Wer die Geister stört

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Sari: Frank Begay #2
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Yazza sah Begay nachdenklich an: „Morgen ist ein Treffen des Defense Committees. Es kommen auch einige von den Naturschützern dazu. Wir wollen unsere Strategie abstimmen. Wenn Sie wollen, können Sie ja mit zu dem Treffen kommen, Frank.“

Begay nahm das dankend an. So würde er Kontakt zu den beiden Gruppen bekommen, deren Mitglieder ein mögliches Motiv für den Mord an Timmons hatten. Er kam sich sofort schlecht bei dem Gedanken vor. Aber Yazza hatte ihm den Vorschlag ja gerade deswegen gemacht. Sie wollte ihm damit wohl zeigen, das sie nichts zu verbergen hatten.

„Es wird schon bald dunkel“, sagte der alte Mann. „Bleiben Sie doch einfach über Nacht hier, dann können sie morgen gleich von hier aus zu dem Treffen fahren.“

Begay nahm die Einladung gerne an. Gastfreundschaft war eine selbstverständliche Tugend unter allen Indianerstämmen, auch bei Menschen, die nicht viel zu teilen hatten. Der alte Mann ging in das Haus, um das Abendessen zu bereiten, während Yazza und Begay noch etwas spazieren gingen. Begay genoss das Zusammensein mit der schönen Apachin. Die Wüste erstrahlte jetzt in einem orangen Licht und die wenigen Büsche und kleinen Bäume warfen lange Schatten. Die Berge, die den ganzen Tag über in dunstiger Ferne gelegen hatten, trieben scharfe Grate und Spitzen in einen klaren Himmel, dessen Farben von allen Rottönen bis zu einem metallischen Blau variierten.

Sie aßen zu Abend in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne vor dem Haus, Yazza, ihr Großvater, Begay und einige Jugendliche und Kinder aus Nachbarfamilien, die gekommen waren, um den alten Mann zu besuchen. Nach dem Essen holte der Alte seine Pfeife raus und sie verbrachten einen angenehmen Abend, plaudernd über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Apachen und Navaho. Yazza hatte Begay ein kleines Zimmer zum Übernachten zugewiesen, in dem neben einigem Gerümpel ein frisch bezogenes Bett stand.

VIII

Als er in der Morgendämmerung aufwachte und aufstand, um vor das Haus zu gehen und sein Morgengebet an Dawn Boy zu richten, musste er durch das Wohnzimmer des Hauses zum Ausgang gehen. Dort lagen der alte Mann, seine Enkeltochter und all die jungen Leute und Kinder aus der Nachbarschaft auf dem Boden verstreut. Sie hatten sicher zu Hause alle ihre eigenen Zimmer mit Betten darin und hätten dort schlafen können. Aber sie waren lieber hier zusammen geblieben und lagen jetzt aneinander gekuschelt auf dem harten Boden, ein Knäuel aus Armen, Beinen und langen Haaren. Indianerkinder waren im allgemeinen sehr frei. Wenn sie beschlossen, bei Verwandten, Nachbarn oder Freunden zu übernachten, konnten sie das in den meisten Familien einfach tun. Begay lächelte über dieses schöne Bild und trat vorsichtig an den Schlafenden vorbei zur Haustür.

Er blickte in die Strahlen der aufgehenden Sonne und streute, leise ein Gebet murmelnd, Maispollen aus seinem Medizinbeutel in den leichten Wind. Er genoss die Kühle des Morgens. Die Haustür öffnete sich leise und Yazza kam zu ihm heraus.

„Sie sind den Traditionen verpflichtet. Das ist gut“, sagte sie und blickte in die Morgensonne. Nachdem sie einen Moment schweigend beisammen gestanden hatten, drehte sie sich um und ging ins Haus zurück. Über ihre Schulter sagte sie: „Es gibt gleich Frühstück. Dann müssen wir auch los, um rechtzeitig zu dem Treffen zu kommen.“

Sie erreichten Peridot gegen zehn Uhr. Der Ort bestand zum großen Teil aus einfachen Holzhäusern, die zwischen den mit niedrigem Gebüsch bewachsenen Hügeln vereinzelt dalagen und von kahlen höheren Bergen überragt wurden. Vor der Turnhalle der Schule, in der das Treffen stattfinden sollte, standen einige Männer und Frauen in angeregtem Gespräch vertieft. Es waren viele jüngere Apachen mit langen, schwarzen Haaren, einige mit dem traditionellen breiten Stoff-Stirnband ihres Stammes. Außerdem waren etliche Weiße dabei, wahrscheinlich Angehörige der Naturschutzorganisation. Einige waren junge Weiße, die es vielleicht schick fanden, mit den Apachen zusammen zu arbeiten, aber es gab auch ältere Männer und Frauen darunter. Als sie ausstiegen, wurde Yazza enthusiastisch begrüßt, während Begay verstohlene Blicke auf sich zog.

Yazza stellte Begay den Anwesenden vor und er schüttelte allen die Hand. Sie erklärte ihnen, warum er hier war. Einen sympathischen Mann in den Vierzigern mit leichtem Bauchansatz und ergrauten Schläfen stellte sie ihm als Dowell Grant vor, den Leiter der Naturschutzorganisation, die sich für den Erhalt des Mount Graham einsetzte. Grant schüttelte Begay mit einem offenen Lächeln die Hand und Begay fragte ihn, ob er ihm etwas aus der Sicht seiner Organisation über den Mount Graham erzählen könnte. Grant bejahte das sofort freundlich und die beiden sonderten sich etwas von der Gruppe ab, um in Ruhe sprechen zu können.

„Der Mount Graham ist etwas ganz Besonderes“, sagte Grant, „eine wirkliche Wildnis, in der es noch Tiere und Pflanzen gibt, die sonst selten geworden sind. Einige Tier- und Pflanzenarten sind hier endemisch, das heißt, sie kommen nirgendwo anders auf der Welt vor.“

Begay nickte, denn er wusste, was das bedeutete. „Wie kommt das?“, fragte er.

„Der Mount Graham ist über 3000 Meter hoch und liegt umgeben von einer wüstenartigen, eher flachen Landschaft. Auf dem Berg gibt es wegen seiner Höhe sechs verschiedene Klima- und Vegetationszonen. Es gibt sogar eine boreale Zone, in der Pflanzen wachsen, wie es sie sonst erst in Kanada gibt. Tiere und Pflanzen, die sich in den hochgelegenen Klimazonen entwickelt haben, konnten den Berg nicht mehr verlassen, weil sie in den Bedingungen des umliegenden Landes nicht überlebt hätten. Damit ist der Mount Graham eine Art Insel geworden, auf der es Arten gibt, die sonst nirgends existieren.“

„Ich habe gehört, das es ein bestimmtes Eichhörnchen nur hier gibt“, sagte Begay.

„Das Graham Rothörnchen, ja“, antwortete Grant. „Aber auch mehrere Kriech- und Kerbtiere und verschiedene Pflanzenarten. Außerdem spielt der Berg eine bedeutende Rolle für den Transit verschiedener Tierarten. Zum Beispiel Pumas und Bären, aber auch andere seltene Arten finden auf ihren Wanderungen hier Schutz.“

„Ist denn die Bebauung des Berges eine solche Gefahr für die Natur?“

„Darüber gehen die Meinungen natürlich auseinander“, gab Grant zu. „Aber waren Sie mal auf dem Gipfel des Mount Graham?

Begay nickte.

„Dann haben Sie ja gesehen, wie es da aussieht! Der Gipfel des Berges ist für die Natur verloren!“

„Und für die Zeremonien der Apachen“, warf Begay ein.

Grant nickte. „Seit die Straße auf den Berg bis kurz unter den Gipfel asphaltiert wurde, kann sie das ganze Jahr über befahren werden. Früher gab es wenigstens in den Wintermonaten eine Ruhephase, in der sich die Natur erholen konnte.“

Er schüttelte den Kopf als er weitersprach: „Am Mount Graham gibt es noch echte Urwälder mit wunderbaren alten Baumbeständen und eine Tierwelt, die auf diese Vegetation angewiesen ist. Und wenn jetzt noch mehr Straßen gebaut werden sollten, wird die Wildnis an den Hängen des Berges noch mehr zerteilt und beeinträchtigt. Es werden unendlich viele Bäume gefällt. Wir können gar nicht abschätzen, was für Auswirkungen das auf die Tier- und Pflanzenwelt haben wird.“

„Aber ist es denn nicht schon zu spät?“, befürchtete Begay.

„Nicht unbedingt. Wir fordern den Abbau der bisher aufgestellten Teleskope, damit könnte man den Berg retten. Und zumindest sollten keine weiteren Eingriffe in die Natur des Mount Graham mehr geschehen! Es gibt genug Plätze hier im Südwesten, wo sie ihre Anlagen bauen können, ohne ein solches ökologisches Juwel zu zerstören!“

Yazza trat zu ihnen und legte eine Hand auf Grants Arm. „Wir wollen dann anfangen, Dowell“, sagte sie.

„Okay, dann gehen wir mal rein“, sagte Grant und die drei schlossen sich den anderen an, die in die Turnhalle strömten. Begay und Yazza setzten sich zusammen auf eine der bereitgestellten Bänke. Ein älterer Indianer sprach zur Eröffnung der Versammlung ein Gebet auf Apache. Dann begrüßten er und Dowell Grant die Anwesenden. Grant stellte Begay vor und erklärte, warum er hier sei.

„Wie einige von Euch schon wissen, wurde auf dem Mount Graham eine Leiche gefunden. Der Mann war ein Geologe, der für die Straßenbaufirma, die die neue Straße auf den Mount Graham bauen soll, die Trasse auskundschaften sollte. Die Polizei denkt jetzt, dass einer von uns den Mann umgebracht haben könnte.“

Viele der Anwesenden wechselten verstörte oder betroffene Blicke.

„Die meisten von uns haben gesagt, dass sie alles tun werden, um den Mount Graham vor weiterer Bebauung und Zerstörung zu retten“, fuhr Grant fort, „aber ich glaube nicht, dass das Mord mit einschließt.“ Grant schaute sich um und erntete zustimmendes Nicken und Murmeln von allen Seiten.

„Außerdem macht es ja keinen Sinn, einen kleinen Handlanger umzubringen“, sagte ein grimmig aussehender junger Apache, als ob er das ansonsten nicht für falsch halten würde, „es wird ja der nächste kommen, um die Trasse zu vermessen. Wenn, dann müsste man die Verantwortlichen umbringen, die Schweine im Vatikan und in der University of Arizona.“ Er erntete zustimmendes Kichern.

„Na, da hatte ja wohl jemand richtig die Schnauze voll“, sagte ein langhaariger junger Weißer, „wir werden ja auch lange genug an der Nase herumgeführt und betrogen!“

Auch den Anwesenden schien es nicht so unwahrscheinlich, dass der Mörder aus ihren Reihen stammte, dachte Begay bei diesen Äußerungen. Viele schienen verbittert und wütend über ihre Hilflosigkeit gegenüber der weiteren Zerstörung des Berges zu sein. Allerdings gab es dann sehr viele potentielle Verdächtige, nicht nur unter den hier Anwesenden, sondern unter den verschiedenen Organisationen von Naturschützern und Apachen und unter den Indianern allgemein. Hatte er gehofft, hier einen Verdächtigen ausmachen zu können? Das war naiv. Begay wusste, dass er zunächst mehr Anhaltspunkte brauchte. Man konnte ja nicht Hunderte von Leuten auf ihr Alibi hin überprüfen. Er würde am Mount Graham suchen müssen.

 

„Ich bitte Euch jedenfalls, mit Officer Begay hier und der Polizei im Allgemeinen zusammen zu arbeiten. Wir sollten nicht mit Mord in Verbindung gebracht werden!“, sagte Grant beschwörend.

Der ältere Apache übernahm das Wort und leitete zu anderen Themen über. Sie sprachen über die Teilnahme am Sacred Run, der wie Begay erfuhr, seit 1992 jedes Jahr von der San Carlos Reservation bis zum Gipfel des Mount Graham führte. Der Heilige Lauf, mit dem die Apachen auf die Zerstörung ihres heiligen Berges aufmerksam machen wollten, wurde von der Apache Survival Coalition und der Organisation Apache for Cultural Preservation organisiert. Neben zahlreichen Apachen und Angehörigen anderer Stämme nahmen auch Naturschützer und weiße Unterstützer, zum Teil sogar aus anderen Ländern, teil. Der Lauf, der dieses Jahr zum neunzehnten Mal stattfinden sollte, stand kurz bevor. Begays Gedanken schweiften ab. Unwillkürlich wanderte sein Blick zu Lisa Yazza. Es wurde ihm aber erst bewusst, als sie seinen Blick mit einem offenen Lächeln erwiderte, worauf er schnell wegsah und sich gleich darauf aber auch wieder über sich selbst ärgerte. Als er wieder zu ihr hinsah, hatte sie sich gerade im Gespräch zu ihrem Nachbarn gewandt.

Nach etwa einer Stunde war das Treffen beendet. Begay verabschiedete sich von Dowell Grant und wartete, bis Yazza allen Bekannten auf Wiedersehen gesagt hatte. Er hatte versprochen, sie noch in San Carlos abzusetzen, das nur wenige Meilen von Peridot entfernt lag. Die Fahrt ging ihm viel zu schnell vorüber und schon standen sie vor dem Gebäude der Stammesverwaltung, wo sie noch zu tun hatte. Sie verabschiedeten sich etwas verlegen und Begay versprach, sich bei ihr zu melden, wenn er etwas Neues über den Mordfall wüsste. Dann machte er sich auf den Rückweg nach Safford.

IX

Begay war wieder am Mount Graham unterwegs. Die Morgensonne stand hoch an einem strahlend blauen Himmel, an dem einige Cumulus-Wolken gigantische Berge, Türme und Burgen aus Wasserdampf in die Höhe trieben. Ein leiser Wind in den Nadeln der Kiefern und das fröhliche Zwitschern der Vögel waren die einzigen Geräusche, die er hörte.

Begay war froh gewesen, der schon zu dieser Tageszeit stickigen, backofenartigen Hitze des Tieflandes den Rücken zu kehren und in den schattigen und kühlen Bergwald des Mount Graham zu kommen. Er hatte sich vorgenommen, noch einmal nach Spuren der Mörder zu suchen. Das letzte Mal hatte er ihre Spuren erst gefunden, als sie sich mit denen von Timmons mischten. Diesmal ging er von dem Platz, an dem die Wagen der Täter gestanden hatten, einen Pfad bergab, der dann Timmons Route kreuzen musste. Es war durchaus wahrscheinlich, dass sie hier entlang gekommen waren. Außerdem suchte er heute nicht nach Timmons Fährte, sondern nach Spuren der Mörder, so dass er vielleicht andere Dinge entdecken würde.

Der Pfad schlängelte sich von der Staubstraße durch den Hochwald bergab, zeitweise deutlich zu erkennen und teilweise auf Geröll oder im Unterholz kaum auszumachen. Aber auf jeden Fall wurde dieser Weg von Zeit zu Zeit von Wanderern oder Jägern benutzt. Hier und da entdeckte Begay Spuren, die etwa zehn Tage alt waren, abgebrochene Äste oder Steine, die von dem Platz verschoben waren, wo sie lange gelegen hatten. Das konnten Spuren der Mörder sein. Begay hoffte, vielleicht einen verlorenen oder weggeworfenen Gegenstand zu finden oder einen Fetzen Stoff, der beim Durchdringen des Gebüschs hängen geblieben war. Damit könnte man eventuell etwas über die Identität der Täter ermitteln.

Der Pfad führte jetzt zwischen verstreuten Felsblöcken in lichtem Wald hindurch, als Begay meinte, in den Augenwinkeln eine Bewegung gesehen zu haben. Er drehte sich in die Richtung und erstarrte. Ihm gegenüber stand ein stattlicher Berglöwe. Halb verborgen vom Schatten eines großen Felsens duckte das Tier sich zum Sprung. Begay nahm alles mit großer Klarheit auf. Das konnte das Ende seines Lebens bedeuten. Wie immer in Momenten großer Gefahr funktionierten seine Sinne plötzlich mit größter Schärfe. Er sah die bernsteinfarbenen Pupillen mit dem dunklen Schlitz der Iris in den Augen des Pumas, sah jedes aufgestellte Haar im goldenen Fell des Tieres, jeden unter der Haut angespannten Muskelstrang. Er hörte das leise Knurren und meinte, den Geruch des Raubtiers wahrzunehmen.

„Mein Bruder“, sagte Begay leise. „Wandle in Schönheit! Möge Harmonie um Dich herum sein! Ich will Dir nichts tun, geh Deiner Wege und greife mich nicht an, so dass auch ich Dir nichts tun muss!“

Unwillkürlich berührte er den Griff des Messers an seinem Gürtel. Er würde sein Leben teuer verkaufen, wenn es sein musste. Begay streckte sich und richtete, schnelle Bewegungen vermeidend, seine Arme über seinem Körper auf, um möglichst groß zu erscheinen. Pumas waren sehr scheu und griffen nicht oft Menschen an, aber wenn man ihnen zu nahe kam, konnte das schon passieren. Und Begay stand keine fünf Meter entfernt von der gefährlichen Raubkatze. Er musste versuchen, das Tier durch Größe so zu beeindrucken, dass es keinen Angriff wagen würde. In diesem Moment ging ein Ruck durch den sehnigen Körper des Tieres. Jeder einzelne Muskel schien sich zu spannen.

„Er greift mich an“, schoss es Begay durch den Kopf, und während er nach dem Messer griff, bemerkte er, dass das Tier in die entgegengesetzte Richtung davonstürmte. Eine Wolke aus Tannennadeln und Staub hinter sich lassend verschwand der Puma blitzschnell im Gebüsch.

Begay atmete tief durch und entspannte sich. Er sah immer noch wie gebannt zu der Stelle, wo das Tier eben noch gewesen war. Einzelne Partikel funkelten in der Wolke, die sich dem Waldboden näherte, wenn sie in das Licht der schräg durch die Bäume einfallenden Sonnenstrahlen kamen. Und noch etwas funkelte dort. Am Waldboden, aufgewühlt von dem flüchtenden Berglöwen, glänzte etwas Metallisches. Begay ging darauf zu und sah tatsächlich ein Stück Metall am Boden liegen. Er bückte sich und hob es auf. Halb von Tannennadeln und Erde bedeckt hatte hier ein Anhänger an einem zerrissenen Lederband gelegen. Begay sah ihn sich an. Er war aus Holz und zeigte eine Figur aus einem undefinierbaren Metall. Das war kein Touristenstück, sondern eher etwas Selbstgemachtes. Eine Art Amulett. Und es zeigte einen Kronentänzer der Apachen, erkennbar an den über der Maske des Tänzers angebrachten, sich teilweise überkreuzenden Holzstäben, die beim Crown-Dance oder Berggeistertanz zu Ehren der Ga‘an getragen wurden. Das war das Amulett eines Apachen. Ohne den Puma, der es durch seine schnellen Bewegungen freigelegt hatte, hätte Begay es wahrscheinlich nicht gefunden. Begay ließ es in eine Plastiktüte gleiten. Vielleicht konnte man noch Spuren des Besitzers darauf sicherstellen. Der Zustand des Lederbandes verriet, dass es noch nicht lange hier lag. Also musste es wohl einer der Mörder verloren haben. Und das bedeutete, dass zumindest einer der Täter ein Apache war.

X

Sie saßen in Lawsons Büro. Vor den Fenstern sah Begay den gemächlichen, morgendlichen Verkehr von Safford dahinfließen. Er hatte das Amulett noch am vorangegangenen Tag in die Dienststelle gebracht, damit es schnell untersucht werden konnte.

„Schlechte Nachrichten“, sagte Lawson und schob die Lesebrille, die sich vorher auf seinem blonden Haar befunden hatte, auf die Nase. Er überflog das Papier, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag. „Leider gibt es keine verwertbaren Spuren, Fingerabdrücke et cetera an dem Amulett, Frank!“

Begay nickte. „Das hatte ich schon vermutet! Immerhin lag es dort schon eine Weile!“

Lawson nahm wieder den Untersuchungsbericht zu Hilfe. „Zumindest können wir mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass das Amulett einem der Täter gehörte. Es hat nicht wesentlich länger oder kürzer als zehn Tage draußen gelegen!“

„Ja“, antwortete Begay, „und damit wissen wir, dass zumindest einer der Täter ein Apache ist.“

„Höchstwahrscheinlich“, sagte Lawson. „Am wahrscheinlichsten scheint mir doch, dass es tatsächlich mehrere Apachen waren, die ihren heiligen Berg schützen wollten! Starkes Motiv! Viele Apachen sind auch heute noch gewaltbereit! Ist ja auch kein Wunder, wenn man sich die Geschichte dieses Landes anguckt! Und jetzt das Amulett. Wissen Sie, wann wir hier das letzte Mal eine berittene Bande Apachen hatten, die planmäßig Weiße überfallen und ausgeraubt hat?“

Begay verneinte.

„Das war kurz vorm Zweiten Weltkrieg. Und gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den Apachen und Weißen gibt es immer wieder.“

Begay gefiel die Richtung des Gesprächs nicht. Er lenkte es auf ihren Fall zurück: „Ich wäre mir noch nicht so sicher! Es kann ja auch sein, dass einer der Freunde des gehörnten Ehemannes zufällig ein Apache ist oder dass dieser Apache zusammen mit ein paar Naturschützern dort am Berg war.“

„Ist doch aber eher unwahrscheinlich, oder?“, meinte Lawson.

Begay schüttelte unentschlossen den Kopf und grunzte. Sie saßen einen Moment lang schweigend da.

„Haben Sie die Witwe Timmons nach den Zigarillos gefragt?“, nahm Begay das Gespräch wieder auf.

„Ja, und ihr Mann hat tatsächlich diese Marke geraucht. Als wir bei der Leiche keine Zigarillos gefunden haben, hatte ich schon gehofft, dass das ein Hinweis auf einen der Täter sein könnte …“

„Schade“, sagte Begay. „Hatten Sie den gehörnten Ehemann inzwischen auf sein Alibi hin überprüft?“

„Ja, Mr. Cartwright war am Tag von Timmons Tod auf einer Überland-Fahrt, angeblich geschäftlich. Dafür gibt es aber keine Zeugen.“

„Hat er nicht unterwegs irgendwo was gegessen oder getankt?“

„Er sagt, er habe sein Essen dabei gehabt und wisse nicht mehr, wo er getankt habe.“

„Aha“, machte Begay und runzelte die Stirn. „Also kein Alibi.“

„Nein. Übrigens haben wir uns seinen Wagen angesehen. Er fährt einen roten Toyota. Passt also leider nicht zu Ihren Erkenntnissen über die Autos der Täter.“

Begay nickte.

„In Timmons Jacke haben wir einen Zettel gefunden.“ Lawson schob Begay eine Klarsichthülle zu, in der ein kleines, fleckiges Stück Papier zu sehen war. Darauf stand:

G.G. Der Beweis! 4754372

„Können Sie damit was anfangen?“, fragte Lawson.

Begay schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung, was das heißt.“ Er dachte an die Aufgabe des Geologen. Sofort fielen ihm mehrere Gesteinsarten ein, die den Anfangsbuchstaben „G“ hatten. „Die Gs könnten für die Bodenbeschaffenheit stehen“, dachte er laut nach, „Granit, Gneis, Glimmer, fängt alles mit G an.“

Lawson sah ihn nachdenklich an. „Aber warum sollte die Entdeckung bestimmter Gesteine am Mount Graham so brisant sein?“

„Keine Ahnung“, meinte Begay. „Könnten die Zahlen eine Telefonnummer sein?“

„Es ist eine Telefonnummer“, antwortete Lawson. „Sie gehört einem gewissen James Martinez. Ein Apache von der San Carlos Reservation. Und Mitglied in der Apache Survival Coalition.“

„Ach“, machte Begay. „Und haben Sie dort schon einmal angerufen?“

„Ja“, meinte Lawson. „Aber wir haben bisher niemand erreicht. Wir haben auch ein Handy bei Timmons gefunden und interessanterweise hat Timmons diese Nummer in den letzten Tagen vor seinem Tod mehrfach angerufen. Ich sage Ihnen Bescheid, wenn wir Martinez erreicht haben.“

„Ja, das ist eine vielversprechende Verbindung“, sagte Begay, „der wir nachgehen sollten.“

„Sie hatten mich gefragt, ob man herausfinden könne“, wechselte Lawson das Thema, „ob Timmons noch andere Bereiche am Mount Graham für die Trasse untersucht hat.“

Begay sah Lawson erwartungsvoll an, während dieser eine Landkarte aus seinem Schreibtisch nestelte. „Mrs. Timmons hat uns diese Karte gegeben, auf der ihr Mann genau vermerkt hat, welche Bereiche des Berges er sich angesehen hat.“

Lawson drehte die Karte so auf dem Schreibtisch, dass auch Begay sie sehen konnte.

„Am Tag seines Todes und dem Tag davor ist er hier unterhalb der alten Straße unterwegs gewesen“, sagte Lawson, „aber einige Tage zuvor hat er hier oberhalb eine mögliche Trasse untersucht.“ Er zeigte auf eine mit Bleistift von Hand eingetragene Linie auf der Karte.

„Warum wollen sie denn die neue Straße unbedingt parallel zu der alten Trasse bauen?“ fragte Begay.

„Nun, an sich ist das der beste Weg auf den Gipfel. Teilweise wird die alte Trasse ja einfach erweitert. In dieser Gegend kann man sie aber wohl nicht weiter ausbauen. Deshalb wird die neue, die weitaus größer und besser befestigt sein solle, jetzt ober- oder unterhalb der alten Straße gesucht.“

 

Begay nickte bedächtig und nahm den letzten Schluck Kaffee aus seiner Tasse. „Dann werde ich mir die Gegend, in der Timmons vorher war, einmal angucken.“

XI

Kaum eine Stunde später bog Begay auf die Swift Trail Road ein, die zum Mount Graham führte. Er fuhr durch die herrlichen Wälder des Berges. Die Straße wand sich in Serpentinen aufwärts und gab dabei immer wieder großartige Ausblicke auf das Tiefland, auf Seitentäler, Bachläufe und Seen frei. Oberhalb der Stelle, an der er die Spuren der Fahrzeuge der Täter entdeckt hatte, parkte er sein Auto und schlug, sich an Hand von Timmons Karte orientierend, einen Weg bergaufwärts ein. Begay wusste nicht so genau, was er hier suchte. Während der Sheriff und seine Männer weiter klassische Polizeiarbeit verrichteten, das hieß, nach Vorbestraften in der Apache Survival Coalition und bei Apache for Cultural Preservation suchten und eventuell auf ihre Alibis überprüften, wollte Begay sehen, wo Timmons kurz vor seinem Tod noch gewesen war. Vielleicht würde er dabei irgendwelche Hinweise erhalten. Wie diese aussehen konnten, wusste er selbst nicht.

Er hielt sich zunächst auf einem Wildpfad und begann dann, als er die topografische Höhenlinie erreicht hatte, auf der Timmons seine Linie eingezeichnet hatte, kreuz und quer zu gehen, da er bisher noch keine Spur von der Anwesenheit des Geologen hier hatte entdecken können. Er fand zwar Anhaltspunkte dafür, dass große Lebewesen hier gewesen waren, aber er konnte nicht mit Sicherheit sagen, dass es Spuren eines Menschen waren. Genauso konnten es Hirsche oder ein Bär gewesen sein.

Die Anwesenheit von Timmons in dieser Gegend war ja noch länger her als unterhalb der Straße, was es immer schwerer machte, noch Spuren von ihm zu finden. Als Begay nach über einer Stunde Suchen immer noch keine eindeutigen Spuren von Timmons gefunden hatte, kam er an eine Lichtung. Einzelne Felsbrocken waren auf einer sanft geschwungenen, hier und da mit wenigen großen und alten, knorrigen Bäumen bestandenen Wiese verteilt, die den Blick auf das Tal freigab. Der Platz erinnerte ihn an Timmons Picknickplatz, wo er die Zigarillos und seinen Müll gefunden hatte. Begay sah sich einige der Felsblöcke, von denen man einen schönen Blick über das Tal hatte, genauer an. Es konnte ja sein, dass Timmons auch hier eine Rast eingelegt hatte. Tatsächlich fand er im Sand vor einem großen Felsblock zwei Stumpen von Dunhill-Zigarillos. Kein Zweifel: Auch hier hatte Timmons eine Rast gemacht. Mit der Gewissheit Timmons Route gefunden zu haben ging Begay von hier aus hangaufwärts und hangabwärts, an der vermuteten Linie der ausgekundschafteten Trasse entlang. Als ob der Bann gebrochen wäre, fand er jetzt immer wieder Anzeichen für die Anwesenheit von Menschen.

Begay kam an eine Wiese, der wenige einzeln stehende Bäume einen parkartigen Charakter gaben. Er entdeckte einen großen Erdhaufen und ging, neugierig geworden, darauf zu. Hohe Auswürfe von Erde flankierten ein vielleicht zwei mal zwei Meter großes und etwa einen Meter tiefes Loch. Hier war gegraben worden. Begay war überrascht. Timmons allein hätte eine solch große Grube nicht ausheben können. Und warum hätte er bei der Suche nach der Trasse für eine geplante Straße tiefe Löcher graben sollen?

Begay schaute sich genau um und besah sich die Stelle auch auf der Karte. In weitem Umkreis gab es hier nur Wildnis. Warum sollte jemand hier solche Gruben ausheben? Begay sah sich von der Stelle ausgehend auf der Wiese um und entdeckte keine zehn Minuten später eine weitere Grube, nicht so tief, aber ansonsten von ähnlichen Ausmaßen. Er konnte sich darauf keinen Reim machen. Er stieg in die Grube hinab und untersuchte das Erdreich mit seinen Fingern. Nach einem Moment erschrak er. Er förderte einen fahlen, braunen Knochen zu Tage und einen Augenblick später hielt er einen Kieferknochen in der Hand. Kein Zweifel: Dies waren die Überreste eines Menschen. Mit einem unguten Gefühl kletterte er aus dem Loch. Erst jetzt bei genauerem Hinsehen erkannte er in den Erdaufwürfen um die Grube herum noch mehr ausgebleichte Knochen. Außerdem fand er eine verrostete und halb zerfallene Messerklinge.

Er sah sich weiter um und nach einer Weile entdeckte er noch mehr Gegenstände. Er fand ein weiteres völlig mit Rost und Erde besetztes Stück Metall, das aussah wie die Spitze einer Lanze oder eines Speeres. Auch Pfeilspitzen aus Stein fand er. Dies war das Grab eines Indianers, wahrscheinlich eines Apachenkriegers und nach dem Zustand der Zersetzung und den Gegenständen zu urteilen sehr alt. Nach einhundert oder mehr Jahren war nichts mehr erhalten als Stein, Metallstücke und Reste der Knochen. Begay ging zu der anderen Grube zurück und untersuchte auch dort die Erde. Er musste nur kurz suchen. Er fand Metallbeschläge, die vielleicht einmal einen Gürtel geziert hatten. Außerdem fand er auch hier den Rest eines Messers und metallenes Kochgeschirr. Möglicherweise war dies das Grab einer Frau. Er sah sich weiter auf der weitläufigen Wiesenfläche um und entdeckte noch eine dritte Grube. Auch hier waren neben ausgeblichenen Knochen völlig verrostete Metallgegenstände zu finden. Offensichtlich hatten die Apachen hier früher Beerdigungen durchgeführt. Die hier stehenden Bäume waren nicht so alt wie in den umliegenden Wäldern und ihr vereinzeltes Auftreten ließ darauf schließen, das der Wald sich diese Bergwiese erst langsam zurückeroberte. Hatte Timmons ein Nebeninteresse, alte indianische Gräber zu plündern? Aber Timmons alleine konnte diese Grabungen nicht bewältigt haben. Suchte jemand anderes hier nach Schätzen in Apachengräbern?

Die Apachen waren nie ein reiches Volk gewesen. Ähnlich wie die Navaho stellten sie Schmuck aus Silber und Türkisen her, hatten es dabei aber nicht zu der Meisterschaft der Dineh gebracht. Sie hatten keine besonderen Schätze gehabt, sondern hatten als Nomaden nur das Notwendigste mit sich geführt. Was gab es für ein Interesse, ihre Gräber zu plündern? Weiße Siedler hatten offensichtlich nicht hier oben am Berg gelebt und dass der Mount Graham ein Begräbnisplatz der Apachen war, war allgemein bekannt. Dafür sprachen auch die Gegenstände in den Gräbern. Wenn jemand anderes hier gegraben haben sollte, war Timmons ihnen in die Quere gekommen und hatte deshalb sterben müssen? Aber es gab hier sicher nichts, das so wertvoll war, dass man dafür einen Menschen tötete. Andererseits konnte das kaum ein Zufall sein. Wenn in dieser menschenleeren Gegend jemand nach Gott weiß was suchte und Timmons ihre Wege gekreuzt hatte, musste es einen Zusammenhang mit dem Mord an dem Geologen geben, dachte Begay. Vor sich hin grübelnd lief er weiter, sich immer an der Linie auf Timmons Karte und der Höhe am Berg orientierend. Er entdeckte keine weiteren Spuren von Grabungen oder von Timmons. Schließlich kam er an eine Stelle, an der der Hang des Berges sich weitaus stärker neigte als bisher und gleich unter der Oberfläche Granitgestein lag. Etwa an dieser Stelle hatte Timmons ein senkrecht zu der Linie verlaufendes Häkchen eingezeichnet. Begay nahm an, dass er hier seine Untersuchung abgebrochen hatte, weil der Hang zu steil und zu felsig war, als dass man hier ohne großen Aufwand oder große Kosten eine Straße hätte entlang treiben können und deshalb unterhalb der alten Straße weiter gesucht hatte. Begay entschloss sich, auf dem nächsten Weg hangabwärts zu der Piste zu laufen und als er dort ankam, ging er darüber hinaus. Es war noch mitten am Tag und er hatte nichts weiter zu tun. Also beschloss er, auch unterhalb der Straße noch nach Grabungen Ausschau zu halten.

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