Operation Werwolf - Ehrensold

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Berlin-Lichtenberg, Osthafen

21:50 Uhr

Er hatte es in der Hand gehabt. Aber dann war die Sache aus dem Ruder gelaufen. Wieso, konnte er nicht sagen. An ihm hatte es nicht gelegen, denn die Kleine lag genau auf seiner Linie.

Einfach zum Anbeißen.

Sechs tote Frauen, und es wäre vorbei gewesen. Aus und vorbei, für alle Zeiten.

Stattdessen hatte er die Tour vermasselt. Wie unter Drogen, ohne Mumm in den müden Knochen.

Wie konnte man nur so töricht sein.

Ausgerechnet ihm, dem erklärten Perfektionisten, musste das passieren. Auch jetzt, um Haaresbreite entwischt, konnte er es immer noch nicht fassen. All die Male zuvor hatte er nicht lange gefackelt und sein Ding ohne Wenn und Aber durchgezogen. Vorhin jedoch, als das Flittchen halbtot am Boden kauerte, da kam es ihm vor, als sei er nicht mehr richtig bei der Sache.

Völlig unnütz, sich etwas vorzulügen. Ein Anfänger hätte es besser gemacht.

Die Frage war, wie konnte es dazu kommen. Selbst im Nachhinein, zweieinhalb Stunden später, hätte er sich dafür ohrfeigen können. Um bis zum Äußersten zu gehen, durfte man keine Emotionen zeigen. Das war ehernes Gesetz. Und schon gar nicht durfte man den Fehler begehen, die Ausführung der Tat auf die lange Bank zu schieben. Eine Panne, die ihm nie und nimmer hätte unterlaufen dürfen. Profis wie er, die das Töten von der Pike auf beherrschten, solche Leute durften sich nicht aus der Ruhe bringen lassen.

Zuerst der Totschläger, dann das Hackmesser und im Anschluss das Finale Furioso, der Schlussstrich unter die Vergangenheit. Gefolgt von der Entfernung des Leichnams, nur noch ein blutverschmierter Klumpen Fleisch, für den sich kein Mensch mehr interessierte.

So weit die übliche Prozedur.

Im Grunde verstand er die Welt nicht mehr. Fünfmal hatte es wie am Schnürchen geklappt, nur vorhin nicht, als habe der Teufel die Hand im Spiel. Kein Zweifel, es war ein Fehler gewesen, sich von der Göre um den kleinen Finger wickeln zu lassen. Und es war geradezu eine Torheit gewesen, das durchtriebene Luder am Leben zu lassen. Hätte er sie liquidiert, mit Sicherheit das Vernünftigste, dann wäre er jetzt fein raus gewesen.

Mission beendet, von wegen.

Das Desaster war perfekt, und wie die Dinge lagen, musste er es auf die eigene Kappe nehmen.

Eine Panne wie vorhin durfte es nicht mehr geben. Sonst lief er Gefahr, den Bogen zu überspannen.

Kommando zurück, Herr Unterscharführer.

Reißen Sie sich gefälligst zusammen.

Wie sehr er diesen Spruch doch hasste. Als ob das, was ihn bis in den Schlaf verfolgte, als bloße Lappalie durchgehen würde. Weit gefehlt, von welcher Seite man seinen Aussetzer auch betrachtete. Denn wenn es jemanden gab, der für den krönenden Abschluss infrage kam, dann Miss Unbekannt in der geschniegelten BDM-Uniform. Drall, dunkler Teint, um die 17, nach außen züchtig wie eine Nonne – aber natürlich nur nach außen, wo kämen wir da auch hin –, und somit genau seine Kragenweite, das Feinste vom Feinen, frisch aus der Gourmetküche sozusagen.

Etwas für Genießer, besonders der letzte Gang.

Und dann, nach vollendeter Tat, nichts wie ab durch die Mitte.

Auf Nimmerwiedersehen.

Selbst wenn die Welt unterging, das nächste Mal würde er Nägel mit Köpfen machen. Egal was noch passierte, Alternativen gab es nicht. Und wenn die aufgetakelten Evastöchter, die ihm tagtäglich über den Weg liefen, auch wie die fleischgewordene Versuchung aussahen. Einen Patzer wie vorhin, als er es mit Mühe und Not geschafft hatte, die Kurve zu kratzen, den würde es nicht mehr geben.

Das hatte er sich geschworen.

Am Ufer der Spree angelangt, zündete er sich eine Fluppe an, blies den Rauch in die von Schwüle gesättigte Luft und ließ den Blick auf den schlackefarbenen Fluten ruhen. Die Dunkelheit war nahezu vollkommen, der Treptower Park, wo die Hausboote träge vor sich hindümpelten, nur in Umrissen zu erkennen. Ihm selbst machte das nichts aus, denn er war mit jedem Quadratmeter Boden vertraut. Fast schien es, als sei er wieder zu Hause, und je länger er auf dem Verladekai ausharrte, desto mehr sehnte er sich nach den Tagen seiner Kindheit zurück.

Danzig Anfang der Zwanziger, wie unbeschwert die Jugend doch gewesen war. Sooft er konnte, hatte er sich mit seinen Freunden am Hafen herumgetrieben, zum Missfallen seiner Eltern, die ihn keine Minute aus den Augen ließen. Mit dem sogenannten Freistaat, in dem sie lebten, hatten die beiden nichts am Hut gehabt. Umgang mit Polen, für Mama der Abschaum schlechthin, war unter Androhung von Hausarrest verboten, wie im Übrigen auch derjenige mit Juden, die, so die glühende Wagnerianerin, hinter der Verschwörung gegen die arische Rasse steckten. Auch wenn er noch so angestrengt nachdachte, an Liebkosungen der bigotten Mutter konnte er sich beim besten Willen nicht erinnern. Zuerst kam Mozart, die einzige und große Liebe in ihrem Leben, danach kam ihr Flügel, den sie wie den Nibelungenhort hütete, und erst dann, an dritter Stelle und mit weitem Abstand, kam ihre Familie, über die sie wie eine orientalische Despotin herrschte. Was auch passierte, die Violinenstunden ihres Ältesten gingen vor, seit jeher war das ehernes Gesetz gewesen. Und wer war er, der er es gewagt hätte, der herrschsüchtigen Walküre zu widersprechen.

Ein leichter Windstoß, eher ein Lüftchen, bereitete den Reminiszenzen ein Ende. Jäh aus den Grübeleien gerissen, richtete er sich ruckartig auf. Selbst wenn die Erinnerung ihn nicht losließ, die Realität hatte Vorrang. Alles andere war jetzt nebensächlich, pure Augenwischerei. Das Kapitel Danzig war für ihn beendet, der Weg zurück für immer versperrt. Er hatte eine Mission zu erfüllen, und danach würde man weitersehen.

Doch egal was noch kam, die Vergeltung für damals würde furchtbar sein.

Wehe all jenen, die es wagten, sich ihm in den Weg zu stellen.

Sie würden es bitter bereuen.

Um zu erreichen, was er geplant hatte, war Vorsicht das Gebot der Stunde, wichtiger noch als seine Tarnung, die aus einem ölverschmierten Overall bestand. Er als Hafenarbeiter, die ultimative Lachnummer. Doch wie die Dinge lagen, hätte er sich die Mühe sparen können. Ein halbes Dutzend Spreekähne, beladen mit Kies, Sand und Altmetall, dazwischen ein Verladekran, im Hintergrund das Gebäude der Hafenmeisterei. Und am Horizont, anhand der Turmspitzen gut zu erkennen, die Silhouette der Oberbaumbrücke, über die ein unbeleuchteter Zug hinwegratterte. Die Fenster abgedunkelt, streng nach Vorschrift. Viel mehr war inmitten der Schattenwelt, die seine Gestalt vor den Blicken unerwünschter Zeugen verbarg, nicht zu sehen.

Am Kreuzberger Ufer, einem Sammelsurium von Lagerhallen, Mietskasernen und Fabrikschloten, die wie ausgestreckte Finger in den Nachthimmel ragten, das gleiche Bild. Die Eintönigkeit war buchstäblich mit Händen zu greifen, und kein Mensch, der sich spätabends noch die Beine vertrat, würde auf die Idee kommen, dem verödeten Areal einen Besuch abzustatten.

Es sei denn, er wollte unbeobachtet bleiben.

Wie er, der personifizierte Schrecken.

Kurz nach zehn, die Minuten schlichen wie im Zeitlupentempo dahin. Seit jeher war ihm Unpünktlichkeit ein Gräuel gewesen und er fragte sich, was sein Ex-Kamerad damit bezweckte. Früher, als sie den Polen die Hölle heißgemacht hatten, wäre ihm das nie passiert. Dazu war er viel zu korrekt, wenn nicht sogar verbohrt gewesen. Frei nach dem Motto: »Meine Ehre heißt Treue, und mein Ehrgeiz kennt keine Grenzen.« Hut ab, konnte man da nur sagen. Der Mann hatte begriffen, wo es langging. Um in der SS Karriere zu machen, durfte man sich durch nichts von der Marschroute abbringen lassen. Weder durch Skrupel noch durch das Gewissen oder die vielzitierte innere Stimme – und schon gar nicht, wenn es um eine Trophäe in Gestalt des BDM-Flittchens ging.

Schon Viertel nach, die Warterei zehrte an den Nerven. Der Treffpunkt, an den er per Anruf beordert worden war, lag in tiefem Dunkel. Fast schien es, als sei die Stadt wie durch Zauberhand verschwunden, verglüht in einem riesigen Feuerball, der sie in Bruchteilen von Sekunden ausradierte.

Da ließ der Herr Schwefel und Feuer regnen vom Himmel herab auf Sodom und Gomorra.

Eine interessante, wenn nicht gar verlockende Vision.

Die Fußspitze auf der zertretenen Kippe, fletschte er genüsslich die Zähne. Dann malte er sich aus, wie es wäre, wenn Berlin vom Erdboden verschwand. Eine Vorstellung, die ihn zu einem verzückten Lächeln animierte. War die Mission, die ihn an nichts anderes mehr denken ließ, erst erfüllt, dann war es ihm egal, was aus den Bewohnern der Hauptstadt wurde. Sollten sie doch alle zur Hölle fahren, sie hatten es nicht anders verdient.

Der Junge, dessen Violinspiel die Zuhörer einst zu Tränen rührte, dieser Junge hatte sich in eine reißende Bestie verwandelt. In ein Monstrum, das in den Annalen des Verbrechens weit vorn rangierte. Doch egal, was noch geschah, einen Rückzieher würde es nicht geben. Und so blieb ihm nur eins, nämlich die Zelte für immer abzubrechen. Sollte der Feuersturm doch wüten, bis kein Stein mehr auf dem andern stand. Sollte die Stadt doch im Bombenhagel zugrunde gehen, die Nazis hatten es nicht anders verdient. Am Tag X, also morgen, würde er über alle Berge sein. Von der Revanche der Sieger, die sich die Chance nicht entgehen lassen würden, den Deutschen einen Denkzettel zu verpassen, bekäme er dann nichts mehr mit.

Und wenn doch, würde er keinen Finger rühren.

Schönen Gruß auch an die ehemaligen Kameraden – und viel Spaß noch, vor allem bei der Beseitigung der Trümmer. So es sich dann noch lohnte, Gomorra wieder aufzubauen.

Das Geräusch von Schritten.

 

Na endlich, wurde aber auch Zeit.

»Schönen Abend, Kamerad. So trifft man sich also wieder.« Um festzustellen, wer wie aus dem Nichts auf der Bildfläche erschien, brauchte er sich nicht umzudrehen. Die Zeit bei der SS hatte ihre Spuren hinterlassen, weit mehr als anfänglich geglaubt. Einmal Sonderkommando, immer Sonderkommando, an dem Spruch war wahrhaftig etwas dran. Und wenn er noch so vehement versuchte, das Trauma zu überwinden, die Mühe konnte er sich sparen. Mit dem Erscheinen dieses Mannes, der die Arroganz mit Löffeln gefressen hatte, wurden seine Pläne null und nichtig, und wie um ihm dies vor Augen zu halten, baute der sich mit gespreizten Beinen vor ihm auf.

Einmal Unterscharführer, immer Unterscharführer.

An der Maxime kam auch er nicht vorbei.

»Wie ist die Lage, Kamerad – alles unter Kontrolle?«

Hut ab, der Mann konnte anscheinend Gedanken lesen. »Bestens, ich kann nicht klagen«, gab er kurz angebunden zurück und wich dem Blick seines Gegenübers aus. Zählte er doch zu den Leuten, deren Gesichter so einprägsam waren, dass man sich auch noch nach Jahren an sie erinnerte. »Und du … äh … Und Sie, Herr Obersturmbannführer – wie geht es Ihnen?«

»Da sieht man es mal wieder.«

»Was denn?«

»Kaum sind die Leute ausgemustert, haben sie keinen Respekt mehr vor dir«, zog sein ehemaliger Frontkamerad vom Leder, ein Mann so recht nach dem Geschmack des Reichsführers, der seine Ideale perfekt verkörperte. »Wie sehen Sie denn aus, irgendwas nicht in Ordnung?«

»Im Gegenteil, mir geht es blendend.«

»Sie erwarten doch nicht, dass ich das glaube?«

»Aber natürlich, wieso denn nicht.«

»Ihr Optimismus in Ehren, aber was das betrifft, habe ich ganz andere Sachen gehört.« Immer noch die gleiche Stimme, durchdringend, herrisch und hart wie Stahl. Und immer noch derselbe Befehlston, von oben herab, barsch und schnarrend. Manche Leute, Kommandeure der SS an vorderster Stelle, änderten sich vermutlich nie. »Sie sind aus dem Tritt gekommen, Unterscharführer Jakubeit, kann das sein?«

»Falls Sie auf das Fiasko von vorhin anspielen, das war nur ein Ausrutscher«, hörte er sich wie aus weiter Ferne sagen, einen Kloß im Mund, der einmal mehr überdeutlich herauszuhören war. »Wird nicht wieder vorkommen, Sie können sich darauf verlassen.«

»So, denken Sie.«

Einmal SS, immer SS. Da stand er nun, stocksteif und in Habachtstellung, und ließ sich gefallen, wie ein Rekrut runtergeputzt zu werden. Wut stieg in ihm empor, ungezügelte, durch nichts zu bezähmende Wut. Keineswegs nur auf den ehemaligen Kameraden, sondern in allererster Linie auf sich selbst. Es war an der Zeit, sich auf die Hinterbeine zu stellen, je eher das geschah, desto deutlicher der Verlauf der Front.

Max Jakubeit, SD-Unterscharführer außer Dienst, ballte die Linke zur Faust. Einen auf Feldwebel machen und ihn zusammenstauchen, als habe es die Geschehnisse vor zwei Jahren nicht gegeben, das könnte dem Karrieristen so passen. Den Zahn würde er dem aufgeblasenen Popanz ziehen.

Und zwar auf der Stelle.

Besser spät als nie.

»Ja, finde ich. Sie zweifeln doch nicht etwa an meinem Wort?«

Immer noch dasselbe Lachen. Voller Geringschätzung, arrogant und mit überbordender Häme. Und immer noch das lang anhaltende Schweigen, um den vermeintlich Schwächeren unter Druck zu setzen.

Aber nicht mit ihm.

Nicht mit Max Jakubeit, für den das Gehabe nicht mehr zählte. »Ich wüsste nicht, was es da zu lachen gäbe.«

»Um ganz ehrlich zu sein, ich auch nicht.« Die Heiterkeit verschwand so schnell, wie sie aufgebrandet war, und wie um dies zu verdeutlichen, sank die Stimme des Phantoms zu einem Zischeln herab. »Aber Sie haben Recht, bleiben wir lieber sachlich. Besser, als sich wegen Nichtigkeiten in die Haare zu kriegen, finden Sie nicht auch?«

Jakubeit wurde hellhörig. »Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«

»Worauf ich hinauswill, fragen Sie? Um es auf einprägsame Art zu formulieren: Der Wind ist dabei, sich zu drehen, und wenn es hart auf hart kommt, wird er uns mit Orkanstärke ins Gesicht blasen. Und wissen Sie auch, wer von uns beiden das als Erster zu spüren bekommt? Sie, Jakubeit. Ich nehme an, der Grund ist Ihnen bekannt?«

»Wie ich Sie kenne, werden Sie es mir gleich sagen.«

»Ich fürchte, mir wird nichts anderes übrigbleiben.« Der Kriegskamerad von einst machte eine resignierende Geste. »In letzter Zeit sind da nämlich ein paar Dinge geschehen, die nie und nimmer hätten geschehen dürfen. Dinge, auf die ich keinerlei Einfluss habe.«

»Wie darf ich das verstehen?«

Eine weitere Kunstpause, und dann, in ungleich schärferem Ton: »Aber lassen wir das. Ich habe mit Ihnen zu reden, Jakubeit – von Kamerad zu Kamerad.«

»Das mit dem Kameraden können Sie vergessen. Die Zeiten sind vorbei.«

»Das also ist der Dank, ich hätte es mir ja denken können. Da hält man schützend die Hand über Sie, damit Sie nach Ihrer OP wieder in die Spur kommen, und kaum zwei Jahre später fahren Sie mir an den Karren. Alle Achtung, Kamerad Jakubeit – das nenne ich Loyalität!«

»Wissen Sie, was ich mich frage?«

»Spucken Sie’s aus, mich haut so schnell nichts um.«

»Ich frage mich, wer denn hier wen im Stich gelassen hat, Sie mich oder ich Sie. Denn wie Ihnen bekannt sein dürfte, war ich es, der auf Anordnung von oben den Dienst quittieren musste – oder sehe ich das etwa falsch?«

»Zum hundertsten Mal: Damit hatte ich nichts zu tun.«

»Mit der Antwort habe ich gerechnet.«

»Und wo, wenn Sie gestatten, liegt dann das Problem?«

Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. »Hierin, Kamerad«, gab Jakubeit mit mühsam unterdrücktem Groll zurück, streifte den Handschuh ab und zischte: »Wegen dem Ding da bin ich von einem auf den andern Tag geschasst worden, das wissen Sie so gut wie ich. Das zum Thema Kameradschaft, Herr Obersturmbannführer. Also kommen Sie mir nicht mit dem abgedroschenen Geschwätz, von wegen Korpsgeist, Ehre, Treue, Zusammenhalt, darüber kann ich nur noch lachen. Ihr da oben habt mich einfach im Stich gelassen, einfach so, ohne einen Finger zu rühren. Es war euch total schnuppe, was mit mir passiert – geben Sie es doch zu!«

»Darauf hatte ich keinen Einfluss, wie oft soll ich das denn noch sagen.«

»Selbst wenn, in meinen Augen macht es das nicht besser«, erwiderte Jakubeit ergrimmt, zog den Handschuh wieder an und reckte den mit Kratzspuren übersäten Arm: »Heil Hitler, Herr Obersturmbannführer – melde mich zur Stelle! Kommando Werwolf vollständig angetreten.«

»Werden Sie nicht infantil, Jakubeit. Sonst machen Sie sich lächerlich.«

»Und wenn schon, das macht den Kohl jetzt auch nicht mehr fett. Und überhaupt, was gehen mich die Probleme anderer Leute an?«

»Eine Menge«, gab das Musterbild eines SS-Mannes zu bedenken, wie eigens dazu auserkoren, den Ariern zum finalen Sieg zu verhelfen. »Machen wir es also kurz. So wie bisher kann es einfach nicht weitergehen, das merken Sie ja wohl selbst. Der geringste Patzer, und schon schnappt die Falle zu. Anders ausgedrückt, der Flurschaden, den Sie während der vergangenen Monate angerichtet haben, er darf und wird sich nicht vergrößern. Unter keinen Umständen, nur damit das klar ist. Und Finanzspritzen wird es ab sofort auch keine mehr geben. Es wird Zeit, dass Sie auf eigenen Füßen stehen, von mir haben Sie nichts mehr zu erwarten.«

›Auf eigenen Füßen stehen‹ – hörte sich gut an.

Der Mann hätte in die Politik gehen sollen.

»Wirklich nicht? Wenn ich Sie wäre, würde ich mir das noch mal überlegen.«

»Ich fürchte, Sie haben mich nicht verstanden«, gab der Mann im dunklen Jackett zurück und begann, an der Kaimauer auf und ab zu gehen. Außer den Stiefeltritten, die weithin hörbar durch die Dunkelheit hallten, regte sich kein Laut, und wäre der auffrischende Wind nicht gewesen, der Werwolf hätte sich in die Tropen versetzt gefühlt. »Wenn hier jemand seinem Kameraden die Pistole auf die Brust setzt, dann bin ich es – merken Sie sich das. Ich wiederhole: Ab sofort werden Sie auf Tauchstation gehen, falls Sie verstehen, was ich damit meine.«

Jakubeit verzog keine Miene.

»Lassen Sie die Finger von den Weibern, und zwar ein für alle Mal. Mit Ihren Eskapaden ist jetzt Schluss, sonst bekommen Sie es mit mir zu tun. Fünf Morde sind genug, schreiben Sie sich das hinter die Ohren!«

Jakubeit glaubte, er habe sich verhört. »Und … Und warum ausgerechnet jetzt? Wir hatten eine Abmachung, oder haben Sie das schon vergessen?«

Der nordische Recke lachte heiser auf. »Na, Sie stellen mir vielleicht Fragen«, stieß er kopfschüttelnd hervor, hielt abrupt inne und ließ den Blick auf dem einstigen Untergebenen ruhen. Immer noch der gleiche Blick, fuhr es dem Unterscharführer durch den Sinn, fest entschlossen, keinen Fußbreit Boden preiszugeben. Und immer noch das hyänenhafte Profil, als habe er gerade Blut geleckt. »Weil ich keine Lust habe, mit jemandem wie Ihnen in den gleichen Topf geworfen zu werden, darum.«

Mit jemandem wie ihm.

Hört, hört.

»Auf einmal! Na, Sie machen mir vielleicht Spaß.«

»Mit Spaß, Kamerad Jakubeit, hat das Ganze nichts zu tun!«, stieß der Mann mit dem maskenhaften Gesichtsausdruck hervor, die Betonung so gekünstelt, dass der Werwolf vor Wut zu kochen begann. »Sondern mit Vorsicht, wenn ich es mal so ausdrücken darf. Lange Rede, kurzer Sinn: Von heute an bin ich nicht mehr in der Lage, Sie zu protegieren, sonst zieht mir die Gestapo das Fell über die Ohren. Oder wer weiß, vielleicht machen sie mich auch einen Kopf kürzer. Sie wissen ja, in der Beziehung ist mit Heydrich nicht zu spaßen.«

»Nichts für ungut«, knurrte der Werwolf, die Hand in der Tasche seiner Montur, in der sich eine geladene Ordonnanzpistole befand. Was wäre er doch ohne seine Walther P38, ein Relikt aus früheren Tagen, vor zwei Jahren der letzte Schrei. Federleicht, Kaliber neun Millimeter, Stangenmagazin mit acht Patronen. Mehr brauchte man nicht, um eine missliebige Person aus dem Weg zu räumen. Um sie im Anschluss, wenn die Arbeit erledigt war, den Wasserratten in der Spree zum Fraß vorzuwerfen. »Aber vor ein paar Tagen hat sich das noch anders angehört.«

»So, hat es das.« Mit dem Rücken zu Jakubeit, um einen hastigen Blick in die Runde zu werfen, lachte der Obersturmbannführer auf. »Ich will Ihnen mal was sagen, Sie impertinenter Schnösel. Ohne mich, schreiben Sie sich das gefälligst hinter die Ohren, ohne mich säßen Sie längst hinter Schloss und Riegel. Aber das nur am Rande, um Ihr Erinnerungsvermögen zu aktivieren. Frage: Wer hat denn dafür gesorgt, dass Sie nach Belieben schalten und walten konnten? Und wer, mit Verlaub, hat sich Ihretwegen den Allerwertesten aufgerissen, nur damit Sie rechtzeitig die Fliege machen konnten? Mal ganz ehrlich, Jakubeit: Denken Sie wirklich, die Kripo ist so dämlich, wie die Leute glauben? Falls ja, träumen Sie in aller Gemütsruhe weiter. Und danken Sie sonst wem auf den Knien, dass es mich gibt, sonst würden Sie längst am Fleischerhaken baumeln. Auf Mord steht die Todesstrafe, schon gewusst?«

»Mit anderen Worten, wenn zwei das Gleiche tun, ist es trotzdem nicht das Gleiche.«

»Verschonen Sie mich mit den ollen Kamellen, die haben nicht das Geringste damit zu tun!«

»Olle Kamellen – nennt man das jetzt so?« Die Hand am Griff seiner Waffe, auf deren Griff sich der kalte Schweiß sammelte, stieß der Werwolf ein raues Lachen aus. Und ergänzte in süffisantem Ton: »Sie erlauben, dass ich Ihre Erinnerung ein wenig auffrische?«

»Nehmen Sie sich in Acht, Jakubeit. Sie sind dabei, sich um Kopf und Kragen zu reden. Noch bin ich es, der am längeren Hebel sitzt – und nicht Sie.«

»Wenn Sie sich da mal nicht täuschen, guter Mann«, gab Jakubeit mit drohendem Unterton zurück, die Lippen von einer triefenden Schaumkrone überzogen, trat auf seinen Kontrahenten zu und knurrte: »Wer hier wen in der Hand hat, überlasse ich deiner Fantasie. Und darum: Wenn du denkst, ich bin so dumm, mir von einem Dreckschwein wie dir Vorschriften machen zu lassen, dann bist du auf dem Holzweg. Wie sagten die Altvorderen doch gleich: Mitgegangen, mitgehangen. Aber keine Sorge, wenn ich mit der Kleinen fertig bin, dann sind Sie – Verzeihung, wie konnte ich nur! –, dann bist du mich für alle Zeiten los.«

»Jetzt hör mir mal gut zu, du verkrüppeltes Stück Hundeschei…«

»Aber, aber, Herr Obersturmbannführer, wer wird denn hier gleich so gewöhnlich werden. Aber was will man machen, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.« Die Hand am Abzug seiner Waffe, ließ Jakubeit den Blick auf dem einstigen Mentor ruhen. »Mich wundert, wie einer wie du es geschafft hat, bis in die Chefetage aufzusteigen. Respekt, kann ich da nur sagen. Klar, ohne Ellbogen bringst du es zu nichts. Fressen, um nicht gefressen zu werden, was das betrifft, kann man dich getrost als Vorbild bezeichnen. Weißt du noch, was du mir vor unserem ersten Einsatz gesagt hast? Nein? Aber ich. Zitat: ›Entweder wir bringen sie alle um, oder der Tag wird kommen, an dem sich die Juden an uns rächen.‹ Zitat Ende. Ich sehe schon, wir verstehen uns. Um es im Jargon der alten Römer auszudrücken, eine Hand wäscht die andere. Bedeutet, dir bleibt nichts anderes übrig, als nach meiner Pfeife zu tanzen. Aber tröste dich, sobald die Angelegenheit erledigt ist, bin ich über alle Berge. Dann siehst du mich nie wieder. Versprochen. Bis dahin bist du jedoch so nett, den Kameraden von einst auf dem Laufenden zu halten. Wenn nicht, sähe ich mich gezwungen, den Herrn Obersturmbannführer zu seinem Glück zu zwingen. Du weißt doch, Kamerad: Wir sitzen beide im selben Boot. Es sei denn, du legst es darauf an und tanzt aus der Reihe. Dann, so fürchte ich, sähe ich mich gezwungen, mein Geheimnis an den Meistbietenden zu verscherbeln. Konkurrenz belebt nun mal das Geschäft – so viel zum Thema Korpsgeist, um das Unwort erneut in den Mund zu nehmen. Nicht auszudenken, wenn der Reichsführer erfährt, was deine Spezis und du getrieben habt. Mit Judenweibern, man stelle sich das mal vor. Tja, so ist das nun mal, wenn man seinen Schwanz nicht unter Kontrolle hat. Klar doch, kann jedem passieren, wem sagst du das. Ging mir vor zwei Jahren genauso, und das habe ich jetzt davon.« Den Finger immer noch am Abzug, ließ der Werwolf seiner Häme freien Lauf. »Drum merke, solange die dicke Dame singt, ist die Oper noch nicht zu Ende. Denn wie du alter Großkotz bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit zu verkünden geruhtest: Ein SS-Mann sollte mit gutem Beispiel vorangehen. Da fragt man sich sofort, wie das gemeint sein könnte, wenn der gleiche Mann reihenweise Judenweiber vögelt, bevor er den Befehl erteilt, die Gespielinnen nach dem Schäferstündchen an die Wand zu stellen. Was meinst du, ist das etwa die feine Art?«

 

»Wag es nicht, mir zu drohen, sonst …«

Der Werwolf lachte schrill. »Auch noch frech werden, so haben wir’s gern. Du weißt doch, wer im Glashaus sitzt, sollte keine Panzerfaust benutzen. Aber was rede ich, bei dir ist ja sowieso Hopfen und Malz verloren. Bleiben wir also lieber beim Thema – und bringen wir es endlich auf den Punkt. Von jemandem, der gleich mehrfach Rassenschande begangen hat und den Kameraden gegenüber so tut, als habe er sich nichts zuschulden kommen lassen, von so jemandem lasse ich mich nicht unter Druck setzen. Mit anderen Worten, die Zeiten, in denen du mich rumschikanieren konntest, sind vorbei. Und zwar ein für alle Mal. Nimm bitte zur Kenntnis, ich werde einen Teufel tun und untertauchen, darauf kannst du Gift nehmen!«

»Und zweitens?«

»Zum Zweiten nehme ich mir die Freiheit, dich um eine Großspende zugunsten notleidender Kameraden zu bitten. Um eine Art Ehrensold, wenn man so will. Denn wie du weißt, komme ich gerade mal so über die Runden, ein wenig Taschengeld wäre da hochwillkommen.«

»Das ist Erpressung – so lasse ich nicht mit mir umspringen!«

»Nenn es meinetwegen, wie du willst. Um mich dünnezumachen, wenn ich mit dem BDM-Flittchen fertig bin, brauche ich Knete. Viel Knete. Das leuchtet dir ja wohl ein. Hunderttausend dürften fürs Erste reichen, du siehst, ich bin ja gar nicht so. Dazu ein Ausreisevisum in die Schweiz, sicher ist bekanntlich sicher. Wie gesagt, eine Hand wäscht die andere. Will heißen, du erklärst dich bereit, bis spätestens morgen Mittag eine Summe mit fünf Nullen rüberwachsen zu lassen, und ich gebe dir mein Wort, dass du mich danach nie wieder zu Gesicht bekommst. Sobald Nummer sechs das Zeitliche gesegnet hat, das versteht sich ja wohl von selbst. Na, was sagt der Herr Obersturmbannführer dazu?«

»Gegenfrage: Und was, wenn ich mich weigere?«

»Du hörst mir einfach nicht zu, Klugscheißer!«, geiferte Jakubeit mit wutverzerrtem Gesicht, kurz davor, die Waffe aus der linken Hosentasche zu ziehen. »Du bist doch nicht auf den Kopf gefallen – oder etwa doch? Zum letzten Mal, oder du wirst es bereuen: Wenn du nicht tust, was ich dir sage, bleibt mir keine andere Wahl, als mein Wissen in klingende Münze umzuwandeln.« Aufgeschreckt durch das Geräusch eines Außenbordmotors, wirbelte Jakubeit herum, kniff die Augen zusammen und ergänzte: »Denn wie heißt es im Volksmund doch so schön: Wer nicht hören will, muss …«

»Fühlen. Du sagst es.«

Den Kopf wieder in der ursprünglichen Position, fuhr Jakubeit erschrocken zusammen. »Wenn ich du wäre, würde ich mir das noch mal überlegen. Du hast nicht den Hauch einer Chance, also lass den verdammten Quatsch!«

Eine Walther PPK in der ausgestreckten Hand, konnte der Angesprochene seine Genugtuung nicht verhehlen. »Wenn hier jemand am Arsch ist, dann du!«, gab er kalt lächelnd zurück, nahm die rechte Brusthälfte seines Kontrahenten ins Visier und konnte es sich nicht verkneifen, die Situation bis zur Neige auszukosten. »Weißt du, was ich mache, wenn ich dir das Gehirn rausgepustet habe? Nein? Dann spitz mal kurz die Ohren, Kleiner. Ich werde mir erlauben, deine Bude bis in den letzten Winkel zu durchkämmen. Dorotheastraße 24, sehe ich das richtig?«

»Kompliment. Wie ich sehe, bist du gewiefter, als ich dachte.«

»An Belastungsmaterial wird bestimmt kein Mangel herrschen. Man denke nur an die Eisenbahneruniform, für die Kripo ein gefundenes Fressen. Im Präsidium werden die Korken knallen, das kann ich dir garantieren!«

Der Werwolf gluckste amüsiert. »Und was ist mit meinem Schlüssel? Ohne den wärst du ja wohl aufgeschmissen.«

»Wetten, dass nicht?«

»Wie sagt man doch gleich, nur über meine Leiche!«

Die Augen voller Hass, der seine Mundwinkel unkontrolliert zum Vibrieren brachte, ließ der Obersturmbannführer die Pistole nach oben wandern, machte einen Schritt nach vorn und presste sie dem Werwolf auf die Stirn. »Ich zähle jetzt bis drei«, keuchte er erregt, auf Augenhöhe mit einem Mann, den er in den tiefsten Schlund der Hölle wünschte. »Und dann, mein Lieber, jage ich dir das gesamte Magazin in den …«

»Davon rate ich dir ab, Kamerad.«

»Wenn ich du wäre, würde ich nicht so große Töne spucken. Nur eine klitzekleine Bewegung mit dem Zeigefinger, und du kannst die Radieschen von unten begaffen.«

»Hättest du wohl gern, wie?« Seiner Sache absolut sicher, rührte sich der Werwolf nicht vom Fleck. »Du weißt doch, wer als Erster schießt, stirbt als Zweiter.«

»Falls du die Pistole meinst, die in deiner linken Tasche steckt, die habe ich längst bemerkt. Und jetzt nimm endlich die Pfoten hoch, sonst mache ich kurzen Prozess mit dir!«

Der Werwolf tat, wie ihm geheißen, hob die Arme lässig über den Kopf und erwiderte: »So du denn überhaupt dazu kommst – woran nicht nur ich meine Zweifel habe.«

»Halt jetzt endlich die Klappe, sonst …«

»Und hör du auf, mir zu drohen«, fuhr der Werwolf kalt lächelnd dazwischen, die Stimme scharf wie eine Rasierklinge, was seinen Todfeind irritiert verstummen ließ. »Denkst du wirklich, ich bin so dumm, mir kein Hintertürchen offenzulassen? Mir ist bekannt, mit wem ich es hier zu tun habe, dein Name war schließlich in aller Munde. Machen wir es daher kurz, damit du nicht noch mehr ins Schwitzen gerätst. Du weißt ja, wie sehr ich das verabscheue.« Der Werwolf bleckte die maroden Zähne, fuhr mit der Zunge über die Oberlippe und dachte nicht daran, sich aus der Ruhe bringen zu lassen. Einzig die Augen, sprühend vor aufgestautem Groll, ließen darauf schließen, was er wirklich dachte – und wie sehr er den bühnenreifen Auftritt genoss. »Würdest du dich nach links umdrehen – was du vermutlich nicht tun wirst, dann wüsstest du Bescheid. Meinem getreuen Freund und Helfer, der es sich hinter den Paletten dort hinten gemütlich gemacht hat, wäre es eine Freude, dir eine Kostprobe seines Könnens zu geben. Mit anderen Worten, nur ein Mucks, nur eine Bewegung oder gar ein Schuss, und du bist erledigt. Einem Experten wie dir muss ich ja nicht erzählen, was das Gewehr 41 so alles kann. Halbautomatisch, 10 Patronen pro Magazin, sage und schreibe 40 Schuss pro Minute. Wäre ich nicht knapp bei Kasse, ich hätte nichts dagegen, wenn er dir die Birne wegpusten würde. Du hättest es verdient, da sind der Kamerad und ich uns einig.«

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?