Veyron Swift und der Orden der Medusa: Serial Teil 4

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Veyron Swift und der Orden der Medusa: Serial Teil 4
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Tobias Fischer

Veyron Swift und der Orden der Medusa: Serial Teil 4

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Perseus und Medusa

Anlage B

Hexen und Ratten

Die letzten Tricks

Impressum neobooks

Perseus und Medusa

Wieder ging der Weg durch die mit Tiergespannen und Lastkarren verstopften Straßen Gloria Maresia. Nero und Faeringel liefen voraus, Tom und Veyron hintendrein. Claudius, Astacius und die anderen vier Gladiatoren hatten sie dagegen zum Stadtsee geschickt, um bei der Silberschwan auf sie zu warten. Veyron hielt die Verstecke in der Kanalisation nicht mehr für sicher genug. Aber noch viel gefährlicher war es, mitten in der Nacht durch die Straßen der Stadt zu rennen. Ständig mussten sie den Fuhrwerken ausweichen. Oft trennten sie nur wenige Zentimeter von einem abgetrennten Arm oder Bein.

Die zahlreichen Wagenlenker schrien ihnen wüste Beschimpfungen zu, doch darauf konnten und durften sie keine Rücksicht nehmen. Lucius Vitellius war ihr einziger Schlüssel, um Consilian seiner zahlreichen Verbrechen zu überführen. Sie mussten ihn unbedingt lebend finden und vor Consilians Attentätern beschützen. Das sie dabei unter mit Eisen beschlagene Räder oder Hufe geraten konnten, war ein Risiko, dass sie einzugehen hatten, dessen war sich Tom vollauf bewusst. Ohne jedes Zögern versuchte er mit den Erwachsenen Schritt zu halten, wich Ochsen und Pferden aus, schlüpfte unter Wägen hindurch oder sprang zur Seite, wenn ein Rad direkt auf ihn zukam. In seinen Ohren klang das zahllose Knirschen und Quietschen der aberhundert Vehikel als ein einziges Brausen.

Endlich erreichten sie das hoch aufragende Spurius-Theater. Es lag direkt am Tirvin-Ufer, der einzigen Stelle, wo die Väter der Stadt dem Fluss auf einigen hundert Metern sein natürliches Bett mit kleinen Auenwäldchen und Sandbänken gelassen hatten. Auf den ersten Blick wirkte das gewaltige Theater wie eine kleinere Ausgabe des riesigen Amphitheaters, mit einem Durchmesser von gut und gerne 150 Metern. Der Grundriss beschrieb ein halbes Oval, vierzig Meter hoch, bestehend aus dreistöckigen Arkadenreihen, abgeschnitten von einem geraden, palastartigen Aufbau, dem scaenae frons, den Bühnenbauten.

Sie konnten das gewaltige Theater, für Tom das Größte der ganzen Welt, jedoch nicht durch die vielen Zuschauereingänge betreten. Bewaffnete und gerüstete Soldaten der Prätorianergarde hielten dort Wache.

Veyron blieb schlagartig stehen.

»Das ist eine Falle«, ließ er die anderen wissen.

Tom blickte seinen Paten verwirrt an. Noch vor wenigen Augenblicken war Veyron doch wild entschlossen gewesen, dieses Theater als erster zu erreichen.

»Wir gehen durch die Schauspielerzugänge auf der Rückseite, da können wir uns als Statisten ausgeben, die Wachen werden uns sicher durchlassen«, meinte Faeringel.

Veyron blieb jedoch bei seiner Meinung. »Nein, das ist eine Falle. Denkt nach: Consilian hat gestern im Senat seine Anwesenheit verkündet. Solange er im Theater ist, wird nichts passieren.«

Nero stieß einen Schrei der Verzweiflung aus. Er zitterte vor Aufregung und machte einen Schritt auf Veyron zu.

»Umso besser, dann können wir ihn dort vor halb Maresia als Verräter entlarven. Wir müssen da jetzt rein!«

»Ihr versteht nicht. Consilian hat das alles exakt geplant. Er ist bei dieser Theateraufführung, aber Vitellius nicht. Consilians Ruf als Erretter des Imperiums wäre dahin, wenn es dem Orden der Medusa gelänge, jemanden in seiner Gegenwart zu ermorden. Wie stünde er dann da? Als Versager. Darum kann er nicht zulassen, dass die Mitglieder des Ordens obendrein auch noch entkämen. Er müsste sie verhaften lassen. Genau das kann er sich jedoch nicht leisten, man könnte gegen ihn aussagen. Aus diesem Grund ist seine Anwesenheit heute Abend der Garant für eine friedliche, gelungene Theateraufführung. Wir sind am vollkommen falschen Ende der Stadt.«

Veyron schaute Nero eindringlich an. »Wo also hält sich Vitellius auf, wenn er nicht im Theater sitzt?!«

Nero, von dieser Frage vollkommen überrumpelt, stotterte ahnungslos herum.

»Ich weiß es!« rief Tom. Alle wandten sich ihm zu.

»Flavia hat es gesagt. Er treibt sich öfter in den Bordellen herum als im Ehebett!«

Veyron wirbelte zu Nero herum. Der junge Prinz wich zurück, als könnten die stechenden Augen Veyrons tatsächlich Blitze verschießen.

»Als wir alle noch jung und frei waren, hat uns Lucius regelmäßig ins Molae Rubin mitgenommen, Claudius und mich. Dort wird man sehr zuvorkommend behandelt, die Mädchen haben Anstand und…«

Veyron schnippte mit den Fingern und rannte los. Tom, Faeringel und Nero hatten Mühe mit ihm Schritt zu halten. Schnell übernahm der Elbenjäger wieder die Führung.

Im Nu waren sie zurück auf den stark befahrenen Straßen, wichen den Gespannen und Wägen aus und zogen sich die Flüche der Kutscher und Wagenlenker zu. Toms Herz raste derart, dass es ihm fast durch den Hals davonhüpfen wollte. Mit jeder Sekunde die verstrich, wurde es immer unwahrscheinlicher, dass sie den dicken Lucius noch lebend antrafen. Consilian hatte sie erneut genarrt, oder aber sie waren Opfer ihrer eigenen falschen Rückschlüsse geworden.

Sie waren noch zwei Häuserblocks entfernt, als ein mehrfaches, schrilles Kreischen durch die Nacht hallte. Zu spät, schoss es Tom durch den Kopf, wir kommen zu spät. Nichtsdestotrotz beschleunigten Veyron und Faeringel ihre Schritte noch einmal.

Das Molae Rubin war eine einfache insula, eine Mietskaserne mit sechs Stockwerken. Durch die geschlossenen Fensterläden schimmerte der Schein roter Lampen. Auf der Straße sammelte sich ein ganzer Schwarm leichtbekleideter und teilweise auch nackter, junger Frauen, die sich gegenseitig in den Armen hielten. Manche weinten, andere hielten sich lediglich die Hände vor den Mund. Allen war gemein, dass sie vor Angst zitterten. Faeringel rief ihnen auf Lateinisch zu, ihm sofort zu sagen, was vorgefallen war.

»Die Medusa«, rief eine der Dirnen aufgekratzt und deutete mit dem Finger hinauf zu den Fenstern im dritten Stock. Die Läden standen speerangelweit offen, mit großer Gewalt nach außen gedrückt, und drohten jeden Moment herunter zu fallen.

»Dann nichts wie hinauf«, entschied Veyron. Ohne Furcht sprang er in den Eingang, Tom und Faeringel hinterher. Nero kam als letzter, offenbar besorgt darüber, dass ihn die eine oder andere Frau vielleicht erkennen könnte.

Oben angelangt, fanden sie zunächst nur noch mehr junge Frauen, die miteinander tuschelten. Alle starrten auf eine offenstehende Tür. Veyron kannte keine Furcht. Ohne Zögern trat er in das dahinter liegende Zimmer. Tom folgte ihm sofort, während Faeringel im beschwichtigenden Tonfall mit den Frauen sprach. Nero hielt sich im Hintergrund, wartete ungeduldig, bis sich das Stockwerk leerte.

Das Zimmer war klein, gerade groß genug, um ein breites Ehebett aufzunehmen, die Laken aus Samt und Seide, an der Decke eine glutrote Lampe. Das ganze Zimmer roch unerträglich intensiv nach Parfum. Eine kleine Schiebetür hinter dem Bett führte in einen noch kleineren Nebenraum, in dem nur ein schmuckloser Schminktisch samt Spiegel und Hocker stand, offenbar der Vorbereitungsraum der hier arbeitenden Dirne.

Lucius Vitellius fanden sie mitten im Bett. In seiner ganzen Pracht lag er dort; dunkelgrau wie Schiefergestein, mit dem Ausdruck blanken Horrors im Gesicht – für die Ewigkeit festgehalten. Tom hielt die Luft an, als er den versteinerten Leichnam genauer betrachtete.

»Mann, ich wusste gar nicht, dass er so fett ist«, meinte er mehr verblüfft, denn schockiert. Veyron zeigte wie üblich keinerlei Berührungsängste. Er hastete von einem Ende des Zimmers zum anderen, sprang mehrmals in die kleine Kammer und dann zum Bett, ehe er auf Vitellius kroch. Was für ein groteskes Bild, seinen Paten auf dem versteinerten Körper herumkriechen zu sehen, mit seinem Smartphone verschiedene Stellen fotografierend. Danach untersuchte Veyron den Fußboden, anschließend die offenen Fenster und schoss Fotos von den herausgesprengten Scharnieren. Er fischte eine Pinzette aus seiner Hosentasche, kehrte ein wenig Staub vom Fenstersims in einen Briefumschlag, den er ebenfalls aus der Hose herauskramte. Danach nahm er eine weitere Probe vom Fußboden, die er in einen zweiten Umschlag pinselte.

Ohne ein weiteres Wort wandte er dem versteinerten Vitellius den Rücken zu und gab Tom einen Wink. Hier waren sie fertig. Gemeinsam verließen sie das Zimmer, traten zurück in den Gang und eilten das Treppenhaus hinunter. Faeringel befand sich in der Diskussion mit der Puffmutter, einer alten Frau mit hochgesteckten grauen Haaren, die einen beträchtlichen Leibesumfang aufwies, jedoch keinerlei Anzeichen irgendeiner Schönheit. Nero hatte sich auf die andere Straßenseite begeben, darum bemüht, dass ihn niemand erkannte. Tom kam nicht darum herum, ihn für einen Feigling zu halten.

»Calpurnia hat mir gerade erzählt, dass sie erst heute ein neues Mädchen engagiert hat. Sie war schwarz gekleidet, hat aber achthundert Denare bezahlt, um heute Nacht hier arbeiten zu dürfen. Calpurnia kannte keine Gewissensbisse. Über die wahre Identität der Frau weiß sie nichts. Die Fremde trug eine Maske«, berichtete Faeringel.

 

Veyron wandte sich an die fette Calpurnia, sein Blick so stechend wie eh und je. »Mit Eurer Gier, meine Dame, habt Ihr heute Nacht das Todesurteil dieses Mannes unterzeichnet. Seid gewiss, dass die Vigiles Fragen stellen werden. Ihr habt Euch – unwissentlich zwar – zur Gehilfin des Ordens der Medusa gemacht. Meinen Glückwunsch, das wird Euch einige Berühmtheit bescheren. Das Beste wird sein, Ihr sucht Euch unter den tüchtigsten Eurer Mädchen schon einmal eine Nachfolgerin für dieses Etablissement. Ich fürchte, Eure Zeit als Herrin dieses Hauses neigt sich nämlich dem Ende. Wenn Ihr Glück habt, kommt Ihr zumindest mit dem Leben davon. Ich wünsche noch eine Gute Nacht.«

Wie ein Wirbelwind machte Veyron auf den Absätzen kehrt. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, stapfte er mit hastigen Schritten in die Dunkelheit davon. Tom und Faeringel folgten ihm sofort. Zurück ließen sie den Schwarm leichter Mädchen, die eifrig diskutierten und mit den Fingern auf ihre Herrin zeigten. Das Antlitz der alten, gierigen Calpurnia war so bleich geworden wie der Marmor eines Tempels.

»Das war ziemlich fies von Ihnen«, meinte Tom, als sie außer Hörweite waren. Nero schloss wieder zu ihnen auf, grimmig beäugt von Faeringel. Der junge Prinz erzählte etwas davon, dass die Hälfte der Mädchen ihn besser kannte, als Iulia oder seine Geschwister.

»Im Gegenteil. Ich finde, ich war einigermaßen fair zu der alten Calpurnia und habe sie adäquat auf die bevorstehenden Ereignisse vorbereitet«, erwiderte Veyron nach einer Weile, auf Neros Ausrede in keinster Weise eingehend.

»Klar. Warum haben Sie ihr nicht gleich noch einen Strick geschenkt, den sie sich um den Hals legen kann«, fragte Tom bissig.

»Das wäre unpassend gewesen. In Gloria Maresia nimmt man Gift. Davon besitzt Calpurnia sicher genug, mach dir keine Gedanken. Ärgerlich ist nur, dass wir Lucius nicht retten konnten. Ich bin sicher, wir hätten ihn mit Leichtigkeit zum Reden gebracht. Aus diesem Grund hat ihn Consilian auch ermorden lassen. Mit der erfolgreichen Befreiung von Claudius, wurde Vitellius weitere Existenz für ihn zur Gefahr.«

Nero schnaubte wütend. »Es ist nicht zu fassen! Der eigene Großcousin betreibt den Untergang meiner Familie! Er hat Claudius verhöhnt und gequält und mir diese Gladiatorentruppe zugespielt, nur damit er meine Pläne letztlich an Consilian verraten kann. Es geschieht ihm ganz recht, dass er als ein Stück Fels endet!«

»Womöglich hat er Consilians Attentätern auch die Details von Ennias Räumlichkeiten verraten und Viper-Lady mit ihren Kobolden Zugang zum Palast auf Bovidium verschafft. Erinnert Euch: Er war der Einzige, der den Angriff der Kobolde laut eigener Aussage so gut wie verschlafen hat. Mit Vitellius Hilfe konnte Consilian Angst und Schrecken verbreiten und die kaiserliche Familie dezimieren. Vitellius erhoffte für sich dadurch natürlich einen Vorteil. Er ahnte wohl zu keiner Sekunde, dass er längst als Opfer des Ordens vorgesehen war. Mit Vitellius scheidet nun ein weiterer Anwärter auf den Thron des Augustus aus. Tirvinius wird nun keine andere Wahl mehr haben, als Consilian zu adoptieren«, schlussfolgerte Veyron kühl.

»Konntet Ihr sonst noch etwas feststellen, Meister Swift«, fragte nun Faeringel.

Veyron gestattete sich ein flüchtiges Lächeln. »Selbstverständlich. Der Angriff wurde von Viper-Lady ausgeführt. Sie hat Vitellius überrascht, ihn auf das Bett gedrückt und dann versteinert. Geflohen ist sie, in dem sie mit einer Druckwelle die Fensterläden auseinander sprengte. Der Versteinerungsmoment von Vitellius ist ähnlich ungewöhnlich wie bei Ennia. Er hatte Viper-Lady nicht direkt in die Augen gesehen, sondern auf seinen linken Bizeps. Ach ja: Viper-Lady hat Asche hinterlassen, als sie aus den Fenster sprang. Ich muss an Bord der Silberschwan nur noch analysieren, um welche Art Asche es sich handelt. Das Gorgonenhaupt unter Vitellius Kopf habe ich an Ort und Stelle zurückgelassen. Sollen sich die Vigiles darum kümmern und wie üblich zu den falschen Schlüssen gelangen. Wir sind dagegen auf der richtigen Spur.«

Nero schlug mit der rechten Faust in die offene Linke.

»Dann gehen wir jetzt und machen dem Monster einen Kopf kürzer! Der Spiegel des Isenkhin sprach ja von einem letzten Mord, ehe Medusa in ihr Versteck im Nebelmeer zurückkehrt.«

»Davon halte ich gar nichts«, tat Veyron seine Meinung kund.

Nero schnaubte nur verächtlich. »Dann bleibt hier in Gloria Maresia und haltet Consilian in Schach, aber ich habe fünf furchtlose Gladiatoren an meiner Seite. Wir werden zu Medusas Insel gehen und dieses Monster töten, egal wie lange es dauert, egal wie viele Leben es kostet.«

Veyron schenkte Nero einen nachdenklichen Blick. Er blieb stehen, legte den Kopf in den Nacken und schaute hinauf zu den Sternen.

»Ihr seid also wild entschlossen, diesen Plan in die Tat umzusetzen, ganz gleich, welch Wahnsinn das sein mag?«

Nero reckte trotzig das Kinn vor. »Das bin ich.«

»Einverstanden. Dann komme ich mit, genau wie Tom. Meister Faeringel, auch Eure Hilfe könnten wir brauchen. Nur die Elben Fabrillians vermögen sich im Nebelmeer zurechtzufinden. Captain Viul wird einen Navigator mit Euren Fähigkeiten dringend benötigen, wenn es keine Bruchlandung geben soll.«

Tom musste kurz husten. Das kam nun vollkommen überraschend, und zwar für jedermann. Jeder von ihnen starrte Veyron an, als hätte ihn irgendeine übermenschliche Kraft durch jemand anderen ausgetauscht. Veyron bemerkte das Staunen seiner Begleiter. Er musste laut und voll ehrlicher Belustigung auflachen.

»Nur keine falschen Rückschlüsse, meine Herren! Ich halte es immer noch für eine ausgesprochen dumme Idee. Da ich jedoch sichergehen will, dass Ihr lebendig zurückkehrt, mein lieber Nero, werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, um Euch zu schützen«, erklärte er. Vergnügt pfeifend schlenderte er in die Nacht davon, während sich Faeringel, Tom und Nero ratlose Blicke zuwarfen.

Kaum dass die ersten Sonnenstrahlen die Hausdächer Gloria Maresias berührten, vernahmen die Bewohner der Stadt ein weiteres Mal das tiefe, mehrfache Brummen der schweren Propellermotoren der Silberschwan.

Consilian stand vor den drei großen Fenstern seines Büros. Sein Blick galt dem sich langsam entfernenden Flugschiff. Ein kaltes Lächeln umspielte seine Lippen. Swift fliegt also nach Osten, dachte er, sein Triumphgefühl nur mühsam für sich behaltend. Alles verläuft wie geplant.

Hinter ihm machten zwei Sklaven, ein Mann und eine Frau, gerade den Kaminofen sauber. Hände und Arme waren schon schwarz, wegen der ganzen Asche, die sie fast geräuschlos in einen großen Eimer schaufelten. Der männliche Sklave, kaum älter als zwanzig, kümmerte sich hauptsächlich darum, dass alles blitzblank glänzte, während er die Frau, etwa zehn Jahre älter als er, die Drecksarbeit machen ließ. Kein Wunder, der Müll- und Aschedienst war selbst unter den Sklaven ausgesprochen unbeliebt. Jeder drückte sich, wo er konnte. Noch weniger wunderte es Consilian, dass man ausgerechnet diese beiden dafür ausgesucht hatte. Der Junge hatte ein schiefes Gesicht, entweder durch einen Unfall, oder von Geburt an entstellt. Welcher Herr wollte so einen schon an seiner Seite wissen?

Die junge Frau, obwohl zweifellos attraktiv, war über und über mit Schmutz und Unrat bedeckt. Sie stank auf vielen Metern, auch wenn sie versuchte, das mit Parfum zu übertünchen. Vielleicht war sie auf den Müllhalden außerhalb der Stadt aufgewachsen. Ihre Ausdünstungen waren jedenfalls so entsetzlich, dass sich ihr niemals ein Mann nähern würde, ganz gleich wie sehr ihn die Leidenschaften plagten. Nein, eine andere Aufgabe als den Mülldienst würde sie niemals erhalten. Consilian störte sich jedoch nicht an dem Gestank. Er tat einfach so, als existierte er nicht. Ein Imperium brauchte niedere Kreaturen wie diese beiden Sklaven. Jemand musste ja den Müll rausschaffen.

Es pochte an der schweren Holztür. Consilian bat herein. Octavius, streckte respektvoll den Kopf herein. Er wartete, bis ihm Consilian die Eintrittserlaubnis erteilte.

»Komm herein, Octavius«, sagte er, dann wandte er sich an die beiden Sklaven. »Ihr zwei, verschwindet!«

Der Junge und die Frau verbeugten sich, nahmen die Eimer und huschten nach draußen. Consilian verkniff sich ein boshaftes Lächeln, als Octavius zwei Schritte beiseitetrat, als die stinkende Sklavin an ihm vorbeieilte.

»Wie entsetzlich«, meinte der Prätorianer-Tribun.

Consilian lachte. »Ja, es ist schon erstaunlich, was das Sklavenhaus des Mons Palatinus für Kreaturen beherbergt. Schließ die Tür und erstatte deinem Herrn Bericht!«

Octavius tat wie ihm geheißen, anschließend trat er vor Consilian.

»Die Silberschwan hat die Stadt verlassen.«

»Unüberhörbar für alle, die Ohren haben und unübersehbar für alle, die nicht mit Blindheit geschlagen sind. Erzähl mir etwas, dass ich noch nicht weiß!«

»Der Verräter Nero befindet sich an Bord, ebenso Prinzessin Iulia. Sie hat die Silberschwan den ganzen gestrigen Tag nicht verlassen. Ich glaube, dieser alberne Flugzeugkönig macht ihr den Hof. Meine Spione haben mir außerdem berichtet, dass Swift, sein Sklave und dieser geheimnisvolle Elbenkrieger heute Morgen an Bord gegangen sind, zusammen mit Nero. Soweit wir wissen, befinden sich auch die anderen Überlebenden von Neros Bande an Bord, ebenso wie der elende Claudius.«

Consilian hob interessiert die Augenbrauen, als er das hörte. Blitzschnell rasten seine Gedanken, er überprüfte seinen Plan und welche Auswirkungen die Geschehnisse darauf höchstwahrscheinlich haben würden. Er gestattete sich ein zufriedenes Lächeln.

»Mein Plan gerät dadurch nicht in Gefahr«, versicherte er Octavius. »Wie hat das Volk den Tod von Lucius Vitellius aufgenommen?«

Octavius lachte kurz auf. »Es fehlt nicht viel bis zur Massenpanik. Niemand traut sich mehr aus den Häusern. Die Straßen sind regelrecht verwaist. Sind wir diesmal nicht zu weit gegangen?«

»Vitellius Tod war zwingend erforderlich, um die Stabilität des Plans zu gewährleisten. Ist die Gorgone wieder sicher in Anlage B angekommen?«

»Ihre Nachricht besagte nichts Gegenteiliges. Sie leidet allerdings immer noch an der Wunde, die man ihr auf Bovidium zugefügt hat. Sie sagt, sie braucht Zeit, um sie auszukurieren.«

»Lass sie wissen, dass sie solange Zeit hat, bis Veyron Swift bei ihr auftaucht. Dann wird es für sie um Leben und Tod gehen.«

Octavius stutzte überrascht und bedachte seinen Herrn mit einem skeptischen Blick. »Glaubt Ihr wirklich, dass er das Versteck der Gorgone finden wird?«

»Swift würde mich schwer enttäuschen, wenn nicht. Sind die letzten Berichte eingetroffen?«

Octavius nickte. Die ganze Zeit hatte er eine Mappe unter dem Arm geklemmt gehalten. Nun holte er sie hervor und legte sie auf Consilians Schreibtisch.

»Alle Anweisungen wurden gemäß Euren Befehlen ausgeführt. Die Rückmeldungen und Bestätigungen der einzelnen Abteilungsleiter liegen vor. Wenn Ihr sie sichten wollt…«

»Ich werde sie mir durchlesen und dann verbrennen«, unterbrach ihn Consilian schroff. Ohne ein weiteres Wort setzte er sich hinter seinen massiven Schreibtisch. Octavius schien die Geste zu verstehen, verbeugte sich kurz und machte auf den Absätzen kehrt. Er ließ seinen Herrn wieder allein. Consilian warf einen Blick auf den kalten Kaminofen. Die beiden Sklaven hatten ihn sorgfältig saubergemacht. Jetzt funkelte der stählerne Gitterrost wieder im morgendlichen Sonnenlicht. Schon bald würde ihn Feuer und Ruß wieder schwärzen.

Der Verrat des Consilian wird als Asche verschwinden, Veyron Swift zu Stein erstarren und das Imperium einen neuen Augustus krönen, sagte er sich mit einem triumphierenden Grinsen. Hinterher werden die Sklaven wieder alles sauber machen. Das ist der Lauf der Dinge.

Der fast acht Stunden währende Flug führte die Silberschwan quer über das Land Maresia, hinaus auf das Binnenmeer Elderwelts, über die Königreiche Achaions hinweg, mitten hinein ins östlich angrenzende Nebelmeer. Sie mussten mit nur 170 km/h durch die Luft „kriechen“, denn Captain Viul machte sich allmählich Sorgen um ihren Treibstoffvorrat. Deshalb war Langsamflug angesagt.

»Fehlt mir gerade noch, dass wir irgendwo hier festsitzen und warten müssen, bis ein Tankschiff aus Talassair aufkreuzt, was Tage dauern kann. Bis dahin sind wir Beute von Piraten geworden, oder stecken in den Bäuchen von Menschenfressern«, brummte er ungehalten.

 

Auch ansonsten war die Stimmung an Bord eher gedrückt. Die fünf Gladiatoren und der arme Claudius mussten sich ans Fliegen erst gewöhnen. Sie alle wurden stets aufs Neue kreidebleich, wenn sich die Silberschwan gemächlich in die Kurven legte. Die fünf muskelstarrenden Kämpfer unterhielten sich flüsternd auf Latein, was Tom nicht verstehen konnte. Vermutlich diskutierten sie ihre Chancen im Kampf gegen die Medusa. Sie standen wohl nicht besonders gut, wenn er die langen Gesichter richtig interpretierte. Claudius schlief die meiste Zeit, nachdem er sich stundenlang gewaschen und rasiert hatte. Faeringel war oben im Kontrollraum, assistierte dem Navigator bei der Festlegung des Kurses und des Anflugwinkels auf das Nebelmeer.

Nero und Iulia zogen sich in zwei verschiedene Ecken des Salons zurück und verbrachten die Zeit damit, sich anzuschweigen. Zuerst hatte Nero ja heftig protestiert, dass sich seine Cousine – und einstige Gattin – überhaupt an Bord befand. Mit einer Verräterin würde er keinen Meter fliegen. Daraufhin hatte ihn Veyron übel angefahren.

»Diese Frau hat sich tagelang durch die Wildnis geschlagen, Schraten und Fenrissen getrotzt, die Himmelmauerberge überquert, den Horror in der Schlucht der Nacht widerstanden und sogar Verletzung und Tod in Kauf genommen, um Euch aus diesem Gefängnis zu befreien! Daher will ich für den Rest der Reise kein weiteres Wort mehr hören, ansonsten werfe ich Euch eigenhändig aus der Maschine!«

So zornig und aufgebracht hatte Tom seinen Paten noch nie erlebt. Nero wohl auch nicht, denn er wagte es nicht, noch einmal etwas zu sagen. Iulia war die ganze Sache sichtlich unangenehm. Sie bat darum, in Gloria Maresia zurückzubleiben, aber Veyron verweigerte es ihr mit nicht minder scharfen Worten. Für die Dauer des Flugs zog sich sein Pate nach unten in den Frachtraum zurück. Seitdem hatte ihn keiner mehr zu Gesicht bekommen.

Es war schließlich Viul, der Tom per Bordsprechanlage über die Ankunft am Zielort informierte.

»Wir sind gleich da, sag deinem Patenonkel Bescheid. Wir landen gleich. Meine Güte, was für ein Wahnsinn…«

Tom stieg nach unten in den Frachtraum. Veyron hatte sich dort aus ein paar Kisten einen provisorischen Labortisch zusammengebaut und seiner Reisetasche Schläuche, Reagenzgläschen und ein Mikroskop entnommen. Tom fragte sich, welch weitere Wunderwerke sein Pate da drin noch verstaut hatte. Kein Wunder, dass dieses abscheuliche Stück Filz so verdammt schwer ist, dachte er.

»Wir sind gleich da, soll ich Ihnen sagen«, rief er Veyron zu. Der reagierte gar nicht, sondern winkte Tom geistesabwesend zu sich.

»Merkwürdig«, murmelte Veyron und schaltete die Beleuchtung des Mikroskops ab. Er nahm ein Reagenzglas, in dem sich die mit Wasser aufgegossene Asche aus dem Molae Rubin befand, zwischen Daumen und Zeigefinger.

»Ich hatte eine chemische Substanz erwartet, um damit Spuren zu verwischen. Das hier ist jedoch nur ganz gewöhnliche Holzasche, ganz ohne Zusätze. Die Beschaffenheit der Asche verrät, dass es sich um feuchtes, saftiges Jungholz handelte, noch elastisch und biegsam, aber bereits in der Austrocknungsphase, vermutlich dünnes Geäst, erst vor wenigen Wochen geschnitten«, erklärte er. Dann verschloss er das Gläschen mit einem Korken. Er steckte es in seine Tasche. Tom zuckte ahnungslos mit den Schultern.

»Was soll mir das jetzt genau sagen?«

»Reisig, Tom. Viper-Lady hat auf diesem Fenstersims Reisig verbrannt. Was sollte ihr das bringen? Das macht keinen rechten Sinn. Außer vielleicht… ach, was sagtest du? Wir sind gleich da? Schön, dann lass uns nach oben gehen.«

Veyron legte seine Laborausrüstung zur Seite. Zusammen mit Tom stieg er ins Oberdeck, wo sich Cockpit und Kartenraum befanden. Faeringel war bei Viul und Kopilot Wagner und gab ihnen genaue Anweisungen.

Vor den großen Fenstern breitete sich ein schier endlos scheinendes Nebelfeld von einem Horizont zum anderen aus. An mancher Stelle ragten spitze Felsen aus dem Nebel, markierten die höchsten Gipfel unbekannter Gebirge. Captain Viul war bei der ganzen Sache nicht wohl. Er schüttelte pausenlos den Kopf, als ihm Faeringel genau sagte, wie viele Grad er nach Backbord oder Steuerbord steuern musste. Sie flogen jetzt so langsam, dass die Silberschwan jeden Moment abzustürzen drohte.

»Was für ein Irrsinn! Ein totaler Blindflug«, schimpfte Viul.

Faeringel nahm es mit einem spitzbübischen Lächeln auf. »Wir Elben haben alle Bereiche des Nebelmeers erkundet und vermögen als einzige, dort zu navigieren. Vertraut mir, ich weiß ganz genau wo wir uns befinden und wo wir am sichersten wassern können. Denkt daran, das ganze Nebelmeer ist durchzogen von messerscharfen Felsen. Schon viele Seefahrer der Menschen haben dieses Wagnis versucht. Sie sind gescheitert und mussten umkehren. Wer dies nicht tat, ging unter und verlor sein Leben.«

Viuls Laune vermochte das nicht zu heben. Er brummte etwas Unverständliches und achtete dabei genau auf die Instrumente. Der Höhenmesser zeigte jetzt nur noch wenige Meter.

»Noch langsamer und wir bekommen einen Strömungsabriss«, brummte Wagner neben ihm. Sie sanken tiefer, glitten ganz knapp über dem Wasser dahin.

»Wir müssen aufpassen, dass das Heck nicht zu tief sackt. Sonst werden wir von den Wellen erfasst und ins Wasser gesogen. Eine Bruchlandung fehlt mir gerade noch«, murrte Viul. Tom hielt die Luft an, Veyron blieb ganz gelassen. Der Höhenmesser stand jetzt auf null. Den Kontakt mit dem Wasser spürte man kaum, es war nur ein Gefühl plötzlichen Bremsens, ganz ohne Lärm. Erst als Viul erleichtert ausatmete, vermochte auch Tom sich zu entspannen.

»Wir sind unten – und stehen. Motoren sind aus«, meldete Wagner.

Sie hatten es geschafft; mal wieder.

Der Nebel war so dicht, dass Tom, obwohl er auf dem Stummelflügel stand, nicht einmal die Flügelenden des riesigen Flugschiffs genau ausmachen konnte. Das Meer war dunkel, aber ruhig, die Luft dafür recht kalt. Den Gladiatoren mit ihren einfachen Tuniken, wurden Ponchos gegeben, die Crew der Silberschwan hüllte sich in dicke Jacken. Auch Tom wurde eine gegeben. Durch die grauen Nebelschwaden konnte er zu beiden Seiten des Flugschiffs schwarze Ufer erkennen, wie verschwommene, unwirkliche Geister.

»Wo sind wir denn diesmal gelandet? Freundlich sieht es hier nicht aus«, meinte er.

Faeringel, der hinter ihm in der Zugangstür stand, nickte. »Zur Linken liegen die Zerklüfteten Lande. Einst waren sie die südlichen Ausläufer der Himmelmauerberge. Dann versank Atlantis vor dreitausend Jahren im Ozean und ein schreckliches Beben zerstörte diese Gegenden. Sogar die Berge stürzten ein und zerbrachen in unzählige, scharfkantige Felsblöcke. Seitdem wächst hier nichts mehr, kein Gras, kein Baum. Nur die allerhärtesten Dornbüsche können hier gedeihen. Hinter den Schatten der Felsen liegen unzählige Höhlenlabyrinthe. Nach dem Tod des Dunklen Meisters vor tausend Jahren, flüchteten viele der Unwesen hierher, wo sie zahllose Verstecke fanden. Hier jagen die Silberspinnen, ganze Schwärme davon. Kein Mensch kann hier überleben.«

Er wandte sich zur anderen Seite und deutete auf die schwarzen Schemen im Nebel. »Und da drüben liegt die Insel der Medusa, ein trostloses und einsames Eiland. Die Talarin haben das ganze Nebelmeer durchfahren, wir kennen jeden Felsen, der unter dem Wasser lauert, auch die Zerklüfteten Lande haben wir erforscht. Doch die Insel der Medusa hat noch kein Elb betreten. Wir spüren die Trostlosigkeit und den Schmerz, der von diesem Ort ausgeht. Die Insel der Verlorenen Seelen, nennen wir sie. Warum sollten wir diese Kreatur in ihrer Einsamkeit stören wollen? Sie würde uns nur angreifen. Solange man sie in Ruhe lässt, ist Medusa für niemanden eine Gefahr«, sagte er.

Tom wollte ihm schon widersprechen, ihn daran erinnern, wie viele arme Menschen dieses Monster in Gloria Maresia versteinert hatte. Zweimal war er ihr schon gegenübergestanden.

»So ein Blödsinn«, schnaubte er. Faeringel bedachte ihn mit einem interessierten Blick, sagte aber sonst nichts.

»Was weißt du von Medusa, Tom«, fragte Veyron hinter ihm. Er trat zu ihnen, in seinen schwarzen Wollmantel gehüllt und die Fäuste tief in die Taschen gesteckt.

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