Wer fürchtet sich vor Stephen King?

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Umso höher muss man den Marktwert einschätzen, den King bereits 1982 für seinen Verlag hatte, als der Autor vorschlug, vier Novellen, die er jeweils nach Abschluss von vier Romanen geschrieben und fertig in der Schublade liegen hatte, gesammelt in einem Buch herauszugeben, und sein Lektor bereitwillig zustimmte.

„Frühlingserwachen: Pin-up“ ist eine Mainstream-Novelle um zwei Lebenslängliche im Staatsgefängnis Shawshank. Red, der Erzähler, ist der große Organisator des Gefängnisses; er besorgt seinem Mitgefangenen Andy Dufresne, der immer wieder seine Unschuld beteuert, im Laufe von Jahrzehnten Hämmer und immer wieder neue Pin-up-Poster – mit denen Dufresne ein Loch tarnt, durch das ihm später der Ausbruch gelingt. Eigentlicher Inhalt der Novelle, die durch ihre realistische Gefängnis-Atmosphäre beeindruckt, ist jedoch die Problematik Schuld/Unschuld/Sühne/Hoffnung.

Auch „Sommergewitter: Der Musterschüler“ muss dem Mainstream zugerechnet werden, beschäftigt sich jedoch mit einem der entsetzlichsten Schrecken unserer Wirklichkeit. Der dreizehnjährige Todd Bowden forscht über Kriegsverbrechen der Nazis und macht einen Nazi-Kriegsverbrecher in seiner Heimatstadt ausfindig. Langsam, schleichend verfällt er jedoch Kurt Dussanders Einfluss, bis sich die Beschäftigung mit dem Nazismus zur Besessenheit entwickelt und er das nationalsozialistische Gedankengut völlig verinnerlicht. Diese Novelle ist heute aktueller denn je und als glanzvolle Warnung vor einem schleichenden Gift zu verstehen: Nicht einmal ein „all-American kid“ wie Todd ist gegen den braunen Dreck gefeit. Eine gewisse Identifikation mit Todd bewirkt natürlich direkt schon wieder Angst im Leser: Eigentlich ist der Junge ja ganz nett – und wenn ihm sowas passieren kann, könnte es vielleicht auch mir passieren?

„Herbstsonate: Die Leiche“ ist eine der besten und – nicht zuletzt wegen der gelungenen Verfilmung – auch der bekanntesten Novellen des Autors. Vier junge Freunde brechen zu einer – zugleich symbolischen und realistischen – Reise ins Unbekannte auf, um eine Leiche zu suchen, die irgendwo an den Bahngleisen liegen soll. Sehr gefühlvoll beschreibt die Novelle den Verlust der Kindheit und die bittersüße Erinnerung daran, die verlorene Jugend, ein Motiv, das King auch bei dem Roman ES sehr geschickt anwandte. Mit dem Fund der Leiche endet für einige der Jungen abrupt ihre unbeschwerte Jugendzeit, und sie werden viel schneller erwachsen, als es dem Erzähler der Novelle, einem schwach verkleideten Stephen King, eigentlich recht ist.

King arbeitete zwei frühe Kurzgeschichten in diese Novelle ein, die er, wie es der autobiografischen Färbung nur entspricht, dem Erzähler Gordon Lachance zuschreibt.

„Ein Wintermärchen: Atemtechnik“ ist die einzige Horrorerzählung in diesem Buch, eigentlich eine Erzählung in einer Erzählung. In einer altehrwürdiger Tradition der phantastischen Literatur erzählen sich die Mitglieder eines Klubs Geschichten, und ein Arzt weiß von einer zielstrebigen Frau zu berichten, der er während der Schwangerschaft die richtige Atemtechnik für die Entbindung beibrachte. Als es so weit ist, wird sie auf dem Weg ins Krankenhaus bei einem Unfall geköpft, doch der Körper setzt die Atemtechnik fort, bis das Kind auf die Welt gekommen ist, und der Kopf bedankt sich noch, bevor die Frau das Atmen einstellt.

Ob es nun am Thema liegt, das gegen die drei anderen Beiträge deutlich abfällt, oder die Novelle eine Konzession an Leser und Verlag darstellt, die von King zumindest einen expliziten Horror-Text erwarteten – die wichtigsten Beiträge dieser Sammlung sind eindeutig die Mainstream-Novellen. Dennoch zeigt sich die Sammlung nicht zuletzt durch die Klammern der vier Jahreszeiten sehr geschlossen, wobei King auch ein geschicktes Spiel mit den Titeln treibt: „Fall“ und „Spring“, also „Herbst“ und „Frühling“, haben in den Originaltiteln hier völlig andere Bedeutungen.

DIFFERENT SEASONS bewies eindrucksvoll, dass King nicht nur als Genreautor sein Publikum fesseln und Beeindruckendes produzieren kann.

Mit seinem nächsten Roman, CHRISTINE, begab sich King nach dem Experiment mit CUJO und den „vier Jahreszeiten“ wieder auf sicheres Terrain. Im Mittelpunkt der Handlung stehen ein Spukauto – Christine – und ein typischer High School-Verlierer – Arnie Cunningham, mit dem sich wieder zahlreiche Leser identifizieren können; er verliebt sich auf den ersten Blick in den Plymouth Fury Baujahr 1958, eine schrottreife Rostlaube.

Während er emsig an Christine werkelt, hat er weiterhin seine Probleme mit den fiesen Mitschülern, doch als das Auto dann wieder in einwandfreiem Zustand ist, geht es auch Arnie besser: Seine Akne schwindet, er wird muskulöser, sein Selbstbewusstsein wächst. Nur von seinem einzigen Freund Dennis (der den Roman erzählt), der ihm bislang in der Schule den Rücken gestärkt hat, entfremdet er sich zusehends, zumal Dennis ihm auch noch die Freundin ausspannt, was Christine hingegen sehr recht ist. Sie weiß zu verhindern, dass es in dieser Hinsicht wirklich zur Sache geht, denn sie ist höllisch eifersüchtig. Und lässt nichts auf Arnie kommen, was dessen alte Peiniger merken, als sie ihn erneut quälen wollen und Christine demolieren: Sie bringt sie kurzerhand um.

Dagegen hat Arnie nicht unbedingt etwas, aber ernst wird es, als auch Dennis und seine Freundin in den Bann des eifersüchtigen Automobils geraten. Es geling Dennis zwar, Christine zu vernichten, doch in genau demselben Augenblick stirbt auch Arnie, meilenweit entfernt, im Auto seiner Eltern: Die unheilige Verbindung hat ein Ende gefunden.

Ein Wunder, dass das Buch die Wirkung erzielt, die es erzielt. King verbrät eine nicht besonders originelle Grundidee – nach einem Spukhaus nun ein besessenes Spukauto –, greift auf ein recht eingängliches Klischee zurück – der Außenseiter auf der Schule –, mit dem sich die Leser augenblicklich identifizieren können, und dreht ein altes Thema um: Obwohl Arnie nichts anderes tut als zahlreiche andere Männer auch, die mit solcher Hingabe an ihrem Auto werkeln, putzen und lackieren, dass ihre Frauen allen Grund zur Eifersucht haben, lässt er hier das Auto eifersüchtig werden: auf die Freundin und auf alle anderen, die den Besitzer ebenfalls beanspruchen könnten. Wahrhaftig die Geschichte einer fürchterlichen Besessenheit. Und doch gelingt ihm erneut eine Geschichte von verlorener Jugend, von wahrer und übernatürlicher Besessenheit, die es in sich hat. King präsentiert sich mitunter in Hochform; obwohl auf den ersten zweihundert Seiten kaum etwas passiert, scheinen die Seiten sich von allein umzublättern. Das ist die Stärke des frühen Stephen King: Er ist ein wahrer page turner, der tatsächlich unfähig zu sein scheint, eine langweilige Geschichte zu erzählen – ein Ruf, der noch lange Bestand haben sollte.





„Richard Bachman, der den Gehirntumor überlebte, starb schließlich an einer viel selteneren Krankheit: Pseudonymkrebs.“

„Warum ich Bachman war“, Vorwort zu THE BACHMAN BOOKS [1985]

1978 zog King mit seiner Familie nach Orrington, einer Kleinstadt in der Nähe von Bangor, Maine. Das Haus, das er gemietet hatte, befand sich an einer Hauptverkehrsstraße, über die den ganzen Tag Lastwagen donnerten, und King hatte Angst um die Gesundheit seiner drei Kinder. Er stellte sich die Frage, was er empfinden würde, falls eins überfahren werden sollte. Als dann tatsächlich die Katze seiner Tochter überfahren wurde, schrieb er einen Roman darüber – PET SEMATARY –, der seine späteren vertraglichen Probleme mit Doubleday lösen sollte.

Mittlerweile hatte der Autor ein Angebot seiner alten Universität in Orono akzeptiert, dort je zwei Seminare über „kreatives Schreiben“ und Literatur zu halten. Die beiden Kurse beschäftigten sich natürlich hauptsächlich mit der Literatur, für die King sich noch immer begeisterte: Horror.

Nicht nur King, auch sein Lektor Bill Thompson hatte Doubleday verlassen – bzw. war nach Kings Abschied entlassen worden und zum Verlag Everest House gewechselt. Im November des Jahres rief Thompson den Autor an und machte ihm den Vorschlag, ein Sachbuch über Horror in Literatur und Film zu schreiben. King zögerte zuerst, stimmte dann jedoch zu; einerseits lockte ihn Thompson mit der Aussicht, mit diesem Buch ein für alle Mal die Fragen zu beantworten, die man ihm nun in unzähligen Interviews immer wieder stellte, und andererseits konnte King sicherlich bereits vorliegendes Material für seine Seminare und vereinzelt veröffentlichte Aufsätze über den Horror verwerten. DANSE MACABRE entstand.

Im Frühjahr 1979 hatte King den Roman PET SEMATARY abgeschlossen, wollte ihn jedoch nicht veröffentlichen. Seine Frau hatte das Manuskript gelesen und war zum Schluss gekommen, dass der Roman einfach zu grausam war. Die Kings kehrten nach Center Lovell zurück, und im August erschien DEAD ZONE, sein erster Roman bei seinem neuen Verlag Viking (NAL hatte die Hardcoverrechte an die Schwesterfirma abgetreten), von dem im ersten Jahr 175.000 Exemplare im Hardcover verkauft wurden. Im Sommer dieses Jahres schrieb King die bedeutende Novelle „The Mist“, die bei Viking in einer von seinem Agenten herausgegebenen Anthologie erscheinen sollte, und im Juni kam Kubricks THE SHINING in die Kinos, ein Film, von dem King nicht sehr begeistert war, da er wichtige Aspekte der Romanvorlage ignorierte oder anders interpretierte. Tatsache ist, dass auch dieser Film die Popularität des Autors beträchtlich steigerte. Außerdem bekam King mit seinem ersten Drehbuch – CREEPSHOW – Gelegenheit, einen Film nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Der Roman CHRISTINE entstand, und am Halloween-Wochenende war King Ehrengast der World Fantasy Convention in Providence, Rhode Island. Dort sprach ihn der Kleinverleger Christopher Zavisa auf ein mögliches gemeinsames Projekt an, und mit CYCLE OF THE WEREWOLF entstand Kings erstes Buch, das eigentlich nicht für eine große Leserschaft gedacht war, sondern in einer limitierten Auflage für Liebhaber erscheinen sollte. Diese Novelle war das erste von mehreren solcher Bücher, und fast alle wurden später auch einer großen Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

 

Die persönlichen Probleme blieben jedoch bestehen. Zum Alkohol kam nun das Kokain hinzu. Während King in der Öffentlichkeit trank, obwohl er wusste, dass er damit Probleme hatte, hielt er seine Rauschgiftsucht strikt geheim. Nur seine Familie wusste davon, doch alle Versuche seiner Frau Tabby, ihn zu einem Entzug zu bewegen, blieben erfolglos.

Im November 1979 wurde mit ’SALEM’S LOT auch der erste Fernsehfilm nach einer King-Vorlage ausgestrahlt, und wie bei den Kinofilmen sollten noch viele weitere folgen.

Im Sommer 1980 kauften die Kings das William Arnold House im historischen Viertel Bangors, eine Villa mit 24 Zimmern, erbaut 1854–1856, die sie umbauen, umzäunen und mit einem Swimmingpool ausstatten ließen. King stiftete seine Manuskripte der University of Maine in Orono. Während er weitere Kurzgeschichten schrieb, begann er mit der Arbeit an seinem Mammutroman IT. FIRESTARTER erschien und verkaufte im ersten Jahr fast 300.000 Exemplare im Hardcover, über 100.000 Exemplare mehr als DEAD ZONE; Kings Stern stieg am literarischen Himmel unaufhaltsam höher, eine Tatsache, die auch das People’s Magazine berücksichtigte, als es ihn zum „Schriftsteller des Jahres“ ernannte. Von CUJO, Kings drittem Roman bei Viking, mit dem er seinen von McCauley ausgehandelten Vertrag erfüllte, brachte der Verlag 1981 gleich eine Erstauflage von 350.000 gebundenen Exemplaren auf den Markt. In diesem Jahr erschien bereits ein Auszug aus dem Roman IT, wenngleich dessen Veröffentlichung noch auf sich warten lassen sollte, und King publizierte auch die ersten der seit 1970 entstandenen Geschichten um den Revolvermann Roland, die schließlich zur siebenbändigen Saga um den Dunklen Turm werden sollten.

Ansonsten musste er seine literarischen Aktivitäten etwas einschränken, da er eine Rolle in dem Film CREEPSHOW übernahm, der nach seinem Drehbuch ab Mai 1981 von George Romero abgedreht wurde, mit dem ihn spätestens von diesem Zeitpunkt an eine Freundschaft verband; es sollte noch zu weiteren Zusammenarbeiten Kings mit Romeros bzw. dessen Produktionsgesellschaft kommen. Während der Dreharbeiten begann King einen neuen Roman mit dem Titel THE CANNIBALS. „Ich habe etwa vierhundertfünfzig Seiten fertig“, erklärte er in einem Interview mit Douglas E. Winter, „und es geht um Menschen, die in einem Wohnhaus gefangen sind. Das Schlimmste, was mir einfiel. Und ich dachte, wäre es nicht komisch, wenn sie sich schließlich alle gegenseitig essen? Eine sehr, sehr bizarre Sache, und wer weiß, ob der Roman jemals veröffentlicht werden wird?“ King brach die Arbeit an dem Roman 1982 ab, griff das Thema aber fast 30 Jahre später noch einmal auf und schrieb UNDER THE DOME; als flankierende Werbemaßnahme veröffentlichte er bei Erscheinen dieses Romans die ersten 122 Seiten von THE CANNIBALS kostenlos im Internet.

Im August 1981 war Stephen King dann der erste Autor überhaupt, der gleichzeitig mit drei Büchern – FIRESTARTER im Hardcover und THE DEAD ZONE und THE SHINING im Taschenbuch – auf der Bestsellerliste von Publishers Weekly stand. Im Frühjahr 1982 begann er mit der Arbeit an THE TALISMAN, einem Roman, den er gemeinsam mit Peter Straub schrieb. Straub, der mittlerweile von England an die amerikanische Ostküste zurückgekehrt war, und King legten sich Computer zu und verbanden sie mit einem Modem; so konnten sie ihre jeweiligen Abschnitte problemlos überspielen und immer dort weiterschreiben, wo der andere aufgehört hatte. King kam nun auch zu literarischen Ehren: Ihm wurde der Hugo Award (der von den Teilnehmern von Science Fiction-Weltcons vergeben wird) für DANSE MACABRE als bestes Sachbuch und der World Fantasy Award für „Do the Dead Sing?“ als beste Kurzgeschichte zugesprochen. King nahm an dem World Fantasy Con statt, doch das Verhältnis zu seinen Fans begann sich zu trüben: Wohin er auch ging, er wurde von wahren Heerscharen verfolgt, ja geradezu belagert, und seine Auftritte in der Öffentlichkeit wurden von nun an immer seltener, bis sie schließlich über Jahre hinweg ganz ausblieben. Gedanken über die Nachteile großer Popularität hatte er sich schon am 8. Dezember 1980 gemacht, als John Lennon von einem gewissen Marc Chapman ermordet wurde. King erinnerte sich, dass auch er einem Marc Chapman in New York ein Autogramm gegeben hatte, eine Begebenheit, die in vielen Büchern über King kolportiert wird. Allerdings wurde King später klar, dass es sich nicht um den Marc Chapman gehandelt hatte, denn der weilte zu dem betreffenden Zeitpunkt gar nicht in New York, sondern auf Hawaii.

Auch ins Fernsehen schaffte es der Autor. Man konnte ihn in einem Werbespot für die Kreditkartenfirma „American Express“ bewundern, einem von mehreren, in denen Prominente die Vorzüge des Plastikgeldes priesen. Ob dies eine kleine Rache an der Konkurrenzfirma „Diner’s Club“ war, die ihn Jahre zuvor mit der Begründung abgelehnt haben soll, als freier Schriftsteller sei er ihnen ein zu unsicherer Kandidat? Und 500 King-Fans bekamen weiteren Lesestoff: Sie konnten für sechzig Dollar eine limitierte und nummerierte Buchausgabe seiner Gunslinger-Geschichten erwerben, die heute auf dem Sammlermarkt für weit über 1.000 Dollar gehandelt wird.

1982 erschienen auch die ersten beiden Bücher über Stephen King, FEAR ITSELF: THE HORROR FICTION OF STEPHEN KING, eine Sammlung von Essays im Verlag Underwood/Miller, und Douglas E. Winters STEPHEN KING, ein literarischer Führer im Kleinverlag Starmont. Zahlreiche weitere sollten folgen, und heute sind in den USA weit mehr Bücher über Stephen King erschienen als von ihm. Das umfassendste davon ist sicherlich die zwei Kilo schwere COMPLETE STEPHEN KING ENCYCLOPEDIA von Stephen J. Spignesi, die akribisch jede Person, jeden Schauplatz, jeden Gegenstand eines jeden Romans und jeder Novelle oder Kurzgeschichte des Autors bis zum Jahr 1990 aufführt und auch Verfilmungen und praktisch alles andere nicht ausspart. Heute ist es allerdings von der Zeit gnadenlos überholt, und ähnliche Projekte werden wegen des Umfangs nur noch im Internet betrieben.

1983 wurde überraschend der bereits seit einigen Jahren vorliegende Roman PET SEMATARY veröffentlicht. King hatte aus steuerlichen Gründen mit seinem ersten Verlag Doubleday die Vereinbarung getroffen, anfallende Tantiemen nicht aktuell Jahr für Jahr abzurechnen, sondern sich jeweils maximal 50.000 Dollar pro Kalenderjahr auszahlen zu lassen; den Rest sollte der Verlag wieder investieren. Als Kings Guthaben aber auf über drei Millionen Dollar angewachsen war, erbat der Autor eine tatsächliche Abrechnung und Auszahlung. Doubleday weigerte sich mit der Begründung, das Finanzamt würde diese Regelung nicht anerkennen, und verlangte laut The Writer’s Home Companion zwei neue Bücher des Autors, um neue Verträge aufsetzen und die Summe verrechnen zu können. King bot dem Verlag eins an, nämlich PET SEMATARY, und Doubleday war einverstanden. Auf diese Weise konnte der Zwist beigelegt werden.

Kings Popularität war weiterhin ungebrochen, mehr noch, stieg unaufhaltsam an. Der Autor absolvierte zu wohltätigen Zwecken Auftritte in Bibliotheken; 1982 und 1983 hatten die beiden bekanntesten Herrenmagazine der USA, Penthouse und Playboy, Interviews mit ihm veröffentlicht, und zumindest ein Interview im Playboy gilt immer noch als Ehre, die pro Jahr nicht mehr als zwölf wichtigen Persönlichkeiten zuteil wird. Eine Welle von King-Verfilmungen, die bis heute nicht abgeflaut ist, rollte durch die Kinos und machte den Autor auch in jenen Kreisen der Bevölkerung bekannt, die ihre kulturellen Aktivitäten auf Kino, Video und Fernsehen beschränken. Auch finanziell bewegte sich King nun in Größenordnungen, die ihm noch vor zehn Jahren niemals möglich erschienen wären. Auf Anraten seines Finanzberaters, des New Yorker Anwalts Arthur B. Greene, investierte King nicht nur in Immobilien in Bangor, sondern kaufte gleich einen Radiosender, der nun tagaus, tagein Kings Lieblingsmusik spielte: Rock’n’Roll. Was seine literarischen Aktivitäten betraf, vollendete King erste Fassungen der Romane THE TALISMAN (mit Peter Straub), THE TOMMYKNOCKERS, eines Kinderbuchs mit dem Titel THE NAPKINS, das er eigens für seine Tochter geschrieben hatte, und des Horrorromans GYPSY PIE, der als neues – mittlerweile fünftes – Buch unter dem Pseudonym Richard Bachman erscheinen sollte.

Mit den beiden letzten Büchern hatte es für King eine ganz besondere Bewandnis. Da THE NAPKINS als Kinderbuch wohl kaum dem entsprach, was seine Leser von ihm erwarteten, beschloss der Autor, es seinem eigenen Verlag, The Philtrum Press, herauszubringen, in dem bereits zwei Auszüge einer Geschichte erschienen waren, die King als Weihnachtsgeschenk an 250 Freunde und Bekannte verschickt hatte. Und da – wir schreiben mittlerweile das Jahr 1984 – erneut das Fest des Friedens nahte, verschenkte er 250 Exemplare des in EYES OF THE DRAGON umbenannten Buches an seine engsten Freunde und Bekannten und stellte weitere tausend Exemplare den treuesten seiner getreuen Leser für 120 Dollar das Stück zur Verfügung, womit er nicht einmal viel Geld verdiente. Aber da King schon so viele dieser Leser hatte, die für 120 Dollar sogar seine Wäscheliste in limitierter Auflage erstanden hätten, und der Autor verhindern wollte, dass diese Leser sich ausgerechnet an Weihnachten massakrierten, um dieses Buch erstehen zu dürfen, veranstaltete er eine – so unglaublich es klingt – Lotterie, bei der aus den vielen Lesern, die ihm einen Scheck über 127 Dollar geschickt hatten (sieben Dollar für das Porto), eintausend ausgelost wurden, die sich kurz darauf stolze Besitzer eines Buches von Stephen King nennen durften, das sie heute auf dem Sammlermarkt ohne Schwierigkeiten für 1000 oder gar 2500 Dollar (die verschenkten Exemplare) verkaufen könnten … wenn sie sich davon trennen würden, was allerdings so gut wie nie der Fall ist. So werden Märchen wahr.

GYPSY PIE war mittlerweile in THINNER umbenannt worden. NAL rührte für das neue „Bachman-Buch“ kräftig die Werbetrommel und brachte es im November 1984 in einer gebundenen Erstauflage von 50.000 Exemplaren auf den Markt (was zwar sehr ordentlich ist, aber gegen die etwa zehnmal so hohe Erstauflage des gleichzeitig erscheinenden TALISMAN doch recht bescheiden anmutet). King hatte für Bachmans erstes Hardcover eine Biografie des Autors mitgeliefert: Der hauptberufliche Farmer war 1942 geboren worden, verheiratet (das Buch war seiner Frau gewidmet) und hatte eine Gehirnoperation gut überstanden. Da THINNER sich jedoch wie ein typischer King-Roman las, ahnten immer mehr Personen die wahre Identität „Bachmans“. Im März 1985 war es dann so weit: Locus, das wichtigste Nachrichtenblatt der Science Fiction-Szene, gab bekannt, dass King endlich eingestanden hatte, was „in den letzten Monaten ein offenes Geheimnis in SF-Kreisen“ war: dass er fünf Romane unter dem Pseudonym Richard Bachman veröffentlicht hatte.

Damit hatte die Suche nach weiteren Pseudonymen Kings natürlich neue Nahrung bekommen. Im April 1985 veröffentlichte das Fachblatt Fantasy Review die Rezension eines Romans von John Wilson mit dem Titel LOVE LESSONS. Die Rezensentin zitierte aus einem Brief des Verlegers die Behauptung, King sei jener John Wilson, und bekräftigte die Unterstellung mit intensiven Stiluntersuchungen. Während sich King in der Fachpresse vehement dagegen verwahrte, Pornos veröffentlicht zu haben, entpuppte sich die Sache als Aprilscherz: Charles Platt und Neil Barron, Rezensions-Redakteur des Blattes, hatten die King-Rezensions-Hysterie aufs Korn nehmen wollen.

Aber manchmal vergeht selbst Bestseller-Autoren der Humor.


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