Von Anmerkung und Geisterhand

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A3: Vor dem Imbiss

Geisterhand Es war also einmal an einem Freitag; die Nachmittagssonne über unserer Vorstadt schien mild, ein leichter Wind dazu.

Abrahams Laden befand sich im Prinzip zwischen Kalles Imbiss auf der einen Seite und dem Schulhofzaun auf der anderen Seite- aber dies hatten wir ja bereits, oder etwa nicht?

Wieso ich dies dennoch noch einmal erwähne? An dem zweistöckigen Wohnhaus, wo der Antiquitätenladen untergebracht war, und zwar seit Jahrzehnten schon, oh, wer dies schon so genau wusste, verlief an der Seite, wo der Zaun angrenzte, und zwar unmittelbar, eine Regenrinne. Die vortrefflich zu glucksen verstand, vor allem dann, wenn es ruhig war, und vor allem nachts.

Genau davor befand sich eine Haltestelle. Wenn nicht gerade Schulschluss war, waren die Linienbusse, die dort hielten, gewöhnlicherweise leer. Vereinzelte lediglich, denn sie war und ist erst die zweite Station nach der Endstation hier bei uns in der Vorstadt.

Doch genau das war ein zusätzlicher Knackpunkt; denn der betroffene Linienbus hatte an der Absperrung von Gunnar Günsch abzubremsen, kaum dass er an der Haltestelle wieder angefahren war. Was den Verdruss der jeweiligen Busfahrer nicht gerade minderte. Nein, ganz im Gegenteil.

Anmerkung Und unter Pläsir schien wohl was anderes zu verstehen gewesen zu sein.

Geisterhand Du mir aus dem Herzen sprichst. Irgendwie zumindest.

Es war also Freitag nachmittags, als eben dieses von mir beschriebene Malheur abermals passierte. So dass der soeben angefahrene Linienbus wieder abzubremsen hatte. Und wie gesagt zum Verdruss des Busfahrers.

Anmerkung Busfahrerin. Geisterhand Aber ja natürlich, mein Lieber. Hätte ich auch schon noch gesagt. Und alles andere wie eine Unbekannte hier bei uns. Schließlich bediente sie seit etlichen Jahren die Linie durch unsere Vorstadt. Das Fenster an der Fahrerseite aufgeklappt, schaute sie auf Gunnar, wobei ihr die Verärgerung im Gesicht geschrieben stand.

Anmerkung Bei der Busfahrerin es sich um Madeleine Wurm handelte. Unter ihrer hellblauen Busdienstmütze quoll lockiges, ins Brünette neigende Haar, welches ihr bis zu den Kragen reichte, hervor. Ungefähr dreißig wirkte unsere Busfahrerin nicht ganz zuletzt aufgrund ihres sommersprossigen Gesichts noch recht jung.

Geisterhand Ihre Verärgerung hatte neben der Fahrbahnverengung durch die Ewigkeitsabsperrung noch einen weiteren Grund.

Anmerkung Na klar, Madeleine wollte nach Hause.

Geisterhand Denn es war für sie die letzte Tour des Tages. Dementsprechend eilig sie es hatte.

Anmerkung Aber warum hören wir nicht einfach mal rein?

Geisterhand Von nicht allzu weit hörte man die Glocke unserer kleinen Vorstadtkirche zur halben Stunde schlagen.

Gunnnar Günsch Madeleine, was ist denn jetzt schon wieder mit dir?

Madeleine Wurm Dass du das auch noch fragst.

Gunnar Günsch Wenigstens das wird man ja wohl noch dürfen.

Madeleine Wurm Jeden Tag die gleiche Scheiße hier!

Gunnar Günsch Das kannst du aber so jetzt auch nicht sagen.

Madeleine Wurm Doch! Und wie ich das sagen kann! Außerdem habe ich gleich Feierabend! Und es dementsprechend eilig! Falls dich das interessiert!

Gunnar Günsch Mensch! Und wie mich das interessiert!

Geisterhand Mühselig lenkte Madeleine ihren Bus an Absperrung und Gunnar vorbei, nicht ohne mit den Backboard- Reifen auf den Bordstein vor Kalles Imbiss zu fahren, doch wäre dies anders so gut wie gar nicht möglich gewesen. Sodann sie die Stelle endlich passiert, wurde sichtbar, dass sich auch vor Abrahams Ladentür etwas tat. An der stand nämlich Abrahams Frau, mit einer Hand an der Klinke wohlgemerkt.

Anmerkung Nicht mehr die Allerjüngste, vertrat sie ihren Mann häufig im Laden. Mit grauer Dauerwelle versehen, quellte unter dem pinken Kittel der vierzehnfachen Mutter eine hellblaue Bluse, die an den Ärmeln hochgekrempelt, hervor.

Vor ihrem Laden vorgefahren war ein kleiner orangefarbener Straßenkehrwagen, in welchem Berry Weckerknecht. Berry selbst steckte natürlich in einer orangefarbenen Straßenkehrkluft. Nicht nur durch sein Kurzhaarschnitt wirkte der ungefähr Dreißigjährige stets äußerst gepflegt.

Berry Weckerknecht Was? Sie auch mal draußen?

Abrahams Frau Na, hören Sie mal! Schließlich muss auch ich mal frische Luft schnappen.

Berry Weckerknecht Wieso? Gibt’ s in Ihrem im Laden keine?

Abrahams Frau Na, erlauben Sie mal!

Berry Weckerknecht Man hat ja wohl noch das Recht, fragen zu dürfen.

Abrahams Frau Sehen Sie lieber zu, dass Sie Land gewinnen. Bevor Sie mir mit noch mehr Frechheiten kommen.

Berry Weckerknecht Ganz im Gegenteil!

Abrahams Frau Als ob Sie nichts anderes zu tun hätten.

Berry Weckerknecht Wissen Sie, ich hab da nämlich eine Frage. An Ihrem Mann.

Abrahams Frau Ist nicht da.

Berry Weckerknecht Wie?

Abrahams Frau Oder warum glauben Sie, stehe ich im Laden?

Berry Weckerknecht Allwissend bin ich natürlich auch nicht immer.

Abrahams Frau Ach herrje! Aber bitte schön, wenn es denn unbedingt sein muss.

Berry Weckerknecht Ach, Sie meinen, ich könnte.

Abrahams Frau Jede Frage an meinen Mann können Sie auch an mich richten. Wenn Sie mir nur nicht wieder so frech mit der Luft daherkommen.

Berry Weckerknecht Mann, war doch bloß ‘n Scherz.

Abrahams Frau Ja, ja. Also, was ist jetzt?

Berry Weckerknecht Nix? Was soll denn sein?

Abrahams Frau Mit Ihrer Frage. Oder glauben Sie, ich möchte den ganzen Tag hier Wurzeln schlagen?

Berry Weckerknecht Also, ob sie die auch haben?

Abrahams Frau Wie? Was?

Berry Weckerknecht Ich meine, wo ihr im Laden doch fast immer alles habt.

Abrahams Frau Also, wenn Sie lediglich in Rätseln sprechen, werde ich Ihnen wohl kaum auf die Sprünge helfen können.

Berry Weckerknecht Na ja, es ist doch nur, weil ich vorhin an so ’nem Plakat vorbeigefahren bin.

Abrahams Frau Na und.

Berry Weckerknecht So’ n Werbeplakat. Mit Werbung für Fruchtkaugummis.

Abrahams Frau Ich höre wohl nicht richtig.

Berry Weckerknecht Doch! Handelt sich wohl um so ganz neuartige Fruchtkaugummis.

Abrahams Frau Neuartig? Wird ja immer heiterer?

Berry Weckerknecht Ja! Laut Werbeplakat!

Abrahams Frau Oh, Herr Weckerknecht! Wie lange wir uns schon kennen.

Berry Weckerknecht Keine Ahnung! Sehr lange schon!

Abrahams Frau Dass Sie sich überhaupt mal besinnen. Dann dürfte Ihnen doch eigentlich auch klar sein, dass für Neuartiges in unserem Laden kein Platz ist.

Berry Weckerknecht Nix für ungut.

Abrahams Frau Sondern nur für das Gegenteilige; schließlich sind wir immer noch ein Antiquitätenladen.

Berry Weckerknecht Jetzt regen Sie sich doch nicht auf. Hätte ja sein können.

Männliche Stimme von der Seite Aber ich habe sie.

Anmerkung Jene Stimme von keinem Geringeren stammte wie von Kalle Mitzwitz, der aus dem offenen Visier seines Imbissladens herausschaute. Im besten Mannesalter war er zumeist mit einem karierten Hemd bekleidet, welches bis zu den Ärmeln hochgekrempelt war. Markenzeichen jedoch eine um seine kräftige Statur umgebundene weiße Schürze; die in aller Regel von alldem, was sein Imbiss hergab, vollgekleckert war: Mayospritzer, Senfspritzer, Ketschupspritzer, Fettspritzer.

Geisterhand Berry schaute sich um; Abrahams Frau, sie war verschwunden.

Kalle Mitzwitz Straßenkehrer!

Geisterhand Berry war etwas verdutzt, und so wirkte er auch.

Kalle Mitzwitz Was du hast?

Berry Weckerknecht Nichts.

Kalle Mitzwitz Nichts? So, so.

Berry Weckerknecht Es ist nur.

Kalle Mitzwitz Sprich dich nur aus.

Stimme von einen der Stehtische vor dem Imbiss Etwas, was noch nie geschadet hat.

Anmerkung Hierbei es sich um Olias Frech handelte; er war der Streifenpolizist hier bei uns in der Vorstadt, sein Posten auch nur ein paar Steinwürfe entfernt. Olias war groß und schlank und gleichsam wie Berry noch recht jung. Natürlich steckte er in einer Polizeiuniform, frei nach dem Motto: “was denn sonst auch?”.

Olias Frech war gerade beim Verzehren von Currywurst und einer gehörigen Portion Pommes mit Mayo, mit Ketchup; dazu eine große, kalte Cola.

Berry Weckerknecht Seit wann du Kaugummi führst.

Olias Frech Kein Wunder, wenn man seinen Standort in unmittelbarer Nähe einer Schule hat.

Kalle Mitzwitz Ein simples Geschäftsmodell.

Olias Frech Eher ein Ausbeuten von Taschengeldern. Wenn man mich fragt.

Kalle Mitzwitz Dich fragt aber keiner. Und schließlich muss man heutzutage ja auch sehen, wo man bleibt.

Geisterhand Und dann zum Straßenkehrer.

 

Kalle Mitzwitz Der allerneueste Schrei. Möchtest du auch welche?

Geisterhand Berry Weckerknecht lediglich mit den Achseln zuckelte.

Berry Weckerknecht Weiß nicht.

Kalle Mitzwitz Außerdem supergünstig.

Olias Frech Ist doch überhaupt nicht nötig.

Geisterhand Olias hatte kurzerhand ein Päckchen hervorgezückt und reichte es dem Straßenkehrer.

Kalle Mitzwitz Du weißt aber schon, dass das geschäftsschädigend ist.

Olias Frech Weiß nicht was du hast. Hab es doch von dir.

Kalle Mitzwitz Unfassbar!

Geisterhand Das Päckchen von dem Streifenpolizisten inzwischen angenommen, bemusterte Berry es von allen Seiten. Auf dem heidelbeerblauen Päckchen war eine Orangenscheibe abgebildet.

Olias Frech Nur nicht so schüchtern! Einfach mal probieren!

Geisterhand Berry mit den Achseln zuckelte.

Berry Weckerknecht Orangen?

Olias Frech Einfach köstlich.

Berry Weckerknecht Aber die, die sind irgendwie anders.

Kalle Mitzwitz Deshalb haben die ja auch so ’nen reißenden Absatz!

Berry Weckerknecht Sind anders als die vom Plakat.

Kalle Mitzwitz Plakat?

Olias Frech Ich befürchte, langsam kommen wir ins Detail.

Berry Weckerknecht Auf dem Plakat war eine Heidelbeere abgebildet.

Olias Frech Hab ich allerdings auch schon gesehen.

Kalle Mitzwitz Dafür kann ich auch nichts. Willst du jetzt welche?

Geisterhand Berry legte das Päckchen auf Olias Stehtisch ab; gleich neben dem Pappteller, auf dem sich sein Pommes- Berg befand.

Berry Weckerknecht Nee, lieber nicht.

Olias Frech Wieso denn nicht?

Geisterhand Doch Berry hatte sich schon etwas entfernt, um sich zu seinem Elektrowagen begeben.

Olias Frech Schade eigentlich. Wo die Orange doch so wunderbar zu deinem Outfit passt.

Berry Weckerknecht Wie bitte?

Olias Frech Zu deinem Outfit und zu deinem Wagen.

Berry Weckerknecht Äh, ich muss dann auch weiter.

Kalle Mitzwitz Wenigstens ‘ne Cola?

Geisterhand Doch Berry zwängte sich schon in sein enges Gefährt.

Kalle Mitzwitz Ich gib dir auch eine aus.

Olias Frech Was!

Berry Weckerknecht Nee, das nächste Mal vielleicht.

Olias Frech So schön möchte ich es auch mal haben.

Geisterhand Die Handbremse gelöst, war Berry angefahren, im Schritttempo wohlgemerkt Im Gegensatz zu Madeleines Bus kam Berry mit seinem Elektrowagen spielendleicht an Gunnars Absperrung vorbei.

Berry Weckerknecht Sag mal, geschehen tatsächlich noch Zeichen und Wunder?

Geisterhand Gunnar hatte sich erhoben, und war über seinen Klappstuhl gebeugt, den er gerade zuklappte.

Gunnar Günsch Ach, Straßenkehrer, du bist’ s!

Berry Weckerknecht Dass du dich überhaupt mal bewegst.

Gunnar Günsch Na klar! Ist doch Feierabend.

Geisterhand Nicht ohne noch einen draufzusetzen? Oder vielleicht doch?

Gunnar Günsch Feierabend und Wochenende.

Berry Weckerknecht So schön möchte ich es auch mal haben.

Gunnar Günsch Aber wieso denn nicht? Heute ist doch Freitag?

Berry Weckerknecht Also, ich kann nicht so ohne Weiteres alles zuklappen.

Gunnar Günsch Du erwartest doch nicht, dass ich jetzt in Mitleid verfalle.

Berry Weckerknecht Zumindest muss ich noch zur Erddeponie. Schließlich entleert sich mein Auto nicht von alleine.

Geisterhand Insgeheim wollte natürlich auch Berry Schluss machen. Die von ihm anvisierte Erddeponie war jedoch noch ganz schön entfernt. Auf dem Weg dorthin wollte er zudem noch die Abfallkörbe an zwei Haltestellen entleeren. So hatte er es zumindest vorgesehen.

Berry Weckerknecht Na, dann mach’ s mal gut, Kanalarbeiter.

Gunnar Günsch Ein schönes Wochenende ich dir wünsche.

Eine weibliche Stimme Halt! Warte doch mal!

Geisterhand Berry wollte gerade anfahren, als auf der anderen Seite Federica Fiel aus ihrer Pension hinausstürzte.

Anmerkung Mit Sicherheit war die Pensionswirtin nicht mehr die Allerjüngste. So um die achtzig schätzte man, so genau wusste dies allerdings keiner bei uns in der Vorstadt. Die Gestalt gedrungen und klein, der Kopf, welcher mit grauem, welligem Haar versehen, leicht nach vorne gebeugt. Weiterhin hinkte die alte Dame leicht. Meist trug sie dunkle Hosen und farbige Oberteile.

Berry Weckerknecht Frau Fiel? Was ist?

Geisterhand Trotz ihrer leichten Gehbehinderung hatte sie es bereits über die Straße bis zu seinem orangenfarbenen Vehikel geschafft.

Federica Fiel Du kannst mich doch ganz bestimmt ein Stückchen mitnehmen. Du weißt ja.

Geisterhand Nicht, dass die alte Dame doch etwas außer Atem geraten war.

Federica Fiel Dass ich nicht mehr die Allerjüngste bin!

Geisterhand Schnell war Berry um das kleine Elektroauto herum, und öffnete die Beifahrertür.

Berry Weckerknecht Wenn ich bitten darf! Ist nur ein klein wenig eng.

Federica Fiel Oh, das seh ich jetzt auch gerade. Da brauch ich allerdings etwas, bis ich mich da hineingequetscht habe.

Berry Weckerknecht Ihre Tasche können wir ja nach hinten tun.

Federica Fiel Glauben Sie, dass das wirklich geht?

Berry Weckerknecht Aber ja doch.

Federica Fiel Nicht, dass dabei was kaputt geht.

Geisterhand Schon hatte er ihr die große, schwere Tasche, die sie bei sich trug, abgenommen. Auf der Lade des kleinen Wagens hatte sich zwar schon eine Menge Abfall und Laub angehäuft. Kurzerhand stopfte er die Tasche in einen noch einigermaßen sauberen Eimer.

Federica Fiel Da ist nämlich was ganz Wichtiges drin.

Berry Weckerknecht Wichtig und gewichtig. So schwer wie Ihre Tasche ist.

Federica Fiel Und weißt du was?

Berry Weckerknecht Ich befürchte, Sie werden es mir gleich sagen.

Kalle Mitzwitz Federica! Nicht Lust auf ‘nen Kaffee?

Federica Fiel Nee, heute nicht.

Kalle Mitzwitz Ich lass auch einen springen.

Federica Fiel Aber ich muss doch zu Amalie heute.

Olias Frech Mich fragt mal wieder keiner.

Kalle Mitzwitz Ach so. Heute ist ja Freitag.

Federica Fiel Außerdem bring ich ihr auch noch was mit.

Geisterhand Berry schaute sich um; Gunnar war inzwischen verschwunden. Tatsächlich dauerte es etwas, bis sich die Pensionärin hineingezwängt hatte.

Kalle Mitzwitz Schon wieder nicht!

Olias Frech Mann, was ist denn jetzt schon wieder?

Kalle Mitzwitz Oh, dieser Gunnar!

Olias Frech Jetzt hast du ja Ruhe vor ihm.

Kalle Mitzwitz Vor Gunnar vielleicht.

Olias Frech Und dies gleich für zwei Tage.

Kalle Mitzwitz Aber nicht vor dem Gestank.

Olias Frech Kein Grund zur Aufregung.

Kalle Mitzwitz Denn den Gully hate er schon wieder nicht zugemacht.

Olias Frech Was ist jetzt mit dem Kaffee für Frau Fiel?

Kalle Mitzwitz Vergessen? Oder einfach nur zu blöde?

Olias Frech Ich würde mich freiwillig opfern.

Kalle Mitzwitz Mann, nerv mich du bitte nicht auch noch. Außerdem hast du doch schon ‘ne Cola. Olias Frech Ist doch schon alle.

A4: An der Kreuzung

Geisterhand Die an Kalles Imbiss von Federica erwähnte Amalie war und ist ebenfalls so etwas wie eine Institution in unserer Vorstadt. Gemeinsam mit ihrem Mann Dimitri betrieb sie eine Eckkneipe hier bei uns.

Und in letzter Zeit war es so, dass Federica in der Kneipe häufiger aushalf; vor allem am Wochenende. Dabei war ihr einmal aufgefallen, dass Amalie in der Küche ihrer Kneipe nicht über ausreichend Behältnisse für Gewürze und Ähnlichem verfügte. Dem wollte sie abhelfen, wozu der Inhalt der Tasche, welche nun auf dem Rücken des engen Elektrowagens, dienen sollte: denn es waren nichts weiter wie acht Aufbewahrungsdosen, welche sie Amalie überlassen wollte.

Im Übrigen war eng in dem Elektroauto kein Ausdruck; zusammengepfercht wie zwei Ölsardinen hockten Berry und Federica in der Fahrerkabine des Straßenkehrwagens. Berry gewann wenigstens etwas Platz, indem er einen Ellenbogen zum Fenster rausdrückte, während die leicht eingenickten Köpfe bis an die Decke des Gefährts reichten.

Berry Weckerknecht Amalie wird sich bestimmt freuen über das Geschenk.

Federica Fiel Oh, sie wird sich nicht nur freuen, sondern auch freuen.

Geisterhand Berry hatte indes das Radio im Auto eingeschaltet.

Federica Fiel Du hast aber ein schickes Radio.

Berry Weckerknecht Na ja. Federica Fiel Und so modern.

Berry Weckerknecht Dafür knistert die Musik. Finden Sie nicht?

Federica Fiel Kein Wunder, die ist wiederum alt.

Berry Weckerknecht Und so schön traurig.

Federica Fiel Die war modern, als ich noch eine flotte Propellermaschine war.

Berry Weckerknecht Ich kenn den, ich meine, den Titel.

Federica Fiel Ja, lang ist ‚s her.

Berry Weckerknecht Und den Sänger, den kenn ich ach.

Federica Fiel Kennt doch jedes Kind.

Berry Weckerknecht Ich habe wohl ein Blackout! Oh weh!

Federica Fiel Das macht nichts. Ich kann dir auf die Sprünge helfen.

Berry Weckerknecht Ja bitte, dann tun Sie es. Erlösen Sie mich.

Federica Fiel Das ist “Goodbye my Love, Goodbye“.

Berry Weckerknecht Aber ja, natürlich.

Federica Fiel Von Demis Roussos.

Berry Weckerknecht Fällt mir wie Schuppen aus den Haaren. Jetzt, wo Sie ‚s sagen.

Federica Fiel Schön traurig.

Berry Weckerknecht Na ja, schließlich wird man ja auch nicht jünger.

Federica Fiel Wem sagst du das?

Geisterhand Die weitere Fahrt verlief ohne besondere Vorkommnisse. Die Hauptstraße führte schnurstracks bis zu einer Kreuzung, die gerade auf Grün stand. Jedoch hatte er zu stoppen, denn genau an der Beifahrerseite befand sich die eckige Eckkneipe der Hochs.

Federica Fiel Magst nicht mit reinkommen?

Berry Weckerknecht Nee, geht nicht. Muss noch ein bisschen was tun.

Federica Fiel Dann später vielleicht.

Geisterhand Er öffnete ihr schnell noch die Tür. Bei ihrem Herauszwängen stützte er sie ein klein wenig am Ellenbogen.

Berry Weckerknecht Warten Sie! Ich trage Ihnen noch die Tasche rein.

Federica Fiel Danke, aber das ist nun wirklich nicht auch noch nötig. Das krieg ich gerade noch allein hin.

Geisterhand Gesagt, getan, mit der schweren Tasche sie bis zur Eingangstür der Kneipe hinkte, worin sie alsbald verschwunden war. Als Berry sich wieder in sein Auto gesetzt hatte, war die Ampel natürlich längst rot.

Es war ruhig, denn er war mit seinem orangefarbenen fahrbaren Untersatz der Einzige an der Kreuzung. Nicht mal das kleine Radio dudelte mehr, ganz im Gegenteil, es zischte nur noch. Wütend schlug er dagegen, denn es war nigelnagelneu, in der Tat, in der Tat.

War es die Einöde an der Ampel? Die Warterei? Das Grün, es ließ und ließ auf sich warten. Oder lag es am Ende am langen Arbeitstag, der natürlich auch Tribut forderte? Auf jeden Fall spürte Berry auf einmal Müdigkeit in den Augen. Schwer fiel es ihm, sie offenzuhalten. Der Kopf schon verdächtig nahe bis zum Lenkrad hinuntergenickt, als die Kirchturmglocke zur vierten Stunde schlug; zur vierten Nachmittagsstunde wohlgemerkt.

 

Berry aufgeschreckt, denn die Kirche befand sich in unmittelbarer Verlängerung der Kneipe an der Ecke an der anderen Seite der Kreuzung. Dementsprechend laut, hinter der Kirche im Übrigen ein flaches Gebäude, welches lange Jahre stillgestanden war. Und davor die Einbuchtung für eine der beiden Haltestellen, wo die Abfallkörbe, an welchem er sich noch verdingen wollte.

Das Gebäude war der ehemalige Sitz eines ehemaligen Bekleidungslagers, doch war die Firma schon vor vielen, vielen Jahren aus unserer Vorstadt weggezogen.

Vor Kurzem jedoch war hier ein Islamisches Zentrum errichtet worden; sogar mit einer kleinen Moschee. Und genau an diesem Tag hatte dort ein Ereignis stattgefunden, denn das erste Freitagsgebet wurde abgehalten. Vieles war freilich noch improvisorisch, doch der Auftakt ein geglückter war.

Nach dem Gebet fiel Hasan Ibrahim Rahman, der neue Imam hier bei uns, was ins Auge. Etwas, was seine Stimmung etwas trübte; eine Kleinigkeit zwar nur, doch immerhin.

Von dem, was sich hinter den Mauern des neuen Zentrums abspielte, wusste Berry natürlich nichts. Doch zu alldem später etwas was mehr. Und natürlich auch zu Hasan Ibrahim Rahman.

Zunächst jedoch zurück zu Berry, der noch immer vor der Ampel wartete, und der noch immer mit dem Einschlafen zu kämpfen hatte. Ach, diese verflixte Ampel, wo doch jenseits der Kreuzung die beiden letzten Abfallkörbe auf ihn warteten. Gegenüber der neuen Moschee, beziehungsweise diagonal gegenüber der Kneipe ein Parkplatz, vor dem eine langgezogene Einbuchtung. Dies war zum einen die Haltestellen für die Linienbusse der entgegengesetzten Richtung; zum anderen auch noch der Stand für haargenau ein Taxi.

In dem Taxi hockte Leonid Zimmermann und las Zeitung.

Berry Weckerknecht So schön möchte ich es auch mal haben.

Geisterhand Grübelte Berry so vor sich hin, als sich seine schlafversessenen Augen auf die Ampel konzentrierten. Von einem Moment zum nächsten schoss sein Kopf, welches beinahe schon völlig auf dem Lenkrad, in die Höhe. Nicht hundertprozentig überliefert ist, ob er sich hierbei eine Beule eingefangen hatte, aufgrund der Niedrigkeit des Autos, was freilich für die Decke galt; ja insbesondere für die Decke.

Auf jeden Fall war er wieder hellwach, nein, von Müdigkeit nichts mehr zu spüren.

Berry Weckerknecht Das gibt es doch nicht!

Geisterhand An dem Zaun des Gartens, welcher die Kirche umgarnte, waren gleich zwei Plakate angebracht worden: eines zeichnete das Konterfei unseres Vorstadt- Großbürgermeister Klein ab, dass andere wiederum Reklame für jene neuartigen Fruchtkaugummis. Und offenbar wieder für die gleiche Marke; doch, doch, ganz offenkund dem so war.

Diesmal war jedoch eine riesige Orangenscheibe abgebildet, gleichsam wie auf dem heidelbeerblauen Päckchen von Olias Frech. Heidelbeerblau dafür diesmal das Plakat mit der Orange.

Endlich schaltete die Ampel auf Grün. Berry war immer noch der Einzige an der Kreuzung, weit und breit. So dass er in aller Gemütlichkeit zu den Abfallkörben der Haltestellen hätte tuckern können.

Anmerkung Hätte können, wie man auch schon an der Formulierung erkennt.

Geisterhand Richtig, mein Lieber!

Anmerkung Sondern.

Geisterhand Dass du dich überhaupt mal wieder zu Wort meldest.

Anmerkung Was für ein Pläsir, nicht wahr?

Geisterhand Du mir aus der Seele sprichst.

Anmerkung Mann!