Veyron Swift und der Schattenkönig

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Из серии: Veyron Swift #3
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3. Kapitel: Ganz neue Wege

Veyron sollte recht behalten: Zu weiteren Angriffen des Schattenkönigs und seiner Vampire kam es diese Nacht nicht mehr. Es verging eine halbe Stunde, ehe Rettungskräfte und die Polizei eintrafen. Jane wurde sofort in den Rettungswagen verfrachtet und mit Höchstgeschwindigkeit ins Saint Mary’s Hospital gefahren. Nach einer kurzen Befragung durch die Polizei verlangte Veyron, dass Tom, Danny, Agent Hunter und er selbst ebenfalls medizinisch erstversorgt wurden. Bevor die Beamten sich wieder auf sie stürzen konnten, um ihnen Fragen zu stellen, auf die Tom keine Antwort zu geben gewusst hätte, brausten auch sie mit Blaulicht davon Richtung Notaufnahme. Sollte die Polizei doch den versenkten Bus fotografieren und andere Zeugen befragen – es standen ja genügend Leute rum. Unterwegs kamen ihnen Einheiten der Feuerwehr und noch mehr Polizei und Rettungskräfte mit Sirenen und Blaulicht entgegen. Die Medien hatten ebenfalls nicht lange auf sich warten lassen. Als sie im Krankenhaus eintrafen, beugten sich die Patienten im Empfangsbereich über ihre Smartphones und unterhielten sich über das, was bereits auf YouTube die Runde machte: Videoaufnahmen der brennenden Fahrzeuge und des versenkten Busses im Paddington Branch. Es wurde gemutmaßt und spekuliert, was geschehen war. Von der Wahrheit, da war Tom sicher, waren jedoch alle Theorien meilenweit entfernt.

Im Behandlungsraum entfernten ein Arzt und eine Schwester ihm zahlreiche Splitter, die sich praktisch überall in seine Haut gebohrt hatten. Noch nie in seinem Leben war er derart verpflastert gewesen. Als er endlich fertig verarztet war, schickten sie ihn hinaus in den Warteraum. Dort traf er auf Detective-Chief-Inspector Gregson, Janes Vorgesetzten und engen Vertrauten Veyrons. Der hünenhafte Inspector eine absolute Respektsperson, der man nichts zu verheimlichen traute, und normalerweise sehr besonnen. Doch heute wirkte der silberhaarige Gregson besorgt und aufgeregt. Er sprach gerade mit Danny, der ihm Details ihrer haarsträubenden Flucht berichtete. Agent Hunter sah Tom nicht. Er glaubte, dass sie sich nach der ärztlichen Behandlung in aller Stille abgesetzt hatte – vermutlich, um sich in irgendeinem MI-6-Versteck zu verkriechen. Wahrscheinlich musste sie sich vor C verantworten und ihm ausführlich Bericht erstatten. Veyron war ebenfalls nicht anwesend.

Nachdem Gregson ihn kurz begrüßt hatte, fragte Tom nach dem Verbleib seines Paten.

»Er ist bei Willkins, oben auf der Intensivstation. Komm, ich bring dich hin«, erklärte der Inspector, fasste Tom an der Schulter und führte ihn hinaus.

Schweigend gingen sie den Korridor hinunter, vorbei an hin- und herhuschenden Krankenschwestern und Pflegern. Die aufsehenerregenden Ereignisse dieser Nacht beeinflussten sie offenbar nicht. Für sie waren alle Patienten gleich.

»Hat es weitere Verletzte gegeben?«, wollte Tom wissen.

Gregson schüttelte den Kopf. »Nur ein paar erschrockene Passanten, die neugierigen Fernsehjournalisten von einem ›wild gewordenen Busfahrer‹ berichtet haben. Einige behaupteten, zwei riesige Kerle gesehen zu haben, die dem Bus nachliefen und ihn sogar einholten.« Der Inspector lächelte säuerlich. »Zum Glück hat ihnen niemand geglaubt, sonst wär jetzt die Hölle los. Die Explosionen in der False Lane halten die meisten Medien derzeit für Terroranschläge, manche denken aber auch an Unruhen.«

In Toms Kopf drehte es sich, als er versuchte, die Vielzahl an Informationen aufzunehmen und in den richtigen Kontext zu bringen.

»Das wird die nächsten Tage viel Ärger geben. Ein ganzes Team der Polizei wurde ermordet. Wir haben keinen Täter, keine Terroristen, keinen Amokläufer«, raunte Gregson neben ihm.

»Es war der Schattenkönig. Ich hab ihn selbst gesehen«, erwiderte Tom, worauf Gregson seine linke Schulter kurz drückte.

»Ja, das hat Veyron auch schon berichtet«, sagte er. »Doch das können wir der Presse wohl kaum erzählen, oder? Diese Sache sieht einfach zu sehr nach einem Terroranschlag aus, und das wird dann letztlich auch die Runde machen. Die ganze Stadt wird in Furcht geraten, Politiker werden diskutieren, und wir, die Polizei, werden wie Idioten dastehen. Weil wir nicht in der Lage waren, diesen Angriff zu verhindern oder die Schuldigen festzunehmen.«

Mit dem Lift ging es ein paar Stockwerke hinauf. Die Intensivstation wurde von zwei uniformierten Constables bewacht. Gregson zeigte seine Marke, und man ließ ihn hinein. Tom durfte ebenfalls passieren.

»Polizeischutz«, erklärte Gregson. »Intern gehen wir von einem gezielten Anschlag aus, darum steht Willkins jetzt unter Bewachung. Niemand, der nicht autorisiert ist, darf zu ihr – nicht einmal das Personal des Krankenhauses.«

»Das wird den Schattenkönig nicht aufhalten. Ich hab gesehen, dass er sich teleportieren kann«, raunte Tom halblaut.

Gregson kniff kurz die Lippen zusammen – ein stilles Eingestehen der eigenen Hilflosigkeit.

Sie kamen in den Vorraum, wo sie Veyron fanden. Einsam und allein saß er auf einem Stuhl. Dass ihn das Ganze ebenfalls sehr mitnahm, konnte Tom an seiner finsteren Miene erkennen – und sein Pate ließ sogar den Kopf etwas hängen. Das erschreckte ihn mehr als vieles andere in dieser Nacht. Hinter einer großen Scheibe erblickte er Jane. Leichenblass lag sie auf einem Krankenbett, an zahlreiche Schläuche angeschlossen. Ein furchtbarer Anblick.

Ein Arzt kam soeben aus dem Raum und nickte ihnen zu.

»Wie geht es meiner Kollegin?«, fragte Gregson sofort.

»Sie ist stabil, aber sie hat viel Blut verloren«, antwortete der junge Mediziner. Er warf Tom einen abschätzenden Blick zu, nahm Gregson etwas beiseite und fuhr mit gedämpfter Stimme fort: »Und da ist noch etwas, das uns Sorgen bereitet. Ihr Herz ist angegriffen, und sie zeigt alle Anzeichen einer Vergiftung. Wir kennen aber das Gift nicht und wissen nicht, wie wir sie behandeln sollen. Wir wollen sie vorerst in ein künstliches Koma versetzen, um die Ausbreitung des Gifts zu verlangsamen.«

Wenn er glaubte, Tom würde ihn nicht verstehen, irrte er. Er hörte es deutlich genug und schluckte. Veyron blieb allerdings ungerührt sitzen.

»Danke, Doktor. Würden Sie uns einen Moment allein lassen?«, bat Gregson und nickte nach draußen.

Der junge Arzt nickte. Kurz darauf waren sie unter sich.

»Sie wird es doch überleben, oder Veyron?«, fragte Gregson besorgt.

Zunächst reagierte Veyron gar nicht. Dann seufzte er und fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Ich bezweifle, dass unsere Medizin in der Lage ist, sich mit dem Gift des Schattenkönigs zu messen«, sagte er ausdruckslos.

Sein Mangel an Emotionen machte Tom gleich wieder wütend. Jane lag im Todeskampf, und Veyron war nicht einmal jetzt in der Lage, ein wenig Mitgefühl und Wärme zu zeigen. »Moment mal! Sie reden da von Jane, Mann! Es muss doch etwas geben. Was ist mit den Elben? Königin Girians Heiler, die können sicher helfen. Den Heilungstrank der Elben habe ich schon mit ganz anderen Verletzungen fertig werden gesehen«, protestierte er – lauter, als er es beabsichtigte. Inspector Gregson bedeutete ihm, ruhig zu bleiben, doch er beachtete ihn gar nicht. »Lassen Sie uns nach Wisperton fahren und nach Elderwelt gehen. Bis spätestens morgen Abend können wir Hilfe für Jane organisiert haben und …«

Veyron schnitt ihm das Wort ab. »Wir können nicht nach Wisperton reisen. Die Agenten des Schattenkönigs beobachten uns, sie würden uns verfolgen und angreifen.«

Tom blieben die Argumente im Hals stecken. Ratlos blickte er auf die reglose Jane, schaute eine Weile dem hüpfenden Punkt auf dem EKG zu. »Es muss doch etwas geben, das wir tun können. Wir dürfen Jane nicht einfach sterben lassen«, meinte er leise und wischte sich die Augen. Der Kloß in seinem Rachen ließ seine Stimme versiegen. So durfte es auf keinen Fall enden.

»Wir können gar nichts tun.« Veyrons Stimme war entschieden und, wie Tom fand, absolut eisig. Sein Pate stand auf und ging, ohne dabei Gregson oder Tom noch einmal anzusehen, Richtung Tür.

Bevor er sie erreichte, trat ihm jedoch der Inspector in den Weg und packte ihn am Arm. »Sie dürfen ihn nicht gewinnen lassen, Veyron. Nicht noch einmal! Wenn jemand in der Lage ist, den Schattenkönig zu schlagen, dann sind Sie das«, herrschte er ihn ungewöhnlich scharf an.

Veyron wand sich aus Gregsons Griff. »Nein, das bin nicht«, gab er zurück und verließ den Raum.

Tom war mit Gregson allein und schüttelte verzweifelt den Kopf. Die abweisende Haltung seines Paten konnte er diesmal noch weniger als sonst verstehen. Dabei musste er sich doch auch um Jane sorgen. So düster kannte Tom ihn jedenfalls nicht, und diese unmenschliche Herzlosigkeit, gerade in dieser Lage, war ihm überhaupt nicht verständlich.

»Es nimmt ihn schwer mit«, glaubte Gregson dagegen zu erkennen. »Ich habe das schon einmal erlebt. Er gibt sich die Schuld an Janes Zustand, auch wenn er jetzt so tut, als ließe ihn das alles völlig kalt. Glaub mir, Tom. Das tut es nicht. Ich kenne ihn lange genug. Wenn er so reagiert, dann nur, weil er sich wirklich große Sorgen um sie macht.«

Tom wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Er erinnerte sich an Veyrons Doktrin, keine Gefühle zuzulassen, welche die Leistungsfähigkeit seines Verstandes einschränkten. Das schloss ja wohl neben Liebe auch Trauer, Wut oder Zuneigung ein. Aber hier ging es um Jane, verdammt! Jane Willkins hatte sich um Tom gekümmert, seit er nach dem Tod seiner Eltern auch noch von seiner Tante im Stich gelassen worden war. Außerdem hatte sie ihnen bei ihrem letzten Abenteuer geholfen und war auch sonst immer zur Stelle, wenn Veyron Unterstützung bei einem Fall brauchte. Jane hatte es schlichtweg verdient, dass man sich mit aller Kraft für sie einsetzte. »Mir ist egal, wie mächtig der Schattenkönig ist, ich werde das nicht zulassen! Ich nehme den Kampf gegen diesen Dämon auf. Was auch immer ich dafür tun muss, ich werde Jane retten!«, verkündete er laut.

 

Gregson weitete überrascht die Augen. Bevor er etwas darauf erwidern konnte, eilte Tom auch schon an ihm vorbei nach draußen. Er fand Veyron auf dem Flur, sein Smartphone in den Händen. Gerade als Tom ihn erreichte, steckte er es wieder in die Manteltasche.

Tom ballte die Fäuste und wusste nicht, ob er damit den grauenhaften Dämon zerschmettern wollte oder den Widerspruch seines Paten. »Veyron, wir müssen was unternehmen. Den Schattenkönig aufhalten, ihn zerstören. Ich werde diesen Mistkerl erledigen, das schwör ich! Der Schattenkönig verträgt kein helles Licht, stimmt’s? Dann lassen Sie uns morgen früh nach Wisperton fahren und mit unserer Rückkehr nach Elderwelt warten, bis es Tag wird. Wir greifen ihn an, vernichten ihn und retten Jane«, sagte Tom.

Veyron warf ihm einen verwunderten Blick zu, dann verfinsterte sich seine Miene wieder. »Wir werden nichts dergleichen tun, Tom. Du hast keine Ahnung, was du da sagst. Der Schattenkönig ist kein Schrat oder ein Vampir, mit dem man es einfach mal so aufnehmen kann«, konterte er.

Tom wollte etwas erwidern, als ihn das leise zischende Geräusch sich öffnender Aufzugtüren herumwirbeln ließ. Fast erwartete er einen neuen Angriff der Vampire, aber es trat nur Danny Darrow in den Flur. Er war zwar blass und wirkte müde, aber beileibe nicht bereit zu kapitulieren. »Hey, da seid ihr ja! Ich hab lange nachgedacht, und wisst ihr was: Ich bin dabei, ganz egal, was ihr zwei jetzt vorhabt«, rief er ihnen zu.

Veyron hob skeptisch die Augenbrauen. »Sind Sie sicher, dass Sie wissen, worauf Sie sich einlassen, Mr. Darrow?«

»Na, so wie die Sache steht, bin ich ja an allem schuld. Ich hab Sie angeheuert, Fiona – ich meine Agent Hunter, oder wie sie wirklich heißt – aufzuspüren. Deswegen liegt Ihre Freundin jetzt auf der Intensivstation. Es geht um dieses Horn des Tri … Tro … Try … Naja, um das Horn dieses Meereskönigs eben. Und hey, ich wurde von Vampiren und dem Tod persönlich angegriffen. Ich will damit nur sagen, dass Sie auf mich zählen können. Ich hab so viel unnützes Zeug in meinem Leben gemacht, es wird Zeit, da was zu ändern. Hier geht’s um Leben und Tod, und die Sache ist mir ernst.«

Veyron schloss kurz die Augen. Daraus, wie hektisch seine Augäpfel unter den Lidern hin- und herrasten, schloss Tom, dass die Gedanken seines Paten rasten – endlich. Die kurze Phase depressiver Niedergeschlagenheit schien vorüber. Veyron wurde wieder aktiv, und Tom würde darauf wetten, dass er gerade einen Plan entwickelte, um dem Schattenkönig das Handwerk zu legen.

Dann öffnete Veyron seine Augen und lächelte schmal. »Hervorragend! Ihre Einsatzbereitschaft freut mich, Mr. Darrow. Anderenfalls hätte ich Sie zwingen müssen, sich uns anzuschließen. Ich habe eben eine Nachricht an C geschickt und ihn gebeten, uns Agent Hunter zur Seite zu stellen«, sagte er.

Tom begann zu grinsen und schlug die rechte Faust in seine linke Handfläche. »Dann reißen wir dem Schattenkönig jetzt den Arsch auf!«

»Nein, das tun wir nicht.«

Tom stutzte kurz, ließ sich aber nicht beirren. »Aber wir gehen wenigstens nach Wisperton und helfen Jane?«

»Nein, auch das werden wir nicht tun.«

Danny und Tom starrten Veyron ungläubig an. In diesem Moment stieß Inspector Gregson zu ihnen. Seine ratlose Miene zeigte genau, was Tom dachte: Was soll dieser Mist?

Veyron schaute in ihre Gesichter, und ein kurzes Lächeln flog über seine Lippen. »Ich habe nicht vor, mich dem Schattenkönig geschlagen zu geben, Inspector. Wir können allerdings nicht nach Wisperton gehen; es ist in mehrfacher Hinsicht schlichtweg zu riskant. Selbst am helllichten Tag können wir das nicht wagen. Vampire werden zwar vom Sonnenlicht getötet, und der Schattenkönig meidet es, aber seine Spione sind überall. Tauben, Krähen und Ratten, die er abgerichtet hat. Menschen, die in seinen Diensten stehen. Nein, es gibt keinen Ort auf der ganzen Welt, an dem er uns nicht aufspüren könnte. Machen wir uns lieber bewusst, warum uns der Schattenkönig überhaupt nachstellt. Es geht um das Horn des Triton. Er befürchtet, wir könnten es vor ihm finden. Sicherlich hat er von den Ermittlungen des MI-6 gegen die Zaltianna Trading Company erfahren und sah sich deshalb gezwungen, gegen Hunter und uns vorzugehen. Demnach muss das Horn für uns erreichbar sein, und da setzen wir unsere Strategie an. Wir schnappen es uns vor ihm und durchkreuzen somit seine Pläne. Selbstverständlich müssen wir dafür nach Elderwelt reisen. Tom, Mr. Darrow, Agent Hunter und ich werden das erledigen«, erklärte er.

Gregson schnaubte ungehalten. »Und was ist mit Willkins, Veyron? Sie liegt da drin und ringt mit dem Tod.« Aufgebracht wedelte er mit der Hand in Richtung Intensivstation.

Für einen Moment bemerkte Tom einen Ausdruck der Besorgnis in Veyrons Gesicht; nur ganz kurz.

»Auch dafür habe ich bereits Maßnahmen in die Wege geleitet, Inspector. Ich verspreche Ihnen, wir kehren so schnell zurück, wie es nur möglich ist«, versicherte er.

»Jane hat diese Zeit vielleicht nicht«, knurrte Gregson und verschränkte die Arme. »Mich interessiert dieses dumme Trötenhorn nicht, mir geht es allein um Jane.«

Das rechnete Tom dem Inspector hoch an, sehr hoch sogar.

Veyron atmete tief durch. »Dieses Risiko muss ich eingehen, Bill. Sie werden doch auf die gute Willkins aufpassen, während ich unterwegs bin?«

»Tag und Nacht. Aber wenn sie mir wegstirbt, dann verspreche ich Ihnen, dass es keinen Winkel auf dieser Welt – oder in der anderen – gibt, wo Sie sich vor mir verstecken könnten! Sie steht unter meiner Obhut, und Sie haben sie da reingezogen, verdammt!«

Veyron nickte ernst. »Akzeptiert«, sagte er, wirbelte herum und schritt in Richtung Lift davon.

Tom und Danny verabschiedeten sich kurz von Gregson und beeilten sich, um zu Veyron aufzuschließen.

»Wenn wir also nicht nach Wisperton können, wohin fahren wir dann«, fragte Tom neugierig. Er hatte nicht die blasseste Vorstellung, wie sie das alles bewerkstelligen sollten. Für ihn war nur klar, dass sie den Schattenkönig aufhalten mussten – um jeden Preis.

»Draußen wird es bald hell. Jetzt stärken wir uns erst einmal in der Cafeteria und warten auf Agent Hunter. Sowie unser kleines Team komplett ist, besuchen wir die Ramer-Stiftung«, antwortete Veyron.

Danny pfiff durch die Zähne. »Die Ramer-Stiftung? Gegründet von diesem mehrfachen Multimilliardär, Floyd Ramer, nicht wahr? Was wollen wir denn da?«

Veyron schwieg sich darüber aus und gab als Antwort lediglich ein vielsagendes Lächeln.

Agent Hunter bekamen sie diese Nacht nicht mehr zu Gesicht. Veyron erhielt nur kurz eine Nachricht, dass sie sich mit ihnen am vereinbarten Zielort treffen würde. Darum verbrachten Tom und Danny die Zeit in der Cafeteria allein in Veyrons Gesellschaft, der die Gelegenheit nutzte, um Danny intensiv in die Geheimnisse Elderwelts einzuweihen. Er berichtete über Vampire, Schrate, Fenriswölfe und zahlreiche andere Wesen und Unwesen, von den Elben Fabrillians, vom mächtigen Imperium Maresium und dem sagenhaften Reich Quin im Fernen Osten. Danny hörte interessiert zu, stellte aber nur wenige Fragen. Tom wusste das meiste bereits, aber manches war sogar ihm neu. So vergingen die Stunden bis zum Morgengrauen wie im Flug. Sobald die Sonne hinter den Wolkenkratzern der Londoner City aufstieg, machten sie sich auf den Weg zur Ramer-Stiftung.

Per Taxi ging es nach Canary Wharf, die beste und teuerste Adresse am Ufer der Themse. Die dicht gedrängt stehenden Hochhäuser auf der Isle of Dogs beherbergten Banken und Versicherungen und buhlten miteinander darum, sich an architektonischer Raffinesse und Höhe gegenseitig zu übertreffen. Jetzt, am frühen Morgen, spiegelte sich ein roter Sonnenaufgang auf den glatten Fassaden, ließ sie majestätisch und erhaben erscheinen. Beinahe wie Phantome einer anderen Welt, die nicht so recht in die Wirklichkeit passen wollten. Eines der jüngsten Mitglieder des Gebäudekomplexes waren die Zwillingstürme der Ramer-Stiftung.

Tom staunte nicht schlecht, als das Taxi sie davor absetzte. »Floyd muss es immer übertreiben«, sagte er ehrfurchtsvoll, als er auf die beiden kreisrunden und über zweihundert Meter hohen Bürotürme starrte, die von spiegelndem Glas eingefasst waren. Sie standen auf einer künstlichen, rechteckigen Parkinsel, die über zwei geschwungene Brücken vom Ufer aus erreichbar war.

»Ja, Bescheidenheit war noch nie eine von Floyds Stärken. Hier werden sein Immobilienbesitz auf der ganzen Welt, seine Geschäftsanteile an diversen Unternehmen sowie die unermesslichen Finanzmittel des Ramer-Imperiums verwaltet, gesteuert, erfasst und katalogisiert. Von hier aus tätigt Floyd seine Einkäufe, von hier aus fließen Kapitalströme ins Ausland und wieder zurück«, erklärte er Tom.

»Ihr redet, als würden wir dem Mann gleich begegnen. Aber Floyd Ramer hat doch vor etwa zehn Jahren Selbstmord begangen. Das stand in allen Zeitungen, und das Internet war voll von Verschwörungstheorien«, wandte Danny ungläubig ein.

Veyron lachte laut auf, als er das hörte. »Ja, das soll die ganze Welt denken. Die Wahrheit ist, dass er vor zehn Jahren dorthin ging, wo wir auch hingelangen wollen: nach Elderwelt. Aber das werden Sie hoffentlich alles sehr bald selbst sehen«, sagte er.

Sie nahmen die westliche der beiden Brücken, wo sie bereits von Agent Hunter erwartet wurden. Sie trug einen teuren beigefarbenen Designeranzug, der sie wie eine knallharte und erfolgreiche Geschäftsfrau aussehen ließ. Als Gepäck hatte sie nur ein modisches Köfferchen dabei, farblich genau auf ihren Anzug abgestimmt.

Veyron begrüßte sie mit einem saftigen Tadel. »Sie können von Glück sagen, das der Schattenkönig letzte Nacht keine Lust auf weiteren Mord hatte. Es war sehr unklug von Ihnen, uns zu verlassen und sich aus dem Krankenhaus davonzustehlen. Außerhalb der Mauern wären Sie leichte Beute gewesen.«

Agent Hunter lächelte nicht, sie zeigte überhaupt keine Gefühlsregung, als sie erwiderte: »Ich habe den Befehl, mich Ihnen anzuschließen, Mr. Swift. Ich bin angewiesen worden, zu tun, was Sie von mir verlangen, sobald wir Elderwelt erreicht haben.«

Tom hatte das Gefühl, als empfände sie das als Demütigung. Aber heiligte der Zweck für sie nicht die Mittel? Für Königin und Vaterland würde Agent Hunter sich Veyron unterordnen und notfalls jede Schikane ertragen, da war er sicher. Ich werde ihr keinen Moment über den Weg trauen, entschied er im Stillen.

»Also, ich find’s auch schön, dass du wieder mit dabei bist. Eine echte Geheimagentin, hm? Das ist ja was!«, rief Danny und grinste Hunter breit an.

Tom bemerkte, dass sie kurz einatmete, länger und tiefer als gewöhnlich, fast, als unterdrückte sie einen Seufzer des Überdrusses.

»Verzeihung, Mr. Swift. Aber was macht der noch hier? Wohin wir uns begeben, erwarten uns wahrscheinlich jede Menge Gefahren. Zivilisten haben bei dieser Angelegenheit nichts verloren. Mr. Darrow ist nur Ballast«, sagte sie halblaut.

Veyron würdigte sie keines Blickes, sondern marschierte schnurstracks weiter als er ihr antwortete: »Um eines klarzustellen: Ich bringe niemanden zu einem Abenteuer mit, der unnütz ist. Letzte Nacht hat Mr. Darrow die Vampire vom Bus aus im Auge behalten. Das ist weit mehr als das, zu dem Sie imstande waren. Von daher frage ich mich, wer hier der Ballast ist. Alles, was ich tue, geschieht mit exakter Berechnung und ist Teil eines fein austarierten und wohlüberlegten Plans.«

Dieser Rüffel saß. Hunter lief rot an und schaute zu Boden. Tom fand es nur gerecht, und wäre es nach ihm gegangen, er hätte diese hinterlistige Schlange gar nicht erst mitgenommen. Das Ausnutzen des armen Ernie Fraud wollte er ihr ebenso wenig vergeben wie die Falle in der False Lane. Hinzu kam ja noch, dass sie auch Danny ganz übel mitgespielt hatte.

Der schien jedoch keinerlei Abneigung der Frau gegenüber zu verspüren. »Nimm’s ihm nicht krumm, Fiona. Mr. Swift ist ein Genie, das kann ich dir sagen. Ich hab noch nie jemanden gesehen, der mit einem Bus einen Eins-a-Drift hinlegen kann.«

»Hören Sie auf, mich Fiona zu nennen, Mr. Darrow«, raunzte sie ihn an.

Danny hob überrascht die Augenbrauen. »Ach, sind wir wieder beim Sie? Na schön, was wär dir denn recht? Amanda vielleicht oder doch lieber Agent Hunter?«, gab er zurück, so unschuldig dreinblickend wie ein Fünfjähriger mit Schokoladenresten im Gesicht.

 

Hunters Wangenfarbe wurde noch einmal eine Nuance roter. Tom fand das klasse. Danny hatte sie am Wickel, sehr gut!

»Gwen«, murmelte sie. »Ich heiße Gwen. Oder Gwendolyn, wenn Sie es genau wissen wollen.«

»Gwen, das gefällt mir. Gwen … Also, ich bin immer noch Danny, so wie vor zwei Wochen.«

Diesmal erwiderte sie nichts mehr, sondern beschleunigte ihre Schritte, um zu Veyron aufzuschließen. Danny trottete ihr mit einem vergnügten Lächeln hinterher. Zu Tom gewandt, raunte er: »Was für eine fantastische Frau. So wunderbar zickig, es ist eine echte Freude. Die ist nichts für jeden, ein richtiger Schatz.«

Tom glaubte, nicht recht zu hören. Das meinte Danny doch sicher nicht ernst, oder? Nach all den Tricks, die diese Frau abgezogen hatte? »Ich bin mir nicht sicher, ob du dich da nicht in was verrannt hast, Danny«, meinte er skeptisch.

Danny lachte darüber nur und schlug Tom so fest auf den Rücken, dass es schmerzte. »Ach, Tom. Du musst noch viel lernen. Aber das erklär ich dir später, wenn wir mal unter uns sind und richtige Männergespräche führen können. Okay?«

»Klar.« Trotzdem blieb er bei seiner Meinung, dass Danny einen ausgesprochen schlechten Frauengeschmack besaß – zumindest, was das Charakterliche betraf.

Tom kannte die gewaltigen Paläste Elderwelts, Hallen aus weißem Marmor, verziert mit den kostbarsten Materialien, die man sich vorstellen konnte. Die Lobby der Ramer-Stiftung stand ihnen in Dimension und Ausstattung in nichts nach. Jeder Tisch, jeder Sessel – sogar die Wartestühle – waren mit Chrom- oder Goldleisten verziert, überall funkelte und blinkte es; Glas und Spiegel, wohin das Auge auch fiel. Um zum Empfang zu kommen, mussten sie erst einmal eine schier endlose Rolltreppe in den ersten Stock nehmen. Tom fiel auf, dass sich sogar Danny und Gwen erstaunt umsahen.

»Was hat das alles gekostet?«, hörte er Danny immer wieder leise fragen.

Hunter fühlte sich verpflichtet, darauf zu antworten. »Ein Vermögen. Wir haben versucht herauszufinden, aus welchen Quellen die Ramer-Stiftung sich finanziert, konnten aber den Ursprung nicht identifizieren. Diese Organisation verfügt über unvorstellbare Mittel und Ressourcen, verteilt über die ganze Welt.«

Tom lächelte still in sich hinein, als er das hörte. Gwen Hunter mochte zwar beim MI-6 arbeiten, aber über Elderwelt, seine Bewohner und Regenten, wusste sie gar nichts. Floyd Ramer, der angeblich verstorbene Milliardenerbe, war der vielleicht reichste Mensch der Erde. Kein Aufwand war ihm zu groß, kein Preis zu teuer. Nun, das würden die beiden schon noch erfahren, falls sie ihn kennenlernten.

Oben angekommen steuerte Veyron schnurstracks den nächsten freien Empfangsschalter an, wo er von einer freundlichen, jungen Servicemitarbeiterin begrüßt wurde.

»Wir möchten mit jemandem sprechen, der die Talassair-Abteilung verwaltet«, sagte Veyron.

Die junge Dame, laut Namensschild Mandy Sikes, machte große Augen, als sie das hörte. »Oh, das tut mir ausgesprochen leid. Ich fürchte, da sind Sie bei uns falsch. Eine solche Abteilung haben wir nicht«, erwiderte sie.

Veyron schloss kurz die Augen. »Sie haben früher bei Torben Carrisson Airways in der Kundenbetreuung gearbeitet. Das ist jetzt fast zwei Jahre her. Sie wurden im Zuge der Ermittlungen des Supersonic-Vorfalls von Polizei und MI-5 bezüglich der Sitzplatzreservierung eines gewissen Mr. Veyron Swift befragt. Anschließend warb Sie die Ramer-Stiftung ab, und seitdem arbeiten Sie hier, bei doppeltem Gehalt. Sie sind Linkshänderin und eine leidenschaftliche Hobbymalerin, spezialisiert auf Acryl und heute Morgen hatten Sie es ausgesprochen eilig. Ihr Hobby hat Sie einfach nicht losgelassen«, sagte er so schnell, dass Miss Sikes erst einmal einen Moment brauchte, um alles zu verarbeiten.

»Wo … woher, woher wissen Sie das?«

»Das mit Ihrer Karriere? Nun, alle Mitarbeiter von TC-Airways wurden nach dem Vorfall vom MI-5 und der Polizei ausgiebig befragt, immerhin waren da Terroristen am Werk. Dass Sie Linkshänderin sind, verrät mir Ihr Kugelschreiber, den sie links neben Ihrem Notizblock liegen haben. An der Linken haben Sie zudem Farbreste unter dem kleinen Fingernagel und einige winzige Spritzer zwischen Zeige- und Ringfinger. Blau, gelb und rot. Daraus lässt sich Ihre künstlerische Tätigkeit ersehen. Sie haben sich die Hände mit Wasser und Seife gewaschen, um die Farbe zu entfernen. Jedoch nicht mit einem chemischen Reiniger, das sehe ich an der frischen, kräftigen Farbe Ihrer Haut. Chemische Reiniger trocknen die Haut aus, folglich muss Ihre Farbe eine wasserlösliche Substanz sein. Sehe ich mir den Effekt des Abblätterns und die gummiartige Struktur der Farbreste an, lässt sich nur auf Acrylharz schließen, das im Kunstmalerbereich weit verbreitet ist. Dass Sie überstürzt zur Arbeit aufgebrochen sind, verrät mir die Tatsache, dass noch Farbreste an Ihren Fingern zu finden sind. Die Handwäsche erfolgte demnach schnell und wenig gründlich. Darf ich Sie jetzt bitten, im Firmennetzwerk nach Talassair zu suchen?«

Mandy Sikes starrte Veyron ebenso verblüfft an wie Danny und Hunter. Nur Tom stand ungeduldig daneben. Diese Demonstrationen scharfer Beobachtung und die an Prahlerei grenzende Offenlegung des scheinbaren Zaubertricks erstaunten auch ihn zwar immer wieder aufs Neue, heute hatten sie es jedoch eilig und keine Zeit für Spielchen. Wenn Veyron recht hatte, wurden sie selbst bei Tage von den Spionen des Schattenkönigs verfolgt.

»Tun Sie einfach, was er will, oder er analysiert Sie immer weiter, bis er Ihnen noch sagt, auf welche Schule Sie gegangen sind und wie Ihr Hund heißt«, sagte Tom zu ihr und riss sie damit aus der Sprachlosigkeit.

»Ich … ich … habe keinen Hund«, stammelte sie.

»Nein, aber eine Katze, rotbraun getigert«, ergänzte Veyron.

Das war zu viel. Miss Sikes drückte eine Taste auf ihrem Tischplattenbildschirm. »Sicherheitsdienst!«

Tom zuckte zusammen, und Danny murmelte ein leises »Scheiße.« Hunter und Veyron blieben dagegen ganz ruhig. Es dauerte nicht lange, bis zwei bullige Sicherheitsmänner auftauchten, mit den obligatorischen Stöpseln im Ohr und Funkgeräten in der Brusttasche. Die Sonnenbrillen hatten sie nach oben geschoben.

»Was ist das Problem, Mandy«, fragte der Linke laut.

Miss Sikes deutete auf Veyron. »Mit dem da stimmt etwas nicht. Er … er bedroht mich.«

»Stimmt doch gar nicht«, protestierte Danny.

Tom pflichtete ihm sofort bei. Hunter sagte nichts, und Veyron drehte sich ganz gelassen zu den beiden Gentlemen um. »Ich bin Veyron Swift, und das sind meine Begleiter, Miss Gwen Hunter, Mr. Danny Darrow und mein Assistent Tom Packard. Wir möchten mit dem zuständigen Manager der Talassair-Abteilung sprechen. Ich fürchte, dabei ist es zu einem kleinen Missverständnis gekommen«, sagte er ruhig.

Die beiden Sicherheits-Gorillas schien das jedoch nicht zu interessieren. »Mir egal«, sagte der Linke – vielleicht konnte nur er sprechen – und deutete auf die Rolltreppe. »Sie verlassen jetzt auf der Stelle das Gebäude, Mister.«

Veyron rührte sich keinen Millimeter, sondern erwiderte die drohenden Blicke der beiden Sicherheitsleute mit einem sardonischen Grinsen. »Wohl kaum. Ich sagte ja schon, ich bin Veyron Swift und will nach Talassair«, wiederholte er laut.

Eben wollten die beiden Gorillas ihn packen, als ihre Funkgeräte piepten. Sofort ging ihr Anführer ran. »Was? Ich bin beschäftigt! Was? Uxbridge? Moment …«, sagte er und hob vor Veyron die Hand, um ihn aufzuhalten.

Doch der zuckte nur mit den Schultern. »Kein Problem. Ich habe Zeit«, meinte er süffisant, was den zweiten Sicherheitsmann die Augenbrauen zusammenkneifen ließ.