Die zwölf Jünger Jesu

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1.2.5 Mt 10,8e-10b: Die zwölf Jünger und ihr „minimalistischer“ Umgang mit materiellen Dingen
1.2.5.1 Übersetzung


V.8e: δωρεὰν ἐλάβετε,
Als Geschenk habt ihr es erhalten,
V.8f: δωρεὰν δότε.
als Geschenk gebt es weiter.
V.9: Μὴ κτήσησθε χρυσὸν μηδὲ ἄργυρον μηδὲ χαλκὸν εἰς τὰς ζώνας ὑμῶν,
Erlangt weder Gold noch Silber noch eine Kupfermünze in eure Gürtel,
V.10a: μὴ πήραν εἰς ὁδὸν μηδὲ δύο χιτῶνας μηδὲ ὑποδήματα μηδὲ ῥάβδον·
weder eine Tasche auf den Weg noch zwei Unterkleider noch Sandalen noch
einen Stab.
V.10b: ἄξιος γὰρ ὁ ἐργάτης τῆς τροφῆς αὐτοῦ.
denn ein Arbeiter ist seiner Nahrung wert.

1.2.5.2 Literarischer Kontext

Weil V.8e-10b Bestandteil der Passage V.5-15 sind, stehen Jesu Anweisungen zum Umgang mit materiellen Dingen (auch als „Ausrüstungsregel“ bekannt) im Zusammenhang der Missionstätigkeit der Jünger. Zuvor in V.5b-6 hatte Jesus sie dazu beauftragt, zu den verlorenen Israeliten zu gehen, und in V.7-8d hatte er ihnen ihre dortigen Aufgaben genannt. Im nachfolgenden Abschnitt V.11-15 wird er ihnen sagen, wie sie in Israels Städten und Dörfern reagieren sollen, wenn jemand ihnen gegenüber positiv oder negativ eingestellt ist.

1.2.5.3 Aufbau

V.8e-f leitet von V.7-8d über zu V.9-10b: Das fehlende Objekt, das die Zwölf empfangen haben und nun weitergeben sollen, ist in erster Linie mit den im vorangegangenen Abschnitt V.7-8d aufgelisteten Aufgaben zu identifizieren. V.8e-f leitet das Thema „Umgang mit materiellen Dingen im Zusammenhang ihrer Missionstätigkeit“ ein, das V.9-10b weiterführt, so dass die Proposition V.8f evtl. – je nach Deutung von V.9-10a – einer Überschrift gleich käme.1 V.10b begründet nicht nur die Aufforderung in V.9-10a, sondern leitet auch zu V.11-13a über: V.11-13a macht mit seiner Rede von der gastfreundlichen Aufnahme konkret, welcher Art die Ernährung des Arbeiters aussehen und von wem sie ausgehen könnte.

1.2.5.4 Kommentar und Analyse

V.8e-f. δωρεὰν ἐλάβετε, δωρεὰν δότε gleicht einem kurzen Sprichwort, das aus zwei Teilen besteht: beide Propositionen beginnen mit δωρεάν (Gemination), worauf jeweils ein Verb folgt, in V.8e λαμβάνω und in V.8f δίδωμι, die wiederum semantisch zusammengehören (erhalten – geben). V.8e und V.8f stehen auch inhaltlich-logisch in einem analogen Verhältnis zueinander. Die in V.8e mit ἐλάβετε festgestellte Handlung bildet den Grund für die Aufforderung in V.8f, in einer bestimmten Weise zu handeln (δότε): weil sie etwas als Geschenk empfangen haben, deswegen sollen sie es auch als Geschenk geben. In V.8e-f wird also eine dreigliedrige Kette beschrieben, wobei die adressierten zwölf Jünger das Bindeglied bilden: eine Person hat ihnen etwas geschenkt, was sie nun anderen Personen (weiter-) schenken sollen. Sowohl das hervorgehobene δωρεάν als auch die folgenden Propositionen V.9-10b zeigen, dass der Schwerpunkt auf der Art und Weise der Weitergabe des Erhaltenen liegt, nämlich „als Geschenk“ bzw. „geschenkweise“.1

Im Folgenden soll geklärt werden, was die genaue Identität der „Gabe“ ist und was das für das Verständnis von V.8e-f bedeutet. Erstens: V.8e verweist zurück auf V.8a-d und V.8a-d wiederum ist teilweise parallel zu V.1.2 D.h.: Die Zwölf können ihre Aufgaben, die in V.1.8a-d aufgelistet werden, nur ausführen, weil Jesus sie zuvor zu sich gerufen und ihnen dann die dafür benötigte ἐξουσία „gegeben“ hatte (V.1; ebenfalls δίδωμι). Weil es also eine Vollmacht „von außen“ bzw. „von oben“ ist, die die Zwölf zu den in V.1.8a-d aufgelisteten Taten befähigt, diese Taten also nicht auf sie selbst und ihre eigene Leistung zurückgehen, haben sie laut V.8f keinerlei Anspruch auf irgendeine Form von Gegenleistung,3 sie sollen es vielmehr geschenkweise tun. Zweitens: Vermutlich verweist V.8e nicht nur auf V.8a-d, sondern darüber hinaus auch auf V.7a-c und die dort genannte Aufgabe, das nahegekommene Himmelreich zu predigen.4 Das ist besonders plausibel, weil V.7b-8d eine Einheit bilden, da sie die konkreten Aufgaben ihres Missionsauftrags wiedergeben. Verweist aber V.8e tatsächlich auch auf die Predigtaufgabe in V.7b-c, dann wäre den Zwölf genau genommen nicht das Himmelreich an sich, sondern sowohl die Lehre vom Himmelreich als auch das Verständnis dieser Lehre „gegeben“ worden, woraus wiederum ihre Fähigkeit resultiert, das Himmelreich zu predigen. Auch hier wären Jesus bzw. sein Vater als Geber dieser Gabe zu identifizieren (vgl. 10,27; 11,25; 13,10-17, hier v.a. V.11 [2x δίδωμι]). Ist aber hier in V.8e-f tatsächlich auch die Lehre bzw. Predigt vom Himmelreich im Blick, dann wird damit (fast nebenbei) darauf hingewiesen, dass Jesus von seinen zwölf Jüngern für seine „Lehre“ keine Bezahlung entgegen genommen hat.5 Und drittens: Unwahrscheinlich ist, dass V.8e sich auch auf die Aufgabe in V.5b-7a bezieht, zu den verlorenen Israeliten hinzugehen.6 Denn die Vorstellung, dass die Zwölf ihren Missionsauftrag „als Geschenk“ erhalten hätten und nun (den erfolgreich missionierten Menschen) Jesu Missionsauftrag „als Geschenk“ weitergeben, ergibt wenig Sinn. Sowohl in V.8e-f als auch in näheren Kontext ist ausschließlich ihre eigene Missionstätigkeit im Blick.

V.9-10a. Μὴ κτήσησθε χρυσὸν μηδὲ ἄργυρον μηδὲ χαλκὸν εἰς τὰς ζώνας ὑμῶν, μὴ πήραν εἰς ὁδὸν μηδὲ δύο χιτῶνας μηδὲ ὑποδήματα μηδὲ ῥάβδον·. In V.9 und V.10a gibt es mit κτήσησθε nur ein Verb (Konj. Aor. κτάομαι). BA übersetzt κτάομαι mit „erwerben, gewinnen, erlangen“, und speziell in Mt 10,9 mit „Gold gewinnen (, um es) in die Gürtel hinein (-zustecken)“ [Kursiv im Original].7 Und LN übersetzt κτάομαι mit „to get, to acquire, to gain“. LN zitiert und übersetzt Mt 10,9: „do not acquire gold, silver or bronze“.8 Dem Prädikat κτήσησθε zugeordnet sind in V.9 mit (1) Μὴ […] χρυσὸν, (2) μηδὲ ἄργυρον und (3) μηδὲ χαλκὸν und in V.10a mit (4) μὴ πήραν, (5) μηδὲ δύο χιτῶνας, (6) μηδὲ ὑποδήματα und (7) μηδὲ ῥάβδον insgesamt sieben verneinte Akkusativobjekte. Während die lokale Umstandsangabe εἰς τὰς ζώνας ὑμῶν am Ende von V.9 steht, steht die lokale Umstandsangabe εἰς ὁδόν am Anfang von V.10a. Die ersten drei Akkusativobjekte sind drei Werteinheiten, die in einer im Wert abnehmenden Reihenfolge aufgelistet sind: zuerst Gold (χρυσός), dann Silber (ἄργυρος) und schließlich Kupfermünze (χαλκός).9 Demnach sollen die Zwölf keinerlei Werteinheiten bzw. Zahlungsmittel „erwerben, gewinnen, erlangen“ (BA) und sie dann – zur (sicheren) Aufbewahrung – „in ihre Gürtel“ (εἰς τὰς ζώνας ὑμῶν) stecken. Und die folgenden vier Akkusativobjekte sind vier verschiedene „Kleidungsstücke“,10 deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie zum kulturspezifisch-üblichen Reisegepäck gehören:11 zuerst eine Tasche (πήρα),12 dann zwei bzw. ein zweites Unterkleid (χιτών), dann ein Paar Sandalen (ὑπόδημα), und schließlich ein Stab (ῥάβδος). Diese Kleidungsstücke sollen die Zwölf nicht „erwerben, gewinnen, erlangen“ (BA) und mit „auf den Weg“ (εἰς ὁδόν) nehmen.

Doch bezieht sich Jesu Verbot in V.9-10a auf die Zeitphase vor der Abreise, auf die Zeitphase während der Reise oder auf beide Zeitphasen? Ist die Vorbereitung auf die Reise im Blick, dann könnte in V.9 ihr eigenes Geld gemeint sein, welches sie „zu Hause“ lassen sollen. Ist aber die Reise im Blick, dann könnte in V.9 das Geld anderer Menschen gemeint sein, welches sie, etwa als Bezahlung für bestimmte Leistungen, möglicherweise ablehnen sollen.13 Sowohl in V.7a-8d und V.8e-f (s.o.) als auch in V.10b (s.u.) ist sicherlich die Zeitphase während der Reise im Blick (vgl. v.a. V.7a). Aber in V.10a ist vermutlich die Zeitphase vor der Reise im Blick, weil insbesondere die genannten Kleidungsstücke normalerweise in Vorbereitung auf eine Reise gepackt (vgl. insbesondere εἰς ὁδόν) und gerade nicht während einer Reise – etwa als Tauschwert für Geld oder als Gegenleistung für bestimmte Leistungen – erworben werden.14 Löst man V.9 von seinen benachbarten Propositionen, dann könnten beide Zeitphasen im Blick sein, weil das Verb κτάομαι relativ allgemein ist (zu κτάομαι s.o.). Welches Gewicht haben aber die unmittelbar vorangehenden Propositionen V.8e-f für das Verständnis von V.9? Und welches Gewicht hat die unmittelbar folgende Proposition V.10a für das Verständnis von V.9, die doch beide eine Einheit bilden? Man sollte der Einheit von V.9-10a ein großes Gewicht beimessen. Demnach dürfte es wahrscheinlicher sein, dass beide Propositionen, die ja nur ein einziges gemeinsames Verb haben, dieselbe Zeitphase beschreiben. D.h.: man könnte von V.10a ableiten, dass auch V.9 die Zeitphase vor der Missionsreise im Blick hat. Demnach sollen die Zwölf laut V.9-10a nicht materiell für ihre Missionsreise vorsorgen. Doch daraus folgt, dass sie während ihrer Missionsreise ohne die erwähnten Wertgegenstände und Kleidungstücke auskommen müssen.15 Demzufolge kann die Proposition V.8f kein allgemeines Prinzip sein, das in V.9-10b konkretisiert wird. Denn während Jesus den Jüngern in V.8f verbietet, von den Empfängern ihrer Wohltaten Gegenleistungen einzufordern, verbietet Jesus ihnen in V.9-10a sich selbst für (und während) der Missionsreise materiell auszustatten.16 In beiden Fällen verbietet Jesus den Jüngern, sich selbst zu versorgen, sei es durch fremde, sei es durch eigene „Quellen“ materiellen Besitzes.

 

Es ist nicht eindeutig, worauf sich genau das Verbot Μὴ κτήσησθε im Zusammenhang mit den genannten sieben Objekten bezieht: dürfen sie die genannten Dinge nicht mit auf die Missionsreise nehmen, um sie dann zu „tragen“ (im doppelten Sinne „tragen“: das Geld bei sich tragen, und die Kleidungsstücke am Leib tragen)? Oder dürfen sie die genannten Dinge nicht zusätzlich zu ihrer alltäglichen Ausstattung mit auf die Missionsreise nehmen?17 In der zweiten Deutung dürften sie nichts speziell für die Reise einpacken, sondern sie sollen so losreisen wie sie gerade ausgestattet sind, also kein Geld, keine (Nahrungs-) Tasche, kein zweites Unterhemd, keine oder kein zweites Paar (dazu gleich mehr) Sandalen und keinen Stab zusätzlich mitnehmen. Dabei kann offen bleiben, ob sie zumindest einige dieser Dinge käuflich erwerben müssten.18 In dieser zweiten Deutung bereitet die Erwähnung der Sandalen Schwierigkeiten. Gingen die Jünger (so wie ihre Zeitgenossen) normalerweise barfuß? Oder muss man das so deuten, dass sie kein zweites Paar einpacken sollten? Letzteres ergibt wenig Sinn, denn aus welchem Grund sollte man für eine Reise ein zweites Paar Sandalen einpacken?19 Außerdem ist es grammatisch unwahrscheinlich, dass δύο sich nicht nur auf χιτῶνας, sondern auch auf ὑποδήματα bezieht.20 Insgesamt spricht etwas mehr für die erste Deutung, dass die Zwölf die genannten Dinge nicht mitnehmen durften, d.h. sie wären mit nur einem Unterkleid und sogar ohne Fußbekleidung unterwegs.21 Fehlende Fußbekleidung ist ein Zeichen von besonders ausgeprägter Armut (vgl. Lk 15,22) oder von Trauer (vgl. z.B. Hes 24,17.23; 2Sam 15,30).22

V.10b. ἄξιος γὰρ ὁ ἐργάτης τῆς τροφῆς αὐτοῦ ist ein Sprichwort, das eine allgemeine „Regel“ aus der Arbeitswelt darstellt. Es hat losgelöst von einem bestimmten Anwendungskontext in etwa folgenden Sinn: Ein Arbeiter hat es verdient, für seine Arbeitsleistung eine Gegenleistung zu erhalten.23 Dabei ist gewiss mitgedacht, dass Arbeit und Entlohnung in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen sollten.24 Allerdings wird dieses Sprichwort hier in einen bestimmten Kontext gestellt.25 Die kausale Konjunktion γάρ zeigt an, dass das Sprichwort in V.10b zuallererst Jesu Aufforderung in V.9-10a und dann evtl. auch Jesu Aufforderung in V.8f begründet (zum Verhältnis zwischen V.8e-f und V.10b s.u.). Weil V.10b Jesu Aufforderung in V.9-10a begründet, sind die in V.9-10a angesprochenen zwölf Jünger als „Arbeiter“ (ὁ ἐργάτης) zu identifizieren.26 Worin konkret ihre Arbeit besteht, wird durch den Zusammenhang 9,36-10,42 klar. Hierbei stechen als „Arbeitsbeschreibung“ zwei Stellen in besonderer Weise hervor, erstens V.7a-8d (u.a. aufgrund der unmittelbaren Nähe) und zweitens 9,37f (v.a. aufgrund der Stichwortverbindung ἐργάτης).27 Das Adjektiv ἄξιος ist in Kombination mit dem Genitivobjekt (zweiten Grades) τῆς τροφῆς αὐτοῦ (genitivus pretii) Subjektsergänzung zum Subjekt ὁ ἐργάτης: ein Arbeiter ist seiner Nahrung „wert“ bzw. „würdig“.28 Zwar kommt ἄξιος im nachfolgenden Abschnitt V.11-15 sogar drei Male vor, allerdings wird damit das „Wert-“ bzw. „Würdig-Sein“ der Stadt- und Dorfbewohner (V.11: ἄξιος) und der Hausbewohner (V.13[2x]: ἄξιος) bezeichnet. In V.10b hingegen bezieht sich ἄξιος auf die in V.5b-10a angesprochenen zwölf Jünger.29 Demnach wird der Arbeitseinsatz der zwölf Jünger, der soeben unter ὁ ἐργάτης näher erläutert wurde, gewürdigt und wertgeschätzt. Die Zwölf haben sich ihre Nahrung „verdient“.30 Die verdiente Gegenleistung ist laut V.10b „Nahrung“ (τροφή). Doch als Bestandteil eines Sprichwortes, das gattungsgemäß vielseitig anwendbar ist, wird vermutlich der konkrete Begriff „Nahrung“ anstelle der abstrakten Begriffe „Lohn“ oder „Gegenleistung“ gebraucht (concretum pro abstracta).31 Im Zusammenhang von V.9-10a bedeutet das Sprichwort V.10b, dass die zwölf Jünger sich, in Vorbereitung auf ihre Missionsreise, nicht selbst materiell versorgen sollen, weil sie für ihre Arbeit „entlohnt“ werden. Gemäß dieser kausalen Verknüpfung sollen sich die zwölf Jünger auf einen „irdischen“ Lohn verlassen.32 Aus dem Begriff „Nahrung“ in V.10b sowie aus der Liste in V.9-10a lässt sich ableiten, dass sie mit dem Lebensnotwendigen versorgt werden sollten. Aufgrund des Stichwortes „Nahrung“ (τροφή) in V.10b und der erstplatzierten (Nahrungs-) Tasche (πήρα) in V.10a lässt sich hierbei zunächst an die Versorgung mit Nahrung denken, dann aufgrund der zweit- und drittplatzierten Kleidung (Unterkleider [χιτών] und Sandalen [ὑπόδημα]) an die Versorgung mit (Wechsel-) Kleidung, und schließlich aufgrund des viertplatzierten Stabs (ῥάβδος) an eine allgemeine praktische Unterstützung auf dem Reiseweg33 und an Schutz (vor angreifenden Menschen und Tieren).34 Weil V.10b zum Abschnitt V.11-15 überleitet, kann man die in V.9-10a genannten versorgenden Maßnahmen einerseits der Aufnahme in die Häuser zuordnen (vgl. außerdem in 10,40-42).35 Andererseits zeigen insbesondere die Elemente Tasche, Sandalen und Stab, dass sich diese Maßnahmen nicht auf die Häuser beschränken, sondern auch für die Reisen von Ort zu Ort gelten dürften.36 Welche Personen sie in diesem Teil ihrer Missionsreise unterstützen, bleibt allerdings offen. Es ist vorstellbar, dass zu diesem Unterstützerkreis auch die Bewohner der Städte und Häuser gehören, von denen sie zuvor aufgenommen worden waren.37

Im Folgenden soll kurz das Verhältnis von V.10b und V.8e-f angesprochen werden. Stehen beide Propositionen nicht in einer Spannung zueinander, wenn V.8e-f einerseits dazu auffordert die „Gabe“ geschenkweise zu geben, und wenn V.10b andererseits einen Lohn für die Arbeit verheißt? Einige Neutestamentler meinen, dass der Redaktor das ihm vorgegebene Wort μισθός durch τροφή ersetzt habe und somit sich die vermeintliche Spannung zwischen V.8f und V.10b auflöse. Denn die Apostel dürften zwar Nahrung, aber keinen (monetären) Lohn erhalten.38 Dazu lässt sich anmerken: Erstens: Es ist fraglich, ob in V.8e-f speziell Geld und in V.10b speziell Essen gemeint ist. In welchem Bezug stünde dann V.10b zu V.9-10a und zu V.11-13a, wenn tatsächlich Nahrung im wörtlichen Sinne gemeint wäre? Müsste man dann nicht auch die Gewährung einer Unterkunft oder etwa die Ausstattung mit frischer Kleidung ausschließen? Und täte man dies nicht, mit welcher Begründung schließt man dann allein Geld in V. 8e-f und V.9 aus? Sowohl in V.8e-f als auch in V.10b ist vielmehr eine „Gegenleistung“ im allgemeinen Sinne gemeint. Zweitens: Das allgemeine δωρεάν in V.8e-f sowie das damit verbundene Objekt der Gabe (also die oben aufgelisteten „Aufgaben“) sprechen dafür, dass die Zwölf ihre Gaben als wirkliche „Geschenke“ geben sollen. Das führt zu einer plausibleren Auflösung der Spannung: Die Zwölf sollen ihre Arbeit geschenkweise tun, d.h. ohne irgendeine Gegenleistung einzufordern bzw. zur Bedingung zu machen. Das aber bedeutet nicht, dass sie jede Gegenleistung grundsätzlich ablehnen sollen.39 Denn auf der anderen Seite des Verbotes, eine Gegenleistung einzufordern, steht das Gebot zur Gegenleistung bzw. die Pflicht zur Unterstützung (etwa in Form von Gastfreundschaft; vgl. den Anreiz durch Lohn in V.40-42 usw.). Demnach konnten die Zwölf durchaus mit einer Gegenleistung rechnen.

Abschließend soll der Frage nachgegangen werden, welchen Grund – und damit verbunden: welchen Zweck – Jesu Anweisungen zur Ausrüstung der zwölf Jünger haben. Den ersten Grund nennt V.8e: weil Jesus es ihnen geschenkt hat. Dahinter steht das ethische Prinzip der imitatio Christi bzw. der imitatio Dei: die zwölf Jünger sollen es Jesus bzw. Gott gleichtun, nämlich freigebig, großzügig und gütig handeln.40 Dadurch imitieren sie nicht nur Gottes „Wesen“ im Allgemeinen, sondern auch das Wesen seines Himmelreichs im Speziellen.41 Den zweiten Grund für Jesu Anweisungen zur Ausrüstung nennt V.10b: Weil die zwölf Jünger wegen ihrer missionarischen Arbeit es verdient haben, von anderen Menschen mit dem Lebensnotwendigen versorgt zu werden. Mitgedacht ist, dass nur diejenigen Menschen die zwölf Jünger versorgen werden, die sie als Gottes Boten (an-) erkennen. Damit hängt ein dritter Grund zusammen: Der eigentliche Arbeit- und Auftraggeber der zwölf Jünger ist Gott selbst, der sich um seine Arbeiter kümmert. Im Zusammenhang dieser dritten Begründung ist die Parallele vom Sorgen-Machen (Mt 6,24-34) beachtlich: die Jünger sollen nach Gottes Reich und seiner Gerechtigkeit trachten (6,33) und sich nicht um das Lebensnotwendige (konkret: Nahrung und Kleidung. Parallel zur [Nahrungs-] Tasche, zum zweiten Unterhemd und zu den Sandalen in 10,10a) sorgen, weil Gott sie damit versorgen wird (vgl. dazu auch Mt 4,3f11). Auf 10,8e-10b lässt sich der Gedanke übertragen, dass im Verzicht auf die selbstständige materielle Versorgung ihre völlige Hingabe zu sowie ihr Vertrauen auf Gott, aber auch ihre völlige Abhängigkeit von ihm sichtbar werden.42 Diese „Radikalität“ entspricht den Berufungen der Jünger in eine „radikale“ Nachfolge Jesu (vgl. 4,18-22; 8,19-22; 9,9-13; 19,16-30): sie sollen unmittelbar und kompromisslos das bisherige Leben – d.h. Familie, Heimat, Beruf und Besitz – aufgeben, um dem umherwandernden Jesus „nachzufolgen“43 und mit ihm eine neue „geistliche“ Familie zu bilden (vgl. 12,46-50). An dieser Stelle ist der Verzicht auf Besitz besonders bemerkenswert (vgl. z.B. 10,9 mit 19,21). Mt 19,21 und 6,19-21 nennen zwei konkrete Gründe für den Besitzverzicht: auf diese Weise erwerben sich die Jünger einen himmlischen Schatz, und sie zeigen dadurch wo ihr Herz ist (vgl. 4,3f; 6,33).44 Weitere wichtige Parallelstellen dazu sind Jesu Aufforderungen zur Wehrlosigkeit bzw. zur Friedfertigkeit, v.a. in 5,9.38-48, dann aber beispielsweise auch in 26,51-53 (parallel zum Verzicht auf den Stab [zwecks Gefahren-Abwehr]). Jesus fordert von seinen Jüngern eine Nachfolge, die bis zur möglichen Aufgabe des eigenen Lebens geht (vgl. 10,38f; 16,24-28), was angesichts der feindlich gesinnten Umgebung und angesichts Jesu drohender Tötung keine hypothetische Option ist (vgl. 10,16-39, bes. V.38f; 16,24-28).45 Die Jünger leben also ganz für Gott und seine Botschaft. Und am Ende wehrt auch Jesus sich nicht gegen seine Feinde (vgl. 26,51-53), was zu seiner Tötung führt. Er aber ist ihr Lehrer und Vorbild, dem es nachzueifern gilt (imitatio Christi).

Verbindet man Mt 10,8e-10b mit Jesu Wort vom Sorgen 6,24-34 und mit den Berufungserzählungen 4,18-22; 8,19-22; 9,9-13; 19,16-30, dann werden Parallelen zu atl Propheten sichtbar, v.a. zu Elia und Elisa.46 Die Ausstattung der Zwölf ist derart minimal, dass sie die Aufmerksamkeit der bereisten Orte wecken müssten.47 Demzufolge sollen die Zwölf wie Propheten auftreten, die in Gottes Auftrag agieren und unter seinem Schutz stehen. Von der Parallele zu atl Propheten ausgehend lässt sich erwägen, ob die desolate Lage der zwölf Jünger während ihrer Missionstätigkeit auch eine „prophetische Zeichenhandlung“ war.48 Ihr „elendiges“ Erscheinungsbild könnte ein prophetisches Zeichen für Gottes Gericht oder für Trauer oder für Buße sein (vgl. Jes 20,2-4; Jer 2,25). Allerdings wird diese Vorstellung dadurch relativiert, dass die Botschaft der Zwölf Heil und Unheil umfasst, und zweitens, dass Besitzlosigkeit die Jesusjüngerschaft allgemein charakterisierte, also keine einmalige symbolische Aktion war. Obwohl insbesondere der Aspekt der Buße nicht ganz von der Hand zu weisen ist, vermittelt das Erscheinungsbild der Zwölf in erster Linie die Botschaft, dass sie von Gott gesandt und abhängig sind, weswegen die Menschen gut daran tun, die Zwölf ernstzunehmen, aufzunehmen und zu versorgen.

Die nachfolgend angesprochenen Begründungsversuche sind m.E. mehr oder weniger plausibel, lassen sich aber weder durch Mt 10,8e-10b noch durch den näheren textuellen Zusammenhang eindeutig belegen. Erstens. Man darf aus mBer 9,5 wegen fehlender Parallelität nicht ableiten, dass die äußere Erscheinung der zwölf Apostel die Begegnung mit Gottes Heiligkeit ausdrücke und sie wie Anbetende aussähen.49 Zweitens. Ebensowenig überzeugend ist der pragmatische Begründungsversuch, dass damit die Ausführung des Missionsauftrags beschleunigt werden solle (im Sinne von: keinen unnötigen Ballast mitschleppen),50 denn gerade das Angewiesen-Sein auf äußere Hilfe wirkt verlangsamend. Drittens. Nicht unplausibel, aber dennoch etwas spekulativ wirkt die Begründung, dass der mt Jesus mit V.8e-10b einer falschen Motivation zur Missionsarbeit entgegenwirken wolle, z.B. der Gefahr der Habgier. Viertens. Damit hängt der Begründungsversuch zusammen, dass Jesus mit V.8e-10b vermeiden möchte, dass die Botschaft vom Himmelreich einen schlechten Ruf erhalten könnte und infolgedessen Menschen die Botschaft nicht annehmen würden, etwa wegen korrupter Missionare.51 Fünftens. Laut Park solle damit das Betteln der Missionare vermieden werden (in Abgrenzung von kynischen Wanderpredigern).52 Sechstens. Schließlich ist auf einige Stellen in den Paulusbriefen zu verweisen, aus denen sich weitere mögliche Gründe ableiten ließen (v.a. 1Kor 9,1-18; 2Kor 11,7-15).53