Veyron Swift und der Schattenkönig: Serial Teil 4

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Veyron Swift und der Schattenkönig: Serial Teil 4
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Tobias Fischer

Veyron Swift und der Schattenkönig: Serial Teil 4

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Im Bauch der Bestie

Eignungsprüfung

Nicht ganz nach Plan

Der Leviathan

Impressum neobooks

Im Bauch der Bestie

Zu Toms großer Erleichterung (und doch auch ein ganz klein wenig Enttäuschung), überlegte es sich Gural in dieser Nacht nicht anders. Er blieb auf dem Fußboden, wo er nur wenig wirklichen Schlaf fand. Schnell schmerzte zunächst die eine Seite und drehte er ich herum, kurz darauf die andere. Immer wieder wachte er auf und schaute zu ihr hinüber. Gural schien tief und fest zu schlafen, aber er glaubte fest daran, dass sie jeden Moment bereit war, aus dem Bett zu springen, wenn er eine falsche Bewegung machte. Darum drehte er sich weg und versuchte erneut einzuschlafen. Irgendwann gelang es ihm sogar.

Am nächsten Morgen wurde er von Gural mit einem schmerzhaften Fußtritt geweckt. Müde rappelte er sich auf, nur um festzustellen, dass sie komplett angezogen vor ihm stand – auch die Rüstungsplatten hatte sie angelegt – ganz allein. Also hatte sie ihn gestern Abend eindeutig getestet, genau wie vermutet.

»Aufstehen, du fauler Sack! Es gibt Arbeit!«, herrschte sie ihn an. Tom warf die Decke zurück und kam auf die Füße. Widerstandslos folgte er ihr hinaus in die finsteren Gänge des Monsterschiffs. Zuerst suchten sie die Kojen und Gemeinschaftsräume der Piraten auf. Gural machte sich einen Spaß daraus, die fielen Hängematten umzukippen. Sie wies Tom an, es auf der anderen Seite ebenso zu machen. Gemeinsam sorgten sie dafür, dass Piraten und Schrate fluchend und schreiend hart zu Boden stürzten. Tom musste zugeben, dass ihm das eine diebische Freude bereitete.

»Aus den Federn, ihr stinkendes Gesockse! Kontrolliert die Vorräte, füttert die Fenrisse und pflegt eure Waffen!«, brüllte Gural den müden Piraten in die Ohren. Einer nach den anderen machte sich gehorsam auf den Weg zu seinen Aufgaben.

Anschließend gab es Frühstück – für Tom allerdings nur eine Schüssel klebrigen, nach Nichts schmeckenden Brei. Tapfer würgte er das Zeug hinunter, während Gural ein großes Stück Fleisch verputzte und danach noch zwei Äpfel. Seinem überraschten Blick entgegnete sie mit der Erklärung, dass das gut für Knochen und Zähne wäre. Tom verstand. Skorbut machte auch vor Schraten nicht halt – was bei dem einen oder anderen von Gurals Artgenossen durchaus zu sehen war. Mit dem Unterschied, das Schratzähne ein ganzes Leben lang nachwuchsen, jedoch oft windschief oder an den falschen Stellen.

Tom war kaum mit dem Essen fertig, als ihn Gural auch schon wieder aufforderte, ihr zu folgen. Über sich öffnende Korridore und aus den Wänden und Decken wachsende Treppenstufen eilten sie auf das Oberdeck des Schiffs. Er musste mehrmals tief durchatmen, als er endlich wieder an die frische Luft kam. Der Wind blies ihm ins Gesicht und er genoss die Wärme und die Helligkeit, der hoch am Himmel stehenden Sonne. Gural schirmte dagegen ihre Augen für einen Moment ab.

»Scheiße! Keine Wolken am Himmel«, hörte er sie schimpfen und musste schadenfroh lächeln. Schrate mochten kein Sonnenlicht, es schmerzte in ihren Augen. Aber Gural hielt tapfer stand und nach ein paar Augenblicken schien sie sich daran gewöhnt zu haben – oder sie unterdrückte den Schmerz einfach nur.

»Ich sehe, du hast Gesellschaft gefunden«, hörte er plötzlich Veyrons Stimme hinter sich. Überrascht drehte Tom sich um und sah seinen Paten, mit den Händen in den Hosentaschen, über das schwarze Deck spazieren. Hinter ihm standen zwei mit Messern und Säbeln bewaffnete Piraten.

»Sind Sie auch versklavt«, fragte ihn Tom. Veyron schüttelte den Kopf.

»Nein. Ich bat darum, mir ein wenig die Beine zu vertreten. Du erinnerst dich vielleicht daran, dass uns sowohl der Holländer als auch der Schattenkönig Freigang zugestanden haben?«, erklärte er.

»Wer ist der Kerl«, fragte Gural feindselig in Toms Ohr.

»Mein Patenonkel, Veyron Swift. Ich lebe bei ihm, seit der Schattenkönig meine Eltern ermordet hat. Naja, so ähnlich jedenfalls«, sagte er ihr mit einem Schmunzeln. Gural musterte Veyron misstrauisch.

»Ich mag ihn nicht«, entschied sie.

Tom lachte. »Ja, das höre ich öfter.«

Veyron beachtete die beiden schon gar nicht mehr. Sein Blick war auf die See gerichtet, wo er etwas entdeckt hatte. Neugierig, was die Aufmerksamkeit seines Paten gefangengenommen hatte, schaute auch Tom hinaus auf die blauen Wellen. In der Ferne entdeckte er ein Schiff. Zwei rote Segel blähten sich im Wind, doch am Auffälligsten waren die drei Decks, aus denen lange Ruder herausragten.

»Eine maresische Trireme«, erkannte Veyron. »Siebenunddreißig Meter lang, drei Ruderdecks, einhunderfünfzig Ruderer, zwölf Offiziere und eine ganze Zenturie als Seesoldaten. Zweifellos ein Patrouillenschiff des Imperiums, auf der Suche nach Piraten.«

Gural schaute Veyron einen Moment verblüfft an, ehe sie sich an Tom wandte.

»Woher weiß er das?«

»Er weiß alles – fast alles. Veyron ist wie ein wandelndes Lexikon«, versuchte Tom zu erklären. Plötzlich spürte er, wie sich der Wind in seinem Haar drehte. Er blickte auf zu den feurigen Segeln, die kurz flatterten und dann wieder stramm im Wind standen.

»Wir drehen bei«, rief er erstaunt aus. Ein Blick nach vorne auf den gewaltigen Bugspriet verriet es ganz deutlich: Das Monsterschiff beschrieb eine Kurve und steuerte nun direkt auf das kleine Schiff des Imperiums zu. Oben im Mastenwald rollten sich weitere Flammensegel aus, fauchend und zischend, schwarzen Rauch in den Himmel blasend.

»Die Imperiums-Kerle sind fällig«, verkündete Gural. »Das Schiff hat Hunger.«

Entsetzt blickte Tom zu Veyron, der kaum merklich nickte.

»Marten hat es uns erklärt. Es frisst andere Schiffe und assimiliert die Trümmer. Dadurch wird es immer größer, seit über dreihundert Jahren«, sagte er kalt. Tom drehte sich um und marschierte in Richtung Achterdeck.

»Das müssen wir verhindern«, rief er aus und begann zu laufen. Doch Gural war sofort zur Stelle, packte ihn an der Schulter und hielt ihn fest.

»Spinnst du? Was glaubst du, was du da tust?«, fauchte sie ihn an.

»Leben retten! Wir müssen verhindern, dass dieses Schiff die Maresier auffrisst«, gab er zurück und befreite sich aus ihrem Griff. So leicht war Gural jedoch nicht abzuschütteln. Sie schnappte ihn sofort wieder am Handgelenk, ihre Krallen schnitten in sein Fleisch.

»Gural, da sterben Menschen!«, schrie er sie an.

»Und wenn schon? Besser die als wir!«

Tom wollte darauf etwas erwidern, als hinter ihm ein lautes Kreischen erklang. Gural und er blickten überrascht auf. Veyron hatte den einen Piraten mit einem Schlag zu Boden befördert und brach dem anderen gerade Arm und Nase. Schnell wie der Wind, sprang er über seine Gegner hinweg und stürmte in Richtung Achterdeck.

»Scheiße! Ihr Kerle macht doch bloß Ärger«, zischte Gural. Tom erwiderte ihren Blick kurz, dann rannten sie los; beide gleichzeitig. Jeder von ihnen war versucht, Veyron als erstes einzuholen.

Kein einziger anderer Pirat oder Schrat hielt sich auf dem Oberdeck auf. Da es in der Takelage nichts zu tun gab und auch sonst alles von Geisterhand gesteuert wurde, blieb das lichtscheue Gesindel lieber unter Deck.

Tom rempelte Gural zur Seite, um sie zu Fall zu bringen, die das sofort mit einem Faustschlag erwiderte Veyron hatte darum nun freie Bahn, niemand war da, um ihn aufzuhalten. Blitzartig huschte er die Stufen zum Achterdeck hinauf und dann zum riesigen Steuerrad.

Der uralte Marten stand dort, seine dünnen Händchen an den Sprossen des Steuers.

»Sofort beidrehen«, rief ihm Veyron zu. Der Alte schüttelte mit einem traurigen Lächeln den Kopf. »Nein, so lauten nicht die Befehle des Kapitäns«, erwiderte er.

Veyron sparte sich eine Erwiderung. Ohne Zögern, stieß er Marten von dem Steuerrad fort und legte selbst Hand an. Doch er konnte es nicht bewegen, keinen Millimeter. Tom stürzte herbei, um ihn zu helfen, während Gural respektvoll Abstand hielt. Doch selbst zu zweit ließ sich das Steuer nicht bewegen. Tom wandte sich an Gural.

»Hilf uns, bitte«, rief er flehend. Die junge Schratin holte tief Luft, unschlüssig, was sie tun sollte. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie jemand um Hilfe gebeten. Tom bemerkte, dass sie Angst zu haben schien, das Falsche zu tun. Sie machte einen Schritt nach vorn, doch Marten hielt sie mit gestrecktem Arm zurück und wiederholte, dass dies nicht die Befehle des Kapitäns waren.

»Zum Teufel, mit dem Kapitän!«, schrie Tom.

Marten gluckste amüsiert. »Bei dem ist er leider schon längst gelandet, junger Master Tom. Seine Seele hat er ihm verkauft, vor dreihundertdreiunddreißig Jahren«, sagte der Alte.

Veyron ließ das Steuerrad los und trat zurück. Er fasste Tom an der Schulter und zog auch ihn fort.

»Steuermann Marten«, rief er den Alten an. »Ich sagte Euch, dass ich die Briefe Eures Kapitäns nach Amsterdam bringen werde. So dreht nun bei, denn dies ist der Preis für mein Versprechen.«

 

Marten senkte den Blick, ein Lächeln huschte über seine dünnen Lippen.

»So sei es«, murmelte er, trat ans Steuer und ohne viel Kraftaufwand, drehte er es nach rechts. Augenblicklich begann sich das Monsterschiff zu drehen, fort von der Trireme des Imperium Maresia. Tom atmete erleichtert durch, während Veyron das maresische Schiff konzentriert im Auge behielt.

»Verflucht nochmal! Wer hat dir erlaubt, einfach beizudrehen?«, brüllte die Stimme des Fliegenden Holländers hinter ihnen. Tom wirbelte erschrocken herum. Da stand plötzlich Barend Fokke am hinteren Ende des Decks. Mit wütenden Schritten war er bei Marten, der respektvoll zur Seite trat und nicht wagte, irgendwas zu sagen. Sein nächster ungehaltener Blick galt Gural. Verlegen, weil sie offenkundig versagt hatte, packte sie Tom am Ärmel. Fokke berührte das Steuerrad, streichelte es beinahe liebevoll.

»Wir versuchen, ein paar hundert unschuldige Seelen vor dem Tod zu retten. Die maresische Patrouille ist keine Gefahr für Euer Schiff, Kapitän«, erklärte Veyron im ungerührten Ton. Fokke fuhr zu ihm herum, sein Bart bebte, die alten Augen leuchteten vor Zorn.

»Das ist nicht Eure Entscheidung, verdammt!«, gab er lautstark zurück.

»Ganz recht«, mischte sie nun die dunkle Stimme des Schattenkönigs ein. Tom fuhr der Schrecken in die Glieder. Er stand genau hinter ihm! Gural wich sofort zur Seite, als der Schattenkönig sich einen Weg zum Steuerrad bahnte.

»Sofort gegensteuern und die Trireme rammen. Das Schiff braucht Energie, für die vor ihm liegenden Aufgaben«, befahl er dem Fliegenden Holländer. Fokkes Zorn verschwand augenblicklich. Er neigte gehorsam den Kopf, trat ans Steuerrad und drehte es. So schnell das Monsterschiff ausgewichen war, so schnell scherte es jetzt wieder zurück.

Tom glaubte bereits die verzweifelten lateinischen Ausrufe der Triremen-Besatzung zu hören. Kurz darauf krachte es laut, Holz zersplitterte, Masten brachen, Wasser gurgelte und vermischte sich mit dem lautstarken Geschrei von Seemännern und Soldaten.

Der Bug des Monsterschiffs klaffte wie ein Maul auf und genau wie ein solches, biss es zu, zerteilte die Trireme in mehrere große Stücke, von denen es eines nach dem anderen in sich aufnahm, zusammen mit Mann und Maus.

»Ihr seid ein verfluchter Mörder«, explodierte es aus Tom heraus. Er spuckte die Worte dem Schattenkönig entgegen, erfüllt von wildem Hass. Wäre Gural nicht gewesen, die ihn festhielt, er hätte diesen schwarzen Teufel sofort angefallen. Der Schattenkönig tat so, als habe er gar nichts gehört. Vermutlich störte er sich nicht einmal an diesem Vorwurf.

»Was geschieht mit den überlebenden Maresiern«, fragte Veyron halblaut. Weder der Schattenkönig noch Fokke antworteten. Es war der alte Marten, der das Wort ergriff.

»Sie werden gefressen. Im Bauch unseres Schiffs lebt ein altes Ungeheuer«, sagte er und nickte dann zum Schattenkönig. »Sein Ungeheuer. Der Leviathan. Er wird regelmäßig gefüttert.«

Abermals überging der Schattenkönig die Vorwürfe ohne Kommentar. Er wartete eine Weile, ehe er sich wieder an Fokke wandte.

»Die Erlaubnis zum Freigang wird für diese beiden widerrufen. Sperrt sie in die Folterkammer, bis wir die Tritonsinsel erreichen. Der Folterknecht soll zusehen, welche Geheimnisse er aus diesen Menschen herauspressen kann«, befahl er.

Nun trat Gural vor den Schattenkönig, die Hände protestierend in die Hüften gestemmt.

»Der Junge ist mein Eigentum! Ich habe ihn als meinen Sklaven ausgesucht«, rief sie dem Schattenkönig zornig zu.

»Du wirst finanziell entschädigt. Schafft sie weg, alle zwei!«, erwiderte er kalt. Gemeint waren die Gruppe Piraten und Schrate, die nun auf das Achterdeck geeilt kamen. Sie packten Tom und Veyron und führten sie ab. Der Schattenkönig hatte noch weitere Befehle für sie.

»Verdoppelt die Wache! Zwei Männern mag Veyron Swift vielleicht entwischen, aber gegen eine ganze Truppe wird er sich nicht behaupten.«

Die Piraten und Schrate nickten. Sie zerrten und schubsten die beiden Gefangenen wieder hinunter auf das Oberdeck und von dort rein in das schwarze Innere des Monsterschiffs.

Die Piraten brachten Tom und Veyron in ein Treppenhaus, das offenbar alle Decks miteinander verband. Nur hier und da sorgten glimmende Krebsgeschwüre für etwas Beleuchtung. Tom achtete gar nicht darauf, wohin sie jetzt gebracht wurden, denn in ihm brodelte es noch immer. Schon wieder hatte der Schattenkönig jemanden ermorden lassen – diesmal die Besatzung eines Patrouillenschiffes. Zweihundertvierzig unschuldige Seelen, verfüttert an ein Ungeheuer, das im schwarzen Bauch dieses Monsterschiffs lebte. Aber vielleicht waren sie noch nicht tot, vielleicht bestand die Hoffnung, sie zu retten.

Ohne länger nachzudenken, warf er sich zurück, seinen Bewachern in die Arme, stampfte so fest er konnte, auf ihre Füße. Sie jaulten und schrien, ließen ihn los – nur für einen Moment. Mehr brauchte Tom auch nicht. Blitzschnell schwang er sich über das Treppengeländer, landete auf den Stufen, die nach unten führte. Die Piraten über ihm fluchten, doch Tom rannte bereits weiter nach unten, Deck für Deck. Er hörte Flüche auf Schratisch, gefolgt von wildem Getrampel gepanzerter Stiefel. Sie verfolgten ihn. Sein Vorsprung war jedoch bereits zu groß.

Je tiefer er kam, desto düsterer wurde das Treppenhaus, umso schiefer und gefährlicher die Stufen. Hier begann der Teil des Schiffs, der nicht regelmäßig besucht wurde und den alle an Bord zu meiden versuchten. Während die oberen Decks noch eine gewohnte Struktur besaßen, wirkten die tieferen Ebenen gänzlich anders. Aus den rechteckigen Gängen, wurden beinahe kreisrunde Tunnels, geformt aus zersplittertem, geschwärztem Holz. Die Anzahl an Krebsgeschwüren erhöhte sich drastisch und nicht alle davon leuchteten. Die Luft roch verpestet und Tom versuchte so lange wie möglich, den Atem anzuhalten. Wasser tropfte von der Decke, Boden und Wände waren glitschig. Sehen konnte er fast nichts mehr. Ohne Ahnung, wohin es ging, tastete er sich vorwärts.

Plötzlich wurde es heißer, Dampf nebelte die Gänge zu und Tom musste sich Schweiß vom Gesicht wischen. Eine unerträgliche Hitze herrschte hier unten, was er sehr sonderbar fand. Langsam begann er sich zu fragen, ob es nicht doch ein bisschen leichtsinnig gewesen war, sich einfach so in die Tiefen des Monsterschiffs zu wagen.

Auf einmal brach der Gang ab und mündete in einer riesigen Halle. Wegen des vielen Dampfes konnte er nicht sehen, wie groß diese Halle und wie genau sie beschaffen war, doch sie schien an die einhundert Meter lang zu sein und fast die ganze Breite des Schiffs einzunehmen. Ein furchtbares Grollen kam ihm entgegen. Etwas bewegte sich hinter den Dampfschwaden.

Der Leviathan! Verzweifelt wünschte sich Tom das Daring-Schwert herbei, doch diese Möglichkeit bestand nun nicht mehr. Jetzt bedauerte er, dass er sich vom Schattenkönig hatte provozieren lassen. Er stand dem Leviathan schutzlos gegenüber.

Und das Monster wusste das auch.

Etwas kroch aus dem Dampf auf ihn zu. Zunächst hielt es Tom für eine Art Schlange, doch es schien vielmehr ein Tentakel zu sein, graugrün, ölig und glänzend. Am Kopf des Tentakels saß eine Knolle, die ihn etwas an eine Spargelknospe erinnerte, nur ungleich größer. Tom wich zurück, doch der Tentakel folgte ihm, reckte sich in die Höhe, bis er vor Toms Gesicht war. Er spürte, wie sein Herz schneller schlug und – trotz der Hitze – eine Gänsehaut bekam. Dann faltete sich die Knospe auf und schleuderte ihm ein ganzes Bündel weißer, glibbriger Tentakel entgegen. Sie wickelten sich ihm um Arme und Beine, rissen ihn von den Füßen und begannen, ihn in den Dampf zu ziehen. Verzweifelt versuchte er sich an den glitschigen Planken festzuhalten, doch seine Finger rutschten sofort ab.

Das hatte er jetzt von seiner Dummheit! Dem Leviathan in die Falle getappt und das gleiche Ende vor sich, wie jene, zu deren Rettung er eigentlich aufgebrochen war.

Plötzlich war Gural zur Stelle. Mit gezogenem Schwert sprintete sie auf ihn zu, sprang über ihn hinweg und hieb auf den Haupttentakel ein. Das Monster quietschte vor Schmerz, schwarzes Blut spritzte davon. Sofort gaben die Tentakel Tom wieder frei, schossen zurück in die Knospe und der Haupttentakel kroch zurück in den weißen Dampf. Im gleichen Augenblick erhob sich ein mächtiges Brüllen, so laut wie ein Dutzend schwerer Motoren. Das ganze Schiff erzitterte. Eine riesige Masse, dunkel und gepanzert, warf sich gegen den Tunnel, zerbrach das umgebende Holz. Gural wurde von der Wucht in die Luft geschleudert. Sie landete neben Tom hart auf den Boden. Allein ihre Rüstung schützte sie vor schlimmeren Verletzungen. Noch ehe er reagieren konnte, packte sie ihn am Kragen, riss ihn vom Boden, rollte mit ihm herum. Etwas Dunkles kam von der Decke herunter, schlug genau dort ein, wo Tom eben noch gelegen hatte. Er erhaschte einen Blick auf das Ding, graugrün, wie der Tentakel, doch sehr viel größer. Es schien ihm fast wie die Flosse eines Wals, jedoch gepanzert und von Pockennarben übersät. Die dunkle Masse des Leviathans versperrte alle Sicht. Gural fluchte auf Schratisch, zog Tom auf die Füße und stieß ihn in den Gang zurück, während sie mit der anderen Hand ihr Schwert auf das Ungeheuer richtete.

Ein paar Schritte weiter und sie erreichten eine Tunnelbiegung und damit die Sicherheit. Der Leviathan brüllte noch einmal voller Wut, dann schien er sich wieder zu beruhigen. Schwer schnaufend sah Tom zu, wie Gural zitternd gegen die Wand plumpste und an ihr zu Boden rutschte.

»Danke«, japste er. Das schien sie jedoch nur noch wütender zu machen. Sie fletschte die Zähne, sprang ihn an, packte ihn am Kragen und drückte ihn gegen die Wand. Tom spürte den Klingenrücken eines ihrer Dolche an seiner Kehle.

»Ich hab mir fast in die Hosen gemacht, wegen dir! So einen Scheiß machst du nicht nochmal, klar?«, zischte sie ihn an. Er nickte schnell, wagte nicht einmal zu schlucken. Einen Moment später spürte er plötzlich ihre Lippen auf den seinen. Die Schratin küsste ihn – und zwar richtig heftig. Davon vollkommen überrumpelt, blieb ihm nichts anderes übrig, als es über sich ergehen zu lassen. Erstaunlicherweise schmeckte sie nicht einmal so übel und ihre Lippen waren angenehm warm und weich, nur ihre Zähne etwas arg spitz. Im nächsten Moment empfing er aber auch schon eine schallende Ohrfeige.

»Das als Warnung«, sagte sie mit erhobenem Zeigefinger, dann riss sie ihn grob herum, verdrehte ihm den Arm auf den Rücken und stieß ihn vorwärts.

»Du reitest mich da in einen schönen Dreck rein, du Mistkerl! Nicht nur, dass ich meinen Hals für dich riskiere, sondern du bringst mich auch noch um den Verstand!«, schimpfte sie, während sie ihn zur Treppe zurückführte. »Sieh’s ein: Die verdammte Barmherzigkeit bringt einem nur Ärger. Du wärst dabei fast draufgegangen, nur um ein paar Menschen zu retten! Machst du immer solche Sachen? Tja, jetzt ist zu spät, um es herauszufinden. Der Schattenkönig hat befohlen, dich zu foltern.«

Tom schloss kurz die Augen und ballte die Faust seiner freien Hand.

»Es ist mir scheißegal, was der Schattenkönig befohlen hat. Und egal wie lang es dauert – und selbst wenn ich von Toten zurückkehren muss – ich werde mich an ihm rächen und all seine Pläne zunichtemachen«, gab er zornig zurück.

Gural schwieg einen Moment und blieb stehen. Sie erlaubte ihm, sich kurz zu ihr umzudrehen. Ihr Gesicht strahlte helle Begeisterung aus.

»Hab ich dich schon richtig eingeschätzt«, meinte sie zufrieden. »Aus dir wäre ein erstklassiger Pirat geworden. Ich war sogar bereit, dich in mein Bett zu lassen.«

Tom wollte darauf etwas erwidern, aber sie hob den Zeigefinger und drückte ihn auf seine Lippen. Dann festigte sie den schmerzhaften Griff um seinen rechten Arm und trieb ihn wieder vorwärts. Die Zeit der Freundlichkeiten war offenkundig vorbei.

Ein paar Decks weiter oben, übergab ihn Gural an zwei Piraten, die ihn in sofort in eine dunkle Kammer sperrten. Dort blieb er für den Rest des Tages, wo er genug Zeit hatte, über die vergangenen Ereignisse nachzudenken. Besonders über Gural. Sie wollte aus ihm einen Piraten machen? Was für ein absurdes Unterfangen! Niemals hätte er sich darauf eingelassen. Oder vielleicht doch?

Viel wichtiger war für ihn jedoch die Erkenntnis, dass nicht alle Schrate hirnlose Monster waren, sondern durchaus menschliche Züge besaßen. Ob es möglich wäre, sie davon zu überzeugen, nicht länger dem Schattenkönig oder dem Dunklen Meister zu folgen? Nicht nur Gural, sondern den Großteil des ganzen Schrat-Volkes? Vermutlich nicht. Selbst Gural schien nicht viel auf ihr eigenes Volk zu geben. Sie war vielmehr eine Piratin, die halt zufällig zum Volk der Schrate gehörte.

 

Irgendwann in der Nacht, er war gerade halbwegs eingeschlafen, wurde die Zellentür geöffnet und die zwei Piraten weckten ihn auf. Sie packten ihn an den Armen und schleiften ihn nach draußen. Weit mussten sie nicht gehen, bereits drei Türen weiter, befand sich die Folterkammer, ein großer, dunkler Raum, voller eiserner Ketten.

Hunter hing an der Wand, die Arme und Beine gefesselt. Ansonsten schien man ihr nicht viel Gewalt angetan zu haben. Dagegen hatte der Folterknecht Veyron bereits auf der Streckbank eingespannt. Die tischähnliche Gerätschaft besaß eine Kurbel, um die gefesselten Arme und Beine in die Länge zu ziehen und zudem einen rechteckigen Block, der von unten gleichzeitig gegen die Wirbelsäule drückte. Schon jetzt standen Veyron die Schweißperlen auf der Stirn.

In der Mitte des Raums stand ein großer Tisch, hinter dem ein wichtig aussehender Pirat auf einem Stuhl saß. Veyrons Ledertasche lag auf dem Tisch, die verschiedenen Mitbringsel von der Olympic sauber nebeneinander aufgereiht. Tom erkannte die Peilsender, ein paar weitere Blendlampen und noch einige andere Dinge, die er nicht zuordnen konnte.

»Ich bin der Inspektor«, stellte sich der Pirat vor, ein hochgewachsener Kerl, der ein einigermaßen gepflegtes Äußeres besaß, das konträr zu seiner abgetragenen, zerlumpten Kleidung stand.

»Hängt den Burschen neben die Frau«, befahl er und fuhr damit fort, Veyrons Spezialgeräte zu inspizieren.

Die beiden Piraten schleppten Tom zur Wand und fesselten ihm Arme und Beine mit eisernen Schellen. Dann spuckten sie vor ihm auf den Boden und verschwanden wieder nach draußen, ließen ihn mit den anderen beiden Gefangenen, dem Inspektor und dem Folterknecht allein.

»So, wir fünf haben dann mal die nächsten zwei Stunden viel Spaß miteinander. Ich fang mit dem langen Lulatsch an, dann mach mit dir weiter, Rotschopf und zum Schluss das Flittchen. Da mach ich mir einen besonderen Spaß draus«, grölte der Folterknecht vergnügt. So verunstaltet, wie er aussah, hätte Tom hätte nicht sagen können, ob der Kerl ein Mensch oder ein Schrat war. Beide Ohren abgeschnitten, die Nase plattgedrückt und das eine Auge blind. Unzählige Narben zierten sein Gesicht, als hätte er das Sammelsurium an Foltergeräten an sich selbst erprobt.

Der abstoßende Kerl setzte sich auf einen Hocker neben die Streckbank und begutachtete Veyrons langen Körper mit professionellem Interesse.

»Du machst viel Sport, was? Kein Gelenkverschleiß, ein biegsames Kreuz. Oh ja, das wird lange dauern. Da kann ich schön weit gehen. Also, fangen wir an«, sagte er vergnügt, drehte an der Handkurbel, zog Veyrons Arme und Beine in die Länge und drückte ihm den Holzblock heftig ins Kreuz. Ein furchtbarer Aufschrei verließ Veyrons Mund, dann wurde er still, zitterte am ganzen Körper, brachte aber keinen einzigen Laut mehr heraus. Der Folterknecht gluckste zufrieden, während Tom verzweifelt versuchte, sich von seinen Fesseln zu befreien.

»Lass ihn in Ruhe, du Mistkerl!«, brüllte er. Der Folterknecht grinste ihn zur Antwort nur höhnisch an.

»Aber freilich«, sagte er, drehte die Kurbel in die andere Richtung und entspannte Veyrons Körper. Nun schrie Veyron seine Schmerzen hinaus, laut und heulend. Nach ein paar Augenblicken hatte er sich wieder beruhigt.

»Und? Wie war’s?«, wollte der Folterknecht wissen. Veyron pustete in mehreren Versuchen die Luft zwischen seinen Lippen heraus, ehe er imstande war, etwas zu sagen.

»Sehr, sehr schmerzhaft. Darf ich Euch etwas vorschlagen? Lasst mich frei, dann wird es Euch nicht allzu schlecht ergehen«, keuchte er. Der Folterknecht machte große Augen und warf einen fassungslosen Blick hinüber zum Inspektor.

»Hast du das gehört? Der Kerl droht mir auch noch!«, bellte der Folterknecht. Der Inspektor zuckte mit den Schultern.

»Dann lass ihn spüren, dass das keine gute Idee ist«, meinte er kalt.

Das ließ sich der Folterknecht nicht zweimal sagen. Mit diebischer Freude drehte er wieder an der Kurbel und zwang Veyrons Gelenke auseinander. Tom konnte gar nicht mitansehen, wie entsetzlich der Körper seines Paten verbogen wurde. Veyron zappelte und zitterte, sein Mund zu einem stummen Schrei geöffnet, der Kopf glutrot vor Schmerz und Anstrengung.

»Hört auf damit, ich flehe euch an«, rief Tom. Der Inspektor deutete auf die kleinen Gegenstände.

»Sag uns, was das alles ist und wie es funktioniert. Vielleicht überlegen wir es uns dann«, befahl er.

Der Folterknecht ließ Veyron wieder zur Ruhe kommen, der sofort seinen Schmerz hinausschrie, als sich Kreuz und Gliedmaßen wieder entspannten.

»Kein Wort, Tom!«, rief er so laut, wie es seine Verfassung zuließ. Tom war erstaunt, zu welchem Trotz sein Patenonkel noch imstande war. Er an seiner Stelle wäre sofort unter den Schmerzen eingeknickt. Aber Veyrons Wort war Befehl und darum verweigerte er dem Inspektor die Antwort. Der seufzte mit gespielter Enttäuschung und gab dem Folterknecht ein Zeichen. Kurbeln.

»Das ist die letzte Warnung«, keuchte Veyron dem abscheulichen Kerl ins Gesicht. »Lasst mich frei oder Euch wird’s schlecht ergehen. Euch auch, Inspektor – sobald ich Zeit dazu habe.«

Der Inspektor brachte ein höhnisches Lachen hervor. Der Folterknecht drehte abermals an der Kurbel, streckte Veyrons Arme und Beine, drückte ihm den Holzklotz brutal in den Rücken. Erneut verkrampfte sich Veyrons ganzer Körper, durchzuckten ihn unvorstellbare Schmerzen.

»Ich kann den ganzen Tag so weiter machen«, vergnügte sich der Folterknecht, ehe er seinem Opfer wieder einen Moment der Entspannung zukommen ließ.

Auf dem Tisch des Inspektors begann einer der Gegenstände zu klingeln. Interessiert hob er ihn hoch und drehte ihn zwischen den Fingern. Das Ringen wollte nicht nachlassen. Tom erkannte das Ding als eine altmodische Eieruhr aus dem Bordbestand der Olympic.

»Was ist das? Wie bringt man es zum Schweigen?«, verlangte der Inspektor zu wissen.

Tom blickte zu Veyron, der schwer atmete und zitternd den Kopf hob, um den Inspektor anzusehen.

»Das ist das Zeichen, das Eure Zeit abgelaufen ist, Inspektor«, erklärte er und wandte sich sogleich an den Folterknecht. »Und die Eure ganz besonders, mein sadistischer Freund.«

Wie aus dem Nichts materialisierte plötzlich ein schartiger Metallsplitter in Veyrons rechter Faust, nicht größer als ein Taschenmesser. Der Splitter begann blau zu schimmern, wegen des Saphirs, der feinsäuberlich in ihn eingearbeitet war. Ein blauer Blitz schoss aus dem Splitter, traf den Folterknecht in die Brust und katapultierte ihn quer durch die ganze Kammer. Der widerwärtige Kerl krachte in die Wand, zerbrach die schwarze Vertäfelung und blieb mit einem verkohlten Loch im Brustkorb liegen.

»Das Daring-Schwert!«, rief Tom aufgeregt. Aber es war doch zerstört, er hatte es mit eigenen Augen gesehen!

Veyron richtete den Splitter auf seine Fessel, ein neuer, sehr viel schwächerer Energieblitz durchtrennte sie. Blitzschnell befreite er auch die andere Hand und dann die Beine.

Der Inspektor war inzwischen aufgesprungen, zog einen Dolch unter seinem schäbigen, braunen Mantel hervor und stürzte sich in Veyrons Richtung.

»Wache! Wache zu mir!«, brüllte er, während er auf Veyron losging, der es im letzten Moment schaffte, seine Füße aus der Streckbank zu befreien. Schnell brachte er das Folterinstrument zwischen sich und dem Inspektor. Mit einem wütenden Schrei schwang sich der Pirat über die tischartige Konstruktion und hieb auf Veyron ein. Der blockte den Angriff ab, verpasste dem Inspektor einen Schlag auf die Nase und schickte ihn zu Boden. Sofort war der Kerl wieder auf den Beinen und griff von Neuem an.

Im gleichen Augenblick erschien in Veyrons anderer Hand ein zweiter Splitter des Daring-Schwerts, von ähnlicher Form und Größe. Veyron hob die beiden Splitter und kreuzte sie, um den mörderischen Hieb seines Gegners abzublocken. Doch noch ehe der Pirat in Reichweite kam, traf ihn plötzliche eine unsichtbare Druckwelle und schoss ihn durch den Raum. Einer Kanonenkugel gleich, schlug er in die gegenüberliegende Wand ein, um dahinter für alle Zeit zu verschwinden.

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