Mythos, Pathos und Ethos

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Sommer 2003: "Riegler paßt auf Haderlein, der flankt in die Mitte, wo Ode verpaßt, der Ball wird abgewehrt, aus dem Hintergrund müßte Magnet schießen, Magnet holt aus, trifft den Ball Vollspann und der fliegt in den rechten oberen Winkel! Tor! Tor für die SPD!!!" Vielleicht befürchteten die CSU-Granden zukünftig solche Fußballspielkommentare von Hermann Noch, der Reporterlegende aus Franken. Anders konnte man es sich nicht erklären, daß man ihn dazu bringen, beziehungsweise zwingen wollte, sich zwischen seinem Hobby als Fußballreporter, das er neben seiner Lehrertätigkeit ausübte und einem Sitz im Landtag für die bayerische SPD zu entscheiden. Ich persönlich glaube, wenn der Herr Noch für die CSU angetreten wäre, dann hätte damit niemand ein Problem gehabt. Bekanntlich war und ist ja der bayerische Ministerpräsident für alle Belange des Bayerischen Rundfunks zuständig, von daher konnte man sich schon vorstellen, wie die ganze Schmierenkomödie enden würde. Wovor fürchteten sich die schwarzen Männer? Vor Reportagen wie: "Baumeiler vertändelt den Ball im Mittelfeld, Zuber wird getunnelt und grätscht erfolglos hinterher, Waldhauser versucht es mit Schönspielerei und Kapitän Sträuber schimpft und flucht wie ein Rohrspatz. Schwarz-Weiß Tuntenhausen zerlegt sich selbst." Na ja, wenn ich mich entscheiden müßte, dann würde ich weiterhin Fußballspiele kommentieren, denn das ist bestimmt spannender, unterhaltsamer sowie abwechslungsreicher, als die Taten der absoluten CSU-Mehrheit begutachten zu müssen, ohne sie daran hindern zu können, nur das zu machen, was sie will und was ihr etwas bringt.

20.08.2003: "Ole, Ole, Ole, Ole!" rief ein bekennender Homosexueller ganz laut in Hamburgs Straßen. "Was ist denn los? Wer hat denn jetzt schon wieder gewonnen? Hamburg oder St. Pauli?" wollte ein schwuler Bekannter von ihm, dem er gerade auf einer Straße in Hamburg vor die Füße lief, etwas genervt von ihm wissen. "Von Zeust hat gewonnen und Hamburgs Bürger haben gewonnen. Stills out." "Und wenn schon? Diese merkwürdige Koalition wird ja trotzdem weiter regieren." "Das schon, aber ohne ihren bösen Buben." "Ach was, die Anderen sind doch auch nicht besser oder anders. Immer nur Vetternwirtschaft, Korruption und Wählerbetrug." "Das war aber zu SPD-Zeiten auch nicht anders. Macht macht gierig. Wie dem auch sei, Hamburg ist seit gestern wieder frei." "Abwarten und Astra trinken. Bin nur mal gespannt, ob der Uli von Zeust sich jetzt endlich mal vorne hinstellt und sagt: "Jawohl, ich bin ein Hinterlader und das ist auch gut so." Aber wahrscheinlich traut er sich das wieder nicht." "Mal sehen. Eigentlich muß er jetzt ja Farbe bekennen, denn nachdem ihn der Still dermaßen erpreßt hat." "Alles Ansichtssache. Der Still behauptet ja, er habe den von Zeust nur darum gebeten, nicht mit zweierlei Maß zu messen." "Jetzt aber mal unter uns: Glaubst Du wirklich, daß der Uli was mit dem Robert Husch hatte oder hat?" "Ich weiß nicht so recht. Auf alle Fälle würde ich diese Zeugen, die der Still da ins Spiel gebracht hat, nicht so ernst nehmen. Viele Leute hören und glauben ja nur das, was sie hören wollen." "Deshalb sind sie für Populisten ja auch ein gefundenes Fressen. So eine Koksnase wie der Still sollte ohnehin nur sehr vorsichtig für voll genommen werden." "Ja, aber das ist ja auch nicht bewiesen. Alles nur Gerüchte und Spekulationen." "Fest steht jedenfalls, daß die Still-Partei bei der nächsten Wahl übel abstürzen wird." "Jeder bekommt was er verdient." "Wie meinst Du das denn jetzt? Willst Du damit etwa andeuten, ich hätte mir meinen Tripper verdient?" "Kann schon sein, was weiß denn ich, wo Du Deinen Arsch überall hinhältst. Egal, aber wenn man von fast 20 Prozent der Wählerstimmen kommt, dann wird das ein ziemlich tiefer Fall." "Darauf kannst Du einen lassen. Oh, das habe ich schon für Dich erledigt. Sorry, mein Süßer, den wollte ich mir ja eigentlich für heute Abend aufheben. Na ja, wie dem auch sei, ein schönes Handtäschchen trägst Du heute. Ups, Pups I did it again. Also dann, Schatzi, bevor ich hier noch zum Stinktier werde, verdufte ich lieber." "Es muß ja auch nicht immer etwas hinten rein kommen, bei uns Homos, manchmal kommt dort auch was raus. Mach’s gut, aber nicht zu oft!" "Das ist meine Sache, Du weißt doch wie notgeil wir Männer nun mal sind. Auf alle Fälle wird es in Hamburg ohne Still wieder richtig chillig." "Wie wahr Espana! Aber wenigstens sehen unsere Polizisten jetzt viel schicker aus, in ihrer neuen preußisch-blauen Uniform. Da läßt sich unsereins doch gerne mal verhaften." "Ach ja, die immer mit ihren Schlagstöcken."

Anfang September 2003: Gesucht wird ein Bundespräsident, den momentan noch niemand kennt, Frau Gerkel formiert ihre Truppen schon, denn dieses Mal besteht die Aufgabe der Opposition, darin jemanden zu finden, an den sich deutsche Wählerherzen binden, gesucht wird ein Kandidat, nicht zu soft, aber auch nicht zu hart, am besten wäre er keine Frau, denn die Andrea ist sehr schlau, würde es nämlich eine Bundespräsidentin geben, dann könnte sie selbst ihre Zukunft als Kanzlerin nur in Tagträumen leben, dumm an der ganzen Sache ist nur, der Festerbelle ist ziemlich stur, die FDP hat bei der Kandidatenkür ein gewichtiges Wörtchen mitzureden, und das gefällt nicht unbedingt jedem, mal wieder gesucht wird ein Kompromiß, als vorzeigbarer Fliegenschiß, man will das Ende von Rot-Grün einläuten, außerdem soll der neue BP hoch angesehen sein bei den Leuten, mögliche Kandidaten gibt es zuhauf, das Karussell nimmt munter seinen Lauf, eines ist traurig, aber wichtig: Keiner der genannten Kandidaten paßt so richtig, vielleicht wollen Egmont, Andrea und Guildo irgendwann nicht mehr länger leiden, und lassen einfach das Los entscheiden.

11.09.2003: Aussprache zum Kanzleretat im Bundestag. Wir haben es zu tun mit einer Bundesregierung, die dermaßen unbeliebt ist, daß sie noch heute zurücktreten könnte und damit wohl eher Begeisterungsstürme als Trauerfeiern entfachen würde. Auf der anderen Seite befindet sich eine Opposition, von der alle Beteiligten froh darüber sind, daß sie nicht die Regierung stellt. Früher hatte man wenigstens die Wahl zwischen Pest und Cholera, heutzutage bleibt einem nicht einmal mehr das vergönnt. Schlechte Reden halten können ist eine Fähigkeit, die durchaus Bewunderung verdient, noch dazu bei solch hoch bezahlten Politikern, von denen man prinzipiell annimmt, daß sie ganz gut reden können müßten, weil sie sonst ja wohl kaum im Parlament gelandet wären. Nun ja, das lassen wir mal so dahingestellt, jedenfalls sollte man keine zu hohen Erwartungen wie eine Monstranz vor sich hertragen, wenn man sich im Reichstag unter die Zuhörenden mischt. Klar, in der Politik ist es im Prinzip genauso wie auf dem Fußballfeld: Es reicht völlig aus, besser zu sein als der Gegner, auch ein 1:0 Arbeitssieg bringt drei Punkte ein und in zwei Wochen erinnert sich sowieso niemand mehr an den Grottenkick. Von daher waren Micki Glas (der deutsche oder besser fränkische Mick) sowie CDU-Fraktions- und Parteivorsitzende Gerkel für Bernhard Schräder natürlich leicht zu überbieten, denn sie boten, wie des Öfteren, rhetorische Magerkost. Ein ganz anderes Kaliber war da schon Friedbert Nerz gewesen, doch den hatte die Chefin ja hinter sich selbst in die zweite Reihe verbannt gehabt. Was bleibt? Die Gewißheit, daß nicht an jedem 11.September zwei Türme in die Luft fliegen, nur weil am Tag zuvor eine Debatte im Bundestag stattgefunden hat.

Wer braucht die FDP in Bayern? Eine gute sowie berechtigte Frage, die nicht einmal eingefleischte Liberale überzeugend beantworten können. Die CSU steuert in den Umfragen wenige Wochen vor der Wahl auf eine Zweidrittelmehrheit im Bayerischen Landtag zu, die hat schon mal kein Interesse daran, daß die Freien Demokraten den Sprung ins Parlament schaffen. Die SPD und die Grünen können vermutlich ebenfalls auf die FDP verzichten, denn sonst müßte man den ohnehin schon kleinen Kuchen mit einem weiteren hungrigen Maul mit großer Klappe teilen. Nichtsdestotrotz gibt die bayerische FDP-Chefin Sabrina Heutläuser-Knarrenberger alles, um ihre Partei über die Fünf-Prozent-Hürde zu hieven, denn Wunder gibt es schließlich immer wieder und jeder Mensch braucht nun mal Herausforderungen im Leben. Zugegeben, es würde ein wenig bunter werden im Landtag, sollten die Liberalen den Sprung dorthin schaffen, aber regieren werden ohnehin die Schwarzen ganz allein, von daher macht es auch nicht wirklich einen Unterschied, oder? Kein Wunder, daß die ehemalige Bundesjustizministerin das ein kleines bißchen anders sieht, aber der werden am Wahlabend auch die Augen aufgehen, so viel läßt sich schon mal im Voraus annehmen. Gelbsucht?

20.09.2003: Was wäre Deutschland ohne das Saarland? Zweifellos um so einiges ärmer, man denke nur an so Geistesgrößen wie Oswald Afroträne und Erich Honecker, von Dieter Füller ganz zu schweigen. Nun war es aber so gekommen in den vergangenen Jahren, daß die CDU im einst so roten Lande ganz allein regierte und da sie das scheinbar nicht gar so schlecht machte, stand zu befürchten, daß sie auch bei den Wahlen 2004 wieder reüssieren würde. Was konnte man dagegen tun? Vielleicht wieder mal das alte Schlachtroß ins Getümmel schicken, denn auch alte Besen kehrten manchmal gut, zumindest wirbelten sie zunächst jede Menge Staub auf. Oswald Afroträne war wieder im Gespräch und das freute alle, die mit jener Personalie irgendwas zu tun hatten. Immerhin war der ja ziemlich lange der Ministerpräsident des Saarlandes gewesen, von daher war es doch schon irgendwie naheliegend, eventuell auf den alten Siegertypen zurückzugreifen. Andererseits, gab es da überhaupt etwas zu gewinnen oder stand die erneute Niederlage nicht schon im Vornherein fest? Schließlich war die rot-grüne Bundesregierung dermaßen unbeliebt, daß jede Landtagswahl zu einem Plebiszit gegen sie mutierte. Nun ja, wenn die Gegenwart nicht gar so rosig erschien, dann erinnerte man sich halt überall immer gerne an die guten alten Zeiten, verklärte massiv die Vergangenheit und sehnte sich danach zurück. Wie aber mit Afroträne nun umgehen, der immer noch sehr populär im Lande war und dem die Basis seine Flucht aus allen Ämtern im Jahre 1999 wohl verziehen zu haben schien? Gute Wahlkämpfer konnte man immer brauchen, doch würde sich jener Spitzenpolitiker einreihen können und wollen? Das war die Frage aller Fragen, die niemand so recht beantworten konnte. So blieb erst einmal alles offen, die Einen waren tief betroffen, die Anderen dagegen begannen zu hoffen.

 

Die bayerische SPD taumelte derweil dem Abgrund entgegen. Hans Magnet freute sich über das bevorstehende Ende des aussichtslosen Wahlkampfs und die CSU bereitete sich auf eine gigantische Siegesfeier vor, eventuell würde Egmont Sträuber die Partei hinauf in himmlische Sphären führen, denn die mögliche Zweidrittelmehrheit bedeutete ja im Grunde so etwas wie die göttliche Allmacht, schließlich konnte man mit der eigenhändig die Bayerische Verfassung ändern. Doch hatte eine Partei, welche die Verfassung ohnehin immer genau so interpretierte, wie sie ihr gerade in den Kram paßte, das überhaupt nötig? Die CSU herself befand sich 2003 in einer exzellenten Verfassung, die Ausgangslage war hervorragend und im Grunde konnte man sich den 21.09.2003, an dem die Bayerische Landtagswahl über die Bühne gehen würde, so vorstellen: Es war genauso, wie wenn der FC Bayern München in der Fußball-Bundesliga zu Hause auf den SC Freiburg traf. Es stand schon von vornherein fest, daß der FC B gewinnen würde, darum stellte sich lediglich die Frage, wie hoch der sichere Sieg ausfallen würde. Für die Wahl hatten die Meinungsforscher also im Falle der CSU einen 5:0 Sieg vorhergesagt, vielleicht würde die Abstimmung auch 6:1 oder 7:0 enden, das war das einzig Spannende bei der ganzen Angelegenheit.

Was aber war das Geheimnis jener tollsten Partei der Welt? Warum liefen ihr die Wählerinnen und Wähler so hinterher, daß man fast schon von Stalking sprechen mußte? Na ja, zum Einen war und ist die CSU einfach einmalig. Sie ist einzigartig, sie ist etwas Besonderes, es gibt sie nur in Bayern, einzig und allein im Freistaat kann sie überhaupt gewählt werden. Sie ist deshalb nicht beliebig und austauschbar, sondern statt dessen beliebt sowie unverwechselbar. Das Brüllen des bayerischen Löwen vernimmt man sowohl in Berlin als auch in Brüssel. Bei der CSU handelt es sich um eine Marke, ein Unikat, einen Mythos. Den Mythos der absoluten Mehrheit, der Unbesiegbarkeit. Die CSU ist landespolitisch unterfordert, deshalb mischt sie auch in der Bundes- und der Europapolitik munter mit. Man muß sich das einmal vorstellen: Ihr Wahlergebnis bei der Bundestagswahl in Bayern reicht dieser phantastischen Partei locker aus, um über die bundesweite Fünf-Prozent-Hürde zu springen und somit in den Deutschen Bundestag einzuziehen. Außerdem bekommt sie seit Jahrzehnten so viele Direktmandate, daß sie es ohnehin immer in den Reichstag schaffen würde. CSU und Bayern, dabei handelt es sich um eine Symbiose, vielleicht sogar um eine Liebesbeziehung. Die meisten Wähler vertrauen der CSU, weil sie wissen, daß es sich dabei um ihre Bayernpartei handelt. Würde die CSU auch noch in anderen Bundesländern zur Wahl stehen, was sie ja einst ernsthaft erwogen hatte, dann würde sie in Bayern an Reiz und damit auch ihren ureigenen Charme verlieren. So aber kann sie immer und für alle Zeiten so tun, als wäre für sie nur Bayern und damit selbstverständlich auch die Bayern wichtig. Die CSU ist ein Gesamtkunstwerk, daran besteht kein Zweifel.

21.09.2003: "Sehr geehrter Herr Doktor Sträuber, Sie haben mit Ihrer CSU die Zweidrittelmehrheit geschafft. Was sagen Sie dazu?" forschte der Journalist. "Also, ich bin natürlich begeistert, unheimlich stolz und dankbar. Hierbei handelt es sich um einen großartigen Vertrauensbeweis von Seiten der Menschen in Bayern und ich verspreche Ihnen allen, daß ich alles dafür tun werde, um dieses Vertrauen zu rechtfertigen." "Was fällt Ihnen denn zum Ergebnis der SPD ein?" "Äh, also, na ja, wie soll ich das am klügsten ausdrücken, die bayerische SPD hat ja schon immer schlechtere Ergebnisse abgeliefert als die Bundespartei, aber in diesem Fall sind die Fehler natürlich in allererster Linie in Berlin und ganz besonders bei Bundeskanzler Schräder zu suchen." "Werden Sie 2006 noch einmal als Kanzlerkandidat der Union antreten?" "Also, na ja, diese Frage entscheiden wir Ende 2005 oder Anfang 2006, das steht heute Abend nun wirklich nicht zur Debatte. Fest steht jedenfalls, daß die CSU sowohl in Bayern als auch im Bund mit diesem Ergebnis natürlich unheimlich gestärkt worden ist." "Die Zweidrittelmehrheit im bayerischen Landtag, das ist ja nicht nur sensationell, sondern auch schon historisch. Hat man da als CSU und insbesondere Sie als überall beliebter und hochangesehener Ministerpräsident überhaupt noch Ziele?" "Aber selbstverständlich. Unser nächstes Ziel wird die Erringung der Dreiviertelmehrheit sein, danach streben wir die Vierfünftelmehrheit an und irgendwann möchten wir verständlicherweise die Fünfsechstelmehrheit erreichen." "Donnerwetter, da haben Sie sich ja ganz schön was vorgenommen. Wollen Sie etwa die Opposition aus dem Landtag jagen?" "Langfristig schon. Wir brauchen in Bayern keine Opposition, das erledigen wir notfalls auch selbst. Natürlich wird es schwierig werden, die SPD unter die Fünf-Prozent-Hürde zu bringen, aber wir arbeiten daran." "Na wenn das so ist, dann viel Erfolg!" "Vielen Dank! Ich träume davon, in einem Parlament zu sitzen, in dem sich nur Parteifreunde von mir befinden. Stellen Sie sich mal den Bayerischen Landtag mit 180 oder meinetwegen auch 200 Sitzen vor und die werden alle von CSU-Politikern besetzt." "Oh mein Gott, mir wird ganz schwarz vor Augen."

Die SPD hatte ein Waterloo erlebt. 19,6 Prozent, nicht einmal die 2 stand mehr vorne, daß man so tief sinken könnte, hatten sich nicht mal die düstersten Pessimisten vorstellen können. Klar, die Wahlbeteiligung war genauso eingebrochen wie die SPD, aber was half es zu wissen, daß womöglich viele von den eigenen Anhängern aus Frust oder Enttäuschung daheim geblieben waren? Man war es ja gewohnt, seit Jahrzehnten gegen die CSU zu verlieren, aber so eine Schlappe hatte es noch nie zuvor gegeben. Mehr als 40 Prozent lagen nun zwischen CSU und SPD, das war wirklich historisch. Wieder gab es Diskussionen, ob man sich nicht von der Bundes-SPD lösen und eine spezifische bayerische SPD gründen sollte, aber auch solche Überlegungen wurden schnell wieder verworfen. Wie tief würde man als SPD noch in den Keller rutschen?

Andererseits waren das Probleme, die Andere bestimmt gerne gehabt hätten. Klar, die Grünen waren zufrieden, sie hatten zwei Prozent dazu gewonnen und mußten dieses Mal nicht um den Einzug in den Landtag bangen. Aber die Freien Wähler und die FDP hatten es wieder nicht ins Parlament geschafft, genauso wenig wie die Republikaner, die ÖDP und alle anderen kleinen Parteien. Es blieb also bei gerade mal drei Parteien, welche über fünf Prozent der Wählerstimmen gekommen waren und das zeigte mehr als deutlich, wie schwer es war, in Bayern auf einen grünen Zweig zu kommen. Sträuber und die CSU freuten sich, die SPD war am Boden zerstört und die Grünen sahen sich im Aufwind. Kein Wunder, daß der SPD-Landesvorsitzende Haderlein mitsamt seiner Generalsekretärin Dielefeld am Tag nach der Wahl zurücktrat, aber ob das langfristig etwas nützen würde? Erstmals hatte die CSU alle Direktmandate gewonnen, schlimmer konnte es nun wirklich nicht mehr werden, ganz Bayern war tiefschwarz und würde es wohl auch bleiben.

Ende September 2003: Zwei Männer auf der Straße unterhielten sich über Politik, während ihre Ehefrauen miteinander über den neuesten Tratsch klatschten. "Also eines muß man dem Hans Magnet lassen: Das ist schon eine Leistung: Erst so eine historische Niederlage als Spitzenkandidat einzufahren und danach trotzdem als neuer Hoffnungsträger der SPD gehandelt werden", faßte einer der Männer zusammen. "Und wenn schon? Er hat ja keinen Bock drauf, was man auch verstehen kann. Die Süddeutsche nennt ihn deshalb schon Hans mag net. Ich hätte auch keine Lust darauf, so einen Trümmerhaufen wiederaufzubauen. Außerdem: Die nächste Wahlschlappe kommt bestimmt, das ist bei der bayerischen SPD so sicher wie das Amen in der Kirche", behauptete sein Gegenüber. "Ach ja, die Armen in der Kirche, die tun mir auch leid. Wie dem auch sei, die SPD braucht in Bayern neue Leute in den Führungspositionen, sonst sieht sie bald ganz alt aus." "Noch älter als ohnehin? Wer will denn freiwillig so ein Himmelfahrtskommando übernehmen? Die bayerische SPD hat genauso wie die Bundes-SPD in den letzten Jahren extrem abgewirtschaftet und bei den eigenen Anhängern jede Menge Vertrauen verloren." "Das stimmt, aber es wissen doch eigentlich alle, daß Reformen nötig sind." "Natürlich, aber die sollen doch bitte schön die Anderen machen und dafür bei den Wahlen abgestraft werden, aber auf keinen Fall die eigenen Leute. Es gibt inzwischen nicht Wenige bei den Sozen, die sich Hartmut Fohl als Kanzler zurückwünschen, weil sie der festen Überzeugung sind, daß es unter dem seiner Herrschaft in Deutschland sozialer zugegangen ist." "Oh Gott! Das ist ja schrecklich! Meine Güte, vor fünf Jahren bei der Bundestagswahl noch über 40 Prozent und jetzt nicht mal mehr 20 in Bayern, das sagt schon alles." "Wie dem auch sei, ich höre gerade, daß unsere Frauen mit ihrem Austausch von Neuigkeiten fertig sind, also dann, habe die Ehre." "Ja, Du mich auch." Sie gingen froh auseinander.

Derweil hatte die rot-grüne Bundesregierung in Berlin mal wieder so einiges zu überstehen. Mit der Union hatte sie eine Gesundheitsreform ausgehandelt, weshalb von vornherein schon klar war, daß das Ding im Bundestag beschlossen werden würde. Trotzdem oder gerade deswegen legte Bundeskanzler Schräder allergrößten Wert darauf, daß man als Regierung eine eigene Mehrheit im Parlament zustande brachte, weshalb er sich im Vorfeld inständig darum bemüht hatte, die letzten Zweifler, Nörgler, Kritiker und Besserwisser zu überzeugen. Um ganz auf Nummer sicher zu gehen, hatte er mit dem vorzeitigen Ende der Koalition und dem damit verbundenen Abschied von der Macht gedroht, etwas, das sich schon früher immer wieder bewährt hatte.

Für die Kanzlermehrheit reichte es bei der Abstimmung im Bundesrat dennoch nicht, was Bernd aber nicht weiter tangierte, er gab sich mit einer Mehrheit von 297 Stimmen zufrieden, ganz im Gegensatz zu Außenminister Mischer, der extra wegen der Abstimmung aus New York herbei beordert worden war und der sich darüber ärgerte, wegen so etwas einen Jetlag abgekriegt zu haben.

Ende 2003: Jahresrückblicke sind ja auch nicht gerade unbedingt jedermanns Sache. Meistens fallen einem all die peinlichen Geschichten wieder ein, die man schon längst wieder gerne verdrängt hätte. So wie der Gregor U. Push seinen Irak-Krieg zum Beispiel, der ihm jede Menge Nerven kostete und Ärger bereitete, denn obwohl die amerikanischen Truppen, mit ihrer "Koalition der Willigen" im Schlepptau, einen schnellen und eindeutigen Sieg errungen hatten, so gab es im Nahen Osten trotzdem lauter Probleme und Scherereien. Aber da mußten die Amis nun mal durch, schließlich hatten sie sich jenen Feldzug unbedingt eingebildet gehabt, weil Push junior seinem Vater mit demselben Namen imponieren wollte, welcher Saddam Hussein seinerzeit im Golfkrieg 1991 an der Macht gelassen hatte, obwohl jener Kuwait überfallen hatte. Es blieb also alles in der Familie.

Weitaus unterhaltsamer war die Geschichte vom deutsch-jüdischen Michel (Kriegmann), der es sich mit jeder Menge Koksnutten des Öfteren gemütlich gemacht hatte und welcher demzufolge als "Manolo Hinkel" noch einmal einen ganz speziellen Bekanntheitsgrad erreichte. "Der Böllermann hatte schon Recht mit seiner Judenschelte, der würde in seinem Grab jetzt vor lauter Freude Cha Cha Cha tanzen", mögen sich manche Leute dabei gedacht haben, aber davon wurde der gute Jörg D., übrigens kein Verwandter von Gregor U., obwohl man das zunächst annehmen könnte, auch nicht wieder lebendig.

Äußerst lebendig war es 2003 dagegen in der deutschen Politik zugegangen. Die SPD hatte drei Landtagswahlen krachend verloren (Hessen, Niedersachsen und Bayern), nur in Bremen war man an der Macht geblieben, aber dabei handelte es sich ja auch bloß um einen winzigen Stadtstaat, in dem die Linken schon immer in der Mehrheit gewesen waren. Ansonsten überboten sich Regierung sowie Opposition gegenseitig mit Reformvorschlägen, was die Bürger des Landes nicht unbedingt nur erfreute. Doch die Watschen bekamen in erster Linie die Sozialdemokraten ab. Erstens waren die in der Regierung, zweitens hatte man so etwas wie die Agenda 2010 von denen nicht erwartet und drittens bildeten sich die Oppositionsparteien auf ihre Umfragewerte so viel ein, daß sie meinten, die deutschen Wählerinnen und Wähler wären total geil auf noch mehr und härtere Reformen, was aber überhaupt nicht stimmte. Das also war das Jahr 2003 gewesen, wer noch mehr darüber wissen will, sollte Geschichtsbücher lesen.

 

Mitte Januar 2004: Neues Jahr, neues Glück? Ja, aber. Wenn man verliert, dann ist man erst mal traurig und überlegt sich danach, woran es denn gelegen haben könnte. Das ist die eine Möglichkeit. Die andere Option besteht darin, das Ganze als ungerecht anzusehen, sich selbst als den Allergrößten zu betrachten und es später genauso zu machen wie derjenige, gegen den man unterlegen gewesen ist. Tja, das also hatte Egmont Sträuber beherzigt und praktiziert gehabt. Monatelang war er im Wahlkampf 2003 im Sommer durch das Bayernland gezogen, hatte allen alles versprochen oder wenigstens versichert, daß sich nichts verändern oder verschlechtern würde und kaum war er mit über 60 Prozent wiedergewählt, hielt er es mit Wadenhauer und Schräder, indem er sich dachte: "Was kümmert mich mein verlogenes Geschwätz von gestern?" Mitte September war Bayern noch das Schlaraffenland gewesen, Anfang Oktober handelte es sich beim selben Freistaat plötzlich um einen Sanierungsfall. "Der hat uns ins Gesicht gelogen", erkannten etliche Bauern, Lehrer und Polizisten mal wieder leider zu spät. "Sträuber heißt er - uns bescheißt er" oder "We don’t need no Egi-cation", lauteten die Sprüche, die man auf Bannern lesen konnte und das ausgerechnet bei Demonstrationen gegen die bayerische Staatsregierung! Ja, Sie haben tatsächlich richtig gelesen, Anfang 2004 erwachte das bayerische Volk und erhob sich nicht etwa gegen die "rot-grünen Chaoten in Berlin", wie es die CSU sicherlich gerne gesehen hätte, sondern protestierte gegen ihre eigenen Leute, gegen die Kameraden, die man erst wenige Monate zuvor eindrucksvoll in ihren Ämtern bestätigt und mit einer Machtfülle ausgestattet hatte, welche ihresgleichen suchte.

Na ja, so schlimm das alles auch für die Gelackmeierten sein mochte, so hatte der weise Egmont doch eigentlich nur einen Rat beherzigt, den schon die großen Staatenlenker und Polit-Vorbilder längst erkannt sowie ausgesprochen hatten. Grausamkeiten, so hieß es da, begehe man am besten zu Beginn einer Legislaturperiode, denn dann sind sie gegen Ende derselben wieder vergessen und man wird trotzdem wiedergewählt.

Blöd für Sträuber war halt, daß es sich nicht um irgendwelche Linken handelte, die da gegen ihn auf die Straße gingen, sondern um CSU-Anhänger, also quasi "Stimmvieh" aus dem eigenen Stall. Noch unangenehmer war natürlich, daß diese Leute genau zu wissen glaubten, warum der Sträuber plötzlich so grausam und brutal war, daß er sogar das Blindengeld kürzen wollte. Sein Ziel bestand nämlich nunmehr auf einmal darin, 2006 mit Bayern als erstem deutschen Bundesland einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen und damit erhoffte er sich insgeheim eine weitere Nominierung zum Kanzlerkandidaten der Union. Genau das regte die Betroffenen am allermeisten auf; daß sie dafür bluten sollten, daß der feine Herr Egmont seinen Kanzlerträumen nachhängen konnte. Es ging also mächtig zur Sache, aber der rigide Sparkurs wurde nichtsdestotrotz knallhart durchgesetzt, das wäre ja schließlich noch schöner, wo kämen wir denn da hin, wenn wir vor einzelnen Interessengruppen wie dem Bayerischen Beamtenbund einknicken würden oder wenn am Ende gar das Volk in einer Volksherrschaft (= Demokratie) bestimmen wollte, wo es lang geht! Also wirklich, alles was Recht ist, aber das geht dann doch zu weit. Daß es das Volk auch gar nicht so ernst meinte mit seinen Protesten, zeigte eine neue Umfrage, in der die CSU bei sage und schreibe 62 Prozent landete!

Ende Januar 2004: Wieder einmal hatte ein Superwahljahr begonnen und das bedeutete für die rot-grüne Bundesregierung vermutlich nichts Gutes. Eine Europawahl, fünf Landtagswahlen, acht Kommunalwahlen sowie eine Bundespräsidentenwahl standen auf dem Programm und die Union bereitete sich mal wieder auf viele schöne, weil erfolgreiche Wahlabende vor. Im Bundesrat hatte die Opposition ohnehin schon eine Mehrheit hinter sich, von daher konzentrierte man sich vor allem darauf, bei der Kür des Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten keinen Fehler zu machen. Schließlich wollte man ja allen Menschen in Deutschland eindrucksvoll beweisen, daß man mit Macht verantwortungsvoll umgehen konnte und deswegen auch für höhere Weihen geeignet war. In Sachsen, Brandenburg, Thüringen, Hamburg und im Saarland standen 2004 Landtagswahlen vor der Tür und außer in Brandenburg gab es für die SPD nicht wirklich viel zu hoffen und zu erwarten.

Anfang Februar 2004: Vielleicht spielte auch das eine Rolle für eine Entscheidung, welche im politischen Berlin wie eine Bombe einschlug. Schräder trat zurück! Als SPD-Parteivorsitzender, aber natürlich nicht als Bundeskanzler, der Mann war schließlich nicht völlig bescheuert, der wußte schon ganz genau, auf welches Amt man verzichten konnte. Dan Mützewirsing wurde zu seinem Nachfolger auserkoren und das begeisterte die Genossen dermaßen, daß plötzlich von Aufbruchstimmung die Rede war. Klar, Bernhard Schräder war zwar jahrzehntelanges Parteimitglied, aber seine knapp fünfjährige Zeit als Parteivorsitzender war eine Vernunftentscheidung gewesen, nachdem Afroträne im März 1999 plötzlich hingeschmissen und bildlich geschrieben auf den roten Teppich im Billy-Rand-Haus geschissen hatte, falls es dort so etwas überhaupt gibt. Jedenfalls freuten sich sowohl Schräder als auch die SPD-Parteimitglieder darüber, nicht länger so stark aufeinander angewiesen zu sein. Mützewirsing sollte der neue Ausputzer auf dem Spielfeld werden, der Schräder den Rücken freihalten sollte, damit jener endlich wieder aufs gegnerische statt aufs eigene Tor schießen konnte.

Zwei Sozialdemokratinnen unterhielten sich über die neue Situation: "Also als Genossin finde ich die Entscheidung richtig, aber als Frau hätte ich den Schräder schon lieber als Parteivorsitzenden gehabt. So ein schöner Mann", fand die Eine. "Absolut. Da konnte man immer so schön träumen und sich lebhaften sexuellen Phantasien hingeben, wenn der eine Rede gehalten hat. Der war immer so kämpferisch und energisch, ein richtiger Machtmensch, ein Macher halt." "Ja, aber der Dan ist natürlich besser für die verstörte Seele unserer Partei. Allerdings weiß ich nicht, ob ich bei dem feucht werde." "Das wird in der Tat sehr schwierig. Klar, die Jungs mußten etwas unternehmen, so konnte es nun wirklich nicht weitergehen. Vielleicht war das wirklich der Befreiungsschlag, den unsere Partei unbedingt gebraucht hat, aber ob wir deswegen jetzt plötzlich wieder Wahlen gewinnen werden?" "Das kann ich mir auch beim besten Willen nicht vorstellen. Wir haben unsere Anhänger dermaßen vergrätzt, daß die nichts mehr von uns wissen wollen, was durchaus nachvollziehbar ist. Na ja, wir müssen halt in Zukunft versuchen, uns auf den Parteitagen den Dan schön zu saufen." "Das wird nicht leicht, aber irgendwie bekommen wir das schon hin. Hauptsache, die Basis ist erst mal befriedet." "Ganz genau. Aber mein Schräder-Poster lasse ich trotzdem hängen."