Veyron Swift und die Allianz der Verlorenen

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Sari: Veyron Swift #4
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Diese düsteren Enthüllungen beschäftigten Jane noch eine ganze Weile. Mehr und mehr war sie davon überzeugt, dass Tom recht daran getan hatte, sich diesem Abenteuer zu verweigern. Doch sie würde jetzt nicht kneifen und umkehren. So verrückt Veyron auch sein mochte und so gefährlich seine Unternehmungen, so wusste er doch eigentlich stets, worauf er sich einließ.

Wenig später kehrte Miss Davis mit einem sichtlich gestärkten Radu zurück. »Es geht weiter«, ließ sie Veyron und Jane wissen.

Sie zahlten die Rechnung und gingen ihrer Auftraggeberin nach draußen hinterher.

Mit dem Truck folgten sie eine gute Stunde lang der Straße. Bald ließen sie die Stadt und einige angrenzende Ortschaften hinter sich. Wenn ihnen jetzt noch ein wenig Zivilisation begegnete, dann in Form vereinzelter Bauernhäuser oder entgegenkommender Fahrzeuge. Jane fielen einige Viehweiden zwischen der Straße und den endlos erscheinenden Wäldern auf. Ebenso die Heuhaufen in der hierzulande typischen Form aufrechter Tannenzapfen. Schließlich hielt Radu auf einem gekiesten Rastplatz, wo er den Motor abschaltete.

»Wir sind da«, sagte Miss Davis vergnügt, als sie die Tür öffnete.

Veyron und Jane schulterten ihre Rucksäcke und folgten der jungen Frau hinaus ins Grüne. Radu blieb regungslos hinter dem Steuer sitzen.

»Was passiert jetzt mit ihm?«, fragte Jane die Hexe, nachdem sie sich schon einige Meter von der Straße entfernt hatten.

»Ich werde ihn freigeben, sobald wir diese Welt verlassen haben. Er wird sich an nichts mehr erinnern«, erklärte sie kalt.

Jane schüttelte den Kopf. »Können Sie ihm nicht eine schöne Erinnerung geben oder irgendetwas anderes, damit er sich nicht wie ein Geisteskranker vorkommt, wenn er wieder er selbst ist?«

Miss Davis verzog verständnislos das Gesicht. »Wozu sollte das gut sein? Er ist ein Sklave wie jeder andere auch. Was interessiert mich sein Wohlbefinden, wenn ich keine Verwendung mehr für ihn habe? Er soll froh sein, dass ich ihn nicht töte.«

Jane sagte darauf nichts mehr. Tom hatte absolut recht, dachte sie finster. Sie fragte sich, welcher Teufel Veyron nur geritten hatte, einen Auftrag von so einer herzlosen Person anzunehmen.

Der Marsch führte sie in den Wald, dann über einen Bach und weiter nach Norden den mächtigen Karpaten entgegen. Immer steiler ging es bergauf, schon bald war von der Straße nichts mehr zu sehen. Der Wald wurde dichter und schien gar nicht mehr aufhören zu wollen. Erst am späten Nachmittag kamen sie wieder aus dem Halbdunkel heraus und wanderten über eine große Schafsweide, die nur von einem einzelnen Feldweg durchschnitten wurde. Die blökenden Tiere befanden sich ganz in der Nähe, hinter einem Holzgatter eingesperrt. Jane bemerkte auf der Weide erneut die großen Heuhaufen, die man kunstfertig in die Form von Zapfen gebracht hatte.

»So sollte man das überall machen. Das sieht schön aus«, meinte sie, doch weder Miss Davis noch Veyron antworteten darauf. Plötzlich vernahm sie Motorengeräusche. Ein einsamer Land Rover zuckelte über den Feldweg heran, ein altes, rostiges Fahrzeug mit einer großen Pritsche, vollgestellt mit Käfigen. Jane zählte sieben Stück, und in jedem befand sich ein schwarzer Hund, wohl eine Art Schäferhund. Die Tiere wirkten ausgemergelt und ihr Fell zottig.

»Das ist die reinste Tierquälerei«, beschwerte sie sich, je näher der Land Rover kam. Wahrscheinlich saß der Schäfer am Steuer. Wie es schien, unterhielt er mehrere Schafsweiden. Wozu würde er sonst gleich sieben Schäferhunde benötigen? Veyron schien sich diese Frage auch zu stellen, denn er ließ sich merklich hinter Miss Davis zurückfallen. Misstrauisch beäugte er das alte Geländefahrzeug.

Ein Donnergrollen ließ Jane hochfahren. Über ihnen hatte sich schlechtes Wetter zusammengebraut. Dunkle, fast schon schwarze Wolken schoben sich vor die Sonne. Bisher war es schöner Tag gewesen. Das fand Jane ein wenig überraschend, denn ihr war gar nicht aufgefallen, wann das Wetter umgeschlagen war. Ihr kam es so vor, als wäre es gerade eben geschehen – innerhalb von Sekunden.

Veyron fasst sie an der Schulter und brachte sie zum Halten. Er nickte zu dem alten Fahrzeug hinüber, das jetzt gut und gerne fünfzig Meter vor ihnen zum Stehen kam. »Sehen Sie genau hin. Was erkennen Sie?«, wollte er wissen.

Die Polizistin in ihr war geweckt. Abgesehen von den sieben Hundekäfigen vermochte sie an dem Fahrzeug jedoch nichts Ungewöhnliches zu entdecken – bis auf eine Kleinigkeit, die ihr schon die ganze Zeit seltsam vorgekommen war. »Der Wagen hat getönte Scheiben«, sagte sie.

Veyron schenkte ihr ein zufriedenes Lächeln. »Seltsam, nicht wahr? Der ganze Wagen ist rostig und schmutzig, aber die Scheiben sind getönt und überraschend sauber«, fasste er ihre Beobachtung zusammen.

Jane spürte, wie sich in ihr alles zusammenzog. Das schien in der Tat sehr seltsam. Ihr kam wieder in den Sinn, dass Miss Davis vom Dunklen Meister gejagt wurde. »Wie weit ist es noch bis zu Ihrem Durchgang«, rief sie der Hexe zu.

Miss Davis deutete auf das Waldstück gegenüber der Schafsweide. »Dahinter gibt es eine kleine Lichtung mit zwei sonderbar verwachsenen Bäumen«, sagte sie. »Das ist der Durchgang.«

Sie hatte dies kaum ausgesprochen, als der Land Rover auf einmal mit einem lauten Knall explodierte. Nicht von einer Bombe gesprengt, sondern von einer unsichtbaren Kraft. Es gab kein Feuer, keinen Rauch, nur eine Druckwelle, die sie alle von den Füßen fegte. Zerfetzte Trümmer regneten vom Himmel, eine Staubwolke bauschte sich auf. Hoch über ihnen grollte das Unwetter wie mit bösartiger Begeisterung. Immer mehr Wolken zogen sich zusammen, ließen es immer dunkler werden. Plötzlich kam Wind auf, stark und eiskalt. Jane rappelte sich mühevoll auf, schüttelte den Kopf. Sie war ganz benommen, ihre Ohren klingelten. Das Wrack des Fahrzeugs war noch immer hinter Staub verborgen, doch dafür nahm etwas anderes ihren Blick gefangen.

Auf der anderen Seite des Feldwegs stand jetzt eine Gestalt, hochgewachsen, mit breiten Schultern. Ihr schwarzer Mantel flatterte im Sturm, trotzdem war die Kapuze tief über das Gesicht gezogen. Jane rieb sich die Arme. Der Fremde schien eine Eiseskälte zu verbreiten. Nach einem Moment, als wollte er allen die Gelegenheit geben, seiner gewahr zu werden, schlug der Schwarze die Kapuze zurück. Janes Herz pochte sofort schneller. Fast erwartete sie, in das vertrocknete Moorleichengesicht des Schattenkönigs zu blicken, jenes Dämons, der vor knapp einem Jahr beinahe ihr Leben gefordert hatte. Doch diese Fratze war sogar noch abscheulicher. Früher wohl menschlich, war dieses Gesicht verzerrt, besaß fledermaushafte Züge und auch Elemente eines Wolfs. Die Kreatur stieß ein schauderhaftes Brüllen aus, spreizte lange, messerscharfe Klauen.

Im gleichen Moment ging auch mit Miss Davis eine Veränderung vor. Als wäre der aufkommende Sturm mit Säure durchsetzt, löste sich ihr attraktives Aussehen auf. Ihre gesunde Gesichtsfarbe wechselte zu leichenhafter Blässe, ihr helles Haar wurde pechschwarz, und Jeans und Tanktop verschwanden, ersetzt durch ein gewaltiges, schwarzes Kleid, mit einer gigantischen Schleppe, die sich im Wind bauschte. Die Seelenkönigin streckte ihren rechten, gepanzerten Arm vor und legte die metallenen Fingerkrallen zusammen. Sie vereinigten sich zu einer messerscharfen Klinge, die in die Länge wuchs, bis sich ihr eiserner Handschuh in ein regelrechtes Schwert verwandelt hatte.

»Wer ist das?«, fragte Jane panisch. Die Angst ließ ihr Herz rasen, es schien aus ihrer Brust springen und fliehen zu wollen. Sie mussten hier weg, auf der Stelle!

»Der Bestiengeneral, einer der Sieben Schatten des Dunklen Meisters. Ich kenne Beschreibungen von ihm«, sagte Veyron, der ganz dicht hinter ihr stand.

Dann, nach dem nächsten Donnerschlag, stürzten die beiden Dämonen aufeinander los. Die Seelenkönigin schnappte ihre gewaltige Schleppe und riss sie in die Luft, wo sie sich in Paar gewaltiger Fledermausflügel verwandelte. Die Dämonin sauste in den dunklen Himmel, verfolgt von ihrem Widersacher, der mit seinem Mantel einen ähnlichen Trick beherrschte.

Ein wildes Knurren ließ Jane herumfahren. Aus den Trümmern des gesprengten Land Rovers kamen nun die Hunde des vermeintlichen Schäfers heraus. Jetzt, wo sie aus ihren Käfigen befreit waren, wirkten sie noch kränker als zuvor. Ihre langen, krummen Schnauzen waren besetzt mit messerscharfen Dolchzähnen, die schwarzen Leiber mit Geschwüren übersät. Doch am schlimmsten fand Jane die glutroten Augen – und sie starrten alle in ihre Richtung. »Was sind das für Monster?«, fragte sie keuchend.

»Schattenwölfe aus Darchorad, die Diener des Bestiengenerals. Er war der Heerführer der Monsterarmee des Dunklen Meisters«, wusste Veyron. Er packte Jane an der Schulter und stieß sie vorwärts. »Laufen Sie, Jane! Laufen Sie um Ihr Leben!«, rief er.

Das brauchte er ihr nicht zweimal zu sagen. Schneller als jemals zuvor in ihrem Leben nahm sie die Beine in die Hand. Veyron überholte sie von rechts und steuerte genau auf das Schafsgatter zu. Ohne darüber nachzudenken, folgte Jane ihm. Das Hecheln und Knurren der Bestien kam rasend schnell näher. Schon stieg Veyron über das Gatter, und mit ausgebreiteten Armen, wie ein Verrückter brüllend, stürmte er auf die Schafe zu. Jane schwang sich über den Zaun und wagte einen hastigen Blick über die Schulter. Die Schattenwölfe stürmten heran, geiferten mordgierig. Veyrons Schreie versetzten die Schafe in heillose Panik. Wild rannte die Herde hierhin und dorthin, bis ein vollkommenes Durcheinander entstand. Jane versuchte, zu Veyron aufzuschließen, und musste aufpassen, nicht über das eine oder andere Schaf zu stolpern. Die Tiere blökten wie verrückt, wichen Jane springend aus, prallten zusammen und purzelten über den Boden. Nun setzten die Schattenwölfe über das Gatter, warfen ihre monströsen Schädel von einer Seite zur anderen. Die panischen Schafe stachelten ihre Mordgier nur noch mehr an. Veyron und Jane weitgehend vergessend hasteten sie hinter den Schafen her, versuchten sie zu schnappen und zu reißen.

 

Jane empfand tiefes Mitleid mit den wolligen Tieren, als sie auf der anderen Seite wieder über das Gatter ins Freie kletterte. Bedauerlicherweise gab es keinen anderen Weg, die Bestien abzuhängen und das eigene Leben zu retten, als die Schafe zu opfern. Wenn sie doch nur eine Pistole mitgenommen hätte …

Ein wildes, unmenschliches Brüllen schallte durch die Luft, und ein schwarzer Schatten fegte über das Schafsgatter hinweg. Jane erkannte den Bestiengeneral, der einer gigantischen Fledermaus gleich durch den Himmel segelte und seinen Wölfen Befehle gab. Im Nu stellten die abscheulichen Kreaturen den Angriff auf die Schafe ein und hetzten wieder hinter Veyron und Jane her.

»Scheiße«, fluchte Jane und beeilte sich, Veyron einzuholen, der bereits den Rand des nahen Waldes erreicht hatte.

Der erste der Schattenwölfe sprang schon über das Gatter, die Zähne gefletscht. Er bellte heiser. Endlich erreichte auch Jane den Wald, wo Veyron ungeduldig auf sie wartete. Gemeinsam hasteten sie jetzt durch das Gebüsch, sprangen über Wurzeln und Farne, Äste peitschten ihnen ins Gesicht, Sträucher und Zweige rissen an ihrer Kleidung. Hinter ihnen stürmten unter Gebell und Geheul die Schattenwölfe in das Dickicht.

»Da lang, ich habe den Ausweg gefunden«, rief Veyron, schnappte Jane am Handgelenk und zog sie in eine bestimmte Richtung.

Ohne genau hinzusehen, folgte sie Veyron. Sie benötigte ihre ganze Konzentration, um nicht an Wurzeln hängen zu bleiben. Das Unwetter hoch über ihnen ließ es in dem Wald beinahe so finster sein wie in der Nacht.

Plötzlich türmte sich vor ihnen eine Felswand auf, so hoch, dass an ein schnelles Erklettern nicht zu denken war. Erst jetzt schaute sich Jane an, wo sie überhaupt waren, nur um festzustellen, dass sie die ganze Zeit einer Schlucht gefolgt waren.

»Scheiße, Scheiße, Scheiße«, rief sie aufgeregt. »Veyron, das ist eine verdammte Sackgasse!«

»Exakt«, sagte Veyron nur. Er hatte den Rucksack abgenommen und kramte darin herum. Schließlich brachte er einen seltsamen Gürtel und eine Pistole zum Vorschein. Ohne Jane etwas zu erklären, schnallte er den Gürtel um und nahm die Pistole in beide Hände. In der Nähe erklang schon das Knurren eines Schattenwolfes. Vor ihnen leuchteten rote Augen in der Dunkelheit.

»Schießen Sie!«, herrschte sie Veyron an, der mit einer unbegreiflichen Seelenruhe einfach nur dastand. Gelassen schulterte er seinen Rucksack, dann erst zielte in die Luft und feuerte. Der Schuss ließ die Schattenwölfe zögern. Schritt für Schritt trabten sie jetzt heran. Sie hatten ihre Beute ja in der Falle, ein Entkommen war unmöglich.

»Was tun Sie da? Schießen Sie nicht in die Luft, schießen Sie auf diese Mistviecher!«, heulte Jane verzweifelt.

Veyron packte sie an der Hüfte und presste sie grob an sich. »Festhalten«, sagte er.

Dann erklang ein leises Sirren, und eine unsichtbare Kraft zog sie beide in die Luft. Jane ertastete mehr, als sie es sah, ein Stahlkabel, das mit Veyrons Gürtel verbunden war, und dann begriff sie: Er hatte einen Greifhaken in die Baumkronen geschossen, der mit einer kleinen Seilwinde auf der Rückseite des Gürtels verbunden war.

»Ich wollte diese Ausrüstung schon lange erproben«, meinte er, und sie konnte sein selbstgefälliges Grinsen beinahe hören.

Sie war allerdings zu verängstigt und panisch, um darüber zu staunen. Die Reise durch die Luft ging viel zu langsam vonstatten, und die Schattenwölfe stürmten nun bellend heran. Sie sprangen hoch, versuchten, ihre flüchtende Beute zu fassen. Veyron und Jane mussten um sich treten, um die Bestien auf Abstand zu halten. Als sie merkten, dass sie so nicht an ihre Beute herankamen, versuchten die Monster, die steilen Felswände zu erklimmen, doch sie rutschten von den glatten Steinen immer wieder ab. Veyron hielt die Felsen mit ausgestrecktem Arm auf Abstand, während sie Meter für Meter nach oben gezogen wurden, damit sie nicht dagegen pendelten. Jane klammerte sich fest an Veyron, um nicht ebenfalls abzurutschen und den Schattenwölfen doch noch zur Beute zu werden. Sobald sie sich jedoch der Kante der Schlucht näherten, dirigierte Veyron sie aus den Baumkronen heraus. Mühsam krabbelte Jane mit seiner Hilfe über den Grat und blieb einen Moment keuchend liegen, bevor sie Veyron ihre Hand reichte und auch ihn hochzog. Kaum hatte er den ebenen Waldboden erreicht, löste Veyron die Seilwinde vom Gürtel und fischte zwei runde Gegenstände aus seiner Jackentasche.

Jane wich zurück. »Handgranaten!«, rief sie erschrocken.

Mit den Zähnen zog Veyron die Splinte ab und warf die beiden Granaten in die Schlucht, hinunter zu den Schattenwölfen. Zwei Explosionen erklangen, begleitet von lautem Jaulen und Winseln. Zufrieden blickte Veyron über den Rand nach unten.

»Vier erwischt, drei sind noch übrig. Aber wir haben ein paar Minuten Vorsprung, ehe die Bestien wieder auf unserer Spur sind. Los jetzt, wir müssen zu diesem Durchgang gelangen«, sagte er.

Sie rannten weiter, folgten einem Trampelpfad, der mal steil nach oben, dann wieder ebenso steil nach unten führte, ehe sie aus dem verfluchten Wald herauskamen. Endlich befanden sie sich auf jener Lichtung, von der die Seelenkönigin gesprochen hatte. Jane atmete erleichtert auf, während sie auf den Torbogen zu hetzte.

Anders als der Durchgang nach Elderwelt, den sie bisher kennengelernt hatte, bestand dieser hier nicht aus Stein. Zwei uralte Bäume, nebeneinander hochgewachsen, hatten sich auf einer Höhe von vier Metern vereinigt und ihre gewaltigen Stämme ineinander verdreht, sodass darunter ein Torbogen entstanden war.

»Haben Sie denn Ihren Erlaubnisstein dabei?«, keuchte Jane angestrengt, als sie den Durchgang schließlich erreichten. Ohne diese magischen Steinchen war es nicht möglich, nach Elderwelt zu gelangen. Sie könnten durch den Torbogen hin und her springen, wie sie wollten; ohne einen Erlaubnisstein blieb ihnen die Magie Elderwelts versagt.

»Nein, den hat Tom in seinem Geldbeutel«, sagte Veyron und blickte hoch in den Himmel.

Als wäre dies ein Stichwort gewesen, stürzte die Seelenkönigin aus der Luft und landete hart auf dem Boden. Mit einem schmerzerfüllten Schrei brach sie zusammen. Ihre schwarzen Flügel verwandelten sich wieder in die riesige Schleppe, die sie nun wie ein Leichentuch einhüllte. Veyron rannte zu ihr, Jane atmete tief durch und folgte ihm. Wie sich herausstellte, war die Seelenkönigin schwer verwundet, schwarzes Blut lief aus einer klaffenden Wunde an ihrer Hüfte. Der Bestiengeneral hatte sich also als der geschicktere Kämpfer erwiesen.

Und da war er auch schon. Mit einem triumphierenden Grinsen auf seinem Monstergesicht landete er am Rand der Lichtung, und zu seinen Seiten erschienen seine drei verbliebenen Schattenwölfe. Jane und Veyron halfen der Seelenkönigin auf die Beine, stützten sie und schleppten sie in Richtung des Durchgangs.

»Euren Erlaubnisstein, Mylady«, meinte Veyron mit herzloser Kälte.

Die Dämonin griff unter ihr schwarzes Gewand und brachte einen feuerroten Kieselstein zum Vorschein. Veyron nahm ihn fest in die Faust. Jane blickte zum Bestiengeneral und seinen Monstern, die sich aufteilten und nun von allen Seiten auf sie zukamen. Jegliche Flucht schien aussichtslos.

Plötzlich erklang von der anderen Seite der Lichtung lautes Heulen, kräftiger und gesünder klingend als das der Schattenwölfe. Jane blieb vor Schreck fast das Herz stehen, als sie sah, was nun geschah. Ein ganzes Rudel Wölfe war aufgetaucht – als würden die Monster des Schattens nicht schon genügen. Mit gefletschten Zähnen und nach hinten gerichteten Ohren stürmten sie über die Lichtung, genau auf Jane und Veyron zu.

Dann ist es also soweit, dachte sie voll Bitterkeit. Von wilden Bestien zerfetzt. Danke, Veyron Swift. Was für ein grandioses Ende!

Doch die Wölfe preschten an ihnen vorbei, ihren durch dunkle Zauberkraft verderbten Vettern entgegen. Dem Rudel folgte ein einzelner Mann, von seiner einfachen, praktischen Kleidung her ein rumänischer Schäfer. Doch in seinen Händen hielt er ein großes, langes Schwert, in dessen Klinge grüne Juwelen in einem verschnörkelten Muster eingelassen waren. Sie begannen zu glühen, und ein Blitz sprang von der Klinge fort, traf einen der Schattenwölfe und tötete das Ungeheuer mit einem Schlag.

»Ein Simanui!«, rief Jane begeistert und begann zu lachen. »Wir sind gerettet! Endlich tun diese Zauberer einmal was!«

Die Ankunft eines Ritters des Lichts schien auch den Bestiengeneral zu überraschen. Unter seiner schwarzen Kutte zog er nun seinerseits ein Schwert hervor und wich zum Waldrand zurück, während seine Schattenwölfe ihren irdischen Artgenossen entgegensprangen.

Den Rest der Schlacht bekam Jane nicht mehr mit. Jemand packte sie an der Schulter und stieß sie durch den magischen Torbogen.

Die Welt um sie veränderte sich schlagartig. Von einer Sekunde auf die nächste befand sie sich nicht mehr auf jener Lichtung in den Karpaten, sondern auf einem kalten, tristen Festungshof, umgeben von uralten Mauern. Menschen in dicken Kutten saßen im Kreis auf dem Boden, wärmten sich die Hände an einem kleinen Lagerfeuer. Kinder rannten über den Hof und spielten Fangen.

Als sie die drei Neuankömmlinge bemerkten, die soeben aus dem Torbogen der Illauri traten, schreckten alle im Hof auf.

»Sie ist zurückgekehrt«, keuchte eine alte Frau. »Die Seelenkönigin ist zurückgekehrt!«

Gespenstische Ruhe kehrte ein. Jane biss sich auf die Lippe. Was nun wohl geschehen würde?

Still erhoben sich die Menschen von ihren Ruheplätzen. Mütter nahmen ihre Kinder in die Arme und verbargen sie eilig vor dem Antlitz der bleichen Königin. Jane sah, wie selbst die größten und kräftigsten Männer die Köpfe neigten und die Blicke senkten, als fürchteten sie, dem Glosen in den Augen der Dämonin zu begegnen. Das eben noch herrschende Leben auf diesem kalten, finsteren Hof verwandelte sich mit einem Mal in eine bedrückende Stille. Die Angst war überall zu spüren, greifbar wie nichts sonst; eine grausame, stille Furcht vor jener schwarzen Königin. Jane schaute Veyron vorwurfsvoll an. Wo hatte er sie da nur hingebracht? Doch Veyron blieb wie üblich äußerlich ganz gelassen.

Schwarz uniformierte Wachen eilten herbei. Als sie näher herankamen, erkannte Jane, dass trotz ihres zackigen Schritts ihre Augen trüb waren, der Blick starr geradeaus gerichtet. Rücksichtslos stießen sie alle Menschen zur Seite, die ihnen im Weg standen, und hoben ohne ein Wort die verletzte Seelenkönigin auf ihre Arme und trugen sie fort. Niemand nahm Anteil an ihrer Verwundung, niemand blickte ihr hinterher. Allerdings wagte sich auch niemand zu freuen. Still und bedrückt zogen die Menschen von dannen, ließen Veyron und Jane allein unter dem Torbogen stehen.

Wir sind am Hof einer verhassten Tyrannin gelandet, erkannte Jane entsetzt. Konnte es sein, dass Veyron diesmal einen fatalen Fehler begangen hatte?