Assassin's Breed

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Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

23.

„Das Darknet ist so etwas wie der Wilde Westen des Internets“, erklärte Kommissar Marten seinen beiden Kollegen. „Eigentlich funktioniert es genauso, wie das gewöhnliche Internet, nur ist im Darknet die Anonymität noch größer.“

„Aber wir hatten doch im Fatebug-Fall schon hauptsächlich mit der Anonymität der Nutzer in den Netzwerken zu kämpfen. Geht es denn noch schlimmer?“, fragte Hauptkommissar Strecker.

„Leider ja“, erwiderte Marten. „Im gewöhnlichen Internet können sich zwar Nutzer von Anwendungen, wie Facebook, Google und Co., auch anonyme Profile anlegen und diese zur Verschleierung ihrer Identität nutzen, aber immerhin kennen die Anbieter der Netzwerke die technische Identität des Nutzers. Das ist seine sogenannte IP-Adresse, eine eindeutige Kennung eines technischen Zugangspunktes des jeweiligen Nutzers zum Internet. Und diese IP-Adresse kann man einem physikalischen Ort zuordnen, einem Netzwerkzugang, sei es ein Router oder eine sonstige technische Einheit. Da die Besitzer dieser Einheiten offiziell oder den Dienstleistern bekannt sind, besteht zumindest aus kriminalistischer Sicht ein Ansatz für die Ermittlung des jeweiligen Nutzers. Schwierig wird es natürlich, wenn der Zugang öffentlich ist, deshalb haben wir uns auch nicht über die Öffnung vieler WLAN-Zugänge als sogenannte Hotspots gefreut, über die viele Nutzer gleichzeitig über eine IP-Adresse in das Internet gehen. Aber zumindest besteht auch hier die Möglichkeit, sich die Gerätenummern zu beschaffen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt den Hotspot benutzt haben. Die sozialen Netzwerke kann man prinzipiell mit so einem Hotspot vergleichen. Da hat nur der Netzwerkanbieter die Informationen, über welche IP-Adresse welches Profil angelegt wurde.

Das Problem im Fatebug-Fall war, dass sich die Netzwerkanbieter geweigert hatten, uns die bei ihnen gespeicherten Daten zur Verfügung zu stellen. Vereinfacht dargestellt, kommunizieren im Internet immer zwei IP-Adressen über eine, für die Dauer der Kommunikation stabile Verbindung miteinander. Oder plastischer beschrieben, gibt es einen, die beiden Kommunikationspartner direkt verbindenden Draht. Peer to Peer nennen die Spezialisten das. Im Darknet ist das insofern anders, als dass dieser Kommunikationskanal nicht direkt ist, sondern die Verbindung wird über unterschiedliche Einrichtungen, mit jeweils eigenen IP-Adressen aufgebaut. Es gibt also keine direkte Leitung, sondern mehrere Stücke, die nur zusammengestöpselt die Verbindung zwischen den beiden Kommunikationspartnern möglich machen. Eine Verbindung besteht also aus mehreren Teilstrecken und über jeden Knoten sind mehrere User mit jeweils eigenen IP-Adressen und eigenen Zieladressen eingeloggt, sodass es sehr aufwendig ist, das Ziel eines verdächtigen Nutzers zu finden.

Und perfiderweise haben wir dafür auch nicht viel Zeit, weil das System die Teilstrecken, über welche die Verbindung letztlich hergestellt wird, immer wieder neu zusammensetzt. Fazit: Eine Ermittlung der Zieladresse, mit der unser Verdächtiger kommuniziert, ist faktisch kaum möglich.

Um diese verschleierten Kommunikationsmöglichkeiten nutzen zu können, müssen die Nutzer spezielle Browser einsetzen. Der bekannteste dieser Browser heißt TOR. Ach ja, natürlich wird auch die gesamte Kommunikation verschlüsselt, sodass ein Mitlesen ebenfalls nicht möglich ist. Eine weitere Besonderheit des Darknet ist die Intransparenz der Inhalte. Für das gewöhnliche Internet gibt es ja Suchmaschinen, wie Google oder Bing. Diese erstellen automatisch ein Verzeichnis anhand dessen man Inhalte, die einen interessieren finden und anspringen kann. Dadurch hat man eine Art Navigationssystem, das dem Nutzer hilft, seine potenziellen Ziele zu finden. Die Suchmaschinen erstellen eine Art dynamische Landkarte, anhand derer der Nutzer sich einen Überblick über den Inhalt des Netzes zu einem Thema verschaffen kann. Eine derartige komfortable Unterstützung gibt es im Darknet nicht. Die meisten Inhalte des Darknets sind selbst von den speziellen Suchmaschinen nicht zu finden. Der Nutzer muss eigenständig zum Ziel fahren, das heißt er muss den Weg zum Ziel selber kennen. Wer den Weg nicht kennt, findet das Ziel bestenfalls zufällig. Und in Anbetracht der Millionen von Seiten im Darknet, ist die Wahrscheinlichkeit des glücklichen Zufalls nahezu null. Daher weiß auch niemand, was so alles im Darknet publiziert und angeboten wird. Man weiß, dass es alles gibt: Drogen, Waffen, Kinderpornografie, Menschenhandel, Hehlerware, aber in welchem Umfang, das wissen wir nicht.“

„Aber wie finden die Interessenten denn die Inhalte?“, fragte Frau Garber nach. „Die haben doch auch, zumindest am Anfang, das Problem, dass sie vor einem Universum von Möglichkeiten stehen und nicht wissen, wo sie hinmüssen.“

„Ganz archaisch“, antwortete der Experte. „Einerseits über Flüsterpropaganda. Innerhalb der Interessengruppen gibt es Bekanntschaften, in der Regel natürlich nur über ihre Avatare, wo der eine dem anderen Tipps oder Empfehlungen gibt. Darüber hinaus gibt es Chatgruppen, Foren und sogar Marktplätze für bestimmte Güter. Wenn man einmal drin ist, ist es einfach. Deshalb ist eine der klassischen Ermittlungsmethoden auch hier die Einschleusung von V-Leuten oder einfach mitzuspielen, sich also als Käufer für bestimmte Artikel auszugeben.“

„Aber irgendwann muss doch Ware geliefert und bezahlt werden?“, hakte die Hauptkommissarin nach.

„Hier kommen Kryptowährungen, wie Bitcoin und Treuhandbörsen in das Spiel“, erläuterte Kommissar Marten. „Der Käufer kauft, hinterlegt einen bestimmten Betrag in einer Kryptowährung beim Treuhänder, der das Geld erst für den Käufer freigibt, sobald der Käufer die Ware erhalten hat. Die eigentliche Lieferung erfolgt über den Postweg. Um Zufallsfunde oder Pannen bei der Übergabe an den Käufer zu minimieren, kommen vermehrt auch Paketboxen in das Spiel, in die der Verkäufer liefern lässt und aus denen sich der Käufer die Ware später abholt.“

„Und was hat das konkret mit unserem Fall zu tun?“, wollte Strecker nun wissen.

Kommissar Marten hatte Mühe seine Verwunderung in den Griff zu bekommen. Ein Stirnrunzeln konnte er angesichts der aus seiner Sicht naiv anmutenden Frage nicht vermeiden. Immerhin gelang es ihm ruhig und sachlich zu antworten. „Nun der Führer der Gruppe nutzt das Darknet für die Steuerung der Mitglieder. Er hinterlässt Nachrichten für die Mitglieder in im Darknet hinterlegten Dateien. Auch die Chaträume dort nutzt er. Wir haben zwar keine dieser Dateien gefunden, da er sie offenbar recht kurzfristig wieder löscht, wissen aber durch die auf dem Computer des verschwundenen Jungen gefundenen Informationen, dass sie existiert haben müssen. Was wir nicht wissen, aber vermuten, ist, dass er auch mit den Kunden der Gemeinschaft über das Darknet kommuniziert. Wahrscheinlich irgendwo über einen Shop seine Leistungen anbietet, Aufträge erhält und wahrscheinlich auch den Zahlungsverkehr abwickelt.“

„Fragen?“, hakte Kommissar Marten nach, „Wenn nicht, schlage ich vor, dass wir eine kurze Pause machen und uns danach über das Thema Computerspiel unterhalten.“ Als von seinen beiden Zuhörern nur Schweigen als Antwort kam, stand er auf und sagte: „Dann machen wir jetzt 15 Minuten Pause“ und verließ das Büro.

24.

„Du bist verrückt! Das ist doch Wahnsinn!“

„Nur weil es schwierig scheint, können wir das Naheliegende nicht sein lassen!“

„Aber beim BKA einbrechen“, setzte Boris mit einem ungläubigen Kopfschütteln fort. „Wie sollen wir das denn bewerkstelligen? Die hocken doch in einer Festung, die sind doch gegen alles abgesichert.“

Boris war der operative Chef der russischen Mafia in der Bundesrepublik. Er war zuständig für die Verwaltung der Finanzen, die Führung der laufenden Geschäfte und für das Personal. Seine Aufgaben- und Machtfülle war immens. Verglich man die Mafia mit einem normalen Konzern, war er CFO, COO und HR-Leiter in Personalunion. Und das immerhin in einer Organisation mit mehreren tausend Mitarbeitern. Und da er diese Aufgaben schon seit einigen Jahren erfolgreich meisterte, in einer Organisation, die Fehler nicht tolerierte, war man gut beraten, seine Meinung ernst zu nehmen.

Der Consultant wusste das. Er schätzte den kleinen, korpulenten Mann. Boris war höchstens 1,65 Meter groß, brachte dafür aber wahrscheinlich um die 100 Kilo auf die Waage. Da sich die Mehrheit seiner Kilos in Hüfthöhe befand und dann nach unten wie oben abnahm, drängte sich das Bild einer Kugel förmlich auf. Nein, zwei Kugeln, denn auf der größeren unteren Kugel jonglierte er eine zweite kleinere, mit einem kleinen, mit erstaunlich vollen Lippen umrahmten Mund, einer kleinen, spitz zulaufenden Nase und zwei ebenfalls kleinen, wachen, braunen Augen. Seine erstaunlich buschigen, tiefschwarzen Augenbrauen konnten das fehlende Haupthaar über seiner hohen Stirn allerdings nicht kompensieren. Nur an den Seiten des Kopfes sprossen noch Haare, allerdings in zunehmendem Grau, das seine ehemals pechschwarzen Haare mehr und mehr verdrängte.

„Sie haben das, was wir brauchen“, setzte Leo fort. „Was wir unbedingt brauchen, weil es unsere letzte Spur sein dürfte. Alle anderen Möglichkeiten hat Dimitri schon durch seine Untersuchungen ausgeschlossen. Also bleibt uns nur das digitale Vermächtnis des Jungen.“

„Und wie hast Du Dir das vorgestellt?“, fragte Boris und legte seine hohe Stirn in Falten.

„Da bin ich offen für Vorschläge“, spielte der Consultant den Ball mit einem Lächeln zurück.

„Da Du mich mit Deinem Vorhaben zugegebenermaßen überrascht hast, muss ich darüber noch nachdenken. Bevor wir uns da festlegen, sollten wir auch noch Erkundigungen einziehen. Wir müssen uns den Laden erst ansehen, Sicherheitseinrichtungen, Zuständigkeiten und den ganzen Kram. Wir sind ja nicht die Polizei, können da nicht mit einem Durchsuchungsbeschluss einmarschieren, die Bude auf den Kopf stellen und mitnehmen, was uns interessiert.“

 

„Wie lange wirst Du brauchen?“, fragte Leo.

„Keine Ahnung. Und erspare uns Deine Vorgaben oder Wünsche“, ergänzte Boris mit leicht angehobener Lautstärke, als der Consultant ansetzte ihn zu unterbrechen. „Ich weiß, dass wir es eilig haben. Deshalb verschwinde jetzt und lass mich meine Arbeit machen. Du bekommst Bescheid, sobald ich genügend Informationen habe. Es war mir ein Vergnügen.“

„Ich erwarte Deinen Anruf“, sagte der Consultant. Er erhob sich, reichte Boris die Hand über den sie trennenden Schreibtisch und verließ den Raum.

25.

Endlich! Er hatte gefühlt schon mindestens fünfzigmal in dem geheimen Briefkasten nachgesehen. Der Meister war nervös gewesen, hatte Zweifel gehabt, wusste, dass er sich nicht die eigentlich notwendige Zeit bei der Auswahl genommen hatte. Musste er den Neuen auch abschreiben, genauso wie diesen Marc Johann? Denn der würde nicht mehr zurückkommen. Nachdem er Tage auf ein Lebenszeichen gehofft hatte, musste er jetzt hoffen, dass Marc tot war und sein Geheimnis, ihr Geheimnis mit in sein Grab genommen hatte. Das war schade. Weil er Potenzial in dem Jungen gesehen hatte. Drei Aufträge hatte er für ihn schon ausgeführt. Richtige Aufträge, keine Probearbeiten, kein bloßes Einwerfen der Scheibe eines Ladenlokals, wie es der Nachfolger heute Morgen machen sollte. Aber immerhin hatte der Nachfolger die regionale Lücke geschlossen. Das war auch ein Parameter bei der Auswahl seiner Gefolgsleute, die Regionalität. Er versuchte mit seinen Jüngern, ein die Bundesrepublik möglichst überspannendes Netz zu bekommen. Das vermied lange Reisen. Nicht, dass es ihm um das Sparen von Reisekosten gegangen wäre. Die zahlten seine Gefolgsleute selber. Aber Auswärtseinsätze waren langwieriger in der Vorbereitung. Natürlich wollten und sollten, die mit der jeweiligen Ausführung der Taten beauftragten Jünger sich die Ausführungsorte vor der Tat ansehen. Nach Deckungen und Fluchtmöglichkeiten suchen, möglichst gute Zeiten für die Durchführung ausbaldowern. Insbesondere letzteres konnte, zum Beispiel wenn Personen das Anschlagsziel waren, schon einiges an Beobachtungszeit erfordern. Um die Lebensgewohnheiten der Zielpersonen kennenzulernen, mussten sie beschattet werden. Und das war nicht einfach für einen Jugendlichen in einer fremden Stadt, insbesondere, wenn er morgens zur Schule musste. In seiner Heimatstadt.

Da! Endlich hatte sich der Neue zurückgemeldet. Hastig überflog der Meister den Bericht in dem Briefkasten.

„… erfolgreich ausgeführt!“, waren die letzten Worte. Damit war er zufrieden, aber der Rest des Berichts zeigte ihm, dass der Neue noch nicht so weit war. Drei Stunden war der Junge laut seinem Bericht um sein Ziel herumgeschlichen, zu einer Zeit, in der es in der Nähe des Tatortes, wie es ebenfalls in dem Bericht stand, „gottverlassen“ war. Da wäre es besser gewesen, schnell zuzuschlagen, anstatt zu riskieren, durch immer neue Annäherungen an das Ziel aufzufallen. Im ungünstigsten Fall sogar noch gefilmt zu werden. Es gab immer mehr Kameras und die wurden immer kleiner, konnten häufig nur mit Mühe und Glück entdeckt werden. Doch egal. Grübeln half hier nichts mehr. Er würde abwarten müssen, ob der Junge erwischt werden würde. Bis dahin würde er ihn in Ruhe lassen müssen, schon zur Sicherheit, um keine aktuellen Bande zwischen ihnen zu etablieren, die für Verfolger zur Spur werden könnten. Nur eines blieb im Moment noch zu tun. Den Neuen an sich zu binden, ihn zu belohnen, ihn in die Gemeinschaft aufzunehmen. „Gut gemacht!“, schrieb er in einen neuen, extra für die Antwort erstellten Briefkasten.

„Kauf Dir einen grauen Hoodie. Aber in einem großen Geschäft. Nicht im Internet bestellen. Ich melde mich für einige Zeit nicht. Sieh aber täglich nach, ob wir Dich brauchen.“

26.

Es hätte nicht passieren dürfen, aber natürlich war es passiert. Sie hatte ihn getroffen. In der Kaffeeküche. Und hatte sie es schon als schwierig empfunden, ihre Gefühle im Besprechungsraum zu kontrollieren, so erschien ihr dies nun rückwirkend als leichte Übung. Dort war sie vorbereitet gewesen, geschützt auch durch das Korsett der Öffentlichkeit. Diese Hilfen gab es in der Kaffeeküche nicht, dort war sie ungeschützt, überrascht. Als sie um die Ecke bog, die Gedanken auf den Fall gerichtet und dann so plötzlich in ein Chaos stürzte. Da waren sie wieder, die Gefühle aus der Vergangenheit. Die Begierde war wie ein Tier, hatte das in Sekunden freigescharrt, was sie über Monate zu vergraben versucht hatte. Sofort hatten sich ihre Augen getroffen. Und was sie gesehen hatte oder zu sehen geglaubt hatte, hatte ihre Gefühlswelt in ein noch größeres Chaos gestürzt. Schmerz, Trauer, Hoffnung und Angst, alles in einem Blick, in zwei Augenpaaren.

„Hallo“, hatte sie gestammelt und so ein Gespräch eröffnet, das nicht zu ihrer beider Gedanken und Gefühlen passte. Belangloses Geschwätz über den Fall, um abzulenken von den eigentlichen Gefühlen, um sie zu unterdrücken, nicht gleich zu kapitulieren. Fast war sie froh gewesen, als Strecker hinzukam und die Intimität des Augenblicks sprengte. Überrascht, fast beschämt hatten sie ihre Köpfe gesenkt, den Blickkontakt abgebrochen und begonnen, sich auf ihr Gespräch zu konzentrieren. Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit hatte sie dann die Flucht ergriffen. Doch es war zu spät. Es war als hätte eine Harpune ihr Herz getroffen und je weiter sie sich von ihm wegbewegte, desto straffer wurde das Seil, desto schwerer wurde die Last, desto größer wurde der Schmerz.

Jetzt saß sie wieder mit Marten und Strecker im Büro. Doch nur körperlich, ihre Gedanken waren woanders, kreisten um ihn, gleich Trabanten, die ihren Planeten umkreisen, ihn aber nicht erreichen können.

Nur gedämpft, wie durch eine dicke Watteschicht, vernahm sie die weit entfernte Stimme von Kommissar Marten, der versuchte, ihnen die Welt zu erklären. Die Welt der Spiele, die nichts mit ihrem Leben und ihren Gefühlen zu tun hatte. Denn das war kein Spiel.

„Viele Spiele werden heutzutage online gespielt“, erläuterte der Kommissar. „Das impliziert, dass die Spielprogramme nicht auf den Rechnern der Spieler installiert sind, sondern auf den Servern der Anbieter. Bevor Missverständnisse auftreten. ‚Assassin’s Creed‘ ist gar kein typisches Onlinespiel. Die dritte oder vierte Ausgabe hatte zwar eine entsprechende Erweiterung für das Zusammenspiel mehrerer Spieler enthalten, doch andere Spiele setzen deutlich mehr auf Kooperation der Spieler. Aber ‚Assassin’s Creed‘ passt halt gut von der Geschichte her. Eine verschworene Gemeinschaft, die Anschläge ausführt, eben ganz wie in unserem aktuellen Fall. Zusammenarbeit wird am intensivsten in Kriegsspielen genutzt, insbesondere in solchen, in denen kleine militärische Spezialeinheiten schwierige Aufträge durchführen. Typische Vertreter heißen ‚Counterstrike‘, ‚Call of Duty‘. Natürlich gibt es auch Sport- und Rennspiele oder auch Mischformen, wie ‚Grand Theft‘. Es gibt Hunderte solcher Spiele und täglich kommen neue hinzu. Der vermisste Junge hat aber fast ausschließlich Kampfspiele gespielt. Viele dieser Spiele bieten neben dem eigentlichen Spiel Funktionen, mittels derer die Spieler während des Spiels miteinander kommunizieren können. Aber diese spielspezifischen Kommunikationshilfen braucht man gar nicht unbedingt, denn es gibt auch eigenständige Programme, die die Kommunikation zwischen den Nutzern während des Spielens ermöglichen. In der Regel über Chat- oder Sprachkanäle. Das wahrscheinlich meist genutzte Werkzeug heißt ‚Teamspeak‘, aber derzeit boomt ein neues namens ‚Discord‘. Auch diese beiden Programme, das hat die Analyse seines Rechners gezeigt, hat Marc Johann benutzt. Ihr seht, das Feld ist groß und wird täglich größer. Aber Details müsst Ihr wahrscheinlich gar nicht kennen, nur dass man heutzutage jederzeit von jedem Ort mit Internetzugang mit jedwedem beliebigen anderen Spieler zusammenspielen und dabei per Sprache oder Chat kommunizieren kann. Das ist unsere Aufgabe, die der IT-Spezialisten, diese digitale Welt zu durchsuchen und Spuren zu finden. Spuren, die in die reale Welt führen, wo Ihr sie dann weiterverfolgen könnt.“

27.

Diesmal war es anders. Er fühlte sich anders. Größer. Hatte er sich früher nur mit Widerwillen, fast mit Angst auf den Weg gemacht, so konnte er es dieses Mal kaum erwarten hinzukommen. Dass das Wetter widerwärtig war, dass es stürmte und es regnete, war ihm egal. Der Regen perlte an ihm ab, der Wind biss, aber er ignorierte den Schmerz. Er hatte sich eingehüllt in seine Gedanken, fühlte sich mächtig und unangreifbar. Was konnte ihm da so ein bisschen Wetter schon anhaben. Im Bus saß er wie immer schweigsam auf seinem Platz. Die Augen starr auf das Display seines Handys gerichtet, den Rest der Außenwelt sperrten seine Kopfhörer aus. Auf seinem Smartphone lief zwar ein Video, aber davon bekam er eigentlich gar nichts mit. Denn in seinem Kopf lief ein ganz anderer Film ab. Immer wieder sah er den Stein auf die Scheibe aufschlagen und zurückprallen, sah das kleine Loch in der Scheibe, die sich schnell ausdehnenden Risse und hörte das ohrenbetäubende Getöse, als alles undurchsichtig wurde und das Glas in tausend kleine Stücke zerbrach und mit lautem Geschepper auf die Straße und in die Auslage fiel.

Fast hätte er seinen Halt verpasst. Gerade noch rechtzeitig bemerkte er, dass alles um ihn herum in Bewegung geraten war, sich eine Unmenge von Leibern, drängelnd und fluchend in Richtung der Türen bewegte und sich in den, sich aus mehreren Bussen nährenden Strom von Schülern mischte, der sich langsam über den Hof auf den Eingang des Schulgebäudes zubewegte. Rasch raffte er seine Utensilien zusammen, verstaute das Handy in der Jackentasche, warf sich seinen Rucksack über die rechte Schulter und schloss sich der Prozession an. Er war einer von Vielen, obwohl er nun gar nicht mehr so recht dazugehörte, denn er war nun auch einer von Wenigen, einer der Auserwählten. Gestern hatten sie sich noch über ihn lustig gemacht, aber schon bald würden sie ihn fürchten. „Ein Wolf unter Lämmern“, dachte er sich, während er sich die Kapuze über den Kopf zog. Und der Wolf, der war er.