Die zwölf Jünger Jesu

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Zwölferkreis Jesus
1. Mt 10,1d: θεραπεύειν πᾶσαν νόσον καὶ πᾶσαν μαλακίαν 1. Mt 4,23 + Mt 9,35: θεραπεύων πᾶσαν νόσον καὶ πᾶσαν μαλακίαν
2. Mt 10,8a-d: 2. MtEv:
ἀσθενοῦντας θεραπεύετε z.B. Mt 4,23; 9,35
νεκροὺς ἐγείρετε Mt 9,18.23-25
λεπροὺς καθαρίζετε Mt 8,2-4; (evtl. 11,5)
δαιμόνια ἐκβάλλετε Mt 4,24; 8,16; 12,22ff
3. Mt 10,1b-d: erhalten „Vollmacht“ (ἐξουσία) (Heilungs-) Wunder zu tun 3. Mt 8-9: hat „Vollmacht“ (ἐξουσία; Mt 8,9) (Heilungs-) Wunder zu vollbringen
--- 4. Mt 4,23; 5,2; 7,28f; 9,35; 11,1: lehrt
--- 5. Mt 8-9: vollbringt Naturwunder

Zweitens: Die Bedeutung von Krankenheilungen, Geisteraustreibungen und Totenerweckungen für die zwölf Jünger. Was diese „Wundertaten“ bedeuten,19 zu denen Jesus die Zwölf bevollmächtigt und beauftragt, lässt sich hauptsächlich aus dem MtEv ableiten. Ob die in Bezug auf Jesu Wunder gemachten Aussagen sich auch auf die Zwölf übertragen lassen, soll an den einzelnen Stellen angesprochen werden. Man darf aber, aufgrund der sonstigen Parallelität zwischen Jesus und den Zwölf, eine vorhandene Kontinuität vermuten.20

1. Mt 10,1b macht deutlich, dass die zwölf Jünger zu diesen Wundertaten bevollmächtigt werden (müssen). Jesu Rückfrage in 21,25, woher die Taufe des Johannes war, „vom Himmel oder von Menschen?“, geht von zwei grundsätzlich verschiedenen Kategorien aus.21 Demnach gibt es eine „göttliche“ und eine „menschliche Quelle“ von Vollmacht. Ein Beispiel für eine menschliche Quelle ist der Hauptmann von Kapernaum, der „Vollmacht“ über seine Soldaten hat, ihnen Befehle erteilen kann (8,5-13; hier 8,9). Die Diskussion über die Herkunft von Jesu Kraft nennt zwei verschiedene „übermenschliche Quellen“: Auf den Vorwurf der Pharisäer, er treibe die Dämonen durch Beelzebul, den Obersten der Dämonen, aus (9,34; 12,24 [implizit auch in 21,23?]), erwidert Jesus, dass er das „durch den Geist Gottes“ tue (12,28; [kursiv hervorgehoben durch V.L.]). Auf der einen Seite stehen also Gott und sein Geist, auf der anderen Seite stehen Beelzebul bzw. Satan und seine Dämonen.


übermenschliche Quellen der Vollmacht menschliche Quellen der Vollmacht
Gott / Geist Gottes Beelzebul bzw. Satan Jesus
Hauptmann von Kapernaum
Usw.

Die Zwölf erhalten die „Vollmacht“ zu Krankenheilungen und Geisteraustreibungen von Jesus. Jesus ist einerseits eine „menschliche Quelle“. Andererseits hat er selbst seine eigene Vollmacht von Gott erhalten,22 die er nun hier in 10,1 (teilweise) an seine zwölf Jünger weitergibt. Außerdem wurde schon festgestellt, dass er hier in 10,1 in gewisser Weise an Gottes Stelle handelt (vgl. 9,37). Jesus eröffnet also den zwölf Jüngern den Zugang zu einer Kraftquelle, die anderen Personen verschlossen bleibt. D.h.: auch für die Zwölf ist anzunehmen, dass sie die Wunder – zumindest die Exorzismen – „durch den Geist Gottes“ tun (sollen / können), zumindest während ihrer Missionsstätigkeit.23 Ein indirekter Hinweise darauf ist in 10,25 enthalten: als seine Schüler müssen sie vermutlich deswegen mit dem Beelzebul-Vorwurf (oder schlimmerem) rechnen, weil sie ebenfalls Dämonen austreiben. Dazu passt außerdem: erstens dass Gottes Geist ihnen auch vor Gericht helfen soll (10,19f), und zweitens dass die Zwölf in Mt 10 (z.B. in V.8b-15) den atl Propheten ähnlich dargestellt werden, die ja ebenfalls aus der Kraft Gottes handelten (vgl. z.B. 21,26).24 Fazit: Letztendlich ist es Gott selbst, der die zwölf Jünger dazu befähigt, (durch seinen Geist) die genannten Wunder zu vollbringen. Doch sollte die Bevollmächtigung nicht als Blankoscheck für eigensinnige Mirakel-Spektakel missverstanden werden. Die Zwölf sollen ihre Vollmacht vielmehr im Dienst für Gott, im Dienst am Volk Israel einsetzen.

2. Bemerkenswert ist das „Ausmaß“ der Vollmacht, das bei Jesu Wundertaten sichtbar wird: er heilt allein durch seine Worte, ohne zusätzliche Hilfsmittel, der Vorgang ist einfach und kurz, ohne Komplikationen oder „Kämpfe“, er heilt große Mengen, „alle“, die zu ihm kommen (12,15: αὐτοὺς πάντας; gleich zu πᾶσαν in V.1d), die Dämonen und die Jünger erkennen in ihm den „Sohn Gottes“ (8,29: υἱὲ τοῦ θεοῦ; 14,33: θεοῦ υἱὸς εἶ), die Volksmengen behaupten, dass so etwas „noch nie“ in Israel geschehen sei (9,33: οὐδέποτε). Wenn Jesus nun den zwölf Jüngern „Vollmacht“ gibt, dann lässt sich erahnen, dass das Ausmaß ihrer Vollmacht ebenfalls – wenngleich nicht ebenso – außerordentlich groß ist.25 In diesen Zusammenhang ist das zweifach vorkommende Adjektiv πᾶσαν einzuordnen (10,1d), weil es eine Absolutheit ausdrückt. Aufgrund der Parallele zu Jesu in 4,23 und 9,35 zusammengefasster Heilungstätigkeit (jeweils: θεραπεύων πᾶσαν νόσον καὶ πᾶσαν μαλακίαν) bedeutet πᾶσαν in V.1d wahrscheinlich: die Vollmacht der Zwölf ist groß genug, dass sie sowohl jede Art von Krankheit als auch jede Anzahl von Kranken heilen sollen. Das Resultat soll ein vollständig gesundes Volk Israel sein.

3. Was bereits im Zusammenhang von 9,36 festgestellt wurde, soll hier nur kurz erinnert werden: diese Wundertaten resultieren aus Jesu Mitleid mit dem erbärmlichen Zustand des Volkes Israel. Sie sind also Zeichen seiner Barmherzigkeit und zielen darauf ab, die jeweilige Not zu lindern, was nicht nur den direkt Betroffenen, sondern auch seinen Angehörigen hilft. Zudem betrifft die Not den Menschen in ihrer Gesamtheit, da bei jedem der vier „Fälle“ eine wechselseitige Wirkung zwischen Körper, Geist / Seele oder etwa Sozialem vorhanden ist: Angehörige von Wiederbelebten werden getröstet, ehemals Aussätzige und Besessene kehren in die Gemeinschaft zurück, von körperlicher Krankheit Genesene tragen wieder zum Unterhalt der Familie bei, usw.

4. Ein wichtiger Ansatzpunkt für das Verständnis der Wundertaten im MtEv ist Mt 11,2-6. 11,5 listet sechs Handlungen auf, zu denen neben fünf Wundertaten als sechstes auch die Verkündigung des „Evangeliums“ an Arme (εὐαγγελίζονται) gehören. Diese Dinge geschehen, die Jünger des Täufers können sie „hören und sehen“ (V.4: ἀκούετε καὶ βλέπετε·) und daran können sie – und Johannes – erkennen, dass Jesus tatsächlich der „Kommende“ ist (V.3: ὁ ἐρχόμενος; vgl. auch 3,11; 21,9), auf den sie warten, und dem der Täufer durch seinen Dienst „den Weg bereitet“ hatte (vgl. 3,3; 11,10; vgl. außerdem Jesus als „Kommenden). Erkennen sie aber das, so nehmen sie keinen „Anstoß“ an Jesus (V.6: μὴ σκανδαλισθῇ ἐν ἐμοί). Allerdings genügt es wohl nicht diese Geschehnisse allein zu hören und zu sehen, sondern sie auch richtig einzuordnen.26 Zu der richtigen Einordnung verhilft die Auflistung in V.5, die wohl mehrere Stellen aus Jes zusammenfasst (Jes 26,19; 29,18; 35,5-8; 61,1).27 Anderenfalls würde die Frage des Täufers angesichts der „Werke Christi“ keinen Sinn ergeben (11,2f: τὰ ἔργα τοῦ Χριστοῦ).28 Diese Ausführungen zu 11,2-6 werden bei Jesu Wehe-Rufen gegen die Städte in 11,20-24 bestätigt: Jesus wirft ihnen vor, dass bei ihnen „die meisten seiner Wundertaten“ (V.20: αἱ πλεῖσται δυνάμεις αὐτοῦ) geschehen sind, sie aber dennoch keine Buße getan bzw. sich bekehrt haben (V.20: οὐ μετενόησαν).29 Denn für das richtige Verstehen der Wunder ist es notwendig, dass Gott es einem „offenbart“ (11,25-27; dazu auch 13,10-17.34f), mit anderen Worten: „Glauben“ gibt.30 Zwischenfazit zu 11,2-6 und 11,20-24: Jesu Wunder sind nicht „eindeutig“, sie sind keine Beweise, sondern „Zeichen“, die – ausgehend von Glaube, Kleinglaube oder Unglaube in Bezug auf Jesus – in einer bestimmten Weise gedeutet werden. Jesu Wunder sollten laut 11,2-6 und 11,20-24 als Verweis auf Jesus als den Gekommenen und mit ihm auf das Kommen des Himmelreichs gedeutet werden (vgl. 3,2f; 11,10-15). Setzt man dieses Zwischenfazit zu Mt 11,2-6 und 11,20-24 ins Verhältnis zu 10,8a-d, dann lässt sich Folgendes ableiten: 11,2-6 ist für das Verständnis der Wunder in 10,1b-d.8a-d besonders relevant, weil es unmittelbar auf die Aussendungsrede folgt, und weil es vielleicht sogar möglich ist, in Jesu Verweis auf die Geschehnisse auch die Umsetzung seines Auftrags in 10,8a-d zu erkennen.31 Jedenfalls hatte Jesus seine zwölf Jünger unmittelbar vor 10,8 dazu beauftragt, das Himmelreich zu predigen (V.7), so dass beide Bestandteile eng zusammen gehören. Das bedeutet, dass nicht nur in Jesu heilsamen Wundertaten (sowie der Verkündigung des Evangeliums), sondern auch in denen der zwölf Jünger, das vom Propheten Jesaja verheißene endzeitliche Heil für Israel Realität wird (Jes 35,5f; 61,1). Auch ihre Wundertaten verweisen auf Jesus als den „Kommenden“ (Mt 11,2-6). Weil die Menschen Jesus aufgrund seiner Heilungen als „Sohn Davids“ identifizieren (12,23; 21,14f [im Tempel!]), lässt sich spezifizieren, dass diese Wundertaten Jesus als Sohn Davids ausweisen, der gekommen ist, um sein messianisches Königreich zu errichten.32 Dieser „Zeichencharakter“ der Wunder bedeutet nicht, dass sie austauschbare Veranschaulichungen der „eigentlichen“ Sache wären, sondern, dass sie selbst Bestandteil der Sache sind.

 

Bemerkenswert ist, dass Jesus zugleich der „Knecht Gottes“ ist, da sich laut Mt 8,16f und 12,15-21 in seinen Geisteraustreibungen und Krankenheilungen die Verheißungen Jes 53,4 und Jes 42,1-4 „erfüllen“ (8,17 und 12,17: jeweils πληρωθῇ), die zu den Gottesknecht-Liedern gehören. Damit ist ein Bogen von 11,2-6 und 11,20-24 hin zu 8,16f geschlagen. Auffallend ist dabei, dass laut 8,17 und Jes 53,4 der Knecht das Leiden anderer Personen auf sich nimmt, also „stellvertretend“ leidet. In Mt 8,16 hingegen ist nur die (äußerliche) Heilung von Besessenen und Leidenden im Blick. Dafür, dass Jesu Exorzismen und Krankenheilungen eine soteriologische Dimension haben, spricht eine weitere wichtige Stelle für das Verständnis von Wundern im MtEv, nämlich der Abschnitt 9,1-8, wo die Heilung und Sündenvergebung eines Gelähmten miteinander verbunden sind. Gerade V.6 macht deutlich, dass die Heilung ein Zeichen für Jesu Vollmacht, Sünden zu vergeben, sein soll (vgl. ἵνα). Verbindet man diese Überlegungen mit der im MtEv zentralen Stelle 1,21, wonach Jesus das Volk (Israel) von seinen Sünden erretten soll (σώσει τὸν λαὸν αὐτοῦ ἀπὸ τῶν ἁμαρτιῶν αὐτῶν.), dann könnten Jesu Heilungen eine Form der Sündenvergebung und Ausdruck des messianischen Zeitalters sein.33 Man kann Krankheiten als Ausdruck einer von Sünde beherrschten Welt verstehen (ohne einzelnen Kranken zu unterstellen, die eigene Sünde oder die seiner Eltern hätten die Krankheit verursacht). Doch unabhängig davon, wie man die Frage nach der soteriologischen Dimension in 8,16f und 9,1-8 beantwortet,34 lässt sich eine solche Dimension nicht auch auf die Wundertaten der Zwölf übertragen.35

5. Die Wundertaten der Zwölf entsprechen nicht nur Jesu Taten, sondern sie erinnern auch an die Propheten Elia und Elisa. Das ist nicht nur bei der Wiederbelebung von den Toten der Fall (dazu s.u.), sondern auch bei der Reinigung von Aussatz (vgl. 2Kö 5,1-27; Lk 4,27). Ein Argument für eine bewusst hergestellte Parallele ist, dass in Mt 10,8c gerade die Reinigung von Aussatz als eine konkrete Krankenheilung (wohl beispielhaft) genannt wird, und nicht eine der anderen Krankenheilungen Jesu, etwa Blindheit, Lähmung oder Blutfluss.

6. Die bedeutendste Passage zu Funktion und theologischer Bedeutung der Geisteraustreibungen Jesu ist die Beelzebul-Kontroverse Mt 12,22-37.36 Auf die Geisteraustreibung und die Heilung eines Blinden und Stummen durch Jesus (V.22) reagiert das Volk mit Erstaunen und mit der Frage, ob Jesus der „Sohn Davids“ sei (V.23). Die Pharisäer hingegen reagieren mit dem Vorwurf, er habe die Dämonen „durch Beelzebul, den Obersten der Dämonen“ ausgetrieben (V.24: ἐν τῷ Βεελζεβοὺλ ἄρχοντι τῶν δαιμονίων), womit sie ihren Vorwurf aus Mt 9,34 wiederholen (vgl. auch Mt 10,25). Jesus antwortet darauf mit fünf Gedanken: a) Mit dem logischen Einwand, dass das Reich Satans sich dann selbst zerstören würde (V.25-26). b) Mit der kritischen (argumentum ad hominem) Rückfrage, ob ihre „Söhne“, die ebenfalls Exorzismen durchführen, dies dann nicht ebenso durch den Beelzebul tun würden (V.27). c) Im ersten Teil von V.28 korrigiert er ihren Vorwurf: er treibe die Dämonen stattdessen „durch den Geist Gottes“ (ἐν πνεύματι θεοῦ) aus. Im zweiten Teil ergänzt er, was ein solcher Exorzismus bedeute: ἄρα ἔφθασεν ἐφ᾽ ὑμᾶς ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ.37 d) In V.29 erklärt er, wie die Austreibung der Dämonen möglich ist: der „Starke“ (τὸν ἰσχυρόν) eines Hauses wird gebunden, so dass sein Hausrat ungestört geraubt werden kann. e) In V.31f greift Jesus den Gedanken, dass er die Dämonen durch den Geist Gottes austreibe, auf und bewertet diese „Lästerung“ (V.31: βλασφημία) des Geistes und eine „Rede gegen den Heiligen Geist“ (V.32: εἴπῃ κατὰ τοῦ πνεύματος τοῦ ἁγίου) als nicht vergebbar (in V.31 und V.32 jeweils: οὐκ ἀφεθήσεται). Aus diesen fünf Gedanken lassen sich fünf Punkte herausgreifen und auslegen. Erstens spiegelt die Reaktion des Volkes eine Vorstellung wider, in der die Heilung von Kranken und Befreiung von Besessenen dem „Sohn Davids“ „zugetraut“ wurde. Zweitens treiben auch die „Söhne“ der Pharisäer Dämonen aus.38 Müsste man konsequenterweise nicht auch sie als „Söhne Davids“ bezeichnen? Jedenfalls treiben sie die Dämonen Jesus zufolge, ebenso wenig wie er selbst, „durch Beelzebul“ aus. Dafür spricht seine drohende Ankündigung, dass sie die Richter ihrer „Väter“ sein werden, wobei impliziert ist, dass sie sie dafür verurteilen werden. Doch daraus, dass sie in keinem Bündnis mit dem Teufel stehen, folgt nicht notwendigerweise, was Jesus für sich in Anspruch nimmt: das Reich Gottes zu bringen. Vielmehr betont Jesus in Mt 12,28 das Pronomen „ich“ (ἐγὼ ἐκβάλλω) im Gegensatz zum in 12,27 ebenfalls betonten Pronomen „sie“ (αὐτοὶ κριται; gemeint sind die „Söhne“ der Pharisäer). Weil aber die zwölf Jünger ebenso wie Jesus im Dienste des Reiches Gottes stehen, sind sie in gewisser Weise ebenfalls „Söhne Davids“. Drittens ist der als „Exorzismusregel“ bekannte Vers 28 der Kristallisationspunkt der Forschungsdebatte über die zeitliche Bestimmung des Gottesreich-Verständnisses Jesu (vgl. im Anhang [online], Exkurs 10). M.E. ist die Übersetzung des Verbs ἔφθασεν aus philologischer Sicht relativ eindeutig: es sollte „präsentisch“ mit „(zu jmd.) hingelangen“ (BA) oder mit „to happen to already, to come upon, to come upon already“ (LN) übersetzt werden.39 Die Entscheidung für die präsentische Übersetzung wird gestützt durch die sonstigen Vorkommen des Verbs im NT (Lk 11,20 [par zu Mt 12,28]; Rö 9,31; 2Kor 10,14; Phil 3,16; 1Thess 2,16; 4,15), die allesamt das tatsächliche Erreichen eines bestimmten Punktes (ob Zeitpunkt, Ort, Person oder ideeles Ziel) beschreiben.40 D.h.: Wenn also Jesus Dämonen austreibt, dann ist das Reich Gottes bereits zu ihnen gekommen (im Kontrast dazu bedeutet ἤγγικεν „nahe gekommen“). Diese Schlussfolgerung lässt sich ohne Einschränkung auf 10,8d übertragen! Viertens „bindet“ Jesus (= der Eindringling) durch den Heiligen Geist den Obersten der Dämonen (= der Starke, Hausherr) und kann deswegen die Dämonen austreiben (= Hausrat rauben).41 Weil in V.25 das Reich, die Stadt und das Haus parallelisiert werden, und weil in V.26 Satans Reich ausdrücklich genannt wird, lässt sich daraus ableiten, dass das Bild vom Haus Satans in V.27 durch das Bild vom Reich Satans ausgetauscht werden kann. Dadurch wiederum erklärt sich die Verbindung zwischen V.28 und V.29: Satans Reich steht im Kontrast zu Gottes Reich! Einerseits ist Satan durch / bei Jesu Exorzismen „gebunden“ (worden), andererseits findet die Vernichtung Satans und der Dämonen erst bei der Vollendung des Zeitalters statt (vgl. 13,24-30.36-43). Auf diese Spannung geht auch 8,29 ein, einem weiteren, wenn auch indirekten, Beleg für die Gegenwart des Reiches Gottes in den Exorzismen Jesu: „Was haben wir mit dir zu schaffen, Sohn Gottes? Bist du hierhergekommen, uns vor der Zeit zu quälen?“ (τί ἡμῖν καὶ σοί, υἱὲ τοῦ θεοῦ; ἦλθες ὧδε πρὸ καιροῦ βασανίσαι ἡμᾶς;).42 Diese Spannung ist am Besten in zwei Zeitstufen aufzulösen: Jesus hat zwar Satan besiegt und gebunden, aber er wird erst in Zukunft endgültig vernichtet werden.43 Mit Jesus hat das Ende der Welt begonnen. Die Exorzismen beschreiben also Jesu kosmischen Kampf mit Satan, der mit Jesu Sieg endet (vgl. z.B. 4,1-11). Die Exorzismen sind also nicht nur Illustrationen der Botschaft, dass das Reich Satans gefallen ist, sondern sie selbst konstituieren den Fall Satans. So auch Twelftree: „In short, in themselves the exorcisms of Jesus are the kingdom of God in operation.“44 [Kursiv im Original]. Dieser vierte Punkt zu 12,29 bedeutet für die Zwölf: Durch ihre Exorzismen schaden sie Satans Reich und „bauen“ gleichzeitig Gottes Reich auf. Sie nehmen durch ihre Exorzismen teil am Sieg, den Jesus über Satan bereits errungen hat.45 Auf diese Weise verweisen sie voraus auf eine zukünftige Zeit.46 Fünftens: Weil sowohl Jesus als auch die Zwölf durch den Geist Gottes Dämonen austreiben, ist eine falsche Beurteilung ihrer Wundertaten (etwa als „durch den Obersten der Dämonen“ geschehen), besonders prekär, da dies eine Lästerung des Geistes wäre, die niemals vergeben werden kann (12,31-32).47 Das würde das harte Urteil über diejenigen, die die zwölf Missionare ablehnen, erklären (10,13-39).

7. In V.8b fordert Jesus seine zwölf Jünger auf, Tote zu erwecken (νεκροὺς ἐγείρετε). Damit ist die „Wiederbelebung“ eines gestorbenen Menschen gemeint (nicht nur im „seelischen“ bzw. „geistlichen“ Sinne, vgl. das Wortspiel in 8,22), den man damit in das gegenwärtig-irdische Leben „zurückholt“,48 woraus wiederum folgt, dass er u.U. erneut sterben wird.49 Von einer solchen Totenerweckung ist im MtEv an folgenden Stellen die Rede: in 9,18f23-25 in Bezug auf die Tochter des Vorstehers;50 in 11,5 in Bezug auf unbestimmte Personen; in 14,2 in Bezug auf den Täufer und Jesus (sie werden verwechselt); in 27,52 in Bezug auf „entschlafene Heilige“; und in 16,21; 17,9.23; 20,19; 26,32; 27,63f; 28,6f (hierzu zählen auch 12,39f und 16,4) in Bezug auf Jesus. Die Totenerweckung erscheint als die spektakulärste von allen vier Wundertaten in V.8a-d. Ohne eine besondere „übermenschliche Vollmacht“ ist es für einen sterblichen Menschen nicht möglich, andere zum Leben wiederzuerwecken. Obwohl V.1 davon nicht berichtet, kann man davon ausgehen, dass den zwölf Jüngern eine Vollmacht gegeben ist, die auch zu dieser Wundertat befähigt. Diese besondere Fähigkeit teilen die Zwölf mit Elia und Elisa, zwei herausragenden Propheten des AT (1Kö 17,17-24; 2Kö 4,18-37; s.o. zur Parallele durch Reinigung von Aussatz).51 Auf die Parallelität zu Jesu Vollmacht, Tote zu erwecken, wurde bereits hingewiesen (s.o.). Und was zu der Bedeutung von Krankenheilungen im Zusammenhang von 11,2-6 gesagt wurde, gilt auch für die Totenerweckung in 11,5 (s.o.): sie weisen Jesus als den Kommenden aus (vgl. Jes 25,8; 26,19). Auffallend ist in 11,5 die Pluralform νεκροὶ ἐγείρονται, weil im näheren Kontext nur Mt 9,25 von einer Totenerweckung berichtet. Könnte man daraus ableiten, dass die Umsetzung des Auftrags durch die Zwölf in 10,8b vorausgesetzt wird?52 Dass sowohl in 9,24 als auch in 27,52 von den Toten als von den Schlafenden die Rede ist (9,24: καθεύδει, 27,53: κεκοιμημένων) kann als euphemistischer Sprachgebrauch gedeutet werden. Allerdings wird durch diese Begriffswahl auf eine Ähnlichkeit verwiesen zwischen dem Aufwachen / Aufstehen nach dem Schlaf einerseits und dem Auferwecken nach dem Tod andererseits. D.h.: das Bild vom Schlaf eignet sich, um den Gedanken von der Auferstehung vom Tod zu vermitteln. Aus Jesu Perspektive ist es so, als würde die tote Tochter des Vorstehers schlafen, da er sie so vom Tode auferwecken kann, wie er sie aus dem Schlaf aufwecken würde.53 Doch für das Verständnis des Auftrags an die Zwölf, Tote zu erwecken, dürfte Jesu eigener Tod und seine eigene Auferstehung besonders relevant sein. Jesus deutet seinen eigenen Tod als Vergebung der Sünden (1,21; 26,28), wobei der Gedanke eine zentrale Rolle spielt, dass Jesus „stellvertretend“ stirbt und dadurch einen (neuen) „Bund“ und (neues) Leben ermöglicht (vgl. zu 20,28: II,2.4.4.4; und zu 26,27f: II,3.3.2.3). Damit erklärt sich die Korrespondenz, erstens zwischen Jesu Tod und der (gleichzeitigen?) Auferweckung „vieler Leiber der entschlafenen Heiligen“ in 27,52 (πολλὰ σώματα τῶν κεκοιμημένων ἁγίων ἠγέρθησαν), und zweitens zwischen Jesu Auferstehung (vgl. 28,1ff) und dem anschließenden Verlassen der Grüfte durch die Auferweckten (27,53). Für das Verständnis des Zwölferkreises bedeutet das: Der aus 11,5 und Jes 26,19 abgeleitete Gedanke, dass die Totenerweckungen Zeichen und Manifestationen der messianischen Heilszeit sind, lässt sich ergänzen durch den Gedanken, dass der Messias die Totenerweckung erst möglich macht, indem er selbst anstelle der Menschen stirbt und auferweckt wird. Erwecken aber die Zwölf bereits während Jesu irdischer Zeit Tote, dann verweisen sie erstens auf Jesu Tod und Auferstehung sowie den damit verbundenen Sieg über Tod (und „Teufel“) und sie greifen zweitens die endzeitliche Auferstehung aller Menschen vorweg.