Klausurenkurs im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht

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d) Niederlassungsfreiheit

89

Die Notwendigkeit, einer deutschen GmbH den Wegzug als solchen zu gestatten, könnte durch die europarechtliche Niederlassungsfreiheit geboten sein. In der jüngeren Rechtsprechung ist der EuGH bisher nie von der Entscheidung Daily Mail[11] abgerückt, wonach eine (steuerrechtliche) Wegzugsbeschränkung nicht gegen Art. 52, 58 EWGV aF verstieß. Die nachfolgenden Entscheidungen (dazu noch Rn 110) befassen sich mit Situationen, in denen einer in einem Mitgliedstaat wirksam gegründeten Gesellschaft von einem anderen Mitgliedstaat Beschränkungen hinsichtlich Zuzug, Niederlassungsgründung oder Rechtsfähigkeit nach Sitzverlegung auferlegt wurden. Die als Wegzugsverbot wirkende Versagung eines identitätswahrenden Statutenwechsels bedeutet nur eine Beschränkung der Freizügigkeit gegenüber deutschen Gesellschaften und damit allenfalls eine Inländerdiskriminierung. Der EuGH hat dies in der Entscheidung Cartesio[12] entgegen der verbreiteten Gegenansicht bestätigt: Es steht jedem Mitgliedstaat frei, das Recht zu bestimmen, dem Gesellschaften unterliegen, die als Gesellschaften dieses Mitgliedstaates zu behandeln sind; dies gilt auch bei Sitzverlegung. Daran hat sich auch durch die Entscheidung Polbud[13] nichts geändert, weil auch diese Entscheidung den Wegzugsstaat nur zur Anerkennung der Weiterexistenz als Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats zwingt. Deutsches Recht darf also eine mit Verwaltungs- oder Satzungssitz wegziehende deutsche Gesellschaft als nicht mehr deutsche Gesellschaft behandeln; es darf auch, wie dies nun § 4a GmbHG tut, nur die Verlegung des Verwaltungssitzes erlauben. Gegen Art. 49, 54 AEUV kann es nur verstoßen, wenn der Wegzug aus Sicht des bisherigen Heimatstaats zwingend die Gesellschaft auflöst und ihr damit verboten wird, sich unter Änderung des Gesellschaftsstatuts in eine Gesellschaftsform des neuen Sitzstaats umzuwandeln.[14]

e) Rückverweisung durch neues Sitzrecht

90

Die Verlegung des Verwaltungssitzes könnte jedoch ohne Bedeutung sein, wenn es auch nach der Sitztheorie durch Rückverweisung nicht zu einem Statutenwechsel käme. Die Anknüpfung an den jeweiligen effektiven Verwaltungssitz (vgl Rn 79) führt nach dem Umzug des Geschäftsführers Weise nach London in das Recht des UK. Die Verweisung ist Gesamtverweisung (Art. 4 Abs. 1 EGBGB). Das UK ist ein Mehrrechtsstaat (England und Wales, Schottland, Nordirland). Das IPR ist nur teilweise vereinheitlicht; das Internationale Gesellschaftsrecht ist unkodifiziert. Es ist daher eine Unteranknüpfung nach Art. 4 Abs. 3 EGBGB zu ermitteln. Mangels eines einheitlichen interlokalen Rechts des UK ist an die engste Verbindung, hier (London) englisches Recht, anzuknüpfen. Das englische IPR folgt der Gründungstheorie (MAT c); es verweist deshalb zurück auf deutsches Recht. Damit kommt es auch bei Anwendung der Sitztheorie auf die wegziehende Gesellschaft nicht zum Statutenwechsel; die GmbH besteht mit einem deutschen Gesellschaftsstatut fort.

f) Parteifähigkeit nach deutschem Recht

91

Die Parteifähigkeit ergibt sich damit nach allen vertretenen Ansichten aus § 50 Abs. 1 ZPO iVm § 13 Abs. 1 GmbHG.

2. Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte
a) Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO

92

Anwendbar könnte die Zuständigkeitsordnung der Brüssel Ia-VO sein.

aa)

93

Intertemporal gilt die VO für alle Klagen, die seit dem 10.1.2015 erhoben werden (Art. 66 Abs. 1 Brüssel Ia-VO).

bb)

94

Der materielle Anwendungsbereich (Zivil- oder Handelssache, Art. 1 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) ist eröffnet, Ausnahmen nach Art. 1 Abs. 2 Brüssel Ia-VO liegen offensichtlich nicht vor.

cc)

95

Räumlich müsste die beklagte Komm kaufen wir‚s! GmbH Sitz in einem Mitgliedstaat haben (Art. 5 Abs. 1 Brüssel Ia-VO). Für die Bestimmung des „Wohnsitzes“ einer Gesellschaft enthält die Brüssel Ia-VO – anders als vormals das EuGVÜ – keine Verweisung auf nationales Recht, sondern in Art. 63 Brüssel Ia-VO eine autonome Definition, die alternativ den satzungsmäßigen Sitz, die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung genügen lässt. Art. 63 Abs. 2 Brüssel Ia-VO definiert „im Falle des UK“ den satzungsmäßigen Sitz mit englischen Rechtsbegriffen. Nach dem Zweck des Art. 63 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, den Streit um das Gesellschaftsstatut aus der Anwendung der VO herauszuhalten, bedeutet das jedoch nicht eine Beschränkung auf die Art. 63 Abs. 2 Brüssel Ia-VO zugrundeliegende Gründungstheorie, wenn das Recht des UK berührt ist, sondern nur eine Ausfüllung des Begriffs „Satzungssitz“ innerhalb der alternativen Definition des Art. 63 Abs. 1 Brüssel Ia-VO.

Da die Komm kaufen wir‚s! GmbH ihre Hauptverwaltung in London hat und das UK Mitgliedstaat iSd Brüssel Ia-VO ist (Erwägungsgrund Nr 40 Brüssel Ia-VO: Für das UK gilt die Brüssel Ia-VO aufgrund der Beteiligungserklärung nach Art. 3 Protokoll 21 zum EUV/AEUV), hat die GmbH ihren Sitz in einem Mitgliedstaat. Zudem hat sie ihren Satzungssitz in München; auch Deutschland ist Mitgliedstaat.

b) Verbrauchersache Art. 17 Brüssel Ia-VO

96

Anzuwenden sein könnten Art. 17 ff Brüssel Ia-VO, die für Verbrauchersachen gegenüber Art. 4 ff Brüssel Ia-VO mit den in Art. 17 Abs. 1 Brüssel Ia-VO genannten Ausnahmen vorrangig sind.

aa)

97

Es handelt sich um vertragliche Ansprüche; Feistl ist Verbraucher, denn er hat das Telefon nicht für seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit, sondern als Geschenk für seine Tochter gekauft.

bb)

98

Fraglich ist, ob eine der in Art. 17 Abs. 1 Brüssel Ia-VO enumerierten Vertrags- und Abschlusssituationen vorliegt. Zu erwägen ist nur Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO, da kein Teilzahlungs- oder Kreditkauf vorliegt. Die Komm kaufen wir‚s! GmbH hat den Vertrag in Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit geschlossen. Die Tätigkeit müsste im Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausgeübt werden; das ist fraglich, da die GmbH vom Server ihrer Geschäftsführung in London aus tätig wird. Es genügt aber nach dem insbesondere für den E-Commerce konzipierten Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO, dass die Tätigkeit „in irgendeiner Weise“ auf diesen Mitgliedstaat ausgerichtet ist. Hierfür genügt zwar nicht die rein werbende Internetpräsenz, die angesichts der weltweiten Zugangsmöglichkeit zum Internet grundsätzlich die ganze Welt erreicht. Andererseits sind weder ein Abschluss des Geschäfts über die Website noch unmittelbare Ursächlichkeit der Internetpräsenz für den Abschluss erforderlich Maßgeblich ist, dass der Unternehmer auf seiner Website den Willen zum Ausdruck bringt, Geschäftsbeziehungen zu Verbrauchern eines oder mehrerer Mitgliedstaaten, darunter des Wohnsitzstaates des Verbrauchers, herzustellen.[15] Erforderlich ist hierfür eine umfassende Würdigung der erkennbaren Umstände. Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO ist im vorliegenden Fall für Deutschland gegeben. Die Website ist wahlweise in deutscher Sprache zugänglich; die vorliegende Bestellung wurde (sogar) über die Website entgegengenommen. Diese online-Bestellmöglichkeit wird ausdrücklich für Kunden aus Deutschland angeboten; damit ist ein Ausrichten der Tätigkeit auf Deutschland anzunehmen.

c) Internationale Zuständigkeit

99

Für die Klage des Verbrauchers Feistl bestimmt sich die internationale Zuständigkeit damit nach Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia-VO.

Zuständig sind die deutschen Gerichte als Gerichte des Wohnsitzstaates des Verbrauchers (Art. 18 Abs. 1 Hs. 2 Brüssel Ia-VO, wo auch die örtliche Zuständigkeit mitgeregelt ist), wobei die Frage, ob Feistl in Deutschland Wohnsitz hat, gemäß Art. 62 Abs. 1 Brüssel Ia-VO nach deutschem Recht (§ 7 BGB) beurteilt wird.

Aber auch als Gerichte des Wohnsitzstaates des Vertragspartners sind (wahlweise) deutsche Gerichte zuständig, denn auch im Rahmen des Art. 18 Abs. 1 Hs. 1 Brüssel Ia-VO, der lediglich die allgemeine Zuständigkeit des Art. 4 Brüssel Ia-VO auf Verbrauchersachen erstreckt, gilt Art. 63 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, so dass der Münchener Satzungssitz genügt.

d) Örtliche Zuständigkeit

100

 

Fraglich ist weiter die örtliche Zuständigkeit

aa)

101

Art. 18 Abs. 1 Hs. 2 Brüssel Ia-VO regelt nach dem eindeutigen Wortlaut zugleich die örtliche Zuständigkeit. Das AG Passau ist also auch örtlich zuständig.

bb)

102

Die örtliche Zuständigkeit eines anderen deutschen Gerichts könnte sich nur ergeben, soweit sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte auf den Satzungssitz der Beklagten stützt. Die örtliche Zuständigkeit wird nicht von Art. 18 Abs. 1 Hs. 1 Brüssel Ia-VO mitgeregelt und bestimmt sich daher nach nationalem deutschem Recht.

Zu erwägen ist eine ausschließliche Zuständigkeit nach § 29c ZPO (Haustürgeschäft). Dazu müsste der Vertragsschluss im Internet eine § 312b Abs. 1 BGB unterfallende Abschlusssituation darstellen. In Betracht käme nur § 312b Abs. 1 Nr 1 BGB (mündliche Verhandlung in Privatwohnung); der „Dialog“ über das Internet kann jedoch der Verhandlungssituation nicht gleichgestellt werden, weil weder die zugrunde gelegte Überrumpelungslage noch der Druck zum Vertragsschluss besteht.

§ 17 Abs. 1 S. 2 ZPO folgt entgegen dem Anschein, der sich aus dem Wortlaut ergibt („wo die Verwaltung geführt wird“), nicht der im IPR geltenden Lehre vom effektiven Verwaltungssitz, sondern stellt nach hM auf den Satzungssitz ab. Örtlich zuständig ist damit auch das AG München, wo die GmbH ihren satzungsmäßigen Sitz hat.

Ergebnis:

103

Die Klage zum AG Passau ist zulässig; die Klage hätte auch vor dem AG München erhoben werden können.

Frage 3: Zulässigkeit der Klage zum Amtsgericht Passau
(Variante Delaware)
1. Parteifähigkeit der Come let‘s buy it Inc.

104

Im Verhältnis zwischen Deutschland und den USA gilt für das Gesellschaftsstatut Art. XXV Abs. 5 S. 2 des Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrags v. 29.10.1954.[16] Danach gelten Gesellschaften, die gemäß den Gesetzen des einen Vertragsteils in dessen Gebiet errichtet sind, als Gesellschaften dieses Vertragsteils, was die Gründungstheorie impliziert. Von wo aus die Gesellschaft verwaltet wird, ist hier also unerheblich. Nicht relevant ist damit im Verhältnis zu den USA die strittige Frage, ob in Konsequenz der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit, die nur für Gesellschaften aus EU-Mitgliedstaaten und mittelbar für solche aus EWR-Mitgliedstaaten gilt, gegenüber Gesellschaften aus Drittstaaten weiterhin die Sitztheorie gilt.[17]

Heimatrecht der Come let‘s buy it Inc. ist also das US-Recht. Die Kollisionsnorm enthält zugleich selbst die im Mehrrechtsstaat USA zu suchende Unteranknüpfung, denn sie verweist auf die Gesetze, nach denen die Gesellschaft gegründet wurde, hier also das Recht von Delaware. Parteifähigkeit besteht danach (MAT d).

2. Zuständigkeit
a) Räumlicher Anwendungsbereich Brüssel Ia-VO

105

Die internationale Zuständigkeit könnte sich nach der Brüssel Ia-VO bestimmen, wenn die Beklagte in einem Mitgliedstaat ihren Wohnsitz hat (Art. 5 Abs. 1, 63 Brüssel Ia-VO). Das ist hier offenbar nicht der Fall; der Satzungssitz liegt in Delaware, der Verwaltungssitz auf den Bahamas und das registered office (das dem Satzungssitz gleichstünde, läge es im UK oder Irland) ebenfalls in Delaware.

b) Erweiterung bei Niederlassung Art. 17 Abs. 2 Brüssel Ia-VO

106

Die Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO kann sich in Verbrauchersachen auch ohne Wohnsitz des Unternehmers in einem Mitgliedstaat aus Art. 17 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ergeben. Erforderlich ist dazu eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung in einem Mitgliedstaat. Fraglich ist, ob es sich bei der Versandagentur in Amsterdam (Niederlande sind Mitgliedstaat) um eine Zweigniederlassung etc handelt. Legt man den Begriff des Art. 7 Nr 5 Brüssel Ia-VO zugrunde, so käme es darauf an, in welchem Maß die Versandagentur der Leitung und Aufsicht durch das Stammhaus unterliegt und zur Führung eigener Geschäfte ausgestattet[18] ist. Eine bloße Versandagentur, die selbst nicht kontrahiert, fällt an sich nicht unter Art. 17 Abs. 2 Brüssel Ia-VO; um eine solche handelt es sich bei der Versandagentur in Amsterdam. Da diese auch nicht vor Vertragsschluss nach außen erkennbar wird, wird auch nicht der Anschein erweckt wird, es handle sich um eine Niederlassung.

Damit liegen die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 2 Brüssel Ia-VO nicht vor. Es wird also nicht fingiert, dass die Beklagte einen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat, so dass grundsätzlich auch Art. 17 ff Brüssel Ia-VO nicht anwendbar sind.

c) Erweiterung nach Art. 18 Abs. 1 Hs. 2 Brüssel Ia-VO

107

Jedoch ergibt sich aus dem gegenüber Art. 16 Abs. 1 Brüssel I-VO neu gefassten Art. 18 Abs. 1 Hs. 2 Brüssel Ia-VO, dass die Zuständigkeit am Wohnsitz des Verbrauchers „ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des anderen Vertragspartners“ besteht. Daraus folgt, dass in Verbrauchersachen (nur) die Wohnsitzzuständigkeit für den Verbraucher als Kläger auch gegen einen Beklagten gilt, der innerhalb der Mitgliedstaaten weder einen eigenen, noch einen nach Art. 18 Abs. 2 Brüssel Ia-VO fingierten Wohnsitz hat.

Ergebnis:

108

Die Klage zum AG Passau ist zulässig.

Frage 4: Zulässigkeit der Klage zum Amtsgericht Augsburg
1. Parteifähigkeit der FlyHigh Ltd.
a) Sitztheorie

109

Die Parteifähigkeit der Komm kaufen wir‚s GmbH ergibt sich wie zu Frage 1. Es stellt sich aber auch für die Beklagte FlyHigh Ltd. die Frage der Parteifähigkeit.

Zu ermitteln ist wieder das Gesellschaftsstatut. Die Sitztheorie hätte angesichts des schon bei Gründung effektiven deutschen Verwaltungssitzes am Wohnsitz des Flug in Augsburg zu einem deutschen Gesellschaftsstatut geführt. Da im deutschen Recht eine Rechtsform „private limited company“ nicht vorgesehen ist und die für die Gründung einer GmbH geltenden Bestimmungen (insbesondere § 7 Abs. 1 GmbHG, Anmeldung beim AG Augsburg) nicht eingehalten wurden, wäre die Gesellschaft nicht rechtsfähig gegründet, somit (§ 50 Abs. 1 ZPO) nicht parteifähig.

b) Niederlassungsfreiheit Art. 49, 54 AEUV

110

Dieses Ergebnis könnte jedoch wegen der Niederlassungsfreiheit aus Art. 49, 54 AEUV gegen Europarecht verstoßen. Aus der Centros-Entscheidung des EuGH[19] ergab sich insoweit nur, dass einer aus Sicht des IPR des Zuzugsstaates wirksam in einem anderen Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaft die Gründung einer Zweigniederlassung ungehindert gestattet werden muss. Die nachfolgende Überseering-Entscheidung[20] ergab, dass einer Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats wirksam gegründet worden war, die Parteifähigkeit nicht versagt werden kann, wenn sie ihren Sitz in das Inland verlegt. Streitig blieb die Frage, ob auch eine mit Sitz im Inland nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft, die nie in jenem Gründungsstaat tätig geworden war, anzuerkennen ist. Obgleich gute Gründe des Verkehrsschutzes, insbesondere der Schutz des Vertrauens von Verbrauchern, als auch der Schutz von Gläubigern, dafür sprechen, solchen bloß zum Schein ausländischen Gesellschaften im Inland die Rechtsfähigkeit zu versagen, ist nach der Inspire Art-Entscheidung[21] davon auszugehen, dass die Nichtanerkennung solcher Gesellschaften, wenn sie denn wirksam in einem anderen Mitgliedstaat gegründet wurden, gegen Art. 49, 54 AEUV verstieße, da der EuGH selbst die Kennzeichnung solcher Schein-Auslandsgesellschaften im inländischen Rechtsverkehr missbilligt hat. Aus dieser Rechtsprechung des EuGH ergibt sich zwar kein direkter Einfluss auf das IPR. Faktisch aber ist das Gesellschaftsstatut nach der Gründungstheorie zu bestimmen, wenn eine Gesellschaft nach dem Recht eines EU- oder EWR-Mitgliedstaats gegründet wurde.

c) Rechtsmissbräuchliche Zielsetzung

111

Etwas anderes könnte sich nur ausnahmsweise ergeben, wenn die Beklagte mit konkret rechtsmissbräuchlicher Zielsetzung gegründet worden wäre. Dies ist jedoch nicht ersichtlich; insbesondere ist das Gebrauchmachen von einer Gesellschaftsform eines anderen Mitgliedstaates mit dem Ziel, im Vergleich zur GmbH kostengünstig eine Haftungsbeschränkung herbeizuführen, nicht per se rechtsmissbräuchlich. Die Fly High Ltd. ist nach dem hiernach anwendbaren englischen Recht gemäß Sachverhalt wirksam gegründet worden. Damit ist die Beklagte parteifähig.

2. Zuständigkeit
a) Gegen Franz Flug

112

Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Klage gegen Franz Flug unterliegt wegen dessen deutschem Wohnsitz (Art. 5 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) der Brüssel Ia-VO; sie folgt aus Art. 4 Brüssel Ia-VO, die örtliche Zuständigkeit des AG Augsburg folgt aus §§ 12, 13 ZPO.

b) Gegen FlyHigh Ltd

113

Auch die internationale Zuständigkeit für die Klage gegen die FlyHigh Ltd. bestimmt sich nach der Brüssel Ia-VO (UK-Satzungssitz, deutscher Verwaltungssitz, Art. 63 Brüssel I-VO). Bei mehreren Wohnsitzen des Beklagten (Art. 63 Brüssel I-VO) hat der Kläger die Wahl des Wohnsitzgerichtsstandes (Art. 4 Brüssel Ia-VO). Deutsche Gerichte sind also auch international zuständig (effektive Hauptverwaltung in Augsburg).

c) Örtliche Zuständigkeit

114

Die örtliche Zuständigkeit könnte sich aus §§ 17, 12 ZPO ergeben; jedoch stellt § 17 Abs. 1 S. 2 ZPO nach hM auf den zum Handelsregister angemeldeten Satzungssitz ab, der nicht in Deutschland liegt; nur wenn sich nach materiellem Gesellschaftsrecht kein Sitz ergibt, stellt § 17 Abs. 1 S. 2 ZPO auf den Verwaltungssitz ab. Dieses, durch die alternative Wohnsitzdefinition des Art. 63 Brüssel Ia-VO geschaffene Problem kann auf mehreren Wegen gelöst werden: Da die von der Brüssel Ia-VO bestimmte internationale Zuständigkeit jedenfalls nicht am Fehlen einer örtlichen scheitern darf, bietet sich einerseits die tradierte „Notlösung“ der Zuständigkeit der Gerichte der Hauptstadt, hier des AG Schöneberg (analog § 122 Nr 6 FamFG). Dem Zweck des Art. 63 Brüssel Ia-VO dürfte es freilich eher entsprechen, die alternative Sitzbestimmung in die örtliche Zuständigkeit hinein zu verlängern. Dasselbe Ergebnis ist zu erzielen, wenn man § 17 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 ZPO analog anwendet auf Fälle, in denen sich nach materiellem Recht kein Satzungssitz im Inland ergibt. Danach ergibt sich eine örtliche Zuständigkeit des AG Augsburg.

 

Ergebnis:

115

Die zum AG Augsburg erhobene Klage ist also zulässig.

Frage 5: Umwandlung der FlighHigh Ltd. in eine GmbH
1. Anwendbares Recht

116

Grundsätzlich bestimmt sich die Umwandlung nach dem Gesellschaftsstatut; da die FlyHigh Ltd. trotz ihres deutschen Verwaltungssitzes ein UK-Gesellschaftsstatut besitzt, der geplante Rechtsformwechsel jedoch zu einer Gesellschaft mit deutschem Sitz und deutscher Rechtsform, somit zweifellos deutschem Gesellschaftsstatut führen soll, muss der Rechtsformwechsel sowohl nach dem vorherigen, als auch nach dem künftigen Gesellschaftsstatut zulässig sein.