Einführung in die Beratungspsychologie

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Beratung

Beratung befasst sich mit relativ ungestörten Personen, sie fokussiert Stärken und Ressourcen des Ratsuchenden in seiner Interaktion mit der Umwelt und in einer zeitlich begrenzten Dauer (Gelso / Fretz 2001) und betont damit stärker das Wohlbefinden und die Selbstwirksamkeit gegenüber der Fehlanpassung oder Störung. Beratung kommt damit auch eine präventive und entwicklungsfördernde Rolle zu. Beratung im psycho-sozialen Feld braucht daher Kompetenzen in allen Teildisziplinen der Psychologie, also in der Entwicklungspsychologie, der Differentiellen Psychologie oder Diagnostik, in der Sozialpsychologie und der Allgemeinen Psychologie (Schröder 2004).

Mediation

Mediation ist in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts als außergerichtliches Einigungsverfahren bei Trennungen, tariflichen Auseinandersetzungen, im kommunalen Bereich oder Konflikten über öffentliche Entscheidungen entstanden (Bastine / Theilmann 2004). Mediation ist heute ein Vermittlungsverfahren, bei dem zwei oder mehr Personen, die in Konflikt über eine Sache geraten sind, sich in ihren Meinungen „festgefahren“ haben und sich nicht einigen können, durch die Vermittlung einer neutralen, allparteilichen Person, dem Mediator, zu einer eigenen Lösung kommen. Die Mediation dient der Erlangung einer selbstbestimmten und einvernehmlichen Regelung, die die Bedürfnisse aller Beteiligten berücksichtigt. Sie zielt darauf ab, dass die uneinigen Partner den Standpunkt des anderen besser verstehen und dass eine konkrete Lösung erarbeitet wird. Sie hat auch präventiven Charakter, indem sie die Problemlösekompetenz der beiden Partner für zukünftige Konflikte stärkt. Das Vorgehen der Mediation ist rein lösungsorientiert, strukturiert und fokussiert das Streitthema. Dies unterscheidet sie von der Paarberatung, bei der es um die Bearbeitung bestehender Konflikte geht (Bastine / Theilmann, 2004). Mediation wird häufig im Vorfeld von gerichtlichen Auseinandersetzungen eingesetzt, um eine einvernehmliche Lösung selbst zu erarbeiten, statt sich der Vorgabe eines Richters beugen zu müssen. Mediation bedient sich zwar bei der Formulierung eines Konfliktes ähnlicher Mittel wie die Beratung, sie hat aber nicht die Veränderung der Personen, sondern allein die Lösung des Konfliktes zum Ziel.

Unterschiede Beratung – Therapie – Mediation

Auch wenn es mehr oder weniger deutliche Überschneidungen gibt, lassen sich die drei Konzepte sowohl inhaltlich als auch im Vorgehen als auch rechtlich voneinander unterscheiden (siehe Tabelle 1). Der Zugang zum Beratungsangebot ist offen für alle Ratsuchenden, der zur Therapie höher schwellig durch eine Begutachtung der Therapiebedürftigkeit, eine Diagnose von Krankheitswert im Zusammenhang mit der Kostenübernahme. In der Beratungssituation gibt es ein klares Angebot in Bezug auf die Lösung eines definierten Problems, in der Therapie wird das grundlegende Problem oft erst erarbeitet, während die Mediation sich auf die Vermittlung in Konfliktsituationen beschränkt.

Tab. 1: Einige Unterschiede zwischen Therapie, Beratung und Mediation


1.4Ethische Fragen

Menschenbild

Auch Berater unterliegen, wie alle Menschen, den Normen und Werten der Gesellschaft, in der sie leben, die sie in ihrem Sozialisationsprozess internalisiert haben und die ihr Menschenbild prägen. Dies bestimmt auch ihre Haltung zum Klienten. Ein Beschreiben von Problemen unabhängig von diesen Normen und dem Menschenbild des Beraters ist ebenso unmöglich wie eine ethisch völlig neutrale beraterische Grundhaltung (Schrödter 2004). Berater müssen daher ihre Haltung zum Klienten und ihre Motivation zum Eingreifen beständig reflektieren.

Missbrauch und Manipulation

Klienten, die Rat suchen, sind in der Regel belastet und verletzlich und infolgedessen empfänglich für Missbrauch und Manipulation. Berater erheben den Anspruch, hilfreich für den Ratsuchenden zu sein, Beratungsprozesse können in manchen Fällen jedoch auch schädlich sein. Nutzen und möglicher Schaden von Beratung müssen gegeneinander abgewogen werden. Der Berater muss sich der Grenzen seiner Kompetenzen bewusst sein und sie einhalten. Sein Handeln muss geleitetet sein von theoretischen und empirischen Kenntnissen über Prozesse des Interaktionsgeschehens, aber auch Kenntnisse hinsichtlich des problematischen Sachverhaltes sind erforderlich. Insbesondere konfrontative oder paradoxe Techniken, die manchmal in der Beratung angewendet werden, können unangemessen sein, wenn sie den Ratsuchenden psychisch destabilisieren, von zweifelhaftem theoretischen Wert sind oder den Klienten be- statt entlasten. Im Einzelfall sind Kosten und Nutzen einer Beratungssituation oft schwer zu prüfen, so dass ständige hypothesengeleitete Reflexion des Vorgehens und kollegiale Supervision als Kontrolle der beraterischen Tätigkeit und Schutz vor Verstrickungen des Beraters in die Probleme seines Klienten nötig sind.

asymmetrischer Prozess

Beratung geschieht bei aller Anerkennung des Ratsuchenden als gleichberechtigter Partner immer in einem asymmetrischen Prozess zwischen einem Rat oder Hilfe suchenden Klienten und einem Berater, der die Hilfe zu geben vermag. Der Ratsuchende hat demnach die Erwartung, dass der Berater ihm aus einer subjektiv als hilflos erlebten Situation heraushilft, während der Berater die Kompetenz hat, dies zu tun. Der Berater setzt den Rahmen, wie Situation und Beziehung gestaltet werden, darf diese Definitionsmacht aber nicht in eine allgemeine Machtposition gegenüber dem Ratsuchenden umwandeln. Die Würde des Ratsuchenden als eigenständiger, unabhängiger und sein Leben grundsätzlich selbst verantwortender Mensch muss jeder Zeit gewahrt bleiben.

Beziehung zum Berater

In der Beratung kommen oft sehr persönliche und manchmal auch tabuisierte Themen zur Sprache. Dies schafft eine Nähe in der Interaktion zwischen Berater und Ratsuchenden, die manchmal vom Klienten als persönliche Beziehung zum Berater fehlgedeutet wird. Es versteht sich von selbst, dass der Berater diese Offenheit der Beratungssituation nicht zu einer ausbeuterischen oder intimen Beziehung ausnutzen darf.

Idealerweise steht der professionelle Berater in keiner anderen als der Beraterbeziehung zum Klienten, um mögliche Abhängigkeiten zu vermeiden. Besonders im pädagogischen Feld ist dies manchmal nicht gegeben, wenn der Beratungslehrer einer Schule gleichzeitig ein Lehrer des Rat suchenden Schülers ist. Dass es hier zu einer Rollenkonfusion kommen muss und der Schüler sich dem Beratungslehrer bei Problemen, die über reine Schullaufbahnberatung hinausgehen, nicht ausreichend öffnen kann, liegt auf der Hand.

Schweigepflicht

Der Ratsuchende vertraut dem Berater, Verständnis für seine Problemlage zu haben, ihm bei ihrer Lösung zu helfen, sich einer normativen Verurteilung seiner Verhaltensweisen zu enthalten und das in der Beratungssituation Erfahrene nicht weiterzugeben. Der Ratsuchende muss sich der absoluten Verschwiegenheit des Beraters sicher sein. Da, wo eine Weitergabe von Informationen an Dritte nötig erscheint, muss der Ratsuchende vorher darüber aufgeklärt werden und einverstanden sein. Manchmal werden Dokumentationen von Beratungsverläufen in Akten weitergegeben, vornehmlich an Kostenträger, so dass die Vertraulichkeit nicht immer gegeben ist. Auch in Gruppenberatungen ist zwar der Leiter zum Schweigen verpflichtet, nicht jedoch die übrigen Teilnehmer (Linden/Helmchen 2018). Problematisch ist, wenn im Verlauf der Beratung geplante oder bereits begangene strafbare Handlungen, beispielsweise Kindesmisshandlungen oder Missbrauch, offenbar werden, eine Suizidgefährdung erkennbar ist oder andere Personen geschützt werden müssen, wie bei einer HIV-Infektion des Ratsuchenden oder einer Bedrohung Dritter. Dann steht der Berater vor dem Dilemma, Rechtsgüter gegeneinander abwägen zu müssen, den Beratungsprozess zu gefährden oder geeignete Möglichkeiten zu finden, die Information weiterzugeben, ohne die Schweigepflicht zu brechen. Dann kann der Berater nicht mehr nur im Sinne des Klienten, sondern muss auch im Sinne gefährdeter Dritter handeln (McLeod 2013a).

Freiwilligkeit

Grundsätzlich setzt effektive Beratung Freiwilligkeit voraus. Diese Voraussetzung ist in der Praxis nicht immer gegeben, wenn beispielsweise gesetzliche Beratungspflicht bestimmt ist oder von Gerichten oder anderen Institutionen Auflagen, eine Beratung in Anspruch zu nehmen, gemacht werden. Eine solche „Verordnung“ von Beratung belastet die beratende Beziehung und macht zunächst einen Prozess der Vertrauensbildung nötig, so dass der Klient sich öffnen und das Beratungsangebot annehmen kann (Glöckler 2013). Dies gelingt nicht immer und darf dem Klienten nicht schuldhaft angelastet werden, so dass der Berater möglicherweise persönlich betroffen ist, wenn seine Angebote verschmäht werden.

Motivation des Beraters

Die Motivation des Beraters, helfend tätig zu werden, kann ganz unterschiedlich sein. Ein gelegentlicher Ratgeber hat meist persönliche Motive, die in der Beziehung zum Ratsuchenden liegen, dessen Wohlergehen ihm wichtig ist, den er vor Schaden bewahren oder dem er einfach seine Lebensweisheit weitergeben will. Der professionelle Berater hat ebenfalls offene und auch verdeckte Motive, gerade diese Rolle einzunehmen, über die er sich klar sein muss, will er sich nicht in der helfenden Beziehung in eigene Probleme verstricken.

 

Ökonomisierung der Hilfe

Die Professionalisierung helfender Beziehung führt auch zu ihrer Ökonomisierung. Der Berater verdient, ähnlich wie der Therapeut oder der Arzt, sein Geld mit den Problemen anderer Menschen. Wenn der Ratsuchende auf den Kostenfaktor reduziert wird, kann das die Regulation des Beratungsprozesses belasten, indem er beispielsweise nicht rechtzeitig beendet wird. Bei institutionalisierter Beratung in öffentlichen Stellen, stellt sich dieses Problem weniger, weil die Berater unabhängig von den finanziellen Beiträgen der Klienten bezahlt werden. Es kann jedoch bei drohender Schließung und dem erforderlichen Nachweis der Notwendigkeit einer Beratungsstelle dazu kommen, dass Beratungsverhältnisse unnötigerweise begonnen oder in die Länge gezogen werden.

Beratungsrecht

Es gibt kein allgemeines Beratungsrecht, das Rechtsnormen für Verantwortlichkeiten im Beratungsprozess festlegt. Entsprechende Hinweise finden sich in den Sozialgesetzen, dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII), im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), im Strafrecht, im Psychotherapeutengesetz (PsychThG) oder in den gesetzlichen Grundlagen zur Ausübung des Heilpraktikerberufes (Barabas 2004). Die ethische Verantwortung für den Beratungsprozess ist in das Ermessen des einzelnen Beraters gestellt, der sich wiederum an den Statuten seines Berufsverbands orientieren kann, die meist ethische Grundsätze beinhalten. Für ein berufsregelndes Gesetz, um Fachlichkeit und Vorbildung des Beraters zu garantieren, wäre ein einheitliches Berufsbild des Beraters allerdings hilfreich (Barabas 2004).


1.5Übungsfragen zu Kapitel 1

1. Was sind Felder psycho-sozialer Beratung?

2. Wie kann man Beratung definieren?

3. Was ist das allgemeine Ziel von Beratung?

4. Was unterscheidet Beratung von Therapie?

5. Welche ethischen Grundsätze muss ein Berater einhalten?

6. Welche Probleme können sich in der Beziehung zwischen Berater und Klient ergeben?

2 Grundlagen der Kommunikationspsychologie

Kommunikation als Form zwischenmenschlicher Beziehungen ist Gegenstand unterschiedlicher Wissenschaften und bildet die Grundlage vieler Anwendungsbereiche. Verschiedene Kommunikationsmodelle, die die Schwerpunkte unterschiedlich setzen, mehr die Kanäle der Übertragung, mehr die sprachliche Kommunikation, mehr den herbeizuführenden Konsens, die kommunikative Kompetenz, mehr den Wechsel der Perspektiven oder die kollaborative Konstruktion von Bedeutungen fokussieren, sind entwickelt worden und finden ihre Entsprechungen in den Beratungskonzepten.

Zweifellos und für den naiven Betrachter selbstverständlich geschieht Kommunikation hauptsächlich in Sprache. Nonverbale, unmittelbar verständliche, aber schwer bewusst kontrollierbare Anteile spielen jedoch eine große Rolle bei der gegenseitigen Verständigung. Kommunikative Handlungen werden durch Mimik, Blickverhalten, parasprachliche Mittel und Körperhaltung gesteuert, soziale Rollen oder das Selbst dargestellt und gewünschte Eindrücke vermittelt. Dem Berater nützt die Kenntnis nonverbaler Kommunikationsmittel, um die Botschaften seines Klienten zu verstehen, sein eigenes Verhalten zu kontrollieren und sich auf den Klienten einzustellen.

2.1Kommunikationstheorien und Modelle

Beratung geschieht in Interaktion und verbaler Kommunikation zwischen Ratsuchendem und Berater in einem wechselseitigen Prozess. Impulse aus den verschiedensten Wissenschaften, der Philosophie, der Soziologie, der Sprachpsychologie, der Sozialpsychologie, der Technologie, um nur einige zu nennen, bestimmen die heutige Kommunikationspsychologie, die wiederum für viele Anwendungsbereiche, wie Medienwissenschaften, Werbung und eben auch Beratung Grundlagen schafft. Erkenntnisse aus der Kommunikationspsychologie sind hilfreich, wenn man verstehen will, was im Beratungsprozess geschieht, warum sich Ratsuchende unverstanden fühlen können, Berater manchmal glauben, „gegen eine Wand zu reden“, vermeintliche Klarstellungen doch nicht klar sind und Missverständnisse auftreten.

Der Begriff „Kommunikation“, abgeleitet aus dem lateinischen „communicare“, was u. a. „miteinander besprechen, mitteilen“ bedeutet, ist im Deutschen über die Nachrichtentechnik zu seiner heutigen Bedeutung und Verbreitung gekommen, obwohl er schon lange bekannt war. So sind frühe Kommunikationsmodelle auch der Nachrichtentechnik entlehnt.

Sender-Empfänger-Modell

In dem bereits 1949 entwickelten, aber heute noch oft als grundlegend angenommenen Modell (siehe Abbildung 1) wird von einer Informationsquelle ausgegangen, einem Sender mit einem gewissen Vorrat an Zeichen, mit dem er seine Nachricht verschlüsselt, über einen Informationskanal weitergibt an einen Empfänger, der ebenfalls einen Vorrat an Zeichen hat, mit dem er die Nachricht entschlüsselt und in seinen Informationsspeicher aufnimmt. Sender und Empfänger müssen natürlich die gleiche Kodierung verwenden, wenn sie erfolgreich kommunizieren wollen, und auf dem Weg der Übertragung können Störungen auftreten, die die ordnungsgemäße Weitergabe der Information gefährden (Shannon / Weaver 1949). In diesem rein technologischen Modell geht es hauptsächlich um die Übertragung, die Kanalkapazität, also die Menge und Güte der Daten, die übermittelt werden kann. Inwieweit die Zeichen bei Sender / Sprecher und Empfänger / Hörer tatsächlich identisch sind, wird ebenso vernachlässigt, wie die wechselseitige Abhängigkeit, indem jeder Sender gleichzeitig Empfänger sein kann. Welche Bedeutung und welche Funktion die Kommunikation für Sender und Empfänger hat, wird in diesem technischen Modell ebenfalls nicht beachtet, die Bedeutung ist eine Eigenschaft der Botschaft selbst. Das war von den Autoren als Mitarbeiter der „Bell Telephone Laboratories“, denen es um eine möglichst störungsfreie Übertragung ging, auch nicht anders beabsichtigt (Frindte 2001).


Abb. 1 Kommunikationsmodell von Shannon & Weaver (1949)

Besonderheiten menschlicher Kommunikation

Neben der Übertragung von Nachrichten, wie im Modell von Shannon und Weaver dargestellt, zeichnet sich menschliche Kommunikation aber durch Besonderheiten aus, die über die reine Übermittlung klar definierter Botschaften hinausgehen. Kommunikation ist immer eingebettet in den Lebenskontext der Personen, die miteinander kommunizieren. Ihre je eigenen Erfahrungen, Einstellungen, Absichten und Motive fließen in ihr Kommunikationsverhalten ein. Kulturelle Regeln bestimmen, wer mit wem wie reden darf. Mit fremden Personen bleibt man zurückhaltender, gibt ihnen nicht alles preis und wartet erst einmal ab, „mit wem man es zu tun hat“. Mit einem guten Freund kann man anders reden als mit seinem Chef und zu Hause in vertrauter Umgebung anders als im Büro.

Uneindeutigkeit von Begriffen

Sprachliche Begriffe sind nicht eindeutig. Der gleiche Sachverhalt kann unterschiedlich ausgedrückt werden. Man kann sagen: „Ich fühle mich nicht wohl“ oder „Es geht mir schlecht“, um einen momentanen psychischen oder physischen Zustand zu beschreiben. Dasselbe Wort kann unterschiedliche Bedeutungen haben und wird nur aus dem Kontext verständlich. „Wann kommt der nächste Zug?“, hat auf dem Bahnsteig sicher eine andere Bedeutung als bei einem Schachspiel. Wie man einen Satz versteht, hängt von einer Vielzahl von zusätzlichen expliziten (konkret ausgedrückten) und impliziten (gemeinten, nicht ausgedrückten) Informationen ab, die für seine Interpretation nötig sind. Die Bedeutung einer Äußerung kann also nie allein wörtlich verstanden werden, sondern ergibt sich aus der wörtlichen Bedeutung und einem nicht vollkommen bestimmbaren Komplex von Hintergrundannahmen (Searle 1985). Wegen dieses Backgrounds, der Hintergrundannahmen, kann eine Wortbedeutung nie völlig erklärt werden, weil jede Explikation eine neue nach sich zöge, so dass eine unendliche Spirale von weiteren Explikationen entstünde.

Erwerb von Begriffen

Die unterschiedlichen Erfahrungen, die Menschen mit den Wortbedeutungen in ihrer Sozialisation machen, und in welchem Kontext sie sie lernen, bedingen, dass sprachliche Begriffe nicht für alle Menschen einer Sprachgemeinschaft in ihrer Bedeutung völlig gleich sind.


Wenn die Mutter zu ihrem Kind, das ihr zeigen möchte, was es gemalt hat, sagt: „Ich komme gleich!“, dann aber auf sich warten lässt, wird das Kind daraus entnehmen, dass „gleich“ nicht „sofort“ ist, und fortan damit rechnen, dass jemand, der „Ich komme gleich“ sagt, damit eine höchst unbestimmte Aussage macht und irgendwann und womöglich gar nicht, aber sicher nicht sofort kommt.

Auch konkrete Begriffe werden im Kontext erworben. Die Bedeutung des Wortes „Hund“ beispielsweise lernt und differenziert ein Kind, je nachdem welchen Exemplaren es im Laufe seiner Entwicklung begegnet ist. Dennoch können zwei Personen, die niemals den gleichen Hunden begegnet sind, sich über Hunde verständigen, weil sie aus diesen Erfahrungen so etwas wie einen „Durchschnittshund“ gebildet haben, der die typischen Merkmale aller Hunde hat, die sie je gesehen haben. Die Bildung solcher „Prototypen“ lässt sich schon im Säuglingsalter nachweisen (zusammenfassend siehe z. B. Goswami 2008). Schwieriger wird es mit der Übereinstimmung, wenn die Begriffe abstrakter sind. „Liebe, Ehre, Vaterland“ wird von verschiedenen Personen und in unterschiedlichen gesellschaftlichen Epochen sicher anders verstanden. Neben einer Kernbedeutung, in der alle Sprachbenutzer übereinstimmen, gibt es individuelle und kategorielle Randbedeutungen, die die Begriffe uneindeutig werden lassen (Rosch 1978). Dazu kommt, dass jeder Begriff neben seiner Denotation, der inhaltlichen Bedeutung, auch eine Konnotation hat, einen gefühlsmäßigen Beiklang, der seine Bedeutung färbt und etwas über die Einstellung seines Benutzers preisgibt. Es ist ein Unterschied, ob man „Frau“, „Dame“ oder „Weib“ sagt, obwohl jedes Mal eine erwachsene, weibliche Person gemeint ist.

Auch im Beratungsprozess haben die von Ratsuchendem und Berater verwendeten Begriffe unterschiedliche Konnotationen, die gefühlshafte Anmutungen auslösen und die Einstellung zueinander verändern können.

Übertragungskanäle

Die Botschaften menschlicher Kommunikation werden über mehrere Übertragungskanäle, der Sprache, der Mimik und der Gestik, gleichzeitig übermittelt. Diese ergänzen sich, können sich aber auch widersprechen. Während einer einzigen sprachlichen Mitteilung können mehrere nonverbale Botschaften gesendet werden.


Während ich meinem Gegenüber einen Vorschlag für die Gestaltung unseres nächsten Treffens mache, kann ich nacheinander und gleichzeitig denken: „Der sieht aber heute schlecht aus, hoffentlich wird er bis dahin nicht krank“, „Der hat es ja auch nicht leicht mit seiner Frau“, „Hoffentlich fängt er jetzt nicht gleich wieder von seinen Problemen an!“, „Wie kann ich schnell das Gespräch beenden?“ aber auch „Hoffentlich kriege ich meinen Bus noch!“, „Ich hätte mal wieder Lust auf Spaghetti!“ oder „Ich freue mich auf heute Abend!“ Alle diese Gedanken werden kurzfristig in meiner Mimik und Gestik zu sehen sein. Wenn ich es zu weit treibe, wird mein Gegenüber den Eindruck gewinnen, ich sei nicht bei der Sache, höre nicht zu, interessiere mich nicht wirklich für ihn und er könnte irritiert fragen, ob er mir „etwas getan“ habe.

 

Organon-Modell

Psychologische Kommunikationstheorien gehen daher über die reine Datenübertragung hinaus und berücksichtigen die Besonderheiten der menschlichen Kommunikation, die sich nicht in einem technischen Modell darstellen lassen. Eine frühe Theorie ist das von Karl Bühler bereits 1934 als Sprachtheorie entworfene Organon-Modell (Bühler 1965, siehe Abbildung 2). „Organon“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Werkzeug, Hilfsmittel“. Im Mittelpunkt dieses Modells steht die Sprache als wahrnehmbare Abfolge von im Allgemeinen akustischen Signalen, also sprachlichen Zeichen. Diese stehen in Relation zu „dem Einen“, einem Sender, und „dem Anderen“, einem Empfänger, und den „Dingen“. Die Dinge sind die Ereignisse und Sachverhalte, über die sich Sender und Empfänger verständigen wollen, wobei sie sich der sprachlichen Zeichen bedienen. Da Sender und Empfänger Menschen sind, haben sie unterschiedlich entwickelte psycho-physische Systeme, unterscheiden sich also in ihren Persönlichkeiten und ihrer körperlichen Konstitution, wie beispielsweise der Verarbeitungsgeschwindigkeit, der Aufnahmefähigkeit, der psychischen Wachheit. Sie werden daher die Zeichen entsprechend ihrer Entwicklung und momentanen Befindlichkeit unterschiedlich benutzen.


Abb. 2 Das Organon-Modell von Karl Bühler (1934)

Die sprachlichen Zeichen haben in Bühlers Modell drei grundlegende Funktionen, je nachdem welche Relation in diesem Dreieck betrachtet wird. Sie sind Symbole, wenn sie stellvertretend für die Dinge, die Gegenstände und Sachverhalte stehen, die sie darstellen. Das (sprachliche) Zeichen ist aber auch Symptom, Anzeichen, für das, was der Sender mit dem Zeichen ausdrückt und dabei von sich selbst preisgibt. So könnte er beispielsweise den gleichen Gegenstand als „Antlitz“, „Gesicht“, „Fresse“ oder „Visage“ bezeichnen und würde damit je nach Gesamtzusammenhang seine innere Einstellung, seine Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder sein Selbstverständnis offenbaren. Sprache hat damit Ausdrucksfunktion. Auf der dritten Seite des Dreiecks ist Sprache ein Signal, weil der Empfänger in irgendeiner Weise durch das Zeichen gesteuert wird, der eine beim anderen etwas erreichen oder verändern will. Er fordert ihn zu einer Handlung auf oder macht ihn zum „Mitwisser“ seiner Einstellung. Das Zeichen hat dann Appellfunktion. In jeder Kommunikation sind alle drei Funktionen der Zeichen vorhanden, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung. Der Sprecher benutzt die Zeichen wie ein Handwerker sein Werkzeug, um mit dem Empfänger über die „Dinge“, Gegenstände, Sachverhalte, zu kommunizieren und ihn zu Handlungen zu veranlassen. Heute würde man den Sprecher als „Anwender“ oder „User“ bezeichnen, der seine „Tools“ zweckgerichtet auswählt und den Bedürfnissen der Verständigung anpasst. Dieses Sender-Empfänger-Modell legt eine bewusste Wahl der sprachlichen Zeichen nahe, die in der Kommunikation mit anderen jedoch nicht von vornherein gegeben ist.

Symbolischer Interaktionismus

Im „Symbolischen Interaktionismus“ (Joas 1989; Mead 1968), einem sozialpsychologischen Modell, werden nicht die einzelnen Gesprächspartner, die mal als Sender, mal als Empfänger fungieren, betrachtet, sondern die Interaktionen selbst werden fokussiert, indem beide Partner als aufeinander bezogen angesehen werden und in gegenseitiger Abhängigkeit ihre Kommunikationshandlung aufeinander abstimmen. Die Partner übernehmen im Gespräch jeweils die Perspektive des anderen, um sie zu bewerten und mögliche Reaktionen vorwegzunehmen. Durch diese wechselseitige Handlungsvorwegnahme entsteht ein ausbalancierter Zusammenhang von Handlungen verschiedener Personen. Eine Interaktion ist symbolisch, wenn sie für etwas steht, das interpretiert werden kann, und damit den Eindruck des Verstehens vermittelt.


Wenn ich bei einem Schlag auf die Schulter reflexartig zurückschlage, habe ich noch nicht symbolisch interagiert. Wenn ich jedoch durch meine Kenntnis des „Schlägers“, von dem ich weiß, dass er zu groben Späßen neigt, diesen Schlag nicht als „Angriff“, sondern als freundschaftliche Geste interpretiere und ihn freundlich anlache, in der Annahme, dass er sich freut, mich zu sehen und mit mir ein Schwätzchen halten möchte, handelt es sich um eine symbolische Interaktion, die mehr enthält als den bloßen „Schlagabtausch“, nämlich meine Interpretation des Verhaltens meines Freundes, die Übernahme seiner Perspektive und die Vorwegnahme seiner weiteren Handlungen.

Die Bedeutung einer Äußerung entsteht im Interaktionsprozess. Das Verhalten des einen Gesprächsteilnehmers ist abhängig vom Verhalten des anderen, diese Abhängigkeit berücksichtigen beide in ihrem Verhalten und können sich so gegenseitig kontrollieren und den Interaktionsprozess aufeinander abstimmen. Solche Interdependenzen (Abhängigkeiten) lassen sich in dem in unterschiedlichen Versionen vorliegenden so genannten Gefangenendilemma darstellen, dessen für beide optimale Lösung davon abhängt, wie gut der eine Gefangene das Verhalten des anderen vorhersehen, auf sein eigenes Verhalten beziehen und darauf vertrauen kann.


Das Gefangenendilemma

„Ein Staatsanwalt hält zwei Männer in Untersuchungshaft, die des Raubs verdächtig sind. Die gegen die beiden vorliegenden Indizien reichen aber nicht aus, um den Fall vor Gericht zu bringen. Er lässt sich die beiden Gefangenen vorführen und teilt ihnen unverblümt mit, dass er zu ihrer Anklage ein Geständnis brauche. Ferner erklärt er ihnen, dass er sie dann, wenn beide den Raubüberfall leugnen, nur wegen illegalen Waffenbesitzes zur Anklage bringen kann und dass sie schlimmstenfalls zu je sechs Monaten Gefängnis verurteilt werden könnten. Gestehen beide aber die Tat ein, so werde er dafür sorgen, dass sie nur das Mindestmaß für Raub, nämlich zwei Jahre Gefängnis bekommen. Wenn aber nur einer ein Geständnis ablegt, der andere aber weiterhin die Tat leugnet, würde der Geständige damit Kronzeuge und ginge frei aus, während der andere das Höchstmaß, nämlich 20 Jahre erhalten würde. Ohne ihnen die Möglichkeit zur Aussprache zu geben, schickt er die Gefangenen in getrennte Zellen zurück und macht damit jede Kommunikation zwischen ihnen unmöglich.“ (Watzlawick 1998, S. 103f)

Die Entscheidung der beiden Gefangenen, ob sie „singen“ oder nicht, ist abhängig davon, welche Intentionen sie dem anderen unterstellen und aus welcher Perspektive er handeln wird. Die Bedeutung der kommunizierten Inhalte wird in einem solchen „Perspektiven-Übernahme-Modell“ aus der wahrgenommenen Perspektive des Adressaten abgeleitet (Krauss / Fussel 1996). Kommunikation bedeutet dann das Identifizieren oder Erschaffen eines gemeinsamen Kontextes, um Botschaften zu produzieren und zu verstehen.

Wenn man Kommunikationsprozesse betrachtet, kommt es nicht allein darauf an, was der „Sender“ aussendet und wie gut die Übertragung funktioniert. Das Gelingen eines Kommunikationsprozesses hängt viel mehr von der gemeinsamen Situationsdefinition der kommunizierenden Personen ab, die weit mehr beinhaltet als das reine Übermitteln von Nachrichten.

Theorie der kommunikativen Kompetenz

Kommunikatives Handeln dient vor allem zwei Aspekten, der Verwirklichung von Zwecken, also der Durchführung eines Handlungsplans, und der Auslegung einer Situation und dem Erzielen eines Einverständnisses. Der Erfolg des Handelns und der durch Verständigung herbeigeführte Konsens sind Kriterien für Ge- oder Misslingen der Situationsbewältigung. Habermas (1981) hat in seiner Theorie der kommunikativen Kompetenz diese Anforderung als „Geltungsansprüche“ formuliert. Der Anspruch der „Wahrheit“ meint dabei, dass das Behauptete mit Tatsachen übereinstimmen muss, die vom Partner ebenfalls als existierend angesehen werden, also der „objektiven Welt“ angehören, über die wahre Aussagen möglich sind. Der Anspruch der „Angemessenheit“ meint, dass der Sprecher sich innerhalb anerkannter sozialer Normen und Werte bewegen muss, in einer „sozialen Welt“, in der interpersonale Beziehungen legitim geregelt sind. Der Anspruch der „Aufrichtigkeit“ bedeutet, dass die tatsächlichen Absichten ausgedrückt werden, der Partner nicht getäuscht wird und die innere Befindlichkeit ehrlich artikuliert ist, also seine „subjektive Welt“ darstellt. Innerhalb des Bezugsrahmens dieser drei Welten interpretieren und definieren Sprecher und Hörer ihre kommunikative Handlungssituation. Dann bedeutet „Verständigung“ die Einigung über die Gültigkeit einer Äußerung und „Einverständnis“ die intersubjektive Anerkennung des Geltungsanspruchs, den der Sprecher erhebt. Wenn ein Kommunikationspartner überwiegend einem Geltungsanspruch zustimmt, impliziert das auch die Zustimmung zu den beiden anderen. Die Geltungsansprüche hängen also interaktiv zusammen. Stimmen sie nicht überein, kann kein Konsens zustande kommen. Kommunikation ist dann strategisch: offen strategisch, wenn Druck und Macht ausgeübt wird, verdeckt strategisch, wenn getäuscht oder manipuliert wird.


Kommunikation auf der Baustelle vor der Frühstückspause

Der Vorarbeiter wendet sich an einen „Neuen“: „Mach dich auf die Socken zum Bierholen und komm in ein paar Minuten zurück!“ Das bevorstehende Frühstück ist das Thema, die Versorgung mit Bier das auf dieses Thema bezogene Ziel. Die Aufforderung bezieht sich auf die „soziale Welt“ der Rechte und Pflichten. Der „Neue“ kann sich aufgrund seines Status’ schlecht entziehen. Er selbst dürfte den Vorarbeiter nicht so auffordern. Wenn der Ausschank zu Fuß nicht zu erreichen ist, wird der Neue vielleicht antworten: „Aber ich habe keinen Wagen!“ Das bezieht sich auf die „objektive Welt“ der Tatsachen. Das würden die Kollegen akzeptieren und nach Lösungen suchen, z. B. sagen: „Du kannst meinen nehmen!“ Der „Neue“ könnte auch sagen: „Ich habe heute keinen Durst!“ Das bezieht sich auf seine „subjektive Welt“, wäre zwar eine ehrliche Aussage, würde aber den Unmut und erstaunte Blicke der Kollegen hervorrufen, weil die Regeln der Hierarchie und des Zusammenlebens auf der Baustelle nicht eingehalten sind. Der „Neue“ muss wissen und berücksichtigen, dass Bier zum Frühstück auf dem Bau eine Regel ohne Ausnahme ist und dass gewöhnlich ein „Neuer“ zum Bierholen geschickt wird. Will er sich einen Platz bei den Kollegen erobern, wird er sich schnell auf den Weg machen. (nach Habermas 1981, S. 185ff)