Beyl und MacGarney

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Die Post

Beyl und MacGarney kehrten nach ihrem Besuch bei den Nerds auf das Revier zurück. Sie machten noch einen Abstecher in die Kantine, um sich einen Kaffee zu holen, und gingen dann in ihr Büro.

Auf dem Schreibtisch von MacGarney lag ein Haufen Umschläge.

„Was ist das denn?“, fragte Beyl. Sein Kollege stellte den Kaffee ab und ging die Umschläge durch: „Ich hatte doch gesagt, dass Sebstein sich seine Post ins Hotel bestellt hat. Der Nachsendeantrag. Das hier sind die Sachen, die seit seinem Tod zugestellt wurden.“

Beyl musterte den Haufen: „Das ist aber eine Menge Post.“

MacGarney stimmte ihm zu: „Vor allem sind die Schreiber ziemlich einseitig.“

„Was meinst du damit?“

„Es sind alles Banken.“ Er warf ein paar Umschläge auf Beyls Tisch, einen riss er auf. Er nahm den Brief raus und überflog ihn. „Aha“, sagte er. Dann nahm er einen weiteren Brief, riss ihn auf und studierte den Inhalt.

„Unser Mann scheint sich nach einem neuen Job umgesehen zu haben. Das sind Antworten auf ein Bewerbungsschreiben. Er muss ziemlich clever gewesen sein, denn die beiden Banken hier wollten ihn sofort haben.“

Beyl nahm einen Schluck von seinem Kaffee: „Das hat uns sein Boss aber nicht gesagt.“

„Vielleicht weiß er es nicht.“

MacGarney setzte sich auf seinen Stuhl: „Das könnte sein. Aber was hatte er nochmal über Sebstein gesagt? War das nicht, dass er ein goldener Esel war, den man unbedingt behalten müsse?“

„Da schwingt eine gewisse Ahnung mit.“

„Vielleicht werben sich die Banken die Goldesel ja gerne mal ab.“

Das Telefon auf Beyls Schreibtisch klingelte. Er nahm den Hörer ab, lauschte: „OK“, sagte er und stand auf.

„Komm mit“, sagte er. „Wir müssen los.“ Er ging mit strammen Schrittes zur Tür.

MacGarney folgte ihm: „Was ist denn los?“

„Mr. Arthur ist aufgetaucht.“

Mr. Arthur

Sie fuhren zum Retro-Hotel. Dort wartete bereits ein Streifenwagen auf sie. Beyl und sein Partner betraten die Hotel-Lobby. MacHorn stand nervös an der Rezeption. Als er die beiden Beamten sah, eilte er ihnen entgegen: „Sehr gut. Er ist oben. Als er ankam, habe ich sofort angerufen.“

Beyl legte ihm die Hand auf die Schulter, um ihn zu beruhigen: „Das haben Sie sehr gut gemacht. Jetzt bleiben Sie hier unten und lassen uns unseren Job machen.“

MacHorn nickte.

MacGarney und Beyl stiegen die Treppe hinauf. Vor dem Hotelzimmer standen zwei Beamte. Beyl nickte ihnen zu.

MacGarney klopfte an die Tür: „Hallo?“, rief er. Keine Reaktion aus dem Inneren.

„Hallo?“, wiederholte MacGarney und hämmerte förmlich gegen die Tür. Wieder keine Reaktion. MacGarney machte einen Schritt zurück und sagte zu einem der Beamten: „Holt den Besitzer. Er soll uns die Tür öffnen.“

Es dauerte keine dreißig Sekunden, bis ein schwitzender MacHorn seine Key-Card in den Schlitz der Zimmertür steckte und diese mit einem leisen Piepsen entriegelte.

MacGarney riss die Tür auf und stürmte ins Zimmer. Hinter ihm Beyl und die beiden Beamten. MacHorn linste vorsichtig in das Zimmer.

Die Vorhänge waren zugezogen.

„Boah!“, rief MacGarney. Es stank. „Was ist das denn? Mach mal einer Licht.“ Ein Beamter schaltete das Licht ein.

Auf dem Bett lag ein Mann mittleren Alters. Er war vollständig angekleidet. Er streckte alle Viere von sich und schnarchte.

„Der hat gut getankt“, sagte einer der Uniformierten.

MacGarney ging zu dem Mann und stieß ihn an: „Hallo? Mr. Arthur?“ Die Antwort war ein genervtes Grunzen.

MacGarney rüttelte an Mr. Arthur. Der fuhr hoch und blinzelte in das Licht: „Hallo?“, fragte er. „Ich nehm noch ein Pint. Aber nicht so viel Sahne oben drauf.“

Dann fiel er wieder nach hinten und schnarchte weiter.

MacGarney sah hilflos zu Beyl rüber. Der zuckte mit den Schultern. MacGarney rüttelte erneut an Mr. Arthur. Der fuhr erneut hoch: „Hallo? Ich nehme auch einen Jameson. Dieser scheiß schottische Whiskey ist fürn Arsch!“ Er wollte sich gerade nach hinten fallen lassen, als MacGarney ihn erwischte und festhielt.

„Hups, ja was ist das denn?“, fragte Arthur überrascht und starrte MacGarney an.

„Sie sind aber ein hässlicher Mensch. Wo sind denn Ihre Haare?“

„Wo ist Ihr gutes Benehmen?“

„Ja, das ist eine gute Frage. Ich lade Sie auf ein Bier ein.“ Mr. Arthur versucht aufzustehen, torkelte aber vom Bett aus auf den Fußboden.

„Herrje“, sagte er. „Es tut mir furchtbar leid, aber anscheinend haben wir ein Erdbeben. Da sind die Pubs bestimmt zu.“

MacGarney gab den uniformierten Beamten ein Zeichen. Die nahmen Mr. Arthur in die Mitte und zogen ihn auf die Beine.

„Danke Jungs. Ihr bekommt auch ein Bier. EINE RUNDE FÜR ALLE!“

Beyl stellte sich vor Mr. Arthur: „Wir müssen mit Ihnen reden. Daher nehmen wir Sie mit. Dort wird es Ihnen blendend gehen.“

„Super! Klasse! Ich bin dabei!“

Nachdem sie Arthur in der Ausnüchterungszelle abgeladen hatten, beschlossen Beyl und MacGarney, dass sie sich ein verspätetes Mittagessen verdient hätten. In der Kantine gab es rund um die Uhr warmes Essen. MacGarney schnappte sich einen Braten mit Kartoffeln, während Beyl an der Salattheke einen bunten Teller zusammenstellte.

„Du hast eine Ernährung... Das ist doch nicht gesund.“ MacGarney betrachtete abschätzig Beyls Teller. „Du brauchst mal ordentlich Fleisch.“

Beyl schüttelte den Kopf: „Ich esse am Wochenende lieber ein gutes Stück Fleisch als dauernd unter der Woche diesen medikamentenverseuchten Dreck.“

„Dafür werde ich im Winter nicht krank.“

Beyl nahm seine Gabel und begann zu essen. Sein Handy klingelte: „Was ist denn jetzt?“, schimpfte er und ließ seine Gabel genervt fallen. Er zog sein Handy aus der Tasche: „Ja?“, fragte er genervt. Er lauschte. MacGarney sah ihn interessiert an: Das Gesicht seines Kollegen wandelte sich! Zeigte sich erst noch die Verärgerung wegen der Störung, wich dieser Ärger immer mehr dem Ausdruck fassungslosen Erstaunens.

„In Ordnung“, sagte er und beendete den Anruf. Er ließ das Gerät sinken.

„Und?“, fragte MacGarney.

Sein Kollege starrte ihn an.

„Wir haben eine Zuordnung.“

MacGarney aß weiter: „Eine Zuordnung zu was?“

„Wir wissen, wem der Fingerabdruck in Sebsteins Zimmer gehört.“

MacGarney hörte auf zu essen: „Jetzt lass dir doch nicht alle Würmer aus der Nase ziehen! Zu wem gehört der Fingerabdruck?“

Festnahme

„Mir gefällt das nicht“, sagte MacGarney. Sie fuhren in Richtung Retro-Hotel.

„Was gefällt dir nicht? Dass wir einen handfesten Beweis und damit einen erhärteten Verdacht haben?“

MacGarney nickte: „Das ist alles nicht stimmig: Das mit dem Daumenabdruck, dann der Arthur in der Zelle. Beides potentielle Täter.“

Beyl gab etwas Gas: „Das sehe ich anders. Arthur kannst du nicht ernsthaft als Verdächtigen bezeichnen?“

„Nein?“

„Nein.“

„Warum?“

„Wir wissen nichts über ihn, nur dass er morgens gegangen ist und am nächsten Tag besoffen wiederkam. So... Wie viele Leute kennst du, die hier Urlaub machen und sich besaufen?“

MacGarney dachte kurz nach: „Gehört das nicht zum Standartprogramm?“

„Genau! Und das ist ein Hotel, Arthur ist auf Urlaub... Ich wette, er hat eine glaubhafte Geschichte, warum er unterwegs war.“

„Mhmmmmm.“

Sie hielten vor dem Hotel. Als sie den Eingang betraten, erwartete sie kein Hotelbesitzer. Dieser war wohlweißlich nicht informiert worden.

Beyl ging schnurstracks zur Rezeption: „Hallo“, sagte er.

„Guten Tag“, antwortete die junge Dame höflich, aber etwas verunsichert.

„Wo können wir Mr. MacHorn finden?“

Die Dame überlegte: „Ich denke, er ist im zweiten Stock. Dort hat es einen Wasserschaden gegeben. Soll ich ihn anrufen?“

„Nein! Das ist nicht nötig, danke.“

Beyl und MacGarney gingen zügig die Treppe rauf. Sie stiegen aber nicht in den zweiten Stock empor, sondern gingen in die Richtung von Sebsteins Zimmer.

Hier klopften sie an eine benachbarte Tür.

Ihr Klopfen wurde nach kurzer Zeit beantwortet: „Was?“, fragte eine unfreundliche Stimme. Sam Furth öffnete die Tür. Er sah verärgert aus - offensichtlich sein normaler Gemütszustand.

„Guten Tag“, sagte Beyl und ging zügig an Furth vorbei, bevor dieser auf die Idee kommen konnte, die Tür wieder zu schließen.

„Hey!“, rief er empört und wandte sich um. Auf diese Weise konnte auch MacGarney leicht in das Zimmer gelangen.

„Was wollen Sie hier? Was ist das für ein Auftritt! Ich werde mich über Sie beschweren.“

Furth hatte sich in der Mitte des Zimmers positioniert und zeigte mit energisch ausgestrecktem Finger auf die Tür: „Ich bestehe darauf, dass Sie augenblicklich mein Zimmer verlassen.“

MacGarney schloss die Tür und positionierte sich vor dieser.

„Was soll das?“ Furth wurde nervös.

„Setzen Sie sich“, sagte Beyl. „Wir haben mit Ihnen zu reden.“

„Ich stehe lieber!“

„Wie Sie wollen. Ich werde mich setzten.“ Beyl zog sich einen Stuhl heran und setzte sich: „Das nenne ich mal bequem. Wissen Sie, bei uns im Büro kann man nicht so gut sitzen.“

„Das ist mir egal.“

„Ich denke, es wird Sie bald interessieren, wo man bequem sitzen kann.“

„Was soll das heißen?“

 

„Im Gefängnis sind die Betten hart. Die Stühle auch.“

Furth wurde blass: „Warum sollte mich das interessieren?“

Beyl seufzte: „Denken Sie mal nach... Mr. Ronald Dumpher!“

Das Verhör

Ronald Dumpher, alias Sam Furth, saß an einem Holztisch im Verhörzimmer des Polizeireviers. Es verfügte nicht über den klischeehaften Einwegspiegel aus dem Fernsehen, sondern über vier kahle Wände, wobei eine von einer wuchtigen Holztür verziert wurde.

Der Tisch, an dem Dumpher saß, war am Boden festgeschraubt, ebenso der Stuhl, der seinen Körper hielt.

Ihm gegenüber saßen Beyl und MacGarney.

„Also“, begann Beyl. „Sie sind in das Zimmer von Mr. Sebstein eingebrochen. Korrekt?“

Dumpher nickte.

„Wie haben Sie das geschafft?“

Dumpher ließ die Schultern hängen: „Naja, die Türen haben elektrische Schlüsselkarten. Das war nicht sonderlich schwierig.“

Beyl nickte. Er öffnete eine schmale Akte, die vor ihm lag: „Stimmt. Für jemanden wie Sie. Wenn ich das richtig verstanden habe, sind Sie das gleiche wie Mr. Sebstein: Ein PC-Spezialist, ein Programmierer. Und offensichtlich Hacker.“

Dumpher starrte auf die Akte: „Woher haben Sie das?“

„Wir haben einen Datenabgleich gemacht. Sie hatten anscheinend mal einen heftigen Unfall, wo Sie Anzeige erstattet haben. Ich weiß nicht, was die Kollegen sich da im Detail gedacht haben, aber auf jeden Fall haben wir daher Ihre Fingerabdrücke.“

„Mist“, entfuhr es Dumpher leise.

„Stimmt. Jetzt haben wir Ihren Namen. Und von da ist es nicht schwer. Also: Sie sind in das Zimmer von Sebstein eingebrochen. Er hat Sie überrascht und dann haben Sie ihn umgebracht.“

Dumpher schüttelte heftig den Kopf: „Nein!“, rief er. „Das stimmt nicht! Ja klar, ich bin da eingebrochen, aber ich habe ihn doch nicht umgebracht. Ich habe ihn überhaupt nicht gesehen, scheiße aber auch.“ Er sackte noch ein Stückchen mehr in sich zusammen.

MacGarney sagte mitleidig: „Wollen Sie uns verarschen? Ernsthaft?“

„Was?“

„Kommen Sie, wir haben das recherchiert. Sebstein hat sich bei Ihrer Bank beworben. Er hätte den Job bekommen, denn anscheinend war er sowas wie ein Genie. Da haben Sie sich gedacht, Sie müssen was unternehmen.“

„Klar dachte ich, ich muss was unternehmen, aber doch nicht, dass ich...“ Dumpher schüttelte wieder den Kopf.

„Was wollten Sie denn in dem Zimmer?“, fragte Beyl.

„Muss das sein?“ Dumpher wischte sich die Stirn ab.

„Junge, Sie stehen unter Mordverdacht. Ich würde Ihnen raten, Sie machen mal langsam den Mund auf und liefern uns einen Grund, Sie nicht vor den Richter zu zerren.“ MacGarney schaute sein Gegenüber finster an.

„Ist ja gut, Mann!“ Dumpher kratzte sich am Kopf. „Sebstein war ein Genie. Er hat dauernd Produkte entwickelt, die einen Mega-Gewinn abgeworfen haben. Er hat dafür verschiedene Programme geschrieben und so. Ich dachte, ich finde davon ein oder zwei auf seinem Rechner, dann kann ich mir die ziehen und meinen Chef beeindrucken.“

„Und dann kam Sebstein zurück und...“

„NEIN!“, unterbrach Dumpher MacGarney, bevor dieser aussprechen konnte. „Ich war in seinem Zimmer, habe mir seinen PC angeguckt, habe ihn gehackt, aber nichts gefunden. Der war total sauber.“

„Sie haben nichts gefunden?“, fragte Beyl.

„Nein. Sonst wäre ich sofort abgereist. Stattdessen habe ich meinen Urlaub verlängert und auf eine Gelegenheit gewartet, nochmal in das Zimmer zu kommen. Meinen Sie, ich kann es mir ernsthaft leisten, in dem Laden solange abzusteigen? Ich bin jetzt total pleite.“

„Sie haben alles auf diese Karte gesetzt?“ Beyl tat der Mann etwas leid.

„Ja“, sagte dieser. „Hat aber nicht geklappt. Jetzt bin ich am Arsch.“

„Wo waren Sie in der Nacht, als Sebstein getötet wurde?“

Dumpher dachte nach: „Ich habe gezockt.“

„Was denn?“

„Ein Online-Game.“

„Ohne Internet?“

Dumpher schaute Beyl verwirrt an: „Ich habe einen Surf-Stick benutzt. Ich bin doch nicht so ein Hinterwäldler.“ Er schien wirklich etwas beleidigt zu sein.

Beyl hakte nach: „Bei diesem Spiel. Was macht man da?“

Dumpher war überrascht: „Das interessiert Sie? Man rennt mit einem Avatar durch die Gegend und erfüllt Missionen.“

„Wie ist Ihr Benutzername?“

***

Nach dem Verhör setzten sich MacGarney und Beyl in ihr Büro.

„Und? Was meinst du?“, fragte Beyl.

„Ich denke, der Kerl ist unser Mann. Er wirkt zwar etwas durcheinander, aber wir haben ihn ja auch kassiert. Was sollte denn das mit dem Computer-Spiel?“

Beyl deaktivierte den Stand-Bye-Modus seines Computers: „Ich hatte da so eine Idee...“ Er klickte herum, tippte: „Ah ja.“

MacGarney stand auf und stellte sich hinter seinen Kollegen: „Was ist das denn für eine Scheiße?“, fragte er. Auf dem Bildschirm liefen bunte Figuren mit Fantasy-Waffen durch die Gegend.

„Das ist das Spiel“, erklärte Beyl. „Hier steht, es ist ein Multiplayer-Online-Spiel. Das bedeutet, dass es quasi virtuelle Zeugen dafür gibt, dass Dumpher etwas anderes gemacht haben könnte, als Sebstein umzubringen.“

„Das reicht doch nicht. Er könnte sich anmelden und nichts machen.“

„Vielleicht gibt es eine Missions-Statistik oder so, wo man sehen kann, was er alles gemacht hat.“

MacGarney schaute seinen Kollegen misstrauisch an: „Du kennst dich aber gut aus.“

Beyl zuckte mit den Schultern: „Hey, ich spiele halt nicht nur Mühle. Ich gebe das mal an die Technik weiter.“ Er schrieb eine kurze Mail und schickte sie an das Technik-Team.

„Wir sollten uns jetzt mal um unsere Sauf-Nase kümmern“, stellte MacGarney fest. Beyl stimmte zu: „Also los.“

***

Das Verhör von Mr. Arthur fand in dem gleichen Raum statt, indem kurz zuvor noch Mr. Dumpher gesessen hatte. Im Gegensatz zu Dumpher war Arthur aber alles andere als fertig: „Was soll das? Ich verlange, dass Sie mich hier rauslassen!“, schimpfte er.

„Ganz ruhig. Wir möchten nur ein paar Fragen stellen“, sagte Beyl in einem versöhnlichen Tonfall.

„Und dafür müssen Sie mich verhaften wie einen Schwerverbrecher?“

MacGarney beugte sich vor: „Sie sind kurz nach einem Mord verschwunden. Das ist seltsam.“

„Von einem Mord wusste ich nichts“, sagte Arthur. „Tut mir ja leid, aber da kann ich Ihnen nicht helfen.“

„Ich denke schon. Und zwar, wenn Sie uns erklären, wohin Sie so lange verschwunden sind!“

Arthur seufzte: „Also: Ich bin für einen kurzen Urlaub hier in Schottland. Was ist typisch für Ihr Land? Whiskey. Also habe ich einen Kurztrip mit so einer Busgruppe in die Highlands gemacht, wo man von einer Brennerei zur nächsten fährt.“

„Distillerie.“

„Hä?“

„Wir nennen das eine Distillerie. Man brennt Schnaps, keinen Whiskey.“ MacGarney schaute Arthur empört an.

„Ja, Sie haben Recht.“

Beyl fasste zusammen: „Sie sagen also, Sie sind morgens früh aufgebrochen, sind auf diese Whiskey-Tour gegangen und dann wiedergekommen. Vollkommen betrunken und hinüber.“

Arthur grinste: „Ja! War eine super Sache.“

Nach ein paar Routine-Fragen konnte Mr. Arthur das Revier verlassen. MacGarney schaute aus dem Fenster und beobachtete, wie er die Straße überquerte: „Ich finde, wir hätten ihn noch hier lassen sollen.“

„Wir haben keinen Grund.“

„Naja: Also ein Alibi hatte er ja nicht wirklich.“

„Das hat keiner: Dann müssen wir auch die Putzfrau des Hotels festnehmen. Das einzige, was gegen ihn sprach, war, dass er nicht in seinem Zimmer war, als wir das erste Mal angeklopft haben. Das konnte er aber erklären.“

MacGarney nickte: „Also bleibt uns nur noch dieser Dumpher. Schon was von der Technik?“

Beyl kontrollierte seine Mails: „Nein. Ich würde sagen, wir machen Schluss für heute.“

Alles auf Anfang

Der neue Tag begann nicht gut: Als Beyl seine Mails im Revier kontrollierte, stellte er fest, dass Dumpher sie zwar belogen hatte und in das Zimmer des Opfers eingebrochen war, er aber mit dem Mord nichts zu tun gehabt hatte. Offensichtlich hatte er die ganze Nacht online gezockt. Die Daten waren eindeutig. Sie mussten ihn gehen lassen.

„Das ist echt scheiße. Jetzt stehen wir wieder bei null da“, meckerte MacGarney. Er hielt einen Pappbecher in der Hand, der abgekühlten Kaffee enthielt.

„Das stimmt. Alles für die Katz. Mist!“ Beyl war unzufrieden. „Wo sollen wir weitermachen?“

MacGarney dachte nach. Dann grinste er: „Wir könnten Sebsteins Boss einen Besuch abstatten.“

„Warum das denn?“

„Weil er uns nicht gesagt hat, dass sein goldener Esel den Stall verlassen wollte.“

***

Lamrad thronte in seinem schweren Bürostuhl, als die beiden Beamten sein Büro betraten: „Ah, die Herren des Gesetztes. Gibt es etwas Neues?“

Beyl und MacGarney setzten sich. Beyl informierte Lamrad: „Ja, wir haben ein paar interessante Sachen herausgefunden. Das Dumme ist nur, dass wir uns einiges an Arbeit hätten sparen können, wenn Sie uns direkt informiert hätten.“

Lamrad schien überrascht: „Worüber hätte ich Sie denn informieren sollen?“

„Zum Beispiel, dass Sebstein Ihr Unternehmen verlassen wollte!“ MacGarney legte einen aggressiven Unterton in seine Worte.

Lamrad lehnte sich in seinem Stuhl zurück: „Danach haben Sie aber nicht gefragt. Sie fragten nach Freunden und Feinden. Das habe ich beantwortet.“

„Sie finden das nicht etwas seltsam?“, fragte Beyl. „Oder hatten Sie Angst davor, sich selber zu belasten?“

„Wieso sollte mich das belasten?“

„Naja, Sie haben ein Motiv: Der goldene Esel, wie Sie ihn genannt haben, wollte woanders seine Eier legen. Das wollten Sie nicht, also haben Sie ihn kurzerhand umgebracht. Ist besser fürs Geschäft.“

Lamrad lehnte sich in seinem Stuhl nach vorne. Sein Gesicht lief rot an: „Ich verbitte mir diese bösartigen Unterstellungen. Wenn Sie sowas nochmal behaupten, lasse ich Sie aus diesem Gebäude entfernen, beschwere mich bei Ihrem Chef und verklage Sie so hart, dass Sie mir noch Ihre mickrige Pension abdrücken müssen.“

Beyl legte den Kopf schief: „Warum so aggressiv? Wie wäre es, wenn wir sachlich über diese Theorie sprechen?“

Lamrad rümpfte die Nase: „Ich bin doch kein Idiot. Natürlich hat Sebstein sich woanders beworben. Das ist normal.“

„Inwiefern?“

„Er wollte eine Gehaltserhöhung. Seit Wochen hat er mich damit genervt. Ich habe ihn hingehalten, er hat gedroht zu gehen, dann ist er aus seiner Wohnung raus... Natürlich hat er mich darüber informiert... Und dann haben wir uns hingesetzt und eine Lösung gefunden, die für uns beide in Ordnung war.“ Er schaute MacGarney grimmig an: „Sie sehen, ich bin der Letzte, der den Tod von Sebstein wollte. Er war MEINE goldene Gans...Oder Goldesel... Jetzt ist er leider tot.“

„Können wir den Vertrag sehen?“, fragte Bey. Lamrad starrte ihn an, dann zuckte er mit den Schultern: „Ich sage meiner Sekretärin Bescheid, sie soll ihn raussuchen und Ihnen aufs Revier schicken.“ Er stand auf: „Jetzt müsste ich aber wieder arbeiten. Meine Herren...“

***

„Na gut, das war mal wieder nichts.“ MacGarney schob sich die Gabel mit Pommes in den Mund. Sie hatten sich in einen Pub gesetzt, um Mittag zu essen.

Beyl rührte lustlos mit seinem Löffel in der Suppe herum: „Ich frage mich, was wir übersehen.“

Sein Kollege schnitt an dem Bacon-Cheese-Burger herum und seufzte: „Wir gehen das gleich im Büro nochmal durch. Ansonsten müssen wir zur Chefin und mit ihr reden.“

„Bist du verrückt?“

„Hey, sie ist zwar durchgeknallt und nicht normal, aber sie hat trotzdem Ahnung von ihrem Job - sonst hätte sie ihn nicht.“

***

Im Büro lagen mehrere Papiere auf dem Schreibtisch von Beyl. Er ging sie durch: „Das ist der Vertrag.“

MacGarney ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen: „Vielleicht sollten wir nochmal Leute befragen. Im Hotel. Die Gäste.“

„Haben wir doch schon.“ Beyl warf den Vertrag auf den Tisch. „Da ist nichts bei rausgekommen. Warum sollte das jetzt anders sein?“

„Irgendwas müssen wir ja machen.“

Die Tür schwang auf - ohne Klopfen. MacGarney wollte schon anfangen, den unhöflichen Besucher zu beschimpfen, als er sah, wer da störte!

„Was haben Sie?“, fragte die Chefin. „Ich hoffe, Sie sind inzwischen etwas weiter - haben die richtigen Schlüsse gezogen!“

 

Beyl setzte an: „Also...“

„Sie nicht!“, fuhr sie Beyl an. Sie wandte sich an MacGarney: „Sie haben den Vertrag gelesen?“

MacGarney schüttelte den Kopf: „Wir sind gerade erst wieder reingekommen. Mr. Beyl hat ihn schon überflogen.“

Die Chefin warf die Tür hinter sich zu: „Sie sollen ihn nicht überfliegen. Sie sollen ihn lesen. Die Antwort des Falles liegt da drinnen.“

Beyl griff nach dem Vertrag: „Was meinen Sie?“, fragte er und überflog erneut die Überschriften, die fett gedruckt waren.

Seine Chefin wandte sich ihm zu: „Lesen Sie den Vertrag genau. Und dann beantworten Sie die alte Frage, die am Anfang jeder Mordermittlung steht: Wer profitiert am meisten?“

Beyl arbeitete sich Zeile für Zeile durch das Vertragswerk. Es umfasste knapp zehn Seiten und bestand nur aus Fachsprache. Nachdem ihre Chefin ihnen vor einer Stunde Dampf gemacht hatte, gingen sie alles nochmal durch: Er den Vertrag, MacGarney die Zeugenaussagen.

„Ah!“, rief Beyl. Er stand auf und ging mit dem Blatt zu MacGarneys Schreibtisch. Er zeigte auf eine Passage: „Guck mal!“, forderte er seinen Kollegen auf. Der las die Stelle, nickte: „Sehr gut. Das bedeutet doch nichts anderes, als dass...“

„Ganz genau!“

„Aber wie kommen wir an ihn ran? Wir haben absolut nichts gegen ihn in der Hand.“

Beyl nickte: „Das stimmt wohl“, sagte er nachdenklich. „Auf der anderen Seite fühlt er sich doch gerade sehr sicher. Vielleicht können wir genau das nutzen!“ Er ließ seinen Nacken kreisen: „Hast du auch was gefunden?“

„Ich hätte eine Idee, wo man ansetzen könnte, um über unseren neuen Verdächtigen vielleicht etwas rauszubekommen.“

„Sehr gut!“

***

Auf der Fahrt zum Retro-Hotel überlegte Beyl laut: „Warum hat unsere Chefin nicht direkt gesagt, was mit dem Vertrag ist? Das hätte uns viel Zeit gespart.“

MacGarney ließ das Fenster runter, es war ein schöner Tag: „Das macht sie dauernd. Ich habe sie mal gefragt, warum.“

„Und?“

„Sie meinte, es gehört zu ihrem Job, Personalentwicklung zu betreiben.“

„Personalentwicklung?“

„Ja, dass du dich verbesserst.“

Beyl setzte den Blinker: „Aber das kostet Zeit.“

„Ja, habe ich auch gesagt. Sie meinte, dass das einmal Zeit kostet, du beim nächsten Mal aber selber auf den Trichter kommen würdest. Dann hat sie mich beschimpft und rausgeschmissen.“

Beyl lachte: „Naja, ich bin mal gespannt, wann mir nochmal so ein Vertrag zwischen die Finger kommt.“

Sie bogen auf die Zufahrt zum Hotel ab. Der Page an der Tür erkannte ihren Wagen offensichtlich sofort, denn er griff zu seinem Handy und telefonierte hastig. Als Beyl und MacGarney aus dem Wagen ausstiegen, kam MacHorn bereits auf sie zu.

„Die Herren wieder?“ Sein Ton war sachlich. Die Freundlichkeit vom Anfang wich langsam. Das war ein bekanntes Phänomen: Zu Beginn waren die Leute froh, wenn die Polizei kam. Sie fühlten sich so kurz nach einem Verbrechen dann sicher. Wenn die Polizei aber regelmäßig kam, war ihnen das nicht Recht. Es wurde lästig.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte MacHorn. „Möchten Sie wieder einen Gast verhaften? Grundlos?“

„Machen Sie mal halblang. Das sind Ermittlungsarbeiten“, brummte MacGarney. Er konnte den Kerl ohnehin nicht leiden. Der sollte bloß aufpassen.

„Halblang? Ihre sogenannte Ermittlungsarbeit schadet langsam meinem guten Ruf!“

„Tote Menschen sind auch geschäftsschädigend“, merkte MacGarney an. „Also: Lassen Sie uns unsere Arbeit machen.“

„Ich werde Sie nicht daran hindern.“ MacHorn öffnete ihnen die Tür. Beyl und MacGarney betraten das Hotel und gingen zielstrebig die Treppe hinauf.

„Wohin wollen Sie denn?“, fragte MacHorn, der ihnen folgte.

„Wir wollen Ihr Hotel ruinieren. Dafür müssen wir jetzt eine alte Dame festnehmen!“

MacHorn war geschockt: „Sie wollen ernsthaft Mrs. Groose verhaften? Das ist doch nicht ihr Ernst! Ich muss heftigen Widerspruch einlegen.“

„Das ist ja sehr interessant. Ich sage, ich möchte jemanden verhaften und Sie beschützen diese Person. Haben Sie etwa auch etwas mit dem Mord zu tun?“

MacHorn schnappte nach Luft: „ICH?“, rief er empört.

Beyl legte ihm die Hand auf die Schulter: „Mein Kollege macht nur Scherze. Wir wollen niemanden verhaften. Wir sind hier, um uns mit Mrs. Groose zu unterhalten. Ich würde Sie jetzt aber bitten, uns alleine arbeiten zu lassen. Wenn zu viele Leute bei jemandem klopfen, macht das die Leute nervös und wir wollen Ihren Gästen ja nicht den Aufenthalt in Ihrem schönen Hotel verderben.“ Beyl lächelte freundlich. MacHorn warf MacGarney einen bösen Blick zu, dann wandte er sich ab und ging die Treppe wieder hinunter.

„Du musst das lassen. Ganz dringend“, sagte Beyl und klopfte an der Tür von Mrs. Groose.

Die Tür wurde sofort geöffnet: „Guten Tag. Kommen Sie rein“, sagte die rüstige alte Dame. Sie schaute tadelnd zu MacGarney: „Und Sie benehmen sich diesmal, sonst schmeiße ich Sie sofort raus. Sie und Ihre Nazi-Frisur!“

MacGarney rümpfte die Nase, behielt aber jeden Kommentar für sich.

Sie setzten sich. Mrs. Groose schaute von einem zum anderen: „Wie kann ich helfen? Ich habe gehört, Sie möchten mit mir sprechen?“

„Woher haben Sie das gehört?“, fragte MacGarney.

„Sie waren so laut vor der Tür, ich konnte gar nicht anders, als alles hören. Sie sollten netter zu Ihren Mitmenschen sein.“

Beyl grinste: „Das finde ich auch. Aber wir benötigen wirklich Ihre Hilfe.“ Er nahm einen A3-Umschlag aus seiner Tasche und zog aus diesem mehrere Fotos.

„Haben Sie diesen Mann schon mal gesehen?“ Er reichte der Dame die Fotos. Sie nahm sie entgegen, kniff die Augen zusammen und betrachtete sie eingehend.

Beyl warf MacGarney einen Blick zu: Er kannte seinen Partner ziemlich gut und er konnte erkennen, dass er sich total unwohl fühlte. Die alte Dame hatte ihm ziemlichen Respekt eingeflößt.

„Ich habe den schon mal gesehen“, sagte Mrs. Groose schließlich.

„Ja? Wann und wo denn?“, fragte Beyl.

Mrs. Groose zuckte mit den Schultern: „Wann kann ich nur schwer sagen. Er hat öfters unten im Restaurant gesessen. Da sitzen manchmal Leute, die nicht hier wohnen. Ich finde das nicht gut! Man sollte in einem Hotel unter sich bleiben!“

„Und der Mann war im Restaurant? Öfters?“

„Ja, ich würde sagen, die letzte Woche bestimmt zwei oder drei Mal. Meistens abends.“

MacGarney warf ein: „Essen auch die Gäste immer im Restaurant zu Abend?“

„Sehen Sie!“, sagte Mrs. Groose. „Sie können so freundlich sein. Ich möchte Ihre Frage gerne beantworten: Die Preise hier sind nicht gerade...ein Schnäppchen, möchte ich sagen. Hinzu kommt, dass viele Gäste abends auch mal in der Stadt essen. Ich bin nicht mehr so gut zu Fuß wie früher, deswegen spare ich mir abends diesen Weg.“

„Das kann ich verstehen“, stimmt Beyl zu. „War der Mann denn alleine?“

„Ja, immer. Noch etwas, was mir komisch vorkam. Ich meine, wer kommt denn in dieses Hotel, um alleine zu essen? Die Küche ist gut, keine Frage! Aber wenn man von außerhalb kommt, kann man in der Stadt zum gleichen Preis in einem edlen Lokal speisen. Zumindest, wenn man gut zu Fuß ist und nicht so eine alte Schachtel wie ich!“

„Ich bitte Sie“, warf Beyl ein. „Sie sind doch keine alte Schachtel!“

„Zu freundlich“, entgegnete Mrs. Groose. „Aber ich weiß, dass ich alt bin.“

MacGarney dachte nach. Er trommelte mit seinen Fingern auf den Knien. Da hatte er eine Idee: „Ist dieser Mann denn manchmal auch in die oberen Etagen gegangen? Haben Sie das mitbekommen?“

Mrs. Groose dachte erneut nach: „Das kann ich so gar nicht sagen. Er hat den Raum manchmal verlassen - ich denke, er musste auf die Toilette. Aber jetzt, wo Sie es sagen: Er könnte natürlich auch woanders hingegangen sein.“

Beyl erhob sich, MacGarney tat es ihm gleich: „Sie haben uns wirklich sehr geholfen, Mrs. Groose. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Aufenthalt in diesem Hotel.“

MacGarney und Beyl verließen das Zimmer der alten Dame.

„Damit haben wir einen Verdächtigen“, stellte MacGarney fest.

„Ja. Aber das nützt uns nichts.“

„Warum nützt uns das bitte nichts?“, fragte MacGarney seinen Kollegen zweifelnd. „Wir können ihn mit der Aussage der alten Dame doch konfrontieren. Außerdem hat er ein Motiv.“

Beyl war sich nicht so sicher: „Motiv? Ja: Sebstein hat seinen Vertrag verlängert. Neben mehr Geld hat er auch eine Beförderung rausgeholt, wodurch Philips seinen Job verloren hätte.“

„Ich denke, er hätte nur schwer einen neuen Job bekommen.“

„Ja, weil jeder weiß, dass er jetzt zum alten Eisen gehört.“

Die beiden Männer schwiegen. Plötzlich legte MacGarney seine Stirn in Falten.