Einführung in die Beratungspsychologie

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Auch im Beratungsprozess unterliegen beide Partner den Wirkungen nonverbaler Botschaften. Während der geschulte Berater insbesondere auf die Gestik und Mimik seines Klienten achtet, um seine Ehrlichkeit und Betroffenheit zu interpretieren und Hinweise auf die beraterische Arbeit zu bekommen, vernachlässigt er häufig die Wirkung seiner eigenen nonverbalen Zeichen, die wiederum dem Ratsuchenden signalisieren, was der Berater von ihm und seinem Problem hält.


2.3Übungsfragen zu Kapitel 2

7. Warum ist das Encoder-Decoder-Modell unzureichend?

8. Was zeichnet menschliche Kommunikation gegenüber technischer Kommunikation aus?

9. Wie entsteht der Bedeutungsumfang eines Wortes?

10. Welchen Vorteil hat ein Perspektivenübernahmemodell?

11. Was sind Geltungsansprüche und welche Funktion haben sie?

12. Was sind Konversationsmaximen?

13. Was sind Dialogmodelle?

14. Was ist eine Konversationsanalyse?

15. Wie heißen die fünf Axiome von Watzlawick et al.?

16. Was sind die vier Seiten einer Nachricht?

17. Was sind die Eigenarten nonverbaler Signale?

18. Was sind Rollenerwartungen?

19. Was ist Eindruckssteuerung?

20. Was wird durch Blicke transportiert?

21. Wie werden Emotionen ausgedrückt?

22. Was sind parasprachliche Mittel?

3 Theoretische Konzepte der Beratung

Psycho-soziale Beratung hat in ihrer Nähe zur Therapie ihre Techniken und Methoden aus psychologischen Theorien abgeleitet. Die drei wichtigsten, die psychoanalytische, die die Deutung unbewusster Konflikte anstrebt, die klientzentrierte, bei der die Beziehung zwischen Berater und Klient im Vordergrund steht, und die kognitiv-behaviorale Theorie, in der es um die Veränderung von Verhalten geht, werden in diesem Kapitel in ihren Grundzügen und ihren Einflüssen auf Beratungstechniken und -methoden dargestellt. Während die analytische und die klientzentrierte Therapie mit jeweils einem Namen verbunden sind, hat sich die kognitiv-behavioral orientierte Therapie aus unterschiedlichen Modellen entwickelt. Alle drei sehen Unterschiede zwischen Therapie und Beratung vorrangig in der Dauer der Zusammenarbeit und der Intensität der zu bearbeitenden Probleme, nicht aber in den zugrunde liegenden Erklärungsmustern.

Systemorientierte Ansätze erweitern den Blick auf soziale Gefüge, in denen Klienten leben. Frühe Konzepte sind orientiert am Gleichgewicht des Systems und der Vorstellung des „guten Funktionierens“ und damit an der Lösung des Problems, die dysfunktionale Familie funktional werden zu lassen. In einem Perspektivenwandel in Therapie und Beratung sind nicht mehr die Probleme der Person der Ausgangspunkt, sondern mögliche Lösungen, die jedes System bereits in sich trägt. Neue Techniken, die nicht auf die Probleme, sondern an den gut funktionierenden Anteilen ausgerichtet sind, werden entwickelt. Mit der ressourcenorientierten Beratung entstehen Konzepte, die nicht mehr psychologischen Schulen verpflichtet sind, sondern in „pragmatischem Eklektizismus“ alle Möglichkeiten nutzen, Ressourcen zu erhalten, zu wecken und zu etablieren.

3.1Von „therapeutischen Schulen“ abgeleitete Beratungskonzepte

3.1.1Psychoanalytisch orientierte Beratung

Kaum eine psychologische Theorie hat eine so weite Verbreitung im Alltagsgeschehen gefunden wie die Psychoanalyse. Häufig wird im Alltagsverständnis Psychotherapie gar mit Psychoanalyse gleichgesetzt. Von ihren Annahmen eines „ubiquitär-dynamischen Unbewussten“ geht eine hohe Faszination aus. Die Vorstellung, neben dem, was dem Bewusstsein zugänglich ist, noch eine Seite zu haben, für die man keine Verantwortung übernehmen kann, scheint tröstlich und beängstigend zugleich. Mit kaum einer anderen Äußerung kann man seinen Partner so gut treffen, wie mit einem Hinweis auf seine unbewussten Tendenzen durch einen nicht aufgelösten Ödipuskonflikt, eine Identifikation mit dem Aggressor oder eine misslungene Sauberkeitserziehung, die nun einen zwanghaften Menschen hervorgebracht hat. Alltagspsychologische Erklärungsmuster sind durchsetzt von solchen simplifizierten Annahmen. Grundsätzlich macht die Dynamik der persönlichen Entwicklung im Sinne der Psychoanalyse aus, dass Menschen beständig mit Erlebnisinhalten konfrontiert sind, die sie unbewusst als bedrohlich erleben und deswegen aktiv vom Bereich des Bewusstwahrnehmbaren fernhalten müssen (Datler et al. 2004).


Sigmund Freud 1856–1939

Das von Freud entwickelte System der Psychoanalyse ist allerdings wesentlich komplexer als diese schlagwortartigen Erklärungen. Es ist seit seiner ursprünglichen Konzeption zu Anfang des letzten Jahrhunderts in verschiedene Richtungen weiterentwickelt worden. Diese Entwicklungen aufzuzeigen, würde ein eigenes Buch füllen. An dieser Stelle soll daher nur auf die für das Verständnis analytischer Beratung notwendigen Grundgedanken eingegangen werden.

Bewusstseinsqualitäten

Freud unterscheidet drei Bewusstseinsqualitäten. Das Unbewusste ist dem Bewusstsein nicht oder nicht unmittelbar zugänglich. Es beinhaltet Triebe, Bedürfnisse und Inhalte, die aus anderen Persönlichkeitsbereichen „verdrängt“ worden sind, nicht „zugelassen“ werden. Dies geschieht ohne Beteiligung des Bewusstseins, so dass die Impulse weiter wirksam bleiben und als Symptome so verschleiert wieder auftauchen, dass sie in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr erkannt werden können. Das Vorbewusste enthält dem Bewusstsein grundsätzlich zugängliche Inhalte, wie Wahrnehmungen, Gedanken, Entschlüsse, sozusagen Abgelegtes, das bei Bedarf hervorgeholt werden kann. Im Bewusstsein schließlich befindet sich alles das, was die Person über sich weiß.

drei Instanzen

Die Persönlichkeit hat drei Instanzen, das Es, das Ich und das Über-Ich. Die Inhalte und Funktionen des Es sind unbewusst. Das Es ist aber nicht identisch mit dem Unbewussten, da auch die anderen Instanzen unbewusste Anteile haben. Das Es enthält neben Trieb- und Bedürfnisimpulsen, die als „Primärprozesse“ auf sofortige Befriedigung drängen, vom Ich verdrängte, bedrohliche Vorstellungen und Affekte. Das Ich stellt den Realitätsbezug her, indem es Funktionen des Denkens, Wahrnehmens, Erinnerns, Fühlens und der Handlungssteuerung hat. Es koordiniert die Impulse aus dem Es mit den Erfordernissen der Umwelt und entscheidet, welche Bedürfnisse gefahrlos befriedigt werden können und welche als bedrohlich abgewiesen werden müssen. Es stellt die Verbindung zur Außenwelt her und folgt dem „Realitätsprinzip“. Im Über-Ich finden sich die Normen und Werte, die eine Person im Laufe ihrer Sozialisation, zunächst an den Eltern orientiert, verinnerlicht hat, die Vorstellungen von „Gut“ und „Böse“. Das Über-Ich enthält als strafende Instanz das Gewissen. Das Ich-Ideal als die Vorstellung, wie man sein möchte und sollte, ist ein weiterer Inhalt des Über-Ich. Das Über-Ich kontrolliert das Ich und das Es und strebt nach Moral und Perfektion. Die drei Instanzen stehen in beständigem Konflikt miteinander, so dass eine besondere Dynamik entsteht.

Sowohl in Therapie als auch in Beratung geht es darum, die aktuellen Probleme eines Klienten als Symptome für Konflikte zwischen Ich, Es und Über-Ich aufzufassen, zu deuten und damit aufzudecken. Das manifeste Beratungsthema hat also immer auch die andere Seite der unbewussten Bedeutung des Beratungsanliegens in sich, so dass es eine faktische, äußere Realität gibt und eine dynamische, innere Realität, die bestimmt, wie die faktische Realität wahrgenommen und welche Einstellung dazu entwickelt wird. Beide bedingen sich gegenseitig. Abwehrprozesse wie Vermeidung oder Realitätsverleugnung können es einem Klienten schwer machen, eine Lösung für ein anstehendes Problem zu finden, weil er bestimmte Anteile des Problems nicht sehen oder Lösungen nicht akzeptieren kann, wenn sie unbewussten Prozessen entgegenstehen (Schnoor 2011).

freie Assoziation

Als Technik, Zugang zu diesen unbewussten Inhalten zu finden, wird die freie Assoziation eingesetzt, bei der der Klient ohne Vorbehalte alles sagen soll, was ihm zu einem „Stichwort“ einfällt. Dadurch soll die Kontrolle des Unbewussten durch das Ich umgangen werden. In der psychoanalytischen Beratung wird im Gegensatz zur Therapie die Assoziation jedoch meist fokussiert auf das Problem und seine Lösungsmöglichkeiten (Schnoor 2011).

Deutung

Die Deutung dieser Assoziationen ist ein zentrales Merkmal psychoanalytischer Beratung. Dadurch werden Zusammenhänge im emotionalen Erleben des Klienten offenbar. Gleichzeitig werden neue Emotionen ausgelöst, die wiederum weiterer Deutung zugänglich sind. In diesem Prozess kann schließlich der verborgene Sinn von Symptomen aufgedeckt und Zugang zur inneren Welt des Ratsuchenden gefunden werden (Datler et al. 2004).

In der psychoanalytischen Beratung geht es also darum, die Bedeutung der Lebensschwierigkeit des Klienten aus seiner Biographie heraus zu verstehen und ihm zugänglich zu machen. Die unbewusste Bedeutung der aktuell schwierigen Lebenssituation bestimmt einen Teil der Problematik und ist Gegenstand des analytischen Prozesses. Die objektive und durch die äußeren Umstände bestimmte Bedeutung der Schwierigkeiten tritt demgegenüber in den Hintergrund (Argelander 1985). Dies bedeutet natürlich nicht, dass aktuelle, „objektive“ Lebensschwierigkeiten wie familiäre Situation oder finanzielle Sicherheit vernachlässigt würden, es geht aber um deren Deutung in Bezug auf die Dynamik der Problementwicklung und nicht um ihre „objektive“ Beurteilung.

 

Widerstand

Deutungen sind nicht immer angenehm, weil sie tabuisierte, schmerzliche oder peinliche, eben erfolgreich verdrängte Inhalte aussprechen. Dies kann bei Klienten zu Vermeidungsverhalten führen, indem bewusst Gedanken verschwiegen oder unbewusst weiter verdrängt werden, Deutungen nicht „angenommen“ werden können. Dies wird in der Analyse als „Widerstand“ bezeichnet. Widerstand soll nicht vermieden, sondern durch Deutung in den analytischen Prozess aufgenommen werden, da er ebenso wie die Symptome Hinweise auf innerpsychische Prozesse gibt.

Übertragung und Gegenübertragung

Der Erfolg der Beratung hängt davon ab, wie der Ratsuchende bewusst und unbewusst den Berater und die Zusammenarbeit mit ihm erlebt (Datler et al. 2004). Der Berater steht nämlich nach dem Konzept der Übertragung stellvertretend für frühere Bezugspersonen, die an der Entstehung seiner Symptome beteiligt waren. In der Beziehung zwischen Berater und Ratsuchendem können die früheren Konflikte mit diesen Bezugspersonen aktualisiert, erlebbar und einer Bearbeitung zugänglich gemacht werden. Im Prinzip zielt das gesamte analytische Setting darauf ab, eine solche Übertragungsbeziehung herzustellen. Allerdings entwickelt auch der Berater Gefühle, Vorstellungen und Phantasien, die als Gegenübertragung bezeichnet werden. Gegenübertragungen können dann den therapeutischen Prozess stören. Demzufolge ist ein wichtiger Aspekt der analytischen Ausbildung das Erkennen und Kontrollieren der Gegenübertragungstendenzen.

Gerade in der psychoanalytischen Auffassung ist der Unterschied zwischen Therapie und Beratung kaum feststellbar. Psychoanalytische Beratung wird eher als quantitativer denn als qualitativer Unterschied zur Therapie gesehen (Schnoor 2011), daher sind auch kaum explizite Beratungskonzepte entstanden.

Eines der wenigen psychoanalytisch fundierten und ausgearbeiteten Beratungskonzepte stammt von Houben (1975). Der Berater wendet sich im Beratungsprozess den konkreten Problemen des Ratsuchenden zu und versucht zu verstehen, warum gerade diese dem Ratsuchenden Schwierigkeiten bereiten. Er konfrontiert ihn Schritt um Schritt mit Widerständen und lenkt damit die Aufmerksamkeit auf die tief liegenden Hindernisse des Persönlichkeitswachstums des Klienten. Ähnlichkeiten der aktuellen Problemlage mit infantilen Konflikten können dazu führen, dass der Klient den Konflikt vermeidet und in eine defensive Regression ausweicht. Um das Problem befriedigend zu lösen, muss erarbeitet werden, welche subjektiv realisierbaren Handlungsmöglichkeiten jemand hat, um auf die vorgegebene Realität Einfluss zu nehmen und welche Risiken und Versagungen er dabei in Kauf nehmen muss.

Das diagnostische Gespräch geschieht in vier Stufen. Zunächst schildert der Klient das Problem frei und assoziiert anschließend seine Vorgeschichte. Der Berater achtet auf Anzeichen für emotionale Beteiligung, Widerstände, offensichtliche Lücken etc. Dann greift er Stichworte, „Schlüsselworte“, auf und regt zu weiteren Assoziationen an.


„Interviewer: ‚Sie sagten, Ihr Vater sei zu allen Leuten sehr nett.‘ Proband: ‚Ja, jetzt ist er es auch zu mir …‘ (Pause) I.: ‚Jetzt?‘ P.: ‚Früher hat er mich sehr knapp mit Taschengeld gehalten; ich hatte viel weniger als die anderen Jungen. Dabei mußte ich ganz schön mit anpacken. Jetzt bin ich froh, daß ich es getan habe, weil jeder sagt, daß ich es rasch zu was gebracht habe. Das verdanke ich dem Vater. Natürlich, früher hat er mich gelegentlich wütend gemacht, aber ich sagte nie ein böses Wort.‘ I: ‚Nie?‘ etc.“ (Houben 1975, S. 174)

Im letzten Schritt stellt er gezielte Fragen zur Problemlage, um über das beraterische oder therapeutische Vorgehen zu entscheiden. Das Ziel ist die Umstrukturierung psychischer Prozesse. Bei Beratung geht es um Entscheidungsprobleme, nicht um Neurosen oder Fehlentwicklungen. Ängste oder verdeckten Motive werden daher nur bearbeitet, wenn sie für die Problemlage wichtig sind. Ziel ist, bei Anpassungsproblemen die Entscheidungsfähigkeit wieder in Gang zu setzen, bevor es zu Instanzenkonflikten kommt. Widerstände werden im Beratungsprozess als bewusstseinsnäher und aktueller auf das Problem bezogen gesehen. Sie können daher eher konfrontativ angegangen werden als in der Therapie (Schnoor 2011).

Wenn im Leben Umstände eintreten, die früheren Konfliktkonstellationen ähnlich sind, kann das zum Zusammenbruch von erworbenen Anpassungen führen, es kann zu krisenhaftem Versagen kommen.


„Ein Patient, der als Direktionssekretär in einem Unternehmen vorzügliche Arbeit leistete, geriet in eine depressive Arbeitsunlust, als – nach dem tödlichen Unfall eines Direktors – seine Kandidatur für dessen Nachfolge erwogen wurde. Aus der Exploration ergab sich, daß seine Eltern eine patriarchalische Ehe geführt hatten, die u. a. deswegen glücklich war, weil die Mutter ihren Mann verehrte, aus der Identifikation mit ihm narzißtischen Gewinn erzielte und so in der Lage war – unter Hintanstellung eigener Ansprüche –, seine Ansichten gelten zu lassen und seinen Wünschen sogar zuvorzukommen.

Beim Patienten selbst fiel ein markanter Knick in der Entwicklung auf. Nachdem er in der Kindheit häufig wegen eigenwilligen Benehmens Konflikte mit seinem Vater hatte, stellte sich – in zeitlichem Zusammenhang mit einem kränkenden Sexual-Erlebnis – in der frühen Pubertät ein friedliches Einvernehmen der beiden ein. Dies beruhte u. a. darauf, daß er, wie die Mutter, die Vorrangstellung des Vaters respektierte, und sich bis in Kleinigkeiten des täglichen Umgangs auf dessen Gewohnheiten einstellte, seine Wertungen und Normen voll übernahm. Durch diese Identifikation mit der Mutter konnte er sowohl die Inzestwünsche als auch die Rivalität seines ödipalen Konfliktes erfolgreich abwehren. Seine spätere Rolle als ‚zweiter Mann‘ kann als ein sekundär-autonomes Anpassungssystem angesehen werden, das sich durch Funktionswechsel aus dieser Abwehr entwickelte. Er galt als der eigentliche Manager des Unternehmens und zog doch keine Rivalität der Vorgesetzten auf sich, weil er zwar Aktivitäten, aber kaum eigene Initiative entwickelte, sondern es verstand, jene Maßnahmen einzuleiten, die von vornherein den Vorstellungen des Direktoriums entsprachen.

In diesem Fall waren einige Beratungsgespräche, in denen ihm Einsicht in die Zusammenhänge vermittelt wurde, ausreichend, um die depressive Störung zu beheben. Allerdings mag es sein, daß der Umstand, daß er von den beiden anderen Direktoren als Nachfolger des Verstorbenen empfohlen wurde – im Sinne seines Abwehrsystems – den raschen Erfolg begünstigt haben.“ (Houben 1975, S. 146f)

In diesem Fall wird das frühere Thema in der Beratung aufgegriffen und in der aktuellen Situation gedeutet. Beratung bedeutet Stärkung der Realitätsprüfung und Unterstützung neuen Verhaltens. Im Beratungsprozess werden Interpretationen des Klienten in Frage gestellt und alternative Interpretationen aufgezeigt.

3.1.2Klientzentrierte / Personzentrierte Beratung

Die klientzentrierte, nicht-direktive oder heute eher personzentrierte Beratung (Sander 2004) ist eng mit dem Namen Carl Rogers verbunden. Ihre Grundannahmen der Beziehung zwischen Berater und Ratsuchendem und den Techniken der Gesprächsführung gelten als „die“ Beratungsmethode schlechthin.


Carl Rogers 1902–1987 aus Pervin et al. 2005, S. 216)

Rogers ist neben Maslow, Fromm und Charlotte Bühler einer der Hauptvertreter der humanistischen Psychologie, der so genannten „dritten Kraft“ neben der Psychoanalyse und dem Behaviorismus. Die humanistische Psychologie betont die Ganzheitlichkeit und Selbstentfaltung der menschlichen Psyche, die sich nur durch ein „organismisches Modell“, also ein im Gegensatz zur eher mechanistischen Auffassung des (klassischen) Behaviorismus „lebendiges“ Modell darstellen lasse. Grundlegend ist die Annahme einer das gesamte Entwicklungspotential eines Menschen aktualisierenden Tendenz als Motivationskraft, die den Organismus als Ganzes erhält, ihn wachsen und reifen lässt, der Aktualisierungstendenz.

Selbstaktualisierungstendenz

Weil der Mensch über die eigene Person, seine Erlebnisse und Erfahrungen reflektieren kann, nimmt er sie in ihrer Beziehung zu sich selbst wahr. Indem er diesen Erfahrungen Bedeutung verleiht, symbolisiert er sie. Auf dieser Grundlage entwickelt er eine Vorstellung von sich selbst, ein Selbstbild oder Selbst. Das Selbst beinhaltet die Wahrnehmung der Eigenschaften und Fähigkeiten, wie man sie sich selbst zuschreibt und für sich bewertet. Auf die Realität reagiert die Person wiederum so, wie sie diese aufgrund ihres Selbstkonzeptes wahrnimmt und definiert. Sie aktualisiert sich selbst. Die Selbstaktualisierungstendenz als Teil der Aktualisierungstendenz ist das Bestreben, das eigene Selbst zu verwirklichen, sich weiterzuentwickeln und eine Kongruenz von Umgebung und Selbst herzustellen.

Aktualisierungs- und Selbstaktualisierungstendenz sind normalerweise konstruktiv und gleichgerichtet. Äußere Bedingungen können jedoch bewirken, dass die Aktualisierungstendenz blockiert wird. Das kann für den Betroffenen selbst und für sein soziales Umfeld destruktiv sein.

Selbstbehauptungstendenz

Das Bestreben, das Selbstbild zu aktualisieren, also sich aufgrund von Erfahrungen weiterzuentwickeln, kann kollidieren mit dem Bestreben, ein einmal entwickeltes Selbstkonzept aufrechtzuerhalten: mit der Selbstbehauptungstendenz. Erfahrungen werden auch im Hinblick darauf bewertet, ob sie der Aufrechterhaltung des Selbstkonzeptes dienlich sind. Ein Aspekt des Selbst ist das Selbst-Ideal, das Wert- und Wunschvorstellungen über das Selbst beinhaltet, also vorgibt, wie man gerne sein möchte.

Dieser Bewertungsprozess kann zu einer Spaltung in der Aktualisierungstendenz führen. Je starrer das Selbst ist, umso mehr tendiert es dazu, neue Erfahrungen abzuwehren, sie nur verzerrt zu symbolisieren oder ganz zu verleugnen.

Jeder Mensch hat ein Bedürfnis nach Anerkennung. Er möchte als individuelles, liebenswertes, unverwechselbares Individuum gesehen und beachtet werden. Er hat ein Bedürfnis nach Selbstachtung, er möchte sich selbst Wert schätzen können und seinem Ich-Ideal entsprechen. Bei Diskrepanzen zwischen diesen Tendenzen und Bedürfnissen entstehen Spannungen und auf Dauer Angst. Um das Selbst zu behaupten, werden inkongruente, „unpassende“ Erfahrungen daher abgewehrt, so verzerrt wahrgenommen, dass sie mit dem Selbstkonzept übereinstimmen, oder ganz verleugnet (Schmid 1999).


Petra nimmt sich als liebevolle, soziale und um andere besorgte Person wahr und nicht als egoistisch oder machthungrig. Sie wird also die Erfahrungen symbolisieren, die ihrem Selbstbild entsprechen und andere ausblenden, verzerren oder abwehren, die nicht zu ihrem Selbstkonzept passen. Würde sie alle Erfahrungen integrieren, müsste sie erkennen, dass sie mit der Sorge um die Anderen auch ihre Macht über sie bewahren kann, um nicht selbst in eine schwache Position zu geraten. Durch diese Unvereinbarkeit entsteht eine Spannung, die Petra immer ausgleichen muss. Es kann also sein, dass sie hin und wieder Wut verspürt, wenn ein Anderer sich nicht umsorgen lassen will und ihre Fürsorge ablehnt. Sie kann diese Erfahrung abwehren, indem sie ihre Wut, die nicht zum Bild des fürsorglichen Helfers „passt“, in Mitleid verzerrt, verleugnet, die Ablehnung der Hilfe durch den Anderen als Ausdruck von dessen Hilflosigkeit umdeutet oder gar nicht bemerkt.

 

Inkongruenz

Probleme und Störungen entstehen durch die Inkongruenz von Selbst und nicht integrierbaren Erfahrungen. Anders als bei Therapiepatienten, die aufgrund ihrer Biographie ein „falsches Selbst“ entwickeln, erlebt der Beratungsklient Inkongruenzen aufgrund belastender Lebensereignisse, die er nicht in Einklang mit seinen bisherigen Bewältigungsmöglichkeiten bringen kann, es mangelt ihm an Orientierungs- und Handlungsrepertoire (Sander 2004). Das Inkongruenzerleben ist ein wichtiger Motor für Veränderungen. In der Beratung werden diese Inkongruenzen auf verschiedenen Ebenen thematisiert. Auf der Ebene der Selbstinstanzen werden die Diskrepanzen zwischen Selbst und Ideal-Selbst, Erleben und Selbstkonzept, Handeln und Selbstkonzept verdeutlicht. Auf der Ebene der Wahrnehmung geht es um die Verdeutlichung, Konkretisierung und Differenzierung der Problemaspekte, die Konfrontation damit und das Aufzeigen alternativer Sichtweisen und Wahrnehmungen, auf der Ebene von Planung, Entscheidung und Handlung um das Aufzeigen und Ausprobieren von neuen Erfahrungen und Bewertungsmustern. Da immer von den Inkongruenzen der Person ausgegangen wird, die dem Klienten erlebbar gemacht werden und für deren Auflösung er selbst Wege findet, wobei der Berater Hilfestellung gibt, bleibt das Konzept personzentriert und beinhaltet keine von außen herangetragene Interventionsstrategie (Sander 2004).

Das Aktivieren des Erlebens, die Verbesserung der Erfahrungsmöglichkeiten des Klienten und die Beziehung zwischen Klient und Berater gehören zu den spezifischen Einflussfaktoren im Beratungsprozess. Wichtige Beratermerkmale sind Kongruenz, Empathie und Akzeptanz, die eine Atmosphäre schaffen, in der der Klient durch Vertrauen und Angstfreiheit eine Lösung seiner Probleme finden kann.


Kongruenz

Kongruenz bedeutet die Anforderung an den Berater, authentisch, echt zu sein, dem Ratsuchenden nichts „vorzuspielen“, Kontakt zu seinen eigenen Gefühlen und Gedanken zu haben, sie zu akzeptieren und sich als Person in den Beratungsprozess einzubringen. Ablehnung und Missachtung des Klienten werden sich wegen der schwer kontrollierbaren nonverbalen Signale kaum verbergen lassen. Kongruenz bedeutet nicht grenzenlose Offenheit, sondern Aufrichtigkeit. Der Berater muss nicht alles, was er empfindet, mitteilen, aber das, was er mitteilt, muss kongruent mit seinen Empfindungen sein.


Empathie

Empathie bezeichnet die Anforderung, das Problem aus der Perspektive des Ratsuchenden zu sehen, die innere Realität des Klienten wahrzunehmen, zu verstehen und dem Klienten mitzuteilen.


Akzeptanz

Akzeptanz bedeutet, den Klienten als Person mit der grundsätzlichen Fähigkeit, für sich selbst sorgen und sich weiterentwickeln zu können, zu sehen, ihn wert zu schätzen und damit seine Selbstachtung zu stärken.

Im Mittelpunkt steht also die größere Unabhängigkeit der Rat suchenden Person und nicht das Problem. Ziel der personzentrierten Beratung ist nicht, das Problem zu lösen, sondern dem Klienten zu helfen, sich zu entwickeln, um mit diesem und mit späteren Problemen fertig zu werden (Rogers 1972).

3.1.3Kognitiv-behavioral orientierte Beratung

Die kognitiv-behavioral orientierte Beratung hat sich, ebenso wie die Verhaltenstherapie aus dem Behaviorismus entwickelt. Ähnlich wie die klientzentrierte beruht auch die kognitiv-behaviorale Beratung auf den Grundlagen und Techniken der Therapie, so dass eine Abgrenzung zwischen beiden nicht leicht fällt (Rechtien 2004b). Sowohl in Therapie als auch in Beratung steht nicht in erster Linie die „Heilung“, die Veränderung von allgemeinen Persönlichkeits- und Reaktionsmustern, sondern die Veränderung eines konkret umschriebenen Zielverhaltens im Vordergrund. Für Borg-Laufs (2004) ist das Verhältnis der kognitiv-behavioralen Beratung zur Therapie sogar umgekehrt: Nicht Beratung ist eine „kleine Therapie“, sondern im Kontext von Beratung kann das Problemfeld erweitert werden. Anders als in der Therapie, die sich nur auf eine Person bezieht, kann ihr gesamtes Umfeld in die Beratung einbezogen werden.

Sowohl Therapie als auch Beratung gehen von den Ergebnissen der Lernpsychologie aus, die klassisches und operantes Konditionieren als grundlegend für Veränderungen im Verhalten sieht.

klassisches Konditionieren


Klassisches Konditionieren geht auf den russischen Physiologen Pawlow zurück. Er konnte in Experimenten mit Hunden nachweisen, dass sich neutrale Reize an solche Reize koppeln, die auf jeden Fall eine Reaktion auslösen, eine unbedingte Reaktion. Die unbedingte Reaktion auf einen Reiz ist beispielsweise der Speichelfluss beim Anblick des Essens. Wenn man nun mehrmals kurz vor dem Darbieten des Essens regelmäßig ein Glöckchen ertönen lässt, reicht nach kurzer Zeit das Erklingen des Glöckchens aus, um den Speichel fließen zu lassen (Pawlow 1972).

Das Konzept ist auf den Menschen übertragen, erweitert und auch auf Reize ausgedehnt worden, die keine unbedingte Reaktion auslösen, sondern eine Reaktion nur wahrscheinlich machen. Manche Reize können leichter und manche schwerer durch Konditionieren verbunden werden (Bednorz / Schuster 2002). Hohe physiologische Erregung wie beispielsweise Angst oder Ärger lassen Merkmale der Angst oder Ärger auslösenden Situation leichter mit der Reaktion verbinden. Einzelne Merkmale, die an die Ursprungssituation erinnern, reichen dann aus, um die Person Angst oder Ärger empfinden zu lassen. Bei traumatischen Ereignissen genügt zur dauerhaften Konditionierung oft die einmalige Koppelung. Aber auch immer wiederkehrendes Zusammenauftreten beider Reize kann zu klassischer Konditionierung führen, beispielsweise wenn ein Vater seinen Sohn immer wieder mit einem Gürtel schlägt, genügt der Anblick des Gürtels, um Angst auszulösen. In der klassischen Konditionierung spielt der Stimulus die bedeutende Rolle.

operantes Konditionieren

Beim instrumentellen oder operanten Konditionieren bestimmen die Konsequenzen auf eine mehr oder weniger zufällig erfolgte Reaktion, wie wahrscheinlich das Wiederauftreten einer bestimmten Verhaltensweise ist. Nach der „Verhaltensgleichung“ von Kanfer und Phillips (1975) bewirkt ein (Hinweis)reiz (S) im Organismus (O) eine Reaktion (R), die in einer Kontingenz (K) zu einer Konsequenz (Verstärker)(C) steht. Die Kontingenz ist das Verhältnis von Reaktion zu Konsequenz, also wie wahrscheinlich es ist, dass die Konsequenz eintritt. Sowohl Stimulus als auch Konsequenz sind nicht immer eindeutig erkennbar und müssen in Verhaltensanalysen als auslösende und aufrechterhaltende Bedingungen bestimmt werden (Kanfer / Phillips 1975), wenn Verhalten durch gesteuerte Lernprozesse verändert werden soll. Die beiden Lernarten können auch gekoppelt werden, indem zunächst durch klassische Konditionierung beispielsweise Angst ausgelöst und später durch Vermeidungsverhalten, also negative Verstärkung, aufrechterhalten wird, wie es in dem Zweifaktorenmodell von Mowrer (1960) beschrieben wird.

Frühe therapeutische Verfahren, die auch in Beratungssituationen angewendet werden und am Verhalten selber ansetzen, sind das systematische Desensibilisieren, die Angstreduktion und die Selbstkontrolle oder Selbstregulation.

systematische Desensibilisierung

Bei der systematischen Desensibilisierung wird eine „Angsthierarchie“ aufgestellt und gleichzeitig ein Entspannungstraining angewendet. Unter physischer Entspannung wird dann die Hierarchie von der am wenigsten Angst auslösenden bis zur die stärkste Angst hervorrufenden Situation in der Vorstellung (in sensu) und real (in vivo) stufenweise so dargeboten, dass der Klient sie gerade noch ertragen kann, bis auch die höchste Stufe keine Angst mehr auslöst. Die Desensibilisierung eignet sich gut bei Phobien, also eng umschriebenen Ängsten, die durch bestimmte Situationen wie Menschenansammlungen, freie Plätze oder geschlossene Räume oder Objekte, meist Tiere wie Spinnen oder Hunde ausgelöst werden.

Angstbewältigungstraining

Bei diffusen Ängsten lassen sich solche Hierarchien nicht aufstellen. Im Angstbewältigungstraining lernt der Klient, die ersten Anzeichen von Angst zu erkennen und mit Entspannung zu reagieren. Manchmal wird auch statt der stufenweisen Annäherung die totale Exposition (Flooding) gewählt, bei der der Klient dem höchsten Angst auslösenden Reiz über einen längeren Zeitraum ausgesetzt wird, so dass er nach dem Durchstehen dieser Extremsituation keine Angst mehr hat. Dieses Verfahren ist äußerst wirksam, aber auch sehr kritisch zu betrachten, da es ethisch bedenklich ist, eine Person ihrer Angst vollkommen auszusetzen.

Selbstkontrolle

Bei der Selbstkontrolle wird der Klient angeleitet, sein Verhalten selbst zu kontrollieren und sich selbst zu verstärken.

Mit der „kognitiven Wende“ der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts rückten statt des konkreten Verhaltens mehr die Organismusvariablen in den Blick. Kognitive Prozesse der Bewertung äußerer Ereignisse, damit verbundene interne Repräsentanzen, innere Darstellungen, Gedanken und Gefühle, Planung, Bewertung und Überprüfung des Handels wurden wichtige Variablen.

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