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Der Stechlin

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Koseleger, Weltmann, wie er war, lenkte rasch ein, sprach von Konventiklerbeschränktheit und gab die Möglichkeit einer Intrigue zu.

»Natürlich wird es einem schwer, in diesem Erdenwinkel an derlei Dinge zu glauben, denn ›Intrigue‹ zählt ganz eminent zu den höheren Kulturformen. Intrigue hat hier in unserer alten Grafschaft, glaub ich, noch keinen Boden. Aber andrerseits ist es doch freilich wahr, daß heutzutage die Verwerflichkeiten, ja selbst die Verbrechen und Laster, nicht bloß im Gefolge der Kultur auftreten, sondern umgekehrt ihr voranschreiten, als beklagenswerte Herolde falscher Gesittung! Bedenken Sie, was wir neuerdings in unsern Äquatorialprovinzen erlebt haben. Die Zivilisation ist noch nicht da, und schon haben wir ihre Greuel. Man erschauert, wenn man davon liest, und freut sich der kleinen und alltäglichen Verhältnisse, drin der Wille Gottes uns gnädig stellte.«

Nach diesen Worten, die was von einem guten Abgang hatten, erhob sich Koseleger, und der Alte, seinerseits seinen Arm in den des Superintendenten einhakend, »um sich,« wie er sagte, »auf die Kirche zu stützen,« begleitete seinen Besuch bis wieder auf die Rampe hinaus und grüßte noch mit der Hand, als der Wagen schon über die Bohlenbrücke fuhr. Dann wandte er sich rasch an Engelke, der neben ihm stand, und sagte:

»Engelke, schade, daß ich mit dir nicht wetten kann. Lust hätt ich. Heute kommt noch wer, du wirst es sehn. Eine Woche lang läßt sich keine Katze blicken, aber wenn unser Schicksal erst mal nen Entschluß gefaßt hat, dann kann es sich auch wieder nicht genug tun. Man gewinnt dreimal das große Los, oder man stößt sich dreimal den Kopp. Und immer an derselben Stelle.«

Es schlug zwölf, als Dubslav vom Portal her wieder den Flur passierte. Dabei sah er nach dem Hippenmann hinauf und zählte die Schläge. »Zwölf,« sagte er, »und um zwölf ist alles aus, und dann fängt der neue Tag an. Es gibt freilich zwei Zwölfen, und die Zwölf, die da oben jetzt schlägt, das is die Mittagszwölf. Aber Mittag! … Wo bist du Sonne geblieben!« All dem weiter nachhängend, wie er jetzt öfter tat, kam er an seinen Kaminplatz und nahm eine Zeitung in die Hand. Er sah jedoch kaum drauf hin und beschäftigte sich, während er zu lesen schien, eigentlich nur mit der Frage, »wer wohl heute noch kommen könne,« und dabei neben andren Personen aus seiner Umgebung auch an Lorenzen denkend, kam er zu dem Schlußresultat, daß ihm Lorenzen »mit all seinem neuen Unsinn« doch am Ende lieber sei als Koseleger mit seinen Heilsgütern, von denen er wohl zwei-, dreimal gesprochen hatte. »Ja, die Heilsgüter, die sind ganz gut. Versteht sich. Ich werde mich nicht so versündigen. Die Kirche kann was, is was, und der alte Luther, nu, der war schon ganz gewiß was, weil er ehrlich war und für seine Sache sterben wollte. Nahe dran war er. Eigentlich kommt's doch immer bloß darauf an, daß einer sagt, ›dafür sterb ich‹. Und es dann aber auch tut. Für was, is beinah gleich. Daß man überhaupt so was kann, wie sich opfern, das ist das Große. Kirchlich mag es ja falsch sein, was ich da so sage; aber was sie jetzt ›sittlich‹ nennen (und manche sagen auch ›schönheitlich‹, aber das is ein zu dolles Wort), also was sie jetzt sittlich nennen, so bloß auf das hin angesehn, da is das persönliche Sicheinsetzen und Fürwassterbenkönnen und – wollen doch das Höchste. Mehr kann der Mensch nich. Aber Koseleger. Der will leben.«

Und während er noch so vor sich hin seinen Faden spann, war sein gutes, altes Faktotum eingetreten, an das er denn auch ohne weiteres und bloß zu eignem Ergötzen die Frage richtete: »Nich wahr, Engelke?«

Der aber hörte gar nichts mehr, so sehr war er in Verwirrung, und stotterte nur aus sich heraus: »Ach Gott, gnädger Herr, nu is es doch so gekommen.«

»Wie? Was?«

»Die Frau Gemahlin von unserm Herrn Oberförster …«

»Was? Die Prinzessin?«

»Ja, die Frau Katzler, Durchlaucht.«

»Alle Wetter, Engelke … Da haben wir's. Aber ich hab es ja gesagt, ich wußt es. Wie so'n Tag anfängt, so bleibt er, so geht es weiter … Und wie das hier durcheinander liegt, alles wie Kraut und Rüben. Nimm die Zudecke weg, ach was Zudecke, die reine Pferdedecke; wir müssen eine andre haben. Und nimm auch die grünen Tropfen weg, daß es nicht gleich aussieht wie ne Krankenstube … Die Prinzessin … Aber rasch, Engelke, flink … Ich lasse bitten, ich lasse die Frau Oberförsterin bitten.«

Dubslav rückte sich, so gut es ging, zurecht; im übrigen aber hielt er's in seinem desolaten Zustande doch für besser, in seinem Rollstuhl zu bleiben, als der Prinzessin entgegenzugehn oder sie durch ein Sicherheben von seinem Sitz mehr oder weniger feierlich zu begrüßen. Ermyntrud paßte sich seinen Intentionen denn auch an und gab durch eine gemessene Handbewegung zu verstehen, daß sie nicht zu stören wünsche. Gleich danach legte sie den rechten Arm auf die Lehne eines nebenstehenden Stuhles und sagte: »Ich komme, Herr von Stechlin, um nach Ihrem Befinden zu fragen; Katzler (sie nannte ihn, unter geflissentlichster Vermeidung des allerdings plebejen »mein Mann«, immer nur bei seinem Familiennamen) hat mir von Ihrem Unwohlsein erzählt und mir Empfehlungen aufgetragen. Ich hoffe, es geht besser.«

Dubslav dankte für so viel Freundlichkeit und bat, das um ihn her herrschende Übermaß von Unordnung entschuldigen zu wollen. »Wo die weibliche Hand fehlt, fehlt alles.« Er fuhr so noch eine Weile fort, in allerlei Worten und Wendungen, wie sie ihm von alter Zeit her geläufig waren; eigentlich aber war er wenig bei dem, was er sagte, sondern hing ausschließlich an dem halb nonnen-, halb heiligenbildartigen ihrer Erscheinung, das durch einen großen, aus mattweißen Kugeln bestehenden Halsschmuck samt Elfenbeinkreuz noch gesteigert wurde. Sie mußte jedem, auch dem Kritischsten, auffallen, und Dubslav, der – so sehr er dagegen ankämpfte – ganz unter der Vorstellung ihrer Prinzessinnenschaft stand, vergaß auf Augenblicke Krankheit und Alter und fühlte sich nur noch als Ritter seiner Dame. Daß sie stehenblieb, war ihm im ersten Augenblicke störend, bald aber war es ihm recht, weil ihm einleuchtete, daß ihr »Bild« erst dadurch zu voller Wirkung kam. Ermyntrud selbst war sich dessen auch voll bewußt und Frau genug, auf diese Vorzüge nicht ohne Not zu verzichten.

»Ich höre, daß Doktor Sponholz, den ich als Arzt sehr schätzen gelernt habe, seine Kranken, während er in Pfäffers ist, einem jungen Stellvertreter anvertraut hat. Junge Ärzte sind meist klüger als die alten, aber doch weniger Ärzte. Man bringt außerdem dem Alter mehr Vertrauen entgegen. Alte Doktoren sind wie Beichtiger, vor denen man sich gern offenbart. Freilich können sie den geistlichen Zuspruch nicht voll ersetzen, der in jeder ernstlichen Krankheit doch das eigentlich Heilsame bleibt. Ärzte selbst – ich hab einen Teil meiner Jugend in einem Diakonissenhause verbracht – Ärzte selbst, wenn sie ihren Beruf recht verstehn, urteilen in diesem Sinne. Sogenannte Medikamente sind und bleiben ein armer Notbehelf; alle wahre Hilfe fließt aus dem Wort. Aber freilich, das richtige Wort wird nicht überall gesprochen.«

Dubslav sah etwas unruhig um sich her. Es war ganz klar, daß die Prinzessin gekommen war, seine Seele zu retten. Aber woher kam ihr die Wissenschaft, daß seine Seele dessen bedürftig sei? Das verlohnte sich doch in Erfahrung zu bringen, und so bezwang er sich denn und sagte: »Gewiß, Durchlaucht, das Wort ist die Hauptsache. Das Wort ist das Wunder; es läßt uns lachen und weinen; es erhebt uns und demütigt uns, es macht uns krank und macht uns gesund. Ja, es gibt uns erst das wahre Leben hier und dort. Und dies letzte höchste Wort, das haben wir in der Bibel. Daher nehm ich's. Und wenn ich manches Wort nicht verstehe, wie wir die Sterne nicht verstehn, so haben wir dafür die Deuter.«

»Gewiß. Aber es gibt der Deuter so viele.«

»Ja,« lachte Dubslav, »und wer die Wahl hat, hat die Qual. Aber ich persönlich, ich habe keine Wahl. Denn genau so wie mit dem Körper, so steht es für mich auch mit der Seele. Man behilft sich mit dem, was man hat. Nehm ich da zunächst meinen armen, elenden Leib. Da sitzt es mir hier und steigt und drückt und quält mich und ängstigt mich, und wenn die Angst groß ist, dann nehm ich die grünen Tropfen. Und wenn es mich immer mehr quält, dann schick ich nach Gransee hinein, und dann kommt Sponholz. Das heißt, wenn er gerade da ist. Ja, dieser Sponholz ist auch ein Wissender und ein ›Deuter‹. Sehr wahrscheinlich, daß es klügere und bessere gibt; aber in Ermangelung dieser besseren muß er für mich ausreichen.«

Ermyntrud nickte freundlich und schien ihre Zustimmung ausdrücken zu wollen.

»Und,« fuhr Dubslav fort, »ich muß es wiederholen, genau so wie mit dem Leib, so auch mit der Seele. Wenn sich meine arme Seele ängstigt, dann nehm ich mir Trost und Hilfe, so gut ich sie gerade finden kann. Und dabei denk ich dann, der nächste Trost ist der beste. Den hat man am schnellsten, und wer schnell gibt, der gibt doppelt. Eigentlich muß man das lateinisch sagen. Ich rufe mir Sponholz, weil ich ihn, wenn benötigt, in ziemlicher Nähe habe; den andern aber, den Arzt für die Seele, den hab ich glücklicherweise noch näher und brauche nicht mal nach Gransee hinüberzuschicken. Alle Worte, die von Herzen kommen, sind gute Worte, und wenn sie mir helfen (und sie helfen mir), so frag ich nicht viel danach, ob es sogenannte ›richtige‹ Worte sind oder nicht.«

Ermyntrud richtete sich höher auf; ihr bis dahin verbindliches Lächeln war sichtlich in raschem Hinschwinden.

»Überdies,« so schloß Dubslav seine Bekenntnisrede, »was sind die richtigen Worte? Wo sind sie?«

»Sie haben sie, Herr von Stechlin, wenn Sie sie haben wollen. Und Sie haben sie nah, wenn auch nicht in Ihrer unmittelbarsten Nähe. Mich persönlich haben diese Worte während schwerer Tage gestützt und aufgerichtet. Ich weiß, er hat Feinde, voran im eignen Lager. Und diese Feinde sprechen von ›schönen Worten‹. Aber soll ich mich einem Heilswort verschließen, weil es sich in Schönheit kleidet? Soll ich eine mich segnende Hand zurückweisen, weil es eine weiche Hand ist? Sie haben Sponholz genannt. Unser Superintendent liegt wohl weit über diesen hinaus, und wenn es nicht eitel und vermessen wäre, würd ich eine gnädge Fügung darin zu sehn glauben, daß er an diese sterile Küste verschlagen werden mußte, gerade mir eine Hilfe zu sein. Aber was er an mir tat, kann er auch an andern tun. Er hat eben das, was zum Siege führt; wer die Seele hat, hat auch den Leib.«

 

Unter diesen Worten war Ermyntrud von ihrem Stuhl an Dubslav herangetreten und neigte sich über ihn, um ihm, halb wie segnend, die Stirn zu küssen. Das Elfenbeinkreuz berührte dabei seine Brust. Sie ließ es eine Weile da ruhen. Dann aber trat sie wieder zurück, und sich zweimal unter hoheitsvollem Gruß verneigend, verließ sie das Zimmer. Engelke, der draußen im Flur stand, eilte vorauf, ihr beim Einsteigen in den kleinen Katzlerschen Jagdwagen behilflich zu sein.

Als Dubslav wieder allein war, nahm er das Schüreisen, das grad vor ihm auf dem Kaminstein lag, und fuhr in die halb niedergebrannten Scheite. Die Flamme schlug auf und etliche Funken stoben. »Arme Durchlaucht. Es ist doch nicht gut, wenn Prinzessinnen in Oberförsterhäuser einziehn. Sie sind dann aus ihrem Fahrwasser heraus und greifen nach allem möglichen, um in der selbstgeschaffenen Alltäglichkeit nicht unterzugehn. Einen bessern Trostspender als Koseleger konnte sie freilich nicht finden; er gab ihr den Trost, dessen sie selber bedürftig ist. Im übrigen mag sie sich aufrichten lassen, von wem sie will. Der Alte auf Sanssouci, mit seinem nach der eignen Fasson selig werden hat's auch darin getroffen. Gewiß. Aber wenn ich euch eure Fasson lasse, so laßt mir auch die meine. Wollt nicht alles besser wissen, kommt mir nicht mit Anzettelungen, erst gegen meinen guten Krippenstapel, der kein Wässerchen trübt, und nun gar gegen meinen klugen Lorenzen, der euch alle in die Tasche steckt. An ihn persönlich wagen sie sich nicht ran, und da kommen sie nun zu mir und wollen mich umstimmen und denken, weil ich krank bin, muß ich auch schwach sein. Aber da kennen sie den alten Stechlin schlecht, und er wird nun wohl seinen märkischen Dickkopf aufsetzen. Auch sogar gegen Ippe-Büchsenstein und die Elfenbeinkugeln, die ja schon der reine Rosenkranz sind. Und es wird auch noch so was. Eigentlich bin ich übrigens selber schuld. Ich habe mir durch den prinzeßlichen Augenaufschlag und die vier Kindergräber im Garten zu sehr imponieren lassen. Aber es fällt doch allmählich wieder ab, und ein Glück, daß ich meinen Engelke habe.«

Vor Erregung war er aus seinem Rollstuhl aufgestanden und drückte auf den Klingelknopf. »Engelke, geh zu Lorenzen und sag ihm, ich ließ ihn bitten. Der soll dann aber heut auch der letzte sein … Denke dir, Engelke, sie wollen mich bekehren!«

»Aber, gnädger Herr, das is ja doch das Beste.«

»Gott, nu fängt der auch noch an.«

Achtunddreißigstes Kapitel

Lorenzen kam nicht; er war nach Rheinsberg, wo die Geistlichen aus dem östlichen Teil der Grafschaft eine Konferenz hatten. Aber statt Lorenzen kam Doktor Moscheles und sprach von allem möglichen, erst ganz kurz von Dubslavs Zustand, den er nicht gut und nicht schlecht fand, dann von Koseleger, von Katzler, auch von Sponholz (von dem ein Brief eingetroffen war), am ausführlichsten aber von Rechtsanwalt Katzenstein und von Torgelow. »Ja, dieser Torgelow,« sagte Moscheles. »Es war ein Mißgriff, ihn zu wählen. Und wenn es noch nötig gewesen wäre, wenn die Partei keinen Besseren gehabt hätte! Aber da haben sie denn doch noch ganz andre Leute.« Dubslav war davon wenig angenehm berührt, weil er aus der persönlichen Niedrigstellung Torgelows die Hochstellung der Torgelowschen Partei heraushörte.

Der Besuch hatte wohl eine halbe Stunde gedauert. Als Moscheles wieder fort war, sagte Dubslav: »Engelke, wenn er wiederkommt, so sag ihm, ich sei nicht da. Das wird er natürlich nicht glauben; weiß er doch am besten, daß ich an mein Zimmer und meinen Rollstuhl gebunden bin. Aber trotzdem; ich mag ihn nicht. Es war eine Dummheit von Sponholz, sich grade diesen auszusuchen, solchen Allerneuesten, der nach Sozialdemokratie schmeckt und dabei seinen Stock so sonderbar anfaßt, immer grad in der Mitte. Und dazu auch noch nen roten Schlips.«

»Es sind aber schwarze Käfer drin.«

»Ja, die sind drin, aber ganz kleine. Das machen sie so, damit es nicht jeder gleich merkt, wes Geistes Kind so einer ist und wohin er eigentlich gehört. Aber ich merk es doch, auch wenn er an Kaiser Wilhelms Geburtstag mit ner papiernen Kornblume kommt. Also du sagst ihm, ich sei nicht da.«

Engelke widersprach nicht, hatte jedoch so seine Gedanken dabei. »Der alte Doktor ist weg, und den neuen will er nicht. Un den aus Wutz will er auch nich, weil der so viel mit der Domina zusammenhockt. Un dabei kommt er doch immer mehr runter. Er denkt: ›Es is noch nich so schlimm.‹ Aber es is schlimm. Is genau so wie mit Bäcker Knaack. Un Kluckhuhn sagte mir schon vorige Woche: ›Engelke, glaube mir, es wird nichts; ich weiß Bescheid.‹«

Das war am Montag. Am Freitag fuhr Moscheles wieder vor und verfärbte sich, als Engelke sagte, der gnädge Herr sei nicht da.

»So, so. Nicht da.«

Das war doch etwas stark. Moscheles stieg also wieder auf seinen Wagen und bestärkte sich, während er nach Gransee zurückfuhr, in seinen durchaus ablehnenden Anschauungen über den derzeitigen Gesellschaftszustand. »Einer ist wie der andre. Was wir brauchen, is ein Generalkladderadatsch, Krach, tabula rasa.« Zugleich war er entschlossen, von einem erneuten Krankenbesuch abzustehen. »Der gnädge Herr auf, von und zu Stechlin kann mich ja rufen lassen, wenn er mich braucht. Hoffentlich unterläßt er's.«

Dieser Wunsch erfüllte sich denn auch. Dubslav ließ ihn nicht rufen, wiewohl guter Grund dazu gewesen wäre, denn die Beschwerden wuchsen plötzlich wieder, und wenn sie zeitweilig nachließen, waren die geschwollenen Füße sofort wieder da. Engelke sah das alles mit Sorge. Was blieb ihm noch vom Leben, wenn er seinen gnädgen Herrn nicht mehr hatte? Jeder im Haus mißbilligte des Alten Eigensinn, und Martin, als er eines Tages vom Stall her in die nebenan gelegene niedrige Stube trat, wo seine Frau Kartoffeln schälte, sagte zu dieser: »Ick weet nich, Mutter, worüm he den jungschen Dokter rutgrulen däd. De Jungsche is doch klöger, as de olle Sponholz is. Doa möt man blot de Globsower über Sponholzen hüren. ›Joa, oll Sponholz,‹ so seggen se, ›de is joa so wiet ganz good, awers he seggt man ümmer: Kinnings, krank is he egentlich nich, he brukt man blot ne Supp mit en beten wat in!‹ Joa, Sponholz, de kann so wat seggen, de hett wat da to. Awers de Globsower! Wo salln de ne Supp herkregen mit en beten wat in?«

So verging Tag um Tag, und Dubslav, dem herzlich schlecht war, sah nun selber, daß er sich in jedem Punkt übereilt hatte. Moscheles war doch immerhin ein richtiger Stellvertreter gewesen, und wenn er jetzt einen andern nahm, so traf das Sponholzen auch mit. Und das mocht er nicht. In dieser Notlage sann er hin und her, und eines Tages, als er mal wieder in rechter Bedrängnis und Atemnot war, rief er Engelke und sagte: »Engelke, mir is schlecht. Aber rede mir nicht von dem Doktor. Ich mag unrecht haben, aber ich will ihn nicht. Sage, wie steht das eigentlich mit der Buschen? Die soll ja doch letzten Herbst uns' Kossät Rohrbeckens Frau wieder auf die Beine gebracht haben.«

»Ja, die Buschen …«

»Na, was meinst du?«

»Ja, die Buschen, die weiß Bescheid. Versteht sich. Man bloß, daß sie ne richtige alte Hexe is, und um Walpurgis weiß keiner, wo sie is. Und die Mächens gehen Sonnabends auch immer hin, wenn's schummert, und Uncke hat auch schon welche notiert und beim Landrat Anzeige gemacht. Aber sie streiten alle Stein und Bein; und ein paar haben auch schon geschworen, sie wüßten von gar nichts.«

»Kann ich mir denken, und vielleicht war's auch nich so schlimm. Und dann, Engelke, wenn du meinst, daß sie so gut Bescheid weiß, da wär's am Ende das beste, du gingst mal hin oder schicktest wen. Denn deine alten Beine wollen auch nich mehr so recht, und außerdem is Schlackerwetter. Und wenn du mir auch noch krank wirst, so hab ich ja keine Katze mehr, die sich um mich kümmert. Woldemar is weit weg. Und wenn er auch in Berlin wäre, da hat er ja doch seinen Dienst und seine Schwadron und kann nich den ganzen Tag bei seinem alten Vater sitzen. Und außerdem, Krankenpflegen ist überhaupt was Schweres; darum haben die Katholiken auch nen eignen Segen dafür. Ja, die verstehn es. So was verstehn sie besser als wir.«

»Nei, gnädger Herr, besser doch wohl nich.«

»Na, lassen wir's. So was is immer schwer festzustellen, und weil heutzutage so vieles schwer festzustellen ist, haben sich ja die Menschen auch das angeschafft, was sie ne ›Enquete‹ nennen. Keiner kann sich freilich so recht was dabei denken. Ich gewiß nicht. Weißt du, was es ist?«

»Nei, gnädger Herr.«

»Siehst du! Du bist eben ein vernünftiger Mensch, das merkt man gleich, und hast auch ein Einsehn davon, daß es eigentlich am besten wäre, wenn ich zu der Buschen schicke. Was die Leute von ihr reden, geht mich nichts an. Und dann bin ich auch kein Mächen. Und Uncke wird mich ja wohl nicht aufschreiben.«

Engelke lächelte: »Na, gnädger Herr, dann werd ich man unten mit unse Mamsell Pritzbur sprechen; die kann die lütte Marie rausschicken. Marieken is letzten Michaelis erst eingesegnet, aber sie war auch schon da.«

Noch an demselben Nachmittag erschien die Buschen im Herrenhause. Sie hatte sich für den Besuch etwas zurecht gemacht und trug ihre besten Kleider, auch ein neues schwarzes Kopftuch. Aber man konnte nicht sagen, daß sie dadurch gewonnen hätte. Fast im Gegenteil. Wenn sie so mit nem Sack über die Schulter oder mit ner Kiepe voll Reisig aus dem Walde kam, sah man nichts als ein altes, armes Weib; jetzt aber, wo sie bei dem alten Herrn eintrat und nicht recht wußte, warum man sie gerufen, sah man ihr die Verschlagenheit an, und daß sie für all und jedes zu haben sei.

Sie blieb an der Tür stehen.

»Na, Buschen, kommt man ran oder stellt Euch da ans Fenster, daß ich Euch besser sehn kann. Es ist ja schon ganz schummrig.«

Sie nickte.

»Ja, mit mir is nich mehr viel los, Buschen. Und nu is auch noch Sponholz weg. Und den neuen Berlinschen, den mag ich nicht. Ihr sollt ja Kossät Rohrbeckens Frau damals wieder auf die Beine gebracht haben. Mit mir is es auch so was. Habt Ihr Courage, mich in die Kur zu nehmen? Ich zeig Euch nicht an. Wenn einem einer hilft, is das andre alles gleich. Also nichts davon. Und es soll Euer Schaden nicht sein.«

»Ick weet joa, jnädger Herr … Se wihren joa nich. Un denn de Lüd', de denken ümmer, ick kann hexen un all so wat. Ick kann awer joar nix un hebb man blot en beten Liebstöckel un Wacholder un Allermannsharnisch. Un alles blot, wie't sinn muß. Un de Gerichten können mi nix dohn.«

»Is mir lieb. Und geht mich übrigens auch nichts an. Mit so was komm ich Euch nich. Kann ›Gerichte‹ selber nich gut leiden. Und nu sagt mir, Buschen, wollt Ihr den Fuß sehn? Einer is genug. Der andre sieht ebenso aus. Oder doch beinah.«

»Nei, jnädger Herr. Loaten's man. Ick weet joa, wi dat is. Ihrst sitt et hier up de Bost, nu denn sackt et sich, un denn sitt et hier unnen. Un is all een un dat sülwige. Dat möt allens rut, un wenn et rut is, denn drückt et nich mihr, un denn künnen Se wedder gapsen.«

»Gut. Leuchtet mir ein. ›Et muß rut,‹ sagt Ihr. Und das sag ich auch. Aber womit wollt Ihr's ›rut‹-bringen? Das is die Sache. Welche Mittel, welche Wege?«

»Joa, de Mittel hebb ick. Un hebben wi ihrst de Mittel, denn finnen sich ook de Weg. Ick schick' hüt noch Agnessen mit twee Tüten; Agnes, dat is Karlinen ehr lütt Deern.«

»Ich weiß, ich weiß.«

»Un Agnes, de soll denn unnen in den Küch goahn, to Mamsell Pritzbur, un de Pritzburn de sall denn den Tee moaken für'n jnädgen Herrn. Morgens ut de witte Tüt, un abens ut de blue Tüt. Un ümmer man nen gestrichnen Eßlöffel vull un nich to veel Woater; awers bullern möt et. Un wenn de Tüten all sinn, denn is et rut. Dat Woater nimmt dat Woater weg.«

»Na gut, Buschen. Wir wollen das alles so machen. Und ich bin nicht bloß ein geduldiger Kranker, ich bin auch ein gehorsamer Kranker. Nun will ich aber bloß noch wissen, was Ihr mir da in Euern Tüten schicken wollt, in der weißen und in der blauen. Is doch kein Geheimnis?«

»Nei, jnädger Herr.«

»Na also.«

»In de witte Tüt is Bärlapp un in de blue Tür is, wat de Lüd hier Katzenpoot nennen.«

»Versteh, versteh,« lächelte Dubslav, und dann sprach er wie zu sich selbst: »Nu ja, nu ja, das kann schon helfen. Dazwischen liegt eigentlich die ganze Weltgeschichte. Mit Bärlapp zum Einstreuen fängt die süße Gewohnheit des Daseins an und mit Katzenpfötchen hört es auf. So verläuft es. Katzenpfötchen … die gelben Blumen, draus sie die letzten Kränze machen … Na, wir wollen sehn.«

 

An demselben Abend kam Agnes und brachte die beiden Tüten, und es geschah, was beinah über alles Erwarten hinaus lag: es wurde wirklich besser. Die Geschwulst schwand, und Dubslav atmete leichter. »Dat Woater nimmt dat Woater,« an diesem Hexenspruch – den er, wenn er mit Engelke plauderte, gern zitierte – richteten sich seine Hoffnungen und seine Lebensgeister wieder auf. Er war auch wieder für Bewegung und ließ, wenn es das Wetter irgendwie gestattete, seinen Rollstuhl nicht bloß auf die Veranda hinausschieben, sondern fuhr auch um das Rundell herum und sah dem kleinen Springbrunnen zu, der wieder sprang. Ja, es kam ihm vor, als ob er höher spränge. »Findest du nich auch, Engelke? Vor vier Wochen wollt er nich. Aber es geht jetzt wieder. Alles geht wieder, und es ist eigentlich dumm, ohne Hoffnung zu leben; wozu hat man sie denn?«

Engelke nickte bloß und legte die Zeitungen, die gekommen waren, auf einen neben dem Frühstückstisch stehenden Gartenstuhl, zuunterst die »Kreuzzeitung« als Fundament, auf diese dann die »Post« und zuletzt die Briefe. Die meisten waren offen, Anzeigen und Anpreisungen, nur einer war geschlossen, ja sogar gesiegelt. Poststempel: Berlin. »Gib mir mal das Papiermesser, daß ich ihn manierlich aufschneiden kann. Er sieht nach was aus, und die Handschrift is wie von ner Dame, bloß ein bißchen zu dicke Grundstriche.«

»Is am Ende von der Gräfin.«

»Engelke,« sagte Dubslav, »du wirst mir zu klug. Natürlich is er von der Gräfin. Hier is ja die Krone.«

Wirklich, es war ein Brief von Melusine, samt einer Einlage. Melusinens Zeilen aber lauteten am Schluß: »Und nun bitt ich, Ihnen einen Brief beilegen zu dürfen, den unsre liebe Baronin Berchtesgaden gestern aus Rom erhalten hat und zwar von Armgard, deren volles Glück ich aus diesem Brief und allerhand kleinen, ihrem Charakter eigentlich fernliegenden Übermütigkeiten erst so recht ersehn habe.«

Dubslav nickte. Dann nahm er die Einlage und las:

»Rom, im März.
Teuerste Baronin!

An wen könnt ich von hier aus lieber schreiben als an Sie? Vatikan und Lateran und Grabmal Pio Nonos, und wenn ich Glück habe, bin ich auch noch mit dabei, wenn am Gründonnerstag der große Segen gespendet wird. Man muß eben alles mitnehmen. Von Rom zu schwärmen ist geschmacklos und überflüssig dazu, weil man an die Schwärmerei seiner Vorgänger doch nie heranreicht. Aber von unserer Reise will ich Ihnen statt dessen erzählen. Wir nahmen den Weg über den Brenner und waren am selben Abend noch in Verona. ›Torre di Londra‹. Was mich andern Tags in der Capuletti- und Montecchi-Stadt am meisten interessierte, war ein großer Parkgarten, der ›Giardino Giusti‹, mit über zweihundert Zypressen, alle fünfhundert Jahre alt und viele beinah so hoch wie das Berliner Schloß. Ich ging mit Woldemar auf und ab, und dabei berechneten wir uns, ob wohl die schöne Julia hier auch schon auf und ab gegangen sei? Nur eins störte uns. Zu solcher Prachtavenue von Trauerbäumen gehört als Abschluß notwendig ein Mausoleum. Das fehlt aber. Im ›Giardino Guisti‹ trafen wir Hauptmann von Gaza vom ersten Garderegiment, der, von Neapel kommend, bereits alle Schönheit Italiens gesehen hatte. Wir fragten ihn, ob Verona, wie einem beständig versichert wird, wirklich die ›italienischste der italienischen Städte‹ sei? Hauptmann von Gaza lachte. ›Von Potsdam,‹ so meinte er, ›könne man vielleicht sagen, daß es die preußischste Stadt sei. Aber Verona die italienischste? Nie und nimmer.‹

Über das vielgefeierte Venedig an dieser Stelle nur das eine. Unser Hotel lag in Nähe einer mit Barock überladenen Kirche: San Mose. Daß es einen Sankt Moses gibt, war mir fremd und verwunderlich zugleich. Aber gleich danach dacht ich an unsere Gendarmentürme und war beruhigt. Moses geht doch immer noch vor Gendarm.

Florenz überspring ich und erzähle Ihnen dafür lieber vom Trasimenischen See, den wir auf unserer Eisenbahnfahrt passierten. Woldemar, ein ganz klein wenig ›Taschen-Moltke‹, mochte nicht darauf verzichten, den großen Hannibal auf Herz und Nieren zu prüfen, und so stiegen wir denn in Nähe des Sees aus, an einer kleinen Station, die, glaub ich, Borghetto-Tuoro heißt. Es war auch für einen Laien über Erwarten interessant, und selbst ich, die ich sonst gar reinen Sinn für derlei Dinge habe, verstand alles, und fand mich leicht in jeglichem zurecht. Ja, ich hatte das Gefühl, daß ich in diesem hochgelegenen Engpaß ebenfalls über die Römer gesiegt haben würde. Der See hat viele Zu- und Abflüsse. Einer dieser Abflüsse (mehr Kanal als Fluß) nennt sich der ›Emissarius‹, was mich sehr erheiterte. Noch interessanter aber erschien mir ein anderer Flußlauf, der, weil er am Schlachttage von Blut sich rötete, der ›Sanguinetto‹ heißt. Das Diminutiv steigert hier ganz entschieden die Wirkung. Der See ist übrigens sehr groß, zehn Meilen Umfang, und dabei flach, weshalb der erste Napoleon ihn auspumpen lassen wollte. Da hätte sich dann ein neues Herzogtum gründen lassen …«

»Schau, schau,« sagte der alte Dubslav, »wer der blassen Komtesse das zugetraut hätte! Ja, reisen und in den Krieg ziehen, da lernt man, da wird man anders.«

Und er legte den Brief beiseite.

Zugleich aber war ein stilles Behagen über ihn gekommen, und er überdachte, wie manche Freude das Leben doch immer noch habe. Vor ihm, in den Parkbäumen, schlugen die Vögel, und ein Buchfink kam bis auf den Tisch und sah ihn an, ganz ohne Scheu. Das tat ihm ungemein wohl. »Etwas ganz besonders Schönes im Leben ist doch das Vertrauen, und wenn's auch bloß ein Piepvogel is, der's einem entgegenbringt. Einige haben eine schwarze Milz und sagen: alles sei von Anfang an auf Mord und Totschlag gestellt. Ich kann es aber nicht finden.«

Engelke kam, um abzuräumen. »Is ein schöner Tag heut,« sagte Dubslav, »und die Krokusse kommen auch schon raus. Eigentlich hab ich nich geglaubt, daß ich so was Hübsches noch mal sehen würde. Und wenn ich dann denke, daß ich das alles der Buschen verdanke! Merkwürdige Welt! Sponholz hatte bloß immer seine grünen Tropfen, und Moscheles hatte nichts als seinen ewigen Torgelow, und nu kommt die Buschen, und mit einemmal is es besser. Ja, wirklich merkwürdig. Und nu krieg ich auch noch, wenn auch bloß leihweise, solchen hübschen Brief von einer hübschen jungen Frau. Noch dazu Schwiegertochter. Ja, Engelke, so geht's; nich zu glauben. Und da hättest du vorhin den Buchfinken sehen sollen, wie mich der ansah. Bloß als du kamst, da flog er weg; er muß sich vor dir gegrault haben.«

»Ach, gnädger Herr, vor mir grault sich keine Kreatur.«

»Will dir's glauben. Und du sollst sehn, heute haben wir nen guten Tag, und es kommt auch noch wer, an dem man sich freuen kann. Wie mir schlecht war, da kam Koseleger und die Prinzessin. Aber heute kam ein Buchfink. Und ich bin ganz sicher, der hat noch ein Gefolge.«

Dubslavs Ahnungen behielten recht; und als der Nachmittag da war, kam Lorenzen, der sich, seitdem der Alte seinen Katzenpfötchentee trank, nur selten und immer bloß flüchtig hatte sehen lassen. Aber das war rein zufällig und sollte nicht eine Mißbilligung darüber ausdrücken, daß sich der Alte bei der Buschen in die Kur gegeben.

»Nun endlich,« empfing ihn Dubslav, als Lorenzen eintrat. »Wo bleiben Sie? Da heißt es immer, wir Junker wären kleine Könige. Ja, wer's glaubt! Alle kleinen Könige haben ein Cortege, das sich in Huldigungen und Purzelbäumen überschlägt. Aber von solchem Gefolge habe ich noch nicht viel gesehen. Baruch ist freilich hier gewesen und dann Koseleger und dann die Prinzessin, aber der, der so halb ex officio kommen sollte, der kommt nicht und schickt höchstens mal die Kulicke oder die Elfriede mit ner Anfrage. Sterben und verderben kann man. Und das heißt dann Seelsorge.«