Signaturen der Erinnerung

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1.3.4 Audio-visuelle Bestände

Audio-visuelle Medien zeichnen sich durch die Besonderheit aus,

„[…] natürliche Abläufe, physikalische Prozesse, in Form einer Abspielung zu überliefern und zu distribuieren. AV-Medien können nicht nur gedanklich-verbale Informationen übermitteln (z. B. als gesprochene Sprache), sondern auch – und das ist ihre einzigartige Fähigkeit – nonverbale Informationen auf rein apparativem Weg festhalten und wiedergeben“ (Hubert, 1993, 65).

So vielfältig die Qualitäten filmischer Materialien sind, so unterschiedlich sind auch die Bestände der damit befassten Institutionen: Film in all seinen Erscheinungsformen, also ediertes und nicht-ediertes Material, publizierte und unpublizierte Quellen, Plakate und Programme. Die Aufnahme von Fachzeitschriften und einschlägigen Publikationen ist nicht nur ein Indiz für eine Änderung im Sammlungsverhalten, die etwa auch die Integration von Nachlässen vorsieht, sondern auch vitaler Bestandteil einer weitergehenden Erschließungspolitik bereits vorhandener Bestände. Die heterogene, nicht immer problemlose Beschaffenheit des Materials macht die Entwicklung eigener Standards für diese fach- und materialgerechte Erschließung notwendig, die je nach Organisationsform der Institution, Fertigkeiten der Mitarbeiter und Beschaffenheit des Materials unterschiedlich ausformuliert sein können.

Es gibt aber durchaus allgemeingültige Bereiche, die für alle Filmarchive von Bedeutung sind: So ist, ganz im Gegensatz zum Medium Buch, für die audio-visuellen Medien praktisch keine Redundanz im Material selbst feststellbar. D. h. jede noch so geringe Beschädigung führt fast automatisch auch zu einem Verlust von Informationen oder auch zur Beeinträchtigung der Integrität des gesamten Trägers. Neben der Gefahr der Obsoleszenz, also dem Auslaufen der Produktion von Abspielgeräten, auf die man zur Nutzung von Materialien angewiesen ist, liegt ein nicht zu unterschätzender Problembereich im Material selbst begründet. Neben der sensiblen Zusammensetzung von Filmmaterial generell (Bonwitt, 1912, 371ff.) weisen Speichermedien im Allgemeinen eine zeitlich gesehen immer kürzere stabile Integrität auf und sind durch die industrielle Entwicklung in diesem Bereich der Technik eher auf eine Steigerung der Datendichte und weniger auf Datensicherheit im Sinne einer permanenten Erhaltung angelegt. Es sind also zweifellos die Bestände, die die wesentlichen Grundlinien der Arbeit vorgeben und auf die sich die notwendige Eigenständigkeit der Filmarchive gründet:

„Zusammenfassend gesagt gilt also, dass die Berechtigung von eigenständigen AV-Archiven darin besteht, dass diese spezielle Funktionen erfüllen, die ihnen keine andere Informationseinrichtung abnehmen kann. Diese speziellen Funktionen wiederum haben sich aus der strukturellen Eigenart der audio-visuellen Medien ergeben. Sie haben, nochmals gesagt, die Fähigkeit des Abspiegelns, die unter anderem die Möglichkeit zum aktiven Dokumentieren an die Hand gibt, die Besonderheit des Trägers bzw. der Art, die Information auf einen Träger zu bringen, d. h. die enorme Verletzlichkeit des Mediums, und schließlich das Nebeneinander von publiziertem und nicht-publiziertem Material, bzw. von Werk und dokumentarischer Aufzeichnung“ (Hubert, 1993, 69).

1.3.5 Zur Politik des Archivs

Die Aufgabenbereiche der Filmarchive lassen sich unter folgenden Unterpunkten zusammenfassen: Sammeln, Restaurierung und sogenannte Preservation, Erschließung, Bereitstellung und Aufarbeitung. Diese Schritte, die hier im logischen Ablauf beschrieben werden, stellen sehr deutlich den Lebenskreis eines Filmes im Archiv und die erstrebenswerte Idealsituation für nationale Filmarchive dar: „[D]ie Wahrnehmung der archivalischen Aufgaben eines nationalen Filmarchivs gilt der Erfassung, Sicherung, Erhaltung und Erschließung der nationalen Filmproduktion“ (Kahlenberg, 1978, 146).

Das Auffinden von Material, auch unter oben beschriebenen Schwierigkeiten, kommt unter den unterschiedlichsten Umständen zustande. Die ersten großen Sammlungen waren von den Institutionen aus Privatbeständen übernommen worden. Trotz der regen Sammeltätigkeit während dieses Zeitraums ist die Überlieferungssituation für die frühe Phase des Films nicht besonders gut. Umso wichtiger ist, gemäß der Ausrichtung der jeweiligen Institution bzw. Abteilung, eine aktive Akquisitionspolitik, in der auch die neueren Formate – wie etwa Video oder DVD, die in den letzten Jahren besonders bei kleineren Produktionen zum Originalmaterial avancierten – berücksichtigt werden. Für diese permanente Bestandserweiterung gilt die Prämisse einer sachlichen und behutsamen Selektion des angebotenen Materials ebenso wie die Gleichwertigkeit von Spiel- und Dokumentarfilmen und der Austausch von Belegkopien im Sinne eines nationalen Vollständigkeitsauftrages, für dessen Erfüllung eine restriktive Pflichtexemplarabgabe durchaus förderlich wäre. Noch unentschieden ist hingegen die Frage, ob eine Form der „Zwangsarchivierung“ (Kahlenberg, 1978, 149) nationaler Produktionen langfristige Vorteile bringt oder nur unnötig Ressourcen bindet. Ein Feld, das in diesem Zusammenhang wohl auch immer wieder neu zu diskutieren sein wird, ist die Archivierung von TV-Produktionen, die ja aufgrund ihrer Beschaffenheit zumindest zu großen Teilen archivwürdig wären. Mit Fragen wie dieser berührt man den sensiblen Bereich, den man gemeinhin wohl aller „Verpflichtung zum Archiv“ (Derrida, 1997, 135) als die Politik der Archive bezeichnen müsste:

„Jeder Archivar gehorcht einer bestimmten ‚Politik der Archive‘, denn die Entscheidung darüber, ob ein Dokument als archivwürdig anzusehen ist, folgt der Anwendung eines bestimmten Selektionsprinzips. Dieses Selektionsprinzip ist sowohl inklusiv als auch exklusiv. Es entscheidet nicht nur über die Aufnahme ins Archiv, sondern auch über den nachträglichen Ausschluß aus dem Archiv, die sogenannte ‚Kassation‘“ (Wirth, 2005, 17).

1.3.6 Preservation und Präsentation

Die Restauration, die ja eigentlich eine individuelle Lösung zur sachgerechten Behebung einzelner Schäden meint, wird im Filmbereich oft mit Preservation umschrieben, womit ein wesentlich umfassenderes Programm zur Sicherung des Bestandes gemeint ist: „[P]reservation incorporates all the measures which in the long run guarantee a maximum of safeguarding, protection of and access to film“ (Klaue, 1990, 88). Der Bereich Preservation wird von vielen Filmarchiven als einer der wichtigsten Arbeitsbereiche erachtet, was sich auch durch das Filmmaterial und dessen Beschaffenheit erklären lässt, das gleichermaßen eine schwierige Herausforderung und ein schützenswertes Gut darstellt. Film ist ein überaus heikles, sogar gefährliches Material, wie in der unlängst erschienenen Aufsatzsammlung zur Geschichte des Nitrozellulosefilms, die nicht zu Unrecht den Titel This Film is Dangerous (Smither, 2002) trägt, nachgewiesen wird. Die Erklärung dieser Gefahr liegt aber weniger im Inhalt der jeweiligen Filme als in der physischchemischen Beschaffenheit des Materials. Film wurde bis Mitte der Fünfzigerjahre auf sogenanntem Nitrozellulosefilm gedreht – einem haltbaren, doch überaus problembelasteten Material. Alterungs- und lagerungsbedingte Schrumpfungsprozesse beeinträchtigen den Filmstreifen ebenso wie ein endogener Zerfallsprozess, also ein chemischer Vorgang, der durch die Zusammensetzung des Materials bedingt ist. Das wohl bekannteste Problem dieses Materials ist die extreme Brennbarkeit, die bei bereits vom Zerfall bedrohten Nitrofilm auch zu Fällen von Selbstentzündung bei Temperaturen von wenig über 40 Grad Celsius führen kann.

Schon kurz nach dem ersten großen, opferreichen Kinobrand 1897 in Paris wurde der Ruf nach einem alternativen Filmmaterial laut. Bereits 1902 fanden erste Versuche in dieser Richtung statt, und laut einer entsprechenden Notiz der New York Evening Times vom 15. Juni 1909 wäre der sicherere Azetatzellulosefilm erhältlich gewesen. Belege für die Verwendung dieses neuen, weniger brennbaren Filmmaterials gibt es aber erst für das Jahr 1912 durch den Kinopionier George Eastman und das Jahr 1914 im Rahmen einzelner Pathé-Wochenschauen (Fordyce, 1976). In der Zwischenkriegszeit war der neue Azetatzellulosefilm durchaus schon regelmäßig in Verwendung, der Versuch, dieses Material als generellen Ersatz für Nitrofilm durchzusetzen, wurde aber durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verhindert. Erst nach Ende des Krieges konnten gesetzliche Verordnungen bezüglich des Azetatfilms und der verbesserten Variante des Triazetatfilms – beide werden gemeinhin als Sicherheitsfilm bezeichnet – durchgesetzt werden. In der Bundesrepublik Deutschland wurde eine entsprechende Verordnung 1957 erlassen, in Österreich 1966.

Prinzipiell hat ein Filmarchiv bei der Restauration eines Films mit zwei Schadensarten zu tun: Beschädigungen des Materials, die bei der Produktion passiert sein können oder durch den Gebrauch des Films zustandegekommen sind, sowie Schäden, die durch unsachgemäße Lagerung verursacht wurden. Preservation geht somit Hand in Hand mit der Konservierung, also der Aufbewahrung des Materials in Hinblick auf Bewahrung und die regelmäßige Überprüfung bereits aufgenommener Filmbestände. Je umfangreicher der Bestand, desto umfassender und auch zeitintensiver gestalten sich die Arbeiten an bereits angesammelten Materialien (Regel, 1998). Zur sachgerechten Lagerung gehören wiederum geeignete Räumlichkeiten, die besondere Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnisse garantieren müssen. Die ideale Filmdeponierung muss zwei klimatischen Lagerungsprinzipien gehorchen: kühl, weil damit die im Material ablaufenden chemischen Prozesse verlangsamt werden, und trocken, um Feuchtigkeit zu vermeiden, die die Gelatineschicht des Materials angreift oder in Verbindung mit Wärme filmschädliche Bakterienkulturen hervorbringt. Das Archivieren restaurierter Bestände ist aber nicht mit der artgerechten Verwahrung einer Kopie gegeben. Vielmehr ist die Gestaltung und Lagerung eines Sicherungspakets vonnöten, um einen Film tatsächlich als „gesichert und archiviert“ bezeichnen zu können: Ausgehend von einem Originalpositiv, soweit man unter quellenkritischen Aspekten von einem Original sprechen kann (Usai, 1994, 84f.), wird ein sogenanntes Dupnegativ erstellt, das wie alle weiteren erstellten Duplierungen aus Sicherheitsfilm besteht. Dieses Negativ stellt einen sichernden Zwischenschritt zwischen weiteren Kopien und dem Original dar und ist aufgrund seiner besonderen Beschaffenheit für eine technische Weiterverarbeitung bestens geeignet. Von diesem Dupnegativ werden zwei Arbeitspositive gezogen. Eine Kopie steht dann zur Verwendung im Archiv zur Verfügung, die zweite Kopie dient als Ersatz – denn Benutzung heißt eben immer auch Abnutzung des Materials.

 

Mit der intellektuellen Erschließung der Bestände wächst nicht nur die Übersicht über das jeweils im Zentrum der Sammlung stehende Filmmaterial, denn mit reiner Katalogisierungsarbeit ist es in diesem Bereich schon lange nicht mehr getan. Besonders in Hinblick auf die bereits angesprochene Akquisitionspolitik ist auf lange Sicht die intensive Auseinandersetzung mit historischen Materialien und Dokumenten ebenso notwendig wie nationale und internationale Projekte zur (Tiefen-)Erschließung neuer, bisher unberücksichtigter Quellen. Für eine solche aufwendige Auswertung von Quellen ist die aktive Einbindung einer spezifischen Fachbibliothek, einer wissenschaftlichen Abteilung und einer leistungsfähigen Filmdokumentation unentbehrlich. Letztere

„[…] zielt auf die systematische Erfassung der Informationen über die Filmproduktion ohne Unterschied auf einzelne Gattungen oder Provenienzen. Abendfüllende Spielfilme sind ebenso zu beschreiben wie die jüngste Ausgabe einer der gerade noch überlebenden Wochenschauen, ein Dokumentarfilm amtlicher Provenienz wie der Werbefilm eines Industriekonzerns“ (Kahlenberg, 1978, 147).

In Bereitstellung und Aufarbeitung zeigt sich der Unterschied zu den klassischen Kinematheken ganz deutlich, da „Filmarchive neben ihrer unmittelbaren archivischen Aufgaben durchaus auch in der Lage sind, die eigenen Filmbestände zu präsentieren, […] Kinematheken bleiben stets von den Arbeitsergebnissen leistungsfähiger Filmarchive in aller Welt abhängig“ (Kahlenberg, 1978, 146). Kinematheken sind aus diesem Grund auch eher versucht, über Quantität im Angebot zu punkten, thematische Akzentuierungen bilden hier eher die Ausnahme denn die Regel. Mit dem Zeigen von archivspezifischem Filmmaterial sind mehrere relevante Aspekte in der Programmierung zu berücksichtigen (Schulte Strathaus, 2004, Sætervadet 2006, 57ff.), die ja auch auf die Gestaltung des jeweiligen Programms selbst einwirken (Roumen, 1996, 156): Mit der Projektion auf die Leinwand wird nicht nur das Medium lebendig gehalten, mit sinnvollen Rahmenveranstaltungen, wie Einleitungen und kommentierte Filmschauen, ergibt sich darüber hinaus auch die Möglichkeiten der (Neu-)Belebung von Filmgeschichte und dem Hinführen einer größeren Öffentlichkeit zu einem anspruchsvollen Diskurs. Schlussendlich kann auf diesem Weg auch zu einer klaren Profilierung des Films gegenüber anderen Kunstformen beigetragen werden, ohne medienüberschreitende Phänomene von vornherein zu disqualifizieren. Die erwähnten kommentierten Filmschauen erweisen sich besonders dann als notwendig, wenn im Rahmen der Programmarbeit auch solche Filme und Materialien gezeigt werden, die für Kinematheken als unprogrammierbar gelten müssen: etwa das Zeigen von Filmfragmenten, restaurierten Kostbarkeiten aus den Archivbeständen oder sensiblen Materialien. Gerade solche Reihen laden ja durchaus zu historischen Inszenierungsformen ein, also etwa die Begleitung von Stummfilmen mit Live-Musik.

Das Feld der Publikationen ist ein weiterer Bereich, der die Tätigkeit der Filmarchive für eine größere Öffentlichkeit sichtbar werden lässt. In den Sechzigerjahren war eine erste Phase verstärkter Archivveröffentlichungen spürbar geworden: Damals waren vor allem nationalspezifische Filmografien, Kataloge, Nachschlagewerke und Findbücher veröffentlicht worden. Ab den Neunzigerjahren ist eine verstärkte Publikationstätigkeit über bestandsspezifische Werke hinaus spürbar geworden, die zumeist in klarer Verbindung mit archiveigenen Forschungstätigkeiten zu sehen ist. Die neuen Grundlinien für spezifische Publikationen, die neben der Zugänglichmachung von Sammlungen und der Verbreitung grundlegender Kenntnisse zu Ästhetik und Geschichte des Films vor allem weiterführende Studien biografischer oder theoretischer Art mit einschließen, können mithelfen, ein umfassenderes und detaillierteres Verständnis der Kinogeschichte und ein vollständigeres Bild einer (nationalen) Filmhistorie zu erlangen. Publikationen stellen im neuen Selbstverständnis der Filmarchive einen wesentlichen Pfeiler dar, der auch einen nicht zu unterschätzenden Renommeegewinn für die jeweilige Institution darstellt. So ist es durchaus sinnvoll, Mitarbeiter zur Arbeit an weiterführenden Publikationen – etwa in Fachzeitschriften – zu ermutigen und sie in dieser Hinsicht besonders zu unterstützen. Die Vermittlerfunktion des filmwissenschaftlichen Archivars zwischen Material und Benutzer gewinnt durch den Aspekt der Publikation eine zusätzliche Facette: Durch eigene Rechercheprozesse können Benutzerwünsche noch besser nachvollzogen und effektiver unterstützt werden. Diese offenere Form der Unterstützung von Forschungsvorhaben geht konform mit der Ausbildung von Kompetenzzentren und wissenschaftlichen Abteilungen, die abseits von klassischen Dokumentationsaufgaben auch die Gelegenheit zur eigenständigen Forschungstätigkeit und Partizipation an Lehrveranstaltungen der benachbarten Universitäten haben sollten: Nur durch gemeinsames Gestalten eines integrativen Zugangs, in dem medienpädagogische und fachspezifische Zugänge sinnvoll verbunden werden können, kann auch eine fruchtbare Auseinandersetzung mit den audio-visuellen Medien stattfinden (Krucsay, 1998).

1.3.7 Der Brighton-Effekt

Das Konzept des Zugänglichmachens im Rahmen der Möglichkeiten, das aktive Arbeiten mit dem Konzept des lebendigen Archivs ist leider alles andere als selbstverständlich. Eine Besserung in dieser Hinsicht brachte eine 1978 von der FIAF organisierte Filmkonferenz in Brighton, die den Spielfilm zwischen 1900 und 1906 zum Thema hatte und die inzwischen als wesentliche Zäsur in der Filmwissenschaft gilt. Die klare Eingrenzung des Konferenzthemas war durch die positiv zu verstehende Archivsituation bedingt worden. Der Filmwissenschaftler David Francis formulierte diesen Umstand folgendermaßen:

“Originally we intended to consider all films produced between 1900 and 1906 and discuss the interrelationship between fact and fiction. However, when we discovered how many fiction films had survived in members’ collections and how many would be available for screening in Brighton, we decided to limit our researches to this aspect of the period” (Gunning, 2003, 19).

Die Hinwendung zur Erforschung des frühen Films ermöglichte einer jüngeren Generation von Filmwissenschaftlern – unter ihnen auch heute etablierten Granden der Filmgeschichte wie Tom Gunning, der bereits zitierte David Francis oder André Gaudreault – konstruktive Kritik an der klassischen Filmgeschichte, wie sie etwa von Georges Sadoul oder Friedrich von Zglinicki vorgelegt worden war, zu formulieren. Dabei kam es zu noch heute, auch für die Archivarbeit, wesentlichen Neuüberlegungen bezüglich Periodisierungsversuchen in der Filmgeschichtsschreibung und dem Beginn einer noch immer andauernden, fruchtbaren Diskussion über sozial- und kulturgeschichtliche Rahmenbedingungen der Produktion und Rezeption von Filmen. Geradezu revolutionär war auch der Versuch, die Entwicklung der Kinematografie und der Institutionalisierung des Kinos in Sinnzusammenhang mit einer Ideengeschichte der Moderne zu bringen:

“Increasing urbanism, mass audiences and mass production, the rise of commercial popular entertainment, the proliferation of visual culture, new claims of gender and racial equality, new technologies of communication and transportation, new models of perception and consciousness, increased secularisation and influence of science – all this broad cultural issues could be focused trough the lens of early cinema” (Gunning, 2003, 25).

Mit der Umsetzung dieser Ideen fand auch wieder ein stärkerer Rückgriff auf die tatsächlichen Quellenmaterialien statt, der eine wesentliche Änderung im Forschungsansatz und im alltäglichen Rechercheverhalten der Filmwissenschaftler mit sich brachte: Die Einbindung der Filmarchive war notwendig und auch erwünscht. Dass zu diesem Zeitpunkt auch eine neue Generation innerhalb der Archive ihren Dienst aufnahm, die ebenso wie die Wissenschaftler an einer Sensibilisierung und Begeisterung des Publikums interessiert war und immer noch ist, war dieser Entwicklung überaus zuträglich:

“[O]ne of the key purposes of the Brighton Symposium, and certainly one of its valuable achievements, lay in making new contacts between film scholars. Bluntly stated, the Symposium wanted to make sure that the films lying in their vaults got dusted off and shown to people outside the archive” (Gunning, 2003, 23).

Archivbetrieb bedeutet darüber hinaus immer auch soziale Praxis: Die Filmarchive stehen im Dienste der Erinnerung und werden somit auch in Zukunft daran arbeiten müssen, das Erinnerbare zu erweitern, ohne die notwendige und reizvolle Auseinandersetzung mit dem (Spannungs-)Verhältnis von Bewahren und Zugänglichmachen zu scheuen. Mit der Erhaltung und Verlebendigung des Archivs stellt man sich nicht nur alten und neuen Herausforderungen, die Filmarchive werden mit ihrer umfassenden Verantwortung auch als „Wiege einer neuen Filmkultur“ (Kahlenberg, 1978, 143) denkbar – fällt ihnen doch die anspruchsvolle Aufgabe zu,

„Hüter des Materials für zukünftige Generationen zu sein und doch alles zu tun, um den gegenwärtigen Nutzern die bestmögliche Dienstleistung zu bieten. Denn ohne die Auswertung der Dokumente und Artefakte durch heutige Wissenschaftler gehen zeitgebundene Erkenntnisse verloren, versickert das Interesse für gewisse Bereiche, können die Nachfolgenden bedeutende Fragestellungen nicht mehr erkennen“ (Lenk, 1998, 165).