Die Schweiz im Kalten Krieg 1945-1990

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Der Antikommunismus als Glaubensbekenntnis


Die beiden prägenden Strukturelemente der mental-politischen Verfassung der Schweiz während des Vierteljahrhunderts nach dem Zweiten Weltkrieg waren ein latenter bis militanter Antikommunismus und die Geistige Landesverteidigung, die um 180 Grad umgepolt und als ideologisches Bollwerk gegen die Infiltration durch kommunistisches Gedankengut eingesetzt wurde. Geistige Landesverteidigung und Antikommunismus durchzogen alle Verästelungen von Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien, beeinflussten auch zwischenmenschliche Beziehungen, säten Misstrauen, förderten ein Klima der Bespitzelung, deren Resultate mit dem Auffliegen des Fichenskandals 1990 sichtbar wurden.

In der Schweiz gab es gewissermassen einen Antikommunismus auf Vorrat. Behörden und antikommunistische Organisationen riefen permanent zur Wachsamkeit auf, als ob die Schweiz unmittelbar vor einem kommunistischen Umsturz stünde. Demgegenüber vertraute das Ausland den geistigen Widerstandskräften der Schweizer Bevölkerung wesentlich mehr, als es die eigene Regierung, die bürgerlichen Meinungsführer oder die Presse taten. So stellten die Amerikaner überhaupt keine Gefahr fest, dass die Schweizer Köpfe durch die kommunistische Ideologie indoktriniert werden könnten, und sie schätzten das politische und gesellschaftliche System als äusserst stabil ein.

Die Kommunisten zu Staatsfeinden erklärt

Der Bundesrat sah im Kommunismus die Hauptgefahr für die Schweiz und glaubte, die Bevölkerung insbesondere vor den geistig-mentalen Einflüssen schützen zu müssen. Als Warnung und Verteufelung zugleich ist die Antwort des Bundesrates vom 21. Mai 1946 auf eine Motion des freisinnigen Nationalrats Ernst Börlin zu verstehen. Auf 61 Seiten schildert der Bundesrat die Geschichte der Kommunistischen Partei der Schweiz, die Aktivitäten der Kommunisten und anderer Linksparteien und erklärt sie zu Staatsfeinden.1

«Die kommunistische Bewegung in der Schweiz erfordert die Aufmerksamkeit der Behörden wegen ihrer revolutionären Tendenzen und ihren ausländischen Beziehungen. […] Aus gelegentlichen Äusserungen schweizerischer Linksextremisten geht jedenfalls hervor, dass sie unter günstigen Umständen auch vor einem gewaltsamen Umsturz unserer verfassungsmässigen Ordnung nicht zurückschrecken.» Es sei nicht wesentlich, ob eine Organisation kommunistisch sei, sondern es komme darauf an, ob sie staatsgefährliche Ziele verfolge. Zu diesen Zielen gehöre auch die hemmungslose Hetze der Linksextremisten gegen den Bundesrat. Die Angriffe der PdA auf das Ansehen der Landesregierung seien ein Mittel der Staatszersetzung und hätten mit einer erlaubten Kritik an der Amtsführung nichts zu tun. Es gehe ihr einzig darum, das Vertrauen des Volkes in die Landesregierung zu untergraben. In der Debatte zu diesem Bericht des Bundesrates verlangte der Ständerat insbesondere die Verschärfung der Staatsschutzgesetze, weil «die ständigen Wühlereien der Kommunisten auf eine Untergrabung der Autorität der Behörden, ja wenn die Gelegenheit günstig wäre, auf gewaltsamen Umsturz der verfassungsmässigen Ordnung hin tendieren».2 Das war ein Freipass, um alles, was vage «linksextremistisch» war, unter den Generalverdacht einer staatsgefährdenden Tätigkeit zu stellen. Dieses Muster blieb während Jahrzehnten massgebend.

Das Geschmeidige am Antikommunismus ist, dass er so unbestimmt ist. Er ist eine Ideologie, die eine Vielzahl von Werten, Glaubensinhalten und Mythen in sich trägt. Er umfasst ein ganzes Spektrum von Komponenten: ökonomische und politische Realitäten, philosophische Motive oder religiöse Einstellungen, die oft unvereinbar sind. Der Antikommunismus wirkt viel stärker als der real existierende Kommunismus, weil er mit Verdächtigungen operiert. Die Kommunisten werden systematisch verdächtigt, ein Trojanisches Pferd zur Unterwanderung der demokratischen Institutionen zu sein. Die Stärke des Antikommunismus in der Schweiz lag darin, dass er die bestehende Ordnung stützen wollte, weshalb er mit Behörden und Institutionen des Staates zusammenarbeitete. In der ablehnenden Haltung des Schweizers, der Schweizerin gegenüber der Sowjetunion herrschte fast völlige Übereinstimmung, sie war gewissermassen selbsterklärend. Durch den äusseren und inneren Feind trug der Kommunismus zur Definition bei, was das Schweizer Volk sein soll, und wurde so Teil einer nationalen Kultur.3 Als sich die Schweiz ihrer Identität nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr so sicher war, erfüllte der Antikommunismus die Funktion eines nationalen Kitts.

Seit der Kriegswende 1942/43, nach der für die Sowjetunion siegreichen Schlacht um Stalingrad, lockerten die Behörden die strafrechtliche Verfolgung kommunistischer Aktivitäten und hoben das Verbot der kommunistischen Partei auf. Dass es 1944 zur Gründung der PdA als Nachfolgepartei der KPS kam, war vor allem dem Charisma und den Ressourcen des ersten Sekretärs Karl Hofmaier zu verdanken. Er hatte während des Kriegs die illegale KPS geleitet und galt als Statthalter Moskaus.4 Dank seinen Beziehungen zum Zürcher Geschäftsmann Hans Schauwecker erhielt er eine Million Franken für den Aufbau der Partei beziehungsweise zum Kauf einer Druckerei und zur Gründung der Zeitung Vorwärts. Schauwecker, Gründer der Firma Unipektin, war durch das Geliermittel Pektin reich geworden. Für 20 Millionen Franken soll er Pektin an Nazi-Deutschland geliefert haben, wie die Schweizerische Verrechnungsstelle nach dem Krieg ermittelt hatte.5 Der Geldregen für die neu gegründete PdA blieb nicht unentdeckt. Die beiden SP-Grössen Hans Oprecht und Walther Bringolf wurmte diese ihrer Ansicht nach fragwürdige Geldspritze für die politische Konkurrenz, und sie setzten Bundesrat von Steiger in Kenntnis, dass die PdA durch die Familie Schauwecker finanziert werde. Als von Steiger untätig blieb und die PdA nach dem Krieg Wahlerfolge feierte, ging die SPS an die Öffentlichkeit und teilte mit, die PdA sei durch einen Lieferanten der Nazis finanziert worden. Der Skandal war gewaltig. Die PdA-Presse ging bankrott, und Hofmaier aus der Partei ausgeschlossen.6

Die bürgerlichen Parteien bezeichneten die PdA seit ihrer Gründung als «Partei des Auslands», die SPS witterte die «Hand Moskaus», was aber nie belegt werden konnte. Wie sich später zeigte, interessierte sich Moskau relativ wenig für die Schweizer Genossen. Die PdA hatte die Illusion, dass sie die grosse Linksformation werden und der verkrusteten SPS den Rang ablaufen könnte. Die ersten Wahlen nach dem Krieg waren denn auch verheissungsvoll: Auf nationaler Ebene gewann die PdA 5,1 Prozent der Stimmen, in Genf 36 Prozent, in der Waadt 23 Prozent, in Zürich 6 Prozent. Wurde sie bis 1948 noch als linkssozialistische Volkspartei wahrgenommen, so änderte sich das mit der zwar formal legalen Machtübernahme, aber dem faktischen Putsch in der Tschechoslowakei durch die Kommunisten. Mit der bedingungslosen Loyalität gegenüber Stalin und seiner Politik verlor die PdA massiv an Glaubwürdigkeit. Sie erreichte fortan nie mehr die früheren Stimmenzahlen.

Auch beim Marshallplan, in dem sie ein «amerikanisches Diktat» sah, nahm die PdA konsequent die Linie der Sowjetunion ein und lehnte ihn im Gegensatz zur SPS ab. Fortan galt sie als unschweizerische Partei und Fremdkörper in der Politlandschaft. Walther Bringolf hatte am Parteitag der SPS im August 1947 zwar noch die bürgerlichen Attacken auf die PdA kritisiert: «Hinter dem Antibolschewismus verbirgt sich immer wieder die grosskapitalistische Reaktion und Kriegsgefahr.»7 Bringolf zielte auf den seit dem Landesstreik 1918 existierenden bürgerlichen Antibolschewismus, als die unberechtigte Gefahr einer kommunistischen Revolution hochgespielt wurde. Eines der Resultate dieser Revolutionsangst war die Ausweisung der Mitglieder der sowjetischen Gesandtschaft, denen vorgeworfen wurde, sie seien in den Landesstreik involviert. Darauf folgte der Abbruch der diplomatischen Beziehungen für fast 30 Jahre – er dauerte damit länger als in fast jedem anderen Staat.

Die Ereignisse in der Tschechoslowakei 1948 führten zu einem politischen Grabenkrieg zwischen der PdA und der SPS und zu rhetorischen Manövern seitens der SPS, die diejenigen der Bürgerlichen an Schärfe teilweise sogar übertrafen. Es war der Anfang eines Prozesses, der die SPS endgültig in die nationale Gemeinschaft integrierte, unter Preisgabe einer antikapitalistischen Alternative und der sozialistischen Utopie. Der gerechte Anteil der Arbeiterschaft am wachsenden Sozialprodukt sollte durch den Ausbau der Sozialwerke erreicht werden.

Der «typische» Kommunist

Der Prager Umsturz zeigte vielen die Fratze des Kommunismus und hatte etwas Manichäisches. So hörte man an einer Kundgebung von 1500 Zürcher Studenten die Worte: «Was heute vor sich geht, ist nicht mehr die Auseinandersetzung zwischen zwei Systemen, sondern es ist ein Kampf des Bösen gegen das Gute.»8 Für etliche Katholisch-Konservative schien der «Antichrist» gekommen. Nach «Prag» entstanden denn auch neue antikommunistische Abwehrgruppen, so der Freie Korrespondenz-Dienst von Peter Sager, der 1950 zwar einging, aber später ins Schweizerische Ostinstitut (SOI) integriert wurde. Eine weitere Gründung war die Aktion Freier Staatsbürger (AFS), die im Sinn des amerikanischen Senators und Kommunistenjägers Joseph McCarthy tätig wurde.9

Dass die PdA-Führung an öffentlichen Versammlungen Glückwunschtelegramme in triumphalem Ton verabschiedete und ganz im Sinn Stalins die Sowjetunion «ohne Zögern und ohne Vorbehalte verteidigte», führte bei der Basler SP um Friedrich Schneider – im Gegensatz zur moderateren SPS – zu schrillen Tönen. In ganzseitigen Inseraten im Baslerstab wurden die PdA-Mitglieder als «Nazis, Fröntler, Quislinge und Todfeinde der Demokratie» beschimpft. Und weiter: «Früher waren es die Nazis, heute die Kommunisten! […] Der Vernichtung der demokratischen Tschechoslowakei jubelt die PdA Beifall zu! Sie wird unbedenklich auch die schweizerische Demokratie den Russen ausliefern, wenn der Augenblick günstig ist.»10 Schneider stellte die PdA als Bedrohung für das Land dar. Ihre Mitglieder seien «feindliche Kolonnen im eigenen Land, der Befehlsgewalt Stalins und seiner Statthalter unterstellt». Diese heftigen verbalen Angriffe gerade in Basel hatten einen Grund: Die Konkurrenz war gross. 1944 hatte die PdA im Parlament 33 Sitze, die SP 32. Und die PdA hatte gutes Personal. «In Basel war es normal, dass ein Chefbeamter auf dem Arbeitsamt oder im Gesundheitswesen Kommunist war. Die PdA war gut integriert in Basel», sagt Helmut Hubacher, der spätere SPS-Präsident, der damals in Basel vor allem als Gewerkschafter aktiv war.11

 

Zur Konkurrenzsituation in Basel kamen personell-psychologische Momente hinzu, war doch Schneider in den 1920er-Jahren der gewerkschaftspolitische Anführer der KPS gewesen, von der er sich in einem hässlichen Disput getrennt hatte. Der Redaktor der Basler AZ, Max Wullschleger, hatte erst 1939 mit der KPS gebrochen. Beide hatten mit den ehemaligen Parteigenossen eine Rechnung offen. Wullschleger sprach schon nach 1948 von der PdA als einer Fünften Kolonne, einem Begriff aus dem Wörterbuch der Faschisten, und setzte ihre Haltung gleich mit der der Frontisten. Er rief schon damals dazu auf, dass die Gremien der Arbeiterorganisationen und des Staates von PdA-Leuten gesäubert werden müsste und nahm vorweg, was 1956 geschah.12

Die Sozialdemokraten hatten nicht vergessen, dass sie Stalin schon in den 1920er-Jahren als «Zwillingsbrüder des Faschismus», als «Sozialfaschisten» bezeichnet hatte. Ihre Abgrenzung von der PdA nach dem Krieg, ihr Versuch, diese Partei zu marginalisieren, und ihr eifriges Bekenntnis zum bürgerlichen Staat, zum Ausbau des Staatsschutzes und zur Aufrüstung der Armee waren nur folgerichtig. Die Mitglieder der SPS, die selbst im Ruf der unzuverlässigen Patrioten gestanden hatten, wollten nicht mehr als unsichere Kantonisten gelten. Die Partei musste ständig ihre Staatstreue unter Beweis stellen, weil ihr immer wieder unterstellt wurde, sie würde dem Kommunismus Schrittmacherdienste leisten.13 Die SPS übernahm bei ihren rabiaten rhetorischen Ausfällen das Vokabular der Antikommunisten vor dem Krieg und reicherte es mit Elementen der Geistigen Landesverteidigung an. Die übereifrige Abgrenzung der SPS gegenüber der PdA war eine Loyalitätsbekundung gegenüber den bürgerlichen Parteien und dem Staat. Die Abgrenzung von der PdA erhöhte zudem die Aussicht auf Machtbeteiligung und staatliche Ämter.

Die PdA war zum Paria geworden, ausgeschlossen vom nationalen Konsens, mit dem Stigma «Landesverräter» behaftet. Machte sie politische Vorschläge, so wurden sie von vornherein diskreditiert. Bundesrat Markus Feldmann charakterisierte in der Frühjahrssession des Parlaments 1949 den «typischen» Kommunisten folgendermassen und hatte damit wohl die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung hinter sich:

– «Die Einheit der schweizerischen Nation wahrt er so, dass er sie unterhöhlt und unterwühlt.

– Die Kraft der schweizerischen Nation wahrt er so, dass er alles versucht, sie von innen heraus zu zersetzen.

– Die Ehre der schweizerischen Nation wahrt er so, dass er tagtäglich die von der schweizerischen Nation verfassungsmässig bestellte Staatsführung vor dem Ausland denunziert und heruntermacht.

– Die Unabhängigkeit des Landes wahrt er so, dass er mit seiner eigenen Partei die totale Abhängigkeit vom Ausland vordemonstriert.

– Und die Rechte und die Freiheit des Schweizer Volkes und seiner Bürger wahrt er so, dass er ein System vertritt, das dem Schweizervolk auch alles an Rechten und Freiheiten nehmen würde.»14

Dass die PdA von der Sowjetunion gesteuert war, war eine feste Grösse. In der Parlamentsdebatte von März 1949 sagte Bundesrat Markus Feldmann: «Die kommunistische Partei der Arbeit benimmt sich in Tat und Wahrheit erwiesenermassen als eine politische Agentur einer fremden Macht, die auf Schweizer Boden geflissentlich und konsequent die Geschäfte des Auslandes besorgt. […] Der Feind ist erkannt und durchschaut, man muss ihn aber auch entsprechend behandeln.» Wie die Mitglieder der PdA behandelt wurden, schilderte in derselben Debatte PdA-Nationalrat und -Präsident Léon Nicole, der 1952 aus der PdA ausgeschlossen wurde:15 «Alle Telefongespräche, die wir mit Mitstreitern führen, eventuell auch die mit unseren Verteidigern, mit irgendjemandem, mit irgendeinem Richter, werden seit acht Jahren genau kontrolliert, festgehalten und aufgenommen. Gleich ist es mit unserer Korrespondenz. Nichts, was uns betrifft, entgeht der Wachsamkeit des Bundesrates. Nichts entgeht der Wachsamkeit der Polizisten, die sich uns an den Fersen heften. Wohin wir auch gehen, wir können sicher sein, dass immer mindestens einer in der Gegend ist.»16

Es brauchte in der aufgeheizten Atmosphäre Anfang der 1950er-Jahre wenig, um als Kommunist oder Kommunistin gebrandmarkt zu werden, mit allen Folgen wie Verlust des Arbeitsplatzes und sozialer oder beruflicher Ächtung auf Jahre oder Jahrzehnte hinaus. Es genügte dabei, dass sich unbewiesene Verdächtigungen und Gerüchte verbreiteten, auf den Rechtsstaat war dabei kein Verlass. Ein exemplarischer Fall ist derjenige von Helene Fausch-Bossert. Sie wurde 1907 als Tochter eines Kleinbauern und Posamenters geboren, musste früh in Fabriken und Haushalten arbeiten. Während des Zweiten Weltkriegs war sie als Soldatenmutter tätig und absolvierte 600 Diensttage als Angehörige des Frauenhilfsdiensts (FHD). Helene Fausch war sprachlich talentiert und tat sich als Verfasserin von Mundartgedichten und -erzählungen hervor.17 Sie war ab Anfang der 1950er-Jahre Mitarbeiterin beim Radiostudio Basel. Helene Fausch war eher unpolitisch, aber kulturell interessiert, insbesondere auch an russischer Kultur. Mit der Basler Frauenvereinigung für Frieden und Fortschritt (BFFF) unternahm sie auf Einladung einer sowjetischen Frauenorganisation 1953 eine bezahlte dreiwöchige Reise durch die Sowjetunion.18 Schon während der Reise ging in ihrem Dorf ein Kesseltreiben los, weil ein Lokalblatt über ihre Reise berichtet hatte. Ihr und den anderen Frauen wurde vorgeworfen, sie seien Kommunistinnen. Helene Fausch-Bossert bestritt dies: «Aber ich hatte einfach nichts zu tun mit der Politik, ich hatte damit einfach nichts zu tun.»19 Sie war nicht Mitglied der PdA, hingegen im Basler Vorstand der Gesellschaft Schweiz-Sowjetunion (GSS). Das reichte.

Fauschs Ehemann war Sozialdemokrat, und es war ausgerechnet ein Sozialdemokrat, der die Sache ins Rollen gebracht hatte. Nach der Reise gingen seine Genossen auch zu ihm auf Distanz. Helene Fausch-Bossert erhielt anonyme Briefe, wurde in der Lokalpresse angegriffen. Sie konnte sich nicht verteidigen, ihre Leserbriefe wurden nicht veröffentlicht. Auch ihrem achtjährigen Sohn machte man das Leben schwer; er musste sich in der Schule Schauermärchen über seine Mutter anhören. Im folgenden Jahr landete sie symbolisch auf dem Scheiterhaufen. An der Fasnacht 1954 «haben sie mich verbrannt, unter grosser Belustigung auf dem Gemeindeplatz».

Das Kesseltreiben in den Zeitungen erreichte auch das Radiostudio Basel. Am 7. November 1953 erhielt Helene Fausch-Bossert die Kündigung. Im Entlassungsschreiben, in dem sie als «gute Mitarbeiterin» gewürdigt wurde, steht: «Dabei kam einhellig die Auffassung zum Ausdruck, dass Sie es durch Ihr Verhalten verunmöglicht haben, Sie weiter zu beschäftigen. Ausschlaggebend für diesen Beschluss war vor allem die Tatsache, dass es einem gewöhnlichen Schweizer heute eben nicht möglich ist, Russland zu bereisen.»20 Einem Bekannten schrieb sie wenige Tage nach ihrer Entlassung: «Der Boykott ist besiegelt. Auf eine Aussprache ging man nicht ein. – Die Reise nach Russland ist nun einmal ein Verbrechen. Basta! Hier auf dem Lande ist es arg. Die Hysterie ist bereits chronisch geworden. Ihr Grundübel, die Lüge und die Hetze ist ärger als Krebs. […] Ein Mädchen, das zufällig um die richtige Version der Reise wusste und mich in der Pause bei seinen Mitschülerinnen verteidigte, wurde dafür von ihnen traktiert. […] Es wurde und wird alles daran gesetzt, ‹uns› moralisch wie wirtschaftlich zu erledigen.»21

Der Psychoterror hielt an, und auch die politische Polizei überwachte Helene Fausch. Einem Kritiker schrieb sie: «So muss ich halt weiter Spiessruten laufen und der Hetze freien Lauf lassen. Immerhin, das bin ich mir bewusst, sie läuft sich mit der Zeit wund und müde. […] Und dass man mich als russophil betrachtet, jenu! Alle, welche die übliche Hetze nicht mitmachen, werden so gestempelt.»22 Beim Radio konnte Helene Fausch-Bossert ab 1957 wieder arbeiten, nachdem 1954 eine Intervention im Baselbieter Landrat durch den späteren SP-Regierungsrat Paul Manz noch erfolglos geblieben war. «Es hatte da eine gutgesinnte Frau im Verwaltungsrat, die sich für mich einsetzte», schilderte sie ihre berufliche Rehabilitation.23 Vollständig rehabilitiert wurde Helene Fausch-Bossert erst 1970. Im Jahr 1988 erhielt sie den Baselbieter Literaturpreis.

Gesetz gegen «extremistische» Staatsbeamte

Die PdA stürzte Anfang der 1950er-Jahre aufgrund von internen Machtkämpfen, ihrer stalinistischen Ausrichtung, Säuberungen und dem doppelten Druck von Bürgertum und Sozialdemokratie in die Bedeutungslosigkeit ab. War sie nach dem Wahlerfolg von 1947 noch als Hoffnungsträgerin erschienen, so mutierte sie nun in der Wahrnehmung zur Fünften Kolonne am Gängelband Moskaus. Obwohl sie nur einige tausend Mitglieder zählte, wurde die PdA während der folgenden Jahrzehnte zur Hauptzielscheibe des Staatsschutzes. Bei etlichen PdA-Mitgliedern, die früher in der KPS gewesen waren, gab es in der Überwachung eine Kontinuität. Der Bundesrat schrieb in einem Bericht von 1946: «Die kommunistische Bewegung in der Schweiz erfordert die Aufmerksamkeit der Behörden wegen ihrer revolutionären Tendenzen und ihrer ausländischen Beziehungen. […] Wie früher bei der Bekämpfung der rechtsextremistischen Umtriebe haben sich jetzt die Strafverfolgungsbehörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden für die Abwehr der Gefahren einzusetzen, die aus der Tätigkeit der Linksextremisten entstehen können.»24

1932 hatte der Bundesrat einen Beschluss erlassen, der die Beschäftigten der Bundesverwaltung, die Mitglieder der KPS oder einer kommunistischen Organisation waren, aus dem Bundesdienst ausschloss. 1942/43 wurde dieser Beschluss auch gegen Angehörige rechtsextremer Organisationen angewandt. Nach Kriegsende wurde er insofern relativiert, als es nicht auf die Zugehörigkeit zu einer Organisation ankam, sondern auf das Verhalten. Es dauerte gerade mal fünf Jahre, bis die Bundesbehörden wiederum ein wachsames Auge auf die Kommunisten in der Bundesverwaltung warfen. Ein Bericht des Eidgenössischen Finanz- und Zolldepartements (EFZD) von 1950 hält fest: «Seit Beendigung der Feindseligkeiten spielen die Rechtsextremisten keine Rolle mehr. Dasselbe lässt sich aber nicht sagen von den Kommunisten, den Mitgliedern der Partei der Arbeit. An Nachweisen für ihre Hörigkeit gegenüber dem Kominform und der Sowjet-Union fehlt es nicht.» Dennoch wollte der Bundesrat nicht gleich sämtliche «Extremisten – auf der äussersten Linken oder Rechten» – vom Bundesdienst ausschliessen, denn davon wären auch solche betroffen gewesen, die trotz Zugehörigkeit zu einer extremistischen Partei vertrauenswürdig seien. Als Kriterium solle deshalb das Vertrauen dienen, das dem Einzelnen entgegengebracht werden könne. Ein genereller Ausschluss stünde auch im Widerspruch zur Tatsache, dass die PdA nicht verboten und im Parlament vertreten sei. Bundesrat von Steiger stellte aber in seiner Antwort auf eine Motion klar: «Man kann nicht im Staatsdienst arbeiten wollen und gleichzeitig gegen diesen Staat wirken und ihn unterminieren.»25 Der Bundesrat beschloss deshalb in einem geheimen Zusatzparagrafen, dass politisch verdächtige Bundesbedienstete beobachtet und beaufsichtigt werden. «Die Bundesanwaltschaft, das eidgenössische Personalamt sowie die Personaldienste der Bundesverwaltungen und -betriebe haben sich gegenseitig über die […] politisch verdächtigen Bundesbediensteten zu unterrichten. Die Bundesanwaltschaft führt die hierzu notwendigen Erhebungen durch.» Falls sich Zweifel an der politischen Zuverlässigkeit ergäben, werde ein Bewerber nicht eingestellt.26 Damit sanktionierte der Bundesrat die Schnüffelei in den Bundesbetrieben. Dagegen wehrte sich auch die nichtkommunistische Linke.

 

Im Vorfeld des Beschlusses gegen «extremistische Bundesbedienstete» vom 5. September 1950 bereitete Bundesanwalt Werner Lüthi vor der Ständeratskommission schon mal das Terrain vor. Die Kontrolle westlicher kommunistischer Parteien durch die Kominform und die Änderungen der Umsturztaktik «wirken sich in der Haltung der PdA nachhaltig und mit steter Verstärkung aus. Dies erfordert nicht nur ausserordentliche Wachsamkeit der Behörden, sondern auch die Schaffung neuer, die neuen Methoden erfassende Strafbestimmungen». Unwohl war es den beiden SP-Nationalräten Arthur Schmid und Johannes Huber, weil sie befürchteten, die geplante Einschränkung der Freiheitsrechte könne sich gegen die Linke generell richten. Dem hielt Bundesrat Feldmann entgegen: «Die Auffassung Hubers, die PdA solle man nicht so ernst nehmen, ist unrichtig», denn es komme «nicht auf die Zahl an». Und weiter: «Die Erfahrung lehrt, dass die heute gegen uns angewandten Mittel viel raffinierter sind, als jene zur Zeit der Nationalsozialisten. Dagegen müssen Waffen geschmiedet werden.» Ein besonderes Augenmerk sei den «Kryptokommunisten» zu schenken. «Unter der Flagge der Kultur und der Wissenschaft arbeitet ein kleiner Trupp, der die Unterhöhlung anstrebt.» Ganz in diesem Sinn visierte Bundesanwalt Franz Stämpfli einen präventiven Staatsschutz an: «Wir wollen strafen, bevor der Tatbestand des Landesverrats erfüllt ist.» In der immer kühleren Atmosphäre des Kalten Kriegs, der Blockade von Berlin 1948/49 stiess die Verschärfung des Staatsschutzes auf wenig Widerstand. Selbst die Kritik am Staat konnte nun geahndet werden, denn bürgerliche Politiker und Staatsschützer folgerten, dass diese eine Vorbereitungshandlung zur Änderung der geltenden Ordnung, also subversiv sei.27 Diese Weisung, die erst 1990 aufgehoben wurde, scheint wenigstens teilweise den gewünschten Effekt gehabt zu haben: Es kam zu Parteiaustritten und Abbestellungen des Vorwärts.28

Der sozialdemokratische Nationalrat Pierre Graber reichte zum «Extremistenbeschluss» eine Interpellation ein und behauptete, diese Weisungen hätten «eine für unser Land neuartige Säuberungsaktion ausgelöst».29 Der kommunistische Nationalrat Léon Nicole verlangte in einer Motion vom Oktober 1950, dass die Weisungen des Bundesrates über die Auflösung des Dienstverhältnisses vertrauensunwürdiger Beamten aufgehoben werden, um damit die Meinungsund Vereinsfreiheit des Bundespersonals wiederherzustellen. In seiner Antwort zeigte sich Bundesrat Eduard von Steiger unnachgiebig: «Wer seine politische Tätigkeit in einer Partei nicht nur dazu benutzt, seine demokratischen Rechte auszuüben, sondern in Wirklichkeit ein militanter Verfechter antidemokratischer, totalitärer Ziele ist, gehört nicht in die eidgenössische Verwaltung.» Er ging noch weiter und meinte, dass auch ein Beamter, der nicht Mitglied der PdA sei, aber ein extremistisches Verhalten zeige, nicht in den Bundesdienst gehöre. Die kritisierte «Säuberungsaktion» im Beamtenapparat relativierte er, indem er angab, dass nur ein Dutzend Beamte nicht wiedergewählt und zwei Dutzend ins Angestelltenverhältnis versetzt worden seien. Immerhin sollen 500 Personen auf ihre «Vertrauenswürdigkeit» überprüft worden sein.30

Zwar richteten sich die am 5. Dezember 1938 vom Bundesrat erlassenen «Massnahmen gegen staatsgefährliche Umtriebe und zum Schutze der Demokratie» auch gegen Rechtsextremisten, doch waren sie die Ausnahme von der Regel. Vorausgegangen waren diesem Beschluss verschiedene kantonale Gesetze, die sich gegen die KPS richteten.31 Noch als Nazi-Deutschland auf dem Höhepunkt seiner Macht und die Sowjetunion vor dem Zusammenbruch stand, sagte Werner Balsiger, Chef der Bundespolizei: «Die kommunistische Bewegung ist eine nicht zu unterschätzende Gefahr, nicht nur im Zusammenhang mit der internationalen Lage, sondern auch rein intern. […] Ich empfehle Ihnen daher dringend, den Linksextremisten alle Aufmerksamkeit zu schenken und mit allen Mitteln danach zu trachten, sie unschädlich zu machen.» Paradoxerweise hielt der Chef der Bundespolizei aber bei Kriegsende im Gegensatz zu vielen bürgerlichen Politikern die Gefährdung durch den Linksextremismus für gering. Auch Bundesanwalt Franz Stämpfli empfahl Ende 1944 dem Bundesrat, die PdA nicht zu verbieten, weil eine offen agierende Partei besser zu kontrollieren sei. Der Beitrag der Sowjetunion im Kampf gegen den Nationalsozialismus hatte die Perspektive für die Kommunisten im positiven Sinn, wenn auch nicht für lange, verändert.

Den Umsturz in der Tschechoslowakei 1948 nahm der Staatsschutz zum Anlass, seine Praxis gegenüber «Linksextremisten» radikal zu verschärfen. Mitglieder und Sympathisanten der PdA wurden nun systematisch registriert. Zwar wurde immer wieder betont, dass die PdA zahlenmässig schwach sei und sich friedlich zeige (der Mitgliederbestand fiel von etwa 20 000 bei Kriegsende auf 3500 Ende der 1950er-Jahre), doch weil sie als Kaderpartei so gut organisiert sei, sei sie umso gefährlicher. Dieser Zirkelschluss legitimierte die systematische Erfassung und Registrierung (Fichierung) all derjenigen, von denen der Staatsschutz glaubte, sie seien Kommunisten, wobei er in der Definition unzimperlich und in der Sammelwut ausufernd war. Die Extremistenkartei beim Staatsschutz, die von 1950 bis 1972 als «Verdächtigtenkartei» geführt wurde, bestand am Schluss aus 10 000 Namen.32

Kommunisten standen unter Dauerbeobachtung. Der Buchhändler Theo Pinkus, einer der führenden Köpfe der PdA, hatte die umfangreichste Fiche aller Überwachten, sie füllte 240 Bundesordner.33 Es finden sich zu Pinkus auch unzählige Telefonabhörprotokolle, deren Inhalt kaum je über Alltägliches oder Organisatorisches, etwa zu Reisen, hinausging. Die Fiche des kommunistischen Politikers Emil Arnold umfasst 208 Karten mit 2889 Einträgen. Die meisten stammten von Anfang der 1950er-Jahre, obwohl die Bundespolizei die Kommunisten ab 1950 nicht mehr als Gefahr betrachtete.34 Die Aktivität des Staatsschutzes erreichte unmittelbar nach dem Krieg einen Höhepunkt. Im August 1945 gab es die erstaunliche Zahl von 600 Ermittlungshandlungen. Im Mai 1946 waren es 265, im September 1946 noch 199, und in den Jahren 1951 bis 1953 je etwa 75 pro Jahr. Diese Zahlen gab der Bundesanwalt in einer Erklärung vom März 1954 bekannt.35 Ob die Reduktion der Fälle etwas mit der Ernennung des rechten Sozialdemokraten René Dubois zum Bundesanwalt 1947 zu tun hatte, muss offenbleiben. An der unablässigen Überwachung der Kommunisten änderte das indes nichts.

Einer von ihnen war Paul Storz. Sein Fall zeigt exemplarisch, wie Kommunisten während Jahrzehnten überwacht wurden, obwohl es während dieser Zeit gegen ihn zu keiner Verurteilung, ja nicht einmal zu einer Anklage wegen landesverräterischen Aktivitäten kam.36 Storz galt innerhalb der PdA Genf als einer der «harten» Genossen. Der 1911 geborene Paul Storz, von Beruf Monteur, kam 1931 nach Genf, wo er sich mit kommunistischer Propaganda bemerkbar machte und deswegen auch entlassen wurde. 1939 wird er in den Genfer Gemeinderat gewählt (allerdings auf der Liste der Nicole-Sozialisten). Ein Bericht der Bundesanwaltschaft von 1953 hatte ihn jedoch bereits seit 1936 als Mitglied der KPS und als «militanten Kommunisten» registriert. 1940 wird Storz verhaftet; die Polizei findet bei ihm 40 Broschüren mit kommunistischer Propaganda und einige Briefe. Ein Jahr später wird er aus dem Gemeinderat entlassen und entwickelt in den Folgejahren eine starke Aktivität im Untergrund und in Genfer Fabriken, was ihn erneut mehrmals ins Gefängnis bringt. 1942 erfolgt der Ausschluss aus der Gewerkschaft SMUV, dem Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiterverband. 1945 wird Storz Mitglied des Parteivorstands der PdA.