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Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil

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Kloster Chorin wie es ist

Von den alten Baulichkeiten, wenn dieselben auch Umwandlungen unterworfen wurden, ist noch vieles erhalten; lange einstöckige Fronten, die den Mönchen als Wohnung und Arbeitsstätten dienen mochten, dazu Abthaus, Refektorium, Küche, Speisesaal, ein Teil des Kreuzganges, vor allem die Kirche. Diese, wenn schon eine Ruine, richtiger eine ausgeleerte Stätte, gibt doch ein volles Bild von dem, was diese reiche Klosteranlage einst war. Schon die Maße, die Dimensionen deuten daraufhin; das Schiff ist vierundvierzig Fuß länger als die Berliner Nikolaikirche und bei verhältnismäßiger Breite um siebzehn Fuß höher. Im Mittelschiff stehen auf jeder Seite elf viereckige Pfeiler (einige zur Linken sind neuerdings verschwunden); der zwölfte Pfeiler, rechts wie links, steckt in der Mauer. Die Konsolen oder die Kapitälornamente sind verschieden gestaltet und stellen abwechselnd Akanthus-, Klee- und Eichenblätter dar. Das Blattwerk zeigt hier und da noch Spuren von grüner Farbe, während der Grund rot und gelb gemalt war. Freskoartige Malereien finden sich noch in letzten Überresten im Kreuzgang; an einer stehengebliebenen Kappe zeigt sich Zweig- und Blattwerk, das ein Wallnußgesträuch darzustellen scheint. Das hohe Gewölbe, welches von den Pfeilern des Mittelschiffes getragen wurde, ist seit einem Jahrhundert eingestürzt. An Stelle desselben wurde im Jahre 1772 ein Dachstuhl aufgerichtet, der seitdem das neue Dach trägt. Dies neue Dach ist niedriger, als das alte war, was sich an den Giebelwänden, besonders an dem Frontispiz im Westen noch deutlich markiert. Von den Seitenschiffen ist nur noch eins vorhanden, das nördliche; über dem niedrigen Dach desselben ragen die elf Spitzbogenfenster des Hauptschiffes auf, deren obere Steinverzierungen noch beinahe unversehrt erhalten sind.

Leider geht dieser baulich schönen Ruine, wie gesagt, das eigentlich Malerische ab. Ruinen, wenn sie nicht bloß, als nähme man ein Inventarium auf, nach Pfeiler- und Fensterzahl beschrieben werden sollen, müssen zugleich ein Landschafts- oder auch ein Genrebild sein. In einem oder im andern, am besten in der Zusammenwirkung beider wurzelt ihre Poesie. Chorin aber hat wenig oder nichts von dem allen; es gibt sich fast ausschließlich als Architekturbild. Alles fehlt, selbst das eigentlich Ruinenhafte der Erscheinung, so daß, von gewisser Entfernung her gesehen, das Ganze nicht anders wirkt wie jede andere gotische Kirche, die sich auf irgend einem Marktplatz irgend einer mittelalterlichen Stadt erhebt. Nur fehlt leider der Marktplatz und die Stadt. Und treten wir nun in die öden und doch wiederum nicht malerisch zerfallenen Innenräume ein, so fehlt uns eines mehr als alles andere. Wer immer auch unser Führer sein mag, und wäre er der beste, wir vermissen die stille Führerschaft von Sage und Geschichte. Alles läßt uns im Stich, und wir schreiten auf dem harten Schuttboden hin, wie auf einer Tenne, über die der Wind fegte. Alles leer.

Kloster Chorin ist keine jener lieblichen Ruinen, darin sich’s träumt wie auf einem Frühlingskirchhof, wenn die Gräber in Blumen stehen; es gestattet kein Verweilen in ihm und es wirkt am besten, wenn es wie ein Schattenbild flüchtig an uns vorüberzieht. Wer hier in der Dämmerstunde des Weges kommt und plötzlich zwischen den Pappeln hindurch diesen still einsamen Prachtbau halb märchenartig, halb gespenstisch auftauchen sieht, dem ist das Beste zuteil geworden, daß diese Trümmer, die kaum Trümmer sind, ihm bieten können. Die Poesie dieser Stätte ist dann wie ein Traum, wie ein romantisches Bild an ihm vorübergezogen, und die sang- und klanglose Öde des Innern hat nicht Zeit gehabt, den Zauber wieder zu zerstören, den die flüchtige Begegnung schuf.

Spandau und Umgebung

St. Nikolai zu Spandau

 
Wie Spukgestalten die Nebel sich drehn,
’s ist schaurig über das Moor zu gehn,
Die Ranke häkelt am Strauche.
 
Annette von Droste-Hülshoff

Ein klarer Dezembertag; die Erde gefroren, die Dächer bereift. Aber schon mischt sich ein leises Grau in die heitere Himmelsbläue, so weht leise herüber von Westen her, und jenes Frösteln läuft über uns hin, das uns ankündigt: Schnee in der Luft.

Schnee in der Luft; vielleicht morgen schon, daß er in Flocken niederfällt! So seien denn die Stunden genutzt, die noch einen freien Blick in die Landschaft gestatten.

Das Spreetal hinunter, an dem Charlottenburger Schloß vorbei (dessen vergoldete Kuppel-Figuren nicht recht wissen, ob sie in dem spärlichen Tageslicht noch blitzen sollen oder nicht), über Brücken hin, zwischen Schwanen-Rudeln hindurch, geht der Zug, bis die Havelfeste vor uns aufsteigt, mit Brücken und Gräben, mit Torwarten und Mauern, und über dem allen: Sankt Nikolai, die erinnerungsreiche Kirche dieser Stadt.

Der Zug hält. Ohne Aufenthalt, mit den Minuten geizend, steuern wir durch ein Gewirr immer enger werdender Gassen auf den alten gotischen Bau zu, der sich, auf engem und kahlem Platze, über den Dächer-Kleinkram hinweg, in die stahlfarbene Luft erhebt. Kein Bau ersten Ranges, aber doch an dieser Stelle.

Das Innere, ein seltner Fall bei renovierten Kirchen, bietet mehr als das Äußere verspricht. Emporen, wie Brückenbogen geschwungen, ziehen sich zwischen den grauweißen Pfeilern hin und wirken hier, in dem sonst schmucklosen Gange, fast wie ein Ornament des Mittelschiffes.

Die Kirche selbst, bei aller Schönheit, ist kahl; im Chor aber drängen sich die Erinnerungsstücke, die der Kirche noch aus alter Zeit her geblieben sind. Hier, an der Rundung des Gemäuers hin, hängen die Wappenschilde der Quaste, Ribbeck und Nostitz, hier richtet sich das prächtige Denkmal der Gebrüder Röbel auf, hier begegnen wir dem berühmten Steinaltar, den Rochus von Lynar der Kirche stiftete, und hier endlich, in Front eben dieses Altars, erhebt sich das dreifußartige, schönste Kunstform zeigende Taufbecken, das zugleich die Stelle angibt, wo unter dem Estrich die Überreste Adam Schwarzenbergs ruhen. Zur Rechten die eigene Wappentafel den Grafen: der Rabe mit dem Türkenkopf.

Alle diese Dinge indes sind es nicht, die uns heute nach Sankt Nikolai in Spandau geführt haben, unser Besuch gilt vielmehr dem alten Turme, zu dessen Höhe ein Dutzend Treppenstiegen hinanführen. Viele dieser Stiegen liegen im Dunkel, andere empfangen einen Schimmer durch eingeschnittene Öffnungen, alle aber sind bedrohlich durch ihre Steile und Gradlinigkeit und machen einem die Weisheit der alten Baumeister wieder gegenwärtig, die ihre Treppen spiralförmig durch die dicke Wandung der Türme zogen und dadurch die Gefahr beseitigten, fünfzig Fuß und mehr erbarmungslos hinab zu stürzen.

Die Treppe frei und gradlinig. Und doch ist es ein Ersteigen mit Hindernissen: die Schlüssel versagen den Dienst in den rostigen Schlössern und man merkt, daß die Höhe von Sankt Nikolai zu Spandau keine täglichen Gäste hat, wie St. Stephan in Wien, oder St. Paul in London. Endlich sind wir an Uhr und Glockenwerken vorbei, haben das Schlüsselbund, im Kampf mit Großschlössern und Vorlegeschlössern, siegreich durchprobiert und steigen nun, durch eine letzte Klappenöffnung, in die luftige Laterne hinein, die den steinernen Turmbau krönt. Keine Fenster und Blenden sind zu öffnen, frei bläst der Wind durch das gebrechliche Holzwerk. Das ist die Stelle, die wir suchten. Ein Lug-ins-Land.

Zu Füßen uns, in scharfer Zeichnung, als läge eine Karte vor uns ausgebreitet, die Zickzackwälle der Festung; ostwärts im grauen Dämmer die Türme von Berlin; nördlich, südlich die bucht- und seenreiche Havel, inselbetupfelt, mit Flößen und Kähnen überdeckt; nach Westen hin aber ein breites, kaum hier und da von einer Hügelwelle unterbrochenes Flachland, das Havelland.

Wer hier an einem Juni-Tage stände, der würde hinausblicken in üppig grüne Wiesen, durchwirkt von Raps- und Weizenfeldern, gesprenkelt mit Büschen und roten Dächern, ein Bild moderner Kultur; an diesem frostigen Dezembertage aber liegt das schöne Havelland brachfeldartig vor uns ausgebreitet, eine grau-braune, heideartige Fläche, durch welche sich in breiten blanken Spiegeln, wie Seeflächen, die Grundwasser und übergetretenen Gräben dieser Niederungen ziehen. Wir haben diesen Tag gewählt, um den flußumspannten Streifen Landes, der uns auf diesen und den folgenden Seiten beschäftigen soll, in der Gestalt zu sehen, in der er sich in alten, fast ein Jahrtausend zurückliegenden Zeiten darstellte. Ein grauer Himmel über grauem Land, nur ein Krähenvolk aufsteigend aus dem Weidenwege, der sich an den Wasserlachen entlang zieht, so war das Land von Anfang an: öde, still, Wasser, Weide, Wald.

Freilich, auch dieses Dezembertages winterliche Hand hat das Leben nicht völlig abstreifen können, das hier langsam, aber siegreich nach Herrschaft gerungen hat. Dort zwischen Wasser und Weiden hin läuft ein Damm, im ersten Augenblicke nur wie eine braune Linie von unserm Turm aus bemerkbar; aber jetzt gewinnt die Linie mehr und mehr Gestalt; denn zischend, brausend, dampfend, dazwischen einen Funkenregen ausstreuend, rasseln jetzt von zwei Seiten her die langen Wagenreihen zweier Züge heran und fliegen – an derselben Stelle vielleicht, wo einst Jakzo und Albrecht der Bär sich trafen – an einander vorüber. Das Ganze wie ein Blitz! —

Der Tag neigt sich; der Sonnenball lugt nur noch blutrot aus dem Grau des Horizonts hervor. Ein roter Schein läuft über die grauen Wasserflächen hin. Nun ist die Sonne unter, die Nebel steigen auf und wälzen sich von Westen her auf die Stadt und unsere Turmstelle zu. Noch sehen wir, wie aus dem nächsten Röhricht ein Volk Enten aufsteigt; aber ehe es in die nächste Lache niederfällt, ist das schwarze Geflatter in dem allgemeinen Grau verschwunden.

Das Havelland träumt wieder von alter Zeit.

 

Das Havelländische Luch

 
Es schien das Abendrot
Auf diese sumpfgewordne Urwald-Stätte,
Wo ungestört das Leben mit dem Tod
Jahrtausendlang gekämpfet um die Wette.
 
Lenau

Das Havelland, oder mit andern Worten jene nach drei Seiten hin von der Havel,14 nach der vierten aber vom Rhin-Flüßchen eingeschlossene Havelinsel, bestand in alter Zeit aus großen, nur hier und dort von Sand oder Lehm-Plateaus unterbrochenen Sumpfstrecken, die sich, trotz der mannigfachen Veränderungen und Umbildungen, bis diesen Tag unter dem Sondernamen „das Havelländische Luch“ oder auch bloß „das Luch“ erhalten haben. Und sie haben in der Tat Anspruch auf eine unterscheidende Bezeichnung, da sie in Form und Art von den fruchtbaren Flußniederungen anderer Gegenden vielfach abweichen und z. B. statt des Weizens und der Gerste nur ein mittelmäßiges Heu produzieren. Im großen und ganzen darf man vom „Luche“ sagen, daß es weniger seine Produkte, als vielmehr sich selbst zu Markte bringt – den Torf. Denn das Luch besteht großenteils aus Torf. Seitdem es aufgehört hat, ein bloßer Sumpf zu sein, ist es ein großes Gras- oder Torfland geworden. Linum, der Hauptsitz der Torfgräbereien, ist das Newcastle unserer Residenz.

Wie das Havelland den Mittelpunkt Alt-Brandenburgs bildet, so bildet das Luch wiederum den Mittelpunkt des Havellandes. Das letztere (d. h. also der West- und Osthavelländische Kreis) ist ungefähr fünfzig Quadrat-Meilen groß; in diesen fünfzig Quadrat-Meilen stecken die zweiundzwanzig Quadrat-Meilen des Luchs wie ein Kern in der Schale. Die Form dieses Kernes ist aber nicht rund, auch nicht oval oder elliptisch, sondern pilzförmig. Ich werde gleich näher beschreiben, wie diese etwas ungewöhnliche Bezeichnung zu verstehen ist. Jeder meiner Leser kennt jene Pilzarten mit kurzem dicken Stengel, die ein breites schirmförmiges Dach und eine große kugelförmige Wurzel haben. Man nehme den Längsdurchschnitt eines solchen Pilzes und klebe ihn auf ein kleines Quartblatt Papier, so wird man ein ziemlich deutliches Bild gewinnen, welche Form „das Luch“ innerhalb des Havellandes einnimmt. Gleich der erste Blick wird dem Beschauer zeigen, daß das Luch aus zwei Hälften, aus einer schirmförmig-nördlichen und einer kugelförmig-südlichen besteht, die beide da, wo der kurze Strunk des Pilzes läuft, nah zusammentreffen. Die schirmförmige Hälfte heißt das Rhin-Luch, die kugelförmige das Havelländische Luch. Das Verbindungsstück zwischen beiden hat keinen besonderen Namen. Dies verhältnismäßig schmale, dem Strunk des Pilzes entsprechende Verbindungsstück ist dadurch entstanden, daß sich von rechts und links her Sandplateaus in den Luchgrund hineingeschoben haben. Diese Sandplateaus führen wohlgekannte Namen; das östliche ist das zu besonderem historischen Ansehen gelangte „Ländchen Bellin“, das westliche heißt „Ländchen Friesack“. Diese beiden „Ländchen“ sind alte Sitze der Kultur, und ihre Hauptstädte, Fehrbellin und Friesack, wurden schon genannt, als beide Luche, das Rhin-Luch wie das Havelländische, noch einem See glichen, der in der Sommerzeit zu einem ungesunden, unsicheren Sumpfland zusammentrocknete.

Klöden hat den früheren Zustand der Luchgegenden sehr schön und mit poetischer Anschaulichkeit geschildert. Er schreibt: „Es war eine wilde Urgegend, wie die Hand der Natur sie gebildet hatte, ein Seitenstück zu den Urwäldern Südamerikas, nur kleiner und nicht Wald, sondern Luch. Es zeigte damals in großer Ausdehnung, was kleinere Bruchflächen der Mark noch jetzt zeigen. Weit und breit bedeckte ein Rasen aus zusammengefilzter Wurzeldecke von bräunlich-grüner Farbe die wasserreiche Ebene, deren kurze Grashalme besonders den Riedgräsern angehörten. In jedem Frühjahr quoll der Boden durch das hervordringende Grundwasser auf, die Rasendecke hob sich in die Höhe, bildete eine schwimmende, elastische Fläche, welche bei jedem Schritt unter den Füßen einsank, während sich ringsum ein flach trichterförmig ansteigender Abhang bildete. Andere Stellen, die sich nicht in die Höhe heben konnten, sogenannte Lanken, wurden überschwemmt, und so glich das Luch in jedem Frühjahr einem weiten See, über welchen jene Rasenstellen wie grüne, schwimmende Inseln hervorragten, während an anderen Stellen Weiden, Erlen und Birkengebüsch sich im Wasser spiegelten, oder da, wo sie aus einzelnen Sandhügeln, den sogenannten Horsten, gewachsen waren, kleine Wald-Eilande darstellten. Solcher Horsten gab es mehrere, von denen einige mitten im Havelländischen Luche lagen. Die umliegenden Ortschaften versuchten es, dem Luche dadurch einigen Nutzen abzugewinnen, daß sie ihre Kühe darin weiden ließen und das freilich schlechte und saure Gras, so gut es ging, mähten. Beides war nur mit großer Mühseligkeit zu erreichen. Das Vieh mußte häufig durch die Lanken schwimmen, um Grasstellen zu finden, oder es sank in die weiche Decke tief ein, zertrat dieselbe, daß bei jedem Fußtritt der braune Moderschlamm hervorquoll, ja daß es sich oft nur mit großer Mühe wieder herausarbeitete. Oft blieb eine Kuh im Moraste stecken und ward nach unsäglicher Mühe kalt, kraftlos und krank wieder herausgebracht, oder wenn dies zu schwer hielt, an dem Orte, wo sie versunken war, geschlachtet und zerstückt herausgetragen. Nur im hohen Sommer und bei trockener Witterung war der größte Teil des Luchs zu passieren; dann mähte man das Gras, allein nur an wenigen Stellen konnte es mittels Wagen herausgebracht werden; an den meisten mußte man es bis in den Winter in Haufen stehen lassen, um bei gefrornem Boden es einzufahren. Unter allen Umständen war das Gras schlecht und eine kümmerliche Nahrung. So wenig nutzbar dieses Bruch für den Menschen und sein Hausvieh war, so vortrefflich war es für das Wild geeignet. In früheren Zeiten hausten hier selbst Tiere, welche jetzt in der Mark nicht mehr vorkommen, wie Luchse, Bären und Wölfe. Besonders aber waren es die Sumpfvögel, Kraniche und Störche, welche hochbeinig in diesem Paradiese der Frösche einherstolzierten, und mit ihnen bewohnte die Wasser ein unendliches Heer von Enten aller Art, nebst einer Unzahl anderer Wasservögel. Kibitze, Rohrsänger, Birkhähne, alles war da und in den Flüssen fanden sich Schildkröten, wie allerhand Schlangen in dem mitten im Luch gelegenen Zotzenwald.“

Im Rhin-Luch änderten sich die Dinge schon zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts; Gräben wurden gezogen, das Wasser floß ab und die Herstellung eines Dammes quer durch das Luch hindurch wurde möglich. Wo sonst die Fehrbelliner Fähre, über Sumpf und See hin, auf- und abgefahren war, erstreckte sich jetzt der Fehrbelliner Damm. Das Jahr genau zu bestimmen, wann dieser Damm gebaut wurde, ist nicht mehr möglich; doch existiert schon aus dem Jahre 1582 eine Verordnung, in der vonseiten des Kurfürsten Johann Georg „dem Capitul zu Cölln an der Spree, den von Bredows zu Kremmen und Friesack, den Bellins zu Bellin und allen Zietens zu Dechtow und Brunne kund und zu wissen gethan wird, daß der Bellinsche Fährdamm sehr böse sei und zu mehrerer Beständigkeit mit Steinen belegt werden solle“.

Das große Havelländische Luch blieb in seinem Urzustand bis 1718, wo unter Friedrich Wilhelm I. die Entwässerung begann. Vorstellungen vonseiten der zunächst Beteiligten, die ihren eigenen Vorteil, wie so oft, nicht einzusehen vermochten, wurden ignoriert oder abgewiesen und im Sommer desselben Jahres begannen die Arbeiten. Im Mai 1719 waren schon über tausend Arbeiter beschäftigt und der König betrieb die Kanalisierung des Luchs mit solchem Eifer, daß ihm selbst seine vielgeliebten Soldaten nicht zu gut dünkten, um mit Hand anzulegen. Zweihundert Grenadiere, unter Leitung von zwanzig Unteroffizieren, waren hier in der glücklichen Lage, ihren Sold durch Tagelohn erhöhen zu können. Im Jahre 1720 war die Hauptarbeit bereits getan, aber noch fünf Jahre lang wurde an der völligen Trockenlegung des Luchs gearbeitet. Nebengräben wurden gezogen, Brücken und Stau-Schleusen angelegt, Dämme gebaut und an allen trocken gelegten Stellen das Holz- und Strauchwerk ausgerodet. Die Arbeiten waren zum großen Teil unter Anleitung holländischer Werkführer und nach holländischen Plänen vor sich gegangen. Dies mochte den Wunsch in dem König anregen, mit Hülfe der einmal vorhandenen Arbeitskräfte, aus dem ehemaligen Sumpf- und Seelande überhaupt eine reiche, fruchtbare Kolonie zu machen. Der Plan wurde ausgeführt und das „Amt Königshorst“ entstand an dem Nordrande des kreisförmigen Luchs ungefähr da, wo das vom Rhin-Luch abzweigende Verbindungsstück in das Havelländische Luch einmündet. Die Fruchtbarkeit freilich, die eben dem gewonnenen Grund und Boden von Natur aus abging, hat kein Königlicher Erlaß ihm geben können; aber in allem andern hat der „Soldatenkönig“ seinen Willen glücklich durchgeführt und Königshorst mit seinen platten, unabsehbaren Grasflächen, seinen Gräben, Deichen und Alleen, erinnert durchaus an die holländischen Landschaften des Rhein-Deltas. Hier wie dort ist die grüne Ebene der Wiesen und Weiden belebt von Viehherden, die hier gemischter Rasse sind: Schweizer, Holländer, Oldenburger und Holsteiner.

Die Gewinnung guter Milch und Butter war von Anfang an ein Hauptzweck gewesen, und es wurde demgemäß eine förmliche Lehr-Anstalt für die Kunst des Butterns und Käsemachens eingerichtet, wohin die Beamten und kurmärkischen Ämter eine Anzahl von Bauertöchtern, für deren gute Führung sie verantwortlich waren, als Mägde zu schicken hatten. Diese Mägde wurden während eines zweijährigen Dienstes in allem Nötigen unterwiesen. Dann mußten sie ohne Hülfe der Holländerin eine Probe guter Butter bereiten, die der König selbst zu prüfen nicht verschmähte. Fiel die Prüfung zugunsten der betreffenden Magd aus, so verlieh ihr der König einen Brautschatz im Betrage von hundert Talern. Diese Einrichtung hat bis zum Tode des Königs bestanden und zu ihrer Zeit reiche Früchte getragen, die noch heutzutage nachwirkend sind. Auch Friedrich II. widmete dem Amte Königshorst eine besondere persönliche Aufmerksamkeit. Anfänglich ließ er den größten Teil der dortigen Ländereien zu Fettweiden benutzen, um die Einfuhr von ausländischem Schlachtvieh für den Berliner Markt entbehrlich zu machen; in späteren Regierungsjahren aber kehrte er ganz zu dem Benutzungsplan des Gründers von Königshorst zurück und stellte das von seinem Vater begründete Lehrinstitut als „eine – wie der König in einem Erlaß vom 13. Mai 1780 sich ausdrückte – ordentliche Akademie des Buttermachens“ wieder her. Bis diesen Tag gilt die Königshorster Butter (Horstbutter) in Berlin als die beste. Eins fehlt ihr vielleicht – das Aroma. Das Luchgras, was immer auch die Kultur zu seiner Verbesserung getan haben mag, kann nicht wetteifern mit dem süßen, saftigen, kräuterreichen Gras der Nordsee-Marschen. Noch weniger ist es geglückt, das Sandland der alten Horsten (Sandstellen im Sumpf) zu einem fruchtbaren Boden umzugestalten; nur mühsam wird das Getreide gewonnen, das zum Unterhalt des Viehstandes nötig ist. Von der Bedeutung jener Entwässerungsarbeiten aber, die durch König Friedrich Wilhelm I. eingeleitet wurden, wird man sich am ehesten eine Vorstellung machen können, wenn man erfährt, daß die Gesamtlänge der im Luche befindlichen Gräben und Kanäle über einundsiebzig Meilen beträgt.

14Zu den vielen Eigentümlichkeiten der Havel gehört auch die, daß sie, von Norden kommend, auf dem letzten Drittel ihres Laufes wieder nach Norden fließt. Sie beschreibt also einen Halbbogen und umfängt mit ihrem gekrümmten Arm ein fünfzig Quadratmeilen großes Stück Land, das „Havelland“.