Die zwölf Jünger Jesu

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1.2.6 Mt 10,11-15: Die zwölf Jünger als Überbringer des Friedens und des Strafgerichts
1.2.6.1 Übersetzung


V.11a: εἰς ἣν δ᾽ ἂν πόλιν ἢ κώμην εἰσέλθητε,
Wenn ihr in eine Stadt oder in ein Dorf hineingeht,
V.11b: ἐξετάσατε
findet heraus,
V.11c: τίς ἐν αὐτῇ ἄξιός ἐστιν·
wer in ihr würdig ist,
V.11d: κἀκεῖ μείνατε
und dort bleibt,
V.11e: ἕως ἂν ἐξέλθητε.
solange bis ihr hinausgeht.
V.12a: εἰσερχόμενοι δὲ εἰς τὴν οἰκίαν
Wenn ihr aber in das Haus hineingeht,
V.12b: ἀσπάσασθε αὐτήν·
grüßt es.
V.13a: καὶ ἐὰν μὲν ᾖ ἡ οἰκία ἀξία,
Und wenn das Haus würdig ist,
V.13b: ἐλθάτω ἡ εἰρήνη ὑμῶν ἐπ᾽ αὐτήν,
komme euer Friede auf es,
V.13c: ἐὰν δὲ μὴ ᾖ ἀξία,
Wenn es aber nicht würdig ist,
V.13d: ἡ εἰρήνη ὑμῶν πρὸς ὑμᾶς ἐπιστραφήτω.
kehre euer Friede zu euch zurück.
V.14a: καὶ ὃς ἂν μὴ δέξηται ὑμᾶς
Und wenn jemand euch nicht aufnimmt,
V.14b: μηδὲ ἀκούσῃ τοὺς λόγους ὑμῶν,
und eure Worte nicht (an-)hört,
V.14c: ἐξερχόμενοι ἔξω τῆς οἰκίας ἢ τῆς πόλεως ἐκείνης
wenn ihr aus jenem Haus oder jener Stadt hinausgeht,
V.14d: ἐκτινάξατε τὸν κονιορτὸν τῶν ποδῶν ὑμῶν.
schüttelt den Staub eurer Füße ab.
V.15a: ἀμὴν λέγω ὑμῖν,
Amen, ich sage euch:
V.15b: ἀνεκτότερον ἔσται γῇ Σοδόμων καὶ Γομόρρων ἐν ἡμέρᾳ κρίσεως ἢ τῇ
πόλει ἐκείνῃ.
Dem Land Sodoms und Gomorras wird es am Tag des Gerichts
erträglicher ergehen als jener Stadt.

1.2.6.2 Literarischer Kontext

V.11-15 ist der letzte Bestandteil des größeren Abschnitts V.5-15, in dem Jesus seinen zwölf Jüngern Handlungsanweisungen für ihre Missionstätigkeit gibt. V.11-15 fokussiert eine bestimmte zeitliche Phase und – damit einhergehend – einen bestimmten örtlichen Bereich, der für die Missionsreise eine entscheidende Bedeutung hat, nämlich die konkrete Begegnung mit den verlorenen Israeliten. Laut V.5b-6 sendet Jesus die zwölf Jünger dazu aus, zu den verlorenen Israeliten zu gehen (V.5f: μὴ ἀπέλθητε […] μὴ εἰσέλθητε […] πορεύεσθε δὲ μᾶλλον […]). V.7a-8d setzt die zeitliche Abfolge fort: wenn sie hingehen (V.7a πορευόμενοι; mitgedacht: und schließlich dort angekommen sind), sollen sie bestimmte Aufgaben erfüllen. V.8e-10b hingegen unterbricht (teilweise) die zeitliche Abfolge, weil zumindest V.10a die Zeitphase vor der Missionsreise im Blick hat. V.11-15 setzt wiederum, parallel zu V.7a-8d, chronologisch bei V.6 an: sie gehen erstens in eine Stadt oder in ein Dorf hinein (V.11a: εἰσέλθητε), zweitens bleiben sie dort (V.11d: μείνατε), um so und so zu handeln (v.a. V.12a-13d), und drittens gehen sie wieder aus den Häusern und der Stadt hinaus (V.11e: ἐξέλθητε; 14c: ἐξερχόμενοι), falls man sie dort ablehnen sollte. Dabei ist mitgedacht, dass sie daraufhin zur nächsten Stadt oder zum nächsten Dorf weiterziehen und dort ebenso verfahren sollen (vgl. V.6). Diese zeitliche Abfolge der Missionsreise wird in den Textblöcken nach V.5-15 nicht aufgegeben, sondern fortgeführt, wenn auch nur andeutungsweise. Darauf verweist insbesondere V.23, erstens mit seiner Erwähnung von der Flucht von einer Stadt in die nächste (vgl. V.11a; V.14c), und zweitens mit seiner Erwähnung vom Ziel, alle Städte Israels zu missionieren (vgl. v.a. V.6).1 Einerseits schließt V.11-15 den größeren Abschnitt V.5-15 ab, andererseits leitet V.11-15 über zu den ab V.16 folgenden Textabschnitten: Erstens leiten sowohl die Anweisungen für den Fall der Ablehnung in V.13c-14d als auch das Gerichtswort in V.15a-b über zur Verfolgungsthematik in V.16-39. Und zweitens wiederholen sich die Anweisungen für den Fall der Aufnahme in V.11a-13b in V.40-42. D.h., dass die Textblöcke V.16-39 und V.40-42 (in gewisser Weise) Konkretisierungen der Unterabschnitte V.11a-13b und V.13c-15b sind.2

1.2.6.3 Aufbau

Der Aufbau des Abschnitts V.11-15 lässt sich erstens inhaltlich, nämlich anhand der Ortschaften und anhand der Reaktionsweisen, und zweitens syntaktisch beschreiben. Zuerst zum Aufbau anhand bestimmter Orte: mit πόλις (V.11a; V.14c; V.15b), κώμη (V.11a) und οἰκία (V.12a; V.13a; V.14c) werden drei verschiedene Orte angegeben. V.11a-e. In V.11a sind πόλις und κώμη durch die disjunktive Konjunktion ἤ miteinander verbunden. Demnach stehen beide Ortsgrößen zur Auswahl. Damit ist gemeint, dass es ganz gleichgültig ist, ob die Zwölf in eine Stadt oder in ein Dorf kommen (vgl. 9,35; dazu s.u.). Daraus lässt sich ableiten, dass man auch bei den anderen beiden Vorkommen von πόλις in V.14c und V.15b gedanklich κώμη ergänzen kann. Auf ebendiese Ortsangabe πόλιν ἢ κώμην in V.11a verweist die lokale Angabe ἐν αὐτῇ in V.11c. κἀκεῖ in V.11d bezieht sich wahrscheinlich auf das konkrete Haus in dieser Ortschaft. Die semantisch benachbarten Verben εἰσέρχομαι in V.11a und ἐξέρχομαι V.11e bilden einen Rahmen. Dazu passt das dazwischen liegende Verb μένω in V.11d, denn nachdem man in einen Ort hineingeht und bevor man wieder aus ihm hinausgeht, bleibt man dort bzw. hält man sich darin auf.1 D.h., dass V.11a-e drei Schritte in chronologischer Abfolge beschreiben: Eingang, Aufenthalt und Ausgang. V.12a-13d. In V.12a und V.13a wird jeweils ausdrücklich οἰκία genannt. Auf οἰκία in V.12a verweist αὐτήν in V.13b zurück, auf οἰκία in V.13a verweisen erstens ἐπ᾽ αὐτήν in V.13b und zweitens das ausgelassene Subjekt in V.13c zurück. Weil aber V.13a-b und V.13c-d parallel sind (V.13a entspricht V.13c, und V.13b entspricht V.13d), gehören die Propositionen V.12a-13d zur Ortsangabe οἰκία und bilden somit eine Einheit. Von V.11a-e her lesend ist es naheliegend, dass das Haus aus V.12a-13d sich in der Stadt oder im Dorf aus V.11a-d befinden dürfte. Dafür spricht erstens der Wechsel von den größeren Ortsangaben Stadt oder Dorf hin zu der kleineren Ortsangabe Haus, zweitens der Wechsel vom allgemeinen Hineingehen, Verbleiben und Hinausgehen hin zum konkreteren Hineingehen, Grüßen, Kommen und wieder Zurückkommen des Friedens, und drittens der parallele Wortgebrauch von εἰσέρχομαι in V.11a und V.12a. Mit anderen Worten: von V.11a-e hin zu V.12a-13d verkleinert sich der Fokus. (V.12a-) V.14a-c. Am Verb εἰσέρχομαι zeigt sich aber ein Problem, den Aufbau angemessen zu bestimmen: Wie in V.11a und V.11e wäre in der Folge von εἰσέρχομαι in V.12a auch das Verb ἐξέρχομαι zu erwarten. Das kommt dann auch tatsächlich vor, nämlich ἐξερχόμενοι in V.14c. Demnach dürften V.12a und V.14c die dazwischen liegenden Propositionen V.12b-14b rahmen. Dafür spricht außerdem, dass in V.14c mit τῆς οἰκίας […] ἐκείνης wahrscheinlich das Haus aus V.12a-13d aufgegriffen wird.2 Daraus lässt sich ableiten, dass sich die in V.12b-14d thematisierten Situationen innerhalb eines Hauses abspielen müssten (analog zu V.11b-V.11c im Verhältnis zu den Rahmenteilen V.11a und V.11e). Diese Ableitung trifft einerseits zu, da sich die parallelen V.13a-b und V.13c-d in einem Haus verorten lassen. Diese Ableitung trifft andererseits nicht zu, da sich V.14a-d nicht ohne weiteres in einem Haus verorten lassen: Denn erstens thematisiert V.14a die ausbleibende Aufnahme, womit wahrscheinlich – zumindest auch – die Aufnahme in das Haus gemeint ist, wodurch eine Spannung zu V.12a entsteht. Und zweitens gehen sie laut V.14c auch aus „jener Stadt“ (τῆς πόλεως ἐκείνης) hinaus. Dieses Problem soll gleich wieder aufgegriffen werden. V.14c-15b. Die Ortsangabe „jene Stadt“ (τῇ πόλει ἐκείνῃ) in V.15b verweist auf V.14c zurück, und möglicherweise auch auf V.11a-e. Demnach bilden V.14c-15b eine Einheit. Zwischenfazit. Man kann festhalten, dass V.11a-e den größeren Ort Stadt (oder Dorf) fokussiert, V.12a-13d den kleineren Ort Haus, und V.14c-15b wieder den größeren Ort Stadt (evtl. auch das Dorf). Somit bildet die Stadt im ersten Teil V.11a-e sowie im letzten Teil V.14c-15b einen Rahmen, d.h. zum Ende hin wird der Fokus wieder geweitet. Lediglich die Zuordnung von V.14a-c ist problematisch. Nochmals zu V.14a-c. Weil in V.14c beide Orte, Haus und Stadt, angegeben werden, ist es eine textgemäße Auflösung der Spannung, wenn man nicht nur V.14c, sondern auch V.14a-b beiden Orten gleichermaßen zuordnet.3 Bedenkt man, dass das jeweilige Haus sich in der Stadt (oder in dem Dorf) befindet, dann verhalten sie sich folgendermaßen zueinander: Finden die zwölf Missionare kein würdiges Haus in einer Stadt, also niemanden, der sie aufnimmt (V.14a) und anhört (V.14b), so gehen sie aus der Stadt hinaus (V.14c) und rufen das Gericht über die ganze Stadt aus (V.14d).4

 

Zweitens lässt sich V.11-15 inhaltlich anhand der Reaktionsweisen untergliedern: anhand der Reaktionsweise der Menschen auf die Zwölf sowie anhand der Reaktionsweise der Zwölf auf vorherige Reaktion der Menschen. V.11a-13b. V.11a-13b thematisieren erstens die positive Reaktion der Menschen auf die Zwölf (sie werden in das würdige Haus aufgenommen; aus V.14b positiv ableitbar: ihre Worte werden angehört), und zweitens die positive Reaktion der Zwölf wiederum auf diese Reaktion der Menschen (sie gehen hinein in das würdige Haus, sie grüßen es, ihr Frieden komme über es; aus V.14b positiv ableitbar: sie reden bestimmte Worte). Auch V.11a-e thematisiert diese positiven Reaktionsweisen: denn die Aufforderung, dort zu verbleiben (V.11d), stellt in Aussicht, dass ihre Suche nach würdigen Bewohnern (V.11b-c) Erfolg haben könnte. Und selbst die Zeitangabe „bis ihr hinausgeht“ (V.11e) klingt für sich genommen in der Nachfolge von V.11a-c nicht negativ. Erst in der Rückschau von V.13c-15b her erhält das Hinausgehen eine negative Bedeutung. Nimmt man diese Gesamtperspektive ein, dann funktioniert V.11a-e nicht (nur) als erstes Rahmenelement, sondern (auch) als Überschrift zu V.12a-15b. V.13c-15b. Die Propositionen V.13c-15b thematisieren die negative Reaktion der Menschen auf die Zwölf, und die negative Reaktion der Zwölf wiederum auf diese Reaktion der Menschen (der Frieden kehre zurück, sie verlassen das Haus und die Stadt, sie schütteln den Staub ab). Allerdings wird die negative Reaktion der Zwölf in V.13d (der Frieden kehre zurück) auf ihre Ablehnung durch Jesu Gerichtswort in V.15a-b verstärkt. V.15a-b fällt nicht nur durch die formale Abweichung von V.11a-14d auf (s.o.), sondern auch durch die Einleitung mit einem Amen-Wort (V.15a) sowie mit Jesu Satz vom schlimm endenden Gerichtsurteil (V.15b). Mit dieser negativ-bedrohlichen Aussage beendet Jesus nicht nur den Abschnitt V.11-15 und damit auch den Textblock V.5-15, sondern er leitet damit auch zum folgenden großen Textblock V.16-39 über. In dieser Gliederungsweise bilden die parallelen V.13a-b und V.13c-d das Zentrum des Abschnitts V.11a-15b.

Darüber hinaus lässt sich der Aufbau des Abschnitts V.11-15 syntaktisch bestimmen:5


V.11a: NS; Konditionalsatz; [ἂν … εἰσέλθητε: konditionale Konjunktion + Konjunktiv];
V.11b: HS; Selbstständiger Begehrsatz: Aufforderung; [ἐξετάσατε: Imperativ Aorist];
V.11c:
V.11d: HS; Selbstständiger Begehrsatz: Aufforderung; [μείνατε: Imperativ Aorist];
V.11e:
V.12a:
V.12b: HS; Selbstständiger Begehrsatz: Aufforderung; [ἀσπάσασθε: Imperativ Aorist];
V.13a: NS; Konditionalsatz; [ἐὰν … ᾖ: konditionale Konjunktion + Konjunktiv];
V.13b: HS; Selbstständiger Begehrsatz: Aufforderung; [ἐλθάτω: Imperativ Aorist];
V.13c: NS; Konditionalsatz; [ἐὰν … ᾖ: konditionale Konjunktion + Konjunktiv];
V.13d: HS; Selbstständiger Begehrsatz: Aufforderung; [ἐπιστραφήτω: Imperativ Aorist];
V.14a:
V.14b: NS; Relativsatz mit konditionalem Nebensinn; [ὃς ἂν [aus V.14a gedanklich zu ergänzen]; ἀκούσῃ: Konjunktiv];
V.14c: NS; Adverbiales Partizip mit konditionaler oder temporaler Sinnrichtung; [ἐξερχόμενοι: Partizip];
V.14d: HS; Selbstständiger Begehrsatz: Aufforderung; [ἐκτινάξατε; Imperativ Aorist]);
V.15a: HS; Selbstständiger Behauptungssatz [λέγω];
V.15b:

V.11a-15b bilden also ein Satzgefüge aus Haupt- und Nebensätzen. Hierbei fällt besonders auf, dass meistens auf einen oder mehrere Konditionalsätze eine oder mehrere Aufforderungen folgen. Sogar das Partizip εἰσερχόμενοι in V.12a sowie das Partizip ἐξερχόμενοι in V.14c haben eine konditionale Sinnrichtung,11 und die beiden Relativsätze V.14a-b haben ebenfalls einen konditionalen Nebensinn.12 Allein V.11c und V.11e, V.14c sowie V.15a und V.15b haben weder eine konditionale noch eine imperativische Bedeutung: Allerdings sind V.11c und V.11e jeweils einem Imperativ untergeordnet. Am auffälligsten weichen also V.15a und V.15b vom sonstigen Satzgefüge in V.11-15 ab. Man bemerke aber, dass diese beiden zu V.14c-d gehören (s.u.). Schlussfolgerung: Die Propositionen V.11a-15b (!) sind meistens konditional miteinander verbunden, d.h. auf einen oder mehrere Wenn-Sätze folgen ein oder mehrere Dann-Sätze.13 Die Wenn-Sätze nennen die Bedingung (bzw. den „Fall“ bzw. die Voraussetzung) und die Dann-Sätze in V.11a-14d (!) die Aufforderung. Auch V.15a-b lässt sich als Dann-Satz einordnen, weil darin die in V.14d vorangehende Aufforderung ausgeführt wird. Alle Bedingungen in V.11-15 lassen sich als prospektiver Fall einordnen.14 Demnach wird im Wenn-Satz etwas bezeichnet, „womit man rechnen kann oder muss.“15 Dass Jesus damit rechnet, dass die zwölf Jünger zukünftig tatsächlich in die im Wenn-Satz genannten Situationen geraten werden, bestätigt der Zusammenhang der Aussendungsrede, insbesondere Jesu Autorität, zukünftige Geschehnisse anzukündigen (vgl. z.B. die Ankündigungen in V.16ff, die parallel zu V.13c-14d sind).16 Kurz: In V.11a-14d gibt Jesus seinen zwölf Jüngern Handlungsanweisungen für verschiedene Situationen, mit denen sie auf ihrer Missionsreise rechnen können: im Fall x sollen sie y tun. Hierbei tragen die Anweisungen das semantisch-kommunikative Hauptgewicht.

1.2.6.4 Kommentar und Analyse

V.11a. Die erste Proposition V.11a εἰς ἣν δ᾽ ἂν πόλιν ἢ κώμην εἰσέλθητε spricht eine bestimmte Situation an, in die die zwölf Jünger aller Voraussicht nach in Zukunft kommen werden: sie gehen in eine Stadt oder in ein Dorf hinein. Damit knüpft V.11a an V.5b-6 an, woraus erstens abgeleitet werden kann, dass sich diese Stadt oder dieses Dorf in Israel befindet, und zweitens, dass die zwölf Jünger ihren Auftrag tatsächlich ausführen werden, d.h. sie losgehen und ankommen werden. Darüberhinaus knüpft V.11a auch an 9,35 an, wo der Evangelist davon berichtet, dass Jesus durch „alle Städte und Dörfer“ (τὰς πόλεις πάσας καὶ τὰς κώμας) zog, um dort zu wirken. Eine konkretere Ortsangabe fehlt. Laut der Parallelstelle 4,23 wirkte Jesus in „ganz Galiläa“ (ἐν ὅλῃ τῇ Γαλιλαίᾳ), wobei hier von Städten und Dörfern keine Rede ist. Sowohl die zentrale Ortsangabe 4,12 als auch die zwischen 4,23 und 9,35 liegenden Ortsangaben deuten daraufhin, dass in 9,35 in erster Linie alle Städte und Dörfer in Galiläa gemeint sein müssten. Trifft das zu, so gibt es einerseits eine Übereinstimmung zwischen V.11a in Kombination mit V.5b-6 und dem Summarium 9,35, in der Hinsicht, dass die zwölf Jünger ebenso wie Jesus, gewissermaßen in seiner Nachfolge, ihn imitierend, zu den Städten und Dörfern gehen sollen. Andererseits könnte ein Unterschied hinsichtlich des Wirkungsbereichs vorliegen, da die Zwölf laut V.6 zu ganz Israel gehen sollen. V.11a stellt aber auch eine Verbindung zu 11,1 her, wo der Evangelist davon berichtet, dass Jesus selbst „von dort weggeht“ (μετέβη ἐκεῖθεν), um in „ihren Städten“ (ἐν ταῖς πόλεσιν αὐτῶν) zu wirken.

 

V.11b-c. Die zwölf Jünger sollen in der jeweiligen Ortschaft „herausfinden“ (V.11b: ἐξετάζω), welche Bewohner „würdig“ (V.11c: ἄξιος) sind. Das Adjektiv ἄξιος lässt sich allgemein mit „würdig, wert“ übersetzen.1 BA schlagen für ἄξιος + εἰμί in Mt 10,11.13; 22,8 die Übersetzung „sie verdienen es“ [Kursiv im Original] vor.2 M.E. kann man ἄξιος mit „verdienen“ übersetzen, wenn man sich darunter nicht notwendigerweise eine bestimmte Form von Eigenleistung oder Arbeitsleistung, die eine Gegenleistung bzw. eine Entlohnung nach sich zieht (vgl. ἄξιος in V.10b), vorstellt. Um diese Gefahr zu vermeiden, sind die beiden Alternativen „würdig“ oder „wert“ zu bevorzugen. Dem entspricht, wie LN ἄξιος (wozu auch V.11c gehört) definiert und übersetzt (65.17): „pertaining to having a relatively high degree of comparable merit or worth – ‚worthy, comparable, of comparable value, worthily.‘“3 Doch V.11b-c lässt für sich genommen offen, in welcher Hinsicht das Wert-Urteil „würdig“ bzw. „wert(voll)“ zutrifft (d.h. aufgrund welcher Werteskala? In Bezug auf welche Sache besteht eine Korrespondenz?). Weitere Informationen finden sich im näheren textuellen Zusammenhang: V.11d nennt mit der Aufforderung, dort zu bleiben (μείνατε), eine Konsequenz aus der Würde bzw. dem Wert. V.11d deutet damit an, was in V.13a und V.13c und in ihrem Zusammenhang klarer wird, und was auch auf V.11b-c übertragbar ist: Erstens ist hier höchstwahrscheinlich οἰκία Subjekt zur Subjekts-Artergänzung ἄξιος. Was das Interrogativpronomen τίς andeutet, lässt sich von V.13a und V.13c aus konkretisieren: das Haus, oder genauer: die Hausbewohner, müssen die Voraussetzung „würdig“ erfüllen, damit die zwölf Jünger dort (in der Stadt oder im Haus, dazu s.u.) bleiben. Zweitens wird in V.13a-b (und positiv abgeleitet aus V.13c-d) eine weitere Konsequenz genannt: auf das würdige Haus komme der Frieden der zwölf Jünger. Ob diese Konsequenz auch auf V.11b-d übertragbar ist, ist weniger eindeutig. Das hängt davon ab, wie man das Verhältnis zwischen V.11a-e und V.12a-14c bestimmt. Dass die zwölf Jünger die Häuser bzw. Bewohner einer Ortschaft auf ihre Würde oder Un-Würde „prüfen“ (ἐξετάζω, im MtEv nur noch in 2,8)4 sollen, ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass damit nicht oder nicht nur bekannte Mitglieder der Jesusbewegung (bzw. der mt Gemeinden) gemeint sind. Anderenfalls würde mit der Überprüfung der Würde eine christlich-moralische Qualität, die sich in Gastfreundschaft und Hörwilligkeit ausdrückt, geprüft werden. Im Anschluss an V.5bff geht es in V.5-42 aber hauptsächlich um eine Missionierung der verlorenen Israeliten, die die zwölf Jünger möglicherweise noch überhaupt nicht kannten.5 Dass sie dabei auf Menschen trafen, die mit Jesus sympathisierten oder seine Jünger waren, ist eine logische Konsequenz. Nichtsdestoweniger liegt der Schwerpunkt auf den anderen Menschen.6 Die Anweisung zur (Un-) Würde-Prüfung schließt jedenfalls nicht den Fall aus, dass es gar keine würdigen Bewohner gibt. Dafür spricht v.a., dass Jesus durch den abschließenden Vergleich mit den Städten (im Text steht „Land“ [γῆ]) Sodom und Gomorra eine gewisse Parallele zu Gottes Suche nach „Gerechten“ unter den „Ungerechten“ Sodoms und Gomorras herstellt (Gen 18,23-33), wobei das Ergebnis ja negativ ausgefallen ist. Allerdings klingt der Dann-Satz V.11c relativ optimistisch.7 Unklar ist der genaue Zeitpunkt, an dem die Zwölf die Würde oder Nicht-Würde der Menschen feststellen. Die Reihenfolge der Propositionen V.12a-b, V.13a-b und V.13c-d erweckt den Eindruck, dass die Würde oder Nicht-Würde erst nach dem Betreten und Grüßen des Hauses festgestellt wird. Ordnet man aber die beiden Relativsätze V.14a-b der Einheit V.12a-13d zu, dann entsteht der Eindruck, dass bereits die Nicht-Aufnahme sowie das Nicht-Anhören ihrer Worte die Nicht-Würde des Hauses aufzeigt.8 Selbst wenn man V.7-8d hinzuzieht, bleibt diese Frage offen, denn die dort geforderten Elemente, erstens die Predigt vom Himmelreich (V.7) und zweitens die Wundertaten (V.8a-d), könnten dem Eingehen in die Häuser zeitlich voraus- oder nachgehen, d.h. man könnte sie öffentlich oder privat verorten oder sogar in beiden Bereichen.9 Wählt man aber eine etwas andere Deutung von V.14a-b, dann lassen sich die in Frage kommenden Zeitpunkte folgendermaßen zusammendenken: Wenn die Aufnahme und Hörwilligkeit der (potentiellen) Gastgeber in 14a-b zeitlich auf das Eintreten und Grüßen der Zwölf folgen, dann wären die Aufnahme und die Hörwilligkeit diejenigen Merkmale, die ein Haus als würdig bzw. wertvoll qualifizieren. Die Aufnahme müsste also auf das Hereinlassen folgen. Für diese Deutung von V.14a-b spricht, dass die Zwölf alle Häuser grüßen, wahrscheinlich immer mit Friedensgruß, und der ausgesprochene Frieden nur von den unwürdigen Häusern zurückkommt (zu V.14a-b s.u.).

V.11d-e. Die zwölf Jünger sollen „dort bleiben“ (V.11d: κἀκεῖ μείνατε), „solange bis“ sie „hinausgehen“ (V.11e: ἕως ἂν ἐξέλθητε). Das aus der koordinierenden Konjunktion καί und dem lokalen Umstandsadverb ἐκεῖ zusammengesetzte κἀκεῖ verweist auf etwas im vorangehenden Text Genanntes (anaphorische Funktion). Als Bezugsgröße kommt erstens die unmittelbar vorangehende Proposition V.11c in Frage: sie sollen bei den würdigen Stadt- oder Dorfbewohnern bleiben. Und zweitens die entferntere Proposition V.11a (ἐν αὐτῇ in V.11c verweist ebenso zurück auf V.11a): sie sollen in der Stadt oder in dem Dorf bleiben, wo es würdige Bewohner gibt.10 Weil im nachfolgenden Nebensatz V.11e mit ἕως ἂν ἐξέλθητε (temporale Konjunktion + ἂν + prospektiver Konjunktiv) die Dauer des Bleibens festgelegt wird, bedeutet das, dass die Zwölf nur bei einem, dem „erstbesten“ würdigen Haus bleiben sollen (vgl. auch ἔξω τῆς οἰκίας in V.14c).11 Ein konkreter Grund für das Bleiben in dem einen Haus, wird im Text nicht genannt.12 Das schließt jedenfalls nicht aus, dass sie auch andere Häuser dieser Stadt aufsuchen und auf ihre „Würdigkeit“ prüfen.

V.12a-b. Das adverbiale Partizip εἰσερχόμενοι hat eine konditionale Sinnrichtung und sollte mit „wenn ihr hineingeht“ übersetzt werden. Darauf folgt zuerst die Konjunktion δέ und danach die lokale Umstandergänzung εἰς τὴν οἰκίαν. In V.12a ist zum ersten Mal ausdrücklich vom (Eintreten in das) Haus die Rede ist. Wie oben bereits bemerkt, verkleinert sich im Vergleich zu V.11a der Fokus von den größeren Orten Stadt oder Dorf hin zum kleineren „Ort“ Haus. Jesus spricht damit die entscheidenden Zeit- und Zielpunkte an, da sie ja hingehen sollen, um an den verlorenen Israeliten zu wirken. ἀσπάσασθε ist ein Imperativ und sollte mit „grüßt“ übersetzt werden. Das darauffolgende Akkusativobjekt αὐτήν verweist zurück auf οἰκίαν in V.12a. Die Jünger sollen natürlich nicht das Haus an sich grüßen, sondern dessen Bewohner (Metonymie). Art und Inhalt des Grußes bleiben offen.13 Denn einerseits scheint ἐπιστραφήτω in V.13d vorauszusetzen, dass zuvor der Friede auf das Haus gekommen sei, wofür in besonderer Weise V.12b in Frage kommt (so ausdrücklich in Lk 10,5f). Andererseits spricht V.13b vom Kommen des Friedens auf das Haus (statt vom Bleiben oder „Ruhen“ [so z.B. in Lk 10,6: ἐπαναπαύομαι]), so dass der Friede zwei Male kommen würde.14 Doch auch die alternative Deutung ist nicht ohne Spannung: Einerseits könnte man V.12a-b als Einleitung zu V.13a-d verstehen, d.h. nach dem Eintreten und der allgemeinen Begrüßung würde die Prüfung erfolgen, ob das Haus denn würdig oder nicht würdig sei, und davon abhängend würde anschließend der Friede auf das würdige Haus kommen oder vom unwürdigen Haus zurückkehren. Andererseits spricht V.13d vom Zurückkehren des Friedens (statt vom Nicht-Kommen), womit ja ein Kommen des Friedens vorausgesetzt zu sein scheint, was sich beim Gruß in V.12b ereignet haben könnte. Doch was in Jesu Aufforderung in V.12b offen geblieben ist, wird in V.13a-d deutlich zum Ausdruck gebracht.

V.13a-d. V.13a und V.13c sind zwei parallele Konditionalsätze; V.13a ist positiv: wenn das Haus würdig ist (ἐὰν μὲν ᾖ ἡ οἰκία ἀξία); V.13c hingegen ist negativ: wenn es nicht würdig ist (ἐὰν δὲ μὴ ᾖ ἀξία). Gemeint ist jeweils das Haus, von dem in V.12a-b gesprochen wurde: entweder ist es würdig oder es ist nicht würdig (vgl. μέν in V.13a und δέ in V.13c). Ebenso wie in V.11c ist hier nicht ganz klar, was das Adjektiv ἄξιος bedeutet und wie es feststellbar ist (dazu s.o.). Doch auch hier ist es wahrscheinlich, dass die in V.14a-b genannten Reaktionen auf die zwölf Jünger, nämlich Aufnahme und Hörwilligkeit, diejenigen Merkmale sind, die ein Haus als würdig bzw. wertvoll qualifizieren. V.13b und V.13d sind zwei parallele Aufforderungssätze.15 Das genitivische Personalpronomen ὑμῶν steht anstelle der adressierten zwölf Jünger. Die zwölf Jünger sind eher „Urheber“ (genitivus auctoris) als „Besitzer“ (genitivus possessoris) des Friedens,16 gemeint ist also ein Friede, der von ihnen ausgeht, den sie (über-) bringen (vg. ἔρχομαι) und ggf. wieder mitnehmen (vgl. ἐπιστρέφω). Ob aber die zwölf Jünger als Urheber des Friedens über das jeweilige Kommen und Zurückkehren des Friedens (mit-) verfügen können, bleibt offen, da ἡ εἰρήνη jeweils die Nominativ-, und nicht die Akkusativform hat.17 Jesus fordert eben nicht seine Jünger dazu auf, den Frieden zu geben oder zurück zu nehmen. Deswegen ist es denkbar, dass entweder Jesus oder Gott über das jeweilige Kommen und Zurückkehren des Friedens verfügen. Was aber bedeutet ἡ εἰρήνη? 1. Wie soeben bemerkt, wird der Frieden von den zwölf Jüngern überbracht, d.h. die Zwölf sind „Friedensboten“ (vgl. 5,9: εἰρηνοποιός). 2. Zur Rückkehr des Friedens (V.13d) gehört erstens das Verlassen des Hauses und der Stadt (V.14c), zweitens das Abschütteln des Staubes (V.14d) und drittens das schwere Gerichtsurteil (V.15b). Kurz: Das Fehlen des Friedens entspricht dem negativen Gerichtsurteil Gottes. 3. Der Begriff „Frieden“ lässt sich als eine von Harmonie geprägte Beziehung definieren.18 Aufgrund V.15b ist hierbei in erster Linie an die Beziehung zwischen den Hausbewohnern und Gott zu denken. Deswegen kann man an dieser Stelle auch den Begriff „Heil“ für „Frieden“ einsetzen.19 Höchstens in zweiter Linie ist hierbei auch an eine Beziehung zwischen den Hausbewohnern und den zwölf Boten zu denken. Aber mit Sicherheit nicht an eine Beziehung zwischen den Hausbewohnern selbst, da ihnen nicht der Friede, sondern das Schwert droht (V.34; vgl. außerdem V.21.35-37).20 Damit zeigt der Begriff „Frieden“ in Mt 10 einen Konflikt an: wer den Frieden mit Gott erhält (V.13b), verliert in der Konsequenz den Frieden mit seinen Angehörigen (V.34). 4. Dass die gastfreundliche Aufnahme der zwölf Jünger dem Gastgeber das Heil „einbringt“, d.h. die zwölf Jünger sind „Heilsbringer“, kann von zwei benachbarten Stellen aus erklärt werden: a) Verortet man die Predigt vom Himmelreich sowie die Wundertaten (V.7a-8d) (auch) in den Häusern, dann gelangt auf diese konkrete Weise der Friede (des Himmelreichs) in das Haus. b) Die Gleichsetzung zwölf Jünger = Jesus = Gott (V.40) erklärt die genannte Konsequenz, denn das Haus nimmt letztlich Gott selbst auf, und wer Gott aufnimmt, hat das Heil. 5. Aufgrund des Kontrasts zum Gerichtswort in V.15b ist der Frieden zukünftig-eschatologischer Art.21 Nichtsdestoweniger können sowohl der Friede als auch das Gericht bereits in der Gegenwart beginnen. Was aber bedeutet, dass der Friede der zwölf Jünger „zu ihnen zurückkehren“ (πρὸς ὑμᾶς ἐπιστραφήτω) soll, wenn das Haus nicht würdig sein sollte (μὴ ᾖ ἀξία)? Die Vorstellung, dass der Frieden zurückkehren (ἐπιστρέφω) könnte, mutet etwas seltsam an, weil sie voraussetzt, dass der Friede zuvor, von den zwölf Jüngern ausgehend, auf das Haus (vgl. V.13b: ἐπ᾽ αὐτήν) bereits gekommen zu sein scheint.22 Wann aber soll das passiert sein? Aufgrund des Kontrastes zwischen den parallelen V.13a-b und V.13c-d ist V.13b keine chronologische Vorstufe zu V.13d (im Sinne von: das Haus erschien [auf den ersten Blick; evtl. V.11c] als würdig, war aber es aber in Wirklichkeit [auf den zweiten Blick] nicht oder war es später nicht mehr).23 Möglicherweise ist das vorangegangene Kommen des Friedens in V.12b mitzudenken (dazu s.o.).24 Jedenfalls wirkt das (Nicht-) Kommen des Friedens in V.13b und V.13c, im Zusammenhang mit den Gerichtsgedanken in V.14c-d und V.15b, nicht als „Worte“ (V.14b) bzw. als eine Predigt (V.7b-c), die den Frieden bloß anbietet bzw. verheißt, etwa für diejenigen, die an die Botschaft glauben, sondern als ein tatsächliches (Nicht-) Kommen.25 Denn wer sich als würdig erweist, indem er die zwölf Jünger aufnimmt und ihre Worte hört, hat den Frieden bzw. das Heil (vgl. Lk 10,5f: der Friede „ruht“ auf dem „Sohn des Friedens“). Diese Vorstellung bleibt m.E. etwas rätselhaft.