Hinderdael 1985: 575). Der Grund dafür liegt in der Form des Funktionsnomens als Verbalableitung (vgl. Helbig/Buscha 2011: 69; Kamber 2008: 22f.), z.B. Frage von fragen, Antwort von antworten und Entscheidung von entscheiden. Basisverben können in ihren Satzbauplänen Präpositionalobjekte in Form von Präpositionalphrasen enthalten (vgl. Fabricius-Hansen 2006: 261; s. Kap. 3.2), wie z.B. nach etw. fragen oder auf etwas antworten, die in der Valenz des Funktionsverbgefüges vorkommen können, wie z.B. eine Frage nach etw. stellen oder eine Antwort auf etw. geben (vgl. Fabricius-Hansen 2006: 261, s. Kap. 3.2.1.1).

Derartige nach- oder auf-Präpositionalphrasen können auf Satzebene hinsichtlich ihrer Satzgliedfunktion als Objekte oder als Attribute des Funktionsnomens interpretiert werden (vgl. Helbig/Buscha 1979: 520; Hinderdael 1985: 575), die von Ágel (2017: 770) deshalb als ‚Präpositional(objekt)attribute‘ bezeichnet werden. Ich entscheide mich in der Analyse für die folgende Vorgehensweise: Auf der Analyseebene der Erweiterungen des Funktionsnomens fokussiere ich Funktionsnomen mit Präpositionalphrasen in Kontaktstellung, wie (20)–(22), d.h. es werden Belege quantifiziert, in denen die Präpositionalphrase direkt mit dem Nomen verknüpft ist. In Abschnitt 3.2.1.1 werden für die Analyseebene der Valenz von Funktionsverbgefügen für jedes der Gefüge Satzbaupläne aus der Valenz des Basisverbs, also z.B. für Frage stellen von fragen, abgeleitet, sodass beispielsweise nach- oder auf-Präpositionalphrasen als realisierte Aktanten der Funktionsverbgefüge-Valenz berücksichtigt werden, die verschiedene Positionen im Satz einnehmen können (vgl. Pittner/Berman 2015: 37; s. Kap. 3.2.1.1), wie z.B. Die Antwort wird mit drei Zeichen pro Minute auf ein solches Signal gegeben.

Funktionsnomen können um Präpositionalphrasen erweitert werden, wodurch Informationen im Text modifiziert, spezifiziert, wiederaufgenommen und verdichtet werden können. Auf der Ebene der Erweiterungen von Funktionsnomen werden Präpositionalphrasen in Kontaktstellung mit dem Funktionsnomen berücksichtigt. Im Folgenden werden satzförmige Erweiterungen von Funktionsnomen thematisiert.

3.1.7. Satzförmige Erweiterungen

In der Forschungsliteratur zu Funktionsverbgefügen werden satzförmige Erweiterungen der Funktionsnomen aufgeführt, die nach ihren Satztypen subklassifiziert werden können (vgl. Daniels 1963: 233; Schmidt 1968: 52; Hinderdael 1985: 265; Popadić 1971: 52; Storrer 2006b: 173; 2013: 203; Żmigrodzki 2000: 135), wie z.B.:

 Relativsätze

1 […] die Erfahrung machen können, die ihm sein konservativer Vorgänger voraushatte (Popadić 1971: 52; Hervorhebung S.K.)

2 Er ertappte sich bei […] Entscheidungen, die er nur traf, um sich eine Last vorläufig vom Hals zu schaffen (Storrer 2013: 203; Hervorhebung S.K.)

 Konjunktionalsätze

1 …, vielleicht konnten Sie ihn auf den Gedanken bringen, daß ich dringend Geld brauche. (Hinderdael 1985: 266; Hervorhebung S.K.)

 Infinitivsätze

1 Als Glaubensgemeinschaft darf sie selber bei allem kirchlichen und gesellschaftlichen Einsatz nicht in die Versuchung geraten, auf die eigenen Leistungen statt auf Gott zu vertrauen. (Hinderdael 1985: 265; Hervorhebung S.K.)

 Direkte Rede

1 Wer … vor Augen hält, kann sehr wohl auf den Gedanken kommen: Ist hier aus der Botschaft vom wirklichen Jesus von Nazaret [sic!] nicht ein Erzählen von „Göttergeschichten“, also „Mythologie“ geworden? (Hinderdael 1985: 266)

 Indirekte Rede

1 …, daß ich niemals auf die Vermutung gekommen bin, diese Vorrichtung, …, könne schon seit langem gar keinen Zweck mehr erfüllen (Hinderdael 1985: 266)

In den Beispielen werden die Funktionsnomen Erfahrung, Entscheidung, Gedanken und Versuchung um Relativ-, Konjunktional- und Infinitivsätze sowie direkte und indirekte Rede erweitert und bilden satzförmige Erweiterungen im weiteren Sinn (vgl. Ágel 2017).1 Unter den aufgeführten Relativsätzen werden in der Forschungsliteratur zwei Typen unterschieden, nämlich Relativsatz Typ 1, bei dem das Funktionsverbgefüge im Matrixsatz steht und das Funktionsnomen durch einen Relativsatz erweitert wird, z.B. (23) Erfahrung machen, die […] (vgl. Popadić 1971: 52; Storrer 2006a: 173). Bei Relativsätzen des zweiten Typs werden die Funktionsnomen und -verben auf zwei Sätze verteilt: das Funktionsnomen wird um einen Relativsatz erweitert (vgl. Storrer 2006a: 173), in dem das Funktionsverb das Prädikat bildet, z.B. (24) Entscheidungen, die er nur traf. Für die aufgeführten Satztypen finden sich ähnliche Belege im Wikipedia-Korpus (Hervorhebung S.K.):

1 […] hat bereits eine schwere Entscheidung getroffen, die das Verhältnis zwischen ihm und seinem Partner zusätzlich belastet […].2

2 Die Antworten, die er gibt, haben für seine Gesprächspartner häufig einen beleidigenden oder entlarvenden Charakter.3

3 Im Frühjahr 2011 wurde endgültig die Entscheidung seitens der Britischen Olympic Association getroffen, dass die Mannschaft an den Olympischen Spielen 2012 in London teilnehmen wird.4

4 Propst Mösner und Albin Schwaiger trafen schließlich die Entscheidung, die meteorologischen Beobachtungen […] fortzusetzen […].5

5 […], indem er ihm 1903 die Frage stellte: "Kennen Sie Cézanne?"6

6 Auf diese Fragen gab ihm der fähigste unter den Befragten die Antwort, das Mittel, das man dazu benötige, sei nichts anderes als die Gerechtigkeit.7

Die Funktionsnomen Frage, Antwort und Entscheidung werden in den Beispielen (29)–(34) satzförmig erweitert: Ein Relativsatz Typ 1 wird in (29) realisiert – Typ 2 in (30), ein Konjunktionalsatz in (31), ein Infinitivsatz in (32) sowie direkte Rede in (33) und indirekte in (34) (vgl. Hinderdael 1985: 165f.; Ágel 2017: 770). Satzförmige Erweiterungen können in Bezug auf die Funktionsnomen verschiedene Funktionen erfüllen: Konjunktionalsätze können entsprechend ihrem Subjunktor verschiedene Illokutionstypen zum Ausdruck bringen, wie z.B. die Feststellung in (31), dass die Mannschaft an den Olympischen Spielen 2012 in London teilnehmen wird (vgl. Schwarz-Friesel/Consten 2014: 84; Engel et al. 1999: 477). Relativsätze können Funktionsnomen modifizieren, spezifizieren und situieren, wie z.B. in (29) Entscheidung […], die das Verhältnis […] belastet im Sinne von ‚belastende Entscheidung‘ (vgl. Schmidt 1968: 49; Hinderdael 1985: 217/266; Seifert 2004: 105ff.; Ágel 2017: 680ff.; Engel et al. 1999: 477ff.). Zudem nehmen die Relativpronomen die Funktionsnomen pronominal wieder auf, wodurch Informationen im Text weitergeführt werden können (vgl. Ágel 2017: 462ff./687; Ágel 2017: 884; Engel et al. 1999: 477; von Polenz 2008: 264; Schwarz-Friesel/Consten 2014: 104ff.; Adamzik 2016: 268). Durch die Erweiterung als Satz können die Funktionsnomen zudem um komplexe Informationen erweitert werden, d.h. um weitere Prädikate, Subjekte und Objekte, wie in (34) das Mittel, das man dazu benötige, sei nichts anderes als die Gerechtigkeit, d.h. satzförmige Erweiterungen können weitere Nominalphrasen (s. Kap. 3.1.5), Adjektivphrasen (s. Kap. 3.1.2), Präpositionalphrasen (s. Kap. 3.1.6) sowie weitere Sätze einbetten, wodurch vielschichtige und komplexe Informationen komprimiert werden können (vgl. Daniels 1963: 231).

 

Funktionsnomen können durch Sätze erweitert werden, wodurch komplexe Informationen im Text vermittelt werden können, wobei die Funktionsnomen nicht nur modifiziert und spezifiziert, sondern auch im Textverlauf weitergeführt werden können. Ich unterscheide die satzförmigen Erweiterungen der Funktionsnomen nach ihrem Satztyp.

Funktionsnomen können durch verschieden komplexe sprachliche Einheiten erweitert werden. Unter den Erweiterungen der Funktionsnomen finden sich Artikelwörter, Adjektive, Nomen und Sätze, die weiter subklassifiziert werden können: Artikelwörter werden nach ihrer Artikelklasse, wie z.B. (un)bestimmer Artikel, Possessiv- oder Demonstrativartikel unterschieden. Adjektive können zum einen semantisch voneinander abgegrenzt werden, z.B. in Bezug auf qualifizierende oder quantifizierende Funktionen; und zum anderen nach ihrem Komplexitätsgrad bezüglich der Ko- und Subordination von Elementen in der Adjektivphrase. Unterschieden werden von diesen adjektivischen Erweiterungen Ableitungen des Funktionsverbs, die als Funktionsverb-Partizipien das Funktionsnomen attribuieren können, wie z.B. die gestellten Fragen. Nominale Erweiterungen können morphosyntaktisch voneinander abgegrenzt werden: Zum einen können Funktionsnomen mit anderen Nomen Komposita bilden, zum anderen kommen nominale Erweiterungen in Form von Genitiv- und Präpositionalphrasen vor. Satzförmige Erweiterungen der Funktionsnomen können nach ihrem Satztyp subklassifiziert werden. Die gelisteten syntaktischen Erweiterungsmöglichkeiten der Nominalphrasen werden in der Forschungsliteratur mit der Modifikation, Spezifikation, Perspektivierung, Verdichtung und der Wiederaufnahme in Verbindung gebracht und sind für die Analyse von Funktionsverbgefügen im Textzusammenhang relevant. Im Folgenden gehe ich auf die Valenz von Funktionsverbgefügen ein.

3.2. Valenz

Unterschiedliche sprachliche Einheiten können miteinander verknüpft werden. Ihre Valenz bestimmt dabei durch die Eröffnung eines Satzrahmens – eines strukturellen Bauplans für die Bildung von grammatischen Sätzen –, welche Leerstellen mit welchen sprachlichen Einheiten besetzt werden können oder müssen (vgl. Reimann/Kessel 2005: 14; Ágel 2000: 16). In Abhängigkeit von der jeweiligen sprachlichen Einheit unterscheiden sich Satzbaupläne voneinander und ergeben auf der Ebene des Textes unterschiedliche Textmuster (vgl. Heringer 2015: 84). Im Zusammenhang mit Nomen-Verb-Verbindungen werden Valenzveränderungen im Kontrast zu ihren Basisverben thematisiert: Funktionsverbgefüge weisen im Vergleich mit den entsprechenden Basisverben oft andere Satzbaupläne auf, die sich insbesondere in der Anzahl und der Art der Aktanten von den Satzbauplänen der Basisverben unterscheiden (vgl. v. Polenz 1963, 1987; Heringer 1968, 1972; Heidolph et al. 1981; Hinderdael 1985; Zifonun 1997; Fabricius-Hansen 2006; Żmigrodzki 2000: 145ff.; Jędrzejko 1992, 1996; Vetulani 2000: 44). Für die vorliegende Untersuchung von Funktionsverbgefügen im Textzusammenhang ist die Valenz als Analyseebene also relevant. Valenzmuster von Funktionsverbgefügen lassen sich jedoch aufgrund der Heterogenität der Gefüge (s. Kap. 1.1) nur schwer systematisieren (vgl. Zifonun et al. 1997: 1068f.). Für die Untersuchung der Funktionsverbgefüge Frage stellen, Antwort geben und Entscheidung treffen im Textzusammenhang werden in Abschnitt 3.2.1.1 von Basisverben Valenzmuster der Gefüge sowie ein Kategoriensystem für die Korpusanalyse abgeleitet, das auf der Reduktion (s. Kap. 3.2.1.1) sowie Vereinheitlichung (s. Kap. 3.2.1.2) von Valenzmustern basiert.

3.2.1. Valenzverschiebung

Mit dem Begriff ‚Valenz‘ werden in der Linguistik semantisch-syntaktische Bindungsverhältnisse zwischen sprachlichen Einheiten bezeichnet (vgl. Ágel 2017: 269; Heringer 2015: 39; Helbig/Schenkel 2011: 12). Beschrieben werden sprachliche Elemente v.a. nach ihrer Wertigkeit, d.h. danach, wie viele Leerstellen für andere sprachliche Elemente eröffnet werden und wie diese Leerstellen semantisch-formal gefüllt werden müssen (vgl. Helbig/Schenkel 2011: 12). Als Valenzträger haben Prädikate die Eigenschaft, Ergänzungen an sich zu binden und sie formal und inhaltlich zu bestimmen (vgl. Ágel 2017: 262). Das Prädikat bestimmt, welche Aktanten mit welcher Notwendigkeit am Geschehen, d.h. im jeweiligen (Kon-)Text, beteiligt sind (vgl. Ágel 2017: 257; Fischer 2001: 259). Ein Verb wie gehen weist beispielsweise zwei Leerstellen für Aktanten auf: Eine Stelle für das Subjekt des Satzes (Ksub) und eine Leerstelle für eine Adverbativergänzung (Kadv), die den Zielort der Handlung beschreibt (vgl. E-VALBU 2019, gehen).1 Da sowohl das Subjekt als auch die Adverbativergänzung in einem Satz, wie Ich gehe zur Uni, nicht weggelassen werden können, sind beide Ergänzungen obligatorische Aktanten von gehen. Daraus ergibt sich das folgende Valenzmuster für das Verb gehen (E-VALBU 2019, gehen):2

Satzbauplan von gehen: Ksub, Kadv

Die Notwendigkeit von sprachlichen Einheiten bemisst sich dabei einerseits nach der Notwendigkeit für eine bestimmte kommunikative Situation, zum anderen an der Notwendigkeit für die Kohärenz eines Textes (Storrer 1992: 105ff.), d.h. dass unter bestimmten kontextuellen Bedingungen eine Adverbativergänzung, wie zur Uni, auch weggelassen werden könnte, z.B. wenn diese Information irrelevant ist oder bereits aus dem Kontext hervorgeht (vgl. Welke 1989: 5).

Sprachliche Einheiten können also andere sprachliche Elemente an sich binden und ihre Form sowie Semantik vorherbestimmen. Valenzstrukturen sind jedoch nicht statisch, sondern sie können sich im Zuge von Wortbildungsprozessen, wie z.B. bei der Derivation von gehen zu runtergehen, verändern und es kann zu Valenzverschiebungen im Satzbauplan der Wortbildungsprodukte kommen (vgl. Ágel 2017: 619) – runtergehen hat beispielsweise keine Adverbativergänzung, sondern eine Akkusativergänzung etwas runtergehen, wie z.B. eine Treppe runtergehen (vgl. Ágel 2017: 619). Derartige Valenzverschiebungen sind auch in Bezug auf Funktionsverbgefüge zu beobachten, weil sie als Verbalabstrakta von Basisverben abgeleitet werden (vgl. Kamber 2008: 22f./113, Helbig/Buscha 2011: 69; Hinderdael 1985: 647; Hasselberg 1994; Relleke 1974: 2; grammis 2019: Verbgruppe als Prädikatsausdruck3). Das Funktionsnomen Frage in Frage stellen beispielsweise steht in einem Ableitungsverhältnis mit dem Basisverb fragen: {frag} verbindet sich mit {e} zu dem Verbalsubstantiv Frage (vgl. Busch/Stenschke 2018: 105ff.; Meibauer et al. 2015: 56, grammis 2019: Verbgruppe als Prädikatsausdruck4), das sich mit einem passenden Funktionsverb zu einem Funktionsverbgefüge verbinden kann und ein eigenständiges Valenzmuster aufweist (vgl. Heidolph et al. 1981: 440; Hinderdael 1985: 645; Fabricius-Hansen 2006: 263; Stumpf 2019: 6; Wotjak 1992: 55).

1 {frag} + {e} = Frage

2 Frage + stellen = FVG

3 FVG + X = grammatischer Satz

Sowohl das Basisverb fragen als auch das abgeleitete Nomen Frage und das Funktionsverb stellen weisen eine spezifische Valenzstruktur auf, die im Funktionsverbgefüge miteinander verschmilzt, d.h. sowohl das Valenzverhalten des Basisverbs fragen als auch des Funktionsverbs stellen ist im Funktionsverbgefüge Frage stellen implizit integriert (vgl. z.B. Heidolph et al. 1981: 440; Hinderdael 1985: 645; Fabricius-Hansen 2006: 263). Wenn das Basisverb fragen also einen Rezipienten im Satzbauplan aufweist, z.B. jemanden fragen, dann ist der Rezipient auch im Valenzmuster von Frage stellen, also jemandem eine Frage stellen, enthalten (vgl. Stumpf 2019: 8).

In der Forschungsliteratur zur Valenz von Funktionsverbgefügen finden sich Generalisierungen. Beispielsweise würden präpositionale Funktionsverbgefüge eine Akkusativergänzung fordern, z.B. etwas in Gang bringen; akkusativische Funktionsverbgefüge würden dagegen Dativergänzungen im Satzbauplan enthalten, wie z.B. jemandem eine Frage stellen (vgl. Heidolph et al. 1981: 440). Auf die akkusativischen Funktionsverbgefüge Frage stellen und Antwort geben lässt sich diese Generalisierung übertragen: Sowohl Frage stellen als auch Antwort geben können mit einer Dativergänzung realisiert werden, wie z.B. in stellt […] seiner Mutter Fragen5 oder gibt […] den Medienberichten Antwort6 (s. Kap. 3.2.1.1). Auf das akkusativische Funktionsverbgefüge Entscheidung treffen lässt sich dieses Muster jedoch nicht anwenden, vgl. *jemandem eine Entscheidung treffen. Einen für die vorliegende Arbeit geeigneten Vorschlag zur Ermittlung von Valenzstrukturen von Funktionsverbgefügen macht Fabricius-Hansen (2006), indem sie das Valenzmuster von Funktionsverbgefügen unter Berücksichtigung des Satzbauplans des zugrundeliegenden Basisverbs ableitet und am Beispiel von Kritik üben und Erlaubnis erteilen demonstriert: Liegt der nominalen Komponente ein transitives Verb zugrunde, wie z.B. jemand kritisiert jemanden, kann die Ergänzung präpositional (oder dativisch) mit dem Funktionsverbgefüge realisiert werden – mit der Valenzstruktur Jemand übt Kritik an jemandem (vgl. Fabricius-Hansen 2006: 263; Hinderdael 1985: 646). Sieht der Satzbauplan des Basisverbs beispielsweise ein Dativobjekt vor, wie erlauben in jemand erlaubt jemandem etwas, dann wird dieses Dativobjekt in die Valenzstruktur des Funktionsverbgefüges übertragen – Jemand erteilt jemandem eine Erlaubnis:

Abbildung 16:

Kritik üben vs. kritisieren

Abbildung 17:

Erlaubnis erteilen vs. erlauben (Fabricius-Hansen 2006: 263; Hervorhebung im Original)

Die Akkusativergänzung von kritisieren wird zu einem Präpositionalobjekt7 von Kritik üben, das Dativobjekt von erlauben wird als Dativobjekt in die Struktur von Erlaubnis erteilen übertragen, d.h. nur im Fall von Kritik üben liegt Valenzverschiebung vor. Wesentlich ist die Valenzverschiebung in Bezug auf den Textzusammenhang, weil durch den Prozess der Valenzverschiebung nicht nur andere Aktanten von einem Funktionsverbgefüge gefordert werden können, wie z.B. den Chef kritisieren vs. am Chef Kritik üben (vgl. Weisgerber 1958: 52; Daniels 1963: 218; Heringer 1966: 476; Hinderdael 1985: 215; 2006a: 174), sondern es können durch Verschiebungen der Valenz auch obligatorische Aktanten zu fakultativen werden (vgl. Burger 2015: 162; Storrer 2006a: 174; Vetulani 2000: 46f.). Ob also von einer Valenzverschiebung in Bezug auf die Funktionsverbgefüge Frage stellen, Antwort geben oder Entscheidung treffen ausgegangen werden kann, ist für jedes Gefüge im Einzelnen zu überprüfen. Da es bislang keine Valenz-Wörterbücher für Funktionsverbgefüge gibt, werden im Folgenden die Valenzmuster der untersuchten Gefüge nach dem vorgestellten Vorgehen von Fabricius-Hansen (2006) abgeleitet und auf Verschiebung und Reduktion im Vergleich mit den Basisverben überprüft.