Tanjas Feuersturm

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„Hast du mir überhaupt zugehört, Hund? Los geht’s. Beweg deinen faulen Hintern.“

Herkules trabte nachdenklich an und dachte: Würde ich gerne tun, Alter. Aber auf eine angenehmere Art. Nur den Mitläufer am Fahrrad zu spielen, einfach öde! Als dem Träumer plötzlich der frische Wind um die Nüstern pfiff, und sein Kreislauf so richtig in Schwung kam, schien auf Anhieb alles vergessen. Von nun an war er ein aufmerksamer Vierbeiner. Den Brandgeruch, der immer noch in der Luft lag, nahm er argwöhnisch in sich auf, um fortan prüfend sein Augenmerk auf alles zu richten, was ihm nicht geheuer erschien. Urplötzlich zwang er Peters zu bremsen. Der Mittläufer gedachte sich am Grünstreifen zu lösen, da auch ein Hund großen Geschäften nachgeht. Heute Morgen allerdings machte der Rottweiler hieraus geradezu eine Zeremonie. Das Tier konnte sich nicht entschließen, wo genau es sich niederlassen sollte, um seiner Notdurft Folge zu leisten. Endlich klappte es. Wurde auch Zeit. Hubert war eh spät dran. Zudem verspürte er Kaffeedurst. „Nun komm schon, Herkules. Das Kratzen kannst du dir ersparen. Der Dreck fliegt eh über deine Hinterlassenschaft hinweg. Tut mir leid. Den Kotbeutel habe ich in der Eile zuhause liegenlassen. Lass uns sehen, dass wir weiterkommen, bevor uns irgendwer der Umweltverschmutzung beschuldigt.“ Herkules gehorchte brav. Nahm aber schell noch einen Handschuh auf, den er fortan als sein Eigen ansah. Was er damit vorhatte, wusste er bislang nicht, nur mit musste das gute Stück zunächst einmal! Eine Option für ihn wäre: Vergraben. Jedenfalls hütete er diesen Handschuh, der relativ neu aussah und reflektierende Applikationen aufwies, wie seinen Augapfel. Peters bekam das Ganze nicht mit, da er höllisch auf den ihm entgegenkommenden Verkehr zu achten hatte. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los: Die Autofahrer fuhren an diesem Morgen alle wie die Henker. Als er mit seinem Hund die Stelle passierte, an der gestern Abend die beiden PKWs in Flammen aufgingen bremste er, um sich die Brandstelle anzuschauen. Viel gab es für den Mann allerdings nicht mehr zu sehen. Die Autowracks waren bereits abgeschleppt worden. Ausgelaufene Öle und Benzin abgestreut – und das Flüssiggas, soweit nicht verbrannt, verflogen. Die Rasenflächen, auf denen die Fahrzeuge offenbar geparkt hatten, wiesen dunkle, kahle Flecken auf; und die sich in unmittelbarer Nähe befindlichen Lindenbäume, leichte Spuren des verkohltsein, als hätten Feuerzungen an ihnen geleckt. Rasen und Bäume würden also überleben. Der Natur galt, gleich nach dem Menschen, Peters größte Sorge. Menschen waren hier, ganz offensichtlich, nicht zu Schaden gekommen. Den Einsatz eines Rettungsfahrzeuges vermochte Peters gestern Abend jedenfalls nicht auszumachen. Somit stellte er sich die Frage: Handelte hier jemand etwa aus reinem Frust, da in der Lindenallee, obwohl strengstens verboten, des Öfteren wild geparkt wurde? Dennoch sei das lange kein Grund, eine derart frevelhafte Tat zu begehen, befand der Frührentner. Dieses gewissenlose Vorgehen ablehnend, bestieg er sein Fahrrad und entfernte sich, um nicht rachsüchtig zu werden. Gegen wen auch? Bislang gab es keinen Täter. Gebe es einen, Herkules würde sicherlich wegweisend eingeschritten sein. Leider war hier wirklich alles zunichte gemacht. Die empfindsame Hundenase vermochte nichts weiter mehr auszumachen, außer Schmieröle, Löschwasser, Abdeckmittel pp. Da lobte er sich doch den Handschuh, dessen menschlicher Duft sein Riechorgan wieder neutralisierte. Nahezu verliebt trug er diesen mit ins Haus, um ihn postwendend seiner Lagerstatt anzuvertrauen. Vorsichthalber stupste er ihn mit seiner Schnauze unter den Rand des Kopfendes, um ihn vor seinem Frauchen in Sicherheit zu wiegen. Frau Peters hieß es nicht gut – egal, was ihr Liebling von draußen antrug – es beherbergen zu müssen. Immerhin könnte ihr Hund damit krankmachende Keime einschleppen. Nachdem Herkules das Fundstück versorgt hatte, schlappte er kräftig aus seiner Wasserschüssel, begab sich auf’s Lager und träumte von Jacky. Auf deren Anblick musste er heute bislang leider verzichten! Hubert indessen werkelte in der Küche. Dort bereitete er ein exzellentes Frühstück, für sich und seine Frau, welches beide ausgiebig genossen. Gestärkt machte sich Sonja an das Bettenbeziehen und Hubert schickte sich an, den Gartenzaun zu streichen. Diese Arbeit war bereits überfällig. Dieses lag aber nicht an Peters, sondern am Wetter, welches sich einer längeren Regenzeit unterzogen hatte. Merkwürdig war: Während der Schlechtwetterperiode wurde nicht ein einziger Brand vermeldet. Jetzt in der Trockenperiode hingegen, laufend! Halfen etwa doch Jugendliche nach, die Spaß an der Freude daran hatten, es brennen zu sehen?

Wieso, sinniert Hubert, stehst du mit diesen Gedanken fortwährend auf Kriegsfuß? Du denkst nur noch darüber nach: Was machen, wenn es bei uns einmal lodern sollte? Schmeiß dieses Hirngespinst endlich über Bord. Konzentriere dich lieber auf deine Malerarbeit. Alles Weitere ist reiner Nonsens.

Im selben Moment, als er sich das vorhielt, sauste eine Horde Jugendlicher, auf ihren Mountainbikes, johlend durch die Allee. Dabei benahmen sie sich wie eine wildgewordene Büffelherde, die die Unendlichkeit der Freiheit zu suchen schien. Ungläubig schüttelte der Rentner mit dem Kopf, als er mit ansehen musste, dass die ebenmäßig gewachsenen Linden, von diesen Hottentotten, als Parcours missbraucht wurden. Von der Straße aus, rauf auf den Rasen. Den Baum umrunden, zurück auf die Fahrbahn –, dieses alles spielte sich in einer affenartigen Geschwindigkeit ab. Halsbrecherischer ging’s kaum! Insgeheim bewunderte der Frührentner diesen sportlich aktiv gestalteten Zeitvertreib der Heranwachsenden dennoch. Einmal mehr dachte er an seine Knieprothesen, die solche Aktivitäten ohnehin nicht mehr zuließen. Radfahren ja. Jedoch mit der gebotenen Zurückhaltung! Es reichte schon, wenn Herkules meinte, ihn antreiben zu müssen, weil unverhofft der Afghane ihren Weg kreuzte. In diesem Augenblick sah sich Peters gezwungen, einen Zahn zuzulegen. Zum Glück aber nur kurzfristig. Sobald der Rottweiler bemerkte, dass er den Windhund eh nicht stellen konnte, befleißigte er sich seiner gewohnten Haltung und lief brav am Rad nebenher.

Als die Clique außer Sichtweite war, erinnerte sich der ehemalige Dachdeckermeister an die Worte seiner Frau. Des Nachts, im Gespräch mit ihm, tat sie beiläufig kund, schon öfter eine Gruppe Jugendlicher, die ihr nicht suspekt waren, gesehen zu haben. Beschloss er daraufhin nicht auf Kroppzeug achten zu wollen, wegen der Brandserie in den letzten Tagen? „Peters, Peters“, wies er sich selbst zurecht. „Anstatt dir diese Figuren einzuprägen, die sportlich über die Stränge schlugen, bewundertest du sie insgeheim.“ Er schwor sich, dass das nie wieder vorkäme. Sich Gesichter, Alter, sowie Eigenarten der Burschen einzuprägen, wäre wohl das Mindeste gewesen, was er hätte tun müssen, und nicht einfach stupide weiterzupinseln. „Ich glaube, langsam wirst du alt, Kerlchen“, murmelte er weiter kaum hörbar vor sich hin.

Sonja, die rauskam, um die Wäscheleine zu spannen, fragte nach: „Was meintest du, Hubert?“

„Sagte ich etwa was?“, stellte er geschickt die Gegenfrage, um Zeit für eine Notlüge zu gewinnen. Seine Frau, das war so sicher, wie das Amen in der Kirche, hätte ihm Unfähigkeit unterstellt, wenn er nicht einmal die elementarsten Dinge auf die Reihe bekam.

„Ach so, ja … Als ich dich kommen sah, testete ich vorsichtig mit der Hand den Farbanstrich. Auf der Farbendose steht der Vermerk „schnelltrocknend“, wovon ich nicht recht überzeugt bin. Dies dürfte ich mir in den Bart gebrummelt haben.“

„Das mag wohl sein. Könnte es vielleicht angehen, dass du langsam senil wirst, Hubert? Ich frage dich das deshalb, weil es nicht das erste Mal ist, dass ich dich bei Selbstgesprächen erwische. Dennoch: Es liegt mir fern, dich diesbezüglich beunruhigen zu wollen. Lass es in Zukunft bleiben – und gut ist’s!“

„Du hast gut reden, Sonja. Ich täte dir gerne diesen Gefallen. Leider vergisst du dabei, dass deine Behauptung nicht der Wahrheit entspricht. Wenn ich deiner Meinung nach, die von dir belauerten Monologe geführt habe, war fast immer Herkules im Spiel – und der antwortet nun mal nicht.“

„Ich begreife: Mein lieber Mann, um Ausreden nie verlegen!“ Mehr kommentierte Frau Peters nicht; band das letzte Stück Leine um den Wäschepfahl und begab sich nach drinnen, um mit der Arbeit fortzufahren. Peters indes war froh, sich grandios aus der Affäre gezogen zu haben. Somit blieb es ihm erspart, vor seiner begabten Gattin, Rechenschaft ablegen zu müssen. Irgendwann begegnete er diesen Burschen aufs Neue. Alsdann zöge er alle Register, mit dem Vorsatz: sämtliche Details in seinem Hirn speichern zu wollen, einschließlich der fahrbaren Untersätze! Dieses Gedankenspiel kaum zu Ende gebracht, vernahm Peters erneut fürchterliches Gejohle. Jedoch aus entgegengesetzter Richtung kommend. Rasselnde Fahrradklingeln sorgten zusätzlich für unerwünschten Ohrenschmaus. Hausbesitzer Hubert zeigte sich verärgert, über soviel Unverfrorenheit, rechtschaffende Bürger einer derartigen Lärmbelästigung auszusetzen. Wieso, so fragte er sich, drücken diese Gören nicht, wie es sich gehört, die Schulbank? Schwänzen die etwa, oder ist der Unterricht ausgefallen? Laut Zeitungsbericht soll das in letzter Zeit häufiger vorkommen. Zum Glück waren seine Sprösslinge davon nicht mehr betroffen. Diese stehen mit beiden Beinen längst im Berufsleben. Nachwuchs? Keine Debatte! Enkelkinder waren nicht zu erwarten. Hubert ermahnte Sohn und Tochter schon, sich bezüglich einmal Gedanken darüber zu machen, bevor sie zu alt werden. Leider schlugen Gerlinde und Rolf die gut gemeinten Ratschläge der Eltern in den Wind. Mit der Begründung: „Es ist immer noch unser Leben!“ Dieser Erklärung schlossen sich die Schwiegerkinder vorbehaltlos an, zumal ihre Vertrautheit, gegenüber den Schwiegereltern, zu wünschen übrig ließ. Woran das gelegen haben mag, wurde nie zur Sprache gebracht. Es war einfach so! Diplomatisch, wie Sonja von Natur aus war, nahm sie diese Tatsache als gegeben hin. Sie tröstete ihren Hubert mit den Worten: „Betrachte es locker, Schatz. Hauptsache ist doch: Wir zwei stellen in jeder Beziehung Gleichklang her; dem das Vertrauen, oberste Prioritäten einräumt!“

 

Mit dieser familiären, kurzen Rückschau, die vor Huberts geistigem Auge geschwind ablief, war der Spuk ebenfalls vorüber: Kein Lärmen, keine kreischenden Bremsen, kein schrilles Geläut einer Fahrradklingel. Totenstille! – Peters versäumte einmal mehr, ein Gedächtnisprotokoll, über diesen provozierenden, ruhestörenden Lärm der Jugendlichen, festzuschreiben, geschweige merkte er sich deren Gesichter. Was war los mit dem Frührentner? Konnte oder wollte er nicht reagieren? Gedachte er etwa diesen Randalierern eine Galgenfrist zu setzen, nach dem Motto: Gewesen ist gewesen, wird schon nicht wieder vorkommen?

Hierin jedoch, sollte er sich geirrt haben. Schneller als ihm lieb war, wurde dem halbherzigen Beobachter klargemacht, nicht aufmerksam genug gewesen zu sein! Es vergingen gerade einmal zehn Minuten, als dem fleißigen Zaunstreicher das Trommelfell zu platzen drohte. Diesmal bahnte sich das Tatütata einer Feuerwehr gnadenlos den Weg durch Peters Ohren, bis hinauf in die Haarspitzen. Zu spät! Es brachte rein gar nichts mehr, sein Gehörsinn mittels beider Hände schützen zu wollen. Der Schall war einfach schneller, als die Hände des Mannes, zumal der Krach unvermittelt aus dem Nichts gekommen zu sein schien! – Und schon sausten zwei Feuerwehrautos, mit blinkendem Blaulicht, an Peters Grundstück vorbei. Der Fahrtwind tat ein Übriges. Er ließ den auf einem Hocker sitzenden Heimwerker erbarmungslos spüren, sein Häuschen etwas zu nah an der Landstraße errichtet zu haben. Vor lauter Schreck entglitt dem Maler der Lasurpinsel. Dieser fiel zu Boden. Den Behälter mit der Holzschutzfarbe vermochte er noch rechtzeitig abzufangen, und somit vor dem Umfallen zu bewahren. Rasch bekam der Farbtopf einen Deckel verpasst, damit dieser sicher war. Zeitgleich mit Sonja, erschien Herkules auf der Bildfläche, um aufrecht, mit imponierendem Gehabe, seinen Schwanzstumpen gen Himmel weisend, zu bekunden: Es brennt! Ich bin bereit. Macht mir die Pforte auf. Ich werde Gas geben. Diesmal finde ich bestimmt eine Spur. „Nichts da“, mischte sich Frau Peters ein. „Der Hund bleibt!“ Vorwurfsvoll schaute sie dabei ihren Mann an, der im Begriff war, Herkules Freigang zu gestatten, um eine Spur aufnehmen zu können. Sonja blieb hart. Auch wenn der Rottweiler noch so sehr zu Knast ging und ihr durch unermüdliches Scharren das aufgewirbelte Erdreich entgegenschleuderte. Als er jedoch bemerkte, dass jene Anstrengung vergeudete Kraft bedeutete, stellte er das Buddeln ein. Sein kleiner Stert fiel kraftlos nieder und legte sich, soweit machbar, schützend über sein Weidloch. Typischer vermochte der Rüde das Beleidigtsein nicht zum Ausdruck zu bringen. Plötzlich besann er sich eines Besseren, schob seine Schnauze bis zum Anschlag durch den Spalt zweier Latten der Pforte, blähte die Nüstern und sog die langsam herankriechenden Kokelschwaden in sich auf. Das wiederholte er zweimal; drehte bei und verschwand ins Haus. Sonja stellte ihrem Mann die berechtigte Frage, ob sie trotz des Gestanks die Wäsche aufhängen sollte. Hubert riet ihr davon ab – zumindestens für die nächste Stunde, wobei er zu husten anfing. Am besten sei es, auch sie gingen ins Haus. Hielten Fenster und Türen vorübergehend geschlossen, bis die Luft wieder reiner sein würde.

„Hast recht. So machen wir es“, bekräftigte Frau Peters den Vorschlag ihres Gatten, denn auch bei ihr machte sich ein Kratzen im Hals bemerkbar.

„Und nun, Sonja, was machen wir beiden Hübschen jetzt?“, erkundigte sich Hubert bei seiner Frau. „Du hilfst mir beim Beziehen der Betten. Danach trinken wir eine Tasse Bronchial-Tee. Dieser dürfte uns, nach den vielen Giftstoffen, die unsere Lungen haben aufnehmen müssen, gut tun. Danach sehen wir weiter. Wie richtig das Ehepaar handelte, zeigte sich bereits nach weniger als zehn Minuten, da die Feuerwehr sich offensichtlich auf dem Rückweg befand. Ohne Blinklicht und nervendes Geheul, nahezu gemächlich fuhr sie auf der gegenüberliegenden Straßenseite an dem Feld vorbei, auf dem in der Nacht zuvor das gesamte Viehfutter eines Jungbauern Opfer von Flammenfraß wurde.

„Ich schätze einmal, dass es sich dieses Mal nur um einen Schwelbrand handelte. So schnell wie die Brandabwehr zurück kam, steht dies zu vermuten“, äußerte sich Hubert seiner Angetrauten gegenüber. Flugs machte er Anstalten, das Lager zu räumen, bevor Sonja ihn mit weiteren Aufgaben der Hausarbeit betraute. „Ich werde mir Herkules greifen und mit ihm nochmals eine kleine Radtour machen. Hierbei hole ich mir gleich mein bestelltes Rezept bei Doktor Bronius ab und löse es in der Markt-Apotheke ein. Nach dem Mittagessen widme ich mich dann weiter dem Zaun. Momentan ist mir die Lust daran gründlich vergangen. Bestimmt säße ich jetzt nur da und harrte der Dinge, die ich eh nicht zu ändern vermag. Ich versichere dir, Sonja: Sollte eines dieser Früchtchen sich auch nur erdreisten, einen Schritt auf unser Grundstück zu tun, ich mache Kleinholz aus diesem Flegel!“

„Reg dich ab, Hubert. Selbst du wirst diese verdrehte Weltauffassung nicht richtigstellen können. Schnapp dir Herkules. So wie es aussieht, wartet er bereits darauf, nochmals Auslauf zu bekommen. Ich brate derweil ein paar Apfelpfannkuchen. Die schmecken notfalls auch kalt, solltet ihr nicht rechtzeitig an Land kommen. Und nun los. Auf geht’s …, ich gedenke endlich die Wäsche rauszuhängen!“

„Wir sind bereits verschwunden, Weib. Auch wenn du es nicht für möglich hältst, dein lieber Huby hat sogar den Hausschlüssel eingesteckt!“

„Lob, Lob. Sehr umsichtig von dir, mein Schatz“, verabschiedete sich Frau Peters von Mann und Hund. Beladen, mit bis zum Rand gefüllter Wäschewanne, verschwand sie endlich zum Trockenplatz. Der Wind wehte leise. Die Sonne stand noch hoch am Himmel. Selbst der fiese Geruch, nach angesengten Textilien, hatte sich weitestgehend verzogen. Die Hausfrau zeigte sich rundum zufrieden. Am Abend, so war sie sich sicher, würde sie den Prozess „Wäsche“ beenden können – und unter Mithilfe ihres Mannes, schrankfertig verwahren.

Herkules fand einmal mehr Spaß daran, seinem Leitwolf den Weg aufzuzeigen. Mit heraushängender Zunge gab er sein Bestes, Peters zu trotzen. Das mag daran gelegen haben: Je näher sie dem Städtchen Mühlhausen kamen, desto intensiver nahm der Rottweiler die Ausdünstung angesengter Kleidungsstücke wahr! Jäh trat der Hundeführer in die Eisen. Das Fahrrad reagierte auf Schlag und hielt an. Herkules sollte einmal mehr die Zeche für das Nichteinhalten der Hunderegeln damit bezahlen, dass sich sein Halsband durchaus würgefreundlich zeigte. Hätte er auf die Worte seines Herrchens auch nur annähend reagiert, zu stoppen, bräuchte er sich jetzt nicht räuspern, als säße ein Knochensplitter in seinem Hals fest. Aha, hier also hat es vorhin gekokelt. Peters schaute auf den Altkleider-Container, der verrußt, davor angebrannte Kleidungsstücke liegend, eine äußerst traurige Figur abgab. Nachdenklich schüttelte der Rentner sein Haupt, dessen volles Haar silbern in der Sonne glänzte, was bei normalem Licht betrachtet, eher aschgrau, schmutzig wirkte. Sich zu seinem Vierbeiner runterbeugend meinte er nur: „Glaube mir, Hund, diese Flegel von Jungs waren es.“ Sein geliebtes Hundetier hingegen schien zu antworten: Hättet ihr mich gelassen, einen von denen hätte ich euch bestimmt präsentiert. „Gräme dich nicht, Hundi. Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Und dich, Herkules, dich brauchen wir noch!“ Nach diesem kleinen Zwischenstopp ging es eilig weiter. Mensch und Hund verspürten Hunger und Durst, sodass ihre Gelüste keine Zeit mehr für Nebensächlichkeiten zuließen –, außer, fürs wartende Frauchen, noch einen bunten Blumenstrauß zu erwerben. Sonja liebte Blumen über alles. Schon ein Gänseblümchen berührte ihr Herz. „Wenig kann manchmal mehr sein.“ – Ein Leitspruch dieser bemerkenswert stolzen, fleißigen Hausfrau und Mutter, die insgeheim, nach wie vor, gerne Großmutter geworden wäre. Hund und Herrchen trafen gerade noch rechtzeitig zuhause ein. Frau Peters briet den letzen Pfannkuchen. Besteck und Teller waren bereits eingedeckt. Und für ihren Liebling stand sein Fressnapf, gefüllt mit Frischfleischabfällen vom Rind, zum Schmaus bereit.

„Das passt ja gut“, hörte Hubert seine Frau von der Küche aus rufen.

„Somit können wir gemeinsam essen. Zu zweit schmeckt es einfach besser.“

Diese Meinung vertrat auch der Heimgekommene. Der Mann wusch sich die Hände. Nachdem er den Blumenstrauß wortlos auf den Tisch gestellt hatte, nahm er seinen Platz ein. Erwartungsvoll schaute er auf seine Frau. Wie würde Sonja reagieren, wenn sie den Blumengruß entdeckte? Zumal es einige Zeit her war, seit Hubert ihr Blumen schenkte?

„Fertig! Wir können loslegen“, strahlte die Köchin und legte ihrem Mann das noch in der Pfanne brutzelnde Apfelomelette auf seinen Teller. „Du magst doch gerne heiß essen“, bemerkte sie, als sie die Bratpfanne abstellte. Sich von hinten anschleichend umarmte sie ihren Gatten, bettete ihren Blondschopf auf seiner Schulter und bedankte sich mit einem Kuss in den Nacken für die floristische Aufmerksamkeit. Bevor Sonja sich endlich setzte zog sie die Küchentür zu, damit Herkules nicht auf der Bildfläche erschien. Die Köchin gedachte mit ihrem Mann in aller Ruhe, allein, zu speisen. Trotz dieser vorbeugenden Maßnahme blieb es nicht aus, dass der Vierbeiner sein ganzes Können einsetzte, um lärmend zu bekunden, wie gut es ihm schmeckte. Seine dicke Schnauze im Napf belassend, bemühte er sich, seine Futterschüssel pausenlos auf dem Flur hin und her zu schleifen, nach dem Motto: Frauchen ich fordere Nachschlag! Nur dem gab Frau Peters nicht nach. Sie und ihr Mann achteten darauf, den Rottweiler angemessen zu ernähren, damit er nicht zu dick wurde. Mit sich selbst hielten es die Peters gleichermaßen, auch wenn es ihnen nicht immer leicht fiel. Ein köstliches Mahl, dazu einen guten Tropfen an Flüssignahrung, das gönnte sich das Ehepaar schon ab und an, nur eben nicht allzu oft!

„Lang zu, Hubert! Iss ruhig einen Pfannkuchen mehr. Mir reichen eineinhalb. Auf Zucker und Zimt verzichte ich heute. Ich muss an meine Linie denken“, wobei Sonja musternd an sich runter schaute. „Wenn du meinst, Soja, gönne ich mir wirklich noch einen dieser vortrefflichen Fladen. Ich kann’s ab. Mein Gewicht stagniert. Ich vermute mal, das liegt am vielen Stress der vergangenen Tage. Immer diese Angst im Nacken, wo brennt es demnächst, das macht mich geradewegs kirre. Ich gebe ja zu: Als sich vor einem halben Jahr, in dem schönen alten Fachwerkstädtchen Eggersdorf, Brand an Brand reihte, war ich zugegeben erbost, aber dennoch erheblich ruhiger, als ich es momentan bin. Eggersdorf erschien mir weit weg von Neuendorf. Also bestand kein Grund sich über Gebühr damit zu belasten. Gegenwärtig jedoch sieht es anders aus: Nicht einmal einen Katzensprung von uns entfernt wird laufend gezündelt!“ Sonja, die durchaus die Denkweise ihres Mannes teilte, versuchte beruhigende Worte für ihn zu finden: „Nun mach dich bloß nicht verrückt, Hubert. Der Polizeibeamte, dieser Bernd Richter, hat einen ziemlich kompetenten Eindruck auf mich hinterlassen. Der Mann weiß was er will. Das spüre ich. Dieser Mensch lässt nicht locker, zumal er kurz vor der Pensionierung steht. Der wird es sich zum Ziel gesetzt haben, als krönenden Abschluss seiner Beamtenlaufbahn, diese Pyromanen hopsnehmen zu wollen. Der Alte verfügt über eine Strategie, die längst nicht überall gelebt wird. Denk doch nur einmal, wie er diesem Schisser Krause auf die Sprünge half, indem er ihm vorm Weggehen befahl, unserem Leibwächter einmal seinen mächtigen Schädel zu kraulen. Recht so! Memmen haben im Polizeidienst nun mal nichts zu suchen, und damit basta!“

Erstaunt stellte Hubert daraufhin fest: „Du ereiferst dich geradezu, Schatz. Und das nur, weil ich, dein Göttergatte, gewisse Ängste in mir hege. Sei versichert, Liebling, von einer Memme kann bei mir die Rede nicht sein. Wenn es darauf ankommt, gibt’s bei mir gnadenlos was auf die Glocke, wobei mir Herkules mit Sicherheit hilfreich zur Seite stehen wird.“

„Wollen hoffen, dass es dazu gar nicht erst kommt. Ein friedliches Miteinander, welches wir derzeit auch nachbarschaftlich pflegen, ist mir allemal lieber, als Zank und Streit! Nun sieh zu, Hubert, dass du noch einige Pinselstriche gemacht bekommst, bevor es Abend wird und die Dunkelheit das Tageslicht vertreibt. – Und nehm Herkules mit raus, der kann dir Gesellschaft leisten. Außerdem liebt unser Hund den Garten, wenn er nur nicht überall Löcher graben würde.“

 

Frau Peters holte tief Luft, seufzte einmal herzhaft und schloss an: „Das allein, Hubert, ist unsere Schuld. Hätten wir unserem Liebling von Anfang an diese Unsitte untersagt, müssten wir nicht ständig nacharbeiten, damit unser Grundstück schier aussieht.“

Peters nickte mit dem Kopf. Hiermit bestätigte er die Aussage seiner Frau. Daraufhin schlich das Hundetier schuldbewusst zu Frauchen. Treu sah er sie aus seinen großen braunen Augen an, und wies darauf hin, dass seine kleinen Freunde, die Maulwürfe, ein weitaus größeres Problem aufwarfen –, nämlich beim Wühlen große Haufen! Er, als Vierbeiner, gedenkt dem nur Einhalt zu gebieten, deshalb fahndet er mit Inbrunst nach diesen possierlichen Gesellen. Erwischen tat er allerdings nie einen dieser kleinen, fleißigen Erdhöhlenbewohner. Parallel versuche er, Herr Hund, seines Zeichens Revieraufseher, diesem mühevoll erschaffenen Maulwurfshaufen den Garaus zu machen!

Ob Frauchen das ebenso sah, blieb offen. Forsch bekam er die Order: „Troll dich, Herkules. Herrchen wartet. Er baut auf deine Wachsamkeit. Zeige jedem, der sich unbefugt unserem Grundstück nähert, die Zähne.“

Gähnend, das riesige Maul bis zum Anschlag aufreißend, gab der schwarze Rottweiler, unaufgefordert, einen Blick zur Begutachtung seines Rachenraums frei. Nach dem Schließen der Futterluke signalisierte er: Habe verstanden, Frauchen und zottelte los. An seiner Lagerstatt legte er einen kurzen Stopp ein. Drehte seinen Stiernacken nahezu um die eigene Achse, um sich zu vergewissern, von seiner Herrin nicht beobachtet zu werden!

Da die Luft rein war, erkundete er schnüffelnd, wo der von ihm gefundene Handschuh steckte: Aha … Hier hältst du dich also verborgen. Mittels seiner rechten Vorderpranke kratzte er das gute Stück hervor. Plötzlich bekam er es recht eilig. Er nahm den Handschuh ins Maul und suchte umgehend das Weite! Keinesfalls sollten seine Leittiere zu Mitwissern werden. Die würden ihm die Beute streitig machen; war sich Herkules zu hundert Prozent sicher. Deshalb schlich er sich an Peters rückwärtig vorbei. So erreichte er unbemerkt den Geräteschuppen. In dem kannte er sich bestens aus. Dort fungierte er zeitweilig als Mäusepolizei. Diese Aufgabe übernahm Herkules freiwillig, da er keine Katzen auf dem Anwesen der Peters duldete. Nach reiflicher Inaugenscheinnahme entschloss sich der Katzenfeind sein Fundstück hinter eines der losen Bretter des Schuppens zu deponieren. Zufrieden mit sich und seiner Tat hob er in Rüden-Manier schnell noch das Bein und pinkelte gegen die vor dem Schuppen stehende Schiebkarre. Als sei nichts gewesen, ließ er sich bei Peters sehen und machte es sich ein Stückweit von diesem entfernt bequem. Lang auf dem Bauch liegend, die Schnauze auf seinen großen Pranken platziert, so beobachtete er aufmerksam das Rundherum. Interessant fand er die sich leicht im Wind hin und her wiegende Wäsche. Nebenher hatte er aber vor allem die Straße im Visier. Zu seinem Bedauern war es dort relativ ruhig, an diesem Nachmittag. Aber Halt, was ist das Helle, dort drüben auf der Koppel? Dort rennt offenbar ein Tier umher. Handelt es sich hierbei vielleicht um Jacky? Nahezu wie elektrisiert schoss Herkules hoch und rannte zur Gartenpforte, um sich zu vergewissern, dass dem offensichtlich so sei. Laut bellend, die Pforte immer wieder überspringen zu wollen, so versuchte es Herkules, auf sich aufmerksam zu machen. Das blieb der weißen Schäferhündin dann auch nicht verborgen. Wie ein Pfeil schoss sie über das Feld, in Richtung Straße und gedachte den Rottweiler begrüßen zu wollen. Leider wurde es der Hundedame durch einen schrillen Pfiff vereitelt. Apell besaß Jacky, das konnte man nicht anders sagen. Wie angewurzelt blieb das Tier stehen und wartete geduldig auf seinen Führer. Hubert, dem das markerschütternde, tiefe Bellen langsam auf die Nerven ging, denn sein Vierbeiner dachte nicht im Entferntesten daran, das Kommando „Aus!“ zu akzeptieren, erhob sich, um nun persönlich gegen den Verweigerer vorzugehen. Herkules ahnte, was nun passieren würde. Bevor Peters ihn am Halsband packen konnte, machte er einen langen Schuh. Keinesfalls wollte er sich greifen und ins Haus befördern lassen. Schon gar nicht, da die Liebste unweit von ihm weilte. Jacky derweil ließ sich brav anleinen und marschierte bei Fuß ihres Herrchens, flotten Schrittes, mit diesem über die Koppel. Der Bauer erhob schon vom Weiten die Hand zum Gruß, und kündigte an: „Ich komme kurz mal rüber zu Ihnen, Herr Peters.“ Der Frührentner erkannte: Sein entfernt von ihm auf dem Bauernhof lebender Nachbar brauchte einen Menschen, mit dem er sich über das Feuer aus vergangener Nacht austauschen konnte. Passend zum Plausch erschien dann auch Frau Sonja am Zaun. Um das Ganze lockerer zu gestalten lud Peters den Nachbarn zu sich ein: „Kommen Sie rein, Herr Staalman. Setzen wir uns ein wenig auf die Bank.“

Mit einladender Handbewegung öffnete Hubert die Pforte um den Besucher zur Gartenbank zu geleiten. „Und die Hunde?“ Fragend sah Staalman seinen Nachbarn an, da er es schon des Öfteren erlebte, wie aufdringlich Herkules werden konnte. Der hingegen lauerte in sicherer Entfernung und wartete nur darauf, dass der Bauer, mit seiner Hündin, die Einladung annahm. Somit bestand für ihn immerhin eine geringe Chance, zumindestens einmal schnuppern zu dürfen!

„Was unseren Rottweiler betrifft, der wird sich fügen müssen, ansonsten kette ich das Tier an“, antwortete Peters. Soweit kommt es noch, knurrte Herkules in sich hinein. Demonstrativ legte er sich ab; dennoch alles im Blick behaltend.

„Na gut, wenn Sie meinen, Herr Peters, werde ich Ihre Gastfreundschaft annehmen“, und folgte diesem zur Gartenbank. Sonja war bereits vorausschauend ins Haus geeilt, um einen Cocktailmix, bestehend aus selbstgemachten Gartensäften, als Erfrischungsgetränk reichen zu können. Selbstverständlich vergaß sie auch nicht, einen Wassernapf für die Hündin bereitzustellen. Sieh an, sieh an, so wird unsereins mal eben ausgebotet, stellte das schwarze Kraftpaket fest. Dennoch, er wollte sich den sexy Anblick dieser weißen Lady nicht verscherzen und verhielt sich weiterhin sittsam, auch wenn es ihm schwerfiel. Den Blick fürs Wesentliche schärfend seufzte er: Kommt Zeit, kommt Rat! Staalman und Peters waren dabei, sich richtiggehend in Rage zu reden. „Das versteh, wer will, ich nicht“, wetterte der Bauer. „Wer kann ein Interesse daran haben, mich und dem Hof schaden zu wollen? Es dürfte mich einiges kosten, um für das Vieh Ersatzfutter zu beschaffen. Dabei wies es dieses Jahr eine exzellente Qualität aus. Schade, schade, schade. Auf der anderen Seite müsste ich wohl eher dankbar sein, dass das Feuer nicht den Hof betraf. Nicht auszudenken, das Ganze. Hoffentlich schnappen sie diese Schweine bald, die augenscheinlich pyroman veranlagt sind, da in der letzten Zeit laufend irgendwo etwas entflammt.“

„Wem sagen Sie das, mein Guter? Meine Frau und ich, wir schlafen trotz unseres Hauswächters sehr, sehr schlecht!“

Diese Tatsache bestätigte Frau Peters nur zu gerne, die ungeachtet des unerwarteten Besuchs, weiter der Hausarbeit nachging, da für sie, tags darauf, ihr Nebenjob anstand. Wie bereits anfänglich erwähnt, war die Hausherrin froh, ihr anvertraute Obliegenheiten, in einem kleinen Tee-Laden, ausüben zu dürfen! Die Arbeit machte ihr Freude. Bescherte ihr den nötigen Abstand vom Alltag. Mit Kunden umzugehen, sie zu beraten, das war ihr Ding! Davon profitierte sie in jeder Hinsicht. So gestärkt steckte sie die kleinen Nörgeleien, die manchmal von Hubert aus einhergingen, beflissen weg. So gesehen sagte sie sich: Mein armer Mensch … Er kann ja nichts dafür, dass ihm das Schicksal so grausam mitspielte. Sei dankbar, Sonja, dass du gesundheitlich noch so gut auf der Höhe bist.