Lustige Läufer leben länger - oder zumindest besser

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Das Glück war mir hold. Ich fand eine wunderbare Rundstrecke in einem Waldgebiet in der Nähe eines Dorfes, nicht allzu weit von meiner Heimatstadt entfernt. In diesem Gebiet war ich früher öfters gewandert oder hatte im Sommer und Herbst Pilze gesammelt. Es war mir vertraut.

Die Landschaft hätte nicht schöner sein können. Der Weg führte hinein in einen Mischwald, ging dann über eine breite Wiese in einem Tal, wo ich mit einem großen Sprung einen Bach überqueren musste, zurück in einen Fichtenwald, leicht bergauf, entlang gewundener Pfade, zu einer Anhöhe, über eine andere, weitläufige Wiese, dann über einen halbhohen Zaun, zurück in den Wald und im Zickzack zurück zum Ausgangspunkt. Das hätte ich mir nicht besser wünschen können. Im Gegensatz zur Platzrunde oder zum Lauf von A nach B und zurück musste ich viel mehr auf das Terrain achten. Überall lauerten nun kleine Hindernisse und Stolperfallen, mal ein Rinnsal, mal Steine, mal Äste, mal tiefe Furchen auf den Wegen, mal der Zaun. Die Gefahr zu fallen war ungleich größer als auf den ordentlichen Bahnen und Wegen. Diese Art von Gelände- oder Crosslauf jedoch gefiel mir auf Anhieb. Ich musste mich mehr darauf konzentrieren, wie ich lief, wohin ich trat und genoss trotzdem die Schönheit der Natur. Die Zeit auf diesem Rundkurs verging dabei auf ebenso abwechslungsreiche wie vergnügliche Weise.

Ich lief diese neue Runde beim ersten Mal extrem langsam, allein schon, um dann bei den nächsten Runden jeweils leicht an Tempo zulegen zu können. Es ist immer psychologisch von Vorteil, wenn man etwas langsam und eher zögerlich beginnt und dann besser und schneller wird, denn auch beim Laufen weiß man kleine Erfolgserlebnisse zu schätzen.

Irgendwie musste es mir gelingen, die genaue Kilometerzahl der Runde auszumessen, auch wenn dieses Ansinnen auf einen gewissen Kontrollwahn hinwies, den ich leistungsmäßig zu entwickeln schien. Einen Schrittzähler oder sonstigen Kilometermesser hatte ich nicht, auf das Ausmessen auf der Wanderkarte allein konnte ich mich nicht richtig verlassen, dafür war der mäandernde Weg in seinen Volten und Kehren zu unübersichtlich und nicht auf dem Papier nachvollziehbar. GPS und Laufstrecken-Apps gab es damals natürlich noch nicht. Also schleppte ich irgendwann mein Fahrrad mit und fuhr die Strecke so gut wie möglich ab. Das war eine schrullige Angelegenheit, denn nicht immer konnte ich fahren, sondern musste das Rad über den Bach tragen, zwischendurch mal im Gelände herum schieben, durch den Matsch zerren, über den Zaun heben und so weiter. Zum Glück sah mich niemand bei diesem Unterfangen, sonst hätte man mich für einen Irren gehalten. Das Endergebnis jedenfalls war 5,6 Kilometer. Gut, das war eine ideale und gleichsam überschaubare Runde, die nun mindestens vier- bis fünfmal in der Woche zu meiner Lieblings-Laufrunde wurde.

Ich war wie versessen darauf, diese „Schwarzenfurther Runde“ – so hatte ich sie nach einem dortigen Anwesen getauft – zu laufen. Besonders herrlich war sie am frühen Morgen. Der Morgennebel lichtete sich, die Luft war rein, die Vögel zwitscherten. Manchmal sah ich Rehe auf einer Lichtung stehen, ab und zu mal Feldhasen, einmal einen Biber beim Bach am Waldrand. Diese Runde war meine Idylle und ich blieb ihr jahrelang treu.

Doch ich genoss nicht nur die Schönheit der Natur, sondern achtete auch auf meine Zeiten. Im Lauf des Sommers wusste ich genau, wie lange ich bis zum Bach, zur ersten Abzweigung, zum Zaun, zur Linde an der Weide und so weiter brauchte. Auf die Sekunde genau. Ich wusste sogar, wo ich an manchen Stellen hintreten musste, wo besser nicht, wo die Gefahr bestand umzuknicken, wo es matschig war, wie ich diese Stellen geschickt umlief und wo ich beschleunigen konnte oder besser etwas mit den Kräften haushalten sollte. Diese Laufrunde war zwischenzeitlich für mich ein zweites Zuhause. Ich war auf sie versessen.

Ab und zu lief ich sie in bewusst langsamer gehaltenem Tempo zweimal und damit war ich tatsächlich bei gut elf Kilometern Laufstrecke angelangt. Elf Kilometer Laufen! Das hätte ich mir noch vor drei Monaten nicht in den kühnsten Träumen vorstellen können. Und doch fand ich selbst diese elf Kilometer niemals als unangenehm. Klar, ich musste mich anstrengen und kam an meine Grenzen. Aber das war ja der Sinn der Sache. Das Gesamterlebnis auf der Strecke, das Erlebnis der Landschaft, der Flow beim Laufen und das endlos gute Gefühl, wenn ich es wieder geschafft hatte, waren unvergleichlich.

Selten sah ich auf meiner Runde andere Menschen, ab und zu kreuzte mal ein Wanderer oder schufteten ein paar Waldarbeiter im Forst. Ich empfand diese Laufrunde also als ein immenses Glück und ertappe ich mich noch heute beim Gedanken, was wohl läuferisch aus mir geworden wäre, hätte ich sie nicht entdeckt und zu meiner Stammstrecke erkoren. Hätte ich das Laufen wirklich so lange durchgehalten? Hätte ich nicht irgendwann resigniert, weil mir die Strecken inmitten von vielen Menschen nicht gefallen hätten oder andere Strecken zu langweilig geworden wären? Wie auch immer: Ich lief meine „Schwarzenfurther Runde“ viele Jahre lang und kann mich nicht erinnern, auch nur ein einziges Mal von ihr angeödet gewesen zu sein.

So verging mein erster Laufsommer. Mein Weg hatte mich vom Sportplatz mit der zu kurzen Aschenbahn über den Sportplatz mit der Tartanbahn zu meiner „Schwarzenfurther Runde“ geführt. Alle drei Örtlichkeiten waren auf ihre Weise und zu ihrer Zeit Glücksfälle für mich gewesen. Nach drei Monaten Laufen war ich mit mir so im Reinen wie kaum jemals zuvor. Das Langlauffieber hatte mich voll erfasst. Wenn ich mal zwei oder drei Tage nicht lief, was sehr selten vorkam, wurde ich quengelig und fühlte mich innerlich unausgeglichen.

Meinen sonstigen Lebensstil änderte ich keineswegs. Ich rauchte weiterhin meine filterlosen, stinkenden französischen Zigaretten, trank lieber ein Glas Rotwein oder ein Bier zu viel als zu wenig und aß, was mir schmeckte. Das war aus heutiger, gesundheitsorientierter Perspektive sicherlich unvernünftig, mir aber völlig egal. Die gestrengen Ansichten des Laufpapstes Dr. van Aaken schob ich ebenfalls einfach beiseite. Das mag ein naives und dummes Verhalten gewesen sein, aber ich sah damals keineswegs ein, mich zu kasteien und auf die kulinarischen Annehmlichkeiten des Lebens zu verzichten. Wozu auch? Ich lief und lief und fühlte mich fit. Das war für mich entscheidend, esoterische Theorien von Dr. van Aaken hin oder her.

Hin und wieder stellte ich mir die Frage, ob ich denn ein richtiger Läufer war. In gewisser Hinsicht schon, dachte ich mir, denn ich lief fast täglich und im Vergleich zum Normalbürger, der sich nicht sportlich betätigte, auch längere Strecken. Andererseits eher nein, denn auf noch umfangreichere Strecken hatte ich keine Lust. Das wollte ich entweder für später einmal aufheben oder gar darauf verzichten. Den Sprung vom Couch-Potato zum moderaten Ausdauerläufer hatte ich jedenfalls geschafft. Wenn ich ehrlich bin, gab es mir auch ein gutes Gefühl zu wissen, dass ich vielen meiner Arbeitskollegen oder Bekannten jederzeit hätte davonlaufen können. Dafür gab es zwar zu keiner Zeit einen Grund, aber so kindisch der pure Gedanke auch klingt, er gefiel mir damals ganz besonders. Offensichtlich hatte das Laufen doch Auswirkungen auf Psyche und Geist.

Dr. Laubmann und sein Initialimpuls kamen mir immer wieder einmal in den Sinn. Im Akronym „LLLL“ stand das erste L für „lustig“, also „Lustige Läufer leben länger“. Lustiger war ich nach meinem Empfinden durch das Laufen noch nicht geworden. Dafür nahm ich die Sache wohl zu ernst. Ich konnte schließlich nicht allein durch den Wald laufen und dabei lachen. Dazu brauchte es anscheinend doch die Gesellschaft der Laufgruppe und das Zusammensein nach dem Laufen, bei Bier und Wein. Als defizitär hinsichtlich des Humors interpretierte ich meine Laufsituation aber keinesfalls. Es war, wie es war, und es war meiner Meinung nach gut so.

Kapitel 4

Läuferische Fortschritte und Erkenntnisse aus dem Buch „Bewegungstraining“ von Dr. Kenneth Cooper

An einem herrlichen Sonntag im Spätsommer meines ersten Laufjahres war ich ausnahmsweise einmal mit dem Fahrrad unterwegs und stieß im Biergarten eines Landgasthofs auf eine Gruppe von verschwitzten Läuferinnen und Läufern. Sie hatten ihren Lauf offensichtlich bereits absolviert und standen jetzt in Gruppen, noch in Laufkleidung, herum. Einige palaverten blendend gelaunt über Fitness, Laufstrategien, Optimierung der Leistung, Energie fördernde Kraftriegel, also all die Themen, die sie als kleinster gemeinsamer Nenner verband. Andere übten sich in der hohen Kunst des Jammerns über all die Wehwehchen und Verletzungen, die den gemeinen Läufer ereilen können, also über Zerrungen, Verstauchungen, Blutblasen an den Zehen, Fersensporn, Dehydrierungserscheinungen und Magenkrämpfe, damit ebenfalls über Lieblingsthemen aller Läufer auf dieser Welt. Worüber hätten sie auch reden sollen? Es war das Laufen, das sie verband, nicht der Beruf oder ein sonstiges gemeinsames Schicksal.

Im Laufe meiner vielen Jahre als Läufer fand ich heraus, dass alle mir bekannten Läuferinnen und Läufer, die in Gruppen auftraten, in ihren Gesprächen auf Heldentaten und Triumphe einerseits oder aber Missgeschicke und Unbill andererseits fixiert waren. Damit konnte ich wenig anfangen. Neben meiner sowieso gegebenen Tendenz zum Loner und Einzelgänger hinderte mich dieses Gerede nach dem gemeinsamen Lauferlebnis, mich intensiver auf eine Laufgruppe einzulassen. Ich verstand jeden, der so etwas mochte und schätzte, oder der nach der gemeinsamen Anstrengung noch etwas Geselligkeit pflegen wollte. Mein Ding war es nicht.

Wie dem auch sei, ich stand mit meinem Fahrrad und einer Limonade an einen Zaun des Biergartens gelehnt, neben mir saßen zwei Läufer der Gruppe auf einer Bank. Sie unterhielten sich über die Mühen des steilen Anstiegs hinauf zum „Großen Kornberg“, den sie gerade überquert hatten, und den angeblich furchtbaren Schotterweg jenseits des Gipfels. Ich registrierte das so nebenbei, schärfte aber meine Sinne, als sie auf ein anderes Laufthema zu sprechen kamen. Einer von ihnen erwähnte ein Buch, das er vor kurzem mit großer Begeisterung gelesen hatte. Schau an, dachte ich mir, es gibt also außer den Büchern dieses Dr. van Aaken noch andere Bücher über das Laufen. Ich weiß, heutzutage gibt es dutzende, ach was, hunderte, aber wir reden hier über die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts und da wurde nicht so viel Sportliteratur publiziert, wissenschaftlich angehauchte schon gar nicht. Ich gab mir alle Mühe herauszufinden, um welches Buch es sich handelte. Glücklicherweise stellte der zweite Läufer eben diese Frage nach dem Titel und ich konnte vernehmen, dass es sich um ein Buch mit dem Titel „Bewegungstraining“ handelte, geschrieben von „irgend so einem amerikanischen Doktor, der mir entfallen ist“, wie der Gesprächspartner erwiderte. Mein Erinnerungsvermögen ist nicht immer das beste, aber an diese kleine Szene erinnere ich mich noch heute haargenau, vielleicht weil sie mein Läuferleben weiterhin zum Positiven beeinflusste.

 

Ich merkte mir den Titel und ging in der darauf folgenden Woche in eine Buchhandlung meiner Heimatstadt. Auch an den dortigen Dialog erinnere ich mich genau.

„Hallo, ich hätte gerne ein Buch über Bewegungstraining.“

„Ah ja.“

„Nein, falsch, wissen Sie, ich meine eigentlich nicht ein, sondern das Buch über Bewegungstraining.“

„Aha. Und wie heißt das Buch?“

„Bewegungstraining.“

„Aha. Haha. Und wer soll das geschrieben haben?“

„So ein amerikanischer Doktor oder Professor.“

„Hm. Geht es etwas genauer?“

„Leider nein.“

Wir lebten damals noch in der Computer-Vorzeit, eine heute übliche kurze Recherche im Netz gab es nicht. So standen die Buchhändlerin und ich vor dem Regal der Abteilung „Hobbys, Sport, Freizeit“ und suchten. Doch viel war da nicht, jedenfalls kein Buch namens „Bewegungstraining“ eines Amerikaners. Ärgerlich. Die Dame blätterte etwas lustlos in einem dicken Bücherverzeichnis herum und gab mir dann die kleinen Kataloge aller aktuellen und damals populären Verlage, insbesondere Taschenbuchverlage, mit.

„Schauen Sie halt mal durch. Irgendwo muss es ja sein. Wenn es so etwas überhaupt gibt.“

„Klar gibt es das“, sagte ich trotzig.

„Wenn Sie meinen. Aber mit Verlaub: Wer liest das schon? Ich habe jedenfalls noch nie etwas von irgendeinem Bewegungstraining gehört.“

„Tja, schade, sollten Sie aber. Egal. Ich blättere das mal durch, schon nach dem bewährtem Motto ‚Wer nicht liest, bleibt dumm‘.“

Die Buchhändlerin sah mich entgeistert an und mir war klar, dass sie mich für einen Irren hielt.

Wieder hatte ich Glück und entdeckte, dass das kleine Buch „Bewegungstraining“ in der Reihe der Fischer-Taschenbücher erschienen war, bereits in der 10. Auflage. Wieder einmal etwas, was an mir vorbeigegangen war, und an der Buchhändlerin offensichtlich ebenfalls. Der Autor war dieser gewisse Dr. Kenneth Cooper, derselbe Kerl, der diesen mir vollkommen unsympathischen Coopertest entwickelt hatte, bei dem man in zwölf Minuten so oft um die 400-Meter-Bahn eines Sportplatzes laufen musste, wie einem möglich war. Das war genau der Test, der den allermeisten von uns im Sportunterricht so verhasst gewesen war. Na bravo, das konnte ja heiter werden, war meine erste Reaktion.

Ich stellte meine Ressentiments zurück, lief am nächsten Tag in die Buchhandlung und bestellte das Buch. Der Buchhändlerin glaubte ich anzumerken, dass sie mir lieber etwas Belletristisches verkauft hätte.

So, und nun kommt‘‘s. Ich leiste all meinen Vorurteilen gegenüber diesem Mann und seinen Theorien von der Bedeutung lebenslanger Bewegung hiermit Abbitte und erkläre feierlich: Dieses Buch wurde zum wichtigsten Buch meines Lebens. Ja, es veränderte mein sportliches Leben noch einmal nachhaltig, wie man heute sagen würde. Fragt man andere Mitbürger im Lande, wer das für sie wichtigste Buch ihres Lebens geschrieben habe, bekommt man gemeinhin Antworten, die auf große Namen wie Goethe, Schiller, Hesse, Thomas Mann, Frisch oder Shakespeare hinauslaufen. Manche würden die Bibel, Jerry Cotton oder Donald Duck nennen. Würde man mich fragen, würde ich ohne zu zucken Dr. Kenneth Cooper mit seinem Buch „Bewegungstraining“ nennen, aber es fragt mich ja keiner.

Ich muss auf dieses Buch nolens volens kurz eingehen, ganz einfach weil es die Bibel des Laufens und der aeroben Bewegung ist, weil es mir für jeden aktiven Ausdauersportler unentbehrlich erscheint und sozusagen das Nonplusultra, die Basis für alle später publizierten Bücher über Lauf- und Ausdauersport ist. Das sind große Worte, doch die sind es mir wert. Wen das nicht interessiert, der sollte die nächsten Seiten überblättern.

Also, in gebotener Kürze: Der Amerikaner Dr. Kenneth Cooper war Sportmediziner und Astronauten-Trainer. Er leitete als Major der US Air Force das medizinische Labor für Raumfahrt am Krankenhaus des Lackland Fliegerhorstes in Texas und, vor allem anderen, er war seiner Zeit weit voraus, was Erkenntnisse über aerobes Ausdauertraining, also Trainieren ohne Sauerstoffschuld, angeht. Man muss den US-Amerikanern nicht alles glauben, aber dieser Mann hatte meiner Meinung nach schon damals mehr Fachwissen über aerobes Training und präventive Medizin als die gesamte sonstige Meute der selbsternannten und jeden Unfug ungeniert publizierenden Laufgurus.

In seinem Buch „Aerobics“, auf Deutsch erschienen als „Bewegungstraining“, schreibt Dr. Cooper sehr explizit und verständlich über die zentrale Funktion des Sauerstoffs im menschlichen Körper. Er charakterisiert das Maß der Fitness als die Spanne, die zwischen unserem minimalen Kräftebedarf und unserer maximalen Leistungsfähigkeit liegt. Was heißt das konkret? Es heißt: Je größer diese Spanne ist, desto besser ist die körperliche Verfassung. Bei geringem Fitnessgrad sind Minimum und Maximum nahezu gleich. Wenn der Mensch sich nicht genug bewegt, zu wenig im aeroben Bereich trainiert und zu wenig Sauerstoff aufnimmt, sind Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Schlafbedarf die unmittelbaren Folgen. Ein nicht physisch geforderter Organismus erschlafft, Lunge und Herz verlieren ihre Funktionstüchtigkeit, Gefäßwände werden spröde, Muskeln haben nicht mehr genug Spannkraft. Die beste Lebensversicherung gegen all diese und noch schlimmere negative Entwicklungen ist nach Meinung Dr. Coopers das konsequente Trainieren der Ausdauer. Aerobes Training erhöht das Atemvolumen, verbessert die Herzleistung, versorgt den gesamten Organismus mit Energie erzeugendem Sauerstoff, optimiert die Spannungszustände der Muskeln und wirkt sich positiv auf die Psyche des Menschen aus. Summa summarum: Im Lauf des langfristig angelegten Trainings verarbeitet die Lunge mehr Sauerstoff bei geringerer Anstrengung, das Herz wird gestärkt, die Durchblutung gefördert und so weiter. Ich belasse es bei diesen Aspekten, sie sind inzwischen Allgemeingut geworden und überall nachlesbar.

Das für mich wirklich Interessante an Dr. Coopers Ausführungen ist, dass er sie nicht nur postuliert, sondern empirisch belegt und dass er sie ganz konkret in Anwendungsbeispielen veranschaulicht. Das Beste aber ist, dass er ein Punktesystem für aerobe Bewegung entwickelt hat, nach dem man sich richten und mit dem man seine Leistung optimieren und messen kann. Das möchte ich ebenfalls gerne kurz darstellen.

Für Dr. Cooper haben folgende, zugegeben auf den ersten Blick recht leistungsorientierte Übungsbeispiele in etwa den gleichen Trainingseffekt, sie entsprechen sich also in ihrer Wertigkeit:

1,6 Kilometer Laufen in weniger als 8 Minuten entspricht

600 Meter Schwimmen in weniger als 15 Minuten oder

8 Kilometer Radfahren in weniger als 20 Minuten oder

12,5 Kilometer Laufen auf der Stelle oder

35 Minuten Handball spielen.

Jede dieser Leistungen bewertet Dr. Cooper mit 5 Punkten. Wenn man also eine von ihnen an sechs Tagen in der Woche durchführt, dann hat man 30 Punkte erzielt. Das ist seiner Meinung nach genau die Punktzahl, die der Körper für einen konsequenten und ausreichenden Trainingseffekt benötigt. Die 30 Punkte sind also das Minimum, das jeder Mensch pro Woche, verteilt auf wenigstens vier Übungstage, erreichen sollte. Das Versprechen dahinter ist so attraktiv wie realistisch: ein Leben lang gute Fitness oder eben, wie es der anfangs erwähnte Dr. Laubmann ausdrückte: 20 Jahre lang 40 sein und das mit offenem Ende. Wäre das nicht der Mühen wert?

Nun gibt es keinen Zweifel daran, dass die obigen Zeiten ambitioniert sind und es für einen Anfänger, einen älteren Menschen, einen krankheitsmäßig Vorbelasteten oder einen gering Trainierten nicht ratsam ist, sie schnell erreichen zu wollen. Es wäre gefährlich, solch eine Leistung aus dem Stand zu erbringen, sie müsste – wenn überhaupt machbar – zwangsläufig mit Sauerstoffmangel, also im anaeroben Bereich erfolgen, und das ist nicht empfehlenswert.

Andererseits sollte sich auch keiner von diesem Zahlenbeispiel abschrecken lassen, es ist lediglich ein Musterbeispiel auf höherem Leistungsniveau. Die 30 Punkte sind als Definition des Optimums gemeint, das natürlich erst über viele Wochen aufgebaut werden muss und wofür es Trainingspläne gibt. Durchschnittsbürger, Junge, Alte, Übergewichtige, Raucher, Nichtraucher und so weiter haben alle völlig unterschiedliche Voraussetzungen für sportliche Betätigung. Die gute Nachricht ist, dass man die wünschenswerten wöchentlichen 30 Punkte und die damit einhergehende Fitness auch auf niedrigerem Level erreichen kann, zum Beispiel durch langsameres, aber etwas längeres Laufen oder durch langsameres, aber häufigeres Laufen.

Von den im obigen Beispiel erwähnten Sportarten hält Dr. Cooper das Laufen für die wertvollste und beste Übungsform, bei der der gesundheitliche Erfolg am sichersten ist. Sie ist zudem die unkomplizierteste und billigste. Seiner Ansicht nach hat gerade das regelmäßige Laufen einen außerordentlich günstigen Einfluss, selbst auf alle möglichen bestehenden oder drohenden Krankheiten wie Bluthochdruck, Adipositas, Krebs, Lungenleiden, Herzleiden, genetische Risiken, Diabetes, Rückenschmerzen und Arthritis.

Damit genug der wohlfeilen Worte und zu guter Letzt ein paar Beispiele, damit das Beschriebene greifbar wird.

Für die eigene Einordnung der Leistungsfähigkeit könnte der Coopertest selbst dienen, der besagt:

Schafft man in 12 Minuten

weniger als 1,6 km, gehört man in Leistungsgruppe I, also sehr schlecht,

schafft man 1,6 bis 2,0 km, gehört man in Leistungsgruppe II, also schlecht,

schafft man 2,0 bis 2,4 km, gehört man in Leistungsgruppe III, also mäßig,

schafft man 2,4 bis 2,8 km, gehört man in Leistungsgruppe IV, also gut,

schafft man über 2,8 km, gehört man in Leistungsgruppe V, also sehr gut.

Für jede Gruppe, insbesondere natürlich für die schwächeren, gibt es Aufbauprogramme. Zudem muss man keineswegs schnell laufen, man kann, wie angedeutet, seine wöchentlichen 30 Punkte auch durch längeres langsames Laufen erzielen, bei dem sich ebenfalls ein Trainingseffekt einstellt. Dazu ein paar Beispiele:

Beispiel 1: Eine 4,8 km lange Strecke ergibt bei folgenden Zeiten folgende Punktzahl (zur Erinnerung: wünschenswert pro Woche sind 30 Punkte!):


59:59–43:30 Minuten: 3 Punkte
43:29–35:00 Minuten: 6 Punkte
35:59–30:00 Minuten: 9 Punkte
29:59–24:00 Minuten: 12 Punkte
23:59–19:30 Minuten: 15 Punkte
unter 19:30 Minuten: 18 Punkte

Beispiel 2: Eine 6,4 km lange Strecke ergibt bei folgenden Zeiten folgende Punktzahl (nochmals: wünschenswert pro Woche sind 30 Punkte!):


79:59–58:00 Minuten 4 Punkte
57:59–48:00 Minuten 8 Punkte
47:59–40:00 Minuten 12 Punkte
39:59–32:00 Minuten 16 Punkte
31:59–26:00 Minuten 20 Punkte
unter 26:00 Minuten 24 Punkte

Beispiel 3: Eine 12,0 km lange Strecke ergibt bei folgenden Zeiten folgende Punktzahl:

 

1 Std. 48:44 Minuten–1 Std. 30 Minuten 15 Punkte
1 Std. 29:59 Minuten–1 Std. 15 Minuten 22 Punkte
1 Std. 14:59 Minuten–60 Minuten 30 Punkte
59:59–48:45 Minuten 38 Punkte
unter 48:45 Minuten 45 Punkte

Alle Zahlen, zum Teil gerundet, sind dem im Fischer Verlag erschienenen Buch „Bewegungstraining“ von Dr. Kenneth Cooper entnommen.

Läuft man also nicht sehr schnell, muss man eine etwas längere Strecke zurücklegen beziehungsweise ein- oder zweimal öfter pro Woche laufen. Ähnliche Tabellen gibt es für andere Ausdauersportarten wie Radfahren oder Schwimmen. Und damit genug mit Cooperschen Tabellen und Zahlen, ich weiß, dass sie nerven können.

Für mich persönlich waren diese Zahlen, Zeiten und Tabellen trotzdem von elementarer Bedeutung. Ich habe mich beim Laufen immer nach einem Punktesystem gerichtet, das daran angelehnt war, über die Jahrzehnte selbstverständlich altersangepasst, das heißt in der wöchentlichen Punktevergabe großzügiger.

Wie soll das denn gehen, wird manch Gutwilliger fragen. Manche werden mich für bescheuert halten.

Dabei ist das ganz einfach. Ich habe mir über Jahrzehnte tatsächlich jeden Lauf kurz aufgeschrieben, mit ungefährer Länge, Zeit und in etwa stimmiger Punktzahl. Dabei war ich nicht zu pingelig, habe jedoch immer darauf geachtet, auf die 30 Punkte Minimum pro Woche zu kommen, am besten etwas mehr. Ich kann also noch heute, nach 40 Jahren Laufen und gelegentlichem Radfahren und seltenerem Schwimmen jede einzelne Laufleistung nachvollziehen. Das liest sich dann in meinem eigenen Punktesystem in etwa so:


15.08.1978: Schwarzenfurther Runde
ca. 5,6 km, 27 Minuten 18 Punkte
17.08.1978: 2 x Schwarzenfurther Runde
ca. 11,2 km, 59 Minuten 32 Punkte
19.08.1978: 16 Sportplatzrunden
6,4 km 31 Minuten 20 Punkte

Es ging und geht mir gar nicht um die immer völlig richtige Punktzahl, es geht mir um das Gesamtsystem, das zumindest bei mir persönlich zur Laufdisziplin beigetragen hat. Ich verstehe jeden, der sagt, das sei ja vollkommen bekloppt und ein bürokratischer Wahnsinn oben- drein.

Mir selbst sagt dieses System zu. Es ist unkompliziert, man kann seine Leistung einschätzen und einordnen, man erkennt, ob man seine Ziele erreicht hat. Man kann es auf andere aerobe Sportarten übertragen, egal ob Gehen, zügiges Wandern, Bergwandern, Radfahren oder Schwimmen. Man muss das nur für den Eigenbedarf definieren. Selbst wenn man mich für völlig durchgeknallt hält: Es macht mir noch heute ab und zu Spaß nachzuschlagen, wo ich wann in den letzten 40 Jahren gelaufen bin, wie das Wetter war oder ob sonst irgendetwas beim Laufen passiert ist. Denn in Stichpunkten habe ich mir das ebenfalls 40 Jahre lang notiert. Das habe ich nie als großen Aufwand betrachtet.

Hinzu kommt, dass man sich beim Aufbau längerer Strecken sowieso ein System welcher Art auch immer zurechtlegen sollte, um langsam voranzuschreiten, nichts zu übertreiben und gesundheitlich keinesfalls etwas zu riskieren. Dazu gibt es in der Laufliteratur natürlich auch andere Listen mit Zeiten und Streckenlängen, zum Beispiel beim Aufbautraining für einen Marathon.

Und damit endgültig genug mit Zahlen, Systemen und Tabellen, denn wie gesagt, ich bin mir bewusst, dass diese nerven können.

Mein erstes Jahr als neuer Ausdauerläufer neigte sich dem Ende zu. Ich lief ziemlich regelmäßig meine Runden auf meinen Lieblingsstrecken oder, seltener, auf dem Sportplatz, fühlte mich fit und freute mich, dass das erst vor ein paar Monaten entdeckte Laufen kein Strohfeuer war, sondern dass ich es im Alltag richtig zu schätzen gelernt hatte und es weiter betreiben würde.

Ich machte eine kleine Bestandsaufnahme. Drei wichtige Impulse aus verschiedenen Ecken hatte ich zu Beginn meines Läuferlebens erhalten. Kamen sie zunächst auch unterschiedlich daher, so hatten sie doch einen gemeinsamen Nenner: Gesundheit und Fitness. Der regionale Laufpapst Dr. Laubmann verkörperte für mich den unkomplizierten Ratgeber und Praktiker mit dem simplen Motto „Geh raus, laufe und genieße es“, dann wirst du die positiven Effekte der Bewegung schon spüren und das Laufen wird dir Spaß machen. Dr. van Aaken verkomplizierte alles ein wenig. Der gesundheitliche Nutzen, nicht die reine Freude am Laufen stand im Vordergrund. Dr. Cooper schließlich versuchte ebenfalls, das Laufen vom Nutzeffekt her zu sehen, und er hatte mich gelehrt, das Läuferische etwas systematischer zu betrachten.

Alle drei beeinflussten mich, alle drei gaben mir etwas mit, doch was mir das Laufen am sympathischsten machte, waren das Kombipack aus Freude an der Bewegung und an der Natur einerseits und die Feststellung und das Bewusstsein andererseits, dass ich mir damit auch körperlich etwas Gutes getan hatte. Dass ich mir darüber damals jeweils kurze Notizen machte, und das noch weitere vierzig Jahre tun sollte, war eine andere Sache.

Ich lief und versuchte immer wieder einmal auf den Runden kleine, subjektive Rekordmarken zu setzen. Ab und zu gelang mir das, aber meistens handelte es sich nur um die Einsparung von ein paar Sekunden und war im Grunde ein eitles, blödsinniges Unterfangen. Aber wie ich im Laufe des Läuferlebens feststellen durfte: Das geht vielen Läufern so, den schnellen, verbissenen und dynamischen sowieso, den reinen Genussläufern hin und wieder. Einen richtigen persönlichen Ehrgeiz entwickelte ich in dieser Hinsicht jedoch nicht, genauso wenig wie mir damals daran lag, die Laufstrecken entscheidend zu verlängern. Ich lief meine Runden, mal etwas mehr, mal etwas weniger, ging heim, duschte, fühlte mich hervorragend, und das war’s.

Der Herbst verging, die Tage wurden kürzer und es wurde kälter. Das mochte für Läufer in den großen Städten und den meisten Regionen in Deutschland kein Thema sein, in Nordostoberfranken konnte es zu einem werden, da es dort in den Mittelgebirgen oftmals eisig kalt wurde. Minus 20 Grad waren immer wieder einmal an der Tagesordnung, „bayerisch Sibirien“ eben.

Zunächst war das Wetter noch kein richtiges Problem. Irgendwann im Dezember lief ich zum ersten Mal auf Schnee und das war eine wunderbare Erfahrung. Es gibt kaum etwas Schöneres für einen an der Natur begeisterten Läufer, als allein in der Stille des Waldes auf einer dünnen Neuschneedecke zu laufen. Man schnürt dahin und ist mit der Welt im Reinen.

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