Veyron Swift und der Orden der Medusa: Serial Teil 2

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Loca Inferna

An Bord der Silberschwan wurde allen die nasse Kleidung ausgezogen, jeder erhielt als Ersatz eine blaue Uniform der königlichen Luftflotte von Talassair. Iulia und Jane waren sie viel zu groß, aber keine der beiden Damen wollte lange meckern. Toink und ein weiß uniformierter Steward versorgten Iulias Wunde, die dabei immer wieder für ein paar Augenblicke in Ohnmacht fiel. Fachmännisch wurde der Pfeil aus dem Fleisch entfernt und die Wunde verbunden. Faeringel war der einzige, der auf frische Kleidung verzichtete. Elbische Stoffe trockneten schnell, wie er die überraschten Menschen wissen ließ.

Die Silberschwan ankerte in Ufernähe. Ein kleines Beiboot wurde zu Wasser gelassen, mit dem Faeringel und zwei Crewmitglieder zu den Jägern ruderten. Die anderen blieben noch eine Weile ein Bord der Silberschwan. Der Pilot und sein Lehnsherr kamen eben die Leiter vom Cockpit herunter und begrüßten die Besucher aus Fernwelt überschwänglich. Captain Viul glich mit seinen breiten Schultern und dem wettergegerbten Gesicht allerdings eher einem alten Seebären, denn einem schneidigen Piloten. Sein Dienstherr war ganz anders, schmächtig und blass, seine auffallende Kleidung freundlichen Falls als schrill zu bezeichnen. Er trug eine Sonnenbrille, die in allen Farben des Regenbogens schillerte, dazu einen purpurnen, barrocken Mantelrock mit Knöpfen aus Diamant, passende Seidenschlaghosen und Schuhe mit Kappen aus poliertem Gold. Sie klackten laut bei jedem Schritt. Er sah aus wie die modernisierte Version des Sonnenkönigs Ludwig XIV. Fehlt nur noch die gepuderte Perücke, dachte Tom amüsiert. Es war eine absurde Zurschaustellung von Lächerlichkeit, aber für den Mann typisch.

»König Floyd von Talassair«, stellte der bärbeißige Captain seinen Souverän vor. Floyd sprang die letzten Sprossen herunter. Er lachte laut, als er seine Gäste in den schlecht sitzenden Uniformen sah.

»Mein alter Freund, Veyron Swift! Schon wieder muss ich dich aus einem Schlamassel retten und… ei, sieh an. Du hast wieder zwei attraktive Begleiterinnen dabei«, rief der schrille König begeistert. Er trat zu Jane und deutete einen Handkuss an.

»Nennen Sie mich einfach Floyd«, bat er sie, dieselbe Geste gleich darauf bei Iulia wiederholend. Sie sank auf ein Knie und verbeugte sich artig.

»Iulia Livia, Tochter des Honorius Livius Caesar, Enkeltochter des Imperator Augustus Tirvinius«, stellte sie sich vor.

Floyd schnappte sofort nach Luft. Fast panisch wich er zurück, sah sich hilfesuchend nach seinem Berater um, der nirgendwo zu sehen war.

»Eine Kaiserin von Maresia in meinem Flugzeug? Wo ist Farin? Farin? Farin! Wo steckt der Kerl?« rief er aufgeregt. Mit wachsender Verzweiflung drehte er sich einmal im Kreis, rief erneut nach Farin und fasste sich dabei voller Panik an den Kopf.

»Den habt Ihr zu Hause gelassen, um die Regierungsgeschäfte zu leiten, Sire«, erinnerte ihn Captain Viul mit sarkastischem Unterton und schob seinen Lehnsherrn wenig ehrbezeugend zur Seite. Er nahm Iulias Hand und verbeugte sich zackig.

»Captain Bernard Viul von Talassair, Pilot und Kommandant des Flugschiffs Silberschwan. Willkommen an Bord. Ich hoffe, Eure Wunde ist nicht allzu schlimm?«

Iulia verbeugte sich ihrerseits, ein Lächeln auf ihren zitternden Lippen.

»Sie schmerzt sehr. Ich danke Euch für die rasche Rettung, Captain. Ohne Euch wären wir verloren gewesen. Diese Monster hätten uns sicher zerfleischt«, erwiderte sie so freundlich, wie es ihre Konstitution zuließ.

Floyd murmelte derweil irgendetwas davon, dass er Farin wohl klonen lassen müsse. Veyron nahm den aufgebrachten König an der Schulter und führte ihn von den anderen weg. Viul sprach derweil mit Jane und Tom. Er ließ sich alle Details ihres bisherigen Abenteuers erzählen.

»Bleiben Sie ruhig, Floyd. Iulia ist weder eine Spionin noch die Kaiserin. Sie ist die Enkeltochter des Augustus. Meine Mission ist es, sie heil nach Gloria Maresia zurückzubringen. Dort sind einige Dinge im Gange, die einen Blick von meiner Seite lohnen. Doch nun lassen Sie hören, was den König Talassairs hierher verschlägt. Hatten Sie Sehnsucht nach Fabrillian«, fragte Veyron.

Sein alter Freund fand endlich seine Contenance wieder.

»Ich habe immer Sehnsucht nach Fabrillian. Besonders nach Königin Girian. Ich fürchte, sie hat mir das Herz gestohlen«, seufzte Floyd, dann wurde er etwas ernster.

»Sie hat um die Entsendung der Silberschwan gebeten, denn es gäbe einen wichtigen Transportauftrag. Weiteres verriet sie nicht, doch mehr musste sie ja auch nicht sagen. Wenn die Elbenkönigin ruft, dann kommt König Floyd persönlich!« sagte er, die Brust stolz geschwellt.

Veyron schwieg einen Moment, sein Blick sprang hin und her. Schließlich gestattete er sich ein breites Lächeln.

»Unsere listige, vorausschauende Königin! Ihr war bewusst, dass wir es niemals rechtzeitig nach Maresia schaffen werden, also hat sie uns Ihr Flugschiff gechartert. Sehr gut, sehr gut, sehr gut. Das wird uns von Vorteil sein. Floyd, mein Lieber, die Geschicke Elderwelts hängen jetzt von unserem weiteren Vorgehen ab. Kann ich auf Sie zählen, oder ziehen Sie es vor, lieber auf Ihre Insel zurückzukehren und sich dort zu verkriechen?«

Floyd plusterte sich protestierend auf, dann atmete er aus und dachte kurz darüber nach.

»Na hör mal! Ich werde mir doch nicht eines deiner Abenteuer entgehen lassen! Sag mir einfach, was du brauchst und ich werde es bewilligen. Immerhin bin ich ein König!«

Veyron führte Floyd in den hinteren Teil des Flugzeugs, wo er mit ihm einige Dinge im Geheimen zu besprechen hatte. Es gab viel zu erklären.

Jane blickte den beiden interessiert nach. Sie wandte sich an Tom, der sich in der Uniform sichtlich unwohl fühlte.

»War das gerade Floyd Ramer, der verschollene Milliardenerbe, der vielleicht reichste Mensch der ganzen Welt«, fragte sie neugierig. Sie erinnerte sich daran, damals in den Zeitungen davon gelesen zu haben. Das war acht oder neun Jahre her. Ramer wurde nie gefunden – jetzt wusste sie warum.

»Ja, allerdings. Aber er ist ein Idiot, hat nur andauernd Partys im Kopf. Er gerät leicht in Panik, wenn sein Gehirn nicht anwesend ist. Damit meine ich seinen Schatzkanzler, Farin. Aber falls es dich interessiert: Floyd ist immer noch Single«, meinte Tom mit einem frechen Grinsen.

Jane schenkte ihm dafür ein Augenverdrehen.

Wenig später kamen ein paar Elben an Bord der Silberschwan. Sofort kümmerten sie sich um Iulias verletzten Arm, inspizierten den Verband, und die Reste des Schratpfeils. Abschließend reichten sie ihr einen Becher mit dem goldenen Heilungselixier der Talarin.

»Arznei aus Talassair ist fast so gut und wirksam wie die unsrige. Es dürfte nicht einmal eine Narbe bleiben. Trinkt hiervon einen großen Schluck, dann bleiben Euch Entzündung und Schmerzen erspart. In drei Tagen seid Ihr vollkommen genesen«, ließ ein Elb sie wissen. Iulia nahm das Heilungselixier dankbar an.

Veyron, Tom und Jane waren froh, als ihre Kleidung wieder trocken war und sie sich umziehen konnten. Mit dem Beiboot setzten sie über ans Flussufer und gesellten sich zu Faeringel und dem Rest seiner Truppe.

»Meine Leute haben die Schrate schon seit Tagen beobachtet. Sie haben Schleichwege über die Himmelmauerberge gesucht, konnten aber keinen finden. Offenbar besaßen sie jedoch eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wo sich die Schlucht der Nacht befand. Erstaunlich, denn kein Diener des Dunklen Meisters ist jemals aus dieser Schlucht entkommen, um irgendwem davon zu berichten. Wären meinen Leuten die Absichten dieser Unholde von Anfang klar gewesen, hätten sie diese Schurken nicht einmal in die Nähe dieses Flusses gelassen«, berichtete Faeringel.

Veyron hörte gar nicht richtig zu, schlich um einen der toten Fenriswölfe herum und bückte sich dann zu einem der toten Schrate.

»Der Dunkle Meister wusste zumindest davon. Vielleicht hat er Aufzeichnungen hinterlassen, oder ein anderer seiner Befehlshaber«, wandte er ein, während er das Schuhwerk des toten Schrats untersuchte.

Faeringel schüttelte energisch den Kopf.

»Alle seine Befehlshaber sind tot, vor tausend Jahren erschlagen oder durch Selbstmord gerichtet. Von Aufzeichnungen weiß ich allerdings nichts, das wäre vielleicht eine Möglichkeit. Wir werden unsere Grenzen schärfer bewachen müssen, falls sich noch mehr Schrate in diese Gegenden wagen«, gestand er.

Veyron verneinte das jedoch und bezeichnete es als unnötige Zeit- und Energieverschwendung.

»Es werden keine Schrate mehr kommen. Diese Gruppe war lediglich hinter Prinzessin Iulia her. Sie waren in Maresia, sind danach in ihr Versteck zurückgekehrt und haben dort gewartet. Erst vor ein paar Tagen erhielten sie Befehl zum Ausrücken. Sie kamen aus Carundel, wo sich auch ihr Versteck befindet«, erklärte er im beiläufigsten Tonfall, fast als würde es ihn langweilen.

Alle Talarin sprangen auf und stierten Veyron ungläubig an. Einige tuschelten miteinander, andere schüttelten protestierend die Köpfe.

»Das ist vollkommener Unsinn! Ich sagte Euch doch, dass dort niemand mehr lebt!« hielt Faeringel dagegen, hörbar ungehalten über diese Aussagen.

Veyron zuckte nur desinteressiert mit den Schultern und setzte seine Untersuchung fort. Jane kam näher und rief ihn. Überrascht blickte er auf.

»Vielleicht erklären Sie’s uns? Wir können nämlich nicht Gedanken lesen, Ihre schon gleich dreimal nicht.«

Veyron wischte sich die Hände an der Hose ab. Er begann den toten Fenris zu umrunden.

»Ich bin erstaunt, dass so viele edle Herrschaften zugleich mit Blindheit geschlagen sind. Also gut, wo soll ich beginnen? Mit Beweis Nummer Eins. Sehen Sie sich das Monster genau an. Gut genährt, dichtes, glänzendes Fell, scharfe Zähne, saubere, scharfe Hufkrallen. Das Zaumzeug hat kaum Scheuerwunden an Maul und Hals hinterlassen, ebenso wenig die Gurte des Sattels. Das verrät uns, dass die Fenrisse erst vor kurzem gesattelt wurden und eine gewisse Zeit, vielleicht ein bis zwei Wochen, Pause hatten, um sich von ihrem letzten Ausritt zu erholen. Sie wurden ausreichend gefüttert, was nur in einer Stallung, oder einem groß angelegten Stützpunkt, möglich ist.

 

Beweis Nummer Zwei: die Ausrüstung der Schrate. Decken und Taschen mit Verpflegung, sorgfältig eingepackt und, was immer diese Kerle trinken, in Beutel gefüllt. Auch das deutet ganz klar auf die Arbeit in einem Stützpunkt hin. Die Menge der Verpflegung ist für einen Ausritt über mehrere Tage rationiert, für eine länger dauernde Reise hätten sie größere Taschen benötigt. Die Decken sind kaum benutzt, wurden erst vor kurzem gewaschen, ebenso die Kleidungsfetzen dieser Schurken. Das verrät uns der Mangel an Schweißspuren und sonstigem Schratdreck. Folglich können diese Kerle noch nicht lange unterwegs gewesen sein. Wo kamen sie also her?

Es muss eine verhältnismäßig kurze Strecke gewesen sein. Das Waldland am Fuße der Himmelmauerberge kommt nicht in Frage, die Elben hätten das längst bemerkt. Das kaum bewaldete Land der Messerberge bietet einem großen Stützpunkt kein Versteck, ebenso wenig die Steppen von Gaghanien. Also bleibt nur Carundel, da dort ausreichend Bewaldung herrscht und keinerlei Einheimische leben. Das perfekte Versteck.

Beweis Nummer Drei: Ich habe den Stiefelabsatz dieses Schrats genauer untersucht und dreierlei Arten von Erde in der Sohle entdeckt. Das meiste davon ist Erde aus diesem Teil des Landes, dann haben wir geringere Mengen einer lehmigen Erde, die obendrein scheußlich schmeckt, vermutlich durch Vergiftung hervorgerufen. Sehr schlecht für Wachstum, was uns erneut auf Carundel schließen lässt. Zum Schluss haben wir noch eine leicht rotbraune Erde wie sie typisch für mediterrane Küstenländer ist. Anhand von Prinzessin Iulias Geschichte, habe ich keinen Zweifel, dass diese aus Maresia stammt. Folglich führte der Weg dieser Schrate von Maresia, über Carundel, direkt hierher. Noch irgendwelche Fragen?«

Natürlich gab es keine. Tom schenkte Jane ein triumphierendes Lächeln. Immer wieder erstaunte ihn sein Pate mit dieser unfassbar schnellen Auffassungsgabe. Er sah sofort, was andere erst nach stundenlangen Untersuchungen herausfanden. Selbst Jane wirkte beeindruckt. Sie goutierte Veyrons Erkenntnisse mit einem beinahe schon stolzen Nicken. Die Elben diskutierten jetzt eifrig und versuchten sich darüber einig zu werden, was nun zu tun sei. Sie kamen zu keinem Entschluss, außer, die Leichen der Schrate auf der nächsten Kiesbank zu verbrennen. Über Carundel wollte lieber keiner diskutieren. Veyron wusch sich derweil im Flusswasser die Hände. Dann schnippte er mit den Fingern.

»So, genug gefaulenzt! Jetzt ist es Zeit aktiv zu werden. Consilians Absicht, uns aufzuhalten, ist gescheitert. Irgendwann wird er erfahren, dass seine Schrate versagt haben. Darum wird er weitere Maßnahmen ergreifen. Nun, vielleicht hat er schon damit gerechnet, dass sie scheitern. Sehr wahrscheinlich wollte er uns nur hinhalten. Damit war er erfolgreich, aber immerhin haben wir jetzt die Silberschwan zu unserer Verfügung. Wir sollten diesen Vorteil nutzen. Und zwar jetzt gleich«, verkündete er.

Jane fragte ihn, was er als nächstes plante.

»Zwei Dinge. Erstens schicken wir die Prinzessin zurück in die Hauptstadt des Imperiums. Ich denke, jedem von uns ist klar, dass wir sie nicht noch weiterer Gefahr aussetzen dürfen. Während Floyd diese Aufgabe für uns erledigen wird, besuchen wir Loca Inferna und unterhalten uns mit Prinz Nero.«

Jane musste höhnisch lachen, als sie das hörte.

»Glauben Sie, Sie können da einfach hineinspazieren? Wie ich die Prinzessin verstanden habe, ist das ein Höllengefängnis«, hielt sie dagegen.

Veyron stimmte ihr zu. »Natürlich ist es das. Loca inferna ist Latein und bedeutet „Hölle“. Keine Sorge, Willkins. Ich habe diesen Besuch bereits detailliert geplant und alle Eventualitäten berücksichtigt. Es wird ein kleiner, harmloser Ausflug. Mit ein wenig Chuzpe werden wir bald alle Informationen beisammen haben, um das Mysterium des Ordens der Medusa aufzuklären und die kolossalen Pläne des Herrn Consilian zum Scheitern zu bringen.«

Ein paar Minuten später stiegen sie wieder an Bord der Silberschwan. Faeringels Jäger hatten das Flugschiff inzwischen verlassen. Er gab ihnen die Anweisung nach Carundel zu reisen und die verlassenen Wälder zu durchsuchen.

»Es wird keine leichte Aufgabe sein, das Herz wird euch schwer werden, vor allem den Älteren, die mehr über unsere Geschichte wissen. Wenn ihr etwas entdeckt, benachrichtigt mich auf die Art der Irlas Helarin, unternehmt nichts, ehe ich euch Antwort geschickt habe«, wies er sie an. Nur ungern blieb er an Bord der Silberschwan, viel lieber wäre er mit seinen Leuten gegangen. Obendrein gefiel ihm die Idee vom Fliegen überhaupt nicht. Er ließ sowohl König Floyd als auch Veyron wissen, dass Fliegen nur etwas für die Vögel sei. Selbst Veyrons Einwand, dass bereits Königin Girian einmal einen Flug mit der Silberschwan gemacht hatte, konnte ihn in seiner Meinung nicht umstimmen.

»Die Königin ist eine ungewöhnliche Frau, die noch nie vor einem Abenteuer zurückgeschreckt ist. Doch nicht alle Elben sind gleich und in unserer Meinung sind wir frei«, gab er zurück.

Die anderen machten es sich derweil im Salon der Silberschwan bequem. Tom ließ sich tief in die plüschigen Polster der teuren Mahagonimöbel sinken und bestellte beim Steward eine Tasse Heiße Schokolade. Floyd, Veyron und Faeringel gesellten sich zu den dreien. Jane hatte viele Fragen über die Insel Talassair, etwa wie Floyd zu einer solch erstaunlichen Flugmaschine kam.

»Natürlich stammt sie aus Fernwelt, wie alle meine kleinen Schätze auf Talassair, meine Autos, meine Dampflokomotiven, meine Luxusjacht und auch meine Schlachtschiffe, meine Panzer und meine Jagdflugzeuge. Meine Vorväter hatten alles heimlich nach Elderwelt geschmuggelt. Jetzt ist Talassair das Juwel dieser Welt, uneinnehmbar für alle Feinde, und wegen seines Reichtums Vorbild für sämtliche Menschenvölker«, erklärte er stolz.

Jane entging nicht, dass er dabei Iulia mit einem verstimmten Blick bedachte. Die Prinzessin schien es jedoch nicht zu bemerken.

»Wir in Maresia bewundern Euer kleines Inselreich. Jeder der etwas in Gloria Maresia auf sich hält, kleidet sich in Seide aus Talassair und schmückt sich mit Edelsteinen und anderem Kleinod aus Zwergenhand. Jedes Kind aus dem Senatorenstand lernt die Sprache dieser Insel, die ganze Welt spricht sie«, sagte sie. Ehrliche Bewunderung schwang in ihrer Stimme mit.

Floyd wirkte immer noch misstrauisch. »Auf Talassair hat man die Invasionsversuche des Imperiums vor achtzig Jahren nicht vergessen«, grollte er. Doch schon im nächsten Moment brach er in heiteres Gelächter aus und klatschte in die Hände.

»Aber das liegt ja Generationen zurück. Die Zwerge sind ein nachtragendes Volk, aber ich bin es nicht. Keine Sorge, Prinzessin. Ich werde Sie sicher im Imperium abliefern. Und wenn ich das sage, dann passiert es auch so! Immerhin bin ich ein König!«

Captain Viul meldete sich über die Bordsprechanlage und verkündete ihren Start. Die zwölf Motoren der Silberschwan drehten auf voller Kraft. Brummend wie ein überdimensionaler Käfer, rauschte das Flugschiff über den Fluss, hob sich langsam in die Lüfte, immer höher und höher. Bald ließen sie die herbstlichen Wälder am Fuß der Himmelmauerberge hinter sich und flogen über das Land der Messerberge. Hindurch ging es zwischen den gewaltigen, spitz aufragenden, scharfkantigen Felsformationen und weiter nach Südwesten, dem Imperium Maresia entgegen.

Der Plan war schnell besprochen. Die Silberschwan sollte Veyron, Tom, Faeringel und Jane bei Loca Inferna absetzen und danach sofort mit der Prinzessin weiterfliegen. Sobald Iulia sicher in der Hauptstadt gelandet wäre, würden sie zurückkommen und die vier Abenteurer wieder auflesen. Captain Viul hatte jedoch einige Einwände. Er legte einige Navigationskarten auf den Tisch, aus denen Tom nicht besonders schlau wurde. Da waren viel zu viele Zahlen und Kreisdiagramme drauf, die ihm überhaupt nichts sagten.

»Loca Inferna liegt in einer engen Bucht, nordöstlich der maresischen Halbinsel. Die See dort ist rau, ganz gleich zu welcher Tages- oder Jahreszeit. Die Klippen der Küsten sind steil und auch im Wasser lauern Untiefen und messerscharfe Felsen. Wir könnten glatt bruchmachen, wenn wir dort runtergehen«, erklärte Viul. Stattdessen schlug er vor, die Vier in einer benachbarten Bucht, nur wenige Kilometer entfernt, abzusetzen. Dort gab es eine Lagune, groß genug zum Landen und Starten. Durch die hohen Klippen war sie nur vom offenen Meer aus einzusehen. Einwohner gäbe es weit und breit keine, das Wasser dort war ruhig und friedlich.

Veyron hielt das für eine ausgezeichnete Idee. »So bleiben wir von den Wachtposten ungesehen. Das wird unserem Vorhaben dienlich sein. Wir werden dennoch ein Boot benötigen, um auf die Gefängnisinsel zu kommen«, sagte er.

Für Viul kein Problem, er wollte eines der Beiboote zurücklassen.

Jane betrachtete die Karten noch einmal genau.

»Sie haben uns noch nicht erklärt, wie Sie sich eigentlich auf dieser Insel einschleichen wollen«, wandte sie sich an Veyron.

Der verschränkte die Arme hinter dem Kopf und ließ sich entspannt in den Sessel sinken.

»Machen Sie sich darüber keine Gedanken, Willkins. Ich habe bereits alles in der Wisteria Road geplant und vorbereitet. Lassen Sie sich überraschen«, meinte er mit einem süffisanten Lächeln. Mehr war aus ihm zu dieser Angelegenheit nicht raus zu kitzeln. Er schloss die Augen und versank in seine undurchschaubare Gedankenwelt. Jane und Tom warfen sich ratlose Blicke zu.

Iulia beugte sich vor und nahm Jane an den Händen.

»Das Ihr Euch als Frau auf ein solches Wagnis einlasst«, sagte sie. Ihr Ton verriet eine Mischung aus Unverständnis, Staunen und ehrlicher Bewunderung.

»Ich würde mich das niemals trauen. Ich hoffe, es wird alles gut ausgehen. Ich werde zu den Göttern beten, dass Euch nichts geschieht. Ich hoffe, Ihr trefft den armen Nero noch lebend an. Wenn ja, so lasst ihn wissen, dass ich alles bedauere, was zwischen uns vorgefallen ist.«

Jane erwiderte den Griff der Prinzessin, drückte vorsichtig ihre zarten Hände und versuchte ihr Wärme und Zuversicht zu schenken. Dabei war sie überhaupt nicht sicher, ob dieses irre Vorhaben gelingen würde. Der ganze Plan war eigentlich vollkommen verrückt und widersprach aller Vernunft. Unter anderen Umständen hätte sie sich niemals darauf eingelassen. Irgendein unergründliches Verlangen nach Abenteuer und Aufregung ließ sie dennoch alle Gefahren in den Wind schlagen. Die Hilfe der Götter können wir wirklich brauchen. Was für ein Wahnsinn – und ich mittendrin, dachte sie.

Loca Inferna war die vielleicht finsterste und grauenvollste Insel ganz Elderwelts, kaum mehr als ein schwarzer Felsen, der aus den Fluten einer dunklen, sturmgepeitschten Bucht herausragte. Nichts gedieh dort, kein Tier, keine Pflanze. Dampf stieg aus dem Krater eines alten Vulkans, der vor Jahrtausenden explodiert war und nur diese eine Insel übrig gelassen hatte. Hin und wieder hustete der Krater rot glühende Magma und Bimssteine, um die Menschen an seine alte Macht zu erinnern. Lava kroch in zähen Strömen ins Meer, ließ rings um die Insel Dampf aufsteigen, begleitet von einem immerwährenden Zischen, schmerzhaft anzuhören.

Und dort stand es, das berüchtigtste Gefängnis im ganzen Imperium Maresia, ein viereckiger Klotz aus Gussbetonblöcken, von Ruß und Asche eingeschwärzt. Auf einer Anhöhe positioniert, war das Gefängnis sicher vor den Lavaströmen. Meterdicke Betonmauern schützten es vor den Bimssteingeschenken des launenhaften Nachbarn. Nicht selten mordeten die giftigen Vulkandämpfe seine unglückseligen Insassen, Gefangene wie auch Wächter. Wer hier Dienst verrichten musste, war ebenso bedauernswert wie jene armseligen Kreaturen, die man in seine Kerker schleifte und dort verrotten ließ. Wurde jemand krank, gleich ob Gefangener oder Wachmann, so sperrte man ihn in eine isolierte Zelle. Gesundete er von allein: gut – verstarb er: noch besser. Die Leichen wurden in Jutesäcke verpackt und einfach über die Klippen geworfen.

 

Nicht nur der Vulkan war ein Schrecknis, sondern auch das Meer. Die Wellen brachen sich donnernd an den schwarzen Klippen, gefangen zwischen Insel und den steilen Felswänden der Bucht, ohne Gelegenheit ihre Gewalt an anderer Stelle freizusetzen. Es war fast unmöglich, die Insel mit einem Schiff anzusteuern. Nicht nur einmal war schon das eine oder andere an den Klippen zerschellt. Nur von einer Stelle konnte man sich halbwegs sicher annähern, dort wo Lavaströme und Wellen im Lauf der Zeit einen schwarzen Strand aufgeschüttet hatten, der flach in die See fiel. Aus Gussbeton hatten die Pioniere des Imperiums dort einen winzigen Hafen geschaffen, mit Kaimauer, Anlegesteg und einem kleinen Leuchtturm.

Ein silbernes Ruderboot näherte sich mitten in der Nacht eben jenem Hafen, wurde von den Wellen vorwärts getragen. Mehrmals drohte es zu kentern. Vier Mann saßen darin, in dunkelgrüne Mäntel eingehüllt. In der Dunkelheit der Nacht waren sie kaum zu erkennen. Die Wachen am Hafen, stets in Kettenhemd, Helm und dickem Mantel gehüllt (wegen dem unvorhersehbaren Bimssteinregen) staunten nicht schlecht. Misstrauisch näherten sie sich der Anlegestelle. Nur selten kam Besuch nach Loca Inferna, abgesehen von der Barke, die einmal im Monat anlegte, Vorräte und neue Gefangene brachte. Umso verwunderlicher kam ihnen deshalb dieser unangemeldete Besuch vor.

Mit einer gewaltigen Welle wurde das kleine Ruderboot an den schwarzen Strand gespült. Es war ein Kunststück der verhüllten Ruderer, dass die kleine Nussschale dabei nicht kenterte. Wen die See hier verschluckte, der wurde nie wieder gesehen.

Die Wachen kamen angelaufen, Arme und Beine mit Ledergurten, Metallplatten oder dicken Wollbändern vor der Hitze geschützt, die Gesichter hinter einem Schal verborgen. Sie richteten ihre Pila, ihre militärischen Speere, auf die vier Neuankömmlinge. Ein hochgewachsener Mann und ein etwas kleinerer, stiegen aus, stapften den Strand hinauf, die anderen beiden blieben beim Boot zurück.

»Wer seid Ihr?« rief einer der Wachmänner, der einzige der sich traute, in dieser finsteren Nacht das Wort zu erheben. Nicht wenige der Wachmänner hofften auf die Ablösung. Keine Wachmannschaft durfte länger als drei Monate auf Loca Inferna Dienst verrichten, so verfügten es die medizinischen Vorschriften des Imperiums. Viele blieben jedoch länger; nicht wenige bis zum Tod.

Der hochgewachsene Mann, eingehüllt in einen weiten, dunkelgrünen Kapuzenmantel hob die Hand. Er näherte sich den Wachen, der andere folgte ihm im sicheren Abstand.

»Ich grüße Euch! Ich bin Simanui-Meister Lewis Daring. Dies ist mein Schüler, Nagamoto Tatsuya. Wir sind auf Geheiß des Großmeisters Taracil hier. Bringt uns zu Eurem Kommandanten«, rief der Große mit gebieterischer Stimme.

Die Wachen wechselten verunsicherte Blicke. Seit Bestehen dieses Gefängnisses war noch niemals ein Simanui hier zu Besuch gewesen. Doch jeder Bürger im Imperium kannte den Ruf dieser Zauberer und ihre Bedeutung. Die Wachen nickten und forderten die beiden Simanui auf, ihnen zu folgen.

Vom Hafen führte ein gepflasterter Weg hinauf zum Gefängnis, vorbei an einem Lavastrom, gut geschützt durch eine Barriere aus meterdicken Gussbetonblöcken. Dies war jedoch nur ein Provisorium, schon mehrmals hatte man den Weg neu anlegen müssen. Der Gewalt eines Vulkans vermochte nichts auf Dauer zu trotzen.

Der Eingang in das fast würfelförmige Gefängnis erfolgte über ein schweres Eisentor. Die Wachen hämmerten mehrmals dagegen, ehe es quietschend geöffnet wurde. Alle traten in eine große Kammer, wo die Wachen es endlich wagten, ihre Helme und die Schals abzulegen. Auch die beiden Simanui warfen ihre Kapuzen zurück.

Lewis Daring war eine Respektsperson, mit hageren, fast ausgezehrten Gesichtszügen, einer markanten, scharfen Nase und blitzenden Augen. Er wirkte wie ein menschlicher Raubvogel, sein kohlrabenschwarzes Haar stand wirr in alle Richtungen ab. Sein Schüler schien mit dem rundem Gesicht und den rotblonden Locken dagegen regelrecht freundlich.

Die Maresier verbeugten sich vor den beiden hohen Herren. Sie hießen die Simanui mit spöttischem Tonfall auf Loca Inferna willkommen und hofften, dass sie die Annehmlichkeiten der Insel lange genießen würden. Der Simanui-Meister war jedoch nicht zum Scherzen aufgelegt.

»Ihr wagt es, mich zu verspotten?« herrschte er sie an und griff mit der Hand unter seinen Mantel. Die Wachen zuckten zusammen, sich der geheimnisvollen magischen Schwerter der Zauberer erinnernd. Sie wichen zurück und wurden schlagartig leise.

»Wer spricht hier in meinem Haus freche Drohungen aus«, bellte jetzt eine neue Stimme.

Alle wandten sich um. Über eine schmale Treppe, am anderen Ende der Halle, kam ein dickbauchiger Offizier herunter, die rote Tunika schmutzig, das Gesicht unrasiert, der Gestank von Alkohol auf viele Meter zu riechen.

»Simanui-Meister Lewis Daring und sein Schüler Naga… Nago… Sein Schüler eben«, stellte der Anführer der Wachen die beiden Besucher vor.

»Es heißt Padawan«, verbesserte ihn der junge Simanui.

Die Wache nickte eifrig. »Sein Padawan – natürlich.«

Der dickbauchige Offizier straffte die Schultern, sog hörbar die Luft ein.

»Geht wieder auf eure Posten!« blaffte er die Wachen an. Die neigten knapp die Köpfe und verschwanden wieder nach draußen in die Nacht. Der Offizier machte einen torkelnden Schritt auf die beiden Simanui zu.

»Ich bin Marcus Olfius, Kommandant von Loca Inferna. Willkommen, Meister Simanui. Darf ich fragen, welches Ereignis uns die geschätzte Aufmerksamkeit des Ordens eingebracht hat?« lallte er.

Der Simanui sah ich in der Halle kurz um. Er rümpfte die Nase und marschierte an dem Kommandanten vorbei.

»Eine neue Gefahr bedroht Elderwelt. Sie hat hier, im Imperium Maresia, ihren Ursprung genommen. Kommandant, Ihr müsst mich zum Gefangenen Nero Aurelius Caesar bringen, das ist von entscheidender Bedeutung für die Zukunft des Imperiums«, verkündete Meister Daring mit tragender Stimme.

Olfius kratzte sich am Doppelkinn und dachte kurz nach.

»Ihr wollt zum Verräter Nero? Euch ist bewusst, dass er auf Geheiß des Augustus hier unser Gast ist – bis zum Ende seiner Tage. Ich kann Euch dort nicht hinein lassen, Wache, Wache, zu mir!« rief der alte Trunkenbold mit plötzlicher Panik.

Daring machte einen Schritt auf ihn zu, aufbrausende Wut in seinem schrecklichen Gesicht.

»Hütet Eure Zunge, Wicht! Ich bin Simanui-Meister Lewis Daring aus Fernwelt! Wenn ich sage, dass ich den Gefangenen Nero Caesar sehen muss, dann hat das schon seine berechtigten Gründe! Ihr wärt ein Narr, mir das zu verweigern. Der Augustus würde es Euch mit lebenslangem Dienst auf Loca Inferna danken, wenn Ihr mir bei meinen Ermittlungen in die Quere kommt.«

Olfius stolperte gegen die Wand, zitterte am ganzen Körper, solche Angst hatte er. Die Simanui waren schreckliche Gegner, wenn man sie reizte. Er hatte gehört, das einer allein, eine ganze Zenturie aufreiben könne. Ihre Schwerter schnitten selbst durch Stahl und Fels wie ein heißes Messer durch Butter. Am hinteren Ende der Halle waren zwei Wachsoldaten mit schmutzigen Tuniken aufgetaucht, Schwerter in den Händen, aber nicht willens, ihrem Herrn beizustehen, sondern lieber abzuwarten. Als Olfius seine aussichtslose Lage erkannte, lenkte er endlich ein. Er bat die beiden Simanui ihm zu folgen.

Der Gefängnisbau zählte lediglich auf der seegewandten Seite ein paar Fenster, kaum mehr als Luftlöcher, durch die der frische Wind herein blies. Fackeln waren die einzige Form der Beleuchtung, manche glommen auch nur, denn die Luft im ganzen Bau war schlecht. Nicht selten kippten die Wachen auf den Gängen ohnmächtig um. Jetzt hielt die Aufregung jedoch alle auf den Beinen. Olfius beeilte sich, die Simanui zu besagter Zelle zu führen. Unterwegs klärte er die beiden hohen Herren darüber auf, dass nicht viele Gefangene nach Loca Inferna geschickt wurden. Zur Zeit der Bürgerkriege herrschte hier Hochbetrieb, auch der Augustus Illaurian hatte noch viele seiner Feinde nach Loca Inferna verbannt. Seit Tirvinius jedoch als Augustus herrschte, kam kaum noch jemand hierher. Nero Caesar war der erste prominente Gefangene seit zwanzig Jahren.

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