Das große Buch der Affirmationen

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4. Autopilot versus freie, bewusste Entscheidung

Wie kommt es, dass wir so sind, wie wir sind?

Die Frage „Wer bin ich?“ und „Warum bin ich so, wie ich bin?“ gehören sicher zu den elementarsten Fragen, die wir uns im Laufe unseres Lebens stellen. Wir werden uns in diesem Abschnitt deshalb damit beschäftigen, wie sich unsere Persönlichkeit ausbildet, woher unsere Werte, Überzeugungen und Einstellungen kommen und wie und warum unsere automatisch ablaufenden Programme entstehen.

Dafür werden wir uns zuerst ansehen, was in unserem Gehirn passiert, wenn wir etwas Neues lernen und es dort als Erinnerung, Erfahrung oder Einstellung abspeichern. Dann sehen wir uns an, welche Folgen diese Programme für unseren Organismus haben und warum unser Organismus so gerne in Altem und Bekanntem verharrt, selbst wenn das nicht gut für uns ist. Schließlich werden wir uns mit dem Thema „Gene“ beschäftigen und mit der Frage, wie festgelegt wir durch unser genetisches Erbe wirklich sind.

Einen Hinweis möchte ich noch vorausschicken: Neurobiologie, Bewusstsein und Wahrnehmung sind sehr komplexe Themen, die ich hier naturgemäß stark vereinfacht darstelle (sonst hätte das Buch 500 Seiten und wäre wahrscheinlich ein bisschen sperrig zu lesen). Außerdem ist Wissenschaft etwas Bewegliches und neue Erkenntnisse verändern ständig das Bild, deshalb spiegelt das hier Beschriebene den aktuellen Forschungsstand. Die Auswahl der Quellen entspricht meiner Sichtweise und meinem Verständnis und lässt sich anhand der Endnoten und des Literaturverzeichnisses für Sie nachvollziehen.

Persönlichkeit und Essenz

Grundsätzlich besteht unsere Persönlichkeit – also das, was wir denken, fühlen, tun und sind –, aus drei Komponenten:

1. aus dem genetischen Erbe, das wir von unseren Eltern und Vorfahren mitbekommen haben (z.B. das musische Talent, die Vorliebe für Bratkartoffeln, das schmale Gesicht, die Augen- und Haarfarbe, die Neigung zu Krampfadern, aber auch Wesenszügen und Erfahrungen);

2. aus der Prägung durch unsere (frühe) Umgebung (die emotionale Atmosphäre in unserer Familie, die Geschichte, Erfahrungen und Einstellungen unserer Eltern und daraus, welche unserer Wesenszüge von den Eltern geschätzt und verstärkt und welche nicht geschätzt und bestraft oder umgeprägt wurden);

3. aus unseren eigenen, individuellen Erfahrungen in Kombination mit der Bedeutung, die wir ihnen aufgrund unserer persönlichen Veranlagung beigemessen haben (z.B. kann Zuwendung angenehm oder unangenehm sein, je nachdem, welches Selbstbild wir haben).

Ich persönlich bin der Ansicht, dass wir darüber hinaus eine Essenz – einen zeitlosen Anteil mit einem ganz bestimmten „Geschmack“ – haben, die weder von der Genetik noch von der Prägung abhängt, allerdings oft von diesen beiden Faktoren überlagert oder verzerrt wird. Diese Essenz bzw. dieses wirkliche Selbst ist das, wonach wir suchen, wenn wir uns fragen „Wer bin ich jenseits meiner Konditionierungen? Wer bin ich wirklich?“. Ein Ziel dieses Buches ist, diese Konditionierungen zu erkennen, zu überprüfen und gegebenenfalls durch etwas zu ersetzen, das uns wirklich entspricht – also im Grunde wieder das zu werden, was wir eigentlich schon sind.

Wie entstehen unsere Programme?

Grundsätzlich, wie gesagt, durch das, was wir von unseren Vorfahren über die Gene an Voreinstellungen geerbt haben, durch die Prägung im Elternhaus und durch das, was wir selbst erleben.

Aber wie entsteht aus dem, was wir hören, fühlen oder erfahren eine Erinnerung oder ein Programm? Was genau passiert im Gehirn, wenn wir etwas Neues lernen, z.B. Autofahren, oder uns an etwas Bekanntes wie den Namen eines ehemaligen Mitschülers erinnern? Und was hat es mit dem Autopiloten auf sich, in dem wir uns einen so großen Teil unserer Zeit befinden?

Dafür müssen wir uns die Struktur des Gehirns etwas genauer ansehen. Das Gehirn besteht aus 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen), die in einer unglaublichen Anzahl von dreidimensionalen Mustern angeordnet sind. Sie können sich das ein bisschen wie ein sehr, sehr komplexes 3-D-Puzzle vorstellen, das nicht den Eiffelturm, sondern Ihr Gehirn darstellt.

Die meisten Neuronen sehen aus wie kleine Bäumchen und bestehen aus einem Zellkörper mit dem Zellkern, in dem sich die DNS befindet, von dem ein verzweigtes Netz aus Dendriten (das sind Verästelungen, die Reize von anderen Neuronen empfangen und an den Zellkern bzw. durch diesen hindurch zu anderen Neuronen leiten) ausgeht. Beides zusammen, Kern und Dendriten, bilden die Krone unseres metaphorischen „Bäumchens“. Vom Zellkörper geht das Axon aus, vergleichbar mit dem Baumstamm, das dann in einer Verästelung von Axonenendungen oder Endknöpfchen endet – den Wurzeln.

Wenn jetzt durch einen Reiz von außen (Freude über ein nettes Wort beim Einkaufen) oder von innen (Erinnerung an den letzten Zahnarztbesuch) eine bestimmte elektrische Stimulation ausgelöst wird, dann geben die Endknöpfchen den Impuls an andere Neuronen weiter. Dies geschieht allerdings meistens nicht direkt, also mit direktem Kontakt und damit elektrisch, sondern chemisch über den sogenannten „synaptischen Spalt“. Das ist ein schmaler Spalt zwischen einer Axonendung und einem Dendriten der Nachbarzelle. Jeder elektrische Impuls, der die Nervenzelle entlang reist, hat eine spezielle Frequenz oder Höhe der Ladung und diese löst in der Membran des Endknöpfchens die Ausschüttung chemischer Botenstoffen aus, den sogenannten Neurotransmittern. Der Nervenimpuls, der von Freude über das nette Wort beim Einkaufen in den Neuronen ausgelöst und als spezielle Frequenz kodiert ist, transportiert also eine ganz andere Information durch unser Gehirn als eine Erinnerung an eine geplatzte Verabredung oder den letzten Zahnarzttermin. Diese spezielle elektrische Frequenz oder Information wird dann unverändert, aber in chemische Impulse übersetzt, an die Nachbarzelle weitergegeben, indem sie einen ganz bestimmten, zu dieser Frequenz passenden, Neurotransmitter in den synaptischen Spalt freisetzt. Die Information befindet sich dann in chemischer Form im synaptischen Spalt.

Auf der anderen Seite befinden sich Rezeptoren; das sind Moleküle, die nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip mit jeweils einem bestimmten Neurotransmitter reagieren. Wenn sich ein entsprechender Neurotransmitter im synaptischen Spalt befindet, schnappt es sich der Rezeptor und verleibt es der Zelle ein. Dort löst das Molekül zum einen eine Reihe von biochemischen Reaktionen in der Zelle selbst aus, gibt die Information aber andererseits auch, nun wieder als elektrischen Impuls oder Aktionspotenzial, über das Axon an die nächste Nervenzelle weiter.

Ein Neuron ist dabei nicht nur wie in einer Kette mit einem anderen Neuron verbunden, sondern kann bis zu 10000 Synapsen, also Verbindungen, mit anderen Neuronen bilden. Insgesamt weist das menschliche Gehirn etwa eine Billiarde Synapsen auf. Das ist so, als würden Sie eine E-Mail statt an nur einen Bekannten und der wiederum an einen weiteren, gleich an alle Adressen in Ihrem E-Mail-Verteiler schicken und diese wiederum an alle Adressen in deren Verteiler.

Die unterschiedlichen Kombinationen dieser Milliarden von Nerven, die miteinander verbunden sind und zusammen in einer ganz speziellen Sequenz feuern, werden als „Neuronale Netzwerke“ oder „Neuronale Netze“ bezeichnet.

Neuronale Netze

Ein neuronales Netz sind buchstäblich Millionen von Neuronen, die zusammen und gleichzeitig in verschiedenen Regionen und Unterregionen im gesamten Gehirn feuern. Sie schließen sich (durch Lernen, s.u.) zusammen, um Teams von Nervenzellen zu bilden, die sich ab dann als Gruppe verhalten. Diese Gemeinschaften haben sich in Beziehung zu einem bestimmten Konzept, einer Idee, einer Erinnerung, Fähigkeiten oder Gewohnheiten zusammengeschlossen. Als Bild können Sie sich einen Sack mit einer Aufschrift, z.B. „Liebe“, vorstellen, in dem sich alle einzelnen Aspekte befinden, die Ihr Verhältnis zu diesem Thema ausmachen. Oder – etwas multimedialer – Sie denken an diese Informationstafeln in Museen, bei denen Sie auf verschiedene Knöpfe drücken können. Je nach Farbe des Knopfes leuchten dann elektronisch auf einer Weltkarte alle Städte auf mit mehr als zwei Millionen Einwohnern oder alle Städte, die unterhalb des Meeresspiegels liegen. Etwas Ähnliches passiert im Gehirn, nur dass hier eben nicht die Städte, sondern all das aufleuchtet, was mit Themen wie „Liebe“ oder „Meine Prüfungsangst“ zu tun hat, wenn ein entsprechender Reiz kommt.

Das neuronale Netz in Ihnen zum Thema „Liebe“ besteht also aus ganz vielen Einzelinformationen (Erfahrungen, Überzeugungen, Gefühlen, Gedanken, Konzepten, Erinnerungen Ihrer Vorfahren, Bewertungen etc.), von denen Ihnen allerdings die meisten nicht oder nur unterschwellig bewusst sind. Die Menge an Assoziationen und der Inhalt dieses neuronalen Netzes bestimmt Ihr Verhältnis zu Liebe und darüber, welche Rolle Liebe in Ihrem Leben spielt.

Wie entstehen aber diese neuronalen Netze? Was bringt Neuronen dazu, sich zu Gruppen zusammenzuschließen und sich dann wie ein Team zu verhalten? (Bildlich gesprochen: Wie kommen all diese Aspekte in den Sack hinein und warum ist die Einstellung zu „Liebe“ bei jedem Menschen so unterschiedlich?)

Im Prinzip entstehen neuronale Netze durch Lernen und die Verknüpfung von immer mehr Informationen (Sinneseindrücke, Erinnerungen an vergangene, gleichartige Erlebnisse, Konzepte, Bewertungen etc.) zu einem Thema.

Wenn wir z.B. sprechen lernen, dann fangen wir mit ganz einfachen Worten wie „Mama“ oder „Ball“ an, die mit einem bestimmten Bild und Gefühlen verbunden sind (im Fall von „Mama“ z.B. mit Sicherheit, Geborgenheit, Wärme, Nahrung, oder auch weniger guten wie Unzuverlässigkeit, Überforderung usw.; oder im Fall von „Ball“ mit bunt, Spaß, spielen usw.). Auf dieser einfachen Basis bauen wir dann auf und verknüpfen neue Worte und Erfahrungen damit, z.B. „lieb“ oder „spielen“. Wir können jetzt also schon „Mama lieb“, aber auch „Mama spielen“ bzw. „Ball lieb“ oder „Ball spielen“ sagen. So baut sich mit jedem neuen Wort, dem dazu gespeicherten Bild und allen damit gemachten Erfahrungen ein dreidimensionales Netz auf, das mit immer komplexer und vielschichtiger wird und die Möglichkeit für immer mehr Verbindungen untereinander bietet. Im Gegensatz dazu ist es für uns oft sehr schwierig, Worte oder Begriffe zu lernen, die keinerlei Verbindung zu bereits Gelerntem haben, z.B. lateinische Vokabeln oder Ortsbezeichnungen in einer ganz fremden Sprache. Hier helfen Eselsbrücken, eigentlich Unbekanntes über einen Umweg doch noch mit etwas schon Bekanntem zu verbinden und es so leichter in ein bereits existierendes neuronales Netz einzubinden.

 

Wie aber funktioniert Lernen physiologisch? Der spanische Neuroanatom Santiago Ramón y Cajal (1852–1934) war einer der Ersten, der vermutete, dass das Lernen und Speichern von Informationen (und damit die Bildung neuronaler Netze) über elektrische Signale funktionierte. Wenn wir eine Information speichern, dann verändern sich die Verbindungen zwischen den Neuronen.

Zu Beginn der 1950er-Jahre entwickelte dann der kanadische Psychologe Donald Hebb diese Vorstellung weiter. Er vermutete, dass Nervenzellen, die im selben Augenblick elektrische Signale abfeuern, ihre Verbindungen untereinander stärken (auf Englisch: „Fire together, wire together“), und wenn sie häufiger zusammen stimuliert werden, gehen sie eine dauerhafte Verbindung in Form eines neuronalen Netzes ein. Die ständige Aktivierung der gleichen Signalkette erhöht damit die Chance, dass der gesamte Schaltkreis mit vereinter Kraft feuert – und die Information als Erinnerung ins Langzeitgedächtnis übergeht. Je öfter Sie sich Ihre neue Pinnummer für die EC-Karte also vorsagen, desto besser können Sie sie sich merken – das Gleiche gilt aber auch bei Dingen wie „Ich kann das nicht“ oder Angewohnheiten wie ein ständiges Drehen an den Haaren.

Wir lernen also neue Informationen, indem wir neue synaptische Verbindungen zwischen Neuronen bilden. Und wir erinnern uns, indem wir diese neuen Verbindungen immer wieder aktivieren. Neuronale Netze sind damit das Resultat einer ständigen neuronalen Aktivierung. Praktisch sieht das so aus, dass dieses neuronale Netz mit all seinen Assoziationen, Gefühlen und Einstellungen immer fester miteinander verknüpft und reichhaltiger wird sowie immer tiefere Spuren in meinem Gehirngewebe hinterlässt, je öfter ich an eine bestimmte Sache denke, z.B. an eine vergangene Verletzung. Ich werde also neurologisch zu dem, woran ich gewohnheitsmäßig denke und worauf ich meine Aufmerksamkeit richte; insofern ist die individuelle Struktur meines Gehirns ein genaues Abbild meines Lebens.

Programme und Autopilot

Wir haben gesehen, dass unser Gehirn neue Informationen lernt, indem es neue Verbindungen zwischen Nervenzellen herstellt. Sehen wir uns nun an, wie und wo diese neuen Informationen gespeichert werden – als explizite, d.h. bewusste, oder implizite, d.h. unbewusste, Erinnerung –, wie daraus unsere unbewussten Programme entstehen und warum wir so oft auf Autopilot, also unbewusst, sind.

Explizite Erinnerung – bewusste Erinnerung, z.B. Pinnummer

Implizite Erinnerung – unbewusste Erinnerung, z.B. laufen

Wo und wie werden bewusste und unbewusste Erinnerungen gespeichert?

Unser Geist hat einen bewussten und einen wesentlich größeren unbewussten Anteil. Beide Bereiche sind eingebettet in zwei ganz unterschiedliche Gehirnsysteme. Unser Bewusstsein befindet sich im Neokortex, unserem bewussten Gedankenzentrum im Gehirn, und hier besonders in der Vorderen Großhirnrinde, dem sogenannten Frontallappen.

Der Frontal- oder Stirnlappen ist der vordere Bereich der Großhirnrinde und hier bzw. in einem Untersektor, dem Präfrontalen Kortex, liegt der physische Sitz des Bewusstseins, der Intention und des bewussten, freien Willens.

Der unter- oder unbewusste Anteil wird dagegen hauptsächlich vom Kleinhirn (Cerebellum) verwaltet, einem stammesgeschichtlich wesentlich älteren Gehirnbereich an der unteren Rückseite des Gehirns.

Eine Funktion dieser beiden Bereiche – des bewussten und unbewussten Bereiche –, mit der wir täglich umgehen und die einen ungeheuren Einfluss auf unser Leben hat, sind explizite und implizite Erinnerungen.

Explizite Erinnerungen: Explizite Erinnerungen sind deshalb explizit, weil wir wissen, dass wir etwas wissen. Diese Erinnerungen werden vom Neokortex verwaltet und sind uns bewusst und willentlich zugänglich. Ein Beispiel für eine explizite Erinnerung ist die Telefonnummer unserer Tante oder das Bedienen des neuen Fernsehers samt Receiver.

Implizite Erinnerungen: Implizite Erinnerungen sind all die Erinnerungen – dazu zählen auch unsere Einstellungen, emotionale Reaktionen, wiederholte Aktionen, Gewohnheiten, konditionierte Verhaltensweisen, unbewusste Reflexe und Fähigkeiten –, die so oft aktiviert worden sind, dass sie automatisch geworden sind. Sie sind uns nicht bewusst – wir wissen nicht, dass wir es wissen –, und sie sind nicht willentlich abrufbar. Ein Beispiel für eine implizite Erinnerung ist die Fähigkeit des Laufen- oder Sprechenkönnens. Wir sind uns nicht bewusst, dass wir es können, und könnten es auch niemandem erklären, obwohl wir beides täglich selbstverständlich tun.

Die impliziten Erinnerungen werden vom Kleinhirn verwaltet, das viele unserer unterbewussten Mechanismen kontrolliert. Das Kleinhirn hat kein Zentrum für Bewusstsein, aber einen sehr leistungsfähigen Erinnerungsspeicher. Hier befindet sich vor allem das, was wir als Unterbewusstsein kennen und damit auch unsere unbewussten, automatischen Programme.

Wir verwandeln die ganze Zeit explizite Erinnerungen in implizite Erinnerungen, indem wir einen Gedanken oder eine Fertigkeit häufig wiederholen. Diese wird erst automatisiert und läuft dann unterbewusst und schließlich, wenn wir sie wirklich gemeistert haben, unbewusst ab. So werden bewusste Gedanken zu unbewussten Gedanken bzw. Programmen und das ist genau unser Ziel mit neuen Verhaltens, Denk- oder Seinsweisen, mit denen wir in Teil II praktisch arbeiten. Wir müssen uns zuerst mit ihnen beschäftigen und uns auf sie bewusst konzentrieren und sie so lange wiederholen, bis sie nach und nach selbstverständlicher werden und schließlich automatisch ablaufen.

Frühe Prägung

Die meisten unserer unbewusst ablaufenden Programme entstehen in der Zeit von der Zeugung bis etwa zum sechsten Lebensjahr. Das ist auch der Grund dafür, warum die ersten Jahre so wichtig sind und unser weiteres Leben so stark prägen. Aber warum ist das eigentlich so? Warum können Sätze wie „Aus dir wird nichts“ oder „Deine Schwester macht das viel besser als du“ so tief wirken, dass sie als unbewusst ablaufendes Programm unser ganzes Leben bestimmen?

Ein Grund hierfür liegt darin, dass wir von Natur aus darauf angelegt sind, in den ersten Lebensjahren Unmengen an Informationen aufzunehmen und abzuspeichern. Das wird verstärkt durch die Tatsache, dass unser Gehirn im Lauf unserer Entwicklung in verschiedenen Gehirnwellenbereichen arbeitet. Diese Gehirnwellenbereiche entsprechen ganz bestimmten inneren Zuständen und kommen dadurch zustande, dass sich die elektrische Ladung einzelner Gehirnzellen verändert, um damit zur Informationsverarbeitung des Gehirns beizutragen. Diese von den Neuronen erzeugten Potenziale oder Ladungen addieren sich und breiten sich über das ganze Gehirn aus.

Es gibt fünf verschiedene Frequenz- oder Wellenbereiche:

Delta (0,5–3,5 Hz)

Dieser Wellenbereich tritt auf, wenn wir im Tiefschlaf oder in einer sehr tiefen Trance sind. In diesem Gehirnwellenbereich sind wir normalerweise unbewusst, das heißt, wir nehmen nicht wahr, ob und was wir wahrnehmen.

Theta

Niedrig/Theta 1 (4–6,5 Hz)

Dieser Zustand tritt auf, wenn wir im Übergangsbereich zwischen Wachen und Schlaf sind, bei Hypnose und in Wachträumen.

Hoch/Theta 2 (6,5–7 Hz)

Dieser Wellenbereich ist typisch für tiefe Entspannung, Meditation und ebenfalls für Hypnose und Wachträume. In diesem Bereich erleben wir eine erhöhte Lern- und Erinnerungsfähigkeit, Kreativität und Konzentrationsfähigkeit.

Alpha (8–13 Hz)

Im Alphabereich sind wir, wenn wir leicht entspannt sind, die Augen geschlossen haben und unsere Aufmerksamkeit nach innen richten. In diesem Zustand haben wir eine erhöhte Erinnerungs- und Lernfähigkeit.

Beta

Niedrig (14–15 Hz)

Dieser Bereich ist gekennzeichnet durch eine entspannte, nach außen gerichtete Aufmerksamkeit. Hier können wir gut Informationen aufnehmen und sind aufmerksam.

Mittel (15–21 Hz)

In diesem Zustand sind wir hellwach und haben eine normale bis erhöhte nach außen gerichtete Aufmerksamkeit. Unsere kognitiven Fähigkeiten sind gut.

Hoch (21–38 Hz)

Dieser Zustand ist durch Stress, Angst, Hektik oder Überaktivierung gekennzeichnet (s.u. „Überlebensmodus“). Unsere Gedanken sind sprunghaft und wir können uns nicht mehr gut konzentrieren.

Gamma (38–70 Hz)

In der neueren Forschung wurde dieser Zustand als eigener Gehirnwellenbereich definiert. Er tritt auf, wenn wir hoch konzentriert sind und eine anspruchsvolle Tätigkeit mit einem hohen Informationsfluss ausführen. Der Gammabereich ist dadurch gekennzeichnet, dass es hier zu einer Veränderung oder Neuorganisation im Gehirn kommt (die sogenannten „Aha-Erlebnisse“ oder tiefen Einsichten).

Neuere Untersuchungen besagen, dass bei Kindern je nach ihrem Entwicklungsstadium eine ganz bestimmte Wellenfrequenz vorherrscht.3

Von der Geburt bis etwa zwei Jahre: Das Gehirn des Kindes befindet sich hauptsächlich im Delta-Bereich, der tiefsten Frequenz unseres Spektrums.

Im Alter von zwei bis sechs Jahren: Das Gehirn beginnt in einem etwas höheren Frequenzbereich, dem Theta-Bereich, zu arbeiten. Beide Bereiche, der Delta- und der Theta-Bereich, machen sehr empfänglich für Programmierungen und werden deshalb auch gerne in der Hypnose verwendet.

Im Alter von sechs bis zwölf Jahren: Das Gehirn schwingt nun verstärkt im Alpha-Frequenzbereich. Wir sind weniger beeinflussbar und das Bewusstsein entwickelt sich.

Ab 12 Jahre: Jetzt gibt es bereits längere Phasen von höher schwingenden Frequenzen (Beta-Wellen). Dies entspricht einem aktiven und fokussierten Bewusstsein.

Weil das Gehirn kleiner Kinder bis sechs Jahre hauptsächlich in den beiden tiefsten Bereichen, Beta und Theta, arbeitet, können sie die unglaublichen Mengen an Informationen abspeichern, die notwendig sind, um in der Welt zurechtzukommen. Wir lernen nie wieder im Leben derartig viel Neues, auch wenn wir subjektiv das Empfinden haben, in der Schul- oder Ausbildungszeit wesentlich mehr gelernt zu haben. Das liegt daran, dass wir immer bewusster werden, je älter wir werden, und das neue Wissen deshalb auch bewusster als solches wahrnehmen (explizite Erinnerungen). Eine so komplexe Fertigkeit wie Laufen oder Sprechen dagegen ist in unserer vorbewussten Zeit entstanden und deshalb eine implizite Erinnerung und entsprechend unbewusst.

Die neuere Forschung geht sogar davon aus, dass wir schon in der vorgeburtlichen Zeit im Mutterleib ein implizites Gedächtnis ausbilden und dass diese Programmierungen für das spätere Leben sehr wichtig sind.4 Und auch wenn diese Erinnerungen, genau wie die der frühen Kindheit, nicht bewusst erinnert oder ausgedrückt werden können, sind sie im Gedächtnis der Zellen, in einzelnen Organen, einzelnen Gehirnbereichen oder im ganzen Körper gespeichert und kommen häufig auf nicht-verbale Weise, z.B. körperlich, zum Ausdruck. Deshalb versuchen viele Formen der Körpertherapie auf diese im Körper gespeicherten Erinnerungen zuzugreifen und sie dort zu lösen.

Kleine Kinder lernen durch Beobachtung und Nachahmung und übernehmen das Weltwissen, aber auch die Eigenarten, Einstellungen, Gefühle und Erfahrungen ihrer Eltern. Das alles wird als implizite Erinnerung oder Programm im Kleinhirn abgespeichert bzw. dort verwaltet und abgerufen. Und sobald diese Verhaltensweisen und Überzeugungen unserer Eltern einmal fest in unser Unterbewusstsein einprogrammiert sind, steuern sie einen großen Teil unseres Lebens – wenn wir sie nicht bewusst verändern.

 

Dieser an sich sinnvolle Mechanismus – wir können so von dem Wissen und der Lebenserfahrung unserer Eltern profitieren –, birgt allerdings ein großes Problem: Wir haben in diesem Alter noch kein ausreichend entwickeltes Bewusstsein, um den Wahrheitsgehalt oder die langfristigen Konsequenzen dieser Informationen beurteilen zu können. Deshalb wird alles, auch Dinge, die objektiv falsch („Alle Politiker sind korrupt“) oder subjektiv schädlich („Du taugst nichts“) sind, als Wahrheit und Tatsache in unserem Unterbewusstsein abgespeichert.

Wenn wir erwachsen sind, ist unser Unterbewusstsein randvoll mit Informationen, die von nützlichen Fähigkeiten wie Fahrradfahren oder Sprechen bis hin zu Überzeugungen wie „Die Welt ist feindlich und nur der Stärkste überlebt“ oder „Ich schaffe das schon“ reichen.

Daher besteht der wichtigste Schritt bei einer Veränderung darin, uns nach und nach den Inhalt unserer automatischen Programme bewusst zu machen und diese dann auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Eine große Hilfe sind hierbei die beiden Techniken – EFT und The Work –, die ich Ihnen im zweiten, praktischen Teil ausführlich vorstellen werde.

Warum sind wir so oft auf Autopilot, also unbewusst?

Kommen wir jetzt zu der Frage, warum wir unseren bewussten, freien Willen und unser Bewusstsein nicht häufiger nutzen, um diese alten, überholten und oft unwahren Programme durch neue und bessere zu ersetzen. Warum sind wir so oft auf Autopilot und lassen unser Leben von unseren vorinstallierten Programmen leben, obwohl sie für die meisten unserer Probleme verantwortlich sind?

Komfortzone

Zum einen, weil sie uns so vertraut sind. Sie fühlen sich deshalb so vertraut an, weil wir sie schon so lange immer wieder verwenden und uns inzwischen vollkommen mit ihnen identifizieren. Diese gebahnten neuronalen Netze stehen uns immer zur Verfügung und wir haben sofort Zugriff auf sie, ohne nachdenken zu müssen. Sie können die Wirkung dieser Komfortzone selbst testen, indem Sie heute Abend bewusst beim Zähneputzen gegengleich anfangen – wenn Sie normalerweise oben rechts beginnen, dann fangen Sie heute unten links an. Es ist erstaunlich, wie unwohl man sich schon bei der Veränderung einer so relativ unwichtigen Tätigkeit fühlen kann – wie viel mehr dann bei etwas, das empfunden einen Teil meiner Identität ausmacht.

Es ist eine leichte, bequeme Art, in den gewohnten, vertrauten und bekannten Bahnen zu denken, zu fühlen und zu handeln. Allerdings wird damit unser innerer Zustand immer automatischer, unbewusster und zur Gewohnheit, und wir fangen an, über uns und unser Leben auf eine immer gleiche Art und Weise zu denken. Oft reicht schon ein Gedanke oder ein Impuls aus der Umgebung aus, um ein vorprogrammiertes Set von Reaktionen und Verhaltensweisen in uns zu aktivieren. So gibt es viele verschiedene Möglichkeiten, innerlich auf das Zuspätkommen des Partners zu reagieren – von Sorge und Ärger über Gelassenheit bis hin zur Gleichgültigkeit.

Das ist zwar einfach und vom Organismus her gesehen energiesparend, andererseits bietet uns diese automatische Reaktion jedoch keine Möglichkeit, neu, bewusst und angemessen zu reagieren. Unser Autopilot ist vergangenheitsbasiert (nicht wahrheitsbasiert), und wir reagieren immer so, wie wir schon immer reagiert haben – ob das erfolgreich, konstruktiv oder angemessen war bzw. ist oder nicht. Dinge automatisch und ohne darüber nachzudenken zu tun, ist für körperliche Tätigkeiten vollkommen in Ordnung und sinnvoll. Was aber passiert, wenn nicht nur unsere körperlichen Tätigkeiten, sondern auch unsere Verhaltensweisen, Überzeugungen, Werte, Einstellung und Stimmungen in das gleiche unbewusste, unüberprüfte, schrecklich vorhersehbare Muster fallen? Dann verwandelt sich unsere Komfortzone in ein Gefängnis.

Außerhalb dieser Komfortzone zu denken, erfordert Willen und eine bewusste Anstrengung; aber das, was wir dafür bekommen, ist jede Anstrengung wert. Und mit Techniken wie EFT und The Work ist es auch wesentlich leichter, unsere alten Muster zu erkennen, sie zu überprüfen und dann durch neue, bessere Verhaltens- und Denkweisen zu ersetzten.

Stress und Überlebensmodus

Der zweite Grund dafür, dass wir so oft unbewusst und auf Autopilot eingestellt sind, ist chronischer Stress. Chronischer Stress bewirkt, dass unser Organismus in einen Überlebensmodus umschaltet.

Wenn wir im Überlebensmodus sind, dann sind wir die ganze Zeit wachsam und auf der Hut und scannen unsere Umgebung nach möglichen Gefahren, um auf sie zu reagieren. Der Neokortex wird dann nicht mehr dazu benutzt, um zu lernen oder bewusst zu denken, sondern er erinnert sich nur noch an vergangene ähnliche Situationen, um sie dann mit der Gegenwart zu vergleichen. Wenn der Neokortex dabei eine mögliche Gefahr entdeckt, antwortet das Gehirn mit einem natürlichen, primitiven Überlebensmechanismus – dem Kampf- oder Fluchtmechanismus des autonomen Nervensystems. Blut und Energiezufuhr verlagern sich dann aus dem Neokortex in unser stammesgeschichtlich älteres Mittelhirn. Wir denken oder überlegen nicht länger, sondern reagieren automatisch, um das (vermeintliche) Überleben unseres Körpers zu sichern. Und je gestresster wir sind, desto stärker greifen wir auf vertraute, automatisch ablaufende Programme zurück (die zum Teil oder auch ganz für den Stress verantwortlich sind).

Neurologisch gesehen liegt das daran, dass durch Stress die hoch komplizierten und deshalb besonders labilen Verschaltungsmuster im relativ jungen Neokortex in Unordnung geraten und nicht mehr richtig funktionieren können. Der Hirnstamm, das Kleinhirn und das Mittelhirn sind stammesgeschichtlich wesentlich älter und deshalb sehr viel stärker und stabiler verschaltet als der Neokortex. Wir greifen also bei Stress zuerst auf die automatischen Programme aus unserer frühen Kindheit zurück. Wird der Stress noch größer, funktionieren auch diese nicht mehr und wir können dann nur noch auf die ganz stabil verschalteten Muster zurückgreifen, die wir aus unserer Stammesgeschichte mitgebracht haben und die in unseren ältesten Hirnregionen bereits vor der Geburt entstanden sind. Das bedeutet Kampf, Flucht oder Erstarrung (Totstellen).5

Biochemisch werden bei Stress Hormone wie Adrenalin und Kortisol von der Nebennierenrinde produziert und ausgeschüttet. Besonders Kortisol führt bei einer chronischen Überproduktion dazu, dass unsere Merk- und Konzentrationsfähigkeit nachlässt. Außerdem erhöht es bei chronischer Überproduktion den Blutdruck und den Blutzucker, verhärtet die Arterien und kann zu Herzerkrankungen führen.6

Leben im Stress ist also ein Leben im Überlebensmodus. Unsere innere Intelligenz und unsere Selbstheilungskräfte können nicht mehr arbeiten und das durch Stress ausgeschüttet Kortisol tut sein Übriges, um diesen Effekt noch zu verstärken.

Biochemie/Abhängigkeit

Eine relativ neue (und wie die meisten neuen Theorien nicht unumstrittene) Theorie liefert noch einen dritten, für mich sehr schlüssigen Aspekt als Antwort auf die Frage, warum wir so oft unbewusst und auf Autopilot sind.

Die Zellbiologin Dr. Candace Pert und andere Forscher wie der Chiropraktiker Dr. Joe Dispenza vertreten die These, dass wir eine biochemische Abhängigkeit von unseren vertrauten emotionalen Zuständen – auch den unangenehmen – haben.7

Jeder Gedanke, den wir denken, verursacht eine biochemische Reaktion im Gehirn. Das Gehirn schüttet dann chemische Signale aus, die weiter oben schon vorgestellten Neurotransmitter, die zu den Organen transportiert werden, wo sie als Botschafter der Gedanken wirken. Jeder einzelne Gedanke oder jedes einzelne Gefühl setzt damit eine bestimmte Kaskade von biochemischen Stoffen in unseren Organen frei. Je häufiger wir einen bestimmten Gedanken (bewusst oder unbewusst) denken, desto mehr wird seine biochemische Signatur zu einem vertrauten Grundzustand in unserem Organismus – das kann z.B. „immer leicht deprimiert“, „traurig“ oder „zuversichtlich“ sein. Jeder Mensch hat eine einzigartige homöostatische (selbstregulierende) Balance, die direkt vom genetischen Programm, seiner Reaktion auf Umgebungsumstände und seinen eigenen unterbewussten Gedanken beeinflusst wird.