Arkadiertod

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Doch auch der neue König hatte für Sans,Souci. nicht viel übrig.

Er fühlte sich wohler in seiner Wohnung im Stadtschloss. Friedrich Wilhelm liebte es, mit seiner jungen, schönen Frau, der Königin Louise, wie ein normaler Bürger durch die belebten Straßen zu flanieren und unter einfachen Leuten zu sein.

Die Sommermonate verbrachte er draußen in Paretz, einem kleinen Mustergut unweit des Städtchens Ketzin. Paretz konnte man schwerlich als Schloss bezeichnen. Das ehemalige Gutshaus hatte der junge Prinz nur ein wenig umbauen lassen. Der ländliche Charakter des vom Hofe etwas spöttisch auch als Schloss »Still ins Land« bezeichneten Anwesens, gefiel dem Königspaar. Sie hatten dort draußen ihre beste Zeit.

Jetzt war Sans,Souci. verlassen vom Hofbetrieb wie ein verwunschener Garten. Dem Königspaar schien Sans,Souci. einfach zu protzig. Man merkte dem Park die höfische Vernachlässigung an. Es gab zwar noch immer die Hofgärtner und Parkwächter, aber Sans,Souci. hatte schon etwas Patina angesetzt.

Die Melonerie produzierte immer noch seltenes Obst für die Hofküche, es blühten immer noch seltene Sträucher und exotische Bäume im Park und zahlreiches Federvieh belebte immer noch die kleinen Kanäle. Aber es war ein stilles, nicht mehr so prächtiges Dasein. Der Park schien in einen Dämmerschlaf gefallen zu sein und wartete auf den Kuss eines Prinzen.

Dieser Prinz kam. Jedoch nicht der erhoffte Preußenprinz. Es war ein vollkommen anderer Prinz, einer der nach Pulver roch und mit blank gezogenem Säbel auf einem weißen Hengst durch die Straßen Potsdams ritt. Seine mediterranen Gesichtszüge mit der scharf geschnittenen Nase, den dunklen, misstrauisch blickenden Augen und dem schwarzen Haar, das unter seinem Zweispitz hervorquoll, wiesen ihn eindeutig als Mann aus dem Süden aus. Dieser Südländer musterte misstrauisch alles, was sich links und rechts der Potsdamer Prachtstraße aufreihte. In seinem Gefolge ritten ebenfalls fremdländisch anmutende Offiziere in exotischen Uniformen.

Kein Preußisch Blau! Oh, nein!

Es war auch ein Blau, aber eher Pariser Blau. Dazu weiße Hosen in hohen schwarzen Stiefeln. Ganz offensichtlich keine Preußen!

Wenn sich diese Männer unterhielten, dachte man zuerst an die Tafelrunde des Alten Fritz. Dort herrschte ein ähnlicher Klang. Allerdings hatte dieses rau anmutende Mililtärfranzösisch nicht viel zu tun mit dem eleganten Salonfranzösisch der friderizianischen Zeit. Es waren die Offiziere der Napoleonischen Armee, die beim nächtlichen Einmarsch in Potsdam ihre Eindrücke austauschten. Der Mann, der schweigend an der Spitze seiner Offiziersgarde ritt, war der selbstgekrönte Kaiser und oberste Feldherr der Franzosen, Napoleon Bonaparte.

Der Korse lenkte sein Pferd Richtung Innenstadt. Dort warteten bereits die Honoratioren, angetreten, sich ihm zu unterwerfen. Sie hofften, so der Plünderung der Stadt zu entgehen. Napoleon wusste das und grinste unverschämt als er die schlotternden Stadträte in Reih und Glied strammstehen sah.

Gespenstische Stille herrschte, als der Sieger in der Nacht die alte preußische Residenzstadt Potsdam kampflos übergeben bekam. Alle schauten gespannt auf ihn. Ihr Wohl und ihr Leben hingen von dem Willen dieses Mannes ab, dessen Mimik schwer zu deuten war.

Der Korse unterhielt sich kurz mit dem Bürgermeister, der eifrig dienerte und katzbuckelte. Dann verschwand der Kaiser mit einigen seiner Generäle in der Garnisonkirche. Das Volk munkelte, er sei hinab gestiegen in die Gruft, da, wo der Alte Fritz lag. Sogar seinen Hut soll er gezogen haben, als er an dessen Katafalk stand.

Einer der Stadträte, die mit einer Laterne vorangegangen waren, hätte sogar gehört, dass Napoleon zu seinen Generälen etwas gesagt habe. »Wenn er noch gelebt hätte, wäre ich nicht hier.« Jedenfalls, ob nun wirklich gesagt oder nur der Fantasie des allzu diensteifrigen Beamten entsprungen, es spielte ja nun auch keine Rolle mehr.

Die Franzosen waren kampflos in Preußen einmarschiert und hatten das ganze Königreich auf dem Präsentierteller überreicht bekommen. Die Schande blieb haften. Ein Eilbote vermeldete dem Franzosenkaiser, dass sich auch Spandau, die letzte Festung vor Berlin, ergeben hatte. Der Weg in die Hauptstadt war frei.

Napoleon verbot beim Auszug aus Potsdam, dass die Stadt und der königliche Park mit seinen Schlössern geplündert werden und stellte sie unter seinen persönlichen Schutz.

IV

Berlin, Brandenburger Tor

Montag, 27. Oktober 1806


Die ganze Stadt war auf den Beinen. Heute Nachmittag sollte er kommen. Der Himmel strahlte sommerlich heiter. Kein Wölkchen verdarb diesen reinen Eindruck. Als ob Napoleon mit den höheren Mächten einen Pakt geschlossen hätte. Sein triumphaler Einzug in die Stadt beschäftigte die Berliner nun schon seit Tagen.

Der Preußenkönig war geflohen, seine gesamte Familie war ihm schleunigst gefolgt. In Küstrin solle er inzwischen angekommen sein. Von da aus wolle er mit seiner Luise und den Kindern, die inzwischen wohl auch dort angekommen waren, weiter Richtung Königsberg und Memel, in die äußersten Ostprovinzen des Königreichs.

Auch die Minister seines Hofstaats und die obersten Ministerialbeamten des Kabinetts waren verschwunden. Die Stadt war sich selbst überlassen.

Für drei Uhr am Nachmittag war der große Triumpheinzug geplant. Napoleon hatte mit seiner Tête Schloss Charlottenburg als Quartier besetzt. Durch den Tiergarten wollte er reiten und auch durch das Brandenburger Tor marschieren.

Der symbolische Akt sollte letztendlich jedem verbliebenen Bürger klarmachen, wer jetzt in Preußen das Sagen habe.

Napoleon wusste Bescheid, was die Wirkung seiner persönlichen Präsenz und seiner siegreichen Armee anging. Die Soldaten, Kürassiere und Dragoner hatten allesamt ihre Paradeuniformen angelegt, die Pferde gestriegelt und die Kanonen poliert.

Die Regimentsfahnen waren ausgebessert worden und wurden in einem bunten Zug vorweg getragen.

Berlin bekam eine Militärparade geboten, wie sie selbst zu Zeiten des Alten Fritz nicht prächtiger hätte sein können.

Überall blinkende Messinghelme mit langen Schweifen, schneidige Marschmusik. Zu den Klängen der Marseillaise marschierten laut singende Soldaten. Rassige Pferde und beeindruckende Kanonen, die soeben noch ihre todbringenden Kugeln in die preußischen Linien gefeuert hatten, verstopften die Berliner Straßen.

Ehrensalven wurden abgefeuert, Trommelwirbel kündigten immer neue Divisionen an. In den Reihen der Napoleonischen Armee marschierten Italiener, Spanier, Rheinländer und ein Janitscharenregiment, das seit dem Ägyptenfeldzug mit dabei war.

Vorneweg marschierten die unheimlichen Mameluckenverbände in exotischer Tracht, dann die gefürchteten Chausseurs zu Pferde, ihnen folgten Grenadierregimenter und die Artilleristen. Dann kamen die Kürassiere.

Die Berliner waren zutiefst beeindruckt von diesem Schauspiel. Alle wollten einen Blick auf den Herrn dieser prächtigen Armee werfen. Man sah überall die Marschälle und Generäle in ihren Prachtuniformen herumreiten, aber wo war er?

»Vive l’empereur!«-Rufe wurden laut.

Ein kleines Spalier öffnete sich und da kam er geritten. Auf einem weißen Schimmel saß er leutselig lächelnd. In einer unscheinbaren dunkelgrünen Uniform ohne Verzierungen, auf dem Haupte einen schwarzen Zweispitz und einen mausgrauen Mantel lässig über die Schultern gehangen. Das sollte der große Napoleon sein?

Er war auch gar nicht so klein, wie immer von den Preußenoffizieren erzählt wurde. Auf dem Pferd saß ein Mann, knapp fünfeinhalb Fuß groß, so wie die meisten Berliner es auch waren.

Jedenfalls starrten die Berliner diese ganze Prozession an, als ob sie den Jahrmarkt im Himmel sehen würden. Ungeniert interessierten sie sich für die fremdländischen Leute und fassten alles an, was ihnen suspekt vorkam. Die Janitscharen mussten es sich gefallen lassen, dass vorwitzige Berliner Jungfern ihnen an den Bartspitzen zogen und die kleinen Jungs zeigten viel Interesse an den blitzenden Säbeln und Geschützen.

Nach ein paar Stunden herrschte Volksfeststimmung. Die große Parade hatte sich aufgelöst und die Soldaten feierten sich inmitten der ausgelassenen Berliner, die ihre Angst überwunden hatten. Nein, es gab keine Plünderungen und die Soldaten hatten wohl strikte Orders bekommen, sich zurück zu halten. Wein und anderes Hochprozentiges flossen in Strömen, es wurde getanzt und gelacht. Berlin hatte sich schnell arrangiert mit seinen neuen Besatzern.

Die Franzosen waren anfangs skeptisch. Immerhin waren sie ja als feindliche Besatzer eingerückt. Man witterte Hinterhalte und suchte nach Widerständlern. Doch nichts!

Alles, was sich noch vor wenigen Tagen ihnen kämpfend in den Weg gestellt hatte, war weg. Keine einzige preußische Uniform war mehr zu sehen.

Das Stadtschloss wurde von Napoleon symbolisch in Besitz genommen. Im Lustgarten hatten die wichtigsten Regimenter eine Art Biwak aufgebaut und überall in der Stadt waren große Lagerfeuer in den Straßen errichtet worden, die das ganze Treiben illuminierten.

Am Brandenburger Tor hatten sich die Stadtobersten, also die Reste des Magistrats und eine Bürgerdeputation aufgestellt. Der von Napoleon als Stadtkommandant eingesetzte General Hulin platzierte sich etwas abseits der Magistratsherren. Hinter ihm bezogen die Männer der städtischen Schützengilde in bunten Karnevalsuniformen Stellung, um dem Ganzen einen etwas feierlicheren Rahmen zu geben.

Glockenläuten aller Berliner Kirchen kündigte den Kaiser an. In den Fenstern der Prachthäuser standen Damen mit weißen Tüchern, die diese schwenken sollten. In ihren Augen standen Tränen, ob nun aus Rührung oder aus Trauer, es ließ sich von unten nicht so genau beobachten.

 

Eine Abordnung des Magistrats überreichte symbolisch Napoleon den Rathausschlüssel. Ursprünglich hatte dieser die Schlüsselübergabe abgelehnt, doch dann überraschend der Zeremonie zugestimmt.

Während der Übergabe riefen die Generäle und bestellten Claqueure: »Hoch, es lebe der Kaiser!«

In einer stilleren Ecke am Rande des großen Platzes vor dem Tor stand eine kleine Gruppe von Männern in unscheinbarer Zivilkleidung. Sie schienen seltsam unberührt von dem ganzen Zeremoniell zu sein, zeigten keinerlei Begeisterung und beobachteten das Ganze mit stoischer Miene.

Einer der Männer der Gruppe war der Überbringer der ersten Unglücksbotschaften von den Schlachtfeldern im Thüringischen. Es war Kammergerichtsrat Bogislav von Hummel, der als Sondergesandte des Königs die Verbindung nach Berlin halten sollte. Neben ihm standen weitere preußische Verwaltungsleute, deren Posten jetzt wahrscheinlich vakant wurden. Ein großgewachsener Mann mit leicht graumeliertem Haar ragte etwas heraus aus der Gruppe. Es war der Archivarius Ottmar von Lindhorst dem das Geheime Staatsarchiv unterstand. Dort hatten nur er und zwei ihm untergebene Assistenten Zugang. Die weiteren Herren der kleinen Gruppe waren Konrektor Anselmus Paulmann, der Geheime Hofrat Erasmus Spykher, Justizrat Alois von Vach, der Geheime Sekretarius Cyprian Drosselmeyer und Medizinalrat Eugen Eisenbaum.

Diese sehr ehrenwerten Herrschaften hätten eigentlich mit bei der Bürgerdeputation am Brandenburger Tor stehen sollen, um dem Kaiser Napoleon ihre Aufwartung zu machen. Aber sie hielten sich abseits, steckten ihre Köpfe zusammen und unterhielten sich mit gedämpfter Stimme.

Lindhorst berichtete mit gesenkter Stimme: »Die Königin hat vor ihrer Abreise unserem Minister von Hardenberg noch Orders gegeben. Auch Hardenberg ist untergetaucht. Napoleon hegt gegen ihn einen speziellen Argwohn. Er glaubt, dass unser Minister ein Drahtzieher des möglichen Widerstands gegen ihn sein könnte.«

Spykher konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen: »Da hat der Korse wohl gar nicht so Unrecht!«

Eisenbaum gab dem schmächtigen Spykher einen Klapps: »Psst! Es wimmelt hier von offenen Ohren! Bleibt ruhig!«

Der Zurechtgewiesene sah dem rundlichen Eisenbaum in die Augen. Er hatte ja Recht. Man wusste im Moment leider nicht, wer Freund und wer Feind war. Fassungslos mussten die Männer der kleinen Gruppe zusehen, wie alle Amtsträger und besseren Bürger den einmarschierten Franzosen huldigten. Vor ein paar Monaten noch hatten diese Renegaten patriotische Reden gehalten. Davon war jetzt nichts mehr übrig. Man vergaß schnell.

Drosselmeyer gab das Zeichen zum Aufbruch. »Ich glaub‘, wir haben genug gesehen. Lasst uns noch einen Schoppen Riesling trinken. Dort ist es vielleicht auch etwas ruhiger.« Er nickte mit dem Kopf Richtung Weinhaus »Dapertutto«, das sich unweit des Tores in der Friedrichstraße befand.

Gemessenen Schrittes entfernten sich die Männer vom Trubel und verschwanden in der stillen Friedrichstraße.

V

Berlin, Gendarmenmarkt

Montagabend, 27. Oktober 1806

Der Gastwirt vom »Dapertutto«, ein quirliger Italiener, holte aus seinem Keller erneut ein paar Flaschen seines besten Brunello di Montalcino für die illustre Runde, die sich in dem kleinen, offenen Separee um den runden Tisch versammelt hatte.

Mit großem Hallo wurden die neuen Weinflaschen begrüßt. Der Sprachführer der Runde, ein hochgewachsener Mann mit graumeliertem Backenbart und ehrwürdigem Schnauzer, bat um Aufmerksamkeit. »Silentium! Silentium, meine Herren! Ich bitte Sie …«

Er klopfte mit einem kleinen Stift an sein Weinglas, so dass alle Köpfe sich ihm zuwandten.

»Lasst uns zu Potte kommen. Wir sind allesamt hier versammelt, um unserer gemeinsamen Absicht einen entsprechenden Rahmen zu geben. Lasst uns einen Bund gründen, dessen hehre Ziele in einem einzigen Satz zusammengefasst werden können: In den Staub mit den Feinden Preußens!«

Die versammelten Männer nickten zustimmend und wiederholten diesen letzten Satz fast wie ein Gebet: »In den Staub mit den Feinden Preußens!«

Allen war die hohe Symbolkraft dieser Parole bewusst. Sie waren allesamt keine Militärs oder andere zum Heldentum neigenden Leute. Eher das Gegenteil, preußische Beamte und Verwaltungsmenschen – aber ihnen war die gegenwärtige Situation mit den vielen Besatzungssoldaten und einem König fernab von seiner Residenz hochgradig suspekt.

Der Sprecher der kleinen Gruppe, der Archivarius Lindhorst, dem die fremden Okkupanten die meisten Sorgen bereiteten – immerhin verwaltete er das Geheime Staatsarchiv, wo alle Staatsgeheimnisse, fein säuberlich zu Papier gebracht, lagerten – hatte einen vorbereiteten Zettel aus seiner Brusttasche hervorgeholt.

Es war eine Art Gründungsurkunde. Lindhorst verstand sich bestens auf das Verfassen solcher Papiere, er hatte dauernd damit zu tun.

Er schob das Pamphlet in die Mitte des Tisches. Zögerlich griffen die anderen zu. Konrektor Paulmann, Leiter eines populären Gymnasiums am anderen Ende der Stadt, das vor allem von den Sprösslingen der höheren Beamten und der Bediensteten bei Hofe besucht wurde, las es halblaut vor: »Wir Endesunterzeichnenden, verpflichten uns, unter Wahrung totaler Verschwiegenheit, selbst gegenüber unseren Familien, zu folgenden hehren Zielen, die, so möge Gott uns helfen, trotz ihrer augenscheinlichen Niedertracht, dennoch zum Wohle unseres Vaterlandes dienen sollen:

Beseitigung des Usurpators Napoleon mittels eines Anschlags

Wiedereinsetzung unseres Königs, seiner Majestät Friedrich Wilhelm III. und seiner liebreizenden Königin Luise in ihre gottgewollte Stellung als Landesoberhaupt unseres preußischen Vaterlandes

Vertreibung aller fremden Soldaten vom preußischen Staatsgebiet

Dazu verpflichten sich feierlich mit ihrem Blut …«

Es folgte ein freier Bereich auf dem Dokument, der durch Unterschrift besiegelt werden sollte.

Lindhorst ließ vom Wirt des »Dapertutto« Feder und Tinte bringen. In einem feierlichen Moment setzte er als erster seine schwungvolle Unterschrift aufs Papier. Die Tinte war noch nicht trocken, als er mit einem kleinen Stilett seinen rechten Zeigefinger ritzte und neben seine Unterschrift einen Blutstropfen platzierte.

Alle beobachteten schweigend dieses feierliche Ritual. Lindhorst schob das Dokument seinem rechten Nachbarn zu, dem Hofrat Spykher, der ähnlich wie Lindhorst einer Geheimen Behörde der Preußischen Gendarmerie angehörte und voller Unbehagen die Entwicklung der letzten Monate beobachtet hatte.

Spykher war ein eher unscheinbarer Mann, mittelgroß, graues Haar, stets mit einem Monokel ausgerüstet um seine Kurzsichtigkeit auszugleichen. Das Monokel verlieh dem unscheinbaren Mann eine gewisse Strenge und alle Leute in seiner Umgebung zollten ihm, ohne zu wissen, wer er wirklich war, entsprechenden Respekt. Auch Spykher unterzeichnete mit einem großen schwungvollen Duktus das Dokument, ließ einen Blutstropfen neben sein Signet fallen und schob das Papier weiter zum Secretarius Drosselmeyer, einem nachdenklichen Mann, dessen Alter nur schwer einzuschätzen war.

Drosselmeyers Gesicht wurde von einem gewaltigen dunklen Backenbart geziert, auch seine Augenbrauen erweckten den Eindruck, als ob sie ihren Besitzer davor bewahren sollten, zu viel von seiner Persönlichkeit preiszugeben. Ein dichtes Gestrüpp dunkler Haare wölbte sich über seinen kleinen, wieselflinken Augen, die hinter einer neumodischen Brille alles in seiner Umgebung musterten und zu bewerten schienen. Um seine Mundwinkel hatten sich zahlreiche Falten gebildet. Drosselmeyer war augenscheinlich kein Freund von Humor. Das hing wohl auch mit seinem besonderen Stande bei Hofe zusammen. Er gehörte ins direkte Umfeld des Ministers von Hardenberg und galt als einer seiner Vertrauten.

Er schob das Papier seinem direkten Nachbarn zu, Konrektor Anselm Paulmann, dem mit einer großen Leibesfülle ausgestatteten Konrektor, der mit einem karierten Taschentuch ständig seine vom Weingenuss ins Schwitzen gekommene Stirn abwischen musste. Auch Paulmann unterzeichnete und presste einen Blutstropfen aufs Blatt. Stolz betrachtete er sein Werk bevor er es weiterschob zum Justizrat Alois von Vach.

Der war ein eher spröder Zeitgenosse. Ein Mann der Paragraphen durch und durch. Am Kammergerichtshof bekleidete von Vach eine höhere Position, über die er nur sehr ungern sprach. Man munkelte, er wäre einer der Beisitzer bei den spektakulären Geheimprozessen gegen die Ministerialbeamten des Vorgängers von König Friedrich Wilhelm III. gewesen.

Zu Zeiten des Königs Friedrich Wilhelm II., eines Lebemannes, der überall im Lande nur als der »dicke Lüderjahn« bekannt war, hatte eine unheimliche Clique von Leuten aus dem Umfeld der Minister von Bischoffswerder und von Woellner de facto die Geschicke des Landes bestimmt. Der König war in den Händen seines Finanzministers Woellner eine willfährige Marionette, damit beschäftigt, seine Maitresse, die Gräfin Lichtenau mit immer neuen Surprisen zu unterhalten. Diese Leute gehörten dem Geheimbund der Rosenkreuzer an und versuchten aus dem libertären Preußen des Alten Fritz eine Art Gottesstaat zu machen. Erst als der »dicke Lüderjahn« gestorben war und dessen junger Sohn den Thron bestieg, wurde mit dieser Günstlingswirtschaft aufgeräumt.

Woellner und Bischoffswerder wurden in den Ruhestand versetzt und aus Berlin verwiesen. Ihre Anhänger aus dem Umfeld des Hofes entfernt. Vach sollte damals eine bedeutende Rolle bei diesen Säuberungen gespielt haben.

Der mittlerweile in die Jahre gekommene Vach schrieb bedächtig seine Unterschrift und ebenso bedächtig ritzte er seinen linken Zeigefinger, um diesen dann neben seine Unterschrift zu tippen.

Als nächster war der Kammergerichtsrat Bogislav von Hummel an der Reihe. Ein finster dreinblickender Mann mit pechschwarzem Haar, das ihm wild und störrisch in die Stirn fiel. Hummel war ein spezieller Vertrauter Hardenbergs und oft als dessen persönlicher Ordinarius im Einsatz. Ständig war er im Auftrag des Ministers unterwegs um wichtige Nachrichten zu überbringen. Hummels Unterschrift machte seinem Namen alle Ehre, glich sie doch dem unsteten Flug dieses friedfertigen Kerbtiers. Auch Hummel piekte sich den Zeigefinger, um ein Blutmal neben sein Signum zu setzen.

Der letzte in der Runde war der Medizinalrat Eugen Eisenbaum. Ein ruhiger Mann mit wachen Augen. Eisenbaum war Militärarzt an der Pépinière, einer Ausbildungsstätte für die Wundärzte der Preußischen Armee. Er unterrichtete die jungen »Pfeiffhähne«, so wurden die Studenten des Hauses im Berliner Jargon genannt, in den wichtigsten Grundlagen der Chirurgie, nebenbei lehrte er Militärkunde und war auch für das körperliche Wohl seiner Untergebenen zuständig. Oftmals sah man ihn mit einer Gruppe »Pfeiffhähne« an der Spree, wo er ihnen die hohe Kunst des Schwimmens beibrachte. »Ein gesunder Geist braucht auch einen gesunden Körper.«, wurde er des Öfteren zitiert.

Speziell dem Mesmerismus sei Eisenbaum sehr zugetan. Er hätte einige spektakuläre Ergebnisse mit dieser ungewöhnlichen Heilmethode erzielt. Allerdings sprach er nicht gern darüber.

Irgendetwas an den übernatürlichen Kräften, die da wohl am Werke wären, schien ihm nicht zu gefallen. Und als Quacksalberei oder gar Scharlatanerie wollte er sein Fach nicht verstanden wissen.

Auch Eisenbaum leistete seine Unterschrift und den Blutzoll auf dem Dokument.

Drosselmeyer hatte für den neu gegründeten Geheimbund den etwas pathetischen Namen »Gesellschaft zur Rettung des Vaterlandes« vorgeschlagen. Lindhorst winkte ab. Viel zu durchsichtig wäre dieser Name. Man sollte doch eher auf etwas Harmloses zurückgreifen, falls denn mal wirklich Fragen aufkommen sollten. Vielleicht »Botanischer Freundeskreis« oder »Liebhaber der lateinischen Sprache«. Spykher nickte. Ja, unbedingt solle der Name für Außenstehende irreführend sein. Man wisse ja nie, was so alles noch passieren würde in diesen unruhigen Zeiten. Mit einem Blick zum Wirt des »Dapertutto« wies er darauf hin, dass man niemandem wirklich trauen könne.

Die anderen Männer der Runde stimmten ihm zu. Vorsichtig sahen sie sich um. Das Wirtshaus war leer. Nur ganz hinten an einem kleinen Rundtisch saß ein kleiner Mann, der dem Wein schon sehr zugesprochen zu haben schien. Mit glasigem Blick stierte er zu den Männern im Separee. Trotz der dem Wein geschuldeten Schieflage schienen sich seine tiefliegenden dunklen Augen in die Köpfe der Männer zu bohren und jeden Gedanken zu erraten.

 

Er konnte zwar nicht hören, was sie besprachen, aber er wusste, wer diese Männer waren.

Es war ein junger Assessor, der im östlich gelegenen Warschau angestellt war. Interessiert an den neuen Zuständen in Preußen war er kurzerhand nach Berlin gereist. Was er sah, versetzte ihm einen Schock. Für seine Zukunft sah er schwarz. Seinen Kummer ersäufte er im Wein. Lindhorst kannte ihn flüchtig. Der junge Beamte war kurzzeitig auch schon als Hilfsassessor in seinem Geheimen Staatsarchiv tätig. Hoffmann hieß er, ja, Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann, und aus dem ostpreußischen Königsberg kam er. Ein hochbegabter Mann mit besten Zeugnissen, aber auch renitent, feierfreudig und den schönen Dingen des Lebens nicht abgeneigt. Ob man ihm trauen könne? Lieber nicht.

Der stark angetrunkene Mann mit dem schwarzen Strubbelkopf bemerkte, wie er von den ehrwürdigen Herren misstrauisch gemustert wurde. Schwankend erhob er sich, trat an den Tisch der Runde heran und lallte mit schwerer Zunge: »Meine Herren! Sie gestatten doch, dass ich mich vorstelle. Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus, Assessor, jawohl, preußischer Assessor, in Warschau, leider nicht mehr lange …« Dann kicherte er und schüttelte den Kopf. »Und Sie, meine Herren, Sie sind ja hier alle in Berlin … Was machen sie denn nun? Die Franzosen haben alles übernommen. Hihi! Konspirieren Sie doch nicht etwa? Geheimbünde … sie wissen schon, davon gab’s ja immer genug hier in Preußen. Hihi!«

Betretenes Schweigen herrschte. Sollte ihr Vorhaben unter einem ungünstigen Stern stehen? Ein Betrunkener, der noch dazu gar nicht aus Berlin war, hatte mit ein paar Worten die gesamte Situation fast zum Kippen gebracht. Lindhorst hatte als erster die Fassung gewonnen.

»Ah, jaah … Ich erinnere mich. Herr Assessor Hoffmann, vor ein paar Jahren waren Sie doch als Assistent bei mir. Aber, wenn ich mich recht erinnere, war doch Ihr Name Ernst Theodor Wilhelm und nicht Amadeus?

Gab es da nicht irgendeinen klitzekleinen Skandal?

War da nicht etwas mit einem Karnevalsscherz in Posen?

Waren Sie da nicht mit verwickelt?

Naja, ist ja jetzt auch egal …Wie steht‘s in Warschau? Noch ist dort wohl kein Franzose aufgetaucht. Man munkelt aber, dass die Polen sich wohl auf seine Seite schlagen werden …«

Der kleine Mann sah in aus seinen dunklen Augen ungeniert musternd an. »Ich habe den Willem gegen den Amadeus getauscht. Es ist nur eine kleine Hommage dem großen Mozart gegenüber. Willems gibt es in Preußen wie Sand am Meer, Amadeusse fehlen jedoch. Da könnten wir ruhig noch ein paar von vertragen.

Aber, was die Franzosen angeht, nun, da sehe ich schwarz. Damit werden wir leben müssen. Wer weiß, wie lange Preußen so noch existieren kann. Wir werden in Zukunft noch sehnsüchtig an Preußen denken. So, wie einst die alten Griechen von ihrem Arkadien schwärmten, so werden wir wohl von unserem Preußen träumen. Hihi. Ein Hoch auf Arkadien! Auf unser preußisches Arkadien!«

Er prostete den Männern zu und wankte wieder zurück auf seinen Platz am anderen Ende des Schankraums. Dort fiel er mit einem Seufzer zurück auf seinen Stuhl, sackte in sich zusammen und schlief ein.

Nach ein paar Minuten fiel die Anspannung von den Männern ab. Sie bemerkten, dass von Hoffmann keine Gefahr ausging.

Lindhorst stand kalter Schweiß auf der Stirn. Er erhob sich und verkündete mit leiser Stimme: »So lasst uns denn unseren Bund in Anspielung auf dieses nette Bonmot des Herrn Assessor Hoffmann auf den Namen Arkadischer Bund taufen. Das ist unverfänglich und dennoch wissen wir, wovon wir sprechen bei Nennung des Namens. Besser hätten wir es wohl nicht auf den Punkt bringen können.«

Alle nickten und schnell waren sich die Männer einig, sich als Arkadier zu bezeichnen. Draußen schlugen die Glocken zur Mitternacht. Es war still geworden in den Straßen Berlins. Nichts erinnerte an den Einmarsch Napoleons. Die Laternen leuchteten, als ob nichts passiert wäre. Ein fahler Mond schien in die klare Oktobernacht, die erstaunlich warm war. Graue Gestalten schlichen im Schatten der Häuser durch die Nacht. In seinem Zimmer im Gasthof »Dapertutto« schlief der Assessor Hoffmann seinen Rausch aus, träumte von unheimlichen Gestalten, die als Gespenster in seinem Unterbewusstsein herumspukten und noch für viele schlaflose Nächte sorgen würden.